4. Märchen vom Ritter Iwan, dem Bauersohne.

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In einem Dorfe lebte ein unbemittelter Bauer mit seiner Frau. Drei Jahre hatten sie keine Kinder, aber das vierte Jahr wurde seine Frau schwanger und gebar einen Sohn, dem sie den Namen Iwan gaben. Der wurde fünf Jahr alt und konnte noch nicht gehen. Vater und Mutter wurden traurig und beteten zu Gott, daß er ihrem Sohne gesunde Füße geben möchte, aber so viel sie auch beteten, er mußte sitzen und konnte seine Füße nicht brauchen drei und dreißig Jahre lang.

Eines Tages ging der Bauer mit seiner Frau in die Kirche zur Messe; da kam um dieselbige Zeit ein Bettler an das Fenster ihrer Hütte und bat Iwan, den Bauersohn, um ein Almosen. Iwan, der Bauersohn, antwortete: »Ich möchte dir ein Almosen geben, aber ich kann nicht von der Stelle aufstehen.« – Da sprach zu ihm der Bettler: »Stehe auf und gib mir Almosen, deine Füße sind gesund und geheilt.«

Iwan, der Bauersohn, stand den Augenblick auf von seinem Sitze und wurde sehr froh, daß seine Füße gesund waren. Er rufte den Bettler in seine Hütte und gab ihm zu essen. Darauf bat ihn der Bettler um einen Trunk Bier, und Iwan, der Bauersohn, ging sogleich und brachte Bier, aber der Bettler trank es nicht, sondern befahl ihm, das volle Gefäß zu leeren, und er trank es aus bis auf den Grund. Da fragte ihn der Bettler: »Nun, Iwanuschka, wie viel Kraft fühlst du jezt in dir?« – »Sehr viel!« antwortete ihm Iwan. »So lebe wohl nun!« sprach darauf der Bettler und verschwand. Und Iwan blieb in großer Verwunderung stehen.

Bald darauf kamen sein Vater und seine Mutter, und als sie ihren Sohn gesund sahen, verwunderten sie sich und fragten ihn, wie er sich von seiner Krankheit befreit habe. Da erzählte ihnen Iwan Alles, und die Alten meinten, das sei kein Bettler, sondern ein heiliger Mensch gewesen, der ihn von der Krankheit befreit, und sie fingen an, zu schmausen und sich lustig zu machen. Iwan aber ging, seine Kraft zu versuchen; er kam in den Küchengarten, ergriff eine Stange, stieß sie bis in die Mitte in den Boden und redete so stark, daß das ganze Dorf sich umdrehte. Dann ging er in die Hütte zurück und wollte von seinen Aeltern Abschied nehmen und um ihren Segen bitten. Da begannen die Alten bitterlich zu weinen und baten ihn, er möchte wenigstens eine kurze Zeit noch bei ihnen weilen; aber Iwan achtete ihrer Thränen nicht und sprach: »Wenn ihr mich nicht fortlassen wollt, so werde ich von selbst gehen.« Da segneten ihn die Aeltern, und Iwan, der Bauersohn, betete, verneigte sich nach allen vier Seiten und nahm Abschied von Vater und Mutter. Darauf ging er vom Hofe aus rechts, und er ging, wo seine Augen gerade hinsahen, und wanderte zehn Tage und zehn Nächte. Da kam er in ein Reich; aber kaum war er in die Stadt getreten, als sich ein großes Geschrei und Getöse erhob, worüber der Zar also erschrak, daß er befahl auszurufen, wer dieses Getöse beseitigen würde, der solle seine Tochter zur Gemahlin erhalten, und ihr wolle er das halbe Reich als Mitgift geben.

Als Iwanuschka dies vernahm, begab er sich auf den Zarenhof und befahl dem Zaren zu melden, daß er dieses Getöse beseitigen wolle. Der Thorwächter hörte dies, ging zu dem Zaren und sagt' es ihm. Der Zar befahl sogleich, Iwan, den Bauersohn, zu ihm zu rufen, und als er zu ihm kam, sprach der Zar: »Mein Freund, ist es wahr, wessen du dich gegen den Thorwächter berühmt hast?« – »Ja, es ist wahr, ich habe mich dessen gegen ihn berühmt,« antwortete Iwan, der Bauersohn, »und verlange von dir weiter nichts dafür, als daß du mir das schenkst, was dieses Getöse verursacht.« – Da sagte der Zar mit Lächeln: »Recht gern, nimm es, wenn du es brauchen kannst.« Iwan, der Bauersohn, verneigte sich vor dem Zaren und ging von ihm.

Er kam zu dem Thorwächter und verlangte von ihm hundert Mann Arbeitsleute. Der Thorwächter gab ihm sogleich, was er verlangt hatte. Da nahm sie Iwan, der Bauersohn, und befahl vor dem Schlosse ein Loch zu graben. Und als die Arbeiter die Erde ausgeworfen hatten, erblickten sie eine eiserne Thüre mit einem kupfernen Ring. Diese Thür hob Iwan auf mit einer Hand und sah ein Ritterroß mit Pferdegeschirr und Ritterrüstung, und als das Roß einen seiner würdigen Reiter erblickte, fiel es vor ihm auf die Knie und sprach mit Menschenstimme: »Ei sieh da! du guter Jüngling, Iwan Bauersohn, mich hat der starke Ritter Lukopero hier hereingestellt, ich harre deiner gerade drei und dreißig Jahre und konnte dich kaum erwarten. Setze dich auf mich und reite, wohin dir nöthig ist, ich will dir treu und ehrlich dienen, wie ich meinem starken und berühmten Ritter Lukopero gedient habe.« Da sattelte Iwan, der Bauersohn, sein gutes Roß, gab ihm einen Zügel von gewirktem Bande, legte ihm einen tscherkassischen Sattel auf und schnallte ihm zehn Gurte um, von schemachanischer Seide. Er setzte sich auf dieses Roß und schlug es auf die Hüfte, und das Roß ergrimmte und erhob sich von der Erde höher, als der Wald, Berge und Thäler ließ es zwischen seinen Füßen, mit seinem Schweife bedeckte es große Flüsse, aus seinen Ohren ließ es dichten Dampf gehen, aus den Nasenlöchern Flammen. Da kam Iwan, der Bauersohn, in eine unbekannte Gegend und ritt in ihr gerade dreißig Tage und dreißig Nächte, und gelangte in's chinesische Reich. Hier stieg er ab von seinem guten Rosse und ließ es ins freie Feld laufen. Er selbst ging in die Stadt und kaufte sich eine Blase, zog sie über den Kopf und ging um den Zarenhof. Da fragten ihn die Leute, von wannen er gekommen wäre, was er für ein Mensch sei, welches Vaters und welcher Mutter Sohn. Er aber antwortete auf alle ihre Fragen nur: »Ich weiß nicht.« Da hielten ihn alle für einen Narren und erzählten von ihm dem chinesischen Zaren. Der Zar ließ ihn zu sich rufen und fragte ihn, von wo er herkäme und wie er sich nenne. Aber er antwortete auch dem Zaren: »Ich weiß nicht.« Darauf befahl der Zar, ihm vom Hofe fortzujagen. Aber es begab sich, daß da ein Gärtner war, welcher den Zaren bat, er solle ihm diesen Narren übergeben, damit er ihn bei der Gartenarbeit brauchen könne. Und der Zar überließ ihm den Iwan. Der Gärtner nahm ihn und führte ihn in den kaiserlichen Garten und befahl ihm, den Garten zu reinigen. Er selbst aber ging hinweg.

