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Erik Bertram

Gottes großer Plan

Erik Bertram

Gottes großer Plan

Eine Reise durch die Geschichte
des Universums

Tectum Verlag

Erik Bertram

Gottes großer Plan

Eine Reise durch die Geschichte des Universums

© Tectum – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2017

ISBN 978-3-8288-6866-3

E-PDF 978-3-8288-6865-6

Print 978-3-8288-3962-5

 

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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
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Für Sylvia, Mark, Mama und Papa

Inhalt

Vorwort

Danksagung

Einleitung

Kapitel 1: Das frühe Universum

1.1Das Geheimnis von Zeit und Raum

1.2Die Grundkräfte der Natur

1.3Das Wesen der dunklen Materie

1.4Das Horizont- und das Flachheitsproblem

1.5Das inflationäre Universum

1.6Die kosmische Ursuppe

1.7Die ersten Sterne und Galaxien

1.8Die kosmische Hintergrundstrahlung

1.9Das Standardmodell der Kosmologie

Kapitel 2: Das späte Universum

2.1Die Geburt von Sternen

2.2Leben und Tod der Sterne

2.3Schwarze Löcher und Multiversen

2.4Die bunte Welt der Galaxien

2.5Die Entstehung des Sonnensystems

2.6Die Erde und das Wunder des Lebens

Kapitel 3: Das zukünftige Universum

3.1Extrasolare Planeten und Aliens

3.2Die Zukunft der Menschheit

3.3Die Zukunft der Raumfahrt

3.4Das Universum im Computer

3.5Das Wesen der dunklen Energie

3.6Das Ende der Welt

3.7Gibt es Gott?

Glossar

Abbildungsverzeichnis

Vorwort

Immer öfter erreichen uns Nachrichten über die Entdeckung neuer Exoplaneten, wie im Februar 2017 über das System Trappist-1 in einer Entfernung von ca. 40 Lichtjahren von unserer Erde. Vier der sieben Planeten, die einen kleinen, roten Zwergstern umkreisen, liegen in der sogenannten „habitablen Zone“, sodass es auf ihrer Oberfläche flüssiges Wasser geben und damit auch Leben existieren könnte. Die Frage, wie es auf diesen Planeten ausschaut und ob es dort möglicherweise sogar intelligentes Leben gibt, ist für mich faszinierend, auch wenn dieses Planetensystem heute – und wahrscheinlich auch noch in vielen Jahrzehnten – weit jenseits der Reichweite von irgendwelchen von der Erde gestarteten Sonden liegen wird.

An Bord der internationalen Raumstation ISS, auf der Nachtseite des Orbits, habe ich oft in diesen unglaublich klaren Sternenhimmel geschaut und mich gefragt, welche Geheimnisse dort draußen wohl noch auf uns warten werden. Der Wunsch, irgendwann einmal viel, viel weiter in die Tiefen des Weltraums vorzudringen und Antworten auf die Fragen nach dem Beginn und der Entwicklung unseres Universums zu finden, hat mich damals wie heute förmlich elektrisiert und das Gefühl von Fernweh hervorgerufen.

Die Menschheit hat es gerade einmal geschafft, Sonden zu den Planeten unseres Sonnensystems zu schicken, um Bilder und Messdaten über deren Beschaffenheit an uns zurückzusenden. Auf nur wenigen Himmelskörpern konnten wir bisher robotische Systeme landen, wie zum Beispiel die ESA-Sonde Huygens, die im Januar 2005 auf der Oberfläche des Saturnmondes Titan niederging, oder die europäische Mission Rosetta zum Kometen Tschurjumow-Gerassimenko, die den kleinen Lander Philae im Oktober 2014 auf dem Kometen absetzte. Dies sind nur zwei von vielen spektakulären ESA-Missionen, die wir durch die Zusammenarbeit vieler europäischer Staaten und internationaler Partner wie der NASA erfolgreich durchführen konnten und die unser Wissen über die Entstehungsgeschichte unseres Sonnensystems erweitert haben.

Zahlreiche Satelliten beobachten unsere Galaxie und unser Universum in verschiedenen Frequenzbereichen, um mehr über die Entstehungsgeschichte des Weltalls, beginnend mit dem Urknall, zu erfahren und um Aussagen über dessen weitere Entwicklung treffen zu können. Mithilfe hochempfindlicher Messverfahren auf der Erde sind wir sogar seit Kurzem in der Lage, die von Albert Einstein in seiner allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagten Gravitationswellen, die bei dem Verschmelzen von schwarzen Löchern entstanden sind, nachzuweisen. An Bord der ESA-Sonde „LISA-Pathfinder“ werden seit Dezember 2015 neue Technologien erprobt, mit deren Hilfe wir in Zukunft in der Lage sein werden, mit noch größerer Empfindlichkeit solche Gravitationswellen zu messen. Damit eröffnen sich vollkommen neuartige Beobachtungsmöglichkeiten für Ereignisse in den Tiefen des Weltalls jenseits des elektromagnetischen Spektrums.

Das vorliegende Buch gibt einen Einblick in die Entstehung und Entwicklung unseres Universums, vom Urknall bis zu seinem Ende – eine Geschichte, die sich über viele Milliarden von Jahren erstreckt und inmitten der wir uns gerade befinden. Es vermittelt einen Eindruck von den unermesslichen Dimensionen, in denen die bisherige Menschheitsgeschichte nur einen kurzen Moment darstellt.

Doch zurück aus den Tiefen des Universums zu den Zielen, die wir Menschen in den kommenden Jahrzehnten möglicherweise erreichen können. An Bord der Internationalen Raumstation ISS werden neben zahlreichen Forschungsaufgaben auch Technologien für die weitere Erkundung des Weltraums durch Menschen erprobt und zur Reife gebracht. Nach fast einem halben Jahrhundert ist es an der Zeit, dass Menschen zu unserem Mond zurückkehren. Dort können wir viel über die Entstehungsgeschichte unserer Erde lernen, Ressourcen fördern und nutzen, auf der erdabgewandten Seite Astronomie ohne jegliche Störungen durch Radiostationen oder Lichtquellen von der Erde betreiben und von dort Asteroiden, die unserem Planeten gefährlich werden könnten, ablenken.

Als nächsten Schritt für astronautische Missionen nehmen wir dann unseren Nachbarplaneten Mars ins Visier. Im Oktober 2016 schwenkte eine ESA-Sonde zur Messung von Spurengasen in den Marsorbit ein: ExoMars. Eine weitere Mission der europäischen Raumfahrtagentur ESA, die einen Rover auf die Oberfläche unseres Nachbarplaneten bringen und nach Spuren von ehemaligem oder noch existierendem Leben suchen soll, wird dann in Zusammenarbeit mit unseren russischen Partnern im Jahr 2020 folgen. Nach meiner Einschätzung könnten in zwei Jahrzehnten Menschen ihren Fuß auf unseren Nachbarplaneten setzen – vielleicht sogar noch etwas früher.

