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Karin Welters

Die Tanzschule

Lisa Hansens 1. Fall





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Die Tanzschule - Lisa Hansens 1. Fall

Karin Welters

 

Die Tanzschule

Lisa Hansens 1. Fall

 

Roman

 

LitArt-World Press

 

Copyright Karin Welters 2018

 

 

Die 49jährige Witwe Lisa Hansen wünscht sich sehnlichst eine Veränderung in ihrem Leben. Das Erbe einer alten Tante kommt ihr deshalb gerade recht und sie zieht kurzerhand von der Großstadt aufs Land. Doch bereits nach kurzer Zeit bedauert sie ihren Entschluss. Statt der erwarteten ländlichen Idylle, findet sie sich in Schwierigkeiten verstrickt, die Lisa an den Rand der Verzweiflung bringen.

Mit Unterstützung ihrer besten Freundin Carola und dem Landarzt Dr. Andreas Roemer kommt sie einem lang gehüteten Familiengeheimnis auf die Spur, durch das ihr Lebensmodell und ihr Selbstverständnis vollkommen aus den Fugen geraten.

 

Acht Jahre zuvor...

05. Juli 1993 – Hamburg

 

„Achtzehn.“ – „Ja.“

„Zwanzig.“ – „Ja.“

„Zwei.“ – „Weg.“

„Ist das alles, Richie?“, grinste Albert und wollte zum Kartenstock greifen.

„Halt!“, rief Matty aus. „Nee, nee, mein Lieber, so schnell schießen die Preußen nicht. Ich sag nämlich Null.“ Matty grinste und zeigte seine Zahnlücke, die Folge einer Schlägerei, in die er vor kurzem geraten war.

„Hab ich“, triumphierte Albert und schob seine Mütze hoch. Noch nie hatte jemand Albert ohne seine dunkelgraue Strickmütze gesehen. Ob er damit auch ins Bett geht?, fragte sich Richie.

Matty grinste. „Bei Richie weiß man ja, dass er immer viel zu vorsichtig ist. Der hat sich noch nie überreizt. Und dann hat er meist drei Jungs und zwei Asse. Bei mir ist das anders, Albert. Ich sage vier.“

„Die halte ich.“

„Und was ist mit 27?“

„Passe“, brummte Albert verärgert. „Jetzt bin ich gespannt, was du drauf hast.“

„Na, was wohl?“, grinste Matty über das ganze Gesicht und kratzte sich an seinem ungepflegten Stoppelbart. „Einen bildschönen Null-Ouvert.“ Er legte die Karten sorgfältig gefächert auf den gescheuerten Holztisch. „Na? Ist das was?“

„So‘n Schiet“, grunzte Richie und warf seine Karten hin.

„Hast du dir wieder mal in die Hosen gemacht?“, wetterte Albert. „Du mit deiner ewigen Zögerei. Aber Menschen, die nicht denken, kriegen ohnehin nix auf die Reihe.“

Noch immer ärgerlich fügte er hinzu: „Na ja, du hast deinem Ruf heute mal wieder alle Ehre gemacht.“

„Lass ihn“, beruhigte Matty seinen Kumpel. „Richie ist nun einmal ein Angsthase.“

„Von wegen!“, empörte sich Richie und strich über sein gescheiteltes Haar. „Ich will nur nicht immer der Dumme sein, der Verlierer.“ Was glauben die eigentlich wen sie vor sich haben? Wenn die wüssten…

„Dabei hatte ich eine bildschöne Kreuz-Flöte, aber leider nur den Kreuz-Buben“, jammerte Albert weiter.

„Ja, mein Lieber“, grinste Matty, „so ist das Leben nun mal.“

Er sammelte die Karten ein und begann, sie zu mischen. Der Wirt brachte die nächste Runde Bier und Korn.

Albert beruhigte sich wieder.

„Na Richie? Dann hast du aber sicher Glück in der Liebe. Was?“, merkte er grinsend an.

Richie reagierte nicht.

„Hör mir bloß mit den Weibern auf“, ächzte Matty. „Die versteht sowieso keiner.“

„Kann ich unterschreiben“, brummte Richie. „Bin froh, dass ich meine losgeworden bin.“

„Aber so ganz ohne geht’s ja auch nicht“, schränkte Albert ein. Er machte eine eindeutige, obszöne Geste und Matty grinste.

„Dafür findet sich doch immer eine“, erwiderte er. Er wandte sich an Richie. „Wie heißt denn deine Derzeitige?“

„Hab keine“, entgegnete Richie. Ja. Es ist frustrierend, wenn man auf dem Trockenen sitzt, dachte er. Es wird Zeit, dass ich mich wieder mal austobe. „Was ist mit Olivia?“, fragte er Albert. „Ist sie immer noch so nervig?“

Albert nickte. „Und ob. Aber ich sag dir… im Bett ist die einfach ‘ne Granate.“

„So eine könnte ich jetzt auch gebrauchen“, murmelte Richie.