Iwan, der Bauersohn, legte sich unter einen Baum und schlief ein. In der Nacht erwachte er und brach alle Bäume im Garten um. Früh morgens kam der Gärtner in den Garten und entsetzte sich, als er dieses sahe; er ging zu Iwan, dem Bauersohne, und fing an, ihn zu schimpfen, und fragte ihn, wer diese Bäume alle umgebrochen habe. Er aber antwortete ihm nur: »Ich weiß nicht.« Der Gärtner fürchtete sich, dies dem Zaren zu sagen; aber die Tochter des Zaren sah aus ihrem Fenster und wunderte sich über die Verwüstung und fragte den Gärtner, wer dies Alles gethan hätte. Der Gärtner antwortete, daß der »Ich weiß nicht« diese kostbaren Bäume zerbrochen habe, und bat zugleich, sie solle ihrem Vater nichts davon sagen, und versprach ihr, den Garten in bessern Zustand zu setzen, als er vorher war.

Iwan schlief die andere Nacht nicht, sondern trug aus dem Brunnen Wasser und begoß die zerbrochenen Bäume, und früh morgens fingen sie an zu wachsen, und als die Sonne erschien, schlugen sie aus und wurden noch besser, als vorher. Als der Gärtner in den Garten kam, erstaunte er über die Veränderung, aber er fragte nun schon nicht darnach den Ich weiß nicht, weil er von ihm niemals eine Antwort bekam. Als die Zarentochter erwacht, von ihrem Lager aufgestanden war und in den Garten blickte, sah sie ihn in besserm Zustande, als vorher, und ließ deßwegen den Gärtner zu sich rufen und fragte, wie es zugegangen, daß der Garten wieder in so kurzer Zeit in so guten Zustand gekommen. Der Gärtner antwortete: er könne dies selbst nicht begreifen, und daraus erkannte die Zarentochter große Weisheit in dem Ich weiß nicht. Von dieser Zeit an liebte sie ihn mehr, als sich, und schickte ihm Essen von ihrem Tisch.

Der chinesische Zar hatte drei Töchter, die schön waren; die älteste hieß Duasa, die mittelste Skao, die jüngste, welche sich in Iwan, den Bauersohn, verliebt hatte, hieß Lotao. Eines Tages berief der Zar alle seine Töchter zu sich und sprach zu ihnen: »Meine lieben Töchter, schöne Prinzessinnen, es ist nun die Zeit gekommen, da ihr euch ehelich verbinden sollt, und ich habe euch vor mich gerufen, um euch zu sagen, daß ihr euch aus benachbarten Ländern Prinzen zu Bräutigamen erwählt.« Die zwei ältesten nannten sogleich zwei von ihnen geliebte Zarewitschs, und die jüngste fing an, ihren Vater mit Thränen zu bitten, daß er sie dem Ich weiß nicht zur Frau geben möchte. Der Zar erstaunte, als er dies von seiner Tochter hörte, und sagte alsdann: »Bist du von Sinnen gekommen, meine Tochter, daß du den Narren Ich weiß nicht zum Manne haben willst, der kein Wort sprechen kann?« – »Laßt ihn immer einen Narren sein,« antwortete sie ihm, »aber ich bitte Euch, mein Herr Vater, erlaubt, daß ich ihn zum Manne nehme.« »Wenn du nicht anders willst,« sprach der Zar sehr traurig, »so nimm ihn meinetwegen.« Bald darnach schickte der Zar nach den Prinzen, welche seine ältesten Töchter zu Bräutigamen gewählt hatten, und sobald diese die Einladung erhielten, kamen sie eiligst nach China, und nach ihrer Ankunft wurden sie alsbald mit den Prinzessinnen verheirathet. Eben so wurde auch die Prinzessin Lotao mit Iwan, dem Bauersohne, getraut, und ihre ältesten Schwestern lachten über sie, daß sie einen Narren zum Manne genommen hatte.

