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Über dieses Buch:

Liebe mich, wenn du dich traust … Die junge Malerin Georgie lebt ihren Traum: Ihre Bilder werden in jeder Galerie im Umkreis als Geheimtipp gehandelt – und auch in puncto Liebe kann sie nicht klagen: Ihr Freund Tom hat ihr endlich die Frage aller Fragen gestellt. Auf dem Weg zum Altar fühlt sie sich wie von Sonnenschein getragen … aber wirklich wegen dem Mann, der dort auf sie wartet? Oder wegen Nye, ihrem besten Freund seit Kindheitstagen, der als Treuzeuge auch diesmal an Georgies Seite ist? Sie weiß, für ein flüchtiges Abenteuer sollte sie nicht alles aufs Spiel setzen! Und doch: Jedes Mal, wenn Georgie in Nyes Augen schaut, wünscht sie sich nichts sehnlicher, als sich einfach fallen zu lassen. Kann der Weg zur großen Liebe etwa mitten durchs Chaos führen?

Über die Autorin:

Liane Jones wurde 1958 in South Wales geboren und hat bereits mehrere Romane und Sachbücher veröffentlicht. 1992 gewann sie den begehrten Betty Trask Award.

Bei dotbooks veröffentlichte Liane Jones bereits ihren Zeitreiseroman Die Liebe des Ritters.

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Aktualisierte eBook-Neuausgabe Juli 2019

Dieses Buch erschien bereits 2002 unter dem Titel Beziehungsspiele bei Droemer Knaur und 2017 unter dem Titel Liebesreigen bei dotbooks.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1997 Liane Jones

Die englische Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel Truth, Dare, Kiss or Promis bei Headline.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2002 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/AngelaJones, aslysum, Milan M und Anastasia Zenina-Lembrik

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-174-3

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Liane Jones

Sommerblütenträume

Roman

Aus dem Englischen von Ursula Bischoff

dotbooks.

Die vier ließen sich zu einem Festmahl nieder, und sie jagten und frönten ihrer Lust.

(Manawydan, Sohn des Llyr)

Aus Four Branches of the Mabinogi

Für Jamie Buxton und Siobhán Kilfeather

Erster Teil

Kapitel 1

EINE MEILE LANDEINWÄRTS VON DEN DOCKS, ungefähr auf halbem Weg den St. Beuno's Hill hinauf, blinzelte Nye beim Blick auf die Buchseite und verlor den Faden. Er sah kurz auf seine Armbanduhr: Viertel nach drei – es lohnte sich nicht, das Licht einzuschalten. Draußen nahm der Himmel eine zitronengelbe Färbung an. Hinter den Geschäften, Spielplätzen und dem dunklen Keil des Rugbyfelds ratterten Lastwägen die Ringstraße entlang. Er würde sich ebenfalls bald auf den Weg machen, tief hinein in das zerfurchte Land, dessen Konturen für das geübte Auge gerade noch sichtbar waren.

Nach den letzten zwei Stunden würde es eine wahre Erleichterung sein, die Fahrt endlich wieder fortsetzen zu können. Seine Muskeln schmerzten, als er versuchte sie zu lockern; kein Wunder, denn er hatte wieder einmal gekrümmt dagesessen, sich nicht mal die Beine vertreten. Wörterbuch und Übungsbuch waren gleichermaßen frustrierend gewesen. Er hatte erwartet, heute weitere Fortschritte zu machen; schließlich galt es, zwei Stunden totzuschlagen und seine Beschwerden in den Griff zu bekommen, aber beides war verdammt schwierig.

Tom und Georgie würden lachen, wenn sie ihn sehen könnten. Kein Wunder, sie konnten sich den Spott leisten. Beide waren in Familien aufgewachsen, in denen man Walisisch sprach, sahen aber keinen Grund, Gebrauch von ihren Kenntnissen zu machen. Die Wörter hatten für sie einen Sinn, der sich ihnen ganz selbstverständlich enthüllte, während sie Nye bestenfalls trickreich und heute wie ein Buch mit sieben Siegeln vorkamen, ähnlich wie Symbole auf einer Landkarte: Wälder aus ff, überall auf der Seite verstreut, W, die Wasserrinnen glichen, das Y wie ein Graben ...

Ehrlich gestanden fehlte ihm die erforderliche Konzentration. Die beiden anderen hatten ihn von Anfang an abgelenkt. Immer wieder tauchte Toms Gesicht vor ihm auf, an dem Abend, als er ihm mitgeteilt hatte, dass er heiraten wolle. Und Georgies geneigter Kopf, als er ihr gestern von seiner Idee erzählt und sie ihm aufmerksam zugehört hatte. Sie war auf der Hut gewesen, hatte sich gesträubt und nur so getan, als fände sie den Einfall amüsant.

Würde sie heute trotzdem kommen? Mit Toms Erscheinen konnte er höchstwahrscheinlich rechnen.

Zeit, die Bücher beiseite zu legen. Er hatte sich mit Tom um vier in Caerfach verabredet, auf der gepflasterten Straße außerhalb der alten Burg. Er durfte keinesfalls zu spät kommen. Auf dem Hügel war es bitterkalt, und Tom würde, wie üblich, zu dünn angezogen sein und verwundert und durchgefroren aussehen.

Nye zog seinen dicken Pullover und den Mantel an. In letzter Minute nahm er auch noch den Schal mit, den er Tom überlassen konnte, falls nötig. Oder um ihn fürsorglich Georgie umzubinden, sollte sie da sein.

Der Bus hatte sich mit Gymnasiasten gefüllt, und der Lärm und die beschlagenen Fenster erinnerten Tom an ein Schwimmbad. Er wischte eine Stelle auf dem Glas frei und sah, dass sie gerade bei Collier's Corner um die Ecke bogen. Draußen war das Licht bereits bläulicher als noch vor fünf Minuten, und sämtliche Autos hatten die Scheinwerfer eingeschaltet. Die Ladenfronten vor ihnen klebten wie pinkfarbenes, wasserdichtes Pflaster am Caerfach-Hügel. Rumbelow's Electric, Lo-Cost Food Store, kleinere Läden, in denen Wolljacken, Souvenirs und Fish and Chips verkauft wurden – keinen konnte man betreten, ohne den Mut zu verlieren.

Er war seit Monaten nicht mehr hier gewesen. Selbst als er noch in seinem Elternhaus gewohnt hatte und Caerfach die nächstgelegene Stadt war, hatte er selten einen Abstecher dorthin gemacht. Er hatte den weiteren Weg nach Bartraeth vorgezogen. Aber Nye schien den kleinen Ort seltsamerweise ins Herz geschlossen zu haben. Er stattete dem Secondhand-Buchladen mit ziemlicher Regelmäßigkeit einen Besuch ab und behauptete, im Black Lion hinter dem Polizeirevier würde mittags ein ausgezeichnetes Lamm serviert. Aber Nye besaß schließlich auch einen Wagen.

