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CHRISTIAN LORENZ

Bleilaus, Schwein und Yeti

Heiteres aus dem Journalistenleben





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Was an Heiterem übrig blieb

Lustig ist es, das Journalistenleben. Aber halt nur im Rückblick. Da bleiben die kleinen und größeren Pannen, Peinlichkeiten, Missgeschicke und Verwechslungen haften, die man dazumal vielleicht gar nicht so spaßig fand. Ausgehend von wahren Erlebnissen, bieten sie heute in der aufgeheiterten und ausgeschmückten Erinnerung des Verfassers reichlich Stoff für Satiren, Histörchen und Anekdoten.

Diese Vielfalt erwächst auch aus einer bald 50-jährigen Journalistenlaufbahn, in der sich der Autor in zahlreichen Metiers versucht hat. Schon der Präsenzdienst beim Bundesheer war eine Fundgrube für satirische Erzählungen, auch wenn sie, wie im vorliegenden Buch, die strenge Form eines militärischen Berichtes hatten.

Dann, während des Publizistik-Studiums, hatte der Sport das Sagen. Selbst ein begeisterter Leichtathlet, heuerte der hoffnungsvolle Volontär bei einem Wiener Traditionsblatt an und versuchte sich auch journalistisch in verschiedensten Sportarten.

So schön diese Zeit auch war, für den Anfänger stand auf absehbare Zeit kein Platz in der großen, weiten Sportwelt in Aussicht. Nicht das Wimbledon-Finale oder der New York City-Marathon, sondern die halbleeren Tribünen heimischer Sportplätze waren seine Arbeitsplätze. Es gab sicherlich auch kultiviertere Gespräche als jene vor Fußballerkabinen, scharfsinnigere Kommentare, als man sie von Trainern oder von der Tribüne hörte, und interessantere Interviews als mit alteingesessenen Sportfunktionären in verrauchten Vereinslokalen.

Für den Hochschulabsolventen galt es also dann, ein etwas anspruchsvolleres Metier und einen Job zu finden, von dem man auch leben konnte. Der größte österreichische Verlag für

Wirtschaftszeitschriften suchte und fand im Autor einen Redakteur für sein Handelsressort, wo er so unterschiedliche Branchen, wie die Lebensmittel- und die Kfz-Wirtschaft, journalistisch betreute. Vielseitigkeit war also von Anfang an gefragt. Auch an Interesse für die Wirtschaftspublizistik mangelte es nicht, war doch bereits der Vater als Journalist und Verleger auf diesem Gebiet erfolgreich tätig.

Dabei hatte der Verfasser das Glück, an einen Ressortchef zu kommen, der das Journalistenhandwerk von der Pike auf gelernt hatte, der ein „Zeitungsmacher“ und echter Praktiker war. Er forderte viel, gab aber auch viel an die jungen Redakteure weiter. Auch war er für seinen Humor und seine Schlagfertigkeit bekannt und so konnte man mit ihm das Zeitungsgewerbe immer wieder von der heiteren Seite erleben. Daher stammen auch einige Geschichten des vorliegenden Buches aus dieser Zeit.

Die anstrengenden, aber lohnenden Lehrjahre endeten, als sich der Vater des Autors aus Altergründen aus dem Verlagsgeschäft zurückzog und ihm den Betrieb übergab. Nun galt es, sich um zehn Zeitschriften zu kümmern, die ganz verschiedene Wirtschaftsbereiche abdeckten. Von der Immobilien- und Einrichtungsbranche über die Bauwirtschaft bis hin zur Agrarwirtschaft reichte das Spektrum.

Die größtenteils nebenberuflich tätigen Fachredakteure standen nicht immer zur Verfügung und so war es der Autor, der oftmals einspringen musste, um wichtige Pressetermine zu besetzen. Klarerweise war er nicht in allen Branchen zu Hause, kannte nicht alle Akteure und konnte im Fachgespräch seine erschreckende Unwissenheit nicht immer verbergen. Klar auch, dass daraus überraschende, delikate und komische Situationen entstanden. Stoff genug also für die eine oder andere unterhaltsame Geschichte.

 

Das Debüt

 

 

„Haben Sie das geschrieben?“

„Jawohl, Herr Hauptmann.“

„Sind Ihnen die Folgen klar?“

„Nein, Herr Hauptmann.“

„Ich könnte Sie einsperren lassen.“

Mein erster Versuch als Berichterstatter, so musste ich erschreckt feststellen, wurde gleich mit einer Gefängnisstrafe bedroht. Scheinbar kein guter Start also für eine journalistische Laufbahn, wie ich sie nach meiner Zeit beim Bundesheer einschlagen wollte. Dabei war ich, der einfache Präsenzdiener, keineswegs von atypischer Arbeitslust getrieben worden. Nein, es geschah nur, um meinem Zimmerkommandanten zu helfen und meine Kameraden vor Strafe zu bewahren.

