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Als 1986 Risikogesellschaft erschien, machte das Ulrich Beck schlagartig berühmt. Der Soziologe wies nicht nur auf die Nebenfolgen der Industriemoderne hin, er betonte zugleich, dass die Welt sich auch dann permanent verändert, wenn wir meinen, einen vorübergehenden Zustand mit Institutionen und Konzepten einfrieren zu können. Mit beispielloser Neugier spürte Beck den Indizien des Wandels nach und öffnete uns die Augen für Individualisierung, Globalisierung und die Transformation der Arbeitswelt.

Bis zu seinem überraschenden Tod am 1. Januar 2015 arbeitete er an einem Buch, das beides ist: Summe und radikale Weiterführung seiner Theorie. Während es früher Fixpunkte gab, an denen wir erkennen konnten, was stabil blieb und was nicht, erleben wir heute eine allumfassende Verwandlung, die uns orientierungslos werden lässt. Die Metamorphose der Welt setzt sich zum Ziel, diese Globalisierung des Wandels zu verstehen und hochaktuelle Herausforderungen wie Erderwärmung und Migration auf den Begriff zu bringen.

 

Ulrich Beck (1944-2015) war einer der bedeutendsten Soziologen und Risikoforscher weltweit. Er lehrte unter anderem an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Harvard University und der London School of Economics. Beck erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Preis der Deutschen Gesellschaft für Soziologie für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der öffentlichen Wirksamkeit der Soziologie (2004).

Becks Werk erscheint im Suhrkamp Verlag, zuletzt u.a. Fernliebe. Lebensformen im globalen Zeitalter (gemeinsam mit Elisabeth Beck-Gernsheim) und Das deutsche Europa. Neue Machtlandschaften im Zeichen der Krise.

 

 

Ulrich Beck

DIE METAMORPHOSE
DER WELT

Aus dem Englischen von Frank Jakubzik

Suhrkamp

 

 

Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel The Metamorphosis of the World bei Polity Press (Cambridge).

 

 

 

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

 

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2017

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2017.

© Suhrkamp Verlag Berlin 2017

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Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner

eISBN 978-3-518-74777-3

www.suhrkamp.de

INHALT

Vorbemerkung Elisabeth Beck-Gernsheim: Die Geschichte eines unvollendeten Buches

 

Vorwort

 

Erster Teil: Einführung, Evidenz, Theorie

1 Warum nicht Wandel, sondern Verwandlung der Welt?

2 Gott werden

3 Wie der Klimawandel die Welt retten könnte

4 Theorie der Metamorphose

 

Zweiter Teil: Themen

5 Von der Klasse zur Risikoklasse: Soziale Ungleichheit in Zeiten der Metamorphose

6 Neuordnung der Machtverhältnisse: Die Politik der Unsichtbarkeit

7 Emanzipatorische Katastrophen: Gemeinwohlfördernde Nebenfolgen von bads

8 Public bads: Die Politik der Sichtbarkeit

9 Digitale Risiken: Das Versagen funktionierender Institutionen

10 Das Metamachtspiel der Politik: Metamorphose der Nation und der zwischenstaatlichen Beziehungen

11 Kosmopolitische Risikogemeinschaften: Von den Vereinten Nationen zu den Vereinten Weltstädten

 

Dritter Teil: Ausblick

12 Globale Risikogenerationen: Im Niedergang vereint

 

Bibliografie

Vorbemerkung

Die Geschichte eines unvollendeten Buches

Elisabeth Beck-Gernsheim

Der 1. Januar 2015 war ein Wintertag wie aus dem Bilderbuch: blauer Himmel, strahlende Sonne, glitzernder Schnee. München leuchtete. Wir, wie viele andere auch, machten uns auf zu einem Spaziergang im nahen Englischen Garten, Münchens großem Park.

Einige Wochen zuvor hatte Ulrich eine vorläufige Fassung des Textes der Metamorphose an Polity Press, seinen englischen Verlag, geschickt. Und erst wenige Tage zuvor, Ende Dezember, waren erste Rückmeldungen gekommen. Hatten ihn manche Kommentare zunächst irritiert, begann er jetzt bei unserem Spaziergang zu sehen, dass sie an wichtige Fragen rührten. Und sogleich begann er, an neuen Ideen zu basteln. Spielerisch suchte er nach Argumenten, um Gedanken zu präzisieren, Lücken zu füllen, Übergänge schärfer herauszuarbeiten. Ich spielte mit. Wie, das war immer wieder die Frage, wie konnte man das Grundkonzept des Buches noch fester verankern?

So gingen wir auf den uns so vertrauten Wegen des Englischen Gartens, angeregt redend, eifrig diskutierend.

Und dann, plötzlich, das Ende. Herzinfarkt. Ulrich kam nicht mehr nach Hause. Er starb noch im Englischen Garten.

