Gotha ’85

Erzählung

von Nicki Pawlow

Inhalt

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Freundschaft, das ist wie Heimat.
Kurt Tucholsky

Eines Abends fand Uta das Foto von Nele wieder. Öfter schon hatte sie in Karteikästen, in denen sie ihre Fotos aufbewahrte, nach diesem Bild gesucht. In unaufgeräumten Schubladen und hinter Buchreihen war sie ebenso wenig fündig geworden. Schließlich glaubte sie, es sei verloren gegangen. Und nun fiel das Foto aus einer Schallplattenhülle, die Uta aus dem Regal zog. Mit einem leisen klack landete es auf den Dielen und Uta vergaß, dass sie Musik hören wollte. Sie sah auf die Schwarz-Weiß-Aufnahme hinab, Nele lächelte sie an.

Wenn Nele lächelte, zog sie ein wenig die Nase kraus und presste gleichzeitig ihre Lippen aufeinander. Man wusste nie genau, ob sie lachen oder weinen wollte. Uta nahm einen Schluck aus ihrem Weinglas und ging neben dem Foto in die Hocke. Manchmal träumte sie nachts von der Freundin aus Kindertagen. Es klingelt an Utas Tür. Nele steht davor, hält ein Päckchen in der Hand. Uta nimmt die gekräuselte Stupsnase und die aufeinander gedrückten Lippen wahr. Lächelt sie, oder ist sie betrübt? Nele reicht ihr das Päckchen. Ihre blonden Rattenschwänze schwingen hin und her. „Bleib’ “, bittet Uta. Doch Nele geht ohne ein Wort zu sagen. Bevor Uta das Päckchen auswickeln kann, wacht sie auf.