Es fiel mir schwer zu glauben, dass die Drohung des Herrn Hauptmann ernst gemeint war. Trotz der hohen Stiefel, des straff über den Bauch gezogenen Feldgurtes, des Pistolenhalfters und der silbernen Medaille über der Brusttasche: ein wirklich stahlharter, gnadenloser Kommandant stand da nicht vor mir. Das ungeordnete, strähnige Haar, das runde, gerötete Gesicht und der eher leere Blick hatten so gar nichts Martialisches an sich. Mit einer Hand war er auf seinen Schreibtisch gestützt, mit der anderen hielt er jene beiden Blätter Papier, auf die ich meinen Bericht geschrieben hatte. Der Herr Hauptmann war sichtlich unschlüssig, wie er damit umgehen sollte.

Ich stand zum ersten Mal im Dienstzimmer des Kommandanten und wunderte mich, wie groß es war. Der massige alte Schreibtisch mit der altertümlichen Schirmlampe stand mitten im Raum. Der Herr Hauptmann saß auf einem abgeschabten Kunstledersessel, der wohl schon mehreren Offizierskarrieren als Unterlage gedient hatte. Etwas gefälliger wirkte der lang gezogene hölzerne Besprechungstisch vor dem großen vergitterten Fenster. Mit seinen gedrechselten Beinen hätte er durchaus auch in ein Dorfwirtshaus gepasst: Eine Tischfahne mit steirischem Landeswappen, eine Zigarrenschachtel, mehrere Gläser und ein voller Aschenbecher ließen vermuten, dass hier nicht nur Taktisches und Strategisches abgehandelt wurde, sondern in manch launiger Runde auch die militärische Kameradschaft nicht zu kurz kam. Ein Metallregal mit Büchern und Akten, ein Waschbecken und ein Garderobenständer mit grüner Feldjacke und goldgefasster grauer Tellerkappe, mehr an Einrichtung gab es nicht. Die kahle Nacktheit der Wände wurde nur durch eine Militärkarte der Steiermark, ein gerahmtes Bild mit aufgereihten schweren Feldkanonen und das Porträt von Bundespräsident Franz Jonas unterbrochen.

Mein Zimmerkamerad Herbert Zelinka und ich hatten in sicherer Entfernung vom Herrn Hauptmann Aufstellung genommen. Er war für seine mitunter unkontrollierte Sprechweise bekannt und wir fürchteten, er könnte uns nicht nur drohende Worte an den Kopf schleudern. Sein Gesicht schien sich noch weiter gerötet zu haben. Kurze Zeit musterte er uns nachdenklich. Dann legte er die Papiere aus der Hand, strich sich mehrmals die Haarsträhnen aus der Stirn, zog seinen Rock glatt und nahm wieder eine senkrechte Haltung ein.

„Der Soldat“, kam es mit bemühter Strenge, „hat seiner äußeren Erscheinung jene Sorgfalt zu widmen, die das Ansehen des Bundesheeres erfordert. Die Nichtbefolgung der Adjustierungsordnung, wie sie aus Ihrem Bericht ersichtlich ist, kann keinesfalls geduldet werden.“

Damit war gesagt, was gesagt werden musste. Der Kommandant war seiner Pflicht nachgekommen und blickte uns prüfend an, ob er denn mit seinen Worten die nötige Betroffenheit ausgelöst habe. Unser mehrfaches gehorsames Nicken, so hofften wir, sollte ihm dies bestätigen.

Wie immer hatte der Herr Hauptmann ein längeres Gespräch vermieden. Er war kein Mann vieler Worte, zumal diese mit Fortdauer der Rede an Deutlichkeit verloren. Wenn er ein Gespräch suchte, so geschah das, wie auch an diesem Tag, meist um die Mittagszeit. Im späteren Verlauf des Tages wurde er eher selten angetroffen.

