Männerding

Da kann man nix machen

 

Ein Roman von Lohre Ley

 

 

 

In Kürze …

Barni ist ein böser Junge - glaubt er. Frauen sind Objekte seiner Begierden. Als er sich aber von der Feindin seiner Ehefrau verführen lässt, beginnt er, an sich zu zweifeln. Er befürchtet, seine Gattin wird ihm diesen speziellen Fehltritt nicht verzeihen.

Kann er den Schaden reparieren?

Sein bester Freund rät ihm, zum Schein eine Psychotherapie zu machen.

Barni nimmt diesen Rat an und begibt sich auf eine Achterbahnfahrt durch seine Gefühlswelt.

Doch mehrere Eskapaden mit anderen Frauen zeigen ihm, dass er nicht aus seiner Haut kann. Seine Rechtfertigung: Schuld sind nur die Hormone.

Dann entdeckt er, dass in seinem Schlafzimmer eine Kamera installiert ist, und in seinem Heimatort gehen seltsame Dinge vor.

Wer steckt dahinter, was geschieht da mit ihm - und warum?

 

 

 

Überarbeitete Neuauflage

Copyright © 2017 Lohre Ley

Copyright dieser Ausgabe © 2018 Lohre Ley

Umschlaggestaltung Gerhard Arlt

 

Alle Rechte vorbehalten

Warnhinweis

Der vorliegende Roman "Männerding" enthält in Spuren Beschreibungen von Geschlechtsteilen und sexuellen Praktiken. Die politisch unkorrekten Aussagen, kritische Bemerkungen zu real existierenden Personen sowie die sexistischen Textstellen in diesem Roman sind literarisch gewollt und bilden in keiner Weise die Meinung der Autorin ab.

 

Wer gegen auch nur einen Punkt dieser Warnung allergisch ist oder Textstellen eventuell als anstößig empfinden könnte, darf diesen Roman

 

auf keinen Fall lesen!

 

Freigegeben ab 18!

 

Ouvertüre

 

Das Jacques ist brechend voll.

Wegen Marlies, vermute ich.

Marlies …

Sie ist der Qualitätsgarant des Jacques. So sehe ich das, und mit mir offensichtlich die halbe männliche Bevölkerung Hannovers, denn seit sie hier arbeitet, ist die Kneipe immer zum Bersten voll.

Bertl und ich haben uns hier getroffen, weil er sowieso gerade in Hannover weilt und zufällig mal wieder Zeit für mich hat. Außerdem will er mir sein Leid klagen. Irgendwas ist passiert, in seiner glamourösen Welt. Mehr hat er mir am Telefon nicht verraten.

Bertl ist mein liebster und bester Freund, mein Kumpel, mein Bruder im Geiste fast. Wir kennen uns bereits seit Studienzeiten. Eine halbe Ewigkeit also.

Er ist ein gut aussehender Mann. Eloquent, gebildet, warmherzig. Erfolgreicher Schauspieler. Er war sogar einige Jahre in Hollywood gefragt. Nun ja, jetzt ist er wieder in Good old Germany. Immer noch berühmt. Ein A-Promi.

»Siehst du die Kleine dort, die Kellnerin?«, frage ich ihn.

Er schaut zu ihr hin. »Yep, sehe ich. Und? Was ist mit der? Außer, dass sie offensichtlich keinen Sinn für Style besitzt.«

»Na, was glaubst du wohl! Die finde ich scharf!«, entrüste ich mich. Obwohl, ich hätte es wissen müssen, dass Bertl diese Ebene der teilweise nonverbalen Kommunikation über eine schöne Frau nicht annähernd nachvollziehen kann.

Ich sitze dort mit ihm am Tresen, versuche meine Gesäßabdrücke in den Barhocker zu stanzen - Revier markieren nennt man das - und will seine Meinung über den schönsten Hintern der Welt hören.

Ich Idiot!

»Barni, du Möchtegerncasanova. Du findest doch alles scharf, was genügend Arsch und Titten mit sich rumschleppt. Schau doch mal genau hin, du Testosteron-Junkie! Diese Halbfrisur. Einfach unmöglich! Und die Schlabberhose. ›Das trägt man jetzt so‹, sagen die Ahnungslosen. Meine Güte! Und ihre Hände erst! Schlachterpratzen mit Wurstfingern. Wahrscheinlich klebt sogar noch Blut dran. Du hast einfach keine Ahnung von Frauen! Apropos, wie geht es denn deiner?«

Ich lasse Bertls unsachlichen Kommentar - Marlies hat nämlich sehr schlanke Finger! - und die stimmungstötende Frage nach meinem Weib wehrlos über mich ergehen. Ist halt so, Diskussion überflüssig.

Zu Studentenzeiten war er oft mein Flügelmann beim Aufreißen von Chicas, aber oft auch mein Bremser, wenn ich gerade dabei war, mich Hals über Kopf in die erstbeste Tussi zu verlieben. Hätte ich ihn nicht stets an meiner Seite gehabt, ich wäre wahrscheinlich an eine Frau geraten, die nicht gut für mich gewesen wäre.

Apropos: Als ich mit meiner Liebsten zusammenkam, beziehungsweise, als sie mich einfing, war er gerade im Ausland, also nicht anwesend. Das hatte ich nun davon!

»Ihr geht es wie immer. Sie verabscheut mich jeden Tag ein bisschen mehr, hat ständig Migräne, täuscht Unpässlichkeit vor und ist, was ich am schlimmsten finde, beruflich wesentlich erfolgreicher als ich …«

»… und du bist damit nicht glücklich, ist klar. Und deshalb willst du dich an die Schöne hier ranmachen, stimmt’s?«

»…!«

»Ich wusste es doch! Du bist so ein Macho, ein durchschaubarer!«

»Ja, ja, du musst es ja wissen. Du schläfst ja schließlich an der Wand, direkt hinter der Tapete.«

»Genau, da ist es schön kuschelig und man hört, was die Nachbarn so treiben. Außerdem hast du viermal hintereinander ›ja‹ gesagt, du Grammatikschwächling.«

»Halt’s Maul du Germanistiknazi!«

Warum muss er mich eigentlich ständig mit meinem Defizit aufziehen? Jedes Mal macht er das. Das ist nicht fair. Er ist Schauspieler, da muss er auch sprachlich in der Oberliga mitspielen. Ich aber bin bloß Opernsänger, Bariton. Da muss ich singen können, nicht sprechen. Außerdem, wenn ich mehrmals hintereinander ja sage, ist das ja wohl eher keine Grammatikschwäche, sondern höchstens eine Stilfrage.

Egal. Das ist mir zu blöd. Ich werde jetzt einfach das Thema wechseln. »Ach Mann, hör mal damit auf. Erzähl mir lieber, was dir Schreckliches widerfahren ist. Am Telefon hast du ja nur geheimnisvolle Andeutungen gemacht.«

Bertl druckst ein bisschen herum. Nachdenklich spielt er mit seinem Glas, schaukelt die honigfarbene Pfütze, landläufig wohl Bier genannt, hin und her. »Du weißt ja, dass ich früher mal in Hollywood gearbeitet …«

»Ja, ja. Weiß ich. Haben sie dich gerufen? Sollst du da wieder hin?«

»Nein, der Zug ist endgültig abgefahren. Nee, es geht nicht darum. Es geht um diese nicht enden wollende Sexismusdebatte. Um #metoo.«

»Häschtäck Mihtuh?«

»Ja klar. Hast du wohl nicht mitgekriegt?«

»Doch, doch«, beeile ich mich zu versichern. Obwohl ich eigentlich überhaupt nicht viel darüber weiß. Ist ja auch schon ein Weilchen her. Ein Funke glimmt in meinem Gedächtnis auf, kriecht aus meinem Hinterkopf durch die Synapsen, bis er schließlich so was wie eine vage Erinnerung produziert. Da war irgendwas mit einem Produzentenarschloch, der Schauspielerinnen belästigt hatte und sogar vergewaltigt haben soll.

