CITIZEN SCIENCE revisited
Gerald Kastberger
Thomas Hötzl
Zukunftsweisende Ideen
Natur-Abenteuer LIVE indoors vermittelt
Das Erlebnis ungestörter Natur in einem Science Museum
Das *NATURA Science Center*. Ein Konzept
Titelbild
Das Londoner Riesenrad an der Themse, bekannt als das London Eye, ist hier zu einer Metapher verfremdet. Es soll ausdrücken, wie aus der freien, unberührten Natur[145] LIVE-Daten in eine solche Institution gelangen können, wie das in diesem Buch vorgestellte Projekt *NATURA Science Center*. Es wird eine Herausforderung sein, die Besucher mit solchen Daten in einer anspruchsvollen, didaktischen Umgebung zu einem authentischen Naturerleben zu führen. (Foto: Gerald Kastberger)
© 2017 Gerald Kastberger
Verlag | myMorawa von Morawa Lesezirkel GmbH |
ISBN
Hard cover: | 978-3-99057-737-0 |
Paperback: | 978-3-99057-736-3 |
e-Book: | 978-3-99057-738-7 |
Abb 1. Der Autor [gk] im Abbotsbury Schlosspark, Jurassic Coast, Südengland.
Gerald Kastberger ist am Zoologischen Institut der Universität Graz (Österreich) habilitiert.
Seine wichtigsten Forschungsfelder in den letzten zwei Dekaden bezogen sich mit einem Schwerpunkt auf Bienen, und zwar vornehmlich Honigbienen. Er untersuchte dabei folgende Aspekte:
• die soziale Kommunikation im Sinne der Begriffe Friedfertigkeit oder Stechfreudigkeit bei kollektiver Verteidigung
• Beutegreifer-Beute-Beziehungen
• die periodische Massenflug-Aktivität
• die Massenrekrutierung von Soldatenbienen
• das Driften von Arbeiterinnen zwischen Kolonie-Aggregationen
• die genetische Strukturen von Populationen von Riesenhonigbienen (Apis dorsata dorsata)
• der Polyandrie-Grad von Bienenköniginnen
• die Individualität des Flügelgeäders (A.d. laboriosa)
• die Entdeckung eines bislang unbekannten kollektiven Ventilationsmechanismus (A.d. dorsata).
• Für die Analyse der kollektiven Verteidigungswellen der Riesenhonigbienen wurde eine spezielle Bildanalyse-Technik entwickelt, welche stereoskopisches Imaging von Bienen-Individuen auf Bienennestern erlaubt. Diese erlaubt durch die Vermessung der Thorakal-Positionen in den drei Raumrichtungen, dass hunderte Bienen an der Nestoberfläche über Bildfolgen mit einer Genauigkeit von weniger als 100 μm verfolgt werden können. Darüberhinaus wurde in Chitwan (Nepal) unter Freilandbedingungen Infrarot-Technologie und Laser-Vibrometrie eingesetzt.
In dieser Zeit entstanden vier Dokumentarfilme:
• 1999 wurde der inzwischen weltweit verbreitete Dokumentar-film über die Riesenhonigbienen mit dem englisch-sprachigen Titel „The Magic Trees of Assam“[67] (deutsch-sprachiger Titel: „Assam, im Land der Bienenbäume“) vorgestellt. Als Erzähler konnte Sir David Attenborough gewonnen werden, und als Financiers standen National Geographic, ZDF, Canal++ und der ORF zur Verfügung. Dieser Film bekam Auszeichnungen auf vier Filmfestivals (Banff, Montreal, Graz, Bristol). Inzwischen haben weltweit mehr als 400 Millionen Menschen diesen Film gesehen.
• Der Film Verteidigungsstrategien bei Riesenhonigbienen (Apis dorsata dorsata[68] wurde Film für Schulen, aber auch für die Schulung einer interessierten Klientel wie Juristen, Psychologen, Ökonomen oder Politiker produziert. Er erhielt auch den zweiten Preis auf der Apimondia, Durban 2001[149].
• Ein weiterer, ebenfalls mit Preisen ausgezeichneter Dokumentarfilm bezog sich auf die Killerbienen (2003; englischsprachiger Titel: The Legend of the Killer Bees[119,127]). Diese berühmt-berüchtigte Hybridisierung der Westlichen Honigbiene wird wissenschaftlich als Afrikanisierung bezeichnet. Dieser Film wurde in Arizona und in den brasilianischen Bundesstaaten Amazonien and Mato Grosso gedreht.
• Die Geschichte des Kleinen Afrikanischen Stockkäfers Aethina tumida wurde unter dem englischsprachigen Titel Beetle versus bee: the dramatic story of a cunning parasite[120,150] in Südafrika, in den US-Bundesstaaten South Carolina, Georgia, Florida and Arizona, sowie in der italienischen Toskana und im österreichischen Lunz am See gefilmt und ist ebenfalls preisgekrönt.