Bald darauf fiel ein großes Heer in dieses Reich ein, und der Ritter Polkan verlangte von dem Zaren seine geliebte Tochter, die schöne Lotao, zur Gemahlin. Er drohte ihm und sagte, wenn er ihm nicht seine Tochter zur Gemahlin gäbe, so würde er sein Reich mit Feuer verheeren, und sein Heer mit dem Schwerte, den Zaren und die Zarin in's Gefängnis werfen, und die Tochter mit Gewalt nehmen. Als der Zar diese Drohungen von dem Ritter Polkan hörte, erschrak er sehr und befahl sogleich sein ganzes Heer zu versammeln; da es ganz versammelt war, stellte es sich dem Ritter Polkan unter Anführung der Prinzen entgegen. Und die beiden Heere begannen zu kämpfen, wie zwei furchtbare Gewitterwolken, und der Ritter Polkan schlug das Heer des chinesischen Zaren. Um diese Zeit kam die Prinzeß zu ihrem Manne Iwan, dem Bauersohne, und sprach zu ihm: »Mein lieber Freund Ich weiß nicht, man will mich dir rauben: in unser Reich ist der ungläubige Ritter Polkan mit seinem Heere eingefallen und schlägt unser Heer mit seinem schrecklichen Schwerte. Iwan, der Bauersohn, sagte zur Prinzeß, sie sollte ihn in Ruhe lassen, sprang zum Fenster hinaus, rannte in's freie Feld und rief mit seiner Heldenstimme:

»Siwka Burka! he!
Frühlings-Lichtfuchs! steh!
wie das Blatt vor'm Grase, hier,
unverweilt vor mir!«

Das Roß rennt, daß die Erde bebt. Aus den Ohren stiegen Dämpfe, aus den Nüstern Flammen: Iwan, der Bauersohn, kroch in ein Ohr, verkleidete sich und wurde ein so wackerer Bursche, daß man es gar nicht mit der Feder beschreiben und nicht im Märchen erzählen kann. Er ritt auf das Heer des Ritter Polkan und hieb ein mit seinem Schwert auf das Heer, trat es nieder mit dem Rosse und verjagte es aus seinem Reiche. Da kam der chinesische Zar zu Iwan, dem Bauersohne, erkannte ihn nicht, und bat ihn zu sich in das Schloß; aber er antwortete ihm: »Ich bin nicht dein Knecht und will dir nicht dienen.« Als er diese Worte gesprochen, ritt er fort von ihm, ließ sein Roß in das freie Feld laufen, ging zurück in das Zarenhaus, schlich sich wieder durch's Fenster hinein, legte sich schlafen und zog wieder seine Blase über den Kopf. Der Zar gab ein allgemeines Fest für diese große Freude, und es währte einige Tage, bis Ritter Polkan auf's Neue mit dem Heere in sein Reich einfiel und wieder die jüngste Tochter mit den vorigen Drohungen zu seiner Gemahlin forderte. Der Zar befahl sogleich wieder, sein Heer zu sammeln, und schickte es aus, gegen Polkan zu fechten. Aber Polkan schlug das Heer wieder. Um diese Zeit ging Lotao abermals zu ihrem Manne, und sprach: »Man will mich dir wieder rauben.« Iwan Bauersohn schickte sie abermals fort, sprang zum Fenster hinaus, eilte in's freie Feld, rufte wie das vorige Mal sein Roß, setzte sich auf, ritt auf das Heer Polkan's, fing an einzuhauen und verjagte es auch bald aus dem Reiche. Der Zar näherte sich ihm wieder und bat ihn zu sich in das Schloß. Aber er hörte nicht auf ihn, ritt hinweg, ließ sein Roß in's freie Feld laufen, kam nach Hause und legte sich schlafen. Der Zar gab wieder ein Festgelag wegen des Sieges über Polkan, aber er dachte immer, was das für ein Held sein möge, der sein Reich so beschützte und das Heer Polkan's niederschmetterte.

Nach einiger Zeit fiel Polkan mit seinem Heere zum dritten Male in das Reich und forderte die Zarentochter Lotao zur Frau mit größern Drohungen. Da befahl der Zar abermals, ein Heer zu sammeln und gegen Polkan auszuschicken. Als beide Heere grimmig kämpften und Polkan die chinesische Macht zu schlagen anfing, da ging die Prinzeß Lotao zu ihrem Manne und sagte ihm, daß sie Polkan ihm rauben wolle. Iwan Bauersohn entfernte sich in Eile, sprang aus dem Fenster und lief in's freie Feld, wo er mit seiner Ritterstimme sein Roß rufte. Er setzte sich auf und ritt fort nach dem Heere Polkan's. Da sprach das Roß mit Menschenstimme: »Ach, Iwan Bauersohn, jezt ist für mich und dich ein schwerer Dienst gekommen; wehre dich soviel als möglich und stehe fest vor Polkan, sonst wirst du sammt dem ganzen chinesischen Heere umkommen.« Da setzte er sein Roß in Wuth, ritt auf Polkans Macht und fing an einzuhauen. Als Polkan sah, daß sein Heer geschlagen wurde, gerieth er in Zorn und überfiel Iwan, den Bauersohn, wie ein ergrimmter Löwe, und es stritten die beiden gewaltigen Helden, daß das ganze Heer sie anstaunte. Sie fochten lange Zeit, und Polkan verwundete Iwan, den Bauersohn, in die linke Hand. Da ergrimmte Iwan Bauersohn, richtete seinen scharfen Wurfspieß auf ihn, und durchbohrte sein Herz. Dann schlug er ihm das Haupt ab und verjagte den ganzen Ueberrest des Heeres aus China. Er trat vor den chinesischen Zaren, und dieser verbeugte sich vor ihm bis zur Erde, und lud ihn ein zu sich in das Schloß. Die Prinzeß Lotao sah Blut an seiner linken Hand, verband ihn mit ihrem Tuche, und bat ihn zu sich in das Schloß, aber Iwan Bauersohn hörte sie nicht und trabte hinweg. Er ließ sein Roß in das freie Feld laufen und ging selbst schlafen. Da befahl der Zar abermals ein großes Festgelag zuzubereiten. Die Zarentochter Lotao ging zu ihrem Manne und wollte ihn wecken; aber sie konnte ihn nicht erwecken. Da erblickte sie plözlich auf seinem Haupte, von dem die Blase abgefallen war, goldene Haare. Sie wurde sehr dadurch überrascht, trat näher zu ihm und erkannte ihr Tuch an seiner linken Hand, mit dem sie die Wunde des Siegers verbunden hatte, und nun wußte sie, daß er es gewesen, der drei Mal den Ritter Polkan besiegt und zuletzt getödtet hatte, lief sogleich zu ihrem Vater, führte ihn in ihre Schlafkammer und sprach: »Sehet, Herr Vater, Ihr habt zu mir gesagt, ich habe einen Narren geheirathet; betrachtet genau seine Haare und diese Wunde, die er von Polkan bekommen hat.« – Da erkannte der Zar, daß er es gewesen, der sein Reich drei Mal von dem Einfall des Ritter Polkan befreit hatte, und wurde sehr erfreut darüber. Sobald Iwan Bauersohn erwachte, nahm ihn der Zar bei seinen weißen Händen, führte ihn in seinen Pallast, dankte ihm für die Befreiung von dem Ritter Polkan, und da er schon alt war, setzte er die Krone auf das Haupt Iwan's, des Bauersohnes. Dieser bestieg den Thron und herrschte friedlich, und lebte mit seiner Gemahlin viele Jahre in großer Liebe und Einigkeit, und sie beschlossen ihr Leben im Glücke.

