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Herr Kirchhoff, im Mittelpunkt Ihres neuen Romans „Die Liebe in groben Zügen“ steht das Ehepaar Vila und Renz, das schon lange miteinander lebt. Nun scheint die Beziehung der beiden von außen und innen bedroht, Vila verliebt sich in einen anderen, Renz beginnt ebenfalls eine Affäre – ist die Ehe ein schwieriger Ort für die Liebe?

Bodo Kirchhoff: Ja, das ist sie. Da die Vergänglichkeit hier offenkundig wird. Jede Liebe ist in sich tragisch, weil sie Zeit bedeutet und damit das Vergehen von Zeit, und die Frage ist, wie man diesen Prozess anhalten kann. Vila und Renz sind auf der Suche nach Glück. Beide stürzen sich in Liebschaften, weil sie hier das Zeitliche leichter ausblenden und das Glück erfahren können. Jede dieser Liebesgeschichten ist ein Versuch, der Zeit zu entrinnen. Doch die eigentliche Sehnsucht besteht darin, das gemeinsam erfahren zu können.

Bisher führten die beiden ein gutes Leben, mit einer großen Wohnung in Frankfurt, einem Ferienhaus am Gardasee, guten Freunden, interessanten gemeinsamen Projekten. Warum funktioniert dieses Konzept nun auf einmal nicht mehr?

BK: Das Motiv für die ganzen Bemühungen ist natürlich, die eigene Identität zu finden, aber auch, den eigenen Lebensstil zu finanzieren. Sie leben ja eigentlich etwas über ihre Verhältnisse, deshalb bleiben sie in diesem Hamsterrad, das ständig in Bewegung ist. Das ist aber gleichzeitig Ablenkung von den ehelichen Dingen, und natürlich wird auch die persönliche Eitelkeit durch den Erfolg der beiden gefüttert. Doch Renz träumt von einem großen, seriösen Drehbuch, und Vila wird langsam zu alt für ihre Sendung, wir sind also an einem Punkt der Krise dieses Rads. Man hat die Dinge, die man sich leisten wollte und man kann sich nicht mehr ablenken. Das ist auch eine Altersfrage, die Tochter ist aus dem Haus, das heißt die automatischen Verpflichtungen fallen weg. Es gab den Traum vom zweiten Kind, der aber nicht erfüllt wurde, und so fehlt ihnen plötzlich die gemeinsame Aufgabe.

Welche Rolle spielt der Außenseiter Bühl, der das Sommerhaus in Italien über den Winter mietet und in den sich Vila verliebt, im Moment der privaten Krise?

BK: Er ist die Person, die von Außen hinzukommt. Er ist zunächst der Wintermieter, der verschlossen bleibt. Der Leser weiß mehr über ihn, aber für Vila und Renz wird er leicht zur Projektionsfläche, sie können in ihn alles hinein interpretieren. Bühl fasziniert Renz und noch mehr bietet er Vila Raum für ihre Sehnsüchte. Doch ihre Erwartungen werden enttäuscht, Vila muss feststellen, dass er niemand für die Dauer ist, dass er die Unbedingtheit, die sie sucht, nicht geben kann.

Was findet Renz in seiner Affäre mit Marlies?

BK: Er ist wie Vila auf der Suche nach Intensität, findet diese aber nicht, wie er es sich vorgestellt hat, sondern ist plötzlich mit dem Tod konfrontiert. Eigentlich will er nur eine Affäre, keine Grenzerfahrung. Renz findet, was Vila sucht. Und deshalb redet er auch offen darüber.

Sie schreiben zum ersten Mal aus der Perspektive einer Frau. Was hat sich für Sie beim Schreiben verändert?

BK: Zunächst wollte ich aus der Perspektive von Bühl erzählen, doch habe ich festgestellt, dass das nicht geht. Mir war lange nicht klar, auf wessen Seite ich mich schlagen soll, habe dann aber gespürt, dass ich am Weitesten komme durch die Perspektive der Frau. Das war eine große Erfahrung, wie schwer das am Anfang war und wie überraschend leicht nach dem ersten Ansatz. Die Schlüsselszene im Gotthard-Tunnel habe ich sehr spät geschrieben, hier war ich eins mit Vila.

Wie gestaltete sich die Arbeit an diesem Roman?

BK: Die Anfänge liegen sieben Jahre zurück, vor vier Jahren habe ich das Thema wieder aufgegriffen, aber alles war noch offen. Klar war nur, es wird ein Eheroman. Und es gab diese Urszene, wo Vila und Renz über den See fahren und es ist die letzte Bootsfahrt des Jahres, das war eine Art Nukleus. Und dann war es tatsächlich ein langwieriger Prozess, bis das Gebäude dann irgendwann stand.

Bühl schreibt ein Buch über Franz von Assisi und seine unmögliche Liebe zu der Nonne Klara, welche Rolle spielt dessen Geschichte für ihren Roman?

BK: Zum einen ist Franz von Assisi mit dem Ort, dem Gardasee, verbunden, zum anderen kam es bei ihm zu dieser radikalen Umkehrung von einem bedenkenlosen Leben zu einer Existenz im Dienste Gottes, die mich immer schon interessiert hat. Er war nie ein Kostverächter, nur ging er ab einem bestimmten Zeitpunkt ganz anders damit um. Die Suche nach irdischem Glück, die vorhanden, aber eigentlich mit seinem Leben unvereinbar ist – hier sehe ich die Parallele zur Ehe. Franz war eigentlich mit dem Himmel verheiratet, aber es blieb ein Rest, eine Sehnsucht nach etwas anderem, die nicht legitim war.

Geht es gut aus für die Liebe?

BK: Jede der Figuren im Roman macht eine Erfahrung, die sie prägt und ihr die Grenzen des Erlebbaren in der Liebe aufzeigt. Die Sehnsucht bleibt, aber der Glaube daran, nochmal ein ganz anderes Leben, eine Alternative zu leben – dieser Zahn ist gezogen.

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(c) Laura J Gerlach

Die Fragen stellte Sina Witthöft, FVA
August 2012