Frühere Forschungsfelder[1] des Autors beziehen sich auf …
• … die Lauterzeugung von amazonensischen Fischen wie Dornwelse und Piranhas
• … die Hörleistung der Piranhas
• … das Fluchtverhalten von den Höhlenschrecken (Troglophilus cavicola), das von der Untergrundsteilheit moduliert wird
• … die Funktion der Stirnozellen von Bienen und Wespen; auf das schnelle Erregungssystem von sensitiven Pflanzen (Mimosa pudica und Neptunia plena).
• … die Normgenese des retinalen Systems beim Alpensalamander (Salamandra atra, Urodela) (Doktorarbeit).
Wieder neuere Arbeiten thematisierten mit Kooperationspartnern …
• … die Ökologie der Wanderbewegungen der Tüpfelhyänen (Crocuta crocuta) in der Etoshapfanne (Namibia)
• … die Wiederansiedlung von Löwen in einem Nationalparks Südafrikas
• … im Buch „Die Bergwelt des lran“[121] die traditionelle Bienenhaltung[122] and das Leben der Nomaden im Zagros-Gebirge
• … im Buch Ätna[123] die Ätnaweine[124]
• … und im Band Menschen und Bienen[125-126] die Bedrohung der Honigbienen durch die Umwelt am Beispiel der Riesenhonigbienen Apis dorsata vor allem in Indien und Nepal, sowie die Ökologie der Hybridform der Honigbiene Apis mellifera in den beiden Amerikas, die als Killerbienen berühmt-berüchtigt geworden sind.
Der Autor leitete, auch mit Studierenden, eine Reihe von Exkursionen nach Asien, Afrika, Südamerika. So besuchte er mehrere Male die ostafrikanischen und südafrikanischen Savannen, bestieg zum Teil mehrmals den Mount Meru und den Kilimanjaro in Tansania sowie das Ruwenzori-Gebirge in Uganda, und besuchte dort auch unter anderen den Bwindi-Nationalpark, um Gorillas zu sehen. Er bestieg einige Sechstausender im Himalaya, kam in die Anden und in die tropischen südamerikanische Becken des Amazonas und Pantanal, nach Südaustralien, zum Goldenen Dreieck an der Grenze Myanmar, Thailand und Laos, in das Brahmaputra-Tal in Tibet und Assam, zu den Meereis-Regionen Nordwest-Grönlands rund um Qaanaaq und nach West-Spitzbergen, sowie zu den Tauchgründen der Adria und des Roten Meeres, hier von Dahab auf Sinai bis Suakin im Sudan.
Abb 2. Der Koautor [th] auf dem Edward Peak des Mount Baker (4 844 m), anlässlich der Expedition zum Ruwenzori-Gebirge Februar 2016, Uganda.
Thomas Hötzl begann an der TU Graz das Studium aus Elektrotechnik, es zog ihn aber relativ bald nach Wien für ein Gesang-Studium am Wiener Konservatorium. Bis 1992 gab er Konzert- und Opernauftritte in Österreich, Deutschland, Spanien, Italien und Japan. Zu seinen Ambitionen gehören insbesondere Farming als Wein- und Obstbauer, Schnapsbrenner und Imker, aber auch Bergsteigen und Klettern. Wenn die Zeit es zulässt, betreut er auch Schülergruppen auf Schullandwochen als Wanderguide in Biologie. Seit Mitte der 90er Jahre begleitete er Gerald Kastberger auf Exkursionen, vor allem nach Asien (Indien, Nepal) und Afrika (Uganda). Die Publikationen, bei denen er als Koautor für Gerald Kastberger mitarbeitete, tragen auch seine Handschrift, insbesondere hinsichtlich des Designs der Freiland-Experimente mit der Riesenhonigbiene Apis dorsata dorsata und der Primärbehandlung der gewonnenen Daten. Darüber hinaus realisiert er so manches elektronisches Problem, kennt sich in der Messtechnik aus, und weiß Programme z.B. in Assembler, C, Java und Webanwendungen zu entwickeln.
Dieses Sachbuch …
• … handelt von Science Museen und ist für jene geschrieben, die sich für Science Museen interessieren.
• … wirbt für die Einrichtung eines *NATURA Science Centers*, einer Institution, die einem interessierten Publikum Naturgeschichten aus der Freien Natur mittels LIVE-Daten aufbereitet. Diese Institution gründet sich auf das Management authentischer Natur-Abenteuer, welches Exotik mit dramatischen Zusammenhängen evolutionsbiologischer Relevanz verknüpft.
• … fasst komplexes Hintergrundwissen praxisnah zusammen, und ist mit passenden Beispielen reichhaltig bebildert.
• … vermittelt innovative Konzepte, um einem interessierten Publikum Natur näher zu bringen. Es hinterfragt kritisch, aber auch provokant, wie viel Wissenschaft in gängigen Science-Center-Einrichtungen tatsächlich geboten wird.