Albert schob seine Mütze noch ein Stück höher. „Du, Olivia hat eine neue Freundin. Ich sag dir, Richie, das ist ‘ne richtig scharfe Braut. Die solltest du unbedingt mal kennenlernen?“

„Sagt mal“, mischte sich Matty ein, „wollt ihr weiter über Weiber quatschen oder einen gepflegten Skat dreschen?“

„Weißt du eigentlich“, erwiderte Albert grinsend, „dass sich schon mal jemand totgemischt hat?“

*

Es war nach Mitternacht, als die drei Freunde ihre Deckel mit dem Wirt abrechneten. Vor der Hafenkneipe verabschiedeten sie sich voneinander. „Atschüss“, winkte Matty und machte sich auf den Weg.

Gerade als sich Albert ebenfalls verabschieden wollte, fragte Richie: „Wie heißt denn die Freundin von Olivia?“

„Hm“, brummte Albert und schob an seiner Mütze herum. „Barbara… glaub ich. Kann aber auch Uschi gewesen sein. Warum?“

„Ist die solo? Keinen Freund oder Freier?“

„Nee.“ Albert schüttelte den Kopf. „So eine ist das nicht. Die arbeitet, soviel ich weiß, im Supermarkt.“

„Könntest du uns mal bekanntmachen?“

Albert grinste. „Brauchst also doch mal wieder ‘ne Braut, was?“

„Na ja…“, war alles, was Richie zustande brachte.

„Komm einfach am Samstag vorbei, Barbara oder Uschi, wie immer sie heißt, macht jetzt meiner Liv immer samstags die Haare.“

*

Eine Woche später begegnete er Barbara. Die beiden mochten sich auf Anhieb. Endlich mal eine richtige Frau, dachte Richie. Nicht so ein dünnes Gerippe, bei der man sich blaue Flecken holt.

„Bringst du mich nach Hause?“, fragte Barbara am späten Abend.

Eine solche Einladung ließ sich Richie nicht entgehen.

Als sie ihn vor ihrem Haus auch noch zum Kaffee einlud, war Richies Begeisterung komplett. Sie hat ein hübsches Gesicht und ordentlich Holz vor der Hütte. „Sicher“, grinste er.

Der Kaffee war ein guter Rum mit Cola gemischt und brachte die beiden in Stimmung.

Richie griff mit beiden Händen zu und Barbara stöhnte auf.

Abrupt hielt er inne.

„Was is?“, fragte sie. „Haste‘n Problem?“

„Nee“, erwiderte Richie, „es ist nur… ich mag es gern auf die harte Tour. Was dagegen?“

„Ach…“, grinste Barbara, „ein bisschen Maso? Nee. Mach mal. Ich hab‘s auch gern, wenn ein Mann richtig zur Sache geht.“

Richie ließ sich das nicht zweimal sagen und packte zu. Mit beiden Händen zog er ihre Arme über den Kopf und hielt ihre Handgelenke mit seiner linken Hand eisern umklammert. Mit einem harten Ruck drang er in sie ein. Als sie leise aufschrie, deutete Richie das als Zustimmung zu einem noch härteren Vorgehen. Er presste seine rechte Hand auf ihren Mund und geriet in eine lange nicht mehr gekannte Ekstase. Er ließ jegliche Kontrolle los und gab sich ganz seinen ungebändigten, aufwallenden Lustgefühlen hin. Schließlich sackte er über ihr zusammen und ließ sich auf die Seite rollen. Wie lange hatte er diese Verzückung, diese Geilheit und den Rausch vermissen müssen?

Die Frau muss ich mir unbedingt warm halten, dachte er. Die ist Spitze. Solange sie nicht klammert und von Hochzeit faselt, werden wir herrliche Zeiten haben.

„War‘s gut?“, fragte er und stupste die Frau neben sich an. Doch sie rührte sich nicht. Sie lag auf der Seite und hatte ihm den Rücken zugedreht. Richie drehte sich ebenfalls zur Seite, stützte seinen Kopf auf den angewinkelten Arm und grinste. „Bist wohl erschöpft, wie?“

Die Frau bewegte sich nicht.

Unwillig tippte er mit dem Finger auf ihren Oberarm. „He! Rede mit mir.“

Schließlich schüttelte er sie.

Keine Reaktion.

