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Mittelschule Mariengarten

WER DAS
LIEST,
IST …

Zum Buch

Die jungen Autorinnen und Autoren der Mittelschule Mariengarten lassen ihrer Fantasie freien Lauf:

Sie besiedeln den Weltraum, verlegen ihren Wohnsitz nach New York, schließen Freundschaft mit Wildpferden, sind gewiefte Biografen von Napoleon und Edward Snowden und müssen vor dem Krieg und lebensbedrohlicher Verfolgung fliehen.

Ihre Geschichten sind kurzweilig und überraschen mit ihrem Witz und Charme.

Ein Buch für coole Jugendliche, mutige Eltern und moderne Omas.

Die Autorinnen und Autoren

Maria Luigia Benvenuti
Amelie Burger
Niklas Foradori
Jürgen Göller
Benedikt Gramm
Leander Gruber
Julian Höller
Barbara Kaufmann
Lisa Kiem
Maria Malfertheiner
Vanessa Martini
Sidonie Prokopp
Anja Prünster
Manuel Toni Streiter
Lisa Taferner
Lucia Villotti
Anna Zendron
Alexandra Zublasing

Die Drucklegung erfolgte mit Unterstützung der Abteilung
Deutsche Kultur der Südtiroler Landesregierung über das
Südtiroler Kulturinstitut und der Stiftung Südtiroler Sparkasse

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© Edition Raetia, Bozen 2015
Herausgeber: MS Mariengarten
Projektleitung: Claudia Oberhollenzer,
Martin Pichler, Maria Pirpamer

Umschlag: Typoplus
Umschlagbilder von: Gianluca Galati,
www.gianlucagalati.jimdo.com
Layout: Dall’O und Freunde
Satz: A&D

ISBN Print: 978-88-7283-535-7
ISBN E-Book: 978-88-7283-552-4

Unser Gesamtprogramm finden Sie unter www.raetia.com
Fragen und Anregungen richten Sie bitte an info@raetia.com

Die lustige Geschichte des Monsieur Bureau und des Monsieur Blanchard

„Ich, Napoleon Bonaparte, wurde 1769 auf der schönen Insel Korsika geboren und nun, Jahre später, stehe ich hier …“, sprach ich auf einem Podest inmitten eines großen Platzes, nicht ahnend, dass sich in der Menge zwei zwielichtige Burschen befanden: Jean Bureau und Frederick Blanchard.

„Jean, meinst du nicht, dass das zu gefährlich wird?“, fragte Frederick seinen Freund Jean. „Pass auf, es wird sicher nicht leicht, aber die Sache wird uns viel Ruhm einbringen! Ich muss gehen, Mutter wartet sicher schon mit dem Essen auf mich. Also, bis heute Nacht!“, verabschiedete sich Jean.

Als ich vom Podest stieg, hatte ich mich schon darauf gefasst gemacht, dass das Volk meine Hände küssen würde, und so zog ich mir meine Lederhandschuhe über. Lächelnd legte ich den Weg zu meiner Kutsche zurück, sie fuhr sofort los. Sobald ich bei meiner geliebten Gemahlin Josephine in Versailles angekommen war, gönnte ich mir ein Nickerchen. Ich war völlig ahnungslos über das, was die zwei Banditen vorhatten.

„Mutter, ich bin jetzt schon 22 Jahre alt. Ich darf gehen, wann und wohin ich will!“ Nervös ging Jean in der Küche auf und ab. „Gut, aber wenn ich ein Loch oder auch nur einen Riss in deinen Kleidern finde, schwöre ich dir auf meinen geliebten Großvater, Gott habe ihn selig, dass ich dich in hohem Bogen rausschmeiße!“ Das sagte sie so entschlossen, dass weiteres Diskutieren keinen Sinn hatte.

In der Zwischenzeit bei Frederick:

„… und wehe, ich finde dein Bett heute leer!“, drohte die Heimleiterin Madame Hollande Frederick, der schnippisch antwortete: „Gut, gut, Madame, heute werde ich nicht abhauen, ausgemacht? Darf ich bitte kurz zu Jean laufen?“ Die Heimleiterin nickte zufrieden. Zehn Minuten später trafen sich die beiden Freunde in ihrer Lieblingskneipe, um ein Glas Wein zu trinken. Gegen 22.00 Uhr verabschiedeten sie sich und jeder ging seiner Wege.

„Richten Sie meiner Gemahlin aus, dass ich geschäftlich unterwegs bin. Wenn sie nach Gründen fragen sollte, antworten Sie, das ginge sie nichts an!“, befahl ich meinem Diener und ging. Natürlich hatte ich keine „geschäftlichen Dinge“ mehr zu erledigen, ich wollte einfach nur ein bisschen Spaß haben … Sie wissen ja, was ich meine!

