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Wyatt Earp
– Box 2 –

E-Book 6-10

William Mark
Mark William

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-910-8

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Golden Bill

Roman von William Mark

Dichter weißgelber Qualm zischte gleich einer quellenden Wolke hoch, als Harry Walker das glühende Eisen auf den Huf preßte. Stickiger Horngeruch zog durch das halboffene Tor in den Hof.

Walker mußte die schwierige Arbeit allein verrichten. Und er machte es gut und geschickt. Das Eisen war schnell aufgenagelt, geglättet und die Nagelspitzen abgezwickt.

Der Mann ließ den Pferdehuf auf den Boden gleiten, richtete sich auf und wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Es war schon eine harte Sache, wenn einem niemand half. Wie oft hatte der Small-Rancher Harry Walker alles liegen und stehen lassen wollen, um zurück nach dem Osten zu reiten, dahin, von wo er vor fünf Jahren hergekommen war.

Es war hart, dieses Leben hier im Westen. Hart und bitter. Kansas schien keine Menschen auf seinen Weiden dulden zu wollen – Kansas, oder Bill Cumberland. Es gab wohl im Umkreis von fünfhundert Meilen keine Ranch wie die Cumberland-Ranch. Überall im Land, wo man sich umsah, erblickte man Rinder, die den C-Brand auf der linken Hinterhand trugen. Und wenn man einen Reitertrupp auf den Wegen begegnete, so war er gewiß von der C-Ranch. Die Small-Rancher waren einzelne Leute; da konnte sich keiner eine Crew leisten. Es wäre nicht weiter wichtig gewesen, wenn die Männer von der C-Ranch friedliche Menschen gewesen wären. Aber sie waren nicht nur hart, stolz und unduldsam, sie waren auch ungerecht, rauh und ließen allzu deutlich die Absicht erkennen, daß sie jeden im Land zum Teufel wünschten.

Nein, es war kein leichtes und gutes Leben, hier oben auf den grünen Plains zwischen Wichita und Abilene.

Walker stemmte die behaarten Fäuste in die Hüften und betrachtete den neuen Huf des Braunen. Dann machte er sich mit einem brummigen Laut daran, das nächste Eisen zu schmieden. Das helle Ping-Ping des Hammers drang hinaus über den Hof. Als der Mann das glühende Eisen in der Zange hatte und eben mit der Linken den nächsten Huf auf seine Oberschenkel zerrte, riß ihn ein scharfer Ruf herum.

»Verbrenn’ dir nicht die Pfoten, Walker!«

Der Rancher warf nur einen kurzen Blick auf die beiden Reiter, die unweit des Schuppentores mitten in dem kleinen Hof hielten – dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.

Die beiden warteten, bis er den Huf aufgesetzt hatte, dann meinte der eine nörgelnd: »Es ist gut, daß du deinen Gaul beschlägst, Walker. Er wird bald frische Eisen nötig haben.«

Walker gab keine Antwort. Er hatte noch die Zange in der Hand, während er jetzt die beiden Reiter stumm und eingehend musterte. Der Small-Rancher war ein Mann in den Vierzigern, gezeichnet von einem harten, arbeitsreichen Leben, hager und groß.

Die Männer vor ihm in den Sätteln sahen anders aus. Der eine war breit in den Schultern wie ein Preisringer, hatte ein rauhes, pockennarbiges Gesicht und rauchgraue Augen, die etwas zu weit auseinanderstanden, und er hatte einen kalten, abschätzenden Blick. Die Nase war breit und kurz, der Mund aufgeworfen und ebenfalls breit. Wuchtig schob sich das Kinn nach vorn, verriet eine harten Willen, und dem Kenner verriet es auch, daß der Mann brutal war. Breit, sehnig und stark zog sich der Hals in den gewaltigen Rumpf. Unter dem schwarzen Stetson sah gelbliches Haar hervor. Der Mann trug eine schwarze Lederweste und ein blaues Kattunhemd. Um den Bund der engen Lewishose, saß ein patronengespickter Waffengurt, der an der rechten Seite im blankgeölten Halfter einen Hart-clave-Colt hielt. Der Mann war ein Cowboy, wie er im Buche stand. Seine kantigen Hände, die lässig die Zügelleinen hielten, zeugten von harter Sattelarbeit. Am Sattelknauf waren die tiefen Narben und Risse zu sehen, die das Lasso bei der Weidearbeit hinterlassen hatte. Auch das Pferd dieses Cowboys verriet von dieser Arbeit.

Der zweite Reiter unterschied sich von dem ersten sehr. Er war auch breitschultrig, aber schmal in den Hüften, hatte ein bleiches, hartes, hageres Gesicht mit hochstehenden Wangenknochen, die indianisches Blut verrieten. Die Augen lagen in engen Schlitzen und blickten tiefdunkel und merkwürdig schimmernd auf den Small-Rancher. Der Mann trug ein weißes Hemd, eine Samtschleife, schwarze Jacke und schwarze Hose, die in engen, blanken Texasstiefeln steckten. Um die Hüften trug er einen doppelten, gekreuzten Waffengurt mit tiefhängenden Halftern, aus denen die Knäufe zweier beschlagener Colts vom Kaliber Western 44 hervorsahen.

Harry Walker wußte genau, wen er da vor sich hatte. Er kannte die beiden Besucher, wie sie jeder hier im Lande kannte. Der blonde Bursche war Mac Hayley, der Vormann der rauhen Cumberland-Ranch. Und der düstere Bursche neben ihm war Ted Seroon, ein Revolverschwinger aus Abilene, den sich der wohlhabende Rancher Bill Cumberland für seine Mannschaft angeworben hatte. Der Anblick des Coltman genügte meistens, die Wünsche Big Bills durchzusetzen.