• … bietet Faktenchecks darüber, um den Stellenwert zu hinterfragen, den ein Transfer von LIVE-Daten von outdoors nach indoors überhaupt bieten kann. Dazu wird auch die Bedeutung klassischer Zoos bewertet, und es wird beschrieben, warum LIVE-Übertragungen von Fußballmatches offenbar notwendig sind, wie sich Webcams, von der Internationalen Raumstation ISS bis zu einem renommierten Beecam-Projekt sich bewähren, welche Rolle unsere Gesellschaft den Augmented- und Virtual-Reality- Technologien zumisst; dabei wird auch der kürzlich lancierte Pokémon-Hype kritisch analysiert. Hier wird auch die ebenfalls trendig gewordene Fakes-Philosophie erwähnt, im speziellen werden dabei aber hier Replikas herausgestellt, die einem größeren Publikum bedeutsame kulturelle Werte zugänglich machen.
• … beschreibt einen Katalog von Problemen, die potentiell mit einer Präsentation von LIVE-Daten in Museen verknüpft sind. Es werden dazu organisatorische wie finanzielle Schwierigkeiten benannt, die herkömmliche Museen kaum bewältigen können, wenn Daten aus freier Wildbahn stammen. Zum anderen sind hier gänzlich neue Überlegungen anzustellen, wenn LIVE-Daten in einer ansprechend didaktischen Umgebung zu attraktiven Naturgeschichten transformiert werden sollen. Dies müsste auch mittels nützlicher Augmented Reality Tools geschehen.
• … stellt für das projektierte *NATURA Science Center* das Beispielmodul *BeeDance* vor, das die Tanzsprache von Honigbienen einem größeren Publikum näher bringt. Anhand dieses Moduls werden Wege und Methoden erörtert, wie Besucher selbst mit LIVE-Daten interaktiv und experimentell umgehen können.
• … schätzt die jährlichen Kosten für die Organisation dieses Beispielsmodul *BeeDance* ab und vergleicht diese mit jenen Kosten, die für die Haltung eines einzigen Zebras in einem Europäischen Zoo jährlich aufgewendet werden müssten.
• … verdeutlicht in fünf Episoden den konventionellen Begriff Exotik, der üblicherweise mit Naturabenteuern in den Tropen assoziiert wird: dazu werden die Begegnungen mit einem Krokodilfisch, mit Feuerkorallen, Panzernashörnern und Nektarvögeln geschildert, dazu kommt noch ein selten beobachtbarer Dialog eines Buschbocks mit einem Rhesusäffchen.
• … beschreibt in einer Reihe weiterer Episoden, dass exotische Naturabenteuer durchaus in heimischen, temperaten, Habitaten erlebt werden können: die Beispiele betreffen balzende Auerhähne; wenn Ameisen Blattläuse melken oder wenn der Sonnentau Tiere fängt und frisst; wenn Pflanzen über Wärmebilder mikroökologisch charakterisiert werden; wenn Honigbienen Nektar und Pollen sammeln, tanzen oder Wabenzellen bauen; wenn soziale oder solitäre Wildbienen ihre Nester organisieren; wenn Gletscherbewegungen visualisiert werden; oder wenn gemessen wird, wie kollisionsgefährdend Schifahrer auf Pisten unterwegs sind.
• … listet einige Module auf, die in dem vorgeschlagenen *NATURA Science Center* in einer initialen Pilotphase machbar implementiert werden könnten.
• … führt im Diskussionsforum, das in der Homepage www.geraldkastberger.at ständig ergänzt wird, Ideen, Vorschläge und Postings an, die in einer Relevanz mit dem in diesem Buch beworbenen Konzept eines *NATURA Science Center* stehen. Dazu zählen aktuelle Museums- und Ausstellungsbesuche, Diskussionsbemerkungen zu diesem Buch von kritischen Fachkollegen, aber auch Berichte von publizierten Projektkonzepten. Diese Beiträge werden vom Autor [gk] mit detailreicher Kritik kommentiert.
Citizen Science * Science Center * Positionspapier * Implementierung * NATURA Science Center * LIVE-Daten * authentische Naturabenteuer * Exotik * Übertragung von Daten von outdoors indoors *
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Abb 3. Innovation benötigt Leuchtturm Projekte wie hier im Bild als Supernova symbolisiert mit Blick auf die Dachstein Gletscher[103]. In diesem Essay wird die Idee eines NATURA Science Centers (*NSC*) vorgestellt, das seinen Besuchern LIVE-Geschichten aus der belebten und unbelebten Natur durch Real-Time-Monitoring zugänglich macht.
Ich habe dieses Essay aus zwei Gründen geschrieben: Einmal um jene Eindrücke und Ideen aus erster Hand niederzuschreiben und zu bewerten, die ich auf der ECSITE-Tagung in Graz 2016[2] erfahren und sammeln konnte. Diese haben mich zu hilfreichen, neuen Perspektiven geführt, die mich das Konzept eines *NATURA Science Centers*[3] (in weiterer Folge ist dieses Konzept mit *NSC* abgekürzt) weiter führen lassen. Ich habe diese Projekt-Idee in den letzten 20 Jahren entwickelt, und sie nahm immer mehr Gestalt an, je mehr ich sie bei Fachseminaren an der Universität, auf Forschungsexpeditionen, bei Ausstellungen[1,64], Workshops[1,69] und Dokumentarfilmen[1,67-68], die ich selbst gestaltet habe, mitberücksichtigen konnte. Im Laufe der Zeit habe ich von einigen Dialogpartnern eine Menge an Ideen und Fragen bekommen, auf die ich mich nun in diesem Essay, oder sagen wir besser dazu Positionspapier, rückbesinnen möchte.