Verkleidet schlenderte ich also durch die Straßen von Paris. Auf einmal sprangen zwei maskierte Gestalten vom ersten Stock eines Hauses herab und steckten mich kurzerhand in einen Sack. Da ich nicht gerade groß bin mit meinen 1,53 Metern, fand ich darin leicht Platz. Ich hörte meine Entführer sprechen: „Jean, meinst du, das ist eine gute Idee?“ „Sicher!“, antwortete der andere überzeugt.

Plötzlich hatte ich Angst. Ich hätte nicht gedacht, dass mich, den „großen“ Napoleon Bonaparte, jemand je entführen würde. Mein Gedankengang wurde unterbrochen, denn meine Peiniger befreiten mich aus dem Sack. Ich fühlte mich wie das sprichwörtliche Häufchen Elend. Schnell überlegte ich, welche Reaktion nun die beste sei. Als ich ein kleiner Junge gewesen war, konnte ich wie auf Knopfdruck anfangen zu weinen und genau das tat ich nun! Die zwei Entführer zogen sich erstaunt die Maske vom Gesicht und wussten nicht, was sie tun sollten. „Was wollt ihr?“, schrie ich schluchzend. „Eigentlich wollen wir nur den großen Spiegelsaal von Versailles sehen“, sagte einer der beiden unsicher. Prompt hörte ich auf zu weinen. „Ihr wollt was?“, fragte ich nochmals. „Wir wollen in den Spiegelsaal, sonst sind Sie tot!“

„In Ordnung, ihr Spatzenhirne, ihr werdet ihn sehen, wenn ihr mich jetzt frei lasst! Kommt morgen um 9.30 Uhr in euren besten Kleidern und ihr werdet eingelassen“, antwortete ich. Und die beiden ließen sich ahnungslos auf diesen Handel ein!

Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen über meinen Schachzug! Sie würden sich in Schale werfen und das war gut so.

Denn für ein Rendezvous mit der Guillotine sollte man angemessen gekleidet sein!

Maria Luigia Benvenuti

Ein schrecklicher Tag

„Sandra!“, rief meine Mutter, „könntest du bitte auf deine kleine Schwester aufpassen? Ich muss arbeiten gehen!“ Das war ja klar. Immer musste ich auf meine kleine, nervige Schwester Tiziana aufpassen. Ich brummte: „Ja, ja.“ Also nahm ich sie an die Hand und ging mit ihr zum Spielplatz, damit sie zu Hause nichts anstellte.

Auf dem Spielplatz rief Tiziana: „Tand! Tand!“ Damit meinte sie Sand. Meine Schwester ist erst zweieinhalb Jahre alt, deswegen kann sie noch nicht so gut sprechen. Also gingen wir hinüber zum Sandkasten und ich setzte mich auf eine Bank. Tiziana baute Sandkuchen. Ich vertiefte mich in mein Handy und simste mit meinen Freundinnen.

Als ich aufschaute, war Tiziana nicht mehr an ihrem Platz. Ich sprang auf. „Tiziana!“, rief ich verzweifelt, „wo bist du?“ Ich lief kreuz und quer über den Spielplatz, fand sie aber nicht. Hinter dem Spielplatz lag der Park. Mit wachsender Angst suchte ich auch dort. Plötzlich fragte jemand hinter mir: „Sandra, was ist denn los?“ Ich drehte mich um und sah meine beste Freundin Natalie. „Ich … ich habe Tiziana verloren“, wimmerte ich. Dicke Tränen rollten mir über die Wangen. „Wie ist das denn passiert?“, rief Natalie erschrocken. Also erzählte ich ihr, was vorgefallen war.

„Ich helfe dir, sie zu suchen!“, sagte sie entschlossen. Wir suchten überall: am Eisladen, am Teich, am Sportplatz und sogar am kleinen Baumhaus am Wegrand. Aber nirgends war sie zu finden. Wir liefen wie zwei verrückte Hühner durch den Park und über den Spielplatz. „Es ist zwecklos“, seufzte Natalie, „du solltest nach Hause gehen, deine Mutter anrufen und ihr alles erzählen.“ Ich nickte müde und wir trotteten langsam zum Parkausgang. Plötzlich rief Natalie: „Pssst! Hörst du das auch? Da weint doch jemand!“ Ich horchte genauer hin. Und tatsächlich. Da weinte wirklich jemand! „Es kommt aus den Büschen, da neben dem Ausgang!“, rief ich aufgeregt. Ich dachte: Vielleicht ist es ja Tiziana!