6. Geschichte von dem berühmten und tapfern Ritter Ilija, dem Muromer, und dem Räuber Nachtigall.

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In der berühmten Stadt Murom, in dem Kirchdorfe Karatscharowa, lebte ein Bauersmann, namens Iwan Timofejewitsch. Der hatte einen geliebten Knaben Ilija, den Muromer. Dieser saß und konnte nicht gehen dreißig Jahre lang; da fing er an, gesund auf den Füßen zu wandeln und fühlte in sich große Kraft, machte sich eine kriegerische Rüstung und einen stählernen Spieß, sattelte sein Ritterroß, ging zu seinem Vater und zu seiner Mutter, und bat sie um ihren Segen: »Mein Herr Vater und meine Mutter, entlaßt mich, damit ich in der berühmten Stadt Kiew zu Gott bete und den Fürsten von Kiew begrüße.« – Sein Vater und seine Mutter gaben ihm den Segen, nahmen ihm einen schweren Eid ab und sprachen: »Gehe gerade in die Stadt Kiew, gerade in die Stadt Tschernigof, und thue kein Unrecht auf deinem Wege, vergieße nicht umsonst christliches Blut.« Ilija, der Muromer, empfing den Segen von Vater und Mutter und betete zu Gott. Dann nahm er Abschied von beiden Aeltern, machte sich auf den Weg und ging so weit in einen finstern Wald, bis er auf ein Lager von Räubern traf. Die Räuber erblickten Ilija, den Muromer, in ihren Herzen entbrannte räuberische Lust zu seinem ritterlichen Roß, und sie sprachen unter einander: »Lasset uns das Roß wegnehmen, denn es ist so schön, wie wir es noch nirgends gesehen, und jetzt sitzt auf so gutem Rosse ein unbekannter Mensch.« Und sie begannen Ilija, den Muromer, anzuhalten zu fünf und zwanzig Mann. Ilija, der Muromer, hielt sein Ritterroß an, nahm aus seinem Köcher einen trockenen Pfeil, legte ihn auf den straffen Bogen und schoß den trockenen Pfeil ab, auf den Boden, daß er drei Arschinen weit die Erde aufriß. Als die Räuber dies sahen, entsetzten sie sich, traten in einen Kreis zusammen, fielen auf die Knie und sprachen: »Herr, unser Vater, kühner, guter Jüngling, wir sind schuldig vor dir; für unsere so große Schuld nimm Schätze so viel dir beliebt, und bunte Kleider und Roßheerden, so viel dir gefällig.« Ilija lächelte und sprach: »Was soll ich mit euren Schätzen machen? Wenn ihr aber am Leben bleiben wollt, so wagt in Zukunft so etwas nicht wieder.« – Und er zog seine Straße der berühmten Stadt Kiew zu, und kam vor die Stadt Tschernigof, und bei dieser Stadt stand ein heidnisches Heer, so stark, daß man es nicht zählen konnte, und sie wollten die Stadt Tschernigof zerstören, die Gotteshäuser in die Luft sprengen, und den Fürsten und Wojewoden von Tschernigof selbst lebendig in die Sklaverei abführen. Vor dieser Macht erschrak Ilija, der Muromer; aber er warf alle seine Sorgen auf den Allerhöchsten und entschloß sich, sein Haupt für die christliche Religion hinzugeben. Er fing an, das ungläubige Heer mit dem Wurfspieße zu schlagen, zerstreute das ganze Heer, nahm den Fürsten des ungläubigen Heeres gefangen, und führte ihn in die Stadt Tschernigof. Da kamen ihm die Bürger Tschernigof's entgegen; voran ging der Fürst und Wojewode von Tschernigof selbst. Sie dankten ihm, und mit ihnen zugleich brachte er seinen Dank Gott dem Herrn dar, daß er der Stadt Rettung geschickt und nicht gestattet hatte, daß sie vertilgt werde, von einer so ungläubigen Macht.

Sie führten Ilija, den Muromer, in den Pallast, bereiteten einen großen Schmaus, und entließen ihn alsdann. Da ritt Ilija, der Muromer, nach Kiew, die gerade Straße, welche der Räuber Nachtigall seit dreißig Jahren inne hatte, und wo er weder Reiter noch Fußgänger vorüberziehen ließ, indem er sie tödtete, nicht mit Waffen, sondern mit seinem räuberischen Pfeifen. Ilija, der Muromer, kam in das freie Feld und ritt in den Brianskischen Wald, den er in der Ferne erblickte, auf morastigen Strecken, über Brücken von Wasser-Hollunder zu dem Flusse Smarodienka. Aber der Räuber Nachtigall ahnete sein nahes Unglück, und als Ilija, der Muromer, noch zwanzig Werst weit von ihm entfernt war, ließ er sein starkes räuberisches Pfeifen erschallen. Allein das Heldenherz erschrak nicht, und als er noch zehn Werst weit von ihm war, da pfiff er so stark, daß das Roß unter Ilija, dem Muromer, auf die Knie stürzte. Da gelangte Ilija, der Muromer, an sein Nest, das auf zwölf Eichen gebaut war, und der Räuber Nachtigall erblickte den russischen Helden, pfiff aus aller Kraft und wollte ihn tödten. Ilija, der Muromer, aber nahm seinen straffen Bogen ab, legte auf ihn einen trockenen Pfeil, ließ ihn fliegen in das Räubernest und traf den Räuber in das rechte Auge. Der Räuber Nachtigall fiel aus seinem Neste herab wie eine Hafergarbe.