Der Triumph Herald stand mutterseelenallein auf dem Parkplatz der Burg, als sich der Bus mit quälender Langsamkeit näherte. Nye wartete, eine Zeitung lesend, an der Haltestelle auf ihn. Er wirkte doppelt so groß wie die Frau neben ihm. Als er Tom entdeckte, faltete er die Zeitung zusammen und ging ihm ein paar Schritte entgegen. Tom sah, dass sich die Frau hinter Nye beeilte, um den Bus zu erwischen, und dass sie ihn in seinem dicken schwarzen Mantel als Schutzschild gegen den Wind benutzte. Ihm selbst trieb ein Windstoß Tränen in die Augen.

»Hallo! Widerliches Wetter heute.«

»Wir haben Februar, Mann.« Nye stopfte die Zeitung in seine Manteltasche. »Wie war dein Gespräch mit dem Direktor? Hast du Fortschritte gemacht?«

»Hm, geht so. Zumindest hat er diesmal nicht mittendrin den Raum verlassen. Die Unterhaltung hat ganze acht Minuten gedauert, ich habe auf die Uhr gesehen. Er weiß genauso wenig wie ich, was er mir für Fragen stellen soll.«

»Hat er jemals deine Arbeiten in Augenschein genommen?«

»Nicht, seit ich das Stipendium bekommen habe. Und dir ist ja bekannt, was er davon hält.«

»Herrgott noch mal, was ist mit dem Kerl los? Glaubt er, er würde sich einen Zacken aus der Krone brechen, wenn er sich deine Sachen anschaut?«

»Wahrscheinlich«, erwiderte Tom kurz angebunden und wandte sich der Straße zu. Grober Sand, von den Reifen der vorüberfahrenden Fahrzeuge aufgewirbelt, traf sein Gesicht. »Ist es das Haus dort drüben?«

»Ja, Evan und Crosby.« Nye passte sich sofort seinem Schritt an. Schweigend ging er neben Tom die Straße entlang, während er den Autos auswich und hin und wieder von ihm abrückte, um ihn nicht in Bedrängnis zu bringen. Tom gewahrte den verstohlenen Blick, den Nye ihm zuwarf, und hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Er tat, als merkte er nichts. Er würde sich nur ärgern, wenn er Nyes erheitertes Mitgefühl über sich ergehen lassen müsste.

Es fiel ihm schon schwer genug, seine gute Laune an diesem windgebeutelten Ort zu bewahren. Er war nur aus Pflichtgefühl in diese Einöde gekommen und weil er der Meinung war, dass Nye nach den letzten Wochen Nachsicht verdiente. Außerdem konnte er sich kaum weigern, als Nye unverdrossen die Vorbereitungen getroffen und sich sogar einen Nachmittag freigenommen hatte, um sie zu begleiten.

»Georgie wird versuchen uns dort zu treffen«, rief er Nye zu, als sie anhielten, um einen Lieferwagen vorbei zu lassen. »Kommt darauf an, wann sie Schluss machen kann. Sie hat gesagt, dass sie in jedem Fall anrufen und eine Nachricht hinterlassen wird.«

»Gut«, erwiderte Nye. Sie legten in Windeseile die letzten Meter auf dem Asphalt zurück und erreichten die Wegbiegung.

»Sie kann es kaum noch erwarten, sich das Cottage anzuschauen«, sagte Tom. »Vor allem, weil es so nahe an der Schule ist.«

Nye nickte. Sein markantes Gesicht sah gesund aus. »Ich hoffe, dass ich euch beide nicht vergeblich hierher gelockt habe.« Er öffnete den Mantelkragen und blickte über den Verkehr hinweg auf das riesige Bauwerk, das düster hinter dem Burggraben aufragte. »Die Burg wirkt im Dunkeln größer, findest du nicht? Na komm, anschauen kostet nichts. Hinterher gebe ich einen Whisky aus. Und wenn das Haus Georgie und dir gefällt, zahle ich zwei Runden.«

Auf dieser Seite des Hügels war es noch kälter, und Tom krümmte die Schultern. »Komm, lass uns reingehen.«

»Wann findet die Hochzeit statt?« Der Immobilienhändler stand neben Tom auf der Türschwelle; sie beobachteten Nye und Georgie auf der gegenüberliegenden Seite des Raums. Die beiden klopften gegen die Kaminwölbung, lauschten und versuchten zu erraten, an welcher Stelle sie hohl wurde. Georgies Miene war zweifelnd; sie schien sich immer noch nicht sicher zu sein, ob das Ganze ein Spiel oder ernst gemeint war.

»Im April«, antwortete Tom.

»Im Frühjahr also. Sie sind spät dran mit der Wohnungssuche.« Der Mann, Mr. Edmunds, zwischen vierzig und fünfzig, der seinen Regenmantel bis zum Hals zugeknöpft hatte, schien sich nicht besonders für seine potenziellen Kunden zu interessieren. Tom hatte das Gefühl, dass er sie nicht wirklich ernst nahm und lediglich versuchte die Situation auszuloten.

»Wir haben bereits eine kleine Wohnung in Bartraeth«, klärte Tom ihn auf. »Gehört der Universität. Nicht gerade das, was uns vorschwebt, aber wir können dort notfalls bis Ende Juni bleiben.«

»Aha. Sie studieren also noch, wie ich sehe. Ich dachte ...«

»Georgie studiert noch. Ich habe letztes Jahr meinen Abschluss an der Kunstakademie gemacht. Und sie ist auch bald fertig. Im September wird sie ihr Examen als Lehrerin ablegen.«

»Ah ja, jetzt erinnere ich mich, dass Ihr Freund etwas in der Richtung erwähnt hat. Nun, dagegen ist nichts einzuwenden.« Mr. Edmunds entspannte sich. »Ihre Unterkunft in Bartraeth befindet sich in einem dieser roten Backsteingebäude in der Nähe des Bahnhofs?«

»Genau.«

»Hm. Da gibt es ein paar Wohnungen mit recht gut geschnittenen Räumen.«

»Ja.« Tom blickte aus dem Fenster in den Garten hinaus. Der Mond kam hinter den Wolken hervor, und die Apfel- und Birnbäume warfen lange Schatten. »Leider sind sie sehr klein, und uns fehlt der Platz für ein Atelier. Deshalb sind wir im Moment an einem Haus mit Garage interessiert. Wir brauchen etwas dergleichen zum Arbeiten.«

»Verstehe. Wie Sie gesehen haben, gibt es hier genügend Räume zum Malen. Und elektrische Anschlüsse. Allerdings wird es hier manchmal ziemlich kalt.«

»Ich könnte mir einen Ölofen zum Heizen anschaffen.«

Nye, der immer noch an der Kaminwölbung stand, drehte sich um. »Er ist zugemauert«, sagte er. »Vermutlich mit Bauschutt gefüllt. Funktioniert dieser kleine Gasofen?«

Mr. Edmunds holte ein paar Blätter aus seiner Manteltasche und überflog die Beschreibung. »Allem Anschein nach schon. Obwohl das Gas im Moment natürlich abgestellt ist.«

»Na, so was«, sagte Georgie. »Ich kann den Fernseher nebenan hören.«

»Das ist Mrs. Davies«, erklärte Mr. Edmunds. »Sie wohnt schon fast vierzig Jahre hier. In der letzten Zeit ist sie ein bisschen schwerhörig geworden. Das bedeutet, dass sie sich durch Ihre Musik nicht gestört fühlen würde.« Er schob die Unterlagen in seine Tasche zurück.