»Jedenfalls hat sich diese Aktion verselbstständigt, immer weitere Kreise gezogen und, was soll ich sagen, jetzt hat es mich erwischt.«

»Wie jetzt? Inwiefern erwischt?«

»Na ja, ich stehe jetzt auf einer bei Twitter und im Internet kursierenden Liste. Ich soll einigen meiner Kolleginnen an den Arsch und die Titten gegrapscht haben. Und Schlimmeres. Wenn Alissa damals gewusst hätte, welche Lawine sie mit ihrer Aktion lostritt …«

»Du? Ausgerechnet du?«, lache ich. Das kann ich nicht glauben. »Aber du bist doch …«

»Schwul, genau. Und zwar stockschwul.«

»Apropos, ich habe mich schon immer gefragt, wieso ausgerechnet ein Stock schwul sein sollte.«

»Mach mal keine blöden Witze jetzt. Die Angelegenheit ist verdammt ernst.«

»Und? Hast du …?«, frage ich der Vollständigkeit halber.

»Nein, natürlich nicht«, entrüstet sich Bertl. »Trotzdem wurden ein paar schmutzige Dinge über mich behauptet, und mein Ruf steht auf dem Spiel.«

Ich nicke. Das kenne ich gut. Mein Ruf ist seit Jahren im Eimer. Aber das tut jetzt nichts zur Sache, deshalb nicke ich meinem Freund aufmunternd zu, er möge fortfahren.

»Eine meiner ehemaligen Filmpartnerinnen hat doch glatt behauptet, ich hätte ihr bei einer Sexszene den Schwanz reingesteckt und ihr ins Ohr geflüstert, wenn sie ihre Rolle im Film behalten wolle, habe sie sich mir nach dem Dreh gefälligst hinzugeben. Ich drücke mich jetzt noch vorsichtig aus, denn die Tussi fand wesentlich härtere Worte.«

»So eine Schlampe!«, stoße ich hervor. Etliche Köpfe von anderen Gästen drehen sich zu mir um. »Wie kommt die dazu, so was von dir zu behaupten?«

Bertl bestellt sich ein neues Bier. »Das ist nicht so schwer zu verstehen«, sagt er. »Publicity. Sich wichtig machen. Ist doch Alltag in der Branche.«

Wieder nicke ich. Auch das ist mir geläufig. Im Gespräch bleiben um jeden Preis. Skandale eignen sich besonders gut. »Du könntest sie doch anzeigen«, schlage ich vor, »wegen übler Nachrede oder so.«

»Das bringt nichts«, meint Bertl, und ich muss ihm im Stillen beipflichten.

»Danach sind etliche Trittbrettfahrerinnen aufgetaucht, die Ähnliches über mich behauptet haben. Da waren sogar Frauen dabei, die ich nie persönlich getroffen habe.«

»Scheiße!«, entfährt es mir. Und wieder eine Spur zu laut, sodass die sich drehenden Köpfe in der Kneipe abermals nach dem Verursacher der unflätigen Lärmquelle suchen.

»Ja, du sagst es. Aber was soll ich machen?«

»Keine Ahnung. Damit leben geht nicht?«

»Nee, geht nicht. Damit sterben aber auch nicht.«

»Na, na, na. Jetzt wollen wir aber mal nicht dramatisch …«

»Wieso denn nicht?«

Jetzt ist Bertl eindeutig zu laut geworden. Die Köpfe drehen sich. Wenn das so weitergeht, kriegen wir noch Hausverbot. Was mir nicht passen würde. Aber so gar nicht!

»Meine Karriere ist doch jetzt im Arsch«, fügt er etwas leiser hinzu.

»Ach, das glaube ich nicht. Du weißt doch, wie schnell die Leute vergessen.«

»Klar weiß ich das. Blöderweise habe ich jetzt eine Anzeige am Hals, in Hollywood. Und ich habe ein Einreiseverbot in die USA. Jetzt müssen die nur noch einen Auslieferungsantrag stellen, dann stecke ich in einer ziemlich paradoxen Kiste.«

Bevor sich Bertl noch weiter in Verzweiflung flüchtet, muss ich irgendwie das Ruder herumreißen. »Hat du schon einen Anwalt oder die Presse eingeschaltet?«, frage ich, weil mir nichts Besseres einfällt.

»Klar. Aber trotzdem ist die Kacke am Dampfen, das sage ich dir. Wenn erst einmal was im Umlauf ist, kriegst du das so schnell nicht mehr weg. Oder gar nicht. Irgendwas bleibt immer hängen.«

»Entschuldigung, dass ich mich einmische«, sagt eine Stimme rechts neben Bertl. Es ist ein Glatzkopf auf einem gedrungenen, adipösen Körper, der sich da ungefragt entschuldigt und einmischt. »Aber das mit der Sexismusgeschichte, das kenne ich nur zu gut. Bei uns in der Firma …«

Ich schaue Bertl an, Bertl schaut mich an. Dann zucken wir beide synchron die Achseln. Soll er reden, der Kerl. Vielleicht holt uns das raus aus der Sackgasse der Hilflosigkeit.

»Also, bei uns in der Firma«, fährt der Bursche fort, als er merkt, dass wir geneigt sind, ihm zuzuhören, »war das anfänglich kein Problem. Dann aber gab es die erste Beschwerde einer Kollegin, sie wäre im Fahrstuhl belästigt worden. Keiner wusste damals, ob sie die Wahrheit gesagt hatte. Das spielte offensichtlich keine Rolle. Andere Kolleginnen zogen nach und dann kam es zum Flächenbrand. Mittlerweile geht unter uns Männern in der Firma die Angst um.«

Er bestellt beim Barmann eine Runde. Nett. »Meine Kollegen und ich, also, wir sorgen jetzt dafür, dass wir nie allein mit einer Kollegin in einem Raum sind. Oder im Fahrstuhl. Wir gehen immer nur mindestens zu zweit los. Sogar zum Kopierer. Jawoll!«

Bertl nickt, ich nicke.

»Dabei ist bei uns in der Firma noch nie nachweislich irgendwas vorgefallen.«

Wir nicken wieder. Nachweislich bestimmt nicht. Aber vorgefallen wird etwas sein, sonst hätten sich seine Kolleginnen wohl kaum so weit aus dem Fenster gelehnt. Denn von nix kommt nix.

»Was in der Chefetage passiert, weiß ich natürlich nicht«, fügt der gute Mann vorsichtshalber hinzu.