Ilija, der Muromer, nahm den Räuber Nachtigall, band ihn fest an seinen Steigbügel, und ritt zur berühmten Stadt Kiew. Auf dem Wege stand der Pallast des Räubers Nachtigall, und als er bei diesem vorüber ritt, sahen aus den offenen Fenstern die Töchter des Räubers. Da schrie die jüngste: »Dort kommt unser Vater geritten und bringt einen Bauer, an seinen Steigbügel gebunden.« Aber die älteste betrachtete ihn genau und fing an bitterlich zu weinen. »Das ist nicht unser Vater, der dort reitet, sondern ein unbekannter Mensch führt unsern Vater.« Und sie schrieen ihren Männern zu: »Unsere lieben Männer, reitet diesem Bauer entgegen, und entreißt ihm unsern Vater! Laßt keine Schande über unsern Stamm kommen!« – Ihre Männer waren mächtige Ritter. Sie ritten aus gegen den russischen Ritter und hatten gute Rosse und scharfe Lanzen und wollten Ilija aufspießen. Der Räuber Nachtigall erblickte sie und sprach zu ihnen: »Meine lieben Schwiegersöhne, ladet keine Schande auf euch und erzürnet nicht einen so starken Ritter, damit er nicht auch euch tödte. Bittet ihn lieber, daß er zu euch ins Haus komme und ein Glas Branntwein trinke.« Auf ihre Bitten kehrte Ilija im Pallaste ein, ohne ihre Bosheit zu ahnen, denn die älteste Tochter hatte einen Ballen an Ketten über der Thüre aufgezogen, um ihn zu erschlagen, wenn er durch das Thor ritte. Ilija aber erblickte sie über der Pforte, schlug sie mit seiner Lanze und tödtete sie. Darauf ritt er nach Kiew und gerade auf den Fürstenhof, ging in den Pallast, betete zu Gott und begrüßte den Fürsten. Der Fürst von Kiew fragte ihn: »Sage mir, guter Jüngling, wie du heißest, und aus welchem Reiche du bist?« – »Ich werde Iljuschka genannt, mein Herr, und nach dem Vater Iwanow, und bin gebürtig aus dem Kirchdorfe Karatscharowa der Stadt Murom.« Der Fürst fragte ihn darauf, welchen Weg er geritten sei. »Aus Murom bin ich nach Tschernigof geritten und habe bei Tschernigof ein zahlloses Heer von Ungläubigen geschlagen und die Stadt befreit; von da bin ich auf dem geraden Wege weiter gezogen und habe den gewaltigen Helden, den Räuber Nachtigall, gefangen, und ihn auch mit mir, am Steigbügel gebunden, hieher gebracht.« Aber der Fürst wurde zornig und sagte: »Warum betrügst du mich?« – Als dies die Helden Alescha Popowitsch und Dobrinja Nikititsch hörten, eilten sie hinaus, um sich zu überzeugen, und sie versicherten sich, daß er die Wahrheit geredet. Da befahl der Fürst, dem guten Jüngling ein Glas Branntwein zu geben, und der Fürst hatte Lust, das Pfeifen des Räubers zu hören. Da nahm Ilija, der Muromer, den Fürsten und die Fürstin mit in seinen Zobelpelz unter seine Arme, und befahl dem Räuber Nachtigall halblaut zu pfeifen; aber er pfiff ganz laut und betäubte alle Ritter, daß sie zu Boden stürzten. Darüber wurde Ilija, der Muromer, so aufgebracht, daß er ihn auf der Stelle tödtete.

Dann machte er mit Dobrinja Nikititsch brüderliche Freundschaft. Sie sattelten ihre guten Rosse, ritten hinweg, und zogen drei Monate umher, ohne einen Gegner zu finden. Da trafen sie einen Krüppel; sein Bettlermantel war 50 Pud schwer, sein Hut wog 9 Pud, und sein Krückenstock war eine Klafter lang. Da begann Ilija, der Muromer, auf ihn loszusprengen, um an ihm seine Heldenkraft zu versuchen, aber der Krüppel sprach zu ihm: »Ach Ilija Muromer, erinnerst du dich nicht mehr, wie wir in einer Schule zusammen lesen lernten, und jezt willst du mich, einen Krüppel, anfallen, wie einen Feind? Und weißt du denn nicht, daß in der berühmten Stadt Kiew großes Elend herrscht? Ein ungläubiger gewaltiger Ritter, ein gottloser Götzendiener, ist dahin gekommen; sein Kopf ist so groß, wie ein Bierkessel, seine Augenbraunen sind eine Spanne von einander, und in den Schultern mißt er eine Klafter. Er frißt einen Ochsen auf ein Mal und trinkt einen Kessel voll Bier dazu aus. Der Fürst ist sehr betrübt über deine Abwesenheit.« – Und Ilija, der Muromer, zog die Kleider des Krüppels an, ritt nach Kiew, ging gerade auf den Fürstenhof und schrie mit seiner Ritterstimme: »He da, Fürst von Kiew, schicke dem Krüppel ein Almosen!« Als ihn der Fürst erblickte, sprach er: »Komme in meinen Pallast, ich will dir zu essen und zu trinken geben und dich mit Gold beschenken auf den Weg.« Da trat der Krüppel in das Zimmer und setzte sich an den Ofen. Hier saß auch der Götzendiener und verlangte zu essen. Da brachte man ihm einen ganzen gebratenen Ochsen, und er fraß ihn sammt den Knochen auf. Dann verlangte er zu trinken, und 27 Menschen brachten einen Kessel voll Bier. Da nahm er ihn am Henkel und leerte ihn bis auf den Grund. Darauf sprach Ilija, der Muromer: »Mein Vater hatte eine gefräßige Stute, die verzehrte so viel, daß sie verreckte.« Da ergrimmte der Götzendiener und sprach: »Was bindest du mit mir an, du armer Krüppel? Du bist für mich nichts: ich setze dich auf die flache Hand und drücke mit der andern, so wird es nur feucht sein. Ihr habt einen großen Helden gehabt, Ilija, den Muromer, mit dem möchte ich einen Kampf bestehen.« – »Hier ist er!« sprach dieser, nahm seinen Hut ab, und schlug ihn damit an den Kopf, nicht zu sehr, aber doch so, daß der Kopf die Mauer des Schlosses durchstieß. Ilija nahm dann auch den Rumpf und warf ihn auf den Hof. Dafür belohnte ihn der Fürst reichlich und behielt ihn an seinem Hof als den ersten und gewaltigsten Ritter.