Die Erkundung des Weltraums, sei es mithilfe von terrestrischen Teleskopen, Sonden, robotischen Landesystemen oder durch As­tronauten, bleibt, wie dieser kurze Überblick zeigt, spannend! Sie ermöglicht es uns, nach und nach weitere Mosaiksteine eines großen Bildes zusammenzufügen, um so die Entwicklung unseres Universums immer besser verstehen zu können.

Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre dieses Buches viele neue Erkenntnisse und hoffe, dass Ihr Wissensdurst etwas gestillt werden kann. Und vielleicht spüren Sie, wie wir Astronauten, etwas von dem Fernweh, das uns beim Blick in diese Unendlichkeit des Sternenhimmels durchdringt.

 

Thomas Reiter

ESA-Astronaut

Danksagung

Nun nach Fertigstellung des Manuskripts möchte ich die Gelegenheit nutzen, einigen Menschen zu danken, ohne die dieses Buch nicht möglich gewesen wäre.

Beginnen möchte ich mit dem Gründer des Tectum Verlags, Heinz-Werner Kubitza, der sich von Anfang an für das Projekt begeisterte und mich aktiv bei der Umsetzung unterstützte; Norman Rinkenberger und Tamara Kuhn vom Tectum Verlag, die tolle Arbeit bei der Gestaltung des Außen- und Innenteils geleistet haben, sowie Volker Manz, der den Text mit großer Sorgfalt lektoriert und verbessert hat. Die Zusammenarbeit mit dem Verlag während der letzten Monate war wirklich fantastisch!

Thomas Reiter hat dankenswerterweise das Vorwort beigesteuert – es hat das Buch sehr bereichert.

Meinem Doktorvater Ralf Klessen möchte ich rückwirkend für die vielen spannenden Gespräche danken, die wir in den vergangenen Jahren geführt haben. Mein Dank gilt aber auch all denen, die meine wissenschaftliche Laufbahn auf verschiedene Art und Weise geprägt und bereichert haben, sei es in persönlichen Gesprächen oder während ihrer Vorträge. Die meisten der folgenden Personen wissen davon vermutlich nichts, doch ich möchte sie trotzdem erwähnen, weil sie indirekt Einfluss auf die Themenauswahl in diesem Buch genommen haben: Luca Amendola, Robi Banerjee, Matthias Bartelmann, Henrik Beuther, Frank Bigiel, Paul C. Clark, Kees Dullemond, Simon Glover, Alyssa A. Goodman, Eva Grebel, Lukas Konstandin, Mordecai-Mark Mac Low, Jennifer Schober, Rahul Shetty, Volker Springel, Christoph Wetterich, Katharina Wollenberg.

Weiterhin bin ich all denen zu großem Dank verpflichtet, die zuvor einen kritischen Blick auf das Manuskript geworfen und es mit ihren vielfältigen Anregungen besser gemacht haben. Dazu gehören vor allem Michael Adam, Frank Bigiel, Sylvia Gaiser, Barbara Gerlach und Johannes Meinecke.

Meine Freundin Sylvia hat mir und meinem Projekt in den letzten Monaten große Geduld entgegengebracht, vor allem an den freien Wochenenden, die ich meist komplett für dieses Buch opfern musste. Ohne ihren Beistand hätte ich den Text erst gar nicht realisieren können. Vielen Dank für Deine liebevolle Fürsorge!

Schließlich möchte ich meinen Eltern für ihre großartige Hilfe und Unterstützung all die Jahre danken.

Einleitung

Das Universum ist eigentlich ein undankbarer Ort. Es ist kalt, groß und dunkel – wenn man es genau nimmt, also nicht gerade eine besonders lebensfreundliche Welt. Trotzdem hat es zustande gebracht, was man für unmöglich halten könnte: die Erschaffung komplexer Lebewesen wie etwa des Menschen. Wie hat es das in seiner 13,8 Milliarden Jahre andauernden Geschichte angestellt?

Es ist einer Reihe von unglaublichen kosmischen Zufällen zu verdanken, dass Sie heute hier sitzen und dieses Buch lesen können, das von dieser Entwicklung und damit auch von Ihnen handelt. Mehr noch: Sie sind der eigentliche Protagonist in einem atemberaubenden Stück, das sich Leben nennt! Kommt dies erst einmal zu Bewusstsein, ist dies Grund genug, über jene Welt zu schreiben, die so wertvoll, aber doch auch fragil und zerbrechlich ist. Mit diesem Buch will ich verdeutlichen, wie physikalisch „eins zum anderen“ kam und welch großes Glück unsere Welt, das Raumschiff Erde, eigentlich ist.

Auch wenn sich beim Lesen des Titels zunächst vielleicht ein anderer Eindruck aufdrängen mag, so geht es in den folgenden Kapiteln ausschließlich um grundlegende Konzepte der theoretischen Astrophysik und Kosmologie. Der Text ist frei von jeglicher religiöser Wertung, die ich mir nicht anmaßen würde. Trotzdem hoffe ich, dass am Ende des Buches klar wird, was ich meine, wenn von einem „Plan“ die Rede ist, der sicherlich an der ein oder anderen Stelle die Grenze zur Metaphysik und Religion streift. Gerade deshalb bin ich der Meinung, dass die Naturwissenschaften mit der Theologie durchaus in einen konstruktiven Dialog treten sollten. Wahrscheinlich werden zahlreiche Physiker mir an dieser Stelle widersprechen wollen mit dem Hinweis, die einen sollten die anderen doch ihr Ding machen lassen. (Ich nehme an, bei den Theologen gibt es ähnliche Standpunkte.) Dennoch bin ich mir sicher, dass Sie auf den kommenden Seiten vielfach über diese spannende Schnittstelle zwischen Naturwissenschaften und Religion nachdenken werden.

Das Buch ist insgesamt in drei Kapitel untergliedert: das frühe, das späte und das zukünftige Universum. Sie zeichnen die chronologische Entwicklung des Kosmos nach, weshalb es ratsam ist, eines nach dem anderen zu lesen. Los geht es mit dem frühen Universum, einer Phase, die ca. 100 Millionen Jahre nach dem Urknall endete und mit der wir zuallererst die Grundlagen unserer Existenz verstehen wollen. Wie ist das Universum entstanden? Warum gibt es Materie und was meinen wir damit? Wie ist das Licht in die Welt gekommen? Es ist vor allem das Standardmodell der Kosmologie, das hier im Mittelpunkt unserer Betrachtung stehen wird. An manchen Stellen ist es außerdem unvermeidlich, zuerst ein wenig weiter auszuholen, bevor wir zum eigentlichen Kern der Physik vordringen. Daher werden wir den kosmologischen Zeitpfeil manchmal für einen Moment verlassen, um ihn wenig später wieder mit neuem Wissen aufzugreifen.

Im Kapitel über das späte Universum wollen wir dann verstehen, „wie aus dem Teig die Brötchen gebacken werden“. Wie entstehen und leben Sterne? Wie funktionieren Schwarze Löcher? Was sind Galaxien und auf welche Weise unterscheiden sie sich? Schließlich geht es auch um die Frage, wie die Erde entstand – und mit ihr wir Menschen.