Mir blieben eigentlich nur einige Begegnungen im Offizierscasino in Erinnerung, in dem ich fallweise als Ordonanz für den Nachmittags- und Abenddienst eingeteilt war. Dieser unterlag natürlich strengster Verschwiegenheit, an die ich mich auch ausnahmslos gehalten habe. Vielleicht brachte mir das eine gewisse Gewogenheit beim Kommandanten ein, in jedem Fall aber eine wichtige Erfahrung für mein späteres journalistisches Wirken: Das, was man nicht berichtet, kann einem oft nützlicher sein als das, was man glaubt, mitteilen zu müssen. Das gilt insbesondere für Tratsch-Geschichten oder Enthüllungen, mit denen Menschen persönlich bloßgestellt werden. Leute, von deren Wohlwollen man abhängt oder deren Informationen man braucht, sollten niemals einer billigen Sensationsstory geopfert werden.

Doch wie war es zu meiner Premiere als militärischer Berichterstatter gekommen?

Es war die Angelobungsparade der Jungmänner im Frühjahr 1967, zu der die zweite Aufklärungskompanie des Artilleriebataillons 7 in einer Stärke von 30 Mann vom Herrn Hauptmann abkommandiert worden war. Sie sollte am Sitz des Bataillons in der südsteirischen Marktgemeinde Straß vor der traditionsreichen Erzherzog-Johann-Kaserne abgehalten werden. Angesagt waren der Landeshauptmann-Stellvertreter aus Graz, der Bezirkshauptmann aus Leibnitz, der Bürgermeister aus Strass, der Militärkommandant der Steiermark sowie die über die Landesgrenzen hinaus bekannte Militärmusikkapelle des Feldjägerbataillons 17.

Ein besonderes Ereignis war dies natürlich auch für die ortsansässige Bevölkerung. Obwohl in Strass immer wieder Angelobungen stattfanden, galt für die Bewohner der südsteirischen Marktgemeinde die Teilnahme an der Feier jedes Mal als Ehrensache. Schließlich war dies der Auftakt zu einem großen Festtag, der abends mit dem traditionellen Garnisonsfest seinen Höhepunkt fand. Es wurde alljährlich Ende Mai abgehalten.

Auf der Gemeindewiese kreisten dann die Kettenkarusselle und Ringelspiele, quietschten die Hutschen und polterten die Dosen in den Spielbuden. Im Festzelt drehten sich zwischen Bierfässern und riesigen Brezn-Körben steirische Masthühner am Spieß. Dazu spielte dann noch die Militärmusik auf und leitete so zum offiziellen Trinkgelage über.

Im übrigen Jahr war im Garnisonsort nur wenig von Musik, Spiel und Tanz zu hören. Das zulässige soldatische Amüsement beschränkte sich außer dem Kantinenbesuch auf Tischtennis, Tischfußball und Kartenspiel. Für Abwechslung sorgten allenfalls Sportübertragungen, für die der einzige Fernseher der Kaserne in Betrieb genommen wurde. Ansonsten nur nervtötende Langeweile. Auch draußen im Ort herrschte meist Tristesse. Ausgenommen davon war nur das recht schmucke Dorfwirtshaus, wo an Wochenenden immerhin Wurlitzer, Flipper und Kegelbahn für Unterhaltung sorgten. Es war dies aber auch das einzig erwähnenswerte Gebäude in Straß.

Außer natürlich dem Bahnhof. Die grenznahe Schnellzugstation Spielfeld-Strass, zwei Kilometer außerhalb des Ortes, war das Tor zur Welt, das Tor zur Freiheit. Das einzige große Ziel, das es alle 14 Tage zu erreichen galt, wenn das freie Wochenende nahte. Keine Strafdienste oder Urlaubsperren auszufassen, die den Weg zum Bahnhof hindern könnten, beherrschte schon Tage davor alles Denken und Streben des Präsenzdieners. So erklärt sich auch das unter Soldaten so beliebte schulterzuckende: „Ich versteh‘ nur Bahnhof“, womit die eine oder andere Dienstanweisung missverstanden oder übergangen wurde.

Jetzt aber galt es, sich noch einmal ganz auf den unfallfreien Ablauf der Angelobungsparade zu konzentrieren und nicht nur den Bahnhof im Kopf zu haben, auch wenn als Belohnung ja volle drei Urlaubstage bevor standen. Doch gerade das stellte den treueschwörenden Soldaten vor eine gewaltige Bewährungsprobe.