»Ich finde nicht, dass man jetzt Angst haben sollte«, sage ich. »Das setzt die falschen Signale in Richtung Frauenwelt. Wenn die erst mal merken, dass wir Kerle vorauseilend gehorsam den Schwanz einziehen, dann treiben die es doch nur noch doller.«

»Ich finde schon«, widerspricht der Glatzkopf. »Ich habe kürzlich im Internet ein Video gesehen, ein Interview mit einer Kabarettistin. Thema: Sexismus. Da ist mir aufgefallen, dass diese Frau nicht differenziert hat. Will man dieser Komikerin glauben, dann sind alle Männer Schweine. Und Vergewaltiger.«

»Alle?«, frage ich ungläubig.

»Jawoll«, bestätigt der Kerl. »Und wenn nicht, dann Idioten. Schweine oder Idioten. Das steht weiblicherseits fest.«

Mag ja sein, dass der Typ recht hat. Mag sein, dass ein paar Kampfemanzen tatsächlich zu weit gehen. Aber wir sollten nun nicht den denselben Fehler machen, und von einigen wenigen auf alle schließen.

»Wenn die Emanzen gegen das Patriarchat kämpfen wollen - meinetwegen«, doziert der Kerl weiter.

Bertl stiert unentwegt stumpf in sein Glas.

»Wenn sie gegen diese kranken Typen zu Felde ziehen, die den Frauen ungebeten an die Wäsche gehen, oder sagen wir’s geradeheraus, an die Titten, den Arsch oder die Pussy grapschen - oder gar ihre Frauen verprügeln - einverstanden. Das ist echt unter aller Sau. Da bin ich bei denen. Jawoll. Da kann so eine Kampagne wie MeToo helfen, den geschändeten Frauen Mut zu machen. Aber es ist doch ein offenes Geheimnis, dass jede Kampagne von Trittbrettfahrern missbraucht wird. Das ist immer so. Und wenn dann nicht mehr differenziert wird, wenn dann, wie im Beispiel der Kabarettistin, Männer diffamiert werden, nur weil sie Schwanzträger sind, na dann gute Nacht! Denn auch das ist Sexismus. Es wird nur nicht so genannt, weil die Kampagne bereits den klaren Blick vernebelt hat. Jawoll.«

Ich signalisiere pflichtschuldigst durch Kopfschütteln, dass auch ich diese Welt nicht mehr verstehe.

»Müssen denn wir friedlichen, rücksichtsvollen Männer mit diesen Superarschlöchern in einen Topf geworfen werden? Nur weil auch der respektvollste Mann schon mal gedankenlos einen Machospruch absondert?«

Wieder schüttle ich den Kopf. Irgendwas erscheint mir unlogisch am Monolog des Glatzkopfs, doch ich kann es nicht fassen.

»Ich gebe es zu: Auch ich glotze einer Frau erst mal auf den Busen, bevor ich ihr in die Augen sehe. Auch ich habe im ersten Moment die Fantasie, was ich gerne mit der mir gegenübersitzenden Dame anstellen würde, anstatt mit ihr zu reden. Und im zweiten Moment. Manchmal sogar im dritten.«

Wie soll ich jetzt reagieren? Mit Nicken oder Kopfschütteln? Keine Ahnung.

»Das mache ich doch nicht absichtlich.« Jetzt kommt der Moppel richtig in Fahrt. »Es ist ein Reflex. Ich gucke hin, weil ich muss. Ich habe das nicht unter Kontrolle. Doch deswegen bin ich noch lange kein potenzieller Vergewaltiger. Jawoll!«

Bertl zieht seine berühmte Augenbraue hoch, wie einst Spock, sagt aber nichts.

»Und ich bin auch kein Sexist, nur weil ich einer Frau ein Kompliment über ihre Figur mache. Ich spreche sie darauf an, klar. Doch ich reduziere sie nicht auf ihr Äußeres, nur weil sie eines hat. Und ich pöble nicht! Kennen die Weiber den Unterschied zwischen reden und pöbeln nicht?« Der Gute lässt sich durch unseren zweifelnden Gesichtsausdruck nicht aus dem Konzept bringen.

»Überhaupt, die immer noch andauernde Sexismusdebatte, angestoßen von gar nicht mehr so berühmten Schauspielerinnen in Hollywood, wird uns allen mehr schaden als nutzen. Jawoll.«

»Quod erat demonstrandum«, wirft Bertl ein.

»Diese Debatte treibt den Keil zwischen Frauen und Männern immer tiefer hinein in die Kluft, die, unausgesprochen und teilweise verleugnet, immer noch zwischen uns steht, jawoll!«

So ganz falsch liegt der Mann nicht. Wenn ich ehrlich bin, hege ich gelegentlich ähnliche Gedanken.

»Es mag durchaus sein, dass der eine oder andere Hollywoodproduzent seine Machtposition ausgenutzt hat, immer und immer wieder, um junge, hoffnungsvolle Schauspielerinnen flachzulegen. Sexuelle Nötigung von Abhängigen, so nennt man das wohl. Es gibt solche Kerle, das weiß ich auch. Auch in Deutschland und in allen Branchen.«

Verdammt, die Gläser sind schon wieder leer. Diesmal bestelle ich die nächste Runde.

»Das ist widerwärtig, das ist abscheulich, das ist krank, das ist kriminell. Und doch gehören immer zwei dazu. Einer, der nötigt, und eine, die sich nötigen lässt. Jede dieser Frauen könnte auch einfach Nein sagen. Dem unverschämten Kerl in die Eier treten, mit Anlauf. Scheiß auf die Karriere, wenn der Preis dafür zu hoch ist.«

Glatze setzt einen leicht arroganten Gesichtsausdruck auf. »Ich weiß, wovon ich spreche. Ich hätte die Chance auf eine Beförderung zum Abteilungsleiter gehabt. Die Bedingung war lediglich, der Chefin sexuell gefällig zu sein.«

»Du hast abgelehnt?«, frage ich und kann kaum glauben, was ich da höre. Der Typ wirkt irgendwie nicht so, als ob ihn eine Frau freiwillig sexuell nötigen würde. Aber man weiß ja nie …

Stolz wirft er sich in die Brust. »Selbstverständlich habe ich abgelehnt. So geht das! Dabei war die Chefin ganz okay, nicht wirklich abstoßend. Unter anderen Umständen wäre ich vielleicht nicht abgeneigt gewesen. Aber meinen Körper zu verkaufen, und damit meine Selbstachtung, das ging mir einfach zu weit.«

Seine Brust schwillt noch mehr an. Hoffentlich platzt der Bursche nicht!

»Nun gut, die Quittung war, dass ich die Stelle selbstverständlich nicht bekam. Karriere futsch. Aber der Preis war mir einfach zu hoch. Jawoll!«

Nun endlich beteiligt sich Bertl. Anscheinend hat ihn die flammende Rede seines Thekennachbarn angestachelt. »Besagte Damen in Hollywood haben sich missbrauchen lassen, weil es der Karriere genutzt hat. Das ist doch ein alter Hut. Die Besetzungscouch war schon immer das beste Möbelstück, um sich eine Rolle zu angeln.«

Na, wer’s braucht, denke ich.

»Doch dann, zwanzig, dreißig Jahre später die Abartigkeit dieser Produzenten anzuprangern, hat ein Geschmäckle. Ach was sage ich, es stinkt! Und zwar gewaltig! Und mich dann noch da hineinzuziehen, nur um der eigenen Karriere einen neuen Schub zu geben, das ist wirklich das Letzte!«

Der Glatzkopf nickt und schlägt mit der Hand auf die Theke. »Selbstverständlich gehören diese Arschlöcher an den Pranger! Aber dann bitte sofort, im Moment ihrer kriminellen Handlungen. Nicht erst Jahrzehnte später! Diese ach so armen Schauspielerinnen haben es sich zu einfach gemacht.«

Im Prinzip kann ich nur zustimmen. Mir fällt kein Gegenargument ein.