Wir schlichen hin und schauten durch die Zweige. Und tatsächlich. Es war Tiziana! „Tiziana!“, rief ich erleichtert, „da bist du ja!“ Ich hob sie auf und nahm sie in die Arme. Sie schmiegte sich hinein und schlief sofort ein. Ich flüsterte Natalie zu: „Danke, dass du mir geholfen hast, Tiziana zu finden.“ „Gern geschehen. Dafür ist eine Freundin da. Ich muss jetzt los. Bis morgen!“ „Bis morgen“, antwortete ich und ging erleichtert nach Hause.

Am Abend fragte ich Tiziana: „Warum bist du weggerannt?“ Sie antwortete mir: „Ich habe einen süßen Hund gesehen: Er war weiß, knuffelig und hatte zottelige Haare. Ich wollte ihn streicheln, aber dann rannte er plötzlich weg. Ich lief hinterher, aber plötzlich war er verschwunden. Und dann wusste ich nicht mehr, wo ich war! Zum Glück habt ihr mich dann gefunden!“

Ich drückte sie fest an mich und versprach ihr, von nun an besser auf sie aufzupassen.

Amelie Burger

Fragen im Kopf

Es war bereits später Abend, als er seine Augen wieder öffnete. Mit Verwunderung nahm er die vielen Schläuche wahr, die mit Nadeln an seinen Venen angeschlossen waren. Er blickte um sich und erkannte, dass er sich in einem Krankenhaus befand. Geräusche lebenserhaltender Maschinen summten durch den Raum. Ab und zu ein leises Flüstern.

Eine Krankenschwester kam sofort zu ihm und teilte ihm mit, was passiert war. Ihre Worte waren klar und verständlich, und dennoch konnte er wenig damit anfangen. Er war vollgepumpt mit Schmerzmitteln und hatte Schwierigkeiten, das Gesagte zu verarbeiten. Erschöpft schlief er ein.

In der Nacht wurde er einige Male durch unangenehme Blutdruckmessungen geweckt, die Medikamente zwangen ihn aber wieder zum Einschlafen.

Es wurde Morgen. In der Hoffnung, sich in einem Traum befunden zu haben, öffnete er seine Augen. Derselbe Ort, dieselben Schläuche, dasselbe Bett. Der einzige Unterschied bestand darin, dass das Licht von Halogenlampen den Raum erhellte und immer wieder Ärzte und Schwestern hektisch vorbeieilten.

Er fasste sich an den Kopf. Er wollte unbedingt wissen, ob es wahr war, was ihm die Nachtschwester gesagt hatte. Er tat sich schwer, diese Tatsachen mit sich und seiner Person in Verbindung zu bringen.

Keine Haare. Verbandsmaterial. Ein weiterer Schlauch, der in den Verbandshelm zu führen schien. Enttäuscht ließ er seinen Arm auf die Bettdecke fallen und starrte ins Nichts.

Er ließ die Ereignisse des vergangenen Tages Revue passieren. Oder das, was davon noch in seinem Gedächtnis war.

Turnunterricht.

Ellenbogen.

Schläfe.

Schwarz vor Augen.

Stehaufmännchen.

Kopfschmerzen. Starke Kopfschmerzen.

Tränen.

Ohnmacht.

Er lag regungslos auf dem Krankenbett und fühlte sich verloren. Zu viele Fragen schwirrten ihm durch den Kopf, und er war nicht imstande, nur eine einzelne davon zu verarbeiten, geschweige denn zu beantworten.

Dies sollte noch eine lange Zeit in Anspruch nehmen. Wenig später durften ihn seine Eltern besuchen. Ihnen fiel ein großer Stein vom Herzen, als sie sich mit eigenen Augen davon überzeugen konnten, dass es ihm gut ging. Schließlich waren sie es, die die ganze Zeit bei vollem Bewusstsein gewesen waren, und der Hilflosigkeit am meisten ausgesetzt. Für sie war es eine Zeit der qualvollen Ungewissheit gewesen, und ihn jetzt mit offenen Augen und einem kleinen Lächeln auf den Lippen zu sehen, war eine große Erleichterung. Er war froh, dass sie bei ihm waren. Sie gaben ihm ein Gefühl der Sicherheit. Auch wenn die hohe Dosis an Schmerzmitteln seine Sinne und Wahrnehmung etwas trübten, begriff er dennoch, dass er sich nun etwas glücklicher fühlte als kurz zuvor.

