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Sissi Kaipurgay

West Gay Storys





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

West Gay Storys

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!

Text: Sissi Kaiserlos

Foto von shutterstock – Design Lars Rogmann

Korrektur: Aschure. Dankeschön!

Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/

 

Achtung: Ich weise darauf hin, dass die in den Storys erwähnten Regularien nicht unbedingt der Realität entsprechen. Da ich aber weder über die Schwierigkeiten eine Aufenthalts-, noch die eine Arbeitserlaubnis zu erhalten doziere, sondern Prosa schreibe, bitte ich das zu verzeihen. Das Gleiche gilt für die Rinderzucht. Trotz aller Recherchen bin ich kein Fachmann und muss mit dem, was ich im Internet finde, zurechtkommen.

 

Ein cooler Cowboy

Felix Möller hielt sich – dank seiner Mutter, die in zweiter Ehe einen Amerikaner geheiratet hatte – unbefristet in den USA auf. Vom Tellerwäscher bis zum Fitnesstrainer hatte er viele Jobs durch, als er auf die Idee verfiel, sein Glück auf einer Ranch zu versuchen.

~ * ~


1.

Die Northfolk-Ranch entsprach ihrem Internetauftritt: Das gelbe Haupthaus, mit weißem Dach, Erkern und einer großen Veranda, war von hohen Bäumen gesäumt. Dahinter standen, in der gleichen Farbkombination, die Nebengebäude und Garagen. Etwas abseits davon lagen Ställe, Scheunen und ein Silo, an die sich unendliches Weideland und Wälder anschlossen. Laut der Homepage befanden sich in letzteren Bungalows für Feriengäste sowie der Fluss, der im Lake Maxinkuckee mündete.

Felix marschierte auf das Gebäude zu, wobei sein Rollkoffer über den unebenen Weg holperte.

Seit immerhin vier Jahren lebte er in Indiana. Obwohl sich weder die Landschaft, noch das Klima großartig von seiner Heimat, Schleswig-Holstein, unterschieden, fühlte er sich nach wie vor fremd. Dafür gab es einige Gründe. Beispielsweise die ungewohnt weiten Entfernungen zwischen den Ortschaften, die Hire-and-fire-Mentalität der Amis und fehlenden sozialen Kontakte. Trotzdem er ein aufgeschlossener Mensch war, hatte er bisher keine Freunde gefunden. Bekannte ja, aber Leute, mit denen man mehr als nur plaudern oder zusammen ein Bier trinken konnte: Fehlanzeige.

Daheim, in einem kleinen Dorf in der Nähe von Kiel, hatte er allerdings auch kaum welche zurückgelassen. Nach dem Schulabschluss waren die meisten weggezogen, genau wie er. Felix hatte in Kiel studiert, Sport und Kunst auf Lehramt, im Anschluss an sein Referendariat einen Jahresvertrag erhalten und vergeblich auf Weiterbeschäftigung gehofft. Es gab zwar freie Lehrerstellen in Deutschland, doch einen Umzug nach Bayern oder in die neuen Bundesländer lehnte er ab. Er entschloss sich also ganz neu anzufangen und folgte seiner Mutter, die in zweiter Ehe einen Amerikaner geheiratet hatte, in die Staaten. Dank seines Familienstatus‘ erhielt er eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.

Seit seiner Ankunft hatte er alle möglichen Jobs innegehabt: Vom Burgerbrater bis hin zum Fitnesstrainer. Manche hätte er gern länger ausgeübt, andere lieber sofort hingeschmissen. Eines hatten sie jedoch allesamt gemein: Das Gehalt reichte knapp für die Miete und zum Überleben.