Mache ich es mir ebenfalls zu einfach?

Vielleicht.

»Ich habe jedenfalls keine Lust«, tönt Glatze, »mich verunsichern zu lassen. Die Weiber wollen Krieg? Okay. Können sie haben. Die nächste Kollegin, die in einem aufreizenden Fummel zur Arbeit erscheint, kriegt von mir eine Anzeige wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Jawoll!«

Ich kann mir nicht helfen, ich finde diese Vorstellung lustig. Da würde ich gern Mäuschen spielen und mir gespannt die Begründung für seine absurde Beschwerde anhören.

In diesem Moment klingelt Jawolls Handy. Er geht sofort ran, dann muss er leider gehen, wie er uns bedauernd mitteilt.

Mein Bedauern hält sich dagegen in Grenzen. Mir scheint das Thema erschöpft, und eigentlich war ich mit Bertl hier verabredet. Also tschüss. Gehe in Frieden, aber geh!

Wie kriege ich Bertl jetzt aus seiner Depriphase raus?

Ich habe eine Idee.

»Wir haben uns so lange nicht gesehen, da habe ich keine Lust auf Drama und Gedöns. Lass uns lieber eines unserer alten Spiele spielen!«

»Woran denkst du?«, fragt Bertl.

»Na eines dieser Spiele, die wir als Studenten immer gespielt haben. Dabei sind wir noch immer gut drauf gekommen.«

»Wie wär’s mit Mann-Frau?«, fragt Bertl hinterhältig grinsend. Oje, ausgerechnet! Der kann’s nicht lassen. Eigentlich wollte ich weg von diesem Thema.

Mann-Frau sollte eigentlich von einem Mann und einer Frau gespielt werden, deswegen heißt das Spiel so. Doch Bertl und ich hatten schon als Studenten vereinbart, dass er stets die Rolle der Frau übernahm, so viel Klischee musste sein.

Die Frau sagt einen Satz, der mit »Männer …« anfängt und dann muss ein männertypisches Verb folgen, woraufhin der Mann entgegnet »… und Frauen …«, gefolgt von einem frauentypischen Verb, das sich auf das vorhergehende reimen muss.

Also ganz einfache Spielregeln für ein idiotisches Studentenspiel. Das spielt man so lange, bis der Mann keinen stimmigen Reim mehr weiß und somit verliert. Was sonst? Heutzutage wird das wohl nicht mehr oft gespielt, vermutlich, weil es politisch nicht korrekt wäre, nicht genderlike oder was auch immer die aktuellen Vollspacken dazu sagen.

Ich habe übrigens noch nie gewonnen. Nicht nur deswegen habe ich eigentlich keine Lust. Doch ich nicke - wenn auch zögerlich.

Bertl lässt mir keinen Spielraum für eine tiefschürfende Willenserkundung oder gar einen eventuellen Meinungsumschwung. Er beginnt umgehend und zwingt mich dadurch, dieses dümmliche Spiel mitzuspielen.

»Männer schmutzen …«, ist sein erster Zug. Standarderöffnung.

»… und Frauen putzen«, seufze ich resigniert.

Wir kalauern eine Weile hin und her, bis mir nichts Gescheites mehr einfällt. Eigentlich will ich aufhören, doch irgendwie kann ich nicht.

Irgend so ein Männerding. Immerzu wollen wir Kerle gewinnen. Bloß nicht verlieren! Das muss genetisch sein.

Doch ich bin nicht wirklich bei der Sache. Mir ist das alles zu kindisch. Außerdem schiele ich immer wieder nach Marlies. Die wuselt natürlich geschäftig hin und her, tut das, wofür sie bezahlt wird, nämlich arbeiten. Manchmal kann ich kurz ihren Hintern sehen, meistens sehe ich aber nur das balancierte Tablett.

Übrigens, falls ich das noch nicht erwähnt habe: Der ist sehr schön, ihr Hintern. Wirklich sehr, sehr schön. Die Form, denn das Fleisch durfte ich (noch) nicht betrachten. Das nur nebenbei. Wirklich sehr, sehr schön.

Bertl bemerkt nichts von meiner mentalen Abgelenktheit. Falls doch, so beeindruckt ihn das nicht im Mindesten.

Seine blöden Sprüche kommen immer schneller. Ich halte halbwegs mit und wünsche mir nur, mein Freund möge bald die Lust verlieren. Den Gefallen tut er mir nicht.

Ich gebe mir einen Ruck und hebe beide Hände über den Kopf. »Ich ergebe mich, du hast gewonnen.«

Bertl grinst mir frech ins Gesicht. »Na was? Das war’s schon? Weichei!« Bertl macht Druck. Er will Dampf ablassen, einen Unschuldigen für seinen Ärger hernehmen, mich demütigen, meine Schwäche ausnutzen und vollends triumphieren. Er will mich am Boden sehen.

Wieso eigentlich? Was habe ich ihm denn getan?

Ich muss wohl sehr verwirrt aus der Wäsche schauen, denn plötzlich kommt Marlies um die Ecke, ein Tablett mit leeren Gläsern balancierend, und säuselt mir mitleidig zu: »Na, mein Hübscher. Hast du Probleme?«

Wow!

Welch eine Ansprache! Hübscher! Das sagt man doch nicht einfach nur so, da muss doch mehr dahinterstecken. Jetzt bin ich tatsächlich komplett neben der Spur.

Sie hat Hübscher zu mir gesagt!

Hübscher!

Zu mir!

Sie hat’s gesagt!

Jawohl!

Zurücknehmen gilt nicht!

Obwohl, andererseits, das muss nichts bedeuten. Denn es stimmt. Ich bin nun mal hübsch. Gut aussehend. Ein schöner Mann. Das ist Fakt. Kann ich auch nichts dafür. Liegt an den Genen. Und an guter Ernährung. Und an sportlicher Selbstquälerei. Pilates. Macht aber Spaß.

Könnte also lediglich eine sachliche Feststellung ihrerseits gewesen sein.

Oder sie sagt das stets zu allen Kerlen. Gut fürs Trinkgeld.

»… acht, neun, aus! Der Sieger ist Heribert Günzel!«, kräht Bertl dazwischen, nimmt eine Siegerpose ein und versaut den zerbrechlichen Augenblick.

Und weg ist die Süße, bevor ich nachhaken kann.

Mist!

Der Abend wird danach nicht mehr alt. Mir ist die Lust vergangen. Schade! Dabei hätten wir uns bestimmt noch eine Menge zu erzählen, Bertl und ich. Aber so bin ich nun mal - ein sensibler Künstler. Verschnupft wie eine rostige Trompete, verstimmt wie ein altes Cello.

Bertl bemerkt meinen Stimmungswechsel und beendet bald das Treffen mit aller Empathie, zu der er fähig ist. Er müsse angeblich noch wohin.

Tja, so ist Bertl.

Ein guter, ein wirklich guter Freund.

Ich sitze noch ein Weilchen allein im Jacques und hege die Hoffnung, eine zweite Ansprache von Marlies zu erhalten. Leider ist genau das nicht passiert.