Er fragte seine Mutter: „Kann ich morgen nach Hause?“ Sie lächelte und entgegnete: „Nein, leider nicht. Du wirst noch eine Zeit lang hier bleiben müssen.“ Das kleine Lächeln auf seinen Lippen verschwand plötzlich. Er hatte Schwierigkeiten sich damit abzufinden, in den nächsten Wochen Ruhe geben zu müssen. Natürlich. Er konnte die Schwere des Unfalls und dessen Folgen kaum einschätzen. Er musste sich auch darüber belehren lassen.

Bald nachdem sich seine Eltern verabschiedet hatten, überkam ihn die Müdigkeit und er schlief ein. Tief und fest. Eine weitere Nebenwirkung der Schmerzmittel.

Als er wieder wach wurde, fragte er eine von den vielen Stationsschwestern, wie spät es sei. Mittagszeit. Doch das Essen blieb aus. Genauso wie die Mahlzeiten am Abend und am Morgen davor. Doch das kümmerte ihn nicht. Er würde sowieso nichts essen, er hatte keinen Appetit.

Wer trug die Schuld daran?

Natürlich, die Schmerzmittel.

Ohne Pause gingen ihm dieselben Fragen durch den Kopf. Warum? Er hatte immer noch keine Antwort. Zu viel geschah rund um ihn herum. Und dann war da noch diese Atmosphäre. Eine etwas andere Atmosphäre als jene, die ihm aus einigen wenigen Krankenhausbesuchen in Erinnerung geblieben waren.

Er hatte das Gefühl, der Tod läge in der Luft.

Als wäre er jederzeit bereit, sich jemanden zu holen.

Glücklicherweise wurden diese Gedanken von einer etwas unangenehmen Blutabnahme unterbrochen. Wie konnte er aber auch wissen, wie zutreffend jene Gedanken waren? Er hatte keine genaue Vorstellung davon, wie lebensgefährlich die Rolle war, die er in diesem Stück spielte.

Sein Kopf fühlte sich schwer an. Er konnte ihn kaum anheben. Bei jeder kleinsten Bewegung hatte er das Gefühl, ein Zug würde durch sein Gehirn rattern. Ihm war klar: Was ihm am Abend zuvor die Krankenschwester mitgeteilt hatte, musste der Grund dafür sein.

Er ließ jedes einzelne Wort durch seinen Denkapparat gleiten. Er konnte das Gesagte zerteilen, sobald er aber die Stücke zusammensetzte, bildete sich kaum ein fassbares Ganzes. Da war ein Schlag gewesen und der hatte alles weitere ausgelöst. Mehr konnte er nicht sagen. Noch war er zu schwach, um eine passable Geschichte zu formulieren, die alles erklären würde.

Er schlief wieder ein.

Sie kam am Nachmittag. In Wahrheit war sie schon am Tag davor da gewesen, doch er war zu diesem Zeitpunkt anderweitig beschäftigt gewesen. Zu jenem Zeitpunkt hatte er nicht selbstständig geatmet. Und er hatte geschlafen. Tief und fest.

Jetzt jedoch konnte er sie wieder sehen und freute sich darüber. Auf nichts hatte er mehr gehofft als darauf, sie zu sehen. Endlich war es so weit. Sie weinte vor Freude, als sie sah, dass er wohlauf war, und ihm wurde in dem kurzen Moment klar, dass er froh sein konnte, wach zu sein.

Er würde sich später an jenen Moment erinnern.

Am darauffolgenden Tag wurde er verlegt. Noch immer war die Menge an Schmerzmitteln in seinem Körper sehr hoch, und er bekam nur einen Teil davon mit, was um ihn herum geschah. Er wurde in ein Zimmer verlegt, das er mit anderen Personen teilen musste. Zum ersten Mal nach drei Tagen befand er sich wieder in einem Raum, der von Tageslicht erhellt wurde. Und er sah eine Vielzahl von Personen, die sich den Raum mit ihm teilten. Angehörige anderer Patienten, Schwestern, Ärzte, Putzfrauen.

Doch eines fiel ihm auf. Keiner von all jenen, die in einem Bett lagen oder sich auf dem Gang befanden, trugen einen solchen Verbandshelm wie er. Bei einigen war überhaupt nichts zu sehen, andere hatten ein etwas kleineres Pflaster am Kopf. Doch nirgends konnte er jemanden sehen, der gleich vermummt war wie er. Er war sehr verwundert darüber.

Im Nachgrübeln hatte er eine Antwort gefunden. Eine Antwort, die ihm wohl auf längere Zeit hin bewusst machen würde, wie wertvoll das Leben ist. Wie sehr man es genießen muss. Wie sehr man froh darüber sein sollte, gesund zu sein. Denn ihm war klar, dass ihm wahrscheinlich etwas überaus Schlimmeres zugestoßen sein musste als den anderen Patienten um ihn herum.