Das Kapitel zum zukünftigen Universum befasst sich dann mit Fragen, die über den morgigen Tag hinausgehen. Gibt es außerirdisches Leben und wenn ja, werden wir den Aliens irgendwann begegnen? Wie steht es um die Zukunft der Menschheit? Und wie wird das Universum sterben? Natürlich können viele dieser Aspekte nur spekulativ behandelt werden. Dennoch basieren sämtliche Hypothesen auf einem soliden wissenschaftlichen Fundament. Auch im allerletzten Abschnitt über die Frage, ob es Gott gibt, versuche ich, eine wissenschaftliche Herangehensweise zu wahren, auch wenn viele Physiker vielleicht denken mögen, das sei fernab dessen, was man sich als Naturwissenschaftler derzeit erlauben dürfe.

Noch ein Wort zum Inhalt: So weit es geht, habe ich versucht, auf kompliziertere mathematische Formeln zu verzichten. Lediglich an manchen Stellen werden Sie die ein oder andere Gleichung lesen, aber nur dann, wenn ich davon überzeugt bin, dass sie etwas zum allgemeinen Verständnis beitragen kann. Vertraut machen sollten Sie sich dagegen kurz mit der Potenzschreibweise der Mathematik, da ich diese an vielen Stellen gebrauchen werde (oder besser gesagt: gebrauchen muss). Sollten Sie das alles schon wissen, können Sie den nächsten Abschnitt guten Gewissens überspringen.

Was ist diese Potenzschreibweise und wofür ist sie gut? Nun, in der Physik – vor allem in der Astronomie – geht es oft darum, ex­trem große oder kleine Zahlen darzustellen. Dazu macht man sich eine vereinfachte Darstellung zunutze, mit der man solche Zahlen kompakt ausdrücken kann. Zunächst benötigt man dafür eine Basis, zu der man die Potenz ausdrücken möchte. Diese stellt im Wesentlichen ein Produkt dar. Ein Beispiel: Die Zahl 10 kann in Potenzschreibweise als 101 dargestellt werden, die Zahl 100 als 100 = 10 10 = 102, 1.000 = 10 10 10 = 103 und so weiter. Die Hochzahl gibt also die Anzahl der Nullen hinter der Eins an. Die Zahl 106 bedeutet eine Million, 109 eine Milliarde. Im selben Sinne können wir auch kleinere Zahlen darstellen: 0,1 = 10–1, 0,01 = 10–2, 0,001 = 10–3 etc. Hier gibt die Hochzahl an, an welcher Stelle hinter dem Komma die Eins steht. Ähnliches könnte man natürlich auch mit anderen Basen machen, aber an dieser Stelle wollen wir es dabei belassen.

Weiterhin verwende ich gelegentlich Abkürzungen wie „Mega“, „Giga“ oder „Tera“. Auch sie stellen lediglich eine verkürzte Schreibweise dar, wobei Mega für 106, Giga für 109 und Tera für den Faktor 1012 steht. Ein „Gigagramm“ sind also 109 Gramm oder 106 Kilogramm.

Natürlich ist kein Text frei von Fehlern. Trotz der Tatsache, dass ihn viele Augen vorher durchgesehen haben, mag sich an der ein oder anderen Stelle der Fehlerteufel eingeschlichen haben. Sollten Sie also verbliebene Fehler entdecken, würde ich mich über eine kurze Nachricht sehr freuen.

Doch nun genug der einleitenden Worte. Lassen Sie unsere kosmische Reise endlich beginnen!

 

Heidelberg, im Juli 2017Erik Bertram

Kapitel 1

Das frühe Universum

Das Schönste, was wir erleben können,
ist das Geheimnisvolle.

Albert Einstein

 

1.1Das Geheimnis von Zeit und Raum

Wie die Relativitätstheorie
unser Weltverständnis revolutionierte

Was sind Zeit und Raum? Schon seit Jahrtausenden versuchen wir Menschen deren einzigartiges Wesen zu ergründen. Dabei wurde unser Weltbild immer wieder auf den Kopf gestellt. So dachten die alten Römer und Griechen noch, über der flachen Erde spanne sich ein göttliches Firmament, an dem die Großlichter – Sonne, Mond und Sterne – befestigt seien. Den Raum außerhalb dieses Himmelsgewölbes füllten in dieser Vorstellung große Mengen Wasser. In der indischen Mythologie ging man sogar davon aus, dass die Welt auf dem Rücken von vier Elefanten ruhe, die wiederum auf dem Panzer von durch den Weltraum schwimmenden Schildkröten stünden (Abb. 1.1).

Es war schließlich der griechische Philosoph Aristoteles, der vernünftig begründete, warum die Erde keine Scheibe sein kann, sondern kugelrund sein muss. Außerdem machte er sich als einer der ersten Menschen überhaupt Gedanken über physikalische Begriffe wie Zeit, Raum und Bewegung. Dabei nahm er an, dass jeder Körper von sich aus zunächst in Ruhe verharre, bis ihn etwas in Bewegung versetze. Eine Bewegung bedeute letztlich nichts anderes als eine Veränderung der Position (also der Ortskoordinate) im Laufe der Zeit. Man spricht dann von einer Geschwindigkeit. Verändert sich hingegen die Geschwindigkeit selbst mit der Zeit, nennen wir dies eine Beschleunigung. Diese klugen Gedanken wurden später von zahlreichen Naturforschern aufgegriffen und weiterentwickelt.

Einer von ihnen war Galileo Galilei (1564–1642), ein italienischer Mathematiker, Physiker und Philosoph. Galilei arbeitete zunächst als Lektor in Pisa, später als Professor in Padua. Mit seinen Fall­experimenten studierte er die Kinematik, ein Teilgebiet der Mechanik, das die Bewegung von Körpern beschreibt. Einer berühmten Anekdote zufolge ließ er Kugeln vom schiefen Turm von Pisa fallen, um ihre Fallzeit zu untersuchen. Dabei soll er beispielsweise herausgefunden haben, dass alle Körper die gleiche Beschleunigung beim freien Fall erfahren – völlig unabhängig von ihrer Masse! Oder mit anderen Worten ausgedrückt: Es macht keinen Unterschied, ob man eine Eisenkugel mit einem Gewicht von nur ein paar Gramm oder eine, die mehrere Kilogramm wiegt, fallen lässt. Beide Kugeln brauchen stets die gleiche Zeit, bis sie am Erdboden ankommen.

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Abb. 1.1:In der indischen Mythologie gingen die Menschen davon aus, dass die Welt auf dem Rücken von Elefanten ruhe, die wiederum auf dem Panzer einer Schildkröte stünden.