Verdammte Weiber!

 

***

 

Zum gefühlten tausendsten Mal sitze ich in meiner Stammkneipe Jacques herum. Es ist zwar erst früher Vormittag, aber die Notwendigkeit ergab sich, weil Marlies Frühschicht hat.

Ich habe die Hoffnung, dass meine penetrante Anwesenheit dazu führt, die Süße möge sich auf diese Weise so sehr an mich gewöhnen, dass sie irgendwann nicht mehr an mir vorbeikommt, sondern geradewegs auf mich drauf.

Doch ausgerechnet heute, an diesem schönen Tag, um genau zu sein, an diesem Morgen, erscheint sie nicht zur Arbeit. Obwohl sie auf dem Dienstplan steht!

Warum habe ich mir erst mühsam ihre Dienstzeiten notiert, wenn sie dann doch nicht auftaucht? Unzuverlässig wie alle Weiber! Unverschämtheit! Mich hier einfach so sitzen zu lassen!

Wie kam es überhaupt dazu, dass ich unbedingt dem Klischee des Mannes in der Midlife-Crisis entsprechen musste? Ich, der Mittvierziger, starre einem fünfundzwanzig Jahre jüngeren, weiblichen Gesäß hinterher. Andauernd, fast täglich. Obwohl ich glücklich verheiratet bin. Also wirklich, wie bescheuert ist das denn?

Jedenfalls - Marlies ist wirklich zum Anbeißen. Und ihr Hintern erst - allererste Qualität! An seiner perfekten Form könnte man die Kreiszahl Pi bis auf die fantastilliardste Nachkommastelle ausrechnen. Nun, ich bin zwar kein Mathematiker, sondern Musiker, aber es heißt doch wohl, dass sich auch in der Musik die Schönheit der Mathematik offenbart. Oder umgekehrt.

Eigentlich ist sie keine Kellnerin, sondern Musikstudentin für Klavier und Oboe. Seltsame Kombination. Vor etwa einem Jahr sah ich sie in der Musikhochschule. Bei ihrem Anblick marschierte spontan eine Kompanie Hormone durch meinen Körper, bezog Stellung und meldete Gefechtsbereitschaft. Das ist nun mal so - ein unbekanntes weibliches Wesen ist zuerst einmal ein feindliches Land, das es zu erobern gilt.

Ich halte diese Metapher zwar für bescheuert, aber im Sprachgebrauch finde ich die Bestätigung. Die Angebetete müsse erobert werden, heißt es landläufig. Oder wenigstens ihr Herz. Am Besten gleich im Sturm. Warum sagt man das wohl so?

Männer sind Krieger, auch in der Liebe. Das muss der Grund für diese Ausdrücke sein. Männerding.

Ich hatte allerdings bisher keine Lust, zu kämpfen. Nicht um sie, nicht gegen sie, nicht für sie. Deshalb fragte ich sie vor ein paar Monaten einfach nach einem Date. Sie sagte zwar nicht direkt zu, aber ich erbeutete ein süßes Lächeln! Und die Aussicht auf mehr …

Letzteres jedoch nur in meinen Wünschen und Träumen. Sie war bei jedem weiteren meiner Anbaggerungsversuche wirklich sehr nett, hat mir aber auf ebenso nette Weise jedes Mal eine Korbfabrik verpasst. Schade. Aber vielleicht ist das nur ein Spiel, dessen Regeln ich nicht verstehe? Vielleicht überlegt sie es sich eines Tages anders? Vielleicht will sie fachgerecht umworben werden? Solange ich das nicht genau weiß, werde ich die Hoffnung nicht aufgeben.

Dann muss ich halt mal über meinen Schatten springen. Einfach nur mit den Fingern schnippen, wie sonst, funktioniert bei ihr nicht. Unverständlich, denn eigentlich konnte mir bisher kaum eine Frau lange widerstehen. Ein tiefer Blick in ihre Augen, mein berüchtigtes Lächeln, das reichte meistens. Ich musste fast nie ein Fingerschnippen hinterherreichen.

Doch diese Marlies ist etwas Besonderes, zweifellos. Und das spornt mich umso mehr an. Sie macht mich so richtig scharf, eben weil sie nicht so leicht zu erobern ist.

Bei meiner Ehefrau war das ähnlich, damals, als wir uns kennenlernten. Auch sie fuhr nicht gleich auf meinen chauvinistischen Charme ab. Im Gegenteil! Sie benahm sich mir gegenüber recht herablassend.

Dass wir dann doch zusammengekommen sind, war ein ulkiger Zufall.

Wir begegneten uns - mal wieder - auf einer dieser unsäglichen Partys in der gehobenen Szene. Ich hatte es mittlerweile aufgegeben, sie anzubaggern, weil ich keine Hoffnung mehr hatte, sie herumzukriegen. Sie war schöner denn je, an diesem Abend, und ihr tief ausgeschnittenes Abendkleid vermochte kaum ihre grandiosen Möpse zu halten. Dann passierte es: Sie überraschte mich mit einem Humor, den ich ihr gar nicht zugetraut hätte.

Sie zeigte, wahrscheinlich aus Versehen, einem lackierten Affen den Stinkefinger, nachdem er ihr etwas ins Ohr geraunt hatte und dabei schmierig grinste. Der junge Schnösel war so ein Emporkömmling, der zwar nichts von Kunst im Allgemeinen und der Oper im Besonderen verstand, aber sich gerne wichtig machte. Es war seine Party - er nannte sie großkotzig ›Gala‹ -, und er erhoffte sich wohl Anerkennung in den höheren Kreisen oder so was. Das war mir egal. Es gab Champagner und Kaviar für lau, was mir sehr gut gefiel, war ich doch als frischgebackener Opernsänger mit einem zwar anständigen Bariton gesegnet, aber ohne nennenswerte finanzielle Mittel ausgestattet.

Jedenfalls reagierte der Typ auf besagten Finger - seiner Herkunft entsprechend - schlicht mit: »Nutte!«

Sie blieb ganz cool. »Mein Sohn!«, rief sie und stellte eine mütterlich hingebungsvoll erfreute Miene zur Schau.

Ihr schauspielerisches Talent - Wow!

Ihr Humor - Doppelwow!

Ich war der erste der Gäste, in Wahrheit sogar der einzige, der spontan applaudierte. Danach lag ich fast auf dem Boden vor Lachen. Sonst hatte keiner der Anwesenden kapiert, welch grandiose Satire da gerade abgelaufen war. Vielleicht lag es daran, dass ich mit meinen exzellenten Kenntnissen der spanischen Sprache und Kultur im Vorteil war.

»Hijo de puta!«, ist eine im Spanischen übliche Beschimpfung. »Sohn einer Hure!« Ich denke, das ist selbsterklärend.

Ihr Humor also, gepaart mit ihrer Intelligenz, entfachte das fast schon erloschene Feuer in mir aufs Neue. Sie muss das gespürt haben, aber vor allem meine angemessene Reaktion hatte wohl ihre Meinung über mich geändert.

Sie kam spontan zu mir herüber, hob mich vom Boden auf, wo ich in der Pfütze meiner Lachtränen zu ertrinken drohte, küsste mich auf die Wange, und danach waren wir den ganzen Abend über unzertrennlich. In den folgenden Tagen und Wochen ging es uns genauso.