Mac Hayley stützte sich mit dem linken Ellenbogen über das Sattelhorn und grinste breit. »Das weißt du doch, Walker, daß der Gaul die frischen Eisen bald nötig hat?«

Walker rieb sich das Kinn. »Nein, Hayley, das weiß ich nicht.«

Der Vormann feixte. »Holly gee! Aber aufgesetzt hast du sie schon. Das ist das Wichtigste.« Plötzlich richtete er sich auf. Das Lachen war aus seinem Gesicht gefallen und hing nur noch dünn in den Mundwinkeln. »Du wirst hier verschwinden, Walker!«

Der Small-Rancher legte den Kopf ein wenig auf die Seite. »Verschwinden?«

»Ja, die Cumberland-Ranch braucht die Weide!«

»Meine Weide?«

»Gehört sie dir?«

»Ja, ich habe sie von Wim Termolen gepachtet.«

»Termolen?« meinte Hayley geringschätzig. »Der alte Dutch hockt schon seit Jahren im Lehnstuhl und kann sich nicht mehr rühren. Er hat alles Land an Bill Cumberland abgegeben.«

»Auch mein Land?«

»Alles!« versetzte der Vormann hart.

Walker zog die Brauen zusammen. »Das kann er nicht. Ich habe die Weide hier im Tal bis hinunter zum Black Hofe gepachtet, auf zehn Jahre. Es sind erst fünf Jahre verstrichen.«

»Die anderen fünf schenken wir dir. Du mußt weg, Brother. Es hat keinen Sinn. Du hast achtzig Rinder und drei Pferde. Damit kannst du hier nichts werden. Wenn Big Bill dich nicht wegjagte, würde es ein anderer tun. Der Hunger oder sonst jemand. Nimm also Vernunft an, Walker, und verschwinde.«

Der Small-Rancher legte den Kopf auf die Seite. »Das könnte euch so passen. Ihr habt sie ja alle vertrieben. Fast alle. Die Vaughams drüben auf den Plains, den kleinen Runnings, Lat Collins, Jesse Harris, Patterson und Askin. Mich kriegt ihr nicht weg, mich nicht, Pit Hartmann und Bob Hunter auch nicht!«

Der Vormann grinste wieder und sagte sanft: »Wir werden sehen, Walker. Der verdammte German Hartmann hat einen harten Schädel und glaubt mit seinen drei Söhnen so etwas wie eine preußische Armee darzustellen. Auch ihn werden wir ausräuchern...«

»Das wagt ihr nicht!« rief Walker erbost.

»Abwarten!«

»Er hat mit den Sioux um dieses Land gekämpft. Er ist wenigstens ebensolange hier wie Bill Cumberland!«

»Er wird verschwinden. Er und dein Freund Hunter auch. Und du mit!«

»Banditen!« fuhr es dem Rancher über die Lippen.

Die Augen des Revolvermannes Seroon wurden schmal. Seine Rechte rutschte am Gürtel längst auf das Colthalfter zu.

Hayley versetzte ruhig: »Sei vorsichtig, Brother. Es könnte mich die Lust anwandeln, dich windelweich zu schlagen!«

»Ja, das glaube ich, Hayley. Ich bin fast zwanzig Jahre älter als du. Noch vor zehn Jahren hätte ich Burschen wie dich in Stücke geschlagen. Verschwinde, sage ich dir!« Noch ehe der Vormann oder sein finsterer Begleiter zu einer Waffe hätten greifen können, hatte der Rancher neben sich hinter das Tor gegriffen und hielt plötzlich eine kurzläufige Flinte im Anschlag.

Ted Seroon starrte ungläubig auf den bläulich schimmernden Lauf der Waffe. Der Revolvermann war überrascht worden, weil er dem steif wirkenden Small-Rancher diesen schnellen Griff einfach nicht zugetraut hatte.

»Mach dein Maul zu, Seroon!« versetzte der Rancher grob. »Es könnte sein, daß sonst eines der Schrotkörner zwischen deine gelben Zähne fliegt. Und jetzt verschwindet, Boys; ich habe verdammt wenig Lust, mich mit solchem Gelichter länger herumzuärgern. Ich habe keine Angst!«

Hayley warf einen langen Blick auf die Schrotflinte. Dann schürzte er die Lippen und stieß einen leisen Pfiff aus. Langsam, unendlich langsam, wandte er den Gaul und ritt aus dem Hof hinaus.

Der Revolvermann folgte ihm wie ein Schatten.

Walker blickte ihnen eine Weile nach. Dann stieß er einen grimmigen Fluch aus. »Verdammte Bande!«

Er hatte eigentlich heute noch eine Menge tun wollen. Das Gatter neben der Scheune brauchte zwei neue Fenster. Eine Angel im Tor des Geräteschuppens war seit Tagen herausgesprungen. Der Fensterladen neben der Haustür war schon seit vergangener Woche entzwei; der Sturm hatte ihn mit solcher Wucht gegen die Hauswand geschmettert, daß er auseinandergeflogen war.

Aber Harry Walker hatte jetzt eine wichtigere Arbeit zu erledigen. Er sattelte den Braunen, schloß das Wohnhaus ab, saß auf und ritt hinter dem Haus nach Nordwesten davon.

*

Gegen Abend erst erreichte er die winzige Ranch Bob Hunters.

Der pausbäckige, bärtige Hunter kam ihm am Hoftor entgegen. »Hallo, Walker, was treibt dich denn so mitten in der Woche hierher?«

Walker berichtete dem Nachbarn von dem Besuch Mac Hayleys.

Dann packte Hunter seine Jacke, zog sie an und ging zum Stall hinüber.

»Wir reiten zu Hartmann!«

Walker nickte.

*

Mitten in der Nacht sahen die beiden Reiter von einer Anhöhe aus die dunklen Bauten der Hartmann-Ranch.

Sie waren bis auf Schußweite herangekommen, als ein harter Ruf sie zum Anhalten zwang.

»Wer seid ihr?«

»He, Jonny! Wir sind’s! Walker und Hunter! Wir müssen mit deinem Vater sprechen!«

Johnny, der jüngste Sohn des Ranchers, hielt Wache. Er löste sich darin mit seinen beiden Brüdern Pit und Charly ab.

Der Rancher war noch auf. Er saß in stummen Nachdenken vor seinem Tisch und blickte in die blakende Kerosinlampe. Als er die Schritte der Männer auf der Veranda hörte, stand er auf, riß eine alte Kentucky-Rifle von der Wand und ging zur Tür.