1. Märchen von Ljubim Zarewitsch, von der schönen Prinzeß, seiner Gemahlin, und vom geflügelten Wolfe.

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In einem Reiche, in einer Herrschaft lebte ein Zar, namens Elidar Elidarowitsch, mit seiner Gemahlin Militissa Ibrahimowna; die hatten drei Söhne: der älteste Sohn hieß Aksof Zarewitsch, der mittelste Hut Zarewitsch und der jüngste Ljubim Zarewitsch. Und sie wuchsen nicht nach Tagen, sondern nach Stunden; und als der älteste Sohn zwanzig Jahr alt war, fing er an, seine Aeltern um Erlaubnis zu bitten, in andere Königreiche zu reisen und eine schöne Prinzeß für sich zur Gemahlin zu suchen. Die Aeltern willigten darein, gaben ihm ihren Segen und entließen ihn nach allen vier Seiten. Nicht lange nach der Abreise Aksof's bat auch Hut Zarewitsch seine Aeltern, ihn zu entlassen, und Zar Elidar und die Zarin Militissa entließen auch Hut Zarewitsch mit größtem Vergnügen. Und so reiste auch Hut Zarewitsch ab, und sie wanderten lange Zeit, daß endlich nichts mehr von ihnen zu sehen und zu hören war und sie für verloren gehalten wurden.

Als Zar Elidar mit der Zarin Militissa sich sehr über sie betrübte und weinte, bat auch ihr jüngster Sohn Ljubim Zarewitsch, sie möchten ihn entlassen, damit er seine Brüder aufsuche. Darauf sagte Zar Elidar und seine Zarin Militissa zu ihm: »Du bist noch jung und kannst eine so weite Reise nicht aushalten. Wie sollten wir dich übrigens auch entlassen, da du als der einzige Sohn uns übrig geblieben bist? Wir sind schon bei Jahren; wem sollten wir unsere Krone aufsetzen?« – Dennoch ließ sich ihr Sohn Ljubim Zarewitsch nicht abweisen, sondern blieb standhaft bei seinen Worten und sprach: »Es ist mir nöthig, Menschen zu sehen und mich ihnen zu zeigen, und wenn es geschieht, daß ich den Thron besteige, darf ich daran schon nicht mehr denken, sondern nur, wie ich das Volk anständig beherrschen soll.«

Als Zar Elidar und Zarin Militissa so gute Worte hörten von ihrem Sohne Ljubim, waren sie überaus erfreut, und erlaubten ihm zu reisen, doch nicht auf lange Zeit und nur unter der Bedingung, daß er sich mit Niemandem einlasse und sich in keine großen Gefahren begäbe. Und so sann er, als er entlassen war, wo er ein Ritterroß für sich finden und eine Ritterrüstung sich verschaffen sollte, und darüber nachsinnend ging er in die Stadt. Dort begegnete ihm eine alte Frau und sagte zu ihm: »Warum gehst du so traurig, mein lieber Ljubim Zarewitsch?« – Er mochte darauf keine Antwort geben und ging bei der alten Frau vorbei, ohne ein Wort zu sagen; aber dann bedachte er, daß alte Leute ja mehr wissen müssen, kehrte um, ging fort und holte die alte Frau ein, die ihm begegnet war. Und Ljubim Zarewitsch sprach zu ihr: »Ich habe es bei dem ersten Begegnen verschmäht, dir zu sagen, worüber ich bekümmert bin; aber im Weitergehen fiel mir ein, daß alte Leute mehr wissen müssen.« – »Das ist's eben, Ljubim Zarewitsch,« sprach zu ihm die Alte, »freilich soll man nicht vor alten Leuten fliehen. Sage, worüber grämst du dich denn? Sag' es mir, dem alten Mütterchen.«

Und nun sagte Ljubim Zarewitsch zu ihr: »Ich habe kein gutes Roß und keine Ritterrüstung, aber ich muß weit reisen und meine Brüder aufsuchen.« – Die Alte gab ihm darauf zur Antwort: »Was soll man denken? Es ist ein Roß und eine Ritterrüstung auf eurer verbotnen Wiese hinter zwölf Thüren, und dieses Roß liegt an zwölf Ketten. Dort auf der Wiese ist auch ein Schlachtschwert und eine ganze Ritterrüstung.« –

Als Ljubim Zarewitsch dieses gehört und der Alten Dank gesagt hatte, ging er äußerst erfreut gerade auf die verbotene Wiese. Als er an den Ort kam, wo das Roß stand, war er unschlüssig: Wie soll ich diese Thüre zerbrechen? Allein er versuchte es und zertrümmerte eine Thüre, und das Roß erkannte durch den Geruch einen tüchtigen Jüngling und fing an seine Ketten zu zerreißen, und es zerriß sie alle, und so zerschlug Ljubim Zarewitsch drei Thüren, und das Roß zertrümmerte die letzten. Darauf erblickte Ljubim Zarewitsch das Roß und die Ritterrüstung, legte die Ritterrüstung an und ließ das Roß auf die Wiese. Er selbst aber ging zu seinem Vater, dem Zaren Elidar, und zu seiner Mutter, der Zarin Militissa, und sprach folgende Worte: »Nach der Entlassung von euch war ich sehr traurig wegen eines Rosses und einer Ritterrüstung, da ich nicht wußte, wo ich sie hernehmen sollte. Aber eine alte Frau sagte und zeigte mir, wo ich dies Alles finden könnte, und so habe ich es gefunden. Jetzt aber bitte ich euch um euren Segen zur Reise.« Darauf gaben ihm die Aeltern den Segen und er reiste ab auf seinem guten Rosse.