Knapp ein Jahr später haben wir geheiratet.

Und jetzt, siebzehn Jahre später, will ich eine Geliebte namens Marlies.

Die jedoch in Sachen Humor noch nicht in Erscheinung getreten ist. Im Verteilen von Körben scheint sie jedoch über jede Menge Berufspraxis zu verfügen.

Ihre Abfuhren kann ich gewiss nicht als Auslöser für meine häufigen Besuche des Jacques benennen, doch als ich mich letztens hier mit Bertl getroffen habe, muss sich etwas ereignet haben. Anders kann ich es mir nicht erklären. Irgendein Schalter in meinem Kopf wurde umgelegt, vom Schicksal, von den Hormonen, von wem auch immer.

Deshalb vermutlich hocke ich nun wieder hier. Und das morgens! Marlies ist nicht da, also könnte ich eigentlich gehen. Aber ich habe das Frühstück bereits bestellt und will mir keine Blöße geben. Was, zum Teufel, soll ich tun? Es darf niemand merken, was mein wahres Motiv ist, so früh hier herumzuhocken. Ich muss mich jedenfalls unauffällig verhalten - Mimikry. Nicht dass es noch Gerede gibt!

So gelange ich zum ersten Mal in den zweifelhaften Genuss, mir die anderen Gäste des Jacques genauer anzuschauen. Vielleicht entdecke ich Verhaltensmuster, denen ich mich anpassen kann? So was hatte ich noch nie gemacht, weil ich sonst zu sehr vom Objekt meiner Begierden, meiner feuchten Träume und meiner unerfüllten Sehnsüchte abgelenkt war.

Doch heute ist sie nun mal nicht da, also gelingt es mir endlich, die Enttäuschung darüber verbergend, meine Wahrnehmung zu erweitern.

Tatsächlich, es gibt noch andere Gäste!

Es sind nicht viele, so fünf bis sechs im Durchschnitt. Im Durchschnitt deshalb, weil einer geht, andere kommen. Nur wenige hocken für längere Zeit an diesem wandelbaren Ort. Das Jacques ist nämlich während des Tages ein Café und nur abends und nachts eine Kneipe. Demzufolge sehe ich Leute, fast ausschließlich Männer, die üblicherweise in Cafés herumsitzen: Intellektuelle. Oder solche, die es gerne wären. Oder versuchen, wie solche auszusehen. Manche blättern in einer Zeitschrift, andere schreiben. Gelegentlich starrt jemand stumpf unter seinem Hipster-Hut hervor und sieht seinem Vollbart beim Wachsen zu.

Ob all diese Untätigen ebenfalls wegen Marlies hier sind? Wundern würde es mich nicht; sie ist so süß, da kriegt man allein vom Hinschauen Karies! Das Jacques würde mit Sicherheit Umsatzeinbußen verzeichnen, wenn sie sich entschlösse, anderswo zu arbeiten.

Nun hocke ich also, enttäuscht und gefühlt sitzen gelassen, in dieser kleinen, exklusiven Gemeinschaft und versuche angestrengt, unauffällig zu wirken. Zur Tarnung kritzle ich kleine Zeichnungen in meinen Kalender, damit es für einen zufälligen Beobachter so aussieht, als ob ich eine Daseinsberechtigung hätte.

DA sein. Das ist nicht dasselbe wie HIER sein, geht es mir spontan durch den Kopf. Ich bin überrascht, dass ich so was denken kann, habe ich doch bisher konsequent vermieden, solcherart unnütze philosophische Erwägungen in mein Leben zu lassen. Vielleicht kann ich eine Tarnung darauf gründen? Mir den Anschein eines Philosophen geben, der die beschauliche Behaglichkeit eines morgendlichen Jacques schätzt, um seine tiefschürfenden metaphysischen Gedankengänge in diesem weltlichen Ambiente zu erden?

Allerdings bezweifle ich, dass ich mir den Nimbus eines Philosophen überstülpen kann. Dafür sehe ich einfach zu gut aus! Jeder Heiligenschein würde gegen das Strahlen meiner männlichen Schönheit abstinken.

Doch ich will es zumindest versuchen, denn ich habe sowieso nichts Besseres vor.

Also beginne ich damit, meine Situation zu analysieren. Was ist geschehen?

Ich sitze hier wegen Marlies.

Mhm …

Die ist nicht erschienen.

Mhm …

Ich bin enttäuscht.

Mhm …

Ich will nicht, dass das jemand merkt.

Mhm …

So sitze ich einfach nur rum.

Mhm …

Ich versuche, wie ein Denker auszusehen.

Mhm, mal sehen. Was fange ich damit an?

Verdammt, es wollen mir einfach keine höheren Ideen dazu einfallen. Das Einzige, was flüchtig an meinem inneren Auge vorbeizieht, ist die Erkenntnis der Enttäuschung. Ich habe mich selbst getäuscht. Marlies war daran nur indirekt beteiligt. Offenbar sind meine heimlichen Wünsche nur Projektionen einer ungestillten Sehnsucht. Aber das ist wohl eher Psychologie. Keine Philosophie.

Doch dann wird mir urplötzlich bewusst, dass ich oft hier gesessen und Marlies beim Arbeiten zugesehen habe. Ohne irgendeinen erkennbaren Erfolg. Einfach nur so. Steter Tropfen höhlt den Stein. Der Weg ist das Ziel!

Fantasie. Einbildung. Wunschträume.

Es funktioniert! Ich kann meinen Gedanken freien Lauf lassen, und es kommen Ideen, die ich nie für möglich gehalten hätte. Super, ich werde immer besser!

Mir schießt eine Metapher durch den Kopf: Diese ständigen Besuche an Marlies’ Arbeitsplatz sind wie der wiederholte Druck auf eine kaputte Klaviertaste, Hunderte von Malen, ohne einen Ton zu erzeugen. Wenn das Hämmerchen nicht richtig eingestellt ist, kann die Saite nicht schwingen, ist doch klar! Wieso habe ich immer wieder diese Taste gedrückt? Wieso habe ich keinen Klavierstimmer geholt? Wer ist der Klavierstimmer? Und was kostet der? Ein Vermögen, mindestens!

Albert Einstein soll einmal gesagt haben, dass es Dummheit sei, immer wieder dasselbe zu tun und jedes Mal auf ein anderes Ergebnis zu hoffen.

Aber Einstein spielte doch Geige, soweit mir bekannt ist, also was wusste der schon!

Dennoch begreife ich: So kann es nicht weitergehen! Ich bin zu wenig offensiv. Herumhocken und auf ein Wunder hoffen, das ist kindisch, dämlich, hirnverbrannt, albern …

Mir würden noch weitere selbstzerfleischende Wörter einfallen, doch in diesem Moment tritt Max, der diensthabende Kellner, an meinen Tisch und bittet mich, die Rechnung zu begleichen, da jetzt Personalwechsel sei. Umständlich krame ich meine Brieftasche hervor, dann traue ich mich, ihn zu fragen: »Wer kommt denn jetzt? Marlies?«

Er sieht mich erstaunt an, mit einer Prise Belustigung, und meint trocken: »Nein, die hat sich für heute spontan freigenommen. Wollte eine Motorradtour mit ihrem Freund machen.«

Autsch!