Er war ein riesiger Mann, dieser Deutsche. Hoch, eckig und stark. Die vielen Jahre, die er hier in diesem rauhen Land durchgestanden hatte, waren nicht wild genug gewesen, diesen knorrigen Mann zu beugen. Vor mehr als dreißig Jahren war er mit seiner Frau hierhergekommen. Er hatte das Land nach dem Heimstättengesetz von 1845 abgesteckt und erworben. Kurz bevor Bill Cumberland kam und das Land drüben im Südosten absteckte. Weites, hügeliges Weideland, auf dem viele tausend Rinder Platz hatten. Cumberland hatte dreimal soviel Acres abgesteckt. Der unersättliche Mann hatte damals seine drei Cowboys wochenlang unterwegs gehabt, um eine riesige Fläche abstecken zu lassen. Hartmann hatte sich nicht darum geschert. Dreißig Jahre lang nicht. Die Indianer hatten ihm fast zwei Jahrzehnte zu schaffen gemacht. Und ein Jahr nach dem großen Krieg hatte er sogar mit zweien seiner Söhne einen Ritt zur Cumberland-Ranch gemacht, weil er von einem Händler erfahren hatte, daß sich die Sioux dem Reich Big Bills genähert hatten. Sie kamen gerade richtig, um eine Horde Ogellalas aus der Flanke heraus anzugreifen, als sie zwischen den brennenden Ranchbauten hervor auf die Bewohner der Ranch eindrangen, die sich in dem Bunkhaus verschanzt hatten. Er war nie ein dankbarer Mann gewesen, der große Bill Cumberland. Und auch damals hatte es eben gereicht, dem Nachbarn kurz die Hand zu reichen.

Das alles war längst, längst vergessen. Big Bill war wirklich ein großer Mann geworden. Ihm gehörte eine gewaltige Ecke von Kansas, er hatte mehr Rinder als alle Ranches zwischen Wichita und Dodge zusammen, er war der König der Weide – und er wollte das auch wissen.

Nun genügten seine Weiden nicht mehr, nun mußte er die Nachbarn wegdrücken. Eine Reihe kleiner Ranchers hatte den Druck Cumberlands nachgegeben und ihr Land für einen Spottpreis an ihn verkauft. Walker und Hunter hatten dieses Ansinnen brüsk abgelehnt. Aber Big Bill gab nicht nach. Er drangsalierte die Small-Rancher, wo er nur konnte.

Pit Hartmann, Hunter und Walker besprachen sich bis in den grauenden Morgen hinein. Dann ritten die drei Rancher los.

Der Alte verhielt vor einem kleinen Hügel hinter dem Ranchhaus das Pferd und nahm den Hut von seinem grauen Kopf. Nachdenklich blickte er auf das Grab seiner Frau. Sie war bei dem letzten Angriff der Indianer ums Leben gekommen. Vor zehn Jahren. Und immer noch mußte er reiten, um seine Weide zu verteidigen. Es schien in diesem rauhen Land keinen Frieden geben zu wollen.

*

Sie ritten nach Florence, und als sie staubbedeckt auf schweißnassen Tieren vor dem Saloon Jeff Collin’s ankamen, wurden sie mit finsteren Blicken von den Bürgern Florences betrachtet. Schließlich waren sie Widersacher Big Bills, jenes Mannes, den man auch Golden Bill nannte.

Sie betraten den Saloon, bestellten drei Brandys, und dann nahm Hartmann Papier aus der Tasche, verlangte von dem Salooner einen Federhalter und Tinte, und er setzte schweigend ein Schriftstück in dreifacher Ausfertigung auf, das die beiden anderen unterzeichneten.

Anschließend bezahlten die stummen Gäste ihre Zeche und gingen zum Sheriff-Office hinüber.

Owen Kent war ein rundlicher Mann mit hellen Augen. Er blickte den drei Ranchern mit zusammengezogenen Brauen entgegen.

Owen Kent unterzeichnete den Kontrakt, den die drei Männer miteinander geschlossen hatten. Er mußte ihn unterzeichnen. Es gehörte zu seinen Pflichten als Sheriff, derartige Verträge amtlich zu beglaubigen. Und ebenso gehörte es zu seiner Pflicht, Schweigen darüber zu bewahren...

*

Zwanzig Meilen nördlich der Stadt trennte sich Hartmann von den beiden und ritt allein weiter.

Hunter und Walker hielten nach Nordosten zu.

Am späten Nachmittag erreichten sie die kleine Walker-Ranch... und hielten entsetzt ihre Pferde an.

Das Wohnhaus war bis auf den Boden niedergebrannt. Von den verkohlten Balken trieb der Wind grauschwarze Aschefetzen und ätzenden Brandgeruch herüber.

Harry Walker war bleich geworden. Mit zusammengekniffenen Lippen betrachtete er die Ruine seines Hauses.

Sie redeten kaum etwas, die beiden Männer. Wortlos machten sie sich an die Arbeit, fällten oben am Waldrand Bäume, zersägten sie, schälten sie aus der Rinde und errichteten im Schweiße ihres Angesichts ein neues Haus. Es fiel etwas kleiner aus als das alte, da Walker seinen ohnehin dürftigen Baumbestand schonen wollte.

Als der Nachbar schließlich wegritt, blickte Walker gedankenverloren hinter ihm drein. Er hatte ihm gesagt, daß er in acht Tagen auf einen Besuch hinüberkäme.

Aber er sollte den pausbäckigen, stämmigen Robert Hunter nicht mehr lebend wiedersehen...

Hunter lag mit durchschossener Stirn auf der Schwelle seines kleinen Wohnhauses. Seine alte Parkerbüchse lag neben ihm. Sie war leergeschossen. Mit einem Colt hatte Hunter nie umgehen können. Er war ein Viehzüchter gewesen, der aus dem Osten kam...

Walker stand fast eine halbe Stunde neben seinem toten Nachbarn, starrte mit leeren Augen auf dessen blutbeschmierte, schwere erdbraune Fäuste, die sich in den sandigen Boden vor dem Haus zu krallen schienen.

Dann schaufelte er dem toten Freund eine Grube, setzte ein Holzkreuz darauf und ritt wieder heim. Er konnte es jetzt nicht wagen, länger von seiner Ranch wegzubleiben.