Er begab sich auf den Weg und kam an einen Ort, wo drei Wege zusammentrafen; in der Mitte aber stand eine Säule und auf ihr befanden sich drei Inschriften, welche lauteten, wie folgt: »Wer auf die rechte Seite geht, der wird satt sein, aber sein Roß wird hungern; wer aber gerade aus geht, der wird selbst Hunger leiden und sein Roß wird satt sein, und wer auf die linke Seite geht, der wird von dem geflügelten Wolfe getödtet werden.« – Ljubim Zarewitsch überlegte und ging zu Rathe, und er wurde mit sich einig, auf keine andere Seite zu gehen, als auf die linke, um entweder getödtet zu werden oder den geflügelten Wolf zu tödten und denen, welche diese Straße zogen, Freiheit zu geben. Und so ging er auf die linke Seite und reiste weiter auf der Straße. So gelangte er in das freie Feld, schlug sich ein Zelt auf und machte Halt, um auszuruhen, als er plözlich im Westen den geflügelten Wolf fliegen sah. Ljubim Zarewitsch stand sogleich auf, legte seine Ritterrüstung an und setzte sich auf das Roß. Und Ljubim Zarewitsch traf zusammen mit dem geflügelten Wolfe, und der Wolf schlug Ljubim Zarewitsch mit seinen Flügeln so schmerzlich, daß Ljubim Zarewitsch nachdenkend wurde, aber er ließ sich nicht aus dem Sattel werfen. Da ergrimmte Ljubim Zarewitsch und ward hitzig und schlug den geflügelten Wolf mit seinem Schlachtschwerte, daß er halb todt auf die Erde fiel und fühlte, sein rechter Flügel sei verletzt und er könne nicht mehr fliegen. Nachdem er sich aber wieder etwas erholt hatte, sagte er mit Menschenstimme zu Ljubim Zarewitsch: »Bringe mich nicht um, ich werde dir nützlich sein und dir dienen als dein getreuer Knecht.« Und Ljubim Zarewitsch sprach zu ihm: »Weißt du nicht, wo meine Brüder sind?« Darauf antwortete ihm der Wolf, sie seien längst ermordet; aber dann fügte er hinzu: »Wir werden sie wieder erwecken, wenn wir die schöne Prinzeß gewonnen haben.« – Und Ljubim Zarewitsch fragte: »Wie sollen wir die schöne Prinzeß gewinnen?« – »Nun sieh,« sagte der Wolf zu ihm, »wir erhalten sie so: du lässest dein Roß hier« – »Wie soll ich ohne Roß sein?« fragte ihn Ljubim Zarewitsch. »Nun sieh, hör' mich nur aus,« sprach der Wolf: »ich werde zum Rosse und trage dich; aber dieses dein Roß taugt nicht zum Dienste, weil bei dieser schönen Prinzeß von den Stadtmauern Saiten nach allen Glocken in der Stadt gezogen sind, und deßhalb ist es auch nöthig, daß wir sie überspringen, damit keine, auch nicht die kleinste Saite berührt wird, sonst werden wir gefangen.« – Ljubim Zarewitsch sah ein, daß der Wolf recht sprach, gab seine Einwilligung und sagte: »Wolan!«

Und so gelangten sie an die weißsteinerne Mauer und Ljubim Zarewitsch erschrak, als er sie erblickte. »Wie ist's möglich, diese hohe weißsteinerne Mauer zu überspringen?« sprach er zum Wolfe. Darauf sagte der Wolf folgende Worte: »jetzt fällt es mir noch nicht schwer, sie zu überspringen, aber von dort aus wird es Mühe machen, denn du wirst dich mit Liebesangelegenheiten beschäftigen und dadurch schwer werden; aber es ist dir nöthig, dich in lebendigem Wasser zu baden und auch für deine Brüder etwas davon mit dir zu nehmen, und ebenfalls todtes.«

Darauf übersprangen sie glücklich die Stadtmauer, ohne sie zu berühren. Ljubim Zarewitsch machte im Schlosse Halt und ging zur schönen Prinzeß an den Hof. Und als er in das erste Gemach kam, fand er eine Menge schlafende Kammermädchen und dachte, ob die Prinzeß nicht dort sei; allein er fand sie nicht. Deßhalb ging er in's zweite Zimmer, dort schliefen ihre überaus schönen Gesellschafterinnen; auch da war die Prinzeß nicht. Darum ging Ljubim Zarewitsch in's dritte, und dort sah er die Prinzeß schlafen, und sein ganzes Herz wurde von ihrer Schönheit entflammt; er verliebte sich heftig in die schöne Prinzeß und fing an, sie zu küssen und wollte sich nicht trennen von ihr; allein er bedachte, daß man ihn fangen würde, wenn er verweilte, und ging in den Garten, um todtes und lebendiges Wasser zu holen. Er badete sich in dem lebendigen Wasser und nahm in einer Blase lebendiges und todtes Wasser mit sich und ging zu seinem Wolfe. Als er auf dem Wolfrosse saß, sagte der Wolf zu ihm: »Du bist sehr schwer geworden. Wir können nicht, wie das vorige Mal über die Mauer springen, wir stoßen an und wecken alle auf. Sie werden uns verfolgen, aber du wirst sie erschlagen, und wenn du sie erschlagen hast, so gib dir Mühe, ein weißes Roß zu fangen: ich helfe dir dann kämpfen, und sobald wir an unser Zelt kommen, so nimm dein Roß, ich aber reite auf diesem weißen Rosse, und wenn wir alle ihre Krieger getötet haben, so wird sie selbst zu dir kommen und sagen, du möchtest sie zur Frau nehmen, denn sie wird von heftiger herzlicher Liebe zu dir entbrennen und von dir gefesselt werden.«

Als sie über die hohe Mauer setzen wollten, berührten sie die Saiten und plözlich erhob sich Glockenklang in der Stadt und Trommelschlag, und alle Menschen erhoben sich und jeder lief auf den Hof mit seinen Waffen; andere öffneten den Thorweg, damit der schönen Prinzeß kein Unglück widerfahre. Die Prinzeß selbst erwachte und sah, daß ein Jüngling bei ihr zu Besuch gewesen, und sie befahl, sogleich Lärm zu machen, damit sich Alles bei ihr im Pallaste versammelte. Da kamen berühmte und starke Ritter zusammen, und sie sprach zu ihnen: »Ach! ihr starken Ritter, gehet und holet diesen Jüngling ein und bringt mir seinen Kopf, damit seine Verwegenheit bestraft werde.«

Darauf antworteten ihr die starken Ritter: »Wir werden nicht ruhen, bis wir ihn zerhauen und dir seinen Kopf gebracht haben, wenn er auch ein Heer bei sich hätte.« Darauf entließ sie die Prinzeß und ging hinauf in's Erkerzimmer und sah nach ihrem Heere und nach jenem Ritter, welcher gewagt hatte, im Geheimen an ihren Hof zu gehen und sie im Schlafe zu liebkosen.