Tom fing Nyes überraschten Blick auf und warf ihm über den gebeugten Kopf des Immobilienhändlers ein belustigtes Lächeln zu. Künstler, dachte Mr. Edmunds offenbar; laute Musik, keine geregelte Arbeitszeit, eine Kommune, Tür an Tür mit Mrs. Davies. Aber wenigstens verheiratet, und die nette junge Frau machte eine anständige Ausbildung und würde Lehrerin sein.

Warum also nicht?

Plötzlich besserte sich Toms Laune. Die Angelegenheit erforderte möglicherweise mehr Überlegung, als er gedacht hatte. Vielleicht war es doch keine so dumme Idee, Bartraeth eine Zeit lang den Rücken zu kehren und sich hier draußen häuslich niederzulassen. Er hatte dreieinhalb Jahre in der Stadt gelebt und die Bewohner kennen gelernt, hatte mehr als genug von baufälligen Treppen und Sirenen vor chinesischen Lokalen mit Straßenverkauf. Er hatte sich etwas Besseres für die absehbare Zukunft vorgestellt – vielleicht eine Wohnung über einer Werkstatt, die nicht mehr in Betrieb war, oder weiter unten, in der Nähe der alten Docks. Aber möglicherweise war es interessanter, ganz aus Bartraeth wegzuziehen. Er musste sich auf eine Vernissage im Juli vorbereiten. Und er brauchte einen klaren Kopf, um eine Arbeit abzuliefern, die den hohen Erwartungen des letzten Jahres gerecht zu werden versprach.

Islyn. »Das soll wohl ein Scherz sein«, hatte er zu Nye gesagt, als der Name zum ersten Mal fiel. »Das liegt direkt neben Penllwyn. Warum in drei Teufels Namen sollte ich mitten in die Pampa ziehen? Würdest du wieder in das Kaff zurückkehren?«

»Es gehört aber nicht zu Penllwyn«, hatte Nye entgegnet. »Das Cottage liegt ganz allein für sich. Wie oft bist du in den letzten Jahren dort gewesen, seit wir im Ort wohnen? Du magst ja mit dem Rad durchgefahren sein, aber wie oft hast du dort angehalten?«

Er hatte Recht. Tom fiel nur eine Situation ein. Sie waren auf dem Weg zu einer Party im Heuschober gewesen, den ein paar Mädchen aus Caerfach für den Abend gemietet hatten. Und dazu kam, dass er, als sie heute Abend von Westen hierher gefahren waren, wobei sich Nyes schnittiger Triumph brav hinter Mr. Edmunds Wagen hielt, die charakteristischen Merkmale der Landschaft kaum wiedererkannt hatte. Der Anfahrtswinkel hatte ihn verwirrt, und sie waren früher an ihrem Ziel eingetroffen als erwartet. Beim Aussteigen zeigte nur ein schwacher Lichtschein auf der anderen Seite des Hügels an, wo sich Penllwyn befand.

Ja, Nye hatte Recht, eigentlich wusste er nichts über Islyn. Er hatte keine Ahnung, wie viele Häuser es dort gab oder ob der nächstgelegene Pub der Red Dragon an der Straße nach Harborth oder The Griffin auf dem Weg nach Penllwyn war. Das konnte sich als Problem erweisen. Aber bei ihrem Einzug würde es bereits Frühling sein, und die Gegend war zum Radfahren ideal. Der Bus Nummer 16 würde ihnen beiden zunächst reichen müssen, um zur Arbeit zu kommen, und sobald die Galerie das Big Orange Triangle verkaufte, konnten sie sich ein Auto zulegen.

Er sah Georgie an, die sich ihm kopfschüttelnd näherte. Er merkte, dass er immer noch lächelte. »Was meinst du, Georgie?«

»Hm.« Sie blies auf ihre klammen Finger und wickelte sie in die Enden von Nyes Schal, den sie nun um den Hals geschlungen hatte. »Dir gefällt es, oder?«

»Ja.« Er warf Nye einen beschwörenden Blick zu – besser früher als später, falls Nye beabsichtigte, seinen Senf dazuzugeben. Aber Nye sah Georgie an. »Und, was ist mit

»Ich bin mir nicht sicher.« Sie schnitt eine Grimasse, als sie Nye ansah. Es war ein Blick, der für die Öffentlichkeit bestimmt war und Tom und Nye gleichermaßen signalisierte: Ihr versteht mich schon. So ist er eben, das kennt man ja. Und wir beide sind ein gutes Gespann. Aber sie fand die Idee gar nicht so schlecht. Tom hatte sogar den Eindruck, dass sie ziemlich angetan war. »Hier ist es eisig, und ich möchte es mir gerne noch bei Tageslicht anschauen. Vielleicht komme ich morgen in der Mittagspause her.«

»Und wie?«, fragte Nye.

»Ich werde mir ein Fahrrad ausleihen. Dann kenne ich schon den Radweg und weiß, was uns erwartet.«

»Morgen kann ich Ihnen bedauerlicherweise nicht zur Verfügung stehen«, warf Mr. Edmunds ein.

»Bei mir geht's auch nicht«, sagte Tom.

»Macht nichts. Es reicht, wenn ich mich draußen umsehe. Ich war noch nie in der Gegend, hab keinen blassen Schimmer, wo ich bin.«

»Mir gefällt das Haus«, erklärte Tom. »Könnten wir es neu streichen?«

»Da muss ich erst den Besitzer fragen«, antwortete Mr. Edmunds. »Normalerweise brauchen Mieter die Erlaubnis des Eigentümers, wenn sie Veränderungen an der Fassade vornehmen möchten. Ich nehm jedoch an, dass er einverstanden sein wird – natürlich nur, wenn Sie den Mietvertrag unterschrieben haben!« Sein Lächeln war umwerfend; er blickte freudestrahlend von einem zum anderen. Georgie lachte. Der Laut rührte Tom bisweilen immer noch an, vor allem, wenn er überraschend kam.

»Sie sollten vorsichtig sein, einem Absolventen der Williams Kunstakademie derart verbindliche Zusagen zu machen«, meinte sie. »Das könnte mit einer Installation aus Kuhfladen und Puppen ohne Gliedmaßen enden.«

»O Gott!« Mr. Edmunds Lächeln wurde noch breiter. »Ist das die Art Kunst, die Sie machen?«

»Nein.« Endlich trennte sich Nye von der Kaminwölbung. Er ging gebückt und sah gereizt aus, was daran liegen mochte, dass er sich andauernd ducken musste, um den auf Putz verlegten Lichtleitungen auszuweichen. »Keine Bange, Tom ist Maler. So traditionsverhaftet, wie man werden muss, um einen Preis zu gewinnen.«

»Ich bin froh, dass es keine Zeitverschwendung war. Aber die Entscheidung eilt nicht.« Nye setzte sich auf die rote Plüschbank im Pub, stützte die Ellbogen auf den Tisch und nahm fast genauso viel Platz ein wie Tom und Georgie zusammen, die ihm gegenübersaßen.