Und er hatte gut daran getan. Denn noch in der gleichen Nacht bekam er Besuch.

Seit dem Brand schlief Walker hinten im Geräteschuppen. Obgleich er auch in dem neuen Haus schon ein Bett stehen hatte.

Durch ein winziges Fenster des Schuppens konnte er von seinem Lager den ganzen Hof übersehen.

Er lag schlaflos in dieser Nacht auf seinem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, als er plötzlich das unverkennbare Geräusch vernahm, das ein Pferdehuf verursacht, der mit einem Stein in Berührung kommt.

Walker richtete sich auf und blickte über den nächtlichen Ranchhof.

Richtig, da drüben hielten mehrere Reiter. Ihre Silhouetten waren deutlich gegen den Nachthimmel zu erkennen.

Walker zauderte nicht. Er nahm die Schrotflinte vom Boden hoch, stieß das Fenster auf und brüllte: »He, was gibt’s, Leute?«

Ein Revolver brüllte auf.

Die Kugel klatschte dicht neben Walkers Kopf ins Holz der Schuppenwand.

Und dann schoß Walker.

Zwei Männer schrien auf; ein Pferd wieherte schmerzlich.

Walker lud das Gewehr auf, lief hinten durch eine zweite Tür aus dem Schuppen heraus und feuerte den nächsten Schuß ab.

Die weite Streukraft des Schrots hatte eine verheerende Wirkung. Das Brüllen der nächtlichen Besucher bewies es zur Genüge.

Walker sah vier Reiter aus dem Tor davongaloppieren.

»Die haben erst mal genug«, murmelte er grimmig vor sich hin und legte sich dann bis in den grauenden Morgen auf die Lauer.

*

Am nächsten Vormittag ritt Harry Walker mit einem Brief hinüber zu der Poststation, die siebzehn Meilen entfernt im Osten in einer Talsenke lag. Da kam die Post von Abilene herunter nach Wichita vorbei. Sie hielt jeden zweiten Tag kurz vor Mittag bei den drei kleinen flachen Bauten, wechselte die Pferde, nahm etwaige Post mit und brauste weiter nach Süden.

Es war ein heißer Tag.

Walker ritt langsam auf die Station zu. Er hatte es nicht eilig, es war erst zehn Uhr. Die Post würde noch eine ganze Weile auf sich warten lassen.

Der Rancher schob sich den Hut ins Gesicht, wischte sich die kleinen glitzernden Schweißperlen von der Stirn und warf einen Blick auf den Corral hinüber, wo die Postpferde standen.

Plötzlich stutzte er. Eines der Tiere hatte einen Verband um den Hals. Einen richtigen Verband aus weißen Laken.

Walker ritt an den Corral heran, betrachtete das Tier eingehend und stieg schließlich aus dem Sattel.

Da das Pferd nahe am Gitter stand, konnte Walker den Verband genauer betrachten. Als er ihn etwas anheben wollte, schreckte ihn eine scharfe Stimme hoch.

»He, was wird das? Willst du etwa den Gaul stehlen?«

Walker wandte sich langsam um und blickte in das kalte Gesicht des Revolvermanntes Ted Seroon.

»Nein, gewiß nicht. Ich habe mir nur mal seinen komischen Verband angesehen.«

»Yeah – er hat Halsschmerzen.«

»Hoffentlich nicht von einer Schrotkugel«, versetzte Walker bissig.

Der Schießer lehnte an der Mauer im Schatten des weit vorspringenden Daches und feixte: »Wer weiß...«

Walker ging mit schweren Schritten an ihm vorbei in die Station.

Der Posthalter, ein hemdsärmeliger Mann mit sommersprossigem Gesicht und breiter Knollennase, begrüßte ihn mürrisch.

»Ich möchte einen Brief nach Wichita aufgeben.«

Der Stationshalter nahm das Schreiben entgegen.

»Sag mal, Jim – hast du dir jetzt einen Wächter zugelegt?« forschte Walker wie beiläufig.

Der Postmann vermied es, den Rancher anzusehen. »Wieso? Meinst du Seroon? Ich weiß nicht, was der will.«

Walker stopfte sich eine Pfeife. »Sei vorsichtig, Jim. Wo der Kerl auftaucht, stinkt’s. Good bye!«

Er ging hinaus zu seinem Pferd.

Als er im Sattel saß und nochmals zum Corral hinübersah, bemerkte er zu seiner Verwunderung, daß der Fuchs mit dem Verband verschwunden war. Und als der Rancher jetzt den Kopf wandte, fand er auch die Stelle leer, an der Seroon gelehnt hatte.

Walker warf einen zwinkernden Blick hinauf über das ansteigende Land nach Westen, nahm dann sein Gewehr aus dem Scabbard, legte es vor sich auf die Oberschenkel.

Sollte dieser elende bleichgesichtige Schießhund ihm etwa auflauern? Am Ende war es für Cumberland die bequemste Art, Leute, die ihm lästig waren, aus dem Weg räumen zu lassen. Dieser Ted Seroon arbeitete für Revolverlohn. Für diesen zweifellos sehr hohen Lohn mußte er dann auch alles erledigen, was sein Arbeitgeber von ihm forderte. Und Big Bill forderte offensichtlich den Tod derer, die ihm nicht gehorchten, das wußte Walker. Und er dachte an den ermordeten Bob Hunter, während er jetzt über die ansteigende Ebene nach Westen ritt.

*

Aber der Revolvermann Seroon lauerte nicht auf den Small-Rancher Harry Walker. Er war ein Stück nach Süden geritten, hinter einer Buschgruppe vom Pferd gestiegen, hatte sich ein großes rotes Dreieckstuch ums Gesicht gebunden, seinen Colt in die Rechte genommen und auf die Postkutsche gewartet.

Ganz dicht hatte er sie herankommen lassen, dann gab er einen Schuß ab.

Die Pferde hielten im Trab inne.

Der Kutscher riß die Arme hoch, als er den Banditen sah.

Seroon verlangte nur den obersten Postsack. Er packte das leichte Bündel mit den wenigen Briefschaften, verschwand im Gebüsch, sprang auf sein Pferd und ritt davon.