Es war vor allem die weibliche Bevölkerung, die der Angelobung mit großem Interesse folgte, bestand doch die Möglichkeit des einen oder anderen Jungmanns, der sich danach noch auf den Beinen halten konnte, zu späterer Stunde am Tanzboden habhaft zu werden. So bildeten auch die überwiegend weiblichen Mitglieder der Volkstanzgruppe, die beiden Töchter des Kantinenpächters und eine Abordnung der Bäuerinnen-Organisation Steiermark die vorderste Besucherreihe. Somit bot sich für die Jungmänner die einzigartige Gelegenheit, vor weiblichem Publikum zu posieren, was manchen wohl kurzzeitig vergessen ließ, dass er eigentlich zur Verteidigung des Vaterlandes angetreten war. Was er ja auch beim Fahneneid versprochen hatte.

Für mich war es bereits die dritte Angelobung. Nicht deshalb, weil man sich meiner besonderen Treue zum Bundesheer versichern wollte, nein, es hatte rein optische Gründe. Die jeweiligen Kommandanten legten Wert darauf, die Jungmänner in imponierender Zahl und Größe antreten zu lassen. So wurden ihnen schon länger dienende Rekruten zur Seite zu gestellt, die vor allem eine Anforderung zu erfüllen hatten: Körpergröße. Die Belegschaft des Zimmers 21 der Artilleriekaserne Straß konnte damit in ausreichendem Maße dienen und so meldeten alle sechs Mann ihre Bereitschaft, an der Parade teilzunehmen. Neben dieser Ehre wurde der Belegschaft schließlich auch noch drei Tage Paradeurlaub in Aussicht gestellt.

Doch zuvor hieß es beim Morgenappell, den Adjustierungsbefehl von unserem „Spieß“, Oberstabswachtmeister Enzenberger, entgegenzunehmen. Dies gestaltete sich für die 30 angetretenen Paradeanwärter besonders aufreibend. Unzählige Male ließ er die drei Zehnerreihen ab- und kurz darauf wieder antreten. Schließlich musste er ja alle seiner spaßigen Sprüche unterbringen.

„Wenn ich ,habt Acht‘ befehle, rührt sich nichts, da pendelt nur noch Ihr Sack und die Augen bohren sich in den Nacken des Vordermanns!“

„ Habt Acht heißt stillstehen, auch wenn Ihnen eine Fliege zum einen Nasenloch reinfliegt und beim anderen wieder heraus!“

 

„Befehle ich ,rechts schaut‘, muss Ihr Rotz an die Wange des Nebenmanns fliegen!“

 

„Nehmen Sie Haltung an! Sie stehen da herum wie eine Nutte in Wartestellung!“

 

Durch solche und ähnliche Anfeuerungsrufe getrieben, gelang es den Paradeanwärtern schließlich, in einer knappen Stunde eine Formation zu bilden, die dem Anlass, nämlich der Entgegennahme des Adjustierungsbefehls, würdig war: großer Meldeanzug mit Tuchrock, Stiefelhose, Feldstiefel, Leibriemen, weiße Zwirnhandschuhe, feldgrüne Krawatte sowie hellgraues Hemd ohne Schulterklappen.

 

Und damit hatte mein Bericht auch begonnen.

 

„Bei der morgendlichen Kontrolle der Unterkünfte stellte Oberstabswachtmeister Enzenberger in Zimmer 21 grobe Mängel betreffend die Sauberkeit und Vollständigkeit der Dienstausrüstung fest. Beanstandet wurden insbesondere erkennbare Schmauchspuren an den Sturmgewehren, der nicht gleichmäßige Glanz der schwarzen Feldstiefel und die zu lose Befestigung von Knöpfen an den Tuchröcken. Darüber hinaus vermerkte Oberstabswachtmeister Enzenberger das gänzliche Fehlen der hellgrauen Hemden ohne Schulterklappen sowie der weißen Zwirnhandschuhe. Diese hätten laut der Spindordnung im dritten seitlichen Mittelfach beziehungsweise am obersten Brett neben der Schirmkappe aufliegen müssen.

Das Fehlen der hellgrauen Hemden und der weißen Zwirnhandschuhe wurde von Zimmerkommandant Zelinka mit dem Hinweis begründet, dass diese nach Auskunft von Wirtschaftsunteroffizier Kapferer nicht ständiger Bestandteil der Dienstbekleidung seien. Sie stünden nur zu besonderen Anlässen zur Verfügung und könnten erst einen Tag vor der Parade in der Wäscheabteilung ausgefasst werden. Danach seien sie unverzüglich wieder zurückzustellen.“

 

Diese Dienstanweisung der Stabsabteilung 8 des Militärkommandos Steiermark, die eine missbräuchliche Verwendung dieser hochwertigen Kleidung ausschließen sollte, war erst kürzlich an alle Versorgungsstellen ergangen und unserem Herrn Oberstabswachtmeister daher noch nicht bekannt.