Derart gefrustet war er auf die Stellenanzeige der Northfolk-Ranch gestoßen. Idealerweise lag diese nicht allzu fern von Chicago, wo seine Mutter mit ihrem zweiten Gatten lebte. Die Stellenbeschreibung hörte sich zusammengefasst nach einem Mädchen-für-alles an: Arbeit in den Ställen, auf den Feldern sowie Reinigung und Reparatur der Ferienbungalows, Betreuung der Gäste bei Ausflügen und organisierten Festen. Letzteres entsprach am ehesten seinem Können und den Rest würde er schon lernen. Er besaß zwei rechte Hände, kam gut mit Tieren klar und mochte Gartenarbeit. Was ihn jedoch am meisten reizte war, raus aus der Stadt zu kommen. Wieder jeden Morgen frische Landluft schnuppern, wie seit Kindesbeinen an gewohnt; den Tag mit Joggen zwischen Feldern, Wiesen und Bäumen beginnen, statt durch Häuserschluchten zu laufen.

Felix hievte seinen Koffer auf die Veranda und wollte gerade klopfen, als die Tür aufgerissen wurde und zwei Kinder an ihm vorbeistürmten. Die beiden nahmen keinerlei Notiz von ihm und verschwanden im Schatten der Bäume. Kopfschüttelnd hob er erneut die Hand und klopfte gegen den Türrahmen.

„Hallo? Ich bin Felix Möller und hatte mich für heute angemeldet“, rief er und spähte in den breiten Flur.

„Hi. Kommen Sie rein. Erste Tür links“, schallte es zurück.

Er trat ins Haus und folgte der Einladung, die ihn direkt in eine riesige Küche führte. Es roch herrlich nach frischgebackenem Kuchen. Eine Frau mit grauem Zopf, eine geblümte Kittelschürze über der Jeans, stand an der Spüle und sah ihm entgegen.

„Hallo. Ich bin Annegret. Setzen Sie sich doch.“ Sie wies mit dem Kinn zum Tisch, trocknete sich die Hände an der Schürze ab und fischte ein Smartphone aus einer der Taschen. „Ich sage Ford Bescheid, dass Sie da sind.“

Nach einem kurzen Telefonat – unterdessen hatte Felix am Küchentisch Platz genommen – fragte sie: „Möchten Sie was trinken?“

„Ein Glas Wasser wäre toll.“

Sie holte einen Krug mit orangefarbenem Inhalt und eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und stellte beides, zusammen mit einem Glas, vor ihm ab. „Bedienen Sie sich.“

Annegret wandte sich wieder der Spüle zu. Felix goss Wasser ins Glas, tat etwas von dem anderen Zeug, das nach Orangenlimonade aussah, hinzu und probierte einen Schluck. Die Mischung schmeckte lecker.

„Darf ich fragen, woher Sie stammen?“, erkundigte sich Annegret über die Schulter.

„Aus einem Dorf in Norddeutschland.“

„Ach ja? Meine Großeltern kommen aus der Nähe von Hannover.“

„Also kennen Sie Deutschland?“

„Nur von Fotos, aus Erzählungen und dem Internet. Ich war nie dort.“ Annegret griff nach einem Geschirrhandtuch und begann, die abgewaschenen Sachen abzutrocknen. „Vor über achtzig Jahren sind die beiden, auf der Flucht vor den Nazis, ausgewandert. Verständlicherweise hat es sie nie wieder nach Deutschland gezogen.“

„Im Internet steht, dass der Eigner auch deutschstämmig ist.“

„Richtig. Allerdings lebt Matts Familie schon eine Generation länger hier.“

Im Flur erklangen Schritte. Gleich darauf kam ein Mann in die Küche, das Gesicht wettergegerbt, mit grauen Schläfen und in Arbeitsmontur: Derbe Stiefel, eine Weste über einem karierten Hemd und verwaschenen Jeans.

„Hi. Ich bin Ford“, stellte sich der Mann vor und reichte ihm die Hand.

Felix sprang auf und schlug ein. „Angenehm. Felix Möller.“

„Ich zeig dir erstmal, wo du wohnst.“ Ford beäugte seinen Trolley. „Ist das dein ganzes Gepäck?“

„Vorerst ja. Sofern alles gut läuft, lass ich den Rest hinterherschicken.“

Ford nickte verständig. „Sehr vernünftig. Dann komm mal mit.“

Auf dem Weg zu den Nebengebäuden schaute sich Felix neugierig um. Vor den Garagen stand ein alter Pickup, in dessen Nähe befanden sich die beiden Kinder. Der Junge hielt einen Stock in der Hand und bohrte damit im Sand herum. Das Mädchen hockte daneben und guckte zu. Wahrscheinlich hatten die zwei irgendwelche Krabbeltiere entdeckt. Ameisen oder so.