In der folgenden Nacht wußte man auf der Cumberland-Ranch, daß der Small-Rancher Harry Walker einen Brief nach Wichita geschickt hatte. Einen Brief, der an das Marshal-Office gerichtet war. Aber dieser Brief lag auf dem großen Tisch im Zimmer von Bill Cumberland.

*

Florence war eine kleine Stadt. Nicht viel anders als die anderen kleinen Zigarrenkisten-Städte, die überall die Eintönigkeit der Landschaft des Westens unterbrachen.

Es war am Nachmittag. Die Sonne hatte eine wahre Höllenglut auf die ausgedörrte Erde geschleudert. Der einzelne Reiter, der durch die Fronstreet Florences trabte, wirbelte den Staub yardhoch auf.

Der Mann war hochgewachsen, schlank, sehnig, hatte ein sonnenverbranntes, ernstes Gesicht, trug dunkle Kleidung und schwarze, kurze Stiefel.

Vor Collins-Saloon rutschte er aus dem Sattel seines Tupfschimmels, schlang die Zügelleine um den Querholm und ging langsam auf die Tür des Saloons zu. Er warf nur einen kurzen Blick auf den Mann, der neben der Pendeltür im Korbstuhl saß, dann betrat er den Schankraum.

Hatte es bisher den Eindruck gemacht, als ob die ganze Stadt schlafe, so wurde der Reiter hier eines anderen belehrt; der Saloon war brechend voll. Es gab an den Tischen keinen freien Platz mehr.

Der Fremde ging hinüber zur Theke, zwängte sich zwischen zwei Männer und bestellte einen Brandy.

Als der zwergenhafte Wirt ihm das Getränk hinschob, raunte ihm der Fremde zu: »Mister, wo kann ich hier Arbeit finden?«

Der Salooner warf einen prüfenden Blick über die Gestalt des Gastes. »Cowboy?« fragte er.

Der Fremde nickte.

»Hm, drüben am Tisch sitzt gerade Mac Hayley, er ist der Vormann der Cumberland-Ranch.«

Der Fremde warf eine kurzen Blick zu dem Tisch hinüber. Dann richtete er sich auf und ging auf Mac Hayley zu.

Der bullige Vormann saß mit Yul Potter, Hal Fallings, Tom Douglas und Ed Henderson beim Kreuz-Poker. Die Männer gehörten sämtlich zu seiner Crew. An der Wand hinter dem Tisch lehnten noch drei andere Cowboys von der C-Ranch und sahen dem Spiel zu. Buddy Moore, ein kleiner, feister Bursche mit rotem Haar und sichelkrummen Beinen stampfte zum Orchestrion hinüber und wollte es in Schwung bringen.

»Keine Musik!« Mac Hayleys Stimme schnitt wie ein zischender Lassowurf durch den großen Raum.

Buddy blickte zu seinem Vormann hinüber, dann schob er sich den mißfarbenen Hut ins Gesicht und stampfte an seinen Platz zurück.

Der Fremde stand drei Yards vor Hayley, tippte an den Rand seines Hutes und fragte: »Sie sind Mr. Hayley?«

Der Vormann zog ein Pik-As, schnippte es auf den Tisch und quetschte durch die Zähne: »Yeah? Was willst du?«

»Ich suche Arbeit.«

»Aha.« Hayley spielte ungestört weiter. Nach Minuten fragte er, ohne den Fremden anzusehen: »Sind Sie Weidemann?«

»Yeah.«

»Was können Sie?«

»Alles.«

Da packte der Vormann sein noch halbvolles Glas und schleuderte es mit den Ruf ›Fang auf‹ dem Fremden zu.

Der fing das Glas mit einer geschickten Handbewegung auf – aber den Whisky hatte er im Gesicht.

Hayley blickte ihn grinsend an. Sein Mund öffnete sich, seine gelben Zahnreihen schoben sich auseinander, und dann brach ein dröhnendes Lachen von seinen Lippen. »Er hat das Glas und den Schnaps aufgefangen! Ein tüchtiger Bursche!«

Die anderen Männer am Tisch stimmten in Hayleys Lachen ein. Und zögernd folgten schließlich auch diejenigen, die den Vorgang vielleicht gar nicht so lustig gefunden hatten.

Der Fremde allein blieb ernst. Gelassen sagte er, während er das Glas auf den Tisch stellte: »Wie steht es also mit der Arbeit?«

Hayley spreizte die Beine weit von sich und verlor das Lachen plötzlich.

Es erstarb im ganzen Raum.

»Arbeit? Für einen verdammten Satteltramp? Scher dich zum Teufel, Mann!«

Der Fremde zahlte an der Theke sein Getränk und ging zur Tür.

Draußen auf dem Vorbau saß immer noch der Mann im Korbstuhl. Als sich jetzt die Pendeltüren öffneten, warf er dem Fremden einen etwas nachdenklichen Blick zu. »He, Brother – du suchst Arbeit?«

Der Fremde wischte sich mit dem Rockärmel den Whisky aus dem Gesicht und musterte den Mann im Korbstuhl eingehender: Es war ein bleicher Mensch mit blassem, verkniffenem Gesicht und tiefliegenden dunklen Augen. Er trug ein blütenweißes Hemd und eine schwarze Samtschleife. An seinem gekreuzten Waffengurt hingen in den Halftern zwei elfenbeinbeschlagene Western 44 Colts.

Dieser Mann war der Revolverschwinger Ted Seroon.

»Yeah, ich suche Arbeit«, entgegnete der Fremde; dann stieg er über die knarrenden Holzstufen zur Straße hinunter und ging auf sein Pferd zu.

Seroon erhob sich mit eckigen Bewegungen aus dem Korbsessel, machte ein paar Schritte auf die Treppe zu und lehnte sich schließlich gegen einen der dicken Vorbaupfosten. Seine Augen musterten prüfend die Gestalt des Fremden, als müsse er ihn durchleuchten. Er suchte etwas, der Revolvermann, etwas, das er an dem Fremden nicht finden konnte. Schließlich öffnete er die Lippen einen Spaltbreit und fragte halblaut: »Wo hast du deinen Colt, Brother?«

Der Fremde zog sich in den Sattel. Er trug zwar einen Gurt, aber weder ein Colthalfter noch einen Colt. Auf die Frage des Schießers gab er keine Antwort.

