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Emma Glass

Peach

Roman

Aus dem Englischen übersetzt
von Sabine Kray

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Die Originalausgabe des vorliegenden Buches erschien 2018 unter dem Titel Peach bei Bloomsbury Publishing Plc. | © Emma Glass 2018

Edition Nautilus GmbH

Schützenstraße 49 a | D-22761 Hamburg

www.edition-nautilus.de

Alle Rechte vorbehalten | © Edition Nautilus GmbH 2017

Deutsche Erstausgabe März 2018

Umschlaggestaltung: Maja Bechert, Hamburg | www.majabechert.de

1. Auflage

eISBN 978-3-96054-065-6

Inhalt

Peach

Näher_in Not

Pausen Brot

Sonnen Schutz

Hautaus Schlag

Stein und Bein

Wald Schonung

Küsse auf den Lippen, Pisse auf dem Stäbchen

Anzügliche Späße

Entschieden schneiden

Warte Zimmer

Hospitalität

Genesung

Heuler (oder Wal) im Wasser. Daneben das Meer

Ich habe dich gefunden im warmen Licht des Schmerzes

Du kennst den Schlächter

Messer Fest

Plastik Präsent

Tschop Tschop

Verhalten

Feuer. Werk! Endlich

Ein kleiner Gedanke

Die letzten Akte, der letzte Akt

Danksagung

Nachwort der Übersetzerin

Peach

Näher_in Not

Plump klebt klebrig nasse Wolle. Klebt. Windet sich um Wunden, schließt Schnitt um Schnitt mit jedem Schritt, an der Wand entlang; meine Hand, behandschuht, schrammt daran. Rohe rote Steine zerfetzen Wolle. Zerfetzen Haut. Rohe rote Haut. Roh der rote Kopf. Ich ziehe den zerlumpten Handschuh von den Fingern, zucke als Fetzen zupacken, festhalten an meinen aufgeschürften Knöcheln. Es ist dunkel. Das Blut ist schwarz. Trocken. Riss rissig reißt. Der Geruch von verbranntem Fett verstopft meine Nasenlöcher. Ich bringe Finger ans Gesicht, wische Fett weg. Es klebt an meiner Zunge, kriecht in meinen Mund, schleimt an den Zähnen lang in die Wangen. Tropft. Die Kehle runter. Mir wird übel. Pink schimmert das Übel im Mondlicht. Fleischig. Fettig. Ich lehne mich an die Wand und schließe die Augen. Ich schlucke schwer. Ich schmecke Fleisch. Tierfleisch. Wieder übel. Meine Augen flackern. Pink flammt auf. Wieder schwarz. Mein Körper summt, drängt zum Backstein. Ich sehe Schwarz. Dichtes Schwarz. Aufgedunsen. Meine Lider aufgedunsen. Geschwollen. Schwarz-geschwollen vom Schlag. Vollgeschmiert mit Fett von seinen schlüpfrig schleimigen Wurstfingern. Seine Befehle reißen noch an meinem Trommelfell. Mach die Augen zu. Mach sie ganz fest zu. Und mach auf deine – doch die Augen zu. Mach sie zu. Mach sie zu.

Ich sehe Schwarz. Seinen schwarzen Mund. Ein Schlitz in seiner Haut. Klafft. Schwarz verkohlt. Verkohltes Fleisch. Strenger Kohleatem haftet an meiner Haut. Erstickend. Ich weine. Tränen gleiten über den Fettfilm, fallen von meinem Gesicht. Mein Körper summt. Ich muss nach Hause, aber laufen tut weh. Ich lege die Hand zwischen meine Beine und fühle Blut und Fett. Mir ist übel. Ich wische mir den Mund am Ärmel ab, stecke meinen Handschuh hinein und beiße auf die Wolle zwischen meinen Zähnen. Ich renne. Nicht weit. Nicht schnell. Es schmerzt zu sehr. Ich beiße noch fester zu. Wünschte Wolle wäre Stahl. Ich sehe mich um. Übel folgt mir in Schlieren. Schillernde pinke Flüsse. Ich hoffe auf Regen.