Ganz anders verhält es sich hingegen bei Körpern, bei denen der Luftwiderstand eine wichtige Rolle spielt. So wird eine Feder niemals gleichzeitig mit einer Eisenkugel auf dem Erdboden ankommen, wenn man sie von derselben Höhe fallen lässt. In einem Vakuum besitzt jedoch die Feder tatsächlich dieselbe Fallzeit wie ein Eisenkörper. Dies bestätigte ein Versuch des NASA-Astronauten Dave Scott, den er während der Apollo-15-Mission vor einer laufenden TV-Kamera auf dem Mond durchführte. Dabei ließ er einen Hammer und eine Feder gleichzeitig fallen, und beide trafen tatsächlich zur selben Zeit auf der Mondoberfläche auf!

Dass das so sein muss, kann man sich leicht anhand eines Gedankenexperiments klarmachen. Stellen Sie sich einen Holzklotz vor, den Sie aus zwei Metern Höhe auf die Erde fallen lassen. Dabei messen Sie die Fallzeit, etwa 0,6 Sekunden. Anschließend nehmen Sie eine Holzsäge und durchtrennen den Klotz möglichst genau in der Mitte. Was hat sich an seinem physikalischen Zustand geändert? Im Prinzip nichts, denn Sie haben ja nur ein paar chemische Bindungen zersägt. Schließlich heben Sie beide Teile gemeinsam in die Luft, halten sie zusammen und lassen sie erneut fallen. Wieder zeigt Ihre Stoppuhr 0,6 Sekunden Fallzeit an, und das für zwei separate Holzstücke! Daraus lernen wir: Es liegt wirklich in der Natur der Gravitation selbst, dass alle Körper gleich schnell zu Boden fallen. Alles andere wäre auch irgendwie unlogisch, wie obiges Experiment, welches Galilei zugeschrieben wird, eindrucksvoll zeigt.

Galilei fand weiterhin heraus, dass die Gesetze der Physik (genauer gesagt die Form der Differentialgleichungen, mit denen man die Bewegungen von Körpern beschreibt) stets dieselben sind, unabhängig davon, ob sich der Beobachter in Ruhe befindet oder sich mit konstanter Geschwindigkeit geradlinig gleichförmig bewegt. Man nennt es das Prinzip der „Galilei-Invarianz“ und die Formeln, welche zwischen zwei der soeben beschriebenen Systeme vermitteln, die „Galilei-Transformationen“. Diese Formeln stehen auch in engem Zusammenhang mit den Gleichungen der klassischen Mechanik, die auf den Physiker Sir Isaac Newton zurückgehen, der von 1643 bis 1727 lebte (Abb. 1.2).

Newton, ein britischer Naturforscher, war nach historischer Darstellung vom menschlichen Standpunkt her wohl eher ein unangenehmer Zeitgenosse. Für mich persönlich ist er dennoch der beste Physiker aller Zeiten gewesen, nicht zuletzt auch, weil er wichtige Beiträge für zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen leistete. Neben dem deutschen Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz entwickelte er beispielsweise die Infinitesimalrechnung. Mit ihr lassen sich Ableitungen und Integrale berechnen, die aus der Mathematik und der modernen Physik nicht mehr wegzudenken sind – es genügt, wenn man an seine eigene Schulzeit zurückdenkt. Darüber hinaus verdanken wir ihm ganz fundamentale Beiträge auf dem Gebiet der Optik. So wurde beispielsweise ein spezielles Teleskop nach ihm benannt, das fernes Sternenlicht über eine bestimmte Anordnung von Spiegeln ins Auge des Beobachters leitet und so ein vergrößertes Bild der Natur bietet. Weltberühmt wurde Newton aber mit der „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“. In dieser Schrift formulierte er die drei bedeutenden Axiome der Mechanik, aus denen er auch sein populäres Gravitationsgesetz ableitete.

Das erste seiner Axiome besagt, dass ein Körper in seinem Zustand der Ruhe oder einer gleichförmigen Bewegung verharrt, solange keine Kraft auf ihn wirkt, die ihn zur Änderung dieses Zustands zwingt. Diese Auffassung hatte im Übrigen schon Aristoteles vor langer Zeit vertreten, der Newton maßgeblich bei dessen Gedankengängen inspirierte. Dem zweiten Gesetz zufolge ist zur zeitlichen Änderung des Impulses eine Kraft nötig. Oder anders gesagt: Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung. Das dritte und letzte Gesetz beschreibt ein Wechselwirkungsprinzip; man nennt es im Volksmund auch „actio gleich reactio“. Ohne dieses Prinzip wäre ein Billardspiel völlig sinnlos, denn nur wenn die weiße Kugel beim Stoß an die bunte Kugel ihren Impuls teilweise überträgt, kann sich die gestoßene Kugel bewegen. Ähnliches gilt für einen aufrecht stehenden Menschen. Seine Gewichtskraft wirkt auf den Erdboden, wobei die Erde gleichzeitig von unten gegen ihn in entgegengesetzter Richtung drückt. So ist das System letztendlich in einem Zustand des Gleichgewichts.

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Abb. 1.2:Porträts zweier weltberühmter Physiker: Galileo Galilei (links) sowie Sir Isaac Newton (rechts).

Newton ging bei seinen Überlegungen außerdem von einem absoluten Raum und einer absoluten Zeit aus. Seine Beweggründe formulierte er mithilfe des sogenannten „Eimer-Experiments“, bei dem ein Eimer mit Wasser gefüllt und an einer Schnur an der Decke aufgehängt wird. Verdreht man die Schnur nun und lässt den Eimer los, setzt er sich langsam, aber sicher in Bewegung. Auch das Wasser wird aufgrund der Reibungskräfte mitgezogen und mit dem Eimer in Rotation versetzt. Hält man den Eimer jedoch plötzlich an, dreht sich die Flüssigkeit zunächst weiter. Sie bildet dabei eine konkave, leicht gewölbte Oberfläche aus, die wegen der Fliehkräfte zustande kommt, welche das Wasser nach außen drücken. Doch irgendwann bleibt es stehen, weil es aufgrund der Reibung an den Wänden Energie verliert, die in thermische Energie, also Wärme, umgewandelt wird.

Newton fragte sich, welchen Bezugspunkt er für die Rotation des Wassers nehmen könne. Wie kann man entscheiden, ob es rotiert oder nicht? Der Eimer schied als mögliches Bezugssystem aus, weil die konkave Wasseroberfläche offenbar sowohl bei Rotation als auch bei Stillstand des Eimers existieren kann. Er brauchte also ein höheres, ein absolutes Bezugssystem, auf das er seine physikalischen Gesetze beziehen konnte. Dies war für ihn der absolute Raum. Mit ihm versuchte Newton auch die Existenz eines absoluten Gottes zu rechtfertigen, denn er war ein gläubiger Mensch. Zudem benötigte er eine absolute Zeitskala, die er als Maß für den verstrichenen Augenblick verwenden konnte. Hierzu schreibt er in seinen „Principia Mathematica“: „Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt […] gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegenstand.“ Seine Vorstellung entspricht dabei weitestgehend der naiven Alltagsvorstellung von uns Menschen. Diese redet uns ein, die Zeit verlaufe völlig gleichmäßig. Misst man mit einer Stopp­uhr ein Zeitintervall, so scheint es immer dasselbe zu sein, unabhängig davon, wann und wo man die Messung durchführt. In diesem Sinne sind Raum und Zeit völlig getrennte Entitäten, die unabhängig voneinander „einfach da sind“ und sich niemals gegenseitig beeinflussen. Die Zeit ist hier ein starres Konstrukt, sie läuft immer gleich und in dieselbe Richtung. Nichts könnte die Form der Zeit, ihre Größe oder Dauer verändern, geschweige denn sie verlangsamen oder gar beschleunigen.