Ich schlage vor, das konventionelle Konzept von Science Museen zu überdenken und neu aufzustellen.
Abb 4. Honigbienen stehen im Fokus globaler Forschungsleistungen. Hier sind Europäische Honigbienen (Apis mellifera) auf der Wabe eines Beobachtungsstocks abgebildet. Universität Graz, Österreich.
Der zweite Aspekt, der für dieses Essay erwähnenswert ist, war festzuhalten, was ich auf der ECSITE-Tagung[2] an kompetenten Meinungen, Berichten und Klarstellungen von Museumsleuten aus der ganzen Welt direkt einholen konnte. Ich stellte mir dabei die Frage, ob es denn schon eine solche Idee, wie ich sie als *NSC*[3] konzeptuell entwickelt habe, irgendwo in der Welt und irgendwann im Museumsalltag bereits verwirklicht wurde. Also die Idee, dass Geschichten aus der freien, von Menschenhand im großen und ganzen ungestörten Natur[145], LIVE über Datenkanäle einem interessierten Publikum routinemäßig angeboten werden.
Es gibt nur wenige Museen weltweit, wo einem interessierten Publikum Naturgeschichten mittels LIVE-Daten regelmäßig aufbereitet werden.
Ich war nach dieser ECSITE-Tagung von der Situation selbst überrascht, die sich mir durch diese für mich durchaus aufregende Recherchelage bot. Vielleicht liegt diese Art von Information doch nur in Facetten, also unvollständig vor, aber die Botschaft war für mich deutlich, dass es nämlich derzeit global offenbar nichts Ähnliches gibt, das meiner Idee eines *NSC*[3] entspräche.
Abb 5. Wie können wir Daten von Honigbienen für ein interessiertes Publikum online durch Real-Time-Monitoring so erschließen, dass Naturgeschichten auch mit evolutionsbiologischem Bezug erzählt werden können?
Ich denke, das ist ein guter Grund, das *NSC* Projekt einige Stufen weiter zu treiben und in den Status der Machbarkeit und einer wirtschaftlichen Umsetzung zu führen.
Im übrigen bin ich immer mehr davon überzeugt, dass die Konzeption konventioneller Science-Center[4]-Einrichtungen, deren Mission in den 80er und 90er Jahren mir als durchaus up-to-date und revolutionär erschien, nun doch ein wenig alt, verrunzelt und ausgebleicht ist. Ich stelle dies gerade auch aus diesem Grund so prononciert an den Anfang dieses Essays, weil Science Museen heutzutage in großer Zahl wie Schwammerl aus dem Boden sprießen, und doch vielfach nur als monotone Klonierung gelten können. Deshalb möchte ich gleich hier betonen, dass diese Institutionen neu aufgestellt werden könnten und sollten.
Es ist Zeit, an eine neue Generation von Science Museen zu denken.
Ich sage das so, vorerst natürlich in eigener Mission, wenn ich behaupte, dass die Idee eines *NSC* einen jener innovativen Wege darstellt [Abb 3], der die Implementierung einer neuen Generation von Science-Center-Institutionen durchaus vorantreiben könnte. Natürlich ist dies noch ein klein wenig davon abhängig, dass sich finanzkräfitige, initiative und kreativ denkende Investitionspartner finden lassen, die eine solche Innovation, wie ich jedenfalls, als ein gesellschaftlich wichtiges Projekt betrachten können und es mit entsprechenden Finanzmitteln ausstatten.
In diesem Essay liste ich einmal wesentliche Aufgaben und Ziele von Science-Center-Einrichtungen auf, vor allem im Blickwinkel der Institutionen selbst, und erwähne dann gleichwohl auch einige der sie betreffenden Schwachstellen. Ich bringe dazu schließlich mein Konzept eines *NSC* ins Gespräch, das ich in wichtigen Details vorstelle, auch mit vielen der Schwierigkeiten, Dilemmas und Sorgen bei möglichen Umsetzungen. Kritiker dieser Idee sehen berechtigtermaßen Probleme gerade darin, wenn Geschichten LIVE aus der freien, belebten und nichtbelebten Natur[145] einem größeren Publikum angeboten und erlebnishaft aufbereitet werden sollen. Ich illustriere aber dann auch, wie ich mir es konkret vorstellen kann, Naturgeschichten über moderne, innovative Zugänge zu erzählen und zu dramatisieren, und zwar vor dem Background evolutionärer Zusammenhänge. Es sind nämlich auch jene Naturgeschichten, wie sie meinem Erfahrungsschatz im Umgang mit Naturerlebnissen entsprechen, welche mich seit meiner vor-akademischen Zeit geprägt und begleitet haben[5].