Verärgert sprang Richie auf, umrundete das Bett und baute sich auf der anderen Seite vor ihr auf. Er erstarrte. Das blau angelaufene Gesicht, die hervorquellenden, weit aufgerissenen Augen, die ins Leere blickten, der weit geöffnete Mund… und… der dunkelrote Abdruck am Hals. Die Frau auf dem Bett war tot.

Richie konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Es schien ihm, als hätte er unsichtbare Betonklötze an den Füßen, die ihn an der Stelle festnagelten, an der er stand. Auch sein Gehirn versagte den Dienst. Er war keines vernünftigen Gedankens fähig. Wir haben doch nur unseren Spaß gehabt, schoss es ihm durch den Kopf. Allmählich wich die Betäubung von ihm und er wusste, jetzt gab es was zu tun.

Rasch zog er sich an. Um nicht aufzufallen, ging er mit gemäßigtem Schritt zum Haus, in dem Albert wohnte. Er klingelte, bis Berts Kopf am Fenster in der dritten Etage erschien.

„Hallo?“

„Ich bin‘s. Richie. Mach auf, Bert. Schnell“

Das leise Summen ertönte und Richie drückte gegen die Haustür. Schon im ersten Stock kam ihm Albert entgegen.

„Was’ n los?“

„Ich brauch dich. Zieh dir was an und lass uns Matty holen. Beeil dich.“

Nur ein paar Minuten später kam Albert vor die Tür. Richie wartete ungeduldig.

„Jetzt sag, was los ist!“

Richie hörte den Ärger in der Stimme seines Kumpels.

„Du – es ist was ganz Schlimmes passiert.“

„Das will ich auch hoffen! Mich mitten in der Nacht aus dem Bett holen? Dafür musst du einen verdammt guten Grund haben. Also?“

„Barbara ist tot.“

„Wie? Tot? Mensch, Richie! Wie ist das passiert?“

„Ich weiß es nicht, Bert“, jammerte Richie. „Ich weiß es wirklich nicht. Wir haben richtig schön gepoppt und unheimlich viel Spaß gehabt. Und dann war sie auf einmal tot.“

Albert blieb stehen. „Man stirbt nicht durchs Poppen.“

„Komm, Bert. Lass uns Matty holen. Wir müssen sie… wir müssen sie… wegbringen.“

Schweigend erreichten sie den Altbau, in dem Matty hauste.

Auch er war geschockt, als er hörte, was passiert war.

In Barbaras Wohnung angekommen, gingen sie ins Schlafzimmer und Albert stöhnte. „Oh Mann. Richie! Was hast du angerichtet? Bist du schon wieder ausgerastet?“

„Ich schwöre dir, Bert. Ich hab nichts davon mitgekriegt.“

„Das ist ja dein Problem, Richie“, setzte Matty hinzu. „Ab einem bestimmten Pegel verlierst du völlig die Kontrolle. Dann hakt es bei dir aus. Du kriegst nichts mehr mit.“

„Und ich dachte“, fuhr Albert fort, „du wärst in diesen Club eingetreten. Diesen SM Club… wie hieß er noch?“

„Madame Nina“, ergänzte Matty.

„Bin ich ja auch“, wand sich Richie. „Aber die nehmen mittlerweile Mondpreise. Die kann ich mir nicht mehr leisten.“

„Und jetzt?“, fragte Albert.

„Können wir sie nicht in der Nordsee… begraben?“, stammelte Richie. „Du kannst doch rausfahren, Bert. Wenn Matty uns hilft, können wir das schaffen.“

„Oh Mann“, stöhnte Matty. „Richie! Das ist das letzte Mal, dass ich dir aus der Klemme helfe. Ich bin zwar kein Messdiener, aber das hier ist Mord, mein Lieber. Wenn die uns erwischen, gehen wir alle für viele, viele Jahre in den Knast. Beim nächsten Mal musst du sehen, wie du aus so’ner Nummer rauskommst. Ich mach jedenfalls nicht mehr mit.“

„Matty hat recht“, nickte Albert. „Das ist endgültig das letzte Mal. So weit hast du es noch nie getrieben. Jetzt hast du wirklich die Grenze überschritten. Lass es dir gesagt sein. Nie mehr, Richie. Hörst du? Nie mehr!“

„Ich verspreche es euch“, versprach Richie. „Bitte! Nur noch dieses eine Mal.“

Mit Hilfe von Albert und Matty gelang es ihm, die Frau in einen Teppich zu rollen und ungesehen zum Hafen zu bringen. Mit Alberts Boot fuhren sie hinaus auf die offene See. Albert stoppte den Motor.

„Hier müsste es sein.“

„Was müsste hier sein?“, fragte Richie.

„Die Strömung, du Blödmann. Die Strömung!“