Eine weitere wichtige Rolle in Newtons Mechanik spielt das sogenannte „Inertialsystem“. Bei ihm handelt es sich um ein spezielles Bezugssystem, in dem sich ein kräftefreier Körper geradlinig und gleichförmig bewegt. Oder anders ausgedrückt: In den Inertialsystemen, zwischen denen die bereits genannten Galilei-Transformationen vermitteln, besitzen die Gesetze der klassischen Mechanik dieselbe mathematische Form. Konkret bedeutet das, dass ein Beob­achter prinzipiell nicht unterscheiden kann, ob er sich im Zustand der Ruhe oder in einem der konstanten gleichförmigen Bewegung befindet. Stellen Sie sich vor, Sie stünden in einem Zug, der sich geradlinig gleichförmig bewegt. Parallel hielten Sie einen Tennisball in der Hand, den sie fortlaufend in die Luft werfen und wieder auffingen. Aus Ihrer Sicht bewegt sich der Ball senkrecht nach oben und wieder senkrecht nach unten. Doch aus der Sicht eines Beobachters auf dem Bahngleis fliegt der Ball eine Kurve in der Luft, weil sich der Zug selbst auch mit einer von null verschiedenen Geschwindigkeit relativ zu dem Beobachter bewegt. Das Gleiche würden Sie im Übrigen auch aus dem fahrenden Zug heraus sehen, wenn der Kollege am Bahnsteig einen Tennisball in die Luft werfen würde. In jedem Fall denken die Beobachter voneinander, der jeweils andere bewege sich relativ zu ihnen und man selbst stehe still. Das wirft aber die Frage auf, ob es überhaupt einen eindeutigen und absoluten, gleichsam übergeordneten Ruhezustand gibt, auf den sich alles andere beziehen lässt – eine Frage mit weitreichenden Konsequenzen für unser Verständnis von Zeit und Raum.

Hinzu kam, dass sich die Physiker auch Gedanken über Vorgänge machten, die wesentlich schneller als die im Alltag üblichen Bewegungen ablaufen, etwa mit der Geschwindigkeit des Lichts. Tatsächlich dachten zu Newtons Zeit viele Menschen, Lichtstrahlen würden sich instantan, das heißt in einem Augenblick ausbreiten, also mit unendlicher Geschwindigkeit. Ein Lichtstrahl, der am Ort A ausgesandt wird, sollte unmittelbar und ohne Verzögerung an jedem noch so weit entfernten Ort B zeitgleich antreffen. Licht war etwas Göttliches! Im Jahr 1676 fand der dänische Astronom Ole Rømer jedoch heraus, dass die Geschwindigkeit des Lichts nicht unendlich, sondern endlich ist. Diese Erkenntnis gewann er mithilfe astronomischer Messungen, die er am Jupitermond Io durchführte. Dabei vermutete er, dass das Licht aufgrund des variablen Abstands zwischen Erde und Jupiter bei der jährlichen Bewegung um die Sonne unterschiedliche Wegstrecken zurücklegen müsste. Das sollte sich auch auf die Lichtlaufzeit auswirken, weil die Entfernungen im All so groß sind.

Wie ist dieser Gedanke zu verstehen? Stellen Sie sich vor, wie Io bei seinem Umlauf um Jupiter irgendwann hinter ihm verschwindet. Nehmen wir außerdem an, Erde und Jupiter befänden sich an genau entgegengesetzten Positionen in unserem Sonnensystem. Dann muss das Licht, das von Io kurz vor seiner Verfinsterung reflektiert wird, eine viel weitere Strecke zu uns zurücklegen, als wenn Jupiter auf derselben Seite des Sonnensystems wie die Erde stünde. Tatsächlich beobachtete Rømer diesen Zeitunterschied, womit er eindrucksvoll bewies, dass ein Lichtstrahl sich nur mit endlicher Geschwindigkeit ausbreiten kann, wäre doch andernfalls die Verfinsterung Ios stets zur gleichen Zeit aufgetreten. Wenige Jahre später konnte dann der niederländische Physiker Christiaan Huygens die Lichtgeschwindigkeit auf der Basis von Rømers Messungen auf ca. 210.000 Kilometer pro Sekunde schätzen. Dieser Wert war zwar verglichen mit der tatsächlichen Zahl von ca. 300.000 Kilometer pro Sekunde viel zu niedrig, jedoch stimmte die Größenordnung.

Schließlich fragten sich Physiker auch, wie die Ausbreitung von Licht genau funktioniert. Der schottische Wissenschaftler James Clerk Maxwell (1831–1879) beantwortete diese Frage, indem er eine viel beachtete Theorie der Elektrodynamik ausarbeitete. Mit ihr konnte er zahlreiche Phänomene des Elektromagnetismus zweifelsfrei erklären. Beispielsweise besagen seine Gleichungen, dass Licht­strahlen nichts anderes als Wellen sind. Genauer gesagt sind es elektromagnetische Wellen, weil sie sowohl aus magnetischen als auch aus elektrischen Feldern bestehen. Diese Felder werden von den sogenannten Maxwell-Gleichungen beschrieben, bei denen es sich im Prinzip um eine Reihe an Formeln handelt, die alle uns heute bekannten elektrischen und magnetischen Vorgänge bestimmen – ein Punkt, auf den wir noch zurückkommen werden.

Unter anderem sagen die Maxwell-Gleichungen voraus, dass Licht aus einer Überlagerung verschiedener Wellen mit unterschiedlichen Frequenzen besteht. Das Sonnenlicht besteht beispielsweise nicht nur aus einer, sondern aus einer Vielzahl von Frequenzen, die es erst in der Summe zu dem machen, was es ist. Jede Frequenz entspricht dabei einer Farbe. Tatsächlich kann man diese unterschiedlichen Lichtkomponenten auch sichtbar machen. Dazu muss man das Licht nur durch ein Prisma leiten, das die Lichtstrahlen aufspaltet. Physiker nennen diesen Effekt Dispersion. In gewisser Weise erfüllt sogar jeder Regentropfen die Funktion eines Prismas, sodass der am Himmel erscheinende Regenbogen sämtliche in dem Licht vorhandenen Frequenzen abbildet. Dabei besitzt blaues Licht grundsätzlich eine höhere Frequenz als rotes Licht. Jedoch können wir Menschen mit unseren Augen lediglich einen sehr beschränkten Frequenzbereich wahrnehmen, weshalb ein Großteil des Sonnenspektrums im Infraroten oder Ultravioletten uns verborgen bleibt.