Es ist nicht ganz einfach einem gemischten Publikum aller Bildungsschichten und Altersklassen Naturgeschichten zu präsentieren, und zwar mit Daten, die LIVE von Vorgängen und Ereignissen aus freier Wildbahn[145] online verfügbar sind und indoors eingespielt werden. Solche Natur-Abenteuer bieten eine Vielfalt von Erlebnissen, Gedanken und Zusammenhänge, die im *NSC* gleichsam entlang eines roten Fadens dramaturgisch getrimmt werden müssen. Ich möchte dieses Organisations- und Gestaltungsproblem an einem bewusst eng gehaltenen Verhaltensaspekt bei der allgemein bekannten Westlichen Honigbiene Apis mellifera erläutern [Abb 4]1. Die Geschichte, von der jetzt die Rede ist, soll davon handeln, WIE und WARUM Honigbienen fliegen.
Das Konzept des *NATURA Science Center* wird hier an einem allgemein bekannten Naturabenteuer erörtert, nämlich am Flug der Honigbiene.
Es wird wohl jeden faszinieren, einer Biene dabei zuschauen zu können, wenn diese gerade auf einer Blüte landen möchte, oder nach getaner Arbeit von dieser abfliegt, um dann gleich wieder eine nächste Blüte aufzusuchen. Dies geschieht auf einem von ihr selbst gewählten Flugkurs, und ihr Verhalten dient dem alleinigen Zweck, Nektar und Pollen aufzusammeln. Ich möchte dabei nicht allzu in kleinere Details abdriften, aber es ist ja wirklich so, dass, wenn man ein wenig nur hinter solche Verhaltensweisen zu blicken versucht, sofort vertiefende WARUM-Fragen[6] auftauchen2. Es handelt sich dabei vielleicht um folgende Themenbereiche: Warum fliegt die Honigbiene von Blüte zu Blüte? Warum oder wozu braucht sie den Nektar? Es geht dabei gar nicht anders: will man solche grundlegende Fragen beantwortet haben, muss man sich mit Fragen der Morphologie, Physiologie, Ökologie und der Ethologie dieser Tiere intensiv auseinander setzen.
Versuchen wir nun bei dieser Naturgeschichte des Sammelflugs einer Honigbiene Prinzipien zu erkennen, die auf drei Komplexitätsstufen zu den wesentlichen Fragen führen und dann auch die entsprechenden klaren Antworten3 bieten. Die Absicht dieses Essays bezweckt dabei natürlich auch, dass alles, was für dieses ausgewählte Beispiel einer Naturgeschichte gesagt wird, selbstverständlich nicht allein für den Flug der Honigbienen zu gelten hat. Nein, dieses Beispiel steht stellvertretend für viele andere Naturgeschichten. Ich möchte damit ja aufzeigen, wie naturwissenschaftlich korrekt gestellte Fragen zu Antworten führen können, die in einem breiteren, evolutionsbiologischen Kontext zu verstehen sind.
In der ersten Komplexitätsstufe, sozusagen als Aufwärmrunde für eine solche Recherche von Basis-Zusammenhängen, könnte sich der Beobachter einer Honigbiene für den Flugvorgang selbst interessieren. Damit eröffnen sich bereits Fragen unterschiedlicher Richtungen: Wenn man zum Beispiel wissen möchte, WIE sich die Flügel bewegen, WIE sie bewegt werden, oder vielleicht sogar WAS flugtechnisch alles notwendig ist, damit sich Bienen wie Hubschrauber um eine Blüte herum bewegen können, bedient man dabei physikalisch-technische, aber auch physiologische und logistische Zusammenhänge. Dies ist durchaus ähnlich, was Flugzeugtechniker beim Brainstorming erleben, wenn sie sich für bestimmte Randbedingungen des Flugverhaltens solcher Objekte interessieren. In der Regel befassen bio-physikalische Forschungsansätze, auch bei Honigbienen, eine Reihe von Fachgebieten, wie Biochemie, Nanotechnologie, Biotechnik, oder auch allgemein Systembiologie mit ihren quantitativen und funktionellen Zugängen. Biophysiker werden bei solchen Fragestellungen Modelle und experimentelle Techniken aus Physik, Mathematik und Statistik anwenden und sie können sich dabei auf Systeme unterschiedlicher Struktur und Komplexität beziehen, wie es Gewebe, Organe, Individuen, oder auch Populationen und ganze Ökosysteme darstellen.
Der erste Aspekt dieser Geschichte ist “WIE Honigbienen fliegen”.
Der zweite Aspekt ist dadurch bestimmt, dass jede Geschichte aus der belebten Natur prinzipiell mit dem persönlichen Wohlergehen des betrachteten Organismus (Mensch, Tier, Pilz oder Pflanze) verbunden ist. Im Fall des Sammelflugs der eusozialen[7] Honigbiene betrifft dies nicht nur die Sammlerin selbst, sondern auch das Gemeinwohl ihrer Mutterkolonie. Die Komplikation besteht aber noch darin, dass die individuelle Biene sämtliche Entscheidungen durchaus selbst zu treffen hat, und zwar tagtäglich, von Minute zu Minute oder sogar von Sekunde zu Sekunde, wie zum Beispiel das Problem zu lösen, welche Flugmanöver sie gerade durchführen möchte oder muss. Diese Palette von Entscheidungsmöglichkeiten betrifft bereits eine ganze Menge an Headlines allein aus der Evolutionsbiologie. Damit kann und muss die so vernetzte Geschichte eines Flugs einer Honigbiene in einer sehr viel breiteren Weise erzählt werden als vielleicht anfangs gedacht.