„Sind das Annegrets Enkel?“

„Nein. Die beiden gehören zu Amalie, Matts Schwester.“

„Niedliche Kinder.“

„Hm“, machte Ford bloß, hielt vor einer Haustür, öffnete sie und ließ ihm den Vortritt.

Hintereinander stiegen sie eine Treppe hoch. Oben zählte Felix sechs Türen, die vom Flur abgingen. Ford schloss die dritte auf und ließ ihn erneut als ersten eintreten. Der Raum war lichtdurchflutet und enthielt einen Esstisch mit zwei Stühlen, eine Couch, ein Sideboard und eine kleine Küchenzeile. Eine Tür führte in eine Schlafkammer, hinter der zweiten befand sich ein Duschbad.

„Schön“, kommentierte Felix begeistert.

Seine letzte Bude, ein Einzimmerapartment mit Blick auf eine Hauptverkehrsstraße, war kleiner und dunkler gewesen.

„Richte dich erstmal in Ruhe ein. Wenn du fertig bist, komm rüber zu den Ställen.“ Ford tippte sich an eine imaginäre Hutkrempe, drehte um und polterte die Stufen wieder runter.

Nachdem unten die Haustür ins Schloss gefallen war, herrschte Totenstille. Wahrscheinlich befanden sich alle anderen Bewohner auf dem Gelände. Felix warf einen Blick in den Flur, bevor er die Tür zumachte und sich erneut in seinem Reich umsah. Das Mobiliar hatte schon einige Jahre auf dem Buckel, wie er an etlichen Gebrauchsspuren erkannte. Der helle Bezug des Sofas wies ein paar Flecken auf, die Tischplatte ein paar Kratzer. Auch dem Holzboden sah man das Alter an. Dank eines bunten Teppichs sowie der ebenfalls farbigen Vorhänge wirkte die Ausstattung dennoch gemütlich. Außerdem hatte Felix schon in derart schlimmen Bruchbuden gehaust, dass das Zimmer eine wesentliche Verbesserung darstellte.

Er bezog das Bett und brachte seinen Kulturbeutel ins Bad, wo er die Einrichtung genauer inspizierte. Die Elemente waren eindeutig neueren Datums und alles sehr sauber. Nachdem er Zahnpflegeartikel, Kamm und Rasierzeug ausgepackt hatte, räumte er seine Klamotten in den Einbauschrank in der Schlafkammer. Sein Wecker kam auf den Nachtschrank, Notebook, Malutensilien und seine Bücher auf das Sideboard im Wohnzimmer. Seinen Proviant, den er vorsichtshalber mitgebracht hatte, verstaute er im Kühlschrank.

Bei seiner Mutter standen noch drei Umzugskartons voller Krimskrams, wie ein bisschen Nippes, weitere Bettwäsche, Winterklamotten. Sobald heraus war, ob er bleiben würde, wollte er sie von dem Plunder befreien. Sie wohnte in beengten Verhältnissen und benötigte den Platz.

Die Küchenzeile war vollständig ausgestattet. Er vermisste zwar eine Kaffeemaschine, aber es gab einen Wasserkocher, Filter und eine Kanne. Rasch bereitete einen Becher Instantkaffee zu, den er im Stehen vorm Fenster schlürfte. Von dort hatte er Blick auf die Garagen. Die beiden Kinder waren inzwischen verschwunden, dafür stand neben dem Pickup ein zweiter gleichen Modells.