Für die Astronomie spielt das Licht eine so zentrale Rolle wie für keine andere Wissenschaft. Es ist das Einzige aus den fernen Welten im All, was wir auf der Erde wirklich zuverlässig messen können. In der Tat können wir über das Spektrum einiges über die Physik unseres Universums lernen. Zum Beispiel besitzt jeder Stern am Nachthimmel sein ganz eigenes Spektrum mit einem eigenen Finger­abdruck. Wie äußert sich das? Teilweise können bestimmte Frequenzen in den Spektren fehlen, was darauf zurückzuführen ist, dass die betreffenden Lichtstrahlen zuvor in der Atmosphäre des Sterns von bestimmten Teilchen absorbiert wurden. So können wir mithilfe des Spektrums also etwas über die Zusammensetzung des Sterns und seine Chemie lernen. Natürlich lassen sich auch noch ganz andere Informationen ableiten, etwa wie schnell sich der Stern dreht, wie heiß er ist und so weiter.

Die Maxwell-Gleichungen brachten die Physik damals einen entscheidenden Schritt weiter nach vorne. Doch war man sich lange Zeit uneinig, worin sich Licht eigentlich ausbreitet. Wenn Schallwellen ein Medium wie die Luft zur Fortpflanzung benötigen, brauchen dann nicht auch elektromagnetische Wellen ein Medium zur Ausbreitung? Was aber könnte dieses Medium sein? Die Maxwell-Gleichungen gaben darauf keine Antwort. Ein anderes Problem betraf das Referenzsystem, weil eine endliche Lichtgeschwindigkeit immer die Frage aufwirft, worauf man sie als Geschwindigkeit – und dies meint ja eine raumzeitliche Veränderung – bezieht. Dies können Sie sich klar machen, indem Sie sich fragen, was eine Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde überhaupt bedeutet. Sie besagt, dass man sich in einer Stunde exakt 100 Kilometer in Bezug auf den Erdboden fortbewegt. Wie wir aber wissen, bewegt sich die Erde selbst mit rund 30 Kilometern in der Sekunde um die Sonne, diese wiederum mit einer bestimmten Geschwindigkeit um unser galaktisches Zentrum und so weiter. Eine absolute Geschwindigkeitsangabe scheint daher unmöglich zu sein. Was könnte man tun, um dieses Problem zu lösen?

Ganz einfach: Die Wissenschaftler erdachten sich eine hypothetische Substanz, die sie den „Äther“ nannten. Er sollte all die Probleme einer endlichen Lichtgeschwindigkeit auf einen Schlag lösen und den absoluten Raum Newtons vollständig ausfüllen. Eine Geschwindigkeit wie die des Lichts würde man daher immer in Bezug zum Äther angeben. Doch brachte dieser etliche Schwierigkeiten mit sich. Beispielsweise ließen sich die Gleichungen der Elektrodynamik partout nicht mit ihm in Einklang bringen. Heißt das etwa, Maxwells erfolgreiche Formeln könnten falsch oder unvollständig sein? Oder stellt das Äthermodell selbst den Schlüssel zur Lösung des Problems bereit?

Die entscheidende Wendung brachte ein von den beiden Physikern Albert A. Michelson und Edward W. Morley im Jahr 1887 entwickeltes Experiment zur Interferenz von Lichtwellen. Der Grundgedanke ist relativ einfach: Gibt es einen Äther, dann muss die Erde aufgrund ihrer Bewegung durch den Raum einen Ätherwind verursachen, ähnlich wie bei einem Segeltörn, bei dem man an Deck einen Fahrtwind im Gesicht spürt. Dies bedeutet aber, dass die Licht­geschwindigkeit unterschiedlich groß sein müsste, je nachdem, ob das Licht senkrecht oder waagerecht zur Bewegungsrichtung der Erde fällt. Solche Unterschiede in der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts versuchten Michelson und Morley zu messen. Sie verwendeten dabei den folgenden Versuchsaufbau:

Zwei senkrecht zueinander stehende Schienen werden am Ende jeweils mit einem Spiegel ausgestattet. Ein Laser sendet nun entlang einer Schiene ein elektromagnetisches Signal in die Mitte des Apparats. Dort befindet sich ein Strahlteiler, der den Laserstrahl aufteilt: Ein Teil des Lichts geht geradeaus hindurch, der andere Teil wird senkrecht dazu abgelenkt. Beide Lichtstrahlen treffen dann auf die Spiegelflächen, werden zurückgeworfen, von dem Strahlteiler in der Mitte wieder zusammengeführt und in einen Photodetektor geleitet. Dieser stellt eine Art Auffangstation für Licht, vergleichbar mit einer Digitalkamera, dar. In ihm entsteht nun ein sogenanntes Interferenzbild, weil sich die unterschiedlichen Lichtwellen gegenseitig beeinflussen. Man sagt, sie interferieren konstruktiv oder destruktiv miteinander. Stellen Sie sich dabei vor, dass jede elektromagnetische Welle aus Wellenbergen und Wellentälern bestünde. Trifft ein Wellenberg auf ein Wellental, löschen sich die Wellen gegenseitig aus (destruktive Interferenz). Trifft jedoch ein Wellenberg auf einen Wellen­berg oder ein Wellental auf ein Wellental, können sich die Wellen gegenseitig verstärken (konstruktive Interferenz). Sollte es nun bedingt durch die unterschiedlichen Laufzeiten der beiden Wellenzüge durch die Arme des Interferometers zu einem Laufzeit­unterschied gekommen sein, müsste man diese auf dem Bildschirm des Detektors beobachten können.

Das Experiment wurde extrem sorgfältig durchgeführt und sogar mehrfach in alle denkbaren Himmelsrichtungen gedreht, doch Unterschiede konnten partout nicht beobachtet werden. Damit wurde es zum berühmtesten Nullexperiment aller Zeiten. Die Physiker zogen daraus ganz unterschiedliche Schlussfolgerungen. Manche dachten, die Erde ruhe im Äther. Dies konnte aber ausgeschlossen werden, da unser Planet keine einzigartige Stellung im Kosmos einnimmt. Der niederländische Physiker Hendrik Antoon Lorentz vertrat hingegen die verrückte Auffassung, dass sich der Raum in Bewegungsrichtung verkürze – eine Annahme, die zur damaligen Zeit sicher eine gehörige Portion Mut erforderte. Tatsächlich war seine Theorie formal korrekt, jedoch entstanden immer wieder neue Probleme mit den Maxwell-Gleichungen, weil Lorentz zwanghaft versuchte, am Äther festzuhalten. Erst ein bescheidener Angestellter am Schweizer Patent­amt entwickelte ein für alle Mal eine mehr als zufriedenstellende Lösung: Albert Einstein.