Der zweite Aspekt dieser Geschichte ist “WARUM fliegt die Honigbiene?” Vielleicht mit anderen Worten: „Wem nützt ihre Aktion?”
Bleiben wir noch kurz bei diesem überschaubaren Beispiel eines solchen Flugmanövers einer Honigbiene: wenn dieses Verhalten mit dem sozialen Leben dieses Individuums in seiner Mutterkolonie so stark verbunden ist, wie man ja von Honigbienen weiß, dann zeigt sich auch, dass diese Geschichte ihrer Flugmanöver auch auf andere Betrachtungsebenen streut. Es öffnen sich damit gleich wichtige Folgefragen, zum Beispiel welche Rolle ihre Flugentscheidungen für die reproduktive Leistung der Kolonie hat, natürlich auch für ihre eigene Ernährung wie auch für die Versorgung des gesamten Volkes mit Nahrung, aber auch für die individuelle und kollektive Verteidigung vor Fressfeinden. Noch dazu muss all das vor dem Hintergrund externer Verhältnisse betrachtet werden, wie sie die Tageszeit, die Jahreszeit oder die Kapriolen des Wetters bestimmen. Man kann dazu feststellen, dass solche beispielhaften Naturgeschichten vom alltäglichen Geschäft einer einzelnen Honigbiene uns durch die seitenstarken Bände von Biologie-Lehrbüchern[8] blättern lassen.
Und es gibt hier noch einen wesentlichen dritten Punkt zu bedenken, der uns zur bereits grob erwähnten Konzeption eines *NSC* zurückführt: Wenn solche Naturgeschichten zu WIE- und WARUM-Fragen führen, so sind Erklärungen und Antworten dazu nur, und ich meine hier wirklich ausschließlich, dann möglich, wenn die Natur-Beobachtung tatsächlich in freier, unberührter Natur passiert, ohne Einflussnahme von dritter Seite, das heißt, ohne experimentelle Einflussnahme, ohne Einsperren oder Gehegehaltung, selbst ohne die störende Präsenz eines Beobachters.
Der dritte Aspekt dieser Geschichte ist, so meine ich, ihre Verknüpfung mit der freien Wildbahn.
Solche Naturphänomene von der freien Wildbahn[145] vermitteln aber gerade dem so außenstehenden Beobachter das Gefühl der Einzigartigkeit, dass das Ereignis unwiederholbar wäre, und gibt ihm auch das Gefühl eines authentischen Naturerlebnisses, dass eben die Begegnung tatsächlich und nicht virtuell passiert ist. Solche Erlebnisse können sich dann aber auch durchaus wiederholen, mit dem selben Individuum oder mit anderen artgleichen Tieren, dies natürlich zu anderen Zeitpunkten, vielleicht auch an anderen Orten, aber meist unter ähnlichen Bedingungen. Dabei ist darin kein Widerspruch, einmal die Natur-Abenteuer in freier Wildbahn als einzigartig zu erleben, gleichzeitig sie aber mit dem Prinzip der Wiederholbarkeit zu verknüpfen. Denn gerade darin liegt die Qualität und Intensität solcher Erlebnisse, weil nur durch die hier homologe Vergleichbarkeit4 lassen sich einzigartige Naturphänomene beschreiben, interpretieren und verstehen. Das alles mag vielleicht im ersten Hinsehen trivial und alltäglich erscheinen, aber etwas genauer untersucht, können sich gerade aus wiederholten Abenteuern spannende und tiefgreifende Zusammenhänge [Abb 4-5] erschließen, die vielleicht sogar in der wissenschaftlichen Fachwelt noch unbekannt waren.
Es ist ganz einfach: Faszination erfordert die Einzigartigkeit des Erlebten.
Und noch etwas gilt es zu bedenken: Die Möglichkeit, auf WIE-und WARUM-Fragen[6] bezüglich solcher Natur-Abenteuer auch wissenschaftlich korrekte Antworten zu finden, eröffnet sich meist erst dann, nachdem quantitative Daten in der freien Natur5 gesammelt worden sind, wenn also Facetten, Abläufe und Ereignisse analysengerecht interpretierbar vorliegen. Erst dann könnte sich auch die Einzelbeobachtung eines Naturphänomens mit wissenschaftlich korrekt gestellten Fragen, aber auch mit möglichen Antworten verknüpfen lassen. Oder anders herum betrachtet: Bloße Beobachter können genau durch diesen Analysen-Prozess (nämlich Fragen zu stellen um Antworten zu finden) wissenschaftlich tätig werden. Und hier sehe ich auch eine der prominenten Aufgaben des *NSC*, dass es die Beobachtungen in der freien Natur mit den Anforderungen von Wissenschaft in Übereinstimmung zu bringen versucht. Oder es ist vielleicht noch ein wenig mehr, wenn das *NSC* den Besuchern sogar dabei helfen kann, den Status angehender Wissenschaftler zu erlangen.