Sie hat einen Freund. Das tut weh. Aber wieso wundert mich das? Habe ich mir etwa eingebildet, sie würde unbemannt auf mich warten? Auf mich, den alternden Sack, der früher beinahe, möglicherweise, vielleicht in eine halbwegs erfolgreiche Karriere als Opernsänger hätte starten können?

Sie ist jung und schön; selbstverständlich prügeln sich die Kerle um sie, und sie kann in aller Ruhe auswählen.

Was bin ich doch für eine Arschgeige!

Ich zahle, gebe ein großzügiges Trinkgeld - schließlich soll es nicht heißen, dass nur Marlies in diesen Genuss kommt - und verkneife mir gerade noch die Frage, wer denn der Freund sei.

Stattdessen stehe ich auf, verabschiede mich vom dreist grinsenden Kellner und gehe. Gehe nach Hause, zum ersten Mal in meinem Leben wirklich nachdenklich.

Irgendwas läuft schief in Barniland.

 

***

 

Endlich ist es so weit!

Nein, gelogen, LEIDER ist es so weit. Denn im Grunde habe ich keine Ahnung, was ich in den nächsten zwei Monaten unternehmen soll.

Langsam schlendere ich vom letzten Chortreffen vor der Sommerpause in die große Leere. Der ›Johnny Brumm Chor‹ ist meine Leidenschaft. Ein letzter Anker in der Welt des gehobenen Gesangs. Ich fühle mich dort wohl, in der Position des Mittelfeldspielers (ups, falsche Baustelle!), als Bariton. Doch auf Dauer kann es auch langweilig werden. Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr immer dieselben Stücke. Es hängt mir manchmal so weit zum Halse heraus, dass ich aufpassen muss, nicht darüber zu stolpern.

Aber Kunst geht nach Brot, und mein künstlerisches Talent ist wohl nicht ausgeprägt genug für eine dauerhafte Stelle als Solist in einer Oper. Oder eigentlich ist es eher mein Ehrgeiz, der sich vor gefühlten Ewigkeiten dazu entschlossen hat, gehörig zu schwächeln. So bin ich aktuell also ein fauler Hund. Eine Trantüte. So zumindest betitelt mich meine bessere Hälfte gelegentlich.

Ich sehe das nicht ganz ein. Es ist doch nicht meine Schuld, dass es für einen Bariton nicht gar so einfach ist, Karriere als Solist zu machen. Es gibt längst nicht so viele Rollen wie etwa für einen Tenor. Nach meinem zweiten Staatsexamen hatte ich sogar die Ehre, mich in der Meisterklasse weiterzuqualifizieren. Ich war recht gut und bekam das ein oder andere Mal die Gelegenheit, in diversen Opern meine ersten beruflichen Gehversuche zu unternehmen. Dennoch reichte es nicht, ähnlich erfolgreich zu werden wie mein Weib. Sie hatte als Sopranistin freie Auswahl, und zusammen mit ihrer außergewöhnlichen Stimme gelang ihr schnell der Sprung an die Weltspitze.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass sie bei ihrem ersten bedeutenden Engagement überlegt hatte, sich von mir zu trennen, um sich voll auf ihre Karriere konzentrieren zu können. Obschon wir bereits verlobt waren und auf jeden Fall heiraten wollten! Es gelang mir zwar mit Charme, Energie und Dackelblick, ihr diese Trennungsidee auszureden, jedoch zeigte sich kurz nach der Hochzeit, dass ihre Nummer eins auf jeden Fall die Karriere war. Ich kam, wenn überhaupt, erst an zweiter Stelle.

An Nachwuchs war ebenfalls nicht zu denken. Wir hatten zwar ab und an darüber gesprochen, eventuell eine richtige Familie zu gründen, mit mindestens zwei Kindern, doch ihr früher Erfolg erledigte diese ohnehin nur vage Idee umgehend. Sie meinte, sie habe keine Lust, sich von einem Haufen kleiner Vampire erst ihre Figur, dann ihre Karriere und letztlich ihr Leben ruinieren zu lassen. So blieb es allein an mir hängen, ihr wenigstens ihr Privatleben zu ruinieren. Ich habe es noch nicht so ganz geschafft, nach siebzehn Ehejahren nicht, aber wenn ich mich mehr anstrengen würde …

Irgendwie haben die Umstände ihres Erfolges dazu beigetragen, dass ich mich hängen ließ, und so konnte ich froh sein, wenigstens als privater Gesangslehrer arbeiten zu dürfen. Und meine Schüler sind nun in den - na was wohl? - Sommerferien, klar doch!

Nebenbei verfüge ich noch über eine Viertelstelle an der Musikschule. So habe ich wenigstens mein eigenes Einkommen. Nur von ihrem Geld zu leben, könnte ich nicht ertragen. Die Musikschule hat sich aber leider ebenfalls gerade in die Ferienzeit verabschiedet. Das ist der Fluch des Sommers: Da alles in den Urlaub geht, geht alles in den Urlaub, nur die tote Hose nicht.

So weit die Bilanz des Augenblicks. Warum erzähle ich mir das alles? Habe ich bereits jetzt einen an der Waffel, dass ich mir im Selbstgespräch mein Leben beschreiben muss? Dabei hat das Sommerloch doch gerade erst angefangen. Normalerweise drehe ich doch erst frühestens nach drei Wochen durch. Seltsam - irgendwas ist anders dieses Jahr.

Trotz des traurigen Umstands der letzten Chorbesprechung vor den Sommerferien bin ich doch ein bisschen froh über die Zwangspause von zwei Monaten - und gleichzeitig unfroh. Ich bin bestimmt verrückt! Dieses Hin und Her ist gewiss nicht gesund!

So. Was mache ich jetzt mit diesem späten Vormittag? Soll ich nach Hause gehen? Och nee, nä. Eigentlich habe ich gar keine Lust dazu. Dort sitzt SIE wie die Spinne im Netz! Sie wartet nicht auf mich, natürlich nicht, das ist nicht ihre Art. Aber sie ist nun mal da. Anwesend. Zugegen. So beschließe ich, einen kleinen Umweg zu nehmen und schlendere, ohne mir dessen bewusst zu sein, Richtung Jacques Keller und langweile mich immer noch.

Gerade noch rechtzeitig bemerke ich meinen Irrtum. Ich will nicht schon wieder dort gesehen werden, das würde sicherlich auffallen. Zumal das Jacques Ruhetag hat. Ich sollte auf keinen Fall vor einer geschlossenen Kneipe herumlungern! Ich habe sowieso den Verdacht, dass die Nachbarschaft bereits hinter meinem Rücken über mich lästert. Es ist wohl mittlerweile allgemein bekannt, dass ich nur wegen Marlies so oft dort auftauche. Und Leute reden gern, so ist das.

Tja, wer den Spott hat, schadet jeder Beschreibung!

Soll ich zurück zur Eilenriede, ein wenig Waldluft schnuppern, vielleicht den Zoo besuchen? Oder mal wieder durch die Passerelle latschen, unterirdisch, verborgen vor den Blicken des Universums? Den unvermeidlichen Nervenkitzel verspüren, weil man niemals sicher sein kann, nicht überfallen und ausgeraubt zu werden? Vor allem unterhalb des Bahnhofs soll das gelegentlich passieren.