Seroon forschte etwas lauter und schon sichtlich gereizt: »Du hast ihn wohl verloren, was?«

»Vielleicht«, entgegnete der andere und nahm die Zügel in die Rechte.

Da zischte Seroon: »Ich wette, du hast die Kanone in der Satteltasche! Ich glaube, ich werde mal nachsehen!«

Ehe Seroon heran war, hatte der Fremde das Pferd herumgenommen.

Da flogen oben die hölzernen Pendeltüren des Saloons auseinander. Mac Hayley stand im Eingang und brüllte: »Stop!« In seiner rechten Faust blinkte der Colt.

Der Reiter hielt sein Tier an und warf dem Vormann einen fragenden Blick zu.

Der schnarrte: »Du hast doch gehört, daß dieser ehrenwerte Gentleman etwas bei dir nachsehen wollte, Tramp!«

Seroon starrte den Fremden aus messerscharf zusammengezogenen Augenschlitzen an. Er stand steif oben auf der ersten Treppenstufe, lang, hager und bleich. Staksig machte er zwei Schritte über die Stufen auf die Straße.

»Los, Ted, sieh nach!« rief der Vormann von oben.

Seroon blieb stehen und behielt den Fremden scharf im Auge.

Hinter Hayley drängten sich die Cowboys aus dem Schankraum. Gespannt beobachteten sie die Szene.

»Was ist los?« rief Hayley ungeduldig. »Hast du etwa Angst, Ted? Sieh nach, wo der Bursche seinen Colt versteckt hat! Den Colt – und vielleicht auch noch etwas anderes!«

Aber Seroon sah unverwandt den Reiter an.

Der hatte den Blick seiner tiefblauen Augen fest auf das Gesicht des Schießers gerichtet. Es schien etwas Lähmendes, Bannendes von diesen Augen auszugehen. Und der Revolvermann spürte es. Deshalb zögerte er.

Da brüllte oben der Vormann: »Los, Boys, seht in den Satteltaschen nach!«

Als die Cowboys die Treppen hinunterstürzen wollten, hielt Seroon den linken Arm hoch. Es war eine marionettenhafte Bewegung, hölzern und eckig. Fast lächerlich.

Aber die Männer verhielten in ihrem Sturmlauf.

»Was ist los?« polterte Hayley.

Seroon sah wieder zu dem Reiter hinüber. »Ich glaube, ich habe den Kerl schon irgendwo gesehen...«

»Und?« krächzte der Vormann ungehalten. »Wir werden gleich wissen, wer er ist! Los, Boys!«

Fünf harte Burschen stürmten vorwärts, rissen den Mann vom Pferd und warfen sich über ihn. Er schleuderte zwar noch zwei zurück und konnte dem dritten einen Fußtritt versetzen, der ihn gegen die Treppe warf – aber dann zerrte ihn die Übermacht doch in den gelben Staub der Straße.

Indessen machte sich Hayley über die Satteltaschen her. Er warf alles was er daraus hervorholte, auf die Straße; Tabakszeug, ein Handtuch, Seife, ein eingewickeltes Stück Brot, einen Kamm, ein Brotmesser, ein paar Lederriemen und Flickzeug.

Seroon stand genau daneben und hatte die Hände hinten in den Waffengurt gesteckt.

Hayley blickte auf das tobende Knäuel seiner Leute, die anscheinend immer noch mit dem Mann zu schaffen hatten.

»Laßt ihn los!« befahl er dröhnend.

Die Cowboys ließen von dem Mann ab.

Der erhob sich von der Erde. Sein Gesicht war blutig und beschmutzt, sein dunkler Anzug war vom gelben Staub der Straße gepudert. Der Hut lag zerknautscht neben ihm.

»Hör gut zu, Tramp«, sagte Hayley hart. »Wir leben hier in einer verdammt rauhen Gegend. Erst vor wenigen Tagen ist dreißig Meilen von hier die Postkutsche von Abilene überfallen worden. Von unseren Weiden verschwindet immer wieder Vieh. Wir haben einen Pferdedieb und sieben Rustler aufgeknüpft; anscheinend genügt das nicht. Immer wieder kommen Banditen in diese Gegend. Wir können keine Tramps hier gebrauchen. Sieh zu, daß du bis morgen mittag fünfzig Meilen hinter dich gebracht hast, Brother, sonst ziehen wir dir die Knochen lang, klar?«

Der Fremde klopfte sich wortlos den Staub aus den Kleidern, nahm seinen Hut auf und ging zu seinem Schimmel.

Hayley trat dicht an ihn heran. »Ob du verstanden hast?«

Der Mann setzte den linken Fuß in den Steigbügel und wandte langsam den Kopf. Dicht vor dem des Vormannes sagte er: »Doch, Hayley, es war ja deutlich genug.« Dann zog er sich in den Sattel und ritt ohne Hast die Straße hinauf.

Hayley und die Cowboys drängten lärmend in den Schankraum zurück.

Der Fremde sah vor dem Store einen kleinen Planwagen stehen. Ein Mann schleppte aus dem Wagen schwere Drahtrollen, Säcke und Kissen heraus.

Der Reiter trieb sein Pferd an den Vorbau, stieg ab und stellte sich neben den Wagen. Gerade hob der Mann eine schwere Kiste an, um sie in den Wagen zu laden.

Da packte der Fremde mit zu, riß die Kiste hoch und verstaute sie im Wagen.

Der andere blickte ihn fragend an.

»Ich suche Arbeit«, sagte der Fremde.