Er musste unbedingt Ford fragen, wie man das Problem des Einkaufens logistisch lösen konnte. Der Bus fuhr nur alle Jubeljahre, außerdem war der Weg bis zur Haltestelle irre lang. Eben hatte er über dreißig Minuten benötigt. Insofern war eine Tour in die nächste Stadt kein kurzer Ausflug, sondern eine halbe Weltreise. Ohne Auto war man in dieser Einöde echt aufgeschmissen. Vielleicht reichte die Bezahlung ja aus, sich bald ein altes Exemplar zu leisten. Felix seufzte. Wunschdenken. Selbst wenn er die Kohle für den Kauf zusammengekratzt bekäme, fehlte ihm die für Versicherung, Steuern und Sprit.

In solchen Momenten wie diesem überfiel ihn manchmal Reue, sein altes Leben hinter sich gelassen zu haben. Allerdings brauchte er nur an die aufmüpfigen Schüler denken, oder daran, in vorwiegend katholischen Bundesländern oder im Osten eine Stelle anzutreten, schon söhnte ihn das mit seinem Schicksal aus. Dann doch lieber weiter in Indiana sein Glück versuchen.

Er leerte seinen Becher, spülte ihn aus, trat auf den Flur und schloss sorgfältig ab. Anscheinend blieb die Haustür stets offen, denn sein Schlüssel passte nicht ins Schloss. Gemächlich umrundete er das Gebäude und steuerte die Ställe an, wobei er seinen Blick schweifen ließ. Ihm gefiel die endlose Weite, die er auch von daheim kannte. Aus Spaß pflegte seine Mutter oft zu sagen, man könnte schon morgens sehen, wer mittags zu Besuch auftauchte, so platt war das Land.

Je näher er dem ersten Stall kam, desto deutlicher hörte er das Gackern von Hühnern. Etwas, womit er auf der Northfolk-Ranch niemals gerechnet hätte. Als er in den Schatten des Gebäudes trat, empfing ihn der Gestank von Hühnerkacke. Auf der rechten Seite war, hinter einem Maschendraht, das Federvieh untergebracht. In der Mitte verlief ein breiter Gang und auf der rechten Seite standen ein Traktor, ein Pflug sowie allerlei Gerätschaften, deren Bezeichnung er nicht kannte. Von Ford keine Spur.

Im nächsten Stall roch es nach Pferden. Wieder ein breiter Mittelgang, an dem sich links und rechts Boxen befanden. Langsam wanderte er an den teils leeren, teils mit einem Pony belegten Abteilen vorbei. Am Ende des Ganges stieß er auf Ford, der den Huf eines Pferdchens untersuchte.

„Hi. Kann ich irgendwie helfen?“, fragte er pflichtschuldig.

„Kennst du dich mit Pferden aus?“, erwiderte Ford und nahm sich den nächsten Huf vor.

„Sagen wir es mal so: Ich habe keinen Angst vor denen und sie nicht vor mir.“

Ford gluckste. „Gute Antwort. Ich bin gleich fertig.“

Das Pony schnaubte, als wollte es diese Aussage bestätigen. Ein hübsches Tier mit braunem Fell und langer, blonder Mähne. Oder nannte man das bei Pferden anders? Obwohl auf dem Land aufgewachsen, war sein Wissen über diese Spezies beschränkt. In der Umgebung hatte es bloß Kuhweiden, Felder und eine Hühner-Massentierhaltung gegeben.

Er lehnte sich gegen eine Box und beobachtete, wie Ford fachmännisch ein spitzes Steinchen aus dem Huf entfernte. Anschließend war der letzte dran. Danach führte Ford das Pony in ein Abteil und wandte sich ihm zu.

„Ich hab den Auftrag, dich ein bisschen herumzuführen. Wir nehmen wohl besser einen der Pickups, anstatt zu reiten.“

„Das würde mir sehr entgegenkommen“, stimmte Felix zu.

Sie verließen den Stall, schlugen den Weg zum Haupthaus ein, gingen daran vorbei und zu einem der Pickups. Ford nahm hinterm Lenkrad Platz, er auf dem Beifahrersitz. Dem Innenraum war anzumerken, dass es sich um ein Arbeitsfahrzeug handelte. In der Türablage steckten verschiedene Werkzeuge und schmutzige Lappen, außerdem ließ die Sauberkeit zu wünschen übrig. Das Armaturenbrett war mit einer Staubschicht bedeckt, im Bodenraum lag Sand und Gras.