Wohl aber meinem Zimmerkommandanten Hubert Zelinka, der mit Wirtschaftsunteroffizier Kapferer befreundet war. Zelinka war meist gut gelaunt, von freundlichem Wesen und einem kleinen Spaß niemals abgeneigt. Seine Wahl verdankte er nicht nur seiner umgänglichen Art gegenüber den Kameraden, sondern auch seinem Status als zeitverpflichteter Soldat. Er war Maturant, lebte in Knittelfeld und arbeitete dort als Verkäufer in einem Elektroladen. Zelinka war somit nicht nur des Hochdeutschen mächtig, nein, er sprach auch perfekt Steirisch. Das erleichterte die Kommunikation mit den meisten Unteroffizieren wesentlich. Diese sahen in ihm einen künftigen Kollegen und behandelten ihn als einen der ihren.

 

Dies traf allerdings nicht auf Oberstabswachtmeister Enzenberger zu. Er konnte Zelinkas entwaffnender Fröhlichkeit nichts entgegensetzen und suchte dies durch besondere Grobheit auszugleichen. Auch bei besagter Zimmerkontrolle hatte er es besonders auf ihn abgesehen. Bis auf wenige Zentimeter war er an ihn herangetreten. Deutlich kleiner als Zelinka, hatte sich sein bohrender Blick an dessen Kinn geheftet.

„Wånn, Zelinka, håma uns is letzte Moi rasiat?“

 

Zelinka fuhr sich mit der Hand nur nachdenklich über die Wangen.

„Wie lång woin’S no woatn? Des schaut jo scho aus åls wiara Bärenfut?“

 

Zelinka antwortete nur mit einem breiten Grinsen: „Oiso, håm’s wieda vagehsn aufs Rasian?“

 

„Nein, Herr Oberstabswachtmeister.“

„Rasiat san’S oba net.“

„Nein, aber vergessen hab‘ ich auch nicht d‘rauf.“

Unschlüssig, wie er diese Antwort verstehen sollte, wurde Enzenbergers Ton schärfer.

 

„Schaun’S amoi Ihr Adjustierung ån. Da Giatl net eingfadlt, die Krawåttn hängt irgndwo. San’S vurher von da Muatta an’zogn wurn?“

 

Zelinka brachte eilig Gürtel und Krawatte in Ordnung und nahm dann unaufgefordert die Habt-Acht-Stellung ein, was Enzenberger weiter provozierte.

„Undwås is mit da Frisua? De Hoa wåchsn ja scho bei di Uarn eina.“

„Zu unsrem Kasernen-Haarscherer möchte ich nicht, ich will meine Haare behalten und einen richtigen Frisör kann ich mir nicht leisten“, zuckte Zelinka mit jungenhaftem Lachen die Schultern.

 

„Wissen’S wås“, grinste Enzenberger drohend zurück, „i befeu Sie muagn zum Heeresfrisöa. Der schneid‘s eana å und påckts eana ei. Dann kennan’S de Hoa behoilt’n.“

 

So kurzweilig die Unterhaltung mit Enzenberger auch mitunter sein konnte, sein Steirisch war nicht leicht zu verstehen. Noch dazu sprach er sehr schnell und abgehackt, sodass Nichtsteirer wie ich seinen Befehlen nicht immer folgen konnten. So auch an diesem Morgen, als der Herr Oberstabswachtmeister aufgrund der festgestellten Wartungs-, Ausrüstungs- und Hygienemängel ein Strafexerzieren für die sechs Kanoniere des Zimmers 21 befahl. Diese hatten nach seinen scharfen, aber undeutlichen Worten: „Muagn Fruah uma hoiba siebene in da vuag’schriabanan Parademauntur – sowait scho ausg‘foigt – vuam Wochzimma“, anzutreten. Sollten erneut Mängel auftreten, werde der gesamten Zimmerbelegschaft der Paradeurlaub gestrichen.

 

Dies abzuwenden, war nun meine Aufgabe. Zum Strafexerzieren waren nämlich nur zwei Mann erschienen und dies in durchaus unzulässiger Adjustierung. Das hatte den Herrn Oberstabswachtmeister veranlasst, den Zimmerkommandanten und mich, seinen Stellvertreter, zum Herrn Hauptmann zu schicken, um ihm Rede und Antwort zu stehen. Nach militärischem Sprachgebrauch wurden wir also zum Rapport befohlen. Zum Rapport wird man üblicherweise wegen einer gröberen Dienstverfehlung beordert.