»Arbeit? Hm, Arbeit hätte ich schon Freund, aber ich bin kein reicher Mann...«

»Ich suche keinen reichen Mann. Haben Sie nicht eine Ranch, Mister?«

»Doch, eine kleine Ranch. Aber ich kann mir keinen Cowboy leisten.« Der Mann kratzte sich hinterm Ohr. »Oder halt, warten Sie...« Er blickte auf den Wagen. »Ich habe eine Arbeit, da könnte ich verdammt gut einen Mann gebrauchen. Können Sie einen Draht ziehen, Mann?«

»Doch, Mister, das kann ich bestimmt!«

»Hm?« Der Small-Rancher Harry Walker musterte den Fremden eingehend. »Hatten Sie einen Streit?«

Der Fremde lachte ein bißchen. »Nichts Besonderes, Mister.«

»Hier in der Stadt?«

»Oben beim Saloon. Ich hatte einen Vormann nach Arbeit gefragt.«

»He!« machte der Rancher. »Mac Hayley etwa?«

»Yeah – er führt die Cumberland-Ranch, nicht wahr?«

»Ja, das tut er.« Walker ging zurück in den Store, zahlte seine Rechnung und stieg auf.

Der Fremde stand noch vor dem Wagen.

Walker sah ihn an. »Wie heißen Sie eigentlich?«

»Wynn Evans.«

»Steigen Sie auf, Wynn!«

Evans nahm sein Pferd, band es hinten am Wagen fest und setzte sich neben den Rancher auf den Kutschbock.

Langsam rollte der Planwagen aus der Stadt.

*

Schon nach drei Tagen wußte Harry Walker, daß er mit Wynn Evans einen erstklassigen Cowboy angeworben hatte. Dieser dunkelhaarige, drahtige Bursche wußte mit dem Vieh umzugehen, wie nur irgendeiner; er verstand sich auf Pferde wie ein Pferdezüchter, und war mit allen

Rancharbeiten so vertraut, daß man nicht zu fragen brauchte, wo er seine Jugend und auch viele Mannesjahre verbracht hatte.

*

An einem brütend heißen Vormittag war Wynn mit dem Planwagen draußen auf der Weide. Er zog eine Fenz. Einen Zaun, der nur mit einem Drahtfaden gesetzt wurde. Dieser einfädige Zaun hatte weniger den Sinn, die Weide vor fremden Reitern oder auch Tieren zu schützen, er war mehr als Markierung gedacht. Nur sehr reiche Rancher konnten sich eine richtige, volle, fünffädige Fenz leisten, der anderthalb Yards hoch war und wirklich einen gewissen Schutz bot. Für solch einen Zaun hatte der Small-Rancher Walker natürlich kein Geld. Er mußte sich mit einem einzigen Draht in Yardhöhe von Pfahl zu Pfahl begnügen. Überall da, wo Walker die Pfähle in den letzten Wochen eingeschlagen hatte, zog Wynn jetzt den Draht durch die kleinen Eisenschlaufen an den Hölzern.

Der Himmel war bleigrau und wolkenverhangen.

Dem Mann lief der Schweiß in kleinen Bächen übers Gesicht. Sein graues Hemd war auf dem Rücken durchgeschwitzt. Gerade zog er die Drahtrolle von einem der Pfähle hinüber zum Wagen und wollte sie hinten an die Zughalterung einhängen, als er lauten Hufschlag hinter sich vernahm.

Er blickte sich um und sah mehrere Reiter im Galopp näherkommen. Zu seinem Mißbehagen erkannte er Mac Hayley mit fünf seiner Leute. Sie hielten ihre Pferde im gelben Gras vor dem Zaun an und blickten finster zu dem Mann am Wagen nieder.

Endlich öffnete der Vormann die Lippen. »Sieh an, wen finden wir denn da? Ist das nicht der dreckige Satteltramp, den wir neulich aus der Stadt gejagt haben? Sollte der Halunke nicht schon am nächsten Tag aus der Gegend verschwunden sein?«

»Doch, Mac – du hast recht«, krächzte der bohnenstangendünne Hal Fallings. »Er sollte am nächsten Tag verschwinden! Das stimmt genau, Hal!«

»Und jetzt kraucht der Bursche hier herum«, maulte Yul Potter, ein Mann mit einem breiten Bullenbeißergesicht und eingeschlagener Sattelnase. »Er zieht sogar Draht! Für wen machst du das, Amigo?«

Wynn wischte sich über die Nase. »Ich arbeite für den Small-Rancher Walker.«

Stille.

Nur der Wind, der dem Sturm vorauszueilen pflegt, rauschte durch die hohen, gelben Gräser und ließ sie wie Meereswogen auf und nieder gleiten.

Da sagte Mac Hayley hart: »Du arbeitest für Walker? Für den dreckigen, kleinen Walker unten am Hole? Was tust du denn hier oben? Das ist doch nicht mehr Walkers Weide?«

»Doch«, versetzte Wynn gelassen. »Es ist Walkers Weide!«

Das Gesicht des Vormannes verschob sich zur wütenden Fratze. Er legte den Kopf ein wenig auf die Seite und fauchte: »Was soll das, Tramp? Willst du dich etwa über mich lustig machen? Walkers Land hört drüben weit vor dem Hügel auf. Hier...«

»Das war einmal«, erklärte Wynn ruhig. »Er hat dieses Land von dem ermordeten Small-Rancher Hunter geerbt.«

Die Cowboys blickten einander verblüfft in die Gesichter.

»Geerbt?« fragte Hayley schließlich lauernd.

»Ja, die beiden hatten einen Vertrag miteinander abgeschlossen, wonach der eine den anderen im Todesfalle beerben sollte.«

»Aha«, stieß Hayley lauernd hervor. »Und wo ist dieser Vertrag, he?«

»Ich habe ihn bei mir. Für den Fall, daß sich jemand dafür interessierte, hat der Boß ihn mir mitgegeben.« Der Cowboy nahm ein Blatt Papier aus der Jacke, die hinten im Wagen lag, und reichte es dem Vormann über den Zaun.

»Boß?« knurrte der grimmig, während er das Schriftstück aus der Hand des Cowboys riß. »Boß! Als ob so ein kleiner Krauter ein Boß sein könnte!« Dann las er mit zusammengezogenen Brauen, was auf dem Papier stand.