Einstein wurde im Jahr 1879 in Ulm geboren. Er war ein kluger Schüler, der sich schon früh für Naturwissenschaften und Mathematik interessierte, was nach seinen eigenen Angaben vor allem an einem Kompass lag, den er von seinem Vater in Kindesjahren vorgeführt bekam. Nach der Schulzeit begann er dann ein Studium in Mathematik und Physik, das er zur Jahrhundertwende im Jahr 1900 beendete. Daraufhin bewarb er sich auf etliche Stellen an Universitäten, die ihn aber allesamt ablehnten. Schließlich nahm er im Jahr 1902 ein Angebot als Patentanwalt in Bern an, wo er in Ruhe seinen Studien zur theoretischen Physik nachgehen konnte.

1905 schlug Einstein eine ganz neue Theorie zur Lösung des eben beschriebenen Ätherproblems vor. Er nannte sie „spezielle Relativitätstheorie“. Einstein postulierte zunächst zwei Dinge: Erstens nahm er an, die Lichtgeschwindigkeit sei überall konstant, egal welcher Beobachter sie wann und wo messe. Zweitens legte er der Physik das Prinzip der Relativität zugrunde. Es besagt, dass es im Raum keinen ausgezeichneten Beobachter geben kann. Damit machte er nicht nur dem Gedanken eines absoluten Raums den Garaus, sondern auch dem, die Lichtgeschwindigkeit sei in unterschiedliche Richtungen verschieden.

Was Einstein herausfand, war gleichbedeutend damit, das bisherige Verständnis von Zeit und Raum komplett über Bord werfen zu müssen. Anhand eines Gedankenexperiments, das Einstein selbst angeführt hat, lässt sich dies rasch deutlich machen. Stellen wir uns hierfür zwei Beobachter vor, nennen wir sie der Einfachheit halber A und B. Beobachter A wartet in der Mitte eines Bahnsteigs, während Beobachter B in der Mitte eines sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegenden Zuges steht (Abb. 1.3). Beide sind also Teil eines Inertialsystems. Bei A ist eine Lampe installiert, die kurz aufblinkt, sobald das vordere Zugteil am Bahnsteig einfährt. Für Beobachter A ergibt sich die Situation, dass zwei Lichtpulse das vordere und hintere Ende des Bahnsteigs zur gleichen Zeit erreichen, weil sie dieselben Strecken in beide Richtungen zurücklegen müssen. Welche Situation sieht aber Beobachter B? Durch die Eigenbewegung des Zuges scheint es ihm, als ob sich der Bahnsteig in die entgegengesetzte Richtung bewege. Nun müssen aber gemäß Einsteins Postulate alle Beobachter unabhängig voneinander dieselbe Lichtgeschwindigkeit messen. Das vordere Ende des Bahnsteigs kommt aus Sicht von B dem Lichtstrahl also entgegen, sodass das nach vorn laufende Licht eine kürzere Strecke zurücklegt, bis es am Ende des Bahnsteigs ankommt. Das hintere Ende des Bahnsteigs bewegt sich jedoch von dem Lichtsignal weg, sodass die Strecke länger ist. Beobachter B erkennt also, dass die beiden Lichtpulse das vordere und das hintere Ende des Bahnsteigs nicht gleichzeitig erreichen – was aber im Widerspruch zu der Beobachtung von A ist! Da aber keines der beiden Inertialsysteme den Vorrang vor dem anderen hat, lernen wir daraus: Gleichzeitigkeit ist ein relativer Begriff! Einstein sagte dazu ironisch: „Wenn ein Mann eine Stunde mit einem hübschen Mädchen zusammensitzt, kommt ihm die Zeit wie eine Minute vor. Sitzt er dagegen auf einem heißen Ofen, scheint ihm schon eine Minute länger zu dauern als jede Stunde. Das ist Relativität.“

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Abb. 1.3:Die Frage nach Gleichzeitigkeit würden zwei Beobachter A und B wohl völlig verschieden beantworten.

Doch damit nicht genug, ein weiterer merkwürdiger Effekt tritt auf. Nehmen wir nun an, dass sowohl am vorderen als auch am hinteren Ende des Bahnsteigs jeweils ein Lichtsignal in Richtung A gesendet wird, sobald das vordere Ende des Zuges das vordere Ende des Bahnsteigs und das hintere Ende des Zuges das hintere Ende des Bahnsteigs passiert. Wenn A beide Lichtsignale gleichzeitig sieht, denkt er, der Zug sei genauso lang wie der Bahnsteig, sonst wären beide Signale nicht gleichzeitig bei ihm in der Mitte angekommen. Was aber sieht Beobachter B? Sobald das Vorderteil seines Zuges die Vorderkante des Bahnsteigs passiert, bewegt sich B auf den vorderen Lichtstrahl zu, der ihn zuerst erreicht, während er sich von dem hinteren Lichtstrahl entsprechend wegbewegt. Daraus schließt er, der Zug sei länger als der Bahnsteig, welcher wiederum verkürzt zu sein scheint. Da wir aber die Gültigkeit des Relativitätsprinzips annehmen, muss Beobachter A dasselbe denken. Daraus leitete Einstein ab: Bewegte Objekte sind in Bewegungsrichtung verkürzt, jedoch nicht senkrecht dazu, weil die Gleichzeitigkeit der Ereignisse in dieser Richtung übereinstimmt. Physiker sprechen in diesem Zusammenhang von der „Längenkontraktion“. Kommt Ihnen das bekannt vor? Tatsächlich stimmt dieses Ergebnis mit dem aus Lorentz’ Theorie zur Rettung des Äthers formell überein!

Weiterhin erkannte Einstein, dass sich neben dem Längen- auch das eigene Zeitmaß verändert. Anhand eines ähnlichen Beispiels wie oben zeigte er, dass wir auch unser Zeitverständnis radikal an den individuellen Bewegungszustand anpassen müssen. Er wies nach: Bewegte Uhren gehen langsamer, oder anders formuliert: Jeder Beobachter hat sein ganz eigenes Zeitmaß! Wissenschaftler bezeichnen dies als „Zeitdilatation“.

Zu Ehren von Lorentz spricht man auch von den Lorentz-Transformationen. Konkret beschreiben sie, wie in der speziellen Relativitätstheorie Zeit- und Ortskoordinaten verschiedener Beobachter miteinander verbunden sind. Mithilfe dieser Transformations­formeln ist es möglich anzugeben, wann und wo bestimmte Ereignisse stattfanden. Das gilt vor allem für Beobachter, die sich mit sehr hohen Geschwindigkeiten realtiv zueinander bewegen. Für niedrige Geschwindigkeiten hingegen lassen sich die Lorentz-Formeln in die eingangs erwähnten Galilei-Transformationen der klassischen Mechanik überführen. Die Lorentz-Transformationen stellen demnach in gewisser Weise eine Erweiterung der klassischen Gleichungen für hohe Relativgeschwindigkeiten dar.