Das *NSC* könnte den interessierten Besuchern den Status eines angehenden Wissenschaftlers verleihen.
Auf der ECSITE-Tagung[2] konnte ich Repräsentanten von Zoos, Museen und Science Center-Einrichtungen treffen, und auch Vertreter ihrer Netzwerke, Händler und Ausstatter, sowie Experten im didaktisch-pädagogischen Bereich. Einige Direktoren und Kuratoren erklärten mir, dass sie die Mission ihrer Institution selbstverständlich darin verankert sehen, wissenschaftliche Ideen zu kommunizieren. Sie meinten dann auch, dass diese Mission in den meisten Institutionen auch zufriedenstellend erfüllt wird, auch wenn sie die meist einseitige Beschäftigung mit physikalisch ausgerichteten Experimenten einräumen. Ich meine dazu nun auch, dass die didaktische Situation der Wissenschaftsvermittlung in vielen solchen Einrichtungen dabei noch dadurch verschärft wird, dass die Besucher meist nur durch Drücken von Tasten die Experimente starten können.
Natürlich ist es so: Die Mission von Institutionen vom Rang eines Science Centers ist die Verbreitung wissenschaftlicher Ideen.
Die Firmen, die experimentelle Setups von Science-Center-Einrichtungen designen und bauen, betonten, dass sie vor allem Dienstleistungen anbieten, die aus Ideen ihrer Klienten Praxistaugliche Applikationen entwickeln. Sie wendeten ebenfalls ein, dass die meisten ihrer Kunden monoton nur nach technischmathematischen, physikalischen und sinnesphysiologischen Experimenten verlangen.
Diese Mission ist aber durch das einseitige Angebot mit physikalischen Experimenten meist deutlich eingeschränkt.
Ich fragte dann explizit nach, warum denn biologische Themenstellungen in den Wunschlisten ihrer Kundschaft nur durch sinnesphysiologische Experimente abgedeckt werden, und Beobachtungen aus der freien Natur aber so gut wie nicht vorkommen[9]. Dieses praktische Fehlen von Naturthemen in Science Center-Einrichtungen ist meiner Meinung nach bedenkenswert, zeigt doch gerade eine rezente Studie über Citizen Science[10], dass der größte Anteil am Sammeln und Klassifizieren von wissenschaftlichen Daten sich gerade auf Fragestellungen bezieht, die aus der Biologie, aus dem Naturschutz und aus der Ökologie stammen6.
Die Ausstatter von Science Center-Einrichtungen bieten Dienstleistungen, die aus den Ideen ihrer Klienten brauchbare Museums Apps entwickeln.
Die Gründe dafür, warum Naturthemen in Science Center-Einrichtungen kaum Berücksichtigung finden, liegen nach diesen Kontakten mit meinen Gesprächspartnern klar auf dem Tisch. Zuerst einmal ist die Beschaffung der Daten von den Vorgängen und Ereignissen aus der freien Wildbahn7mit großen methodischen Schwierigkeiten und finanziellen Unwägbarkeiten verbunden. Darüber hinaus ist es den Museumsexperten nicht klar, wie man aus solchen meist sehr komplexen Original-Daten allgemein verständliche Naturgeschichten bilden kann, und letztlich ist es auch ihrer Meinung nach völlig offen, wie Besucher mittels solcher online vermittelter Datenströme (Real-Time-Monitoring) überhaupt betreut werden können.
Die Ausstatterfirmen und die Museumsleute waren sich in ihrer grundsätzlichen Bewertung auch einig, dass solche Daten, die LIVE aus der Natur-Umgebung online eingespielt werden, eine recht hohe Produkt-Komplexität besitzen, und dass der damit verbundene logistische und finanzielle Aufwand relativ hoch und kaum realistisch abschätzbar ist. Sie meinten auch, dass dieser Aspekt nicht allein über Eintrittsgelder aufgefangen werden kann. Sie bestätigten aber auch meinen bereits oben erwähnten Eindruck, dass eine zunehmende Zahl neu entstehender Science Center-Einrichtungen mit einem Edutainment-Programm allein mit Physik auskommen. Und es war ihnen durchaus bewusst, dass diese Häuser in ihrer Mission kaum mehr voneinander unterschieden werden können.
Die allgemeine Meinung von Museumsleuten ist: Naturthemen mit Real-Time-Monitoring abzudecken ist methodisch schwierig, finanziell herausfordernd, und didaktisch kaum zu betreuen.