Sein Gesicht verdüsterte sich von Zeile zu Zeile. Schließlich blinzelte er tückisch über den Rand des Schriftstücks auf den Mann am Wagen nieder. »Was ist das? Ein Vertrag?«

»Ja, der Rancher Hartmann hat ihn als Zeuge unterzeichnet, und der Sheriff von Florence hat ihn atmlich beglaubigt!«

»Der Sheriff –?« Hayley stieß ein lästerlichen Fluch aus. »Ah, so ist das also! Die beiden Krauter haben einen Vertrag gemacht, ohne Bill Cumberland davon zu unterrichten!«

»Wozu hätten sie den unterrichten sollen? Es war ein Vertrag, der nur die beiden anging. Cumberland hat nichts damit zu schaffen!«

Da lehnte sich der Vormann weit über das Sattelhorn und brüllte unbeherrscht: »Cumberland hat nichts damit zu schaffen? Hör zu, du Strolch! Du scheinst hier noch herzlich wenig Umschau gehalten zu haben. Big Bill Cumberland ist der König dieser Weide. Und jeder, der hier herumkriecht, hat ihn zu fragen, wenn er etwas unternimmt! Eigenmächtigkeiten gibt es nicht. – Verträge! Wo gibt es so was! Wie können zwei lausige Siedler untereinander Verträge abschließen, die einen anderen schädigen!«

»Wen schädigt der Vertrag denn?« fragte Wynn mit argloser Miene.

»Wen? Die C-Ranch natürlich. Hunters Land fällt selbstverständlich an die C-Ranch!«

»Selbstverständlich?«

Hayley wurde plötzlich um einen Schein bleicher. Er lehnte sich zurück und hob das Papier an. »Paß auf, Sattelstrolch, damit du siehst, wieviel der Vertrag Walkers wert ist!« Er zerriß das Schriftstück langsam in lange, breite Streifen, die er schließlich zusammenknüllte und in die Hosentasche schob. »Nun, Sonny, was ist jetzt mit deinem Vertrag?«

Wynn hob leicht die Schultern an und wandte sich wieder seiner Drahtrolle zu. »Es ist Ihre Sache, wenn Sie meinen, eine Urkunde vernichten zu können. Ein Unglück ist es übrigens nicht: Die drei Männer haben natürlich das Schriftstück in dreifacher Ausfertigung hergestellt. Das ist doch logisch!« Wynn hängte die Drahtrolle hoch, machte ›Haaa!‹ und der Braune vorne zog an.

Da riß Hayley mit wutverzerrtem Gesicht den Colt aus der Tasche und gab einen Schuß auf den Wagen ab.

Sofort folgten die anderen Cowboys seinem Beispiel.

Unbeirrt zog der Braune den Wagen, und ungerührt ging der Mann hinterher, hob den abrollenden Draht mit einem schweren Lederhandschuh an und beobachtete gleichmütig, wie der Gaul auf den nächsten Pfahl zustampfte.

Plötzlich war Hayley neben ihm. »Los, du Dreckskerl, zieh deinen Colt!«

Wynn ging weiter. »Ich habe keinen Colt bei mir«, versetzte er. »Sie wissen es ja.«

»Du sollst ziehen, sonst knalle ich dich so ab! Es ist aus mit euren Verrücktheiten! Auf dieser Weide muß endlich Ordnung herrschen. Es ist Cumberlands Weide. Und hier herrscht sein Gesetz.«

Da blieb Wynn stehen und blickte den Vormann offen an. »Gesetz?« fragte er gedehnt. »So etwas nennt man hier Gesetz?«

Mac Hayley sprang vom Pferd. Ganz nah trat er an den Cowboy heran. »Ich lasse dich jetzt von meinen Boys so zusammenschlagen, Tramp, daß du vielleicht nicht mehr aus eigener Kraft auf die Beine kommst. Und es ist deine eigene Schuld. Hier beugt sich alles dem Wort Big Bill Cumberlands! Und ich spreche sein Wort! Verstanden! He, Ed, halt endlich den blöden Gaul an, sonst wickelt er seinen Draht noch bis nach Wyoming hinauf.«

Der dicke Ed Henderson hielt das Pferd an.

Dann standen die hartgesottenen Cowboys um den waffenlosen Mann herum.

»Jetzt lasse ich Brennholz aus dir machen, du Landstreicher!« zeterte Hayley. »Wie kommst du dazu, bei einem dreckigen kleinen Siedler einen Job anzunehmen? Bei einem Halunken, der unser Vieh stiehlt? Der seinen eigenen Nachbarn nierdergeschossen hat, um in den Besitz von dessen Land zu kommen...«

Wynn hob den Kopf und sagte eisig: »Sie wissen genau, daß das nicht stimmt, was Sie da sagen, Hayley. Walker und Hunter waren Freunde.«

»Ah«, giftete der Vormann. »Und wer soll den Farmer umgebracht haben, he?«

Wynn blickte die Männer der Reihe nach an. Seine tiefblauen Augen blieben auf jedem einzelnen Gesicht einen Augenblick haften. Und plötzlich gab es einige Männer unter den harten Burschen, die ein ungutes Gefühl bei diesem Blick verspürten.

»Ach, so ist das?« keifte Hayley. »Du elender Buschräuber hast uns im Verdacht, den Farmer ausgelöscht zu haben, he!«

Wynn Evans schwieg.

Da ballte der Vormann seine schwielige Faust und hieb sie dem Cowboy ins Gesicht.

Der Mann blieb stehen, wo er stand.

Und wieder schlug der Vormann zu.

Evans rührte sich nicht.

»Schlag zurück! Schlag endlich zurück!« röhrte Hayley, glühend vor Zorn. »Ich werde dich in den Boden stampfen.«

Evans sah ihn kalt an. Aus den Tiefen seiner Augen, schien eine magische Kraft aufzuleuchten, die den Vormann innehalten ließ.

Mit zitternden Armen stand Mac Hayley vor dem anderen. Keuchend vor Wut stieß er hervor: »Es ist gut; du feiger Hund wehrst dich nicht, du hast auch keinen Colt. Aber eines hast du, nämlich Glück. Ich gebe dir nämlich noch eine letzte Chance. Du hast bis morgen mittag zwölf Uhr Zeit. Trifft dich nach diesem Zeitpunkt noch einer meiner Männer an, so hat er ein Recht, dich abzuknallen. Ob du eine Waffe bei dir hast oder nicht.«

Wynn blickte den Vormann gelassen an. Ruhig fragte er: »Er hat ein Recht, mich zu töten? Wer gibt ihm das Recht dazu?«