 

Eine Strafe bleibt dann meist unausweichlich, denn die Möglichkeiten, sich für vermeintliches Fehlverhalten zu rechtfertigen, sind im Normalfall sehr beschränkt. Die meisten Kommandanten sind bemüht, den Wortwechsel möglichst kurz zu halten. Wer etwa versucht, ein Vergehen zu verharmlosen, wird meist mit aller Schärfe zurückgewiesen: „Ich dachte eben nur…“

„Der Soldat hat nicht zu denken, sondern befehlsgemäß zu handeln!“

Auch der Versuch, eine Erklärung für das zur Last gelegte Fehlverhalten anzubringen, scheitert meist.

 

„Darf ich dazu nur Folgendes sagen…?“

„Sie sprechen nur, wenn Sie gefragt sind!“

Völlig abwegig ist es natürlich, beim Vorgesetzten ein Motiv zu erfragen:

„Gibt es einen Grund, warum…?“

„Hier stelle ich die Fragen!“

Bereit, alle Anschuldigungen mit der gebotenen Unterwürfigkeit hinzunehmen, waren wir also vor der großen Flügeltüre des Kommandantenzimmers angetreten, durch die der Weg zur Aburteilung führen sollte. Ein Flügel hatte sich geöffnet. Vor uns der diensthabende Zugführer.

 

„Habt Acht!“

 

In respektvoller Erstarrung hatten wir das Erscheinen des Herrn Hauptmann erwartet. Doch er war nicht gekommen, sondern nur sein Adjutant. Der Zugführer hatte die Türe hinter sich geschlossen und war bis auf wenige Zentimeter an Hubert Zelinka herangetreten:

„Der Herr Hauptmann ist wegen einer unerwarteten Verhinderung heute nicht in der Lage, den Rapport persönlich abzuhalten. Er erwartet von Ihnen, Zelinka, einen ausführlichen Bericht, wie es zu den Vorfällen beim Strafexerzieren gekommen ist. Dieser ist ihm bis morgen Mittag maschinschriftlich zu übergeben. Das ist ein Befehl! Selbstverständlich ist der Bericht nur für den Herrn Hauptmann bestimmt und unterliegt dem Dienstgeheimnis. Alles verstanden, Zelinka?“

 

„Jawohl, Herr Zugführer.“

 

„Abtreten!“

 

Herbert Zelinka war zwar ein aufrechter Soldat, im militärischen Schriftverkehr aber – mit Ausnahme des Ausfüllens von Urlaubs- und Krankmeldungen – wenig versiert. Der Auftrag, den er erhalten hatte, war ja auch durchaus ungewöhnlich. Sicher wäre es ihm lieber gewesen, die Demütigungen und Drohungen des Herrn Hauptmann über sich ergehen zu lassen, als ihm einen schriftlichen Rapport zu liefern. Ganz anders war das bei mir. Eine sachlicher, geradliniger und detailgetreuer Bericht, so dachte ich, könnte unseren unberechenbaren und aufbrausenden Kommandanten zur Ruhe bringen, ja, vielleicht sogar ein wenig erweichen. Hubert Zelinka war jedenfalls von meinem Vorschlag begeistert, den Bericht für ihn zu verfassen.

Nun befand sich aber die einzige Schreibmaschine des Artilleriebataillons 7 im Dienstzimmer von Oberstabswachtmeister

Enzenberger. Er war ziemlich fassungslos, als ich an seine Türe klopfte und ihn vorsichtig ersuchte, seine Schreibmaschine benutzen zu dürfen.

„Sie sind wohl wahnsinnig geworden! Wie kommen Sie überhaupt dazu? Die Anwesenheit von Präsenzdienern im Zimmer des dienstführenden Wachtmeisters ist ausnahmslos verboten. Sämtliche Papiere hier unterliegen der militärischen Geheimhaltung!“, ließ er mich in bemühtem Hochdeutsch wissen.

„Ich bräuchte ja auch nur einige unbeschriebene Blätter, zur Abfassung meines Berichtes“, nutzte ich das kurze Atemschöpfen des Herrn Oberstabswachtmeister, „und dann noch Ihre Schreibmaschine.“

„Wozu, zum Teufel“, kam es nach einigen Sekunden der Sprachlosigkeit, „braucht ein Präsenzdiener eine Schreibmaschine? Wollen Sie vielleicht Ihrer Braut einen Brief schreiben? Das können Sie auch ohne Maschine! Und wissen Sie, was Sie ihr schreiben können? Sie werden sie in den nächsten drei Wochen nicht beglücken, weil Sie nämlich Urlaubssperre haben. Das können Sie ihr schreiben!“

