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Herlinde Steinbach
Gesundheitsförderung
in der Pflege

Herlinde Steinbach

Gesundheitsförderung
in der Pflege

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sometxt Herlinde Steinbach
DGKP, akademische Lehrerin für Gesundheitsund Krankenpflege am Wilhelminenspital in Wien. Studium der Pflegewissenschaft und Pflegepädagogik, freiberufliche Vortragstätigkeit. Mitarbeit im Netzwerk Gesunde Schulen.

Männliche und weibliche Bezeichnungen gelten selbstverständlich auch für das jeweils andere Geschlecht.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr, eine Haftung der Autorin oder des Verlages ist ausgeschlossen.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der
Übersetzung, sind vorbehalten.

1. Auflage 2018
Copyright © 2018 Facultas Verlags- und Buchhandels AG facultas Universitätsverlag, 1050 Wien, Österreich Umschlagbild: © Lindrik, istockphoto.com
Satz: Wandl Multimedia-Agentur
Bearbeitung der Grafiken S. 23, 31, 45, 74, 75, 93, 98, 99: Florian Spielauer, Wien
Druck: finidr
Printed in the E. U.
ISBN 978-3-7089-1598-2
epub: ISBN 978-3-97030-681-9

Inhalt

Vorbemerkung
1 Warum Gesundheitsförderung?
2 Was ist Gesundheit?
2.1 Gesundheit im Lauf der Geschichte
2.2 Definitionen und Perspektiven
2.2.1 Wissenschaftliche Definitionen
2.2.2 Laiendefinitionen
2.3 Einflussfaktoren auf Gesundheit
2.4 Tipps für die Pflege: Persönliche Gesundheit
3 Was sind Gesundheitsförderung und Prävention?
3.1 Prävention
3.1.1 Ansätze und Grenzen von Prävention
3.1.2 Formen von Präventionsmaßnahmen
3.1.3 Von der Prävention zur Gesundheitsförderung
3.2 Gesundheitsförderung
3.2.1 Ansätze der Gesundheitsförderung
3.2.2 Methoden der Gesundheitsförderung
3.2.3 Ressourcen
3.2.4 Wie entsteht Gesundheit?
3.3 Das Modell der Salutogenese
3.3.1 Grundannahmen der Salutogenese
3.3.2 Das Kernstück: das Kohärenzgefühl
3.4 Tipps für die Pflege: Persönliche Gesundheit
4 Wozu Gesundheitsförderung?
4.1 Risikoverhalten – Gesundheitsverhalten
4.2