Als ich einige Tage später versuchte, mich an die wichtigsten Ideen zu erinnern, die wir an jenem strahlenden Neujahrstag diskutiert hatten, gelang es mir nicht, sosehr ich mich auch bemühte. Mein Gedächtnis versagte. Ich erinnerte mich nur noch an Fragmente, Einzelheiten, Fetzen. Das Wesentliche war weg.

Einen Monat später, im Februar 2015, veranstaltete die London School of Economics – wo Ulrich viele Jahre einen Lehrstuhl gehabt hatte – eine Gedenkfeier zu seinen Ehren. Bei diesem Anlass nannte Anthony Giddens die Metamorphose der Welt ein »unvollendetes Buch«. In den folgenden Monaten sollte ich feststellen, wie recht er hatte. Aus der Aufgabe, die Manuskriptfassung in ein Buch zu verwandeln, wurde ein Unterfangen, das mich über Monate hinweg in Atem hielt. Dabei war dies nur der letzte Teil einer langen Geschichte, an der viele Kollegen und Freunde mitgewirkt hatten. Sie waren teils direkt, teils indirekt beteiligt an dem Forschungsprojekt »Methodological Cosmopolitanism – In the Laboratory of Climate Change«, für das Ulrich einen sogenannten »Advanced Grant« erhalten hatte, ein ebenso großzügiges wie prestigereiches Stipendium des Europäischen Forschungsrates (European Research Council, ERC).

Von Anfang an waren Anders Blok (Kopenhagen) und Sabine Selchow (London) an der Diskussion der Entwürfe zu diesem Buch beteiligt. Beide haben viel Zeit, Energie und Wissen eingebracht. Dank ihrer Bemühungen hat das Manuskript nicht nur an Tiefe, sondern auch an Präzision und empirischer Fundierung gewonnen. Darüber hinaus haben zahlreiche Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Fachgebieten – darunter weitere Mitglieder des ERC-Projektteams, sowohl in München wie in anderen Weltregionen – konstruktive Vorschläge eingebracht und neue Ideen angestoßen. Zu diesem Netzwerk kosmopolitischer Kooperation gehörten: Martin Albrow (London), Christoph Lau (München), Daniel Levy (New York), Zhifei Mao (Hongkong), Svetla Marinova (Sofia), Gabe Mythen (Liverpool), Shalini Randeria (Wien), Maria S. Rerrich (München/Blackstock, South Carolina), Natan Sznaider (Tel Aviv), John Thompson (Cambridge), David Tyfield (Lancaster/Guangzhou, China), Ingrid Volkmer (Melbourne) und Johannes Willms (München). Einmal mehr hat Almut Kleine (München), geübt durch zwanzig Jahre der Zusammenarbeit mit Ulrich, unerschrocken seine handschriftlichen Notizen und Korrekturen entziffert und sich durch viele Fassungen des Textes hindurchgearbeitet. Caroline Richmond hat den Text für Polity Press hervorragend lektoriert und einige verbliebene Unebenheiten geglättet.

Doch bevor es dazu kommen konnte, musste das unvollendete Buch vollendet werden. Dies erwies sich als eine schwierige Aufgabe, die sich nur über die enge Kooperation dreier Personen bewältigen ließ.

Da Ulrich und ich nicht nur über Jahrzehnte zusammengelebt, sondern auch immer wieder eng zusammengearbeitet hatten, spielte das Thema Metamorphose nicht nur in regelmäßigen Diskussionen, sondern auch in unserem Alltag eine gewichtige Rolle. Ich hatte aus nächster Nähe miterlebt, wie Ulrich mit seinen Ideen rang und sie nach und nach in den Griff bekam. Außerdem konnte ich mich auf unsere Erfahrungen beim Verfassen von vier gemeinsamen Büchern und unzähligen gemeinsamen Artikeln stützen. Und doch: Als es darum ging, eine endgültige Druckfassung von Die Metamorphose der Welt herzustellen, stand ich in jedem Kapitel vor einer Reihe offener Fragen, angefangen mit mysteriösen Metaphern bis hin zu Argumenten, deren Quelle im Dunkeln lag. In diesen Momenten – und von ihnen gab es einige – sprang mir John Thompson zur Seite, der enge Kollege und loyalste Freund, der große Mengen an Zeit und Energie, soziologischen Kenntnissen und Publikationserfahrung einbrachte. Wann immer ich auf eine Pause hoffte, eine Auszeit von der Metamorphose, oder der Wunsch übermächtig wurde, die Arbeit an meinem eigenen Buch fortzusetzen, brachte mich John geduldig auf den rechten Weg zurück, drängte mich, dranzubleiben, und ging zuweilen mit Vorschlägen voran. Unermüdlich half er, unvollständige Sätze zu deuten, abrupt abbrechende Absätze zu vervollständigen und manchen (auf Englisch verfassten) Passagen den deutschen Tonfall auszutreiben.