In der folgenden Stunde zeigte Ford ihm einige Bungalows, Wiesen mit Rindern und ein paar nette Stellen auf dem Gelände. Neben dem Fluss gab es einen kleinen See, der im Schatten hoher Bäume lag. Ford ratterte etliche Daten über das Anwesens herunter, die jedoch an Felix vorbeigingen. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, die vielen Eindrücke zu verarbeiten. Das riesige Areal bot eine Menge Abwechslung, von baumloser Wiesenlandschaft bis hin zu tiefstem Wald. Für Kinder musste es, mit den unzähligen Möglichkeiten, ein Paradies darstellen. Gut, für Erwachsene auch, nur dass er nicht mehr dazu neigte, Höhlen zu bauen oder Verstecken zu spielen.

Als Ford den Wagen wieder vor der Garage abstellte, fiel ihm sein Einkaufsproblem ein. „Sag mal, gibt es hier in der Nähe einen Supermarkt?“

„Leider nicht, aber zwei der Wagen stehen für Personal zur Verfügung. Du kannst dich in eine Liste eintragen, die Annegret verwaltet oder mit einem der anderen Jungs fahren.“

„Okay. Danke für die Führung. Wann soll ich morgen antreten?“

„Melde dich um acht bei Amalie in dem Büro gegenüber der Küche.“

„Alles klar. Schönen Abend noch.“ Er stieg aus, winkte Ford zu und steuerte seine neue Bleibe an.



2.

Matt kletterte aus seinem Wagen, verriegelte die Türen und schob auf dem Weg zum Haus die Schlüssel in seine Hosentasche. Drei Stunden Fahrt für nichts. Nach einem kurzen Fick hatte ihn Clive, sein langjähriger Liebhaber, mit den Worten ‚Sorry, aber ich bin ab sofort in festen Händen‘ abserviert. Was für ein Arschloch! Clive hätte ihn zumindest vorwarnen können. Ach, egal. Er wäre trotzdem nach Fort Wayne gefahren, um wenigstens noch einmal abzuspritzen.

Was ihn eigentlich am meisten verärgerte war, sich nun einen neuen Lover zu suchen. An Clive hatte er nicht sonderlich gehangen, lediglich an ihrem Sex. Na gut, selbst der war nie überwältigend gewesen, doch man nahm eben alles, was man kriegen konnte.

Als er das Haus betrat, schlug ihm Essensduft entgegen. Wie so oft, stand Annegret in der Küche und rührte in einem großen Topf. Eigentlich nur für die Wäsche, Sauberkeit im Erdgeschoss und den Proviant für Tagestrips zuständig, verwöhnte sie Ford und ihn wie eine Glucke.

Sie war früh verwitwet und lebte seit einer Ewigkeit auf der Ranch. Er kannte sie von Kindesbeinen an. Nach dem Tod seiner Eltern, beide waren kurz hintereinander vor fünf Jahren gestorben, füllte Annegret die hinterlassene Lücke aus, war für seine Schwester Amalie und ihn eine Art Ersatzmutter geworden.

„Schon zurück?“, begrüßte sie ihn über die Schulter.

Gewöhnlich dauerten seine Ausflüge nach Fort Wayne, angeblich um Bankgeschäfte zu erledigen, etwas länger. „Ich bin gut durchgekommen. War kaum was auf den Straßen los“, log er.

Vermutlich kannte sie den wahren Grund für seine Trips, genauso wie sie wusste, dass er auf Männer stand. Beides war zwischen ihnen nie zur Sprache gekommen, doch die Frau besaß untrügliche Instinkte. Außerdem hatte sie ihn mal, vor ungefähr fünfzehn Jahren, mit einem der Aushilfs-Cowboys in flagranti im Hühnerstall erwischt. Matt war es immer noch peinlich, wenn er daran dachte. Annegret hatte zwar so getan, als ob sie sich voll aufs Eiereinsammeln konzentrierte, aber sie musste Ben und ihn bemerkt haben. Schließlich standen sie nur wenige Meter entfernt, mit runtergelassenen Hosen und Ben in gebückter Haltung.