Als Lärm gemacht wurde, war Ljubim Zarewitsch auf seinem Wolfrosse schon so weit fortgeritten, daß er bereits die Hälfte von der Stadt bis zu seinem Zelte zurückgelegt hatte, ehe sie ihn einholten. Als er sah, daß sie ihn erreichten, drehte er sich um gegen sie auf seinem Wolfrosse und wurde ergrimmt, da er auf dem Felde eine solche Menge Ritter erblickte. Und sie fingen an sich zu schlagen und Ljubim Zarewitsch erlegte nicht so viele mit seinem Schwerte, als sein Roß niedertrat, und er erschlug beinah alle kleine Ritterlein. Und Ljubim Zarewitsch erblickte einen einzelnen Ritter, der gegen ihn auf einem weißen Rosse ansprengte, und Ljubim Zarewitsch erschlug auch ihn, dessen Kopf war wie ein Bierkessel, und nachdem Ljubim Zarewitsch alle erschlagen hatte, nahm er das weiße Roß und setzte sich darauf, den Wolf aber ließ er ausruhen. Nachdem sie ausgeruht hatten, begaben sie sich zu ihrem Zelte.

Die schöne Prinzeß, welche sah, daß er allein eine solche Menge bezwungen hatte, ließ ein noch größeres Heer sammeln und schickte es ab. Sie selbst begab sich wieder ins Erkerzimmer.

Aber Ljubim Zarewitsch kam an sein Zelt; da verwandelte sich der Wolf in Menschengestalt und wurde ein tüchtiger Ritter, als man es sich nicht denken, nicht vorstellen, nur im Märchen erzählen kann. Als das Heer der schönen Zarewna anzurücken begann, setzte sich Ljubim Zarewitsch mit seinem Gefährten, dem Wolfritter, zu Rosse und erwartete ihre Ankunft. Da aber das Heer der schönen Zarewna zahllos war, so befahl Ljubim Zarewitsch dem Wolfe, auf dem linken Flügel zu sein, er selbst begab sich auf den rechten, und sie machten sich fertig: dann stürzten sie sich auf die Krieger der Zarewna und begannen sie zu erschlagen, wie man Heu mäht, und so schlugen sie alle nieder, daß auf dieser Stelle nur zwei übrig blieben: der Wolf und Ljubim Zarewitsch. Nach diesem so gewaltigen Siege sprach der tapfere Wolf zu Ljubim Zarewitsch: »Sieh, da kommt jetzt die schöne Zarewna selbst und wird dich bitten, sie zur Frau zu nehmen: nun ist nichts mehr von ihr zu fürchten. Ich habe mein Vergehen durch meine Tapferkeit und meinen Beistand gesühnt, und so entlaß mich nun in mein Reich.« – Ljubim Zarewitsch dankte ihm für seine Dienste und Rathschläge, entließ ihn und nahm Abschied.

Als sie Abschied genommen hatten, verschwand der Wolf. Ljubim Zarewitsch sah, daß die schöne Prinzeß zu ihm kam, und Ljubim Zarewitsch freute sich und ging ihr entgegen, nahm sie bei den weißen Händen, küßte sie auf den Zuckermund, drückte sie an das stürmische Herz und sprach zu ihr die holden Worte: »Wenn ich dich nicht liebte, meine schöne und theuere Zarewna, so wäre ich jezt nicht mehr hier und hätte abreisen können; aber ich wußte, daß deine Macht nichts vermöge, und an deinem Heere habe ich es dir bewiesen.« Da begann die schöne Zarewna folgende Rede. »Ach du berühmter Ritter: Du hast meine ganze Macht überwunden und berühmte starke Degen, auf welchen meine ganze Hoffnung stand, und bei mir in der Stadt ist es öde. Deßhalb will ich zu dir gehen, damit du mir ein Schützer seist und mein Reich nicht untergehe.«

Darauf entgegnete ihr Ljubim Zarewitsch: »Mit Freuden nehme ich dich zur Gemahlin, und ich werde dir ein Schützer sein und dein Reich und deine Stadt nicht zu Grunde gehen lassen.«

So mit einander sprechend gingen sie in das Zelt und fingen dort an zu schmausen und sich zu liebkosen. Den folgenden Tag standen sie frühe auf, setzten sich zu Rosse und reisten ab nach dem Reiche Elidar's. Auf dem Wege sprach Ljubim Zarewitsch: »Ach du schöne Zarewna, ich hatte zwei ältere Brüder, und nun muß ich ihren Staub aufsuchen, denn sie zogen vor mir aus und wollten dich gewinnen; aber hier auf der unwegsamen Straße sind sie getödtet worden, und wo sie liegen, weiß ich nicht; doch da ich von dir lebendiges und todtes Wasser genommen habe, so will ich sie wieder herstellen; sie können in keiner großen Entfernung vom Wege sein, und so reise du gerade zur Säule mit den Inschriften; dort mache Halt und erwarte uns. Wir werden nicht zögern, zu dir zu kommen.«

Als dies Ljubim Zarewitsch gesagt hatte, trennte er sich von seiner schönen Zarewna, um den Staub seiner Brüder zu suchen, und er fand sie hinter Gesträuchen und besprengte sie mit todtem Wasser; da wuchsen sie zusammen; dann besprengte er sie mit lebendigem Wasser, und sie wurden lebendig und standen auf den Füßen, und Aksof und Hut Zarewitsch sprachen: »Ach! wie wir lange geschlafen haben.«