Wir sehen also, dass Zeit und Raum plötzlich dynamisch geworden sind und von dem Bewegungszustand des Beobachters abhängen. Dies ist eine beeindruckende Erkenntnis, die jedoch dem alten Naturverständnis von Newton absolut widerspricht. Zeit und Raum kann man fortan nicht mehr getrennt voneinander betrachten. Deshalb sprechen Physiker von der „Raumzeit“, womit sie den vier­dimensionalen Raum meinen, der aus drei Raum- und einer Zeitkoordinate besteht.

Aber sind diese Effekte wirklich real? Oder nur Hirngespinste? Dies fragten sich auch die beiden Physiker Joseph C. Hafele und Richard E. Keating, die einen Weg suchten, die Einstein’sche Zeit­dilatation zu bestätigen. Dazu konstruierten sie ein Experiment, bei dem eine hochpräzise Atomuhr in einem Flugzeug stundenlang um die Erde flog. Am Boden verblieb dagegen eine zweite Atomuhr, die mit der Uhr im Flugzeug zuvor haargenau synchronisiert worden war. Aus Rechnungen wusste man bereits, dass der Effekt, wenn er existieren sollte, nur äußerst klein sein würde. Deshalb war eine hohe Genauigkeit bei den Messungen erforderlich. Nach einigen Flugstunden verglich man die Zeiten beider Uhren miteinander. Das Ergebnis war eine Sensation: Die ruhende Uhr auf der Erde zeigte tatsächlich eine größere Zeit an als die Uhr im Flugzeug. Die Zeit der bewegten Uhr war also langsamer vergangen. Einstein hatte recht!

Der Gedanke der Zeitdilatation lässt sich aber noch wesentlich weiter spinnen. Nehmen wir beispielsweise an, ein Zwilling reist in einer Superrakete mit nahezu Lichtgeschwindigkeit zu einem fernen Planeten. Der andere Zwilling verweilt währenddessen auf der Erde. Er wartet einige Jahre, bis sein Bruder von seiner Reise zurück­gekehrt ist. Schließlich stellen beide bei einem Wiedersehen in ferner Zukunft fest, dass der Zwilling in der Rakete weitaus weniger gealtert ist als der andere. Man bezeichnet dieses Phänomen als „Zwillingspara­doxon“.

Betrachten wir ein simples Rechenbeispiel, das den Zeitunterschied verdeutlicht. Angenommen, die Rakete fliegt aus Sicht eines Erdbewohners mit 60 Prozent der Lichtgeschwindigkeit durchs All zu einem fernen Planeten, um seine lebensfreundlichen Bedingungen für die Menschheit auszuloten. Die Reise dauert – von der Erde aus gesehen – insgesamt zehn Jahre. Für den Reisenden sind jedoch bei seiner Rückkehr lediglich acht Jahre vergangen, vorausgesetzt natürlich, die Rakete könnte sofort auf diese hohe Geschwindigkeit beschleunigen. Der Raketenmensch hätte in diesem Sinne also eine Zeitreise in die Zukunft unternommen, und der biologische Unterschied würde das bestätigen! Doch um solche Geschwindigkeiten zu erreichen, sind enorme Energien notwendig, von denen unsere heutigen Brennstoffraketen meilenweit entfernt sind. Deshalb wird der Traum von Zukunftsreisen noch lange ein solcher bleiben.

Eine weitere bedeutende Auswirkung hat unser neues Verständnis von Zeit und Raum auch auf jenes von Energie und Masse. So zeigte Einstein, dass beide Größen ineinander umwandelbar sind, was in der wohl berühmtesten Formel der Welt zum Ausdruck kommt: E = mc². Dabei ist E die Energie, m die Masse und c die Licht­geschwindigkeit. Mit 300.000 Kilometer pro Sekunde handelt es sich bei ihr bereits um eine ungeheuer große Zahl, doch c² stellt eine noch viel größere Zahl dar! Die Formel besagt also, dass selbst die kleinste Masse eine wahnsinnig große Energie in sich speichert. Darauf basiert letztendlich die Funktion einer Atombombe, bei der Materie in pure Energie umgewandelt wird, was in einer gigantischen und unkontrollierten Explosion endet. Auf die bedeutenden Folgen seiner Theorie angesprochen, soll Einstein später einmal angemerkt haben: „Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich Uhrmacher geworden.“ Angst machte ihm dabei wohl am meisten die Tatsache, dass das NS-­Regime hinter der Bombe her war, mit der es den Zweiten Weltkrieg endgültig für sich entscheiden wollte.

Schließlich wird auch die Masse selbst zu einer dynamischen Größe. Sie wächst an, je schneller man sich bewegt. Das heißt, ein Körper wird schwerer, je höher seine Geschwindigkeit ist. Der Effekt ist aber erst bei wirklich hohen Geschwindigkeiten wahrnehmbar, die in der Größenordnung des Lichts liegen. Letztendlich folgt aus der Massenzunahme auch, dass nichts außer einem Lichtstrahl selbst die Lichtgeschwindigkeit jemals erreichen kann. Ein Körper, zum Beispiel eine schnelle Rakete, würde nämlich immer schwerer werden, weshalb man immer mehr und mehr Energie aufwenden müsste, um ihn noch weiter zu beschleunigen. Man spricht daher auch von der „relativistischen Masse“.

Die spezielle Relativitätstheorie veränderte unser Verständnis von Zeit und Raum grundlegend. Doch es dauerte noch ein weiteres Jahrzehnt, bis Einstein im Jahr 1915 sein wahres Meisterwerk vorstellte: die allgemeine Relativitätstheorie. An ihr arbeitete er nach eigenen Angaben fast zehn Jahre. Den Physik-Nobelpreis hat er später allerdings nicht für seine Gedanken zur Relativität, sondern für die Entdeckung des photoelektrischen Effekts erhalten, eine Arbeit zur Quantenmechanik – ein Treppenwitz der Geschichte, da Einstein die Annahmen der Quantenmechanik eigentlich zeit seines Lebens infrage gestellt hat. Wir werden später detaillierter auf die Quantenphysik zu sprechen kommen.

Der Unterschied der allgemeinen zur speziellen Relativitätstheorie ist, dass nun die Auswirkungen der Gravitation in die Überlegungen miteinbezogen werden. Den Ausgangspunkt bildet das sogenannte Äquivalenzprinzip, das sich leicht anhand unserer beiden Beobachter veranschaulichen lässt. Nehmen wir an, Beobachter A befindet sich in einem Fahrstuhl in der Schwerelosigkeit (beispielsweise im Weltraum, wobei natürlich für ausreichend Sauerstoff gesorgt ist). Der Fahrstuhl hat jedoch keine Fenster oder Luken, aus denen A schließen könnte, dass er sich im All aufhält. Beobachter B steht in einem baugleichen Modell, das aber auf der Erdoberfläche ruht. Die Schwerkraft zieht ihn daher zu Boden. Ist es möglich, diese Situation – von der Schwerkraft zu Boden gezogen zu werden – irgendwie auch für A im Weltall zu realisieren?