„Es gibt heute Hühnereintopf“, verkündete sie. „In einer halben Stunde wird gegessen.“

„Alles klar“, gab er zurück, spähte kurz in Amalies Büro, doch das war natürlich schon verlassen und stieg die Treppe ins Obergeschoss hinauf.

Links lag die Wohnung, in der seine Schwester mit ihrem Gatten und den Kindern lebte, rechts seine, die aus zwei Zimmern bestand. Amalies war wesentlich größer und erstreckte sich über zwei Drittel des oberen Stockwerks. Als seine Schwester das erste Mal schwanger wurde, hatten ihre Eltern die Behausung ihr überlassen und ein Appartement in einem der Nebengebäude bezogen.

Normalerweise duschte er bei Clive, doch diesmal war ja etwas dazwischengekommen. Nach der Das-War’s-Ansage hatte er so schnell wie möglich das Feld geräumt und stank entsprechend nach Sex. Er steuerte also direkt das Bad an, wo er alle Hüllen fallenließ und in die Duschkabine stieg.

Während er sich gründlich einseifte überlegte er, wie und woher er einen Ersatz für Clive bekam. Ein Körnchen Wahrheit steckte in seiner Notlüge: Er hatte Clive bei einer Besprechung in seiner Hausbank kennengelernt. Damals ging’s um einen Kredit, um die Ranch sukzessive zum Urlaubsparadies umzubauen. Anschließend waren sie etwas trinken gewesen und … tja. Es hatte eben gepasst.

Dating-Plattformen a la Grindr und Co verabscheute Matt. Vielleicht war das altmodisch, doch er musste einen Mann in Natura sehen, um festzustellen, ob etwas ging. Vor Clive hatte er ein langes Verhältnis mit einem Typen in Chicago gepflegt. Der lebte inzwischen auch in einer festen Beziehung. Es war echt zum Kotzen. Wieso fanden alle einen Partner, bloß er nicht?

Um diese kindische Anwandlung zu vertreiben, regelte Matt die Wassertemperatur auf eiskalt. Schlotternd kletterte er anschließend aus der Duschkabine und wickelte sich in ein Handtuch. Erwartungsgemäß hatte der Kälteschock ihn zur Räson gebracht. Er hasste Schwächen, Selbstmitleid am meisten. Das war etwas für Weicheier.

Rasch schlüpfte er in frische Klamotten, kämmte sein Haar und begab sich wieder ins Erdgeschoss.

Ford saß bereits, vor einem Glas Limonade, am Küchentisch. „Hallo, mein Junge. Alles gut gelaufen?“

„Klar. Die rollen inzwischen für mich den roten Teppich aus“, flunkerte er und nahm ebenfalls Platz.

„Sind die Schulden immer noch so hoch?“

„Das meinte ich im positiven Sinne. Ich hab die Überschüsse in Fonds angelegt.“

„Ach so. Ich dachte …“ Ford zuckte die Achseln. „Na ja. Davon hab ich eh keine Ahnung.“

Auch Ford gehörte zum Urgestein. So lange Matt denken konnte, arbeitete der Mann auf der Ranch. Böse Zungen behaupteten, Ford wäre hier geboren. Natürlich Schwachsinn, aber manchmal führte er sich tatsächlich so auf.

„Was macht der Neue für einen Eindruck?“, erkundigte er sich.

„Sympathisch“, meldete sich Annegret zu Wort, stellte einen vollen Suppenteller vor ihm ab und begann den nächsten zu füllen.

„Das behauptest du von jedem“, spottete Ford.

„Gar nicht wahr! Erinnerst du dich an Jesse? Diesen Trottel, den du vor zwei Jahren eingestellt hast? Ich hab dir gleich gesagt, dass der Junge nichts taugt.“

Anstelle einer Antwort verdrehte Ford die Augen gen Himmel.