Und noch eine Botschaft nahm ich von der ECSITE-Tagung 2016 mit, die sich durchaus ambivalent anhört: Museumsleute wie auch Ausstatterfirmen betonten, dass sich das experimentelle Design in Science Museen danach richten muss, dass sich Einzelpersonen unterhalten können ohne sich zu langweilen. Die Experten im pädagogischen und didaktischen Bereich zeigten in Vorträgen dagegen auf, dass das Engagement der Besucher bei Experimenten ganz wesentlich über Gruppenbetreuung gefördert werden müsste.
Abb 6. Wie können wir einen brauchbaren und schnellen Überblick über brandneue Daten erhalten? Wäre dabei die Möglichkeit nicht hilfreich, Daten von einer etwas höheren Warte aus analysieren zu können (wie hier durch das London Eye metaphorisiert)?
Das zentrale Anliegen von Science Museen ist es, jedenfalls entsprechend der vorherrschenden Meinung[4], wissenschaftliche Themen und Fragen einer interessierten Öffentlichkeit zu kommunizieren. Tatsächlich aber bieten Science Museen, ausschließlich oder vor allem, Physik-Unterhaltung. Meiner Meinung nach wird dadurch das eigentlich klar formulierbare Konzept einer naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise von Naturprozessen deutlich eingeschränkt: einmal durch die apodiktische Sichtweise, welche Wissenschaft mit Physik gleichsetzt8, zum anderen, durch die eigenartige didaktische Situation, dass das wiederkehrende Prinzip eines sogenannten interaktiven Experiments sich im Museumsalltag schlechterdings auf das Drücken von Triggerknöpfen beschränkt.
Zu meinen, Naturwissenschaft ist mit Physik gleichzusetzen, ist natürlich nicht statthaft. Damit wird das Interesse an Science in ungehöriger Weise apodiktisch beschränkt.
Abb 7. Dies ist eine von mehreren möglichen Versionen von Experimenten mit rollenden-Kugeln. Galileo Galilei beobachtete [11-12], dass Kugeln über eine glattflächige, schiefe Ebene immer mit der gleichen Geschwindigkeit hinunterrollen, ganz gleich welche Größe oder Masse sie besitzen (die in der Abbildung unterschiedlichen Grautöne repräsentieren die unterschiedlichen Massen) oder wie steil die schiefe Ebene war.
Daher stellt sich hier die kritische Frage, wie viel Wissenschaft denn in einem Haus geboten wird, das sich Science Museum nennt?
Ich räume ja ein, dass sich Besucher mit dem Drücken von Schaltknöpfen durchaus auch unterhalten können. Aber kann das nun alles sein? Nehmen wir einmal die experimentelle Idee9 an, dass so ein Knopfdruck Kugeln verschiedener Größe und Masse frei setzt, und diese Kugeln rollen daraufhin eine schiefe Ebene hinunter, wie in Abb 7 schematisiert. Das Ergebnis ist vielleicht für die meisten Leute überraschend, dass alle diese Kugeln, ganz gleich ob sie aus Plastik oder Stahl sind, genau zum gleichen Zeitpunkt die vorgegebene Ziellinie überrollen10 11. Solche Experimente sind durch physikalische Gesetze bestimmt, und daher sollten diese Gesetze dann auch über das experimentelle Ergebnis bestätigt werden. Anders formuliert, die Phänomene, die in Science Museen durch Experimente anschaulich gemacht werden, sollten die Besucher dazu anregen, sich über die Wirkungen relevanter physikalischer Gesetze auseinanderzusetzen.
Auch das bloße Drücken von Schaltknöpfen kann unterhaltsam sein. Aber …
Naturwissenschaliche Experimente bedürfen Hypothesen.
Ich gebe hier auch gleich zu bedenken, dass ein solches Nachdenken über physikalische Gesetze für die Durchschnittsbesucher nicht selbstverständlich ist. Voraussetzung dafür wäre nämlich, dass sich Besucher ihrer Rolle als Experimentatoren bewusst sind und daher bereits vor Beginn ihrer Versuche die entscheidenden Fragen stellen, die zu relevanten Hypothesen führen. Eine solche Frage könnte zum Beispiel lauten: Werden die Kugeln unterschiedlicher Größe und Masse die schiefe Ebene auch unterschiedlich schnell hinunterrollen? Dies würde die Möglichkeit ansprechen, dass eben schwerere Kugeln schneller rollten, was nichts anderes heißt, dass es die Gewichtskraft ist, die die Kugeln antreibt.
Physikalische Gesetze werden durch experimentelle Resultate bestätigt.
Es ist ganz interessant, dass gerade diese Hypothese12 von den meisten von uns emotional stark favorisiert wird, und daher ist sie auch schnell bei der Hand. Zugegeben, wir hätten diese Hypothese wohl nicht formuliert, wenn wir die in Frage kommenden physikalischen Gesetze vorher näher analysiert hätten. Wir würden im besten Fall vielleicht das Experiment wiederholen, und dabei, wenn wieder die Kugeln gleichzeitig durch das Ziel rollen, ein tief seufzendes Aha ausgestoßen haben, das unsere Einsicht unterstreicht, dass die oben erwähnte, emotionalisierte Annahme eben falsch war.
Eine wissenschaftliche Begegnung könnte zuerst einmal zu einem führen.