„Es ist, eigentlich ist es – der Herr Hauptmann, dem ich zu schreiben habe“, wandte ich mit gedämpfter Stimme ein und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. „Er hat einen maschinschriftlichen Bericht über die Vorfälle beim Strafexerzieren angefordert. Dieser Befehl ist bis morgen Mittag auszuführen.“

Der Herr Oberstabswachtmeister schien um die richtigen Worte zu ringen. Irgendwie war ich überrascht, hatte er sich doch ungewohnt

zurückhaltend ausgedrückt. Das war ja sonst nicht sein Stil. Schon gar nicht Maturanten gegenüber. Die waren doch für ihn, den Pflichtschulabsolventen, willkommene Opfer. War es doch ein guter Ausgleich für eigene Defizite, diesem verweichlichten Muttersöhnchen aus gutem Haus die harte Soldatenwelt zu erklären. Freundlichkeit, nur weil wir uns zum Freiwilligenjahr gemeldet hatten? Die könnten wir uns sonst wohin schieben, hatte er schon von Anfang an klar gemacht. Vor allem im Zustand von Ärger oder Erregung beschränkte sich sein Vokabular fast ausschließlich auf den Unterleib und die zugehörigen Tätigkeiten. Aber auch seine allseits gefürchteten Witzchen erklommen selten ein Niveau, das die Gürtellinie überstieg.

Dazu musste man wissen, dass im Sprachgebrauch von Feldwebeln traditionellerweise das Gewehr als „Braut“ des Soldaten bezeichnet wird. Für jene Unglücklichen, denen beim Exerzieren die Waffe aus der Hand glitt, ließ sich der Herr Oberstabswachtmeister denn auch immer wieder eine besonders feinsinnige Strafe einfallen. Sie hatten ihr Gewehr vor sich auf den Boden zu legen und über der „Braut“ Liegestütze zu machen. Der sonst so hölzerne Kommandant pflegte das zumeist mit genüsslichen Kommentaren zu begleiten, die ihn als Kenner der Liebeskunst ausweisen sollten. Diesmal hatte er mit „Braut“ aber offenbar ein mir verbundenes weibliches Wesen gemeint.

Es war ja auch nicht so, dass Enzenberger gar kein Gespür für die Bedürfnisse seiner Jungmänner hatte und sich nur mit rauen Späßen über ihre Liebesnöte lustig machte. Nach Dienstschluss in der Kantine, im animierten Gespräch von Kamerad zu Kamerad, war er durchaus auch bereit, seine Erfahrungen weiterzugeben. Nicht alle aber waren begierig auf seine Ratschläge. Auch ich nicht. Dennoch hatte ich als Neuankömmlinge in der Erzherzog-Johann-Kaserne bereits an einem der ersten Abende in derber, grölender Männerrunde erfahren, was Präsenzdiener am besten gegen den ständigen Hormonstau tun könnten.

Die erste Empfehlung hatte eher unglaubwürdig geklungen. Der an die Jungmänner ausgegebene Frühstückskaffee, so Enzenberger, sei keineswegs ein Muntermacher, sondern enthalte vielmehr beruhigendes Brom, im Heeresjargon auch „Hängolin“ genannt. Reichlich genossen, baue er Druck ab und mildere so die Notlage junger kasernierter Soldaten. „Ihr miasts wisn, Buam, im Grenzort Spielfeld, do gibt’s a Puff mit echt geile Jugo-Weiber. Nua san de a nimma so bühlich. Manch a Kamarod hat durtn scho a poar Hundata glossn.“

Also bot Enzenberger auch eine ökonomische Variante an: „Besser is‘, wånns eich die Nåckatn ån da Spindtüa ois Vualog nehmts und eich don schnö an obahults. Nocha legts jedsmoi an Hundata in Spint eini und schaut’s, was zomkuman is!"

Das war nun mal seine gewohnte Art, sich auszudrücken. Umso überraschter war ich jetzt über seine vergleichsweise milde Reaktion. Normalerweise wäre sein ganzes Repertoire an steirisch eingefärbten Obszönitäten über mich hereingebrochen. Aber nun sprach er von meiner „Braut“, die ich wegen der zu erwartenden Strafe nicht „beglücken“ könnte. Das klang ja fast empfindsam.

Irgendwie schien es mir, als hätte er schon längst bereut, Zelinka und mich zum Rapport geschickt zu haben. Aber jetzt musste er wohl eingesehen haben, dass es kein Zurück mehr gab.