»Nein«, pflichtete Georgie ihm bei. »Aber warum sollen wir die Sache auf die lange Bank schieben? Wie Tom bereits sagte: Nachher taucht noch ein anderer Interessent auf und schnappt uns das Cottage vor der Nase weg.«

»Hm, es steht schon seit drei Monaten leer ...«, erwiderte Nye und zuckte mit den Schultern. Als sie ins Pub gekommen waren, hatte er den Mantel aufgeknöpft. Sein Gesicht nahm langsam wieder Farbe an, was bewirkte, dass er sehr jung aussah. Unter dem dunklen Geschäftsanzug trug er einen Pullover, und Tom erinnerte sich daran, dass er seine Schuluniform früher genauso getragen hatte. Nye war damals immer der Jüngste in der Klasse gewesen, mindestens ein Jahr jünger als alle anderen, ein Unterschied, den er nur schwer verbergen konnte, trotz seiner Statur.

Nyes Wangen wurden langsam rosig, aber sein Nasenrücken war immer noch kreideweiß. Er hatte im Cottage vermutlich gefroren wie ein Schneider. Tom hatte die Kälte ebenfalls gespürt, aber sie hatte ihm nichts ausgemacht; sie war ein Klacks im Vergleich zu der bitteren Kälte auf Castle Hill.

Nye nahm einen kräftigen Schluck Bier und stellte das Glas wieder auf den Tisch. Dann lehnte er sich auf der Bank zurück und lockerte die verkrampften Schultern. Er sah verletzlich aus, als müsste er sich mit jeder Faser seines Körpers darauf konzentrieren, das Gleichgewicht zu bewahren. Auch das war Tom aus der gemeinsamen Schulzeit vertraut. Genauso wie die geballte Aufmerksamkeit, die er in Nyes rundem, dunklem Lockenkopf ticken hörte.

»Also, was ist jetzt?«, fragte Tom atemlos.

»Hm? Was meinst du?« Nye runzelte die Stirn.

»Na, komm schon! Du hast uns schließlich hierher gelotst; heute Morgen warst du noch Feuer und Flamme. Erzähl mir nicht, du hättest deine Meinung geändert!«

»Das Cottage gefällt dir, oder?«, fragte Nye vorsichtig.

»Ja. Es hat seine Vorteile.«

»Findest du es nicht ein bisschen abgelegen?«

»Sicher, aber das ist in meinen Augen einer der Pluspunkte.«

»Und was ist mit der Entfernung von Bartraeth?«

»Mit dem Bus ist es nicht schlimm, und abgesehen davon reicht es, wenn ich mittags dort bin. Georgie ist diejenige, die pünktlich sein muss, und sie arbeitet jetzt in Penllwyn.«

»Aber du bist nicht die ganze Zeit in Penllwyn, oder?«, sagte Nye zu Georgie. »Du hast bestimmt freie Tage, an denen du fürs Examen lernst, und was ist mit den Abenden und den Wochenenden?«

»Ja, was ist damit?«

»Bist du sicher, dass du es nicht vermissen wirst, dich spontan mit Freunden zu treffen? Oder dass du nur um die Ecke gehen musst, wenn du etwas trinken oder ins Kino möchtest?«

»Nein, glaube ich nicht. Um ehrlich zu sein, habe ich davon im Moment die Nase gestrichen voll. Außerdem muss ich an den meisten Abenden Skizzen anfertigen und Notizen für die Prüfung durchgehen. Mir macht das zurückgezogene Leben nicht das Geringste aus.«

Nye nickte. Seine Gesichtsmuskeln entspannten sich, ein angedeutetes Lächeln umspielte seine Lippen. Tom konnte beinahe sehen, wie die Kränkung aus seiner Miene verschwand und einen Platz suchte, auf der sie sich niederlassen konnte. Diesmal kam ihm Georgies Lachen ziemlich taktlos vor, insbesondere, weil ein fröhlicher Unterton darin mitschwang.

»Du Idiot, natürlich werden wir dich vermissen. Aber bloß weil wir wegziehen, werden wir den Kontakt doch nicht verlieren. Wir sind nur acht Meilen entfernt, um Himmels willen, und du besitzt schließlich ein Auto. Sobald wir eingezogen sind, bist du uns jederzeit herzlich willkommen.« Eine Haarsträhne hing ihr über die Wange, so dass Tom ihr Gesicht nicht sehen konnte, aber sie streckte den Arm über den Tisch und versetzte Nyes Handgelenk einen spielerischen Klaps – einen ziemlich harten, wie Tom fand.

Nyes Gesichtsfarbe wurde noch dunkler, und er wandte sich Tom zu. Das tat er immer, wenn er verlegen war – er pflegte den Stier bei den Hörnern zu packen, um zu zeigen, dass er keine Angst vor forschenden Blicken hatte. Sein Verhalten konnte verwirrend sein, aber heute Abend fühlte sich Tom beschämt. »Wer möchte noch etwas trinken?«, fragte Nye. »Ich hätte nichts gegen den Whisky einzuwenden, den ich euch versprochen habe.«

»Du hättest dich zumindest bei ihm bedanken können.« Georgie legte die Bürste weg und schüttelte den Kopf, damit ihr langes Haar locker über die Schulter fiel. Es reichte bis zur dritten Rippe des Brustkorbs. Nicht, dass Georgies Rippen zu sehen gewesen wären, Tom hatte sie nur eines Nachts mit den Fingerspitzen gezählt. Nun drehte er sich um und ging ins Bett.

»Du aber auch.«

»Hab ich, sogar zweimal. Da sieht man mal wieder, dass deine Aufmerksamkeit uns gegenüber zu wünschen übrig lässt.«

»Ich hatte ihm schon vorher gesagt, wie sehr ich seine Hilfe zu schätzen weiß. Als wir uns in Caerfach getroffen haben.« Tom zog sich mit einer geschickten Lüge aus der Affäre. »Nye und ich haben es nicht nötig, einander pausenlos die Hände zu schütteln und ›danke, Kumpel‹ zu murmeln.«

Georgie lächelte, im Grunde lachte sie sogar, doch an der Art, wie sie ins Bett kam und darin sitzen blieb, konnte er sehen, dass sie das leidliche Thema noch nicht fallen lassen würde.

»Manchmal behandelst du ihn wie den letzten Dreck.« Sie zog die Bettdecke über die Schultern.

»Wenigstens spiele ich nicht mit ihm.«

»Was soll das heißen?«

»Wie war das doch gleich: ›Ich möchte nur eine Zeit lang meine Ruhe haben, mich von unerwünschten Freunden abschotten. O Gott, doch nicht von dir, Nye.‹« Er ahmte Georgies Ton haargenau nach. Sie starrte ihn an, und für ein paar Sekunden wirkten ihre Gesichter verschlossen.

»Du hast damit angefangen«, erklärte Georgie. »Du fängst immer an, ganz gleich, was und wann es dir in den Sinn kommt.«

»Und du benimmst dich wie eine Glucke, wenn es um Nyes Gefühle geht. Wobei ich gerne den Grund wüsste.«

»Ach, halt den Mund.« Georgie legte sich wütend hin und drehte ihm den Rücken zu.

»Na komm, mach schon«, sagte Tom und blickte auf sie hinunter. »Sag mir, warum. Ärgerst du dich insgeheim über Nye? Oder genießt du bloß deine Macht über ihn?«

»Oh, du ...« Georgie hielt ihre Zunge im Zaum und schnappte nach Luft. »Du machst es einem unmöglich, einfach nur mit ihm befreundet zu sein.«

Tom beobachtete, wie ihr Kiefer zu mahlen aufhörte und ihr linkes Auge blinzelte. Sie hatte wahrscheinlich gemerkt, dass er sie beobachtete, aber sie schenkte ihm keine Beachtung. Sie lag auf ihrer Seite des Betts und blickte auf den Streifen Wand zwischen dem kleinen Schrank und der Tür.

Sie hatte Recht. Irgendetwas an Nye reizte ihn, sich wie ein Tyrann aufzuführen. Tom war sich dessen sehr wohl bewusst. Er konnte nicht einfach mit Nye befreundet sein, dazu war er nie fähig gewesen, aber es gelang ihm auch nicht, sich zurückzunehmen und zuzulassen, dass andere seine Freundschaft suchten. Natürlich trug Nye ebenfalls sein Scherflein dazu bei. Nye hatte nie etwas haben wollen, was ihm auf dem Präsentierteller angeboten wurde. Daran hatte er von Anfang an keinen Zweifel gelassen.

»Ist Aneurin Mathias jetzt dein Freund?«, hatte Alun gefragt, ungefähr eine Woche nachdem Nye erstmals an ihrer Bushaltestelle aufgetaucht war.

»Nein, so ein Quatsch«, hatte Tom seinem kleinen Bruder geantwortet. »Er geht in meine Klasse, das ist alles.« Dann kam die Zeit, als sie die Schule geschwänzt und sich aus dem Staub gemacht hatten, das erste Mal nach Caerfach. Und später – ziemlich viel später, als Tom vorzeitig von der Schule abgegangen war, in der Molkerei gejobbt und gebüffelt hatte, um die Abschlussprüfungen nachzuholen – waren die Pausen am Nachmittag hinzugekommen, die Zeit zwischen halb fünf, wenn sie den leeren Bungalow betraten, und Viertel vor sechs, wenn Mrs. Mathias von ihrer Arbeit im Krankenhaus zurückkehrte. Zwei Tage in der Woche hatten sie Zeit füreinander, die sie alleine im Haus verbrachten.

Damit war Schluss gewesen, noch bevor Nye die Schule verließ. Während der Ferien hatte er auf einem Zeltplatz im Ausland gearbeitet. Es wäre natürlich gewesen, wenn ihre Freundschaft in dieser Trennungszeit abgekühlt und in die Brüche gegangen wäre. Aber Tom hatte endlich doch noch seinen Schulabschluss geschafft, was bedeutete, dass er an der Kunstakademie studieren konnte. Zehn Tage nach Beginn seines ersten Semesters in Bartraeth hatte er mit einer Horde Freunden in einer Bar gesessen, als Nye hereinkam. Er hatte einen Schal, der ihn als Mitglied einer Universität auswies, neue Hosen und ein Tweedjackett getragen. Sein Gesicht war leicht gebräunt von der Sonne. Er sah aus wie eine Schaufensterpuppe oder ein männliches Model aus einem Katalog für Billigklamotten, wenn man von seiner kompakten Statur absah; seine Körpersubstanz war überwältigend. »O Gott!«, hörte sich Tom sagen.

Nye hatte an der Uni immer seinen eigenen Freundeskreis gehabt. Innerhalb weniger Wochen war er einem Chor beigetreten und in der Rugbymannschaft der Universität aufgenommen worden. Wenn Tom ihn in seiner Unterkunft auf dem Campus besuchte, schauten häufig irgendwelche Kommilitonen auf einen Sprung vorbei, und an die Korkfliese auf seiner Tür war mindestens eine aufmunternde Nachricht gepinnt. Aber Nyes wahres Interesse galt Tom.

Tom fragte sich inzwischen manchmal, wie es eigentlich dazu kommen konnte, dass Georgie und er am Ende jenes ersten Semesters miteinander im Bett gelandet waren. Vermutlich war der Auslöser eine Explosion sexueller Bedürfnisse gewesen. Oder war Toms Appetit durch das Bestreben angeregt worden, Nye auszuschließen?

Wenn ja, hatte er ein Eigentor geschossen. Nye hatte seinen Aktionsradius lediglich erweitert und Georgie eingeschlossen. Er hatte keinen Hehl aus seiner anfänglichen Skepsis gemacht, Georgie ins Kreuzverhör genommen, um mehr über sie zu erfahren, und die Informationen wie ein Schwamm aufgesogen. Danach hatte er zu erkennen gegeben, dass er sie mochte, und mehr noch, dass er sie bewunderte. Er war wie vor den Kopf geschlagen, als sich Georgie wegen Lloyd Bannen von Tom trennte. Das war eines der wenigen Male gewesen, wo Tom ihn auf dem falschen Fuß erwischt hatte.

Danach waren sie häufiger getrennte Wege gegangen. Manchmal nahmen sie den Kontakt wieder auf, dann verloren sie sich eine Zeit lang aus den Augen. Einmal vergingen zwei Semester, bevor sie sich zufällig auf einer Party begegneten. Tom war erstaunt, dass Nye in Gesellschaft einer hoch gewachsenen Rothaarigen gekommen war, mit einem sanften, rundlichen Gesicht wie ein Baby und schönen schlanken Händen, die an seinem Gürtel nestelten. Nye hatte am darauf folgenden Wochenende in der Internationalen Rugby-Jugendmeisterschaft gegen England gespielt, und Tom war hingefahren, um sich die Austragung anzuschauen. Zwei gute Versuche gingen auf Nyes Konto, und Wales hätte um ein Haar gewonnen.

Danach hatten sie sich wieder regelmäßig getroffen. Toms Clique, noch weitgehend die gleiche wie im ersten Jahr, hatte den verlorenen Sohn mit offenen Armen empfangen. Die Rothaarige war nie mehr aufgetaucht. Um die Osterzeit war Tom wieder mit Georgie zusammen.

Und inzwischen war fast ein Jahr vergangen. Sie hatten das Studium beendet. Nye arbeitete für die Computerfirma RCL. Georgie stand kurz vor dem Lehrerexamen. Tom, der alle überrascht und den Direktor der Kunstakademie verärgert hatte, als er den Preis für Nachwuchskünstler gewann, den die größte Tageszeitung von Wales verlieh, hatte die Hälfte seiner Zeit als Resident hinter sich, die mit dem Preis einherging – und mehr als die Hälfte der zweitausend Pfund in bar verbraucht.

Im Augenblick schwamm Tom auf einer Erfolgswelle und riss alle anderen mit. Seine große Stunde war gekommen. Die Rezensenten hatten sich für seine Arbeit interessiert und für die Verachtung, mit der sie vom Direktor der Kunstakademie bedacht wurde. Als er im September die Residentenstelle antrat, registrierte er, dass er sich bei den Studenten großer Beliebtheit erfreute.

Es war eine turbulente Zeit gewesen, in mehrfacher Hinsicht, aber er verstand sie zu nutzen und mit der Strömung zu schwimmen. Er ließ sich von Nye verarschen. Er arbeitete. Er stand den Studenten für Beratungen zur Verfügung. Er lachte über die Bemerkungen des Direktors, und niemand schien daran zu zweifeln, dass er sie für komisch hielt. Georgie, Nye und er steckten andauernd zusammen. Er spendierte seinen Freunden häufig etwas zu trinken. Und dann beschlossen Georgie und er zu heiraten und das Ereignis mit einer Party zu feiern. Niemand war glücklicher als Nye.

Was Tom ärgerte. Oder war es mehr als das? Warum hatte er das Gefühl, dass sich dunkle Schatten am Horizont zusammenbrauten, obwohl sein Leben ungemein erfüllend, anregend und erfolgreich war?

Es gab Tage, an denen er überzeugt war, dass dieses sich nahende Unheil Nyes Gesicht trug. Dann neigte er dazu, zum eigenen Schutz wild um sich zu schlagen, und er wusste genau, wie er ihn treffen konnte.

Selbst Alun war überrascht gewesen, als er ihn gebeten hatte, Trauzeuge zu sein. »Aber ich hätte Stein und Bein geschworen, dass du Nye nimmst.« Nye hatte zustimmend genickt; nur in seinem Lächeln spiegelte sich schmerzvoll wider, dass er einen Moment lang aus dem Gleichgewicht geraten war.

»Georgie«, sagte Tom, der immer noch ihr geöffnetes Auge betrachtete.

»Was gibt's?«

 ... So traditionsverhaftet, wie man werden muss, um einen Preis zu gewinnen. Das war bitter. Nye wusste, dass es bei aller Kritik des Direktors genau diese Bemerkung war, die ihn am meisten aus der Fassung brachte.

»Nur zu deiner Information, er steht mir in nichts nach.«

»O Gott, gib endlich Ruhe!« Decken und Haare wirbelten umeinander, als sich Georgie die Decke über den Kopf zog.

Kapitel 2

NYE VERLIESS DIE KÜCHE UND BEGAB SICH NACH OBEN. Das Wohnzimmer im ersten Stock war während seiner Abwesenheit voller geworden. Auf dem Treppenabsatz hielt er kurz inne, um sich zu sammeln, bevor er den Raum erneut betrat. Rund die Hälfte der Anwesenden waren Neuankömmlinge. Die Gesellschaft musste nun beinahe vollzählig sein – überwiegend dunkelhaarige Köpfe, und mehr Männer als Frauen, obwohl der Überschuss geringfügig war. Einige Gäste machten einen schüchternen Eindruck, vermutlich Freunde von Dick wie er selbst, die hier kaum jemanden kannten.

Normalerweise fuhr er nicht so weit aufs Land wegen einer Party, aber an diesem Wochenende hatte das Gewicht der Einsamkeit schwer auf ihm gelastet. Seit die Tage länger wurden, war es nicht mehr so leicht für ihn, in der Stadt zu versumpfen. Das Licht fiel in unvermuteten Winkeln ein und schuf ein Gitterwerk von Möglichkeiten. Er konnte es nur für begrenzte Zeit betrachten.

Es war schwierig, alleine zu sein, aber noch schwieriger empfand er seine Lage in Gesellschaft von Tom und Georgie, vor allem, seit die Hochzeitsvorbereitungen auf Hochtouren liefen. In jüngster Zeit hatte er viele Partys besucht und Verabredungen zum Abendessen getroffen. Solche Zerstreuungen boten ihm einen Vorwand, sich aus dem Staub zu machen, wenn sie von ihren Fahrten nach Islyn zurückkamen, wo sie das Cottage renovierten. Georgie bestand jedes Mal darauf, in der kleinen Wohnung für alle zu kochen oder ihn mit in den Pub zu schleppen. Tom enthielt sich jeder Äußerung, wie ihm aufgefallen war. »Lass ihn, Georgie«, hatte er letzte Woche gesagt. »Er hat sicher etwas Besseres vor.«

Aber Tom war dann doch verstimmt gewesen, als er erfuhr, dass Nye nicht mit ihnen zu Chris gehen wollte; bei dem heute eine Party stattfand. »Ich kann nicht«, hatte Nye erklärt. »Ich habe Dick Taylor schon zugesagt. Er hat einen Mitarbeiter von Southwest Computers eingeladen, den ich unbedingt kennen lernen muss.« Er hatte versprochen, später vielleicht noch auf einen Sprung vorbeizuschauen, wenn er rechtzeitig nach Bartraeth zurückkehrte.

Der Mitarbeiter von Southwest Computers war jetzt unten in der Küche, mit Nyes Visitenkarte in der Tasche, und verabschiedete sich von seinem Gastgeber. Es war zehn Uhr, und Nye würde noch eine Weile bleiben. Er füllte sein Glas und sah sich um. Drüben neben dem Tisch stand ein gertenschlankes blondes Mädchen. Was ihre Statur und Gesichtszüge betraf, unterschied sie sich von Andrea, der kastanienbraunen jungen Frau, mit der er letztes Jahr ein paar Mal ausgegangen war, aber dennoch besaß sie die gleiche Klasse. Er erinnerte sich, wie Tom Andrea angestarrt hatte. Im Zimmer nebenan brachte ein Mädchen mit ihren lakonischen Bemerkungen die Gruppe, die sich um sie geschart hatte, zum Lachen. Unter den Männern besaß einer eine entfernte Ähnlichkeit mit Tom.

Wo sollte er anfangen? Wenn er die richtige Wahl traf, konnte er die nächsten Stunden in angenehmer Gesellschaft verbringen. Am Ende würde er sich vielleicht mit einer Telefonnummer in der Tasche und dem Versprechen verabschieden, sich in naher Zukunft bei einem Rugbyspiel oder einem Drink in der Mittagspause wieder zu sehen. Falls es sich um eine Frau handelte, würde er die Party möglicherweise in ihrer Begleitung verlassen. Ein Trost, der unmittelbarer war, von Fleisch zu Fleisch, eine verlockende Aussicht. Seine Arme schmerzten, wenn er nur daran dachte. Er sehnte sich danach, einen Körper zu umarmen und zu spüren, wie ihm fremde Gliedmaßen vertraut wurden.

Er hatte gelernt, sein Bedürfnis nach Zärtlichkeit in Schach zu halten. Er wandte sich von dem lakonischen Mädchen ab, das ihn beobachtet hatte, und ging zu einem Mann namens Philip hinüber, der ihm durch seine Fröhlichkeit aufgefallen war.

Es war Viertel vor elf. Philip hatte sich als angenehmer Gesprächspartner erwiesen, und als sich das lakonische Mädchen zu ihnen gesellte, waren sie und Nye sich auf Anhieb unsympathisch gewesen. Die blonde Sirene hatte, wie es manchmal vorkam, ihren Reiz eingebüßt, seit er sie zum ersten Mal erspäht hatte, und er konnte sich nicht einmal mehr erinnern, welche anderen Männer er interessant gefunden hatte.

Eine Weile hatte er eine junge Frau mit mittelbraunen Haaren und Gesichtszügen beobachtet, die wie gemeißelt aussahen. Sie wirkte verloren, was er reizvoll fand. Außerdem war sie attraktiv. Er hatte bemerkt, dass sich einige Männer bereits alle Mühe gaben, bei ihr zu landen.

Doch Nye hatte einen Vorteil – er kannte sie aus der Schule, wenn ihn nicht alles täuschte. Hazel hieß sie. Hazel ... aber wie weiter? Egal. Ihr Glas war leer, und sie blickte sich suchend nach Wein um. Nye beugte sich über den Tisch und erspähte eine Flasche. Dann wollen wir mal, Hazel. Komisch, jetzt fiel es ihm wieder ein – Hazel Thomas.

Zweiter Teil

Kapitel 3

DER SCHNEE FIEL DICHTER, als sie den Berg hinauffuhren. Das Gemeindeland oberhalb der schmalen Straße war bereits schmutzig weiß. Weiter unten verloren die Felder ihr Grün.

Die eisige Luft drang durch die Fensterdichtungen und rund um die Kanten des Faltdachs in den Wagen ein. Hazel stopfte die Haare fester in den Kragen ihrer Jacke.

»Mein Gott, dieses verdammte Schneetreiben«, stöhnte Nye. »Das hat man davon, wenn man sich auf Tom verlässt. Eine Hochzeit im Frühling, und siehe da, es schneit. Wir werden uns alle den Arsch abfrieren'«

»Wie weit ist es noch?«

»Auf der anderen Seite des Bergs. Ungefähr zehn Minuten. Soll ich langsamer fahren? Im Auto ist es bestimmt wärmer als in der Kirche.« Aber er gab Gas, und sie fuhren ein bisschen schneller.

Aus dem Fond des Wagens ertönte ein gleitendes Geräusch, dann ein Poltern, als das rot eingewickelte Geschenk gegen die Seitenwand des Wagens prallte.

»Was ist da drin?«, fragte Hazel.

»Ein Buch. Nur ein kleines Mitbringsel. Das eigentliche Hochzeitsgeschenk haben sie schon. Ich habe ihnen das Haus verschafft.«

»Was?« Sie konnte ihre Überraschung nicht verhehlen, obwohl sie entschlossen war, kein Wort des Erstaunens mehr darüber zu verlieren, was Nye für seinen Freund tat.

»Ich habe die Kaution und die Miete für die beiden ersten Monate auf den Tisch geblättert. Und ein Telefon verlegen lassen. Nicht schlecht, oder?«

»Sehr großzügig.«

»Nein, eigentlich nicht.«

Darauf fiel ihr keine Entgegnung ein. Hazel blickte wieder aus dem Fenster. Sie befanden sich inzwischen weit oberhalb der letzten Häuserreihe, und zu beiden Seiten der Straße erstreckte sich Gemeindeland. Die Konturen wirkten schwerfällig; jeder Abhang war gerundet, Senken und Hügel zeichneten sich massiv gegen den Himmel ab. Es schien, als würden sie lange über einen Gipfel fahren, der einer Knolle glich, ohne dass man irgendwo hinuntersehen konnte. Sie hatte diese Landschaft nie gemocht.

»Wir waren manchmal hier oben«, sagte Nye. »Erinnerst du dich an den Ausflug, den wir im Erdkundeunterricht gemacht haben?«

»Da sind wir nicht hierher, sondern ans Meer gefahren.«

»Nein, wir waren hier.«

»Ganz bestimmt nicht, Nye. Wir waren am Meer. Ich entsinne mich genau. Dort gab es überall Treibsand, und irgendjemand hat seinen Schuh darin verloren.«

»Also gut, wenn du darauf bestehst. Ich weiß jedenfalls, dass ich hier war. Die ganze Klasse stand auf dem kleinen Hügel neben der Hütte, wo der Dreieckspunkt ist. Und Barry Caddick hat seinen Schuh im Morast verloren.«

Hazel betrachtete die Hütte, den Kiesfleck und den kleinen Hügel, und sie war verwirrt, als sie die Landschaft wieder erkannte. Sie warf Nye einen flüchtigen Blick zu, aber er hatte das Gesicht abgewandt und spähte durch die dünne Schneekruste, die an der Windschutzscheibe haftete.

»Eine Scheißgegend ist das.«

Hazel hielt ihre Hände über die Heizung am Armaturenbrett. Ihre Knöchel fingen einen Hauch Wärme ein, und es roch plötzlich nach Erbsensuppe. »Die Heizung geht wieder.«

»Gut. Hoffen wir, dass es so bleibt. Schau dir deine armen Hände an. Kreideweiß.«

»Macht nichts.« Hazel steckte sie in ihre Ärmel.

»Ich hab einen Pullover hinten im Wagen. Soll ich ihn holen? Du kannst ihn anziehen und hättest es schön warm, ohne dass man ihn unter deiner Jacke sieht.«

»Muss nicht sein. Mir geht's gut.«

Sie drehte sich zu ihm um, als er den Kopf schüttelte. Seit er sie abgeholt hatte, hatte er eine merkwürdige Mischung aus Beschützerinstinkt und Gleichgültigkeit an den Tag gelegt. Einige Male hatte er Bemerkungen von sich gegeben, die als Scherz verstanden werden konnten, sich aber als ernst gemeint erwiesen. Mit Sicherheit lachte er jetzt nicht. Wenn er nämlich lachte, dann tat er das übers ganze Gesicht, und eine Furche erschien auf seinem Kinn.

Hazel war sich seiner körperlichen Präsenz noch stärker bewusst als bei der Party. Das lag zum Teil auch daran, dass sie ihr anfängliches Urteil über ihn revidieren musste. Seit sie allein waren, schien er größer zu sein, und sie konnte sich nicht erinnern, dass seine Gesichtszüge so regelmäßig waren. Eine breite Nase, verhältnismäßig tief liegende Augen, lockiges Haar – er besaß Ähnlichkeit mit der Büste irgendeines obskuren römischen Konsuls, dem man Farbe und Leben verliehen hatte, aber nur einen Hauch Leben. Irgendein Funke in ihm schien heute darauf zu warten, dass er entzündet wurde.

Er wirkte nicht annähernd so entspannt wie bei dem Fest oder wie letzte Woche im Kino. Aber er hatte nie vorgegeben, lässig zu sein. Hazel erinnerte sich an den Anruf am Mittwoch, als sie versucht hatte um die Verabredung am heutigen Tag herumzukommen.

»Ich muss noch packen. Ich hätte nicht gedacht, dass sich im Laufe der Zeit so viel Zeug ansammelt. Und ich muss spätestens Samstag mit der Wohnungssuche beginnen.«

»Oh, ich verstehe.« Seine Stimme hatte einen dumpfen Klang.

»Mir ist schon klar, dass es blöd ist, so kurzfristig abzusagen. Aber weißt du, mir droht alles über den Kopf zu wachsen. Ich muss in zwei Wochen in Bristol sein.«

»Ich könnte heute Abend vorbeikommen und dir beim Packen helfen.«

»Oh, das ist nicht nötig.« Dennoch hatte sie gezaudert und überlegt. Der Gedanke, dass er den weiten Weg zum Haus ihrer Eltern auf sich nehmen wollte, um sie wieder zu sehen, war verlockend. Das bewies mit ziemlicher Sicherheit, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte. »Du hast doch bestimmt selbst genug zu tun.«

»Nach dem gestrigen Abend ist kein Mensch in der Lage Bäume auszureißen.«

»Das hatte ich ganz vergessen. Wie war's denn?«

»Du kennst doch diese reinen Männergesellschaften, oder vermutlich nicht. Alle sind betrunken und ein bisschen ausgeflippt. Wir haben uns gut amüsiert.« Sie hatte eine Zeit lang geschwiegen, bis Nye schließlich wieder das Wort ergriff, förmlich und eine Spur gehemmt. »Ich hatte mich sehr darauf gefreut, dich mitzunehmen.«

Und da saß sie nun, zur Linken von Nye, und wartete darauf, mit den Leuten näher bekannt zu werden, die zu seiner Rechten sitzen würden – Tom und Georgie. Nye hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass er neugierig war, was die beiden wohl von ihr hielten. Ganz gewiss hatte er nicht erwartet, dass sie sich gekränkt fühlen könnte, ihnen zur Begutachtung vorgeführt zu werden. Er war vermutlich sogar der Meinung gewesen, es sei eine Ehre für sie.

Hazel ärgerte sich, dass sie sich darauf eingelassen hatte mitzukommen, und es ärgerte sie ebenso, dass sie so emotional reagierte. Das Letzte, was sie brauchte, war, dass Nye ihre Verstimmung bemerkte. Sie wusste nicht genau, was sie von Nye wollte – falls sich überhaupt etwas zwischen ihnen anbahnen sollte –, aber es konnte nicht schaden, der Entwicklung stets um einen Schritt voraus zu sein. Er blickte sie wieder an, den Arm locker um das Lenkrad gelegt. Sie betrachteten sich einen Moment wie Nachbarn über den Zaun hinweg.

»Du siehst bezaubernd aus«, sagte Nye unverhofft. »Braun ist eine Farbe, die dir sehr gut steht.« Hazel verspürte einen freudigen Stich und merkte, wie sie errötete. Es begann wie eine Hitzewelle in den Eingeweiden, die sich nach oben ausbreitete, aber von ihr gestoppt wurde, bevor sie den Hals erreichte.

»Und zum Glück wirkt sie nicht so steif und feierlich. Übrigens, ich habe Tom nichts von deinen Ansichten über Ehen erzählt, die in jungen Jahren geschlossen werden.«

»Um Himmels willen, das hoffe ich doch sehr.«

»Es würde ihm nichts ausmachen. Er fände deinen Standpunkt nur seltsam. Du kennst doch Tom.«

»Kaum.« Obwohl sie ihn besser kannte oder zumindest genauer in Erinnerung hatte, als sie eigentlich zugeben wollte.

»Er hat sich riesig gefreut, als er hörte, dass du mitkommst. Er konnte sich auf Anhieb an deinen Namen erinnern, obwohl ich mir den Mund fusselig reden musste, um ihn davon zu überzeugen, dass du nicht blond bist.« Er lachte. »Ich glaube, er hat dich mit Hazel aus Crossroads verwechselt.«

Sie fuhren über einen Hügelkamm, und unter ihnen breitete sich eine neue Talsenke aus. Hazel lauschte dem Widerhall des Lachens. Nein, sie hatte es sich nicht eingebildet, die Bemerkung sollte sie in ihre Schranken weisen. Aber warum? Damit sie nicht auf den Gedanken kam, dass Tom sie wiedersehen wollte? Sie drehte sich zu ihm um, doch Nye beugte sich vor, und seine Wange war gerötet. »Wir sind da. Siehst du die Kirche dort unten links? Und ein Stück weiter oben auf der gegenüberliegenden Seite findet der Empfang statt.«

Hazel ging in Nyes grauem Pullover durch das Mittelschiff. Die Wolle kratzte am Hals und an den Handgelenken. Sie hatte nicht vorgehabt, ihn anzuziehen, doch als Nye ihn aus dem Fond des Wagens geholt und ihr mit den Worten »Nein, der ist zu langt« hingehalten hatte, war sie plötzlich verärgert.

»Vielen Dank, ich nehme ihn gerne«, hatte sie gesagt und ihm den Pullover aus der Hand gerissen.

»Aber er schaut unter deiner Jacke hervor.«

»Trotzdem, er ist warm. Ich werde ihn tragen.«

Er hatte keine weiteren Einwände erhoben, sondern ihre Jacke gehalten und sich bereitwillig vor sie hingestellt, um sie vor dem eisigen Wind zu schützen, während sie den Pullover anzog. Als sie ihre Jacke zuknöpfte, war ihr die Enttäuschung auf seinem Gesicht nicht entgangen.

Sie sah nicht mehr elegant genug für ihn aus. Auch gut. Die Befriedigung, die sie verspürte, war kindisch, aber ein Trost. Nye wurde ihr allmählich so lästig wie die Fliegen auf einem Pferd. Doch als sie die Kirche betraten, hielt sie sich dicht neben ihm. Der Pullover verströmte Nyes Geruch nach Körperpuder und Schweiß, und das Gewicht, das er besaß, wirkte beruhigend.

»Hier rein. Die Leute werden schon aufstehen.« Er hatte vor der Bank in der zweiten Reihe auf der Seite des Bräutigams innegehalten. Drei junge Männer und eine junge Frau redeten durcheinander.

»Bore da. Lass uns bitte durch, Mark.«

Sämtliche Gesichter drehten sich zu ihnen um. Hazel war kein einziges vertraut (kein Kribbeln des Wiedererkennens, obwohl Nye steif und fest behauptet hatte, dass sie etliche Leute kannte), und einer der jungen Männer sagte: »Aneurin, wo hast du gesteckt?« Dann grinste er und schlug sich die Hand vor den Mund.

Mark, Caroline, Iestyn und Chris – sie hatten alle die Kunstakademie besucht und kannten offenbar nicht nur Tom, Georgie und Nye, sondern auch einen Großteil der übrigen Anwesenden, die in der Kirche versammelt waren. Nachdem sie Hazel begrüßt hatten, setzten sie ihr Gespräch fort, und sie beobachtete, wie sie sich hin und her drehten, sich mittels Zeichen verständigten und lautlos Bemerkungen quer durch die Bankreihen machten.

Die kleine Kirche war fast bis auf den letzten Platz besetzt. Die älteren Familienmitglieder trugen Hüte, Dauerwelle, dunkle Anzüge; die jüngeren Verwandten und Freunde waren in der Überzahl, beinahe doppelt so viele. Während Hazel die Leute in den Bankreihen musterte, konnte sie nicht sagen, wer zur Verwandtschaft und wer zum Freundeskreis gehörte. Aber alle schienen sich gleichermaßen wohl zu fühlen.