Ich schlüpfe durch die halb geöffnete Tür. Sie knarrt trotzdem. Sie werden das hören, mich im Flur abfangen. Er wird nicht nach dem Blut fragen. Sie nicht fragen, warum meine Kleider zerrissen sind. Sie wird sagen, dass ich hübsch aussehe. So rosig die Wangen. Er mir einen Kuss auf den Kopf drücken und sagen: Essen um sieben. Ich schlucke einen Mund voll Übel, schleiche mich still, den Handschuh zwischen mahlenden Zähnen, die Treppe rauf.

Im Bad drehe ich die Dusche auf und stelle mich darunter. Meine Kleider lasse ich an. Das warme Wasser brennt. Es prickelt auf der Haut. Mit den Zähnen pack ich meine Lippen. Kleider kleben an meiner Haut und es brennt, brennt, brennt, während ich mich ausziehe. Ich werfe gedunsenes Gewebe. Gesättigt mit Blut, Fett und Wasser. Die Kleider klatschen gegen die Wanne, platschen zu Boden. Wasser fließt rot. Schwarz und rot. Vor allem rot. Langsam wasche ich mich. Mit den Fingern. Viel Seife. So viel Seife. Ich schrubbe. Es schmerzt. Ich sehe meine Tränen Schaum brechen, ertrinken im Abfluss. Ich will mit. Stürzen, sinken, ertrinken. Will ins Warme, Dunkle. Ich setze mich in die Wanne. Steck den Stöpsel rein. Ich schließe die Augen.

Ich öffne die Augen, als Wasser in meine Nasenlöcher dringt. Ich wickele Zehen um die Kette des Stöpsels und ziehe bis er ploppt, das Wasser nicht mehr blockt. Weiße Fettaugen. Ich sehe zu. Wie sie kreiseln, vor sich hin segeln auf der Wasseroberfläche. Langsam. Unbekümmert. Genießen sie das Wasser. Mein Wasser. Ich erlaube meinem schmerzenden Gesicht ein schwaches Lächeln, als das Loch sie unvermittelt schluckt. Nicht mein Loch.

Es dauert, bis ich aufstehen kann. Meine geschwollenen Beine verweigern sich. Beugen geht nicht. Ich halte mich am Rand der Wanne fest, manövriere meinen Körper vorsichtig aus dem Wasser. Meine Knochen knirschen. Ich knülle mein Gesicht, kneife die Augen zusammen und die Lippen auch, damit die Schreie nicht entkommen. Ich stehe unter dem Strahl, beginne zu schrubben. Das Wasser ist jetzt kalt. So kalt. Egal. Ich muss sauber werden. Das Rot wegrubbeln. Das Fett weg. Seifenschaum rutscht runter. Kalt. Tropfen lochen Haut, drängen rein, rauschen durch, knallen kalt auf Knochen. Rotes Blut wird langsam blau. Summende Knochen halten still. Kalt. Taub. Ich stelle das Wasser ab. Greife nach dem Handtuch. Trete aus der Dusche. Das Handtuch fühlt sich nicht flauschig an auf meiner Haut. Fühlt sich nicht warm an. Fühlt gar nicht. Ich fühle gar nichts.