Unschlüssig verharre ich am Pavillon, wohin mich der Zufall und die Straße geführt haben und sehe mich um. Von dort schaue ich zum Weißekreuzplatz, wo, wie üblich, zwielichtige Gestalten herumlümmeln. Drogendealer und Junkies, wie man mir mal erzählt hat. Etwas abseits davon ein Grüppchen junger Mütter oder Kindermädchen mit Kinderwagen, vielleicht beratschlagend, was sie als Nächstes unternehmen sollen. Wahrscheinlich Schuhe kaufen, denke ich arglos. Hauptsache keine Drogen, das wäre doch wohl das Letzte!

Diese Szenerie sieht so furchtbar öde aus, dass ich gerade resignieren will, als sich mit Schwung eine Seitentür des Pavillons öffnet und gegen die Wand knallt, dass es nur so scheppert.

Das war knapp - kurz vorm Glasbruch!

Anscheinend ist die Tür jedoch an so was gewöhnt. Eine Horde 6- bis 7-jähriger Kinder beiderlei Geschlechts quillt daraus hervor und ist offenbar gewillt, mich über den Haufen zu rennen. Schreiend und quietschend schaffen es die kleinen Attentäter gerade noch, ihre Gruppe zu teilen, links und rechts an mir vorbeizufließen. Ich stehe da wie einst Moses, als er das Rote Meer teilte. Oder war es das Tote Meer? Ich bin nicht besonders bibelfest, aber eigentlich ist es mir auch egal. Die Miniterroristen besetzen umgehend eine Edelstahlskulptur und spielen Piraten der Karibik. Der Lärm schwillt an - ich habe Angst, dass zwei weitere Dezibel meinem empfindlichen Gehör den Rest geben könnten.

Was ist nur los mit diesen Kindern von heute? War ich als Stöpsel auch so nervig? Ich glaube nicht. Heutzutage dürfen die Blagen alles und werden schon im Kindergarten dazu angehalten, so laut zu schreien, wie es nur irgend geht. Das sei gut für die Entwicklung der Persönlichkeit, heißt es. Erinnert mich an Spanien. Die Spanier sagen selbstironisch, dass recht hat, wer am lautesten schreit. Vielleicht haben sich die deutschen Urlauber diese Unart abgeguckt und als Souvenir mitgebracht.

Die Tür des Pavillons donnert schon wieder mit Schwung gegen die Wand. Noch mehr Minimonster? Nein, heraus kommen weibliche Mitglieder unserer Spezies, Frauen Anfang bis Mitte dreißig. Sie sehen alle irgendwie gleich aus, obwohl ich beim genaueren Hinschauen Unterschiede ausmachen kann.

Die Damen sind hübsch oder weniger hübsch, dick oder dünn, groß oder klein - all diese Unterschiede sind nur an der Oberfläche von Bedeutung. In ihrer Kleidung, ihrer Art zu reden und sich zu bewegen erinnern sie mich an ökologisch orientierte, äußerst belesene Mauerblümchen. Alle, ohne Ausnahme. Es ist dies, was in mir die Assoziation erweckt, es mit weiblichen Klonen zu tun zu haben, die sich zu allem Überfluss auch noch vegan ernähren dürften. Aus meiner Sicht unfickbares Material.

Die Weiber schwatzen in einer Tour und setzen dabei alle den gleichen, sehr wichtigen Gesichtsausdruck auf. »Achtung! Achtung! Wichtig! Wichtig! Mein Kind kann dies. Und mein Kind kann das. Dafür kann mein Kind aber jenes.« Mir wird schlecht. Die armen Kinder! Mit solchen Müttern gestraft zu sein, das wünscht man ihnen nicht.

Mir fällt ein Satz ein, den eine Kollegin an der Musikschule jüngst von sich gegeben hat. Sie meinte, die heutigen Kinder seien aus der Sicht ihrer Eltern alle hochbegabt, hätten ADHS, eine Lactose-Intoleranz sowie eine Gluten-Unverträglichkeit. Ich kann dieser Kollegin nur beipflichten, denn auch ich habe den Eindruck bei meinen Schülern, oder besser, deren Eltern gewonnen. Nur gut, dass ich selbst keine Kinder habe! Da hat mein Weib wohl doch eine kluge Entscheidung getroffen, für die Karriere, gegen Nachwuchs. Manchmal erinnert mich das reale Leben daran, und das ist gut so.

Ich halte den Lärm der kleinen Genies und den Anblick der Klone nicht mehr aus und gebe mir einen Ruck, fühle mich als böser Onkel, fortgejagt, vertrieben. Ich marschiere los. Im Schneckentempo geht es Richtung Friesenstraße, die mich unbarmherzig zur Bödeker Straße leitet, wo ich eigentlich nicht hinwill, noch nicht. Wo ich mit IHR zusammen in einer schönen großen Altbauwohnung mit hohen Räumen und Stuckdecken residiere. Falsch! SIE residiert, ich selbst wohne nur. Dort also ist mein Hauptquartier. Wir könnten auch woanders wohnen, mir wäre das egal. Ich bin überall dort zu Hause, wo ich meinen Hintern regelmäßig in Ruhe in die Kloschüssel hängen kann, wenn ich nicht gerade mit Yin und Yang auf dem Sofa abhänge.

Bald, zu bald, bin ich dann doch am Ziel und stiefle misslaunig die sorgfältig restaurierte Holzstiege hinauf. Die Stufen ächzen bei jedem meiner Schritte gequält auf. Eine Alarmanlage brauchen wir in diesem Haus nicht, das ist mal sicher.

Endlich oben angekommen, stecke ich den Schlüssel ins Schloss unserer Wohnungstür, drücke diese auf und will gerade eintreten - da sehe ich ihn …

Dort steht er, eine Wasserflasche am Hals, ein Bär von einem Kerl, blaumanngewandet, Rohrzange in der Hand, mit feuchten Flecken unter den Armen, die dem Maschsee hinsichtlich Größe und Geruch in nichts nachstehen.

Ich blicke ihn verdutzt an, er blickt ebenso zurück. So stehen wir dort einen Moment, regungslos, und starren uns gegenseitig stumpfsinnig an. Unter anderen Umständen würden wir uns sicher sofort gut verstehen. Doch dies sind nicht andere Umstände, es ist dieser eine: Mein Weib bekommt heute eine neue Dusche! Mit allem Komfort und Kommzurück.

War mir ganz entfallen.

Seitendüsen, Bodendüsen, Massagedüsen und dieser ganze Selbstbefriedigungskram, auf den die Weiber so abfahren.

Na gut, wenn sie meint.

Zum Glück, bevor es peinlich werden kann, kommt Madame gerade noch rechtzeitig um die Ecke, sieht uns zwei Kerle dort dümmlich rumstehen, grinst breit und gemein und sagt zu mir gewandt: »Es ist nicht das, wonach es aussieht.« Sie setzt eine wohldosierte Pause, dann fährt sie mit einem koketten Wimpernschlag fort. »Wir hatten bloß Sex, weiter nichts.«

Das Gesicht des Klempners, denn um einen solchen handelt es sich offensichtlich, zerfällt in seine einzelnen Bestandteile. Der Anblick ist unbezahlbar! Ihm knallt die Kinnlade dermaßen heftig auf die Brust, dass ich schon befürchte, er wird sich den Kiefer verrenken. Armer Kerl! Er kennt halt die skurrile Ader meiner geliebten Gattin nicht. Ich hingegen bin daran gewöhnt, denn es ist genau dieser Humor, den ich so an ihr schätze.