Ohne Albert Gröber, den wissenschaftlichen Koordinator des ERC-Teams und genauen Kenner von Ulrichs Werken, wären John und ich dennoch verloren gewesen. Während der schwierigen Phase nach Ulrichs Tod half Albert nicht nur, das Projekt durch Krisen und divergierende Zielvorstellungen hindurchzusteuern; er trug zugleich aktiv dazu bei, die Metamorphose zu vollenden. Er spürte unermüdlich Literaturhinweise auf, grub entlegene Zitate aus und leistete die Hauptarbeit bei der Zusammenstellung der Bibliografie.

Auf diese Weise nahm das unfertige Manuskript allmählich Form an und wurde schließlich zum Buch. Ich stehe tief in Johns und Alberts Schuld, und mein herzlichster Dank gilt ihnen beiden.

Ich hoffe, dass wir, alles in allem, unsere Aufgabe angemessen bewältigt haben, wenigstens in den meisten Fällen. Und ich hoffe, dass es damit am Ende möglich wird, die Vision zu erkennen, mit der Ulrich den langen Weg zur Metamorphose begann.

 

München, September 2015

Vorwort[1]

Die Welt ist aus den Fugen. Nach Ansicht vieler Zeitgenossen trifft das in beiden Bedeutungen des Wortes zu: Ihre äußere Ordnung ist zerbrochen, ihr innerer Zusammenhalt verloren gegangen. Wir irren ziel- und orientierungslos umher, argumentieren für und wider. Die eine Feststellung jedoch, auf die wir uns jenseits aller Unterschiede und über alle Kontinente hinweg zumeist einigen können, lautet: »Ich begreife die Welt nicht mehr.«

In diesem Buch versuche ich zu verstehen und zu erklären, warum wir die Welt nicht mehr verstehen. Zu diesem Zweck unterscheide ich zwischen Wandel und Metamorphose, genauer gesagt: zwischen dem Wandel der Gesellschaft und der Verwandlung der Welt. Gesellschaftlicher oder sozialer Wandel ist ein eingeführter soziologischer Begriff, dessen Bedeutung jeder kennt. Er hebt auf eine Kerneigenschaft der Moderne ab, nämlich ihre permanente Veränderung, von der grundlegende Konzepte und Gewissheiten allerdings stets unberührt bleiben. Dagegen zieht die Zustandsbeschreibung der Verwandlung, der Metamorphose, den Gewissheiten moderner Gesellschaften den Boden unter den Füßen weg. Sie lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass wir »in der Welt« leben, sie nimmt die Welt in den Blick, nämlich jene Ereignisse und Prozesse, denen zwar keine spezielle Absicht zugrunde liegt und die wir zumeist übersehen, die jedoch jenseits der Domänen von Politik und demokratischer Gesellschaft als Nebenfolgen radikaler Modernisierungen in Technik und Wirtschaft unser »In-der-Welt-Sein« zunehmend bestimmen. Diese »Nebenfolgen« bewirken eine fundamentale Erschütterung, einen Gezeitenwechsel, in dem die anthropologischen Konstanten unseres bisherigen Lebens und Weltverständnisses wie Seifenblasen platzen. In diesem Sinne bedeutet Metamorphose schlicht, dass das gestern Undenkbare heute nicht nur möglich, sondern längst Realität geworden ist.

In den vergangenen Jahrzehnten sind wir mehrmals mit Metamorphosen dieser Größenordnung konfrontiert worden, durch eine Reihe von Ereignissen, zu denen vielen nur noch das Wort »Wahnsinn« einfällt: vom Mauerfall über die Terroranschläge des 11. Septembers bis hin zu den katastrophalen Klimawandelfolgen überall auf der Welt, von der Finanzmarkt- und Eurokrise über die Reaktorkatastrophe in Fukushima bis zu Edward Snowdens Entlarvung der unsere Freiheit bedrohenden totalitären Überwachung digitaler Kommunikationswege. Jedes Mal ist es dasselbe Muster: Was vorab als vollkommen unvorstellbar ausgeschlossen wurde, tritt jetzt ein – als Ereignis von globaler Bedeutung, das die Massenmedien in jedes Wohnzimmer des Planeten tragen.



[1] Das Manuskript der Metamorphose der Welt ist zu großen Teilen in englischer Sprache abgefasst, enthält aber auch einige vom Autor auf Deutsch formulierte Passagen. Die Übersetzung hat sie unverändert übernommen und sich in Hinsicht auf Begrifflichkeit und Stil der übrigen Teile an ihnen orientiert (Anmerkung des Übersetzers).

Erster Teil
 
EINFÜHRUNG, EVIDENZ, THEORIE