Dennoch waren lange Minuten vergangen, bis Oberstabswachtmeister Enzenberger wieder seine Fassung gefunden und seinen Ärger abgeschüttelt hatte. Schließlich war ihm nichts anderes übrig geblieben, als einige Blätter Papier aus der Schublade zu ziehen, sie über die Schreibmaschine zu werfen und zu knurren: „Sie haben drei Stunden Zeit, keine Minute länger.“

Das war ja ein überraschendes Zugeständnis und so wagte ich gleich noch eine weitere Frage. „Könnte ich dann heute Nachmittag dienstfrei erhalten, um den Bericht zu schreiben?“

„Wozu das?“, kam es mürrisch, aber ungewohnt leise, „das können‘S doch auch nach Dienstschluss in der Unterkunft erledigen.“ Und noch einmal fasste ich Mut: „Es ist nur wegen des Dienstgeheimnisses, warum ich nicht in der Unterkunft schreiben sollte. Der Bericht ist ja ausschließlich für den Herrn Hauptmann bestimmt.“ Jetzt hatte Enzenberger wohl resigniert: „Schreiben Sie, wo Sie wollen, aber verschwinden Sie von hier.“

 

Bei der Suche nach einem Arbeitsplatz wurde ich glücklicherweise schnell fündig. Der mit meinem Zimmerkommandanten gut befreundete Versorgungsunteroffizier bot mir jenen großen Tisch an,

über den normalerweise die Wäscheausgabe erfolgte. Ich berichtete sozusagen vom Originalschauplatz und entdeckte dort auch das Schreiben der Stabsabteilung 8 des Militärkommandos Steiermark betreffend die Ausgabe von Parade-Bekleidung. Es war allgemein sichtbar an die Bretterwand geheftet, welche die Ausgabestelle vom Wäschelager trennte.

So begann also die allererste Station meiner journalistischen Laufbahn. Und dies durchaus realitätsnah. Ich war mit einem Exklusivbericht beauftragt. So exklusiv zwar, dass ihn wohl nur einer lesen würde, aber der war immerhin ein Entscheidungsträger. Ich konnte im Zuge meiner Recherchen auf ein Originaldokument zurückgreifen und ich stand, wie eben im Journalistenberuf üblich, unter großem Zeitdruck. So gesehen war die Wäscheausgabe des

 

 

 

 

 

 

 

 

in Bauteil 2, 4. Stock. Dort waren sie allerdings nicht anzutreffen, denn der Sanitätsunteroffizier hatte sie gerade zum Reinigen des Sanitätsfahrzeuges in die Garage abkommandiert. Als der stellvertretende Zimmerkommandant die beiden Sanitäter dann gefunden hatte und nach etwa zehn Minuten mit ihnen eintraf, hatte Zimmerkommandant Zelinka mit seinem privaten Stofftaschentuch das Nasenbluten von Kanonier Köberl bereits weitgehend gestillt. Jedoch wurde Kanonier Schrempf beim Anblick des Blutes von plötzlicher Übelkeit befallen und daher von den Sanitätern angewiesen, sich gleichfalls auf sein Bett zu legen.“

Bei aller Schlichtheit der Darstellung. An dieser Stelle meines Berichtes hatte sich auch der Herr Hauptmann der blutigen Dramatik des Vorfalls nicht ganz entziehen können.

 

 

 

 

 

Jetzt standen wir also da und warteten gespannt auf die Reaktion des Herrn Hauptmann.

 

„Wenn Sie und Ihre Zimmerkameraden diesmal noch ohne Strafarrest davonkommen, dann nur, weil es bisher keine gröberen Beanstandungen gab und Ihr Bericht in Ordnung ist.“ Dann wandte er sich an mich: „Sachlich, korrekt und präzise, ich wünschte, öfter solche Berichte zu bekommen.“

„Ich erwarte von Ihnen allen einen tadellosen Auftritt bei der Parade – einen Auftritt, wie er der Eliteeinheit des Artilleriebataillons 7 entspricht. Dann könnte ich trotz der Schwere des Vorfalls vorläufig von einer Strafe absehen.“

„Übrigens, wo haben Sie so gut schreiben gelernt?“

Ein kurzer, gequälter Lacher und dann bedeutete uns der Herr Hauptmann mit beiden Händen zu verschwinden. Obwohl diese Aufforderung eine ganz und gar unmilitärische war, kamen wir ihr sofort nach, salutierten ab, legten ein zackiges „Kehrt euch!“ hin und erreichten raschen Schrittes den Ausgang, ohne dass uns noch