„Ich kann dich sehen, auch wenn ich mit dem Rücken zu dir stehe“, schimpfte Annegret, kam mit zwei vollen Tellern zum Tisch und gesellte sich zu ihnen. „Felix scheint jedenfalls ein lieber Junge zu sein.“

„Junge?“, hakte Matt stirnrunzelnd nach. „Wenn ich mich recht entsinne, ist er schon fast dreißig.“

„Eben. Von meiner Warte aus ist er ein Küken. So. Und nun: Guten Appetit.“ Sie griff nach ihrem Löffel und fing an zu essen.

Ford und er murmelten ‚ebenfalls‘ und folgten ihrem Beispiel. Ruhe trat ein. Annegret war eine hervorragende Köchin, mit der man es sich besser nicht verscherzte. Einmal hatte Matt gewagt mit ihr zu streiten, woraufhin sie ihn drei Tage vom Abendessen ausschloss. Er musste sich in seiner eigenen Küche behelfen. Das war ihm eine Lehre. Zwar konnte er hervorragend Konserven öffnen, aber das Zeug schmeckte im Vergleich total grauslich.

Seine Eltern hatten Amalie und ihn traditionell erzogen: Die Frau gehörte hinter den Herd, der Mann verdiente das Geld. Er war damit einverstanden gewesen, seine Schwester weniger. Sie hatte darauf bestanden, ebenfalls reiten zu lernen und so manchen Kampf mit ihren Eltern ausgefochten.

Als sich ihr Vater mit siebzig Jahren aufs Altenteil zurückzog war es ihre Idee gewesen, mittels Urlaubsgästen der Ranch ein zweites Standbein zu verschaffen. Ein guter Einfall, da sich somit die Risiken besser verteilten. In den folgenden Jahren entstanden nach und nach dreißig Bungalows, zudem ein Freizeitprogramm für die Touristen. Amalie kümmerte sich um diesen Sektor und Matt blieb bei seinen Leisten: Den Rindern.

Beim Aktivprogramm überschnitten sich oft ihre Bereiche. So gut es ging hielt sich Matt dabei im Hintergrund und spielte nur den Aufpasser. Es war absolut nicht sein Ding mit den Urlaubern umzugehen, die sich häufig schlimmer als Erstklässler aufführten.

„Schmeckt es euch?“, wollte Annegret wissen.

„Sehr lecker“, gaben Ford und er fast synchron zurück.

Erneut senkte sich Schweigen über den Tisch. Als alle aufgegessen hatten, stand Annegret auf und erkundigte sich: „Will jemand Nachschlag?“

„Ich, bitte.“ Ford reichte ihr den leeren Teller.

„Ich bin satt, danke“, lehnte Matt ab, holte sich ein Glas und füllte es mit Wasser. „Brauchst du morgen Hilfe beim Düngen?“, wandte er sich an Ford.

„Wenn du zwei Leute abstellen könntest, wäre das nicht schlecht.“

„Kein Problem. Ich schick dir Paul und Bo.“

„Danke. Nach der Mittagspause jage ich sie zu dir zurück.“

„Ihr redet über die Männer, als wären sie Vieh“, mischte sich Annegret missbilligend ein, stellte einen halb gefüllten Teller vor Ford ab und. „Manchmal komme ich mir hier vor wie im Zoo.“

„Die Ranch ist doch auch ein Zoo. Hühner, Pferde, Rinder, Touristen …“ Matt feixte.

Getrappel auf der Treppe ließ ihn aufhorchen. Im nächsten Augenblick stürmten Jannis und Marsha in die Küche, beide in Pyjamas. Sein Neffe kletterte, ohne Rücksicht auf Verluste, auf seinen Schoß. Fast fiel bei der Aktion sein Glas vom Tisch. Seine Nichte, zwei Jahre älter als Jannis, lehnte sich an Annegret.

„Dürfen wir ein Stück von deinem Kuchen probieren?“, fragte Marsha mit Welpenblick.

Annegret strich seiner Nichte durchs Haar. „Habt ihr schon Zähne geputzt?“

„Ne. Sonst dürfen wir doch nichts mehr essen“, gab Marsha zurück.

„Aber nur ein ganz kleines Stückchen.“ Lächelnd stand Annegret auf und nahm eine Backform aus dem Ofen sowie ein Messer aus einer Schublade.

Während sie etwas von dem Kuchen abschnitt, ertönten erneut Schritte auf den Stufen.

Glenn, Matts Schwager, kam herein und setzte sich auf einen freien Stuhl. „Krieg ich auch eine Kostprobe?“

Natürlich erschien gleich darauf seine Schwester und bat ebenfalls um ein Stückchen. Annegret wusste, wie sie die Familie anlockte: Ihrem Kuchen konnte niemand widerstehen. Schlussendlich bekamen alle ein Häppchen. Anschließend verteilten Jannis und Marsha Gutenachtküsschen und wurden von ihren Eltern die Treppe hochgescheucht.

Wenig später brach gleichfalls Matt auf, um eine Runde übers Gelände zu drehen. Alles war ruhig, lediglich auf den Terrassen der Nebengebäude herrschte vereinzelt Betriebsamkeit. Auf einer stand ein Grill, um den sich ein paar Mitarbeiter versammelt hatten, auf einer anderen spielten einige Leute Karten.

Bei den Angestellten handelte es sich ausschließlich um Männer. Vor einigen Jahren hatte Matt mal zwei Frauen eingestellt. Beide sorgten für Rivalität unter seinen Leuten. Seitdem pfiff er auf Gleichberechtigung. Es bewarben sich eh überaus selten weibliche Cowboys, so dass ihm ein schlechtes Gewissen erspart blieb. Nur die Putzkolonne, die bei Gästewechseln die Bungalows reinigte, bestand aus Frauen, doch die stammten aus der Umgebung und wohnten daher nicht auf der Ranch.

Er kehrte ins Gebäude zurück, wünschte Annegret und Ford eine Gute Nacht und ging in seine Wohnung. Rasch sorgte er für ein bisschen Ordnung im Bad, wo er einfach alles hatte liegenlassen. Das Gleiche galt für sein Schlafzimmer. Seine Mutter hatte oft scherzhaft gesagt, an ihm wäre eine Schlampe verlorengegangen. Er vermisste sie immer noch schmerzlich, ihre beständige Liebe und Heiterkeit, trotzdem Annegret ihm viel Wärme gab.

Sie hatte Amalie und ihn spät bekommen, erst mit Anfang vierzig, als sie schon glaubte, keine Kinder empfangen zu können. Mit fünfundsiebzig war sie gestorben, Herzversagen, drei Monate nach seinem sieben Jahre älteren Vater, der einem Krebsleiden erlag. Der nahezu gleichzeitige Verlust beider Elternteile hatte Amalie und ihn noch enger zusammengeschweißt.

Der Bericht ekelte ihn an. Natürlich wusste er, wie es auf vielen Zuchtfarmen zuging, doch es zu sehen war ein anderes Kaliber. In sogenannte Feedlots eingepferchte Tiere, um sie innerhalb kürzester Zeit zu mästen. Damit die Rinder möglichst wenige Kalorien beim Fressen verbrauchten, wurde das Futter, bestehend aus Industrieabfällen, Stroh- und Gemüsekomponenten, entsprechend vorgewärmt. Einige der Tiere erhielten zusätzlich Hormonchips, die eine weitere Gewichtszunahme förderten. Abscheulich. Matt würde solch verseuchtes Fleisch niemals essen.



Als sie mittags wieder am Stall eintrafen, konnte er einen ersten Blick auf ‚den Neuen‘ werfen. Seine Schwester stand mit dem Mann, dessen Name ihm entfallen war, vorm Hühnerstall. Ein blonder Typ, schlanke Statur, klasse Arsch.

„Warte mal“, bat seine Schwester, woraufhin er stoppte und seinen Stetson etwas in den Nacken schob. „Das ist Felix“, stellte sie den Mann vor. „Und das ist Matthias, genannt Matt, mein Bruder.“

Northfolk

holla!

„Was allerdings nichts nützt“, konterte Amalie trocken. „Jetzt ist erstmal Pause. Wir treffen uns um zwei wieder in meinem Büro.“