Leise gehe ich durch den Flur. Leise öffne ich die Tür zu meinem Zimmer. Leise schließe ich sie. Doch zu spät. Schon gehört. Sie traben die Treppe rauf. Trampeln sich gegenseitig nieder. Wickeln sich um das Treppengeländer. Kein Schloss an der Tür. Ich lehne mich. Sie werfen sich, dagegen, sie fliegt auf und ich flieg auch. Das Handtuch fällt. Vier Augen. Groß. Blau. Glasig. Aufgerissen. Weit. Sie starren. Mami schubst Papa aus dem Zimmer. Schließt die Tür. Er hustet. Tut mir leid, Peach, sagt er. Du hättest was sagen sollen. Geh bitte nach unten, Papa, sagt Mami. Wir hören ihn behutsam die Treppe hinuntergehen. Ich wickele mich in das Handtuch und setze mich auf das Bett. Mami setzt sich neben mich. Du bist so heimlich hochgegangen, sagt Mami. Wir haben dich gar nicht kommen hören. Ihre Augen sind groß und glasig, in ihren Pupillen pulsiert die Reflexion meiner kümmerlichen Schultern. Ihre Augen betasten mein Gesicht und meinen Körper und sie lächelt. Ihr Lächeln ist pink und bedeckt fast ihr ganzes Gesicht. Ich bin leise reingekommen, weil ich Baby nicht wecken wollte. Ich dachte, vielleicht schläft er, sage ich. Oh, du bist so ein braves Mädchen, Peach, sagt sie. Er ist gerade erst eingeschlafen. Braves Mädchen. Sie streichelt mein nasses Haar. Was möchtest du zum Abendessen?, fragt sie. Ich bin nicht hungrig, Mami, sage ich, den Blick gesenkt. Sei nicht albern. Ich wollte Nudeln mit Fleischbällchen für Papa und mich machen. Für dich auch, bloß mit Gemüse? Ich hab’ herrlichen jungen Zuckermais. Sie schmatzt und nickt. Ihre Augen hüpfen in den Höhlen. Mir geht es gut, Mami, wirklich. Ich hebe den Blick, sehe sie an, will wissen, ob sie die rote Pfütze zwischen meinen Beinen bemerkt, die sich durch das Handtuch frisst. Platsch. Es platscht auf den Teppich. Sie blinzelt, die Tropfen geben den Takt. Nun gut, ich mach es trotzdem, nur falls du später doch hungrig bist. Sie küsst meinen Scheitel. Klein bisschen käsig siehst du aus, Peach. Mit ihren vogeligen Fingern kneift sie mir in die Wangen, steht dann auf und eilt aus dem Zimmer. Sie dreht sich um und lächelt mich an, bevor sie die Tür schließt. Ihre Lippen gleichen dem Fleisch, das ich vorhin erbrochen habe.

Ich nehme den Spiegel aus dem Regal. Ich breite das Handtuch auf dem Boden aus und lehne mich mit dem Rücken gegen die Tür. Ich spreize langsam meine Beine und klemme den Spiegel zwischen den Schenkeln fest. Ich presse die Hand vor den Mund, um das Übel zurückzuhalten. Andere Hand fasst an. Geweberiss. Geschlitzt. Geritzt. Mit zwei zitternden Fingern berühre ich gerissene Haut, halte den Hautschlitz zu. Blut tröpfelt taktvoll, sanft. Ich beuge mich zum Spiegel. Flüssiges fließt aus meinen Augen, rinnt Richtung Rot über meinen Bauch. Kleine Flüsschen. Ziehen Schleifchen. Glitschige Seide, meine gerissene Haut. Scharlachbefleckt. Ich muss die Blutung stillen. Ich beuge mich weiter vor, schlinge meine Hände um das Bein des Schreibtischs und ziehe mich hoch. Ich ziehe ein Taschentuch aus der Box und presse es zwischen meine Beine. Ich ziehe meinen Morgenmantel an. Schlüpfe in Schlappen. Schliere die Treppe hinunter. Mami ist in der Küche. Kocht. Ich rieche das Fleisch. Rind. Röstet. Verkohlt. Sein Atem kriecht in meine Nasenlöcher. Beißender Rauch. Ersticken. Ich schlucke.

Bist du noch nicht angezogen?, sagt Mami. Nein. Ich muss noch ein Loch in meiner Jeans nähen. Das abgerissene Ding? Schmeiß sie einfach weg, Peach. Wir gehen diese Woche in die Stadt und kaufen ein paar neue. Als ich an ihr vorbeigehe, kneift sie mich in den Po. Ich öffne den Schrank unter dem Waschbecken und nehme den Nähkorb. Ich muss eh noch andere Sachen nähen, sage ich. Sie schnalzt mit der Zunge, schleckt Sauce vom Löffel. Ich schlüpfe vorbei und renne die Treppe rauf. Ich habe das Eis vergessen. Ich kraxele wieder runter. Ich wühle im Eisfach, finde den Eiswürfelbehälter. Zu viel Bewegung. Blut rinnt mein Bein runter. Mami sieht es nicht. Sid stakst in die Küche. Pfoten patschen, übertönen das Tropfen. Er scharwenzelt um meine Beine. Sein Fell fühlt sich weich an. Sein Fell wird rot. Ich löse mich von seinem Flausch, lasse ihn stehen, lass ihn stehen und schlabbern. Sid schlabbert die Tropfen auf.

Ich schließe meine Zimmertür und lehne mich dagegen. Ich sehe mich um. Ich weiß nicht, wonach ich suche. Ich hebe das Handtuch auf, dann breite ich es an derselben Stelle wieder aus. Ich suche im Nähkästchen nach pinkem oder pfirsichfarbenem Faden. Ich finde keinen. Dann weiß. Ich fädele ihn durch das Öhr. Es dauert lange. Meine Finger zittern noch. Ich verknote doppelt. Drei Mal. Vier. Das reicht. Ich schlage den Eiswürfelbehälter gegen den Schreibtisch. Fest. Jetzt fallen die Würfel raus. Drei passen in meinen Mund. Ich setze mich auf das Handtuch. Spreize die Beine. Platziere den Spiegel. Oh. Ich nehme einen Eiswürfel und drücke ihn gegen meine Haut. Oh. Kalt. Oh. Ich lasse es heruntergleiten an meine – kalt. Oh so kalt. Ich schiebe das Eis auf den Schnitt. Halte es da fest. Wasser tropft von meinen Fingern. Die Kälte tut gut. Ich warte bis das Eis geschmolzen ist. Das Eis in meinem Mund bleibt ganz. Meine Lippen im Spiegel blau und geschwollen. Auf gedunsen. Stein hart. Sie sehen aus, als ob sie gleich aus meinem Gesicht gleiten würden. Ich schaue nach unten. Oh. Der Schlitz ist kleiner. Noch immer eine Bresche doch. Ich nehme die Nadel. Zwei Finger halten kalte Haut. Ich zupfe am Faden. Lutsche das Eis. Richte die Nadel aus. Stecke sie rein. Stop. Kratzen. Katze. Kratzt. Nicht jetzt, Sid. Kratzen. Nicht jetzt. Ich will, dass er weggeht. Kratzen hört auf. Ich warte. Er ist weg. Ich fange an. Schiebe die Nadel durch die Haut. Stopfe. Es tut nicht weh. Aber es blutet. Weißer Faden wird rot. Roter Faden. Rein. Raus. Ich ziehe. Zupfe. Zerre an der Nadel. Rein. Raus. Raus. Raus. Licht aus.

Peach! Das Kreischen zwingt meine Lider auf. Peach! Abendessen ist fertig! Komm bitte runter. Mami steht am Fuß der Treppe. Ich höre Papa in die Küche eilen, einen Stuhl über Fliesen schleifen, sich setzen. Ich greife nach der Schere. Schnipp. Es blutet nicht mehr. Ich sehe mich im Zimmer um. Suche Kleider. Ich finde einen Schlafanzug. Warum?, werden sie fragen. Weil ich müde bin, werde ich sagen. Ich falte das Handtuch zusammen und stopfe es in den Müll. Das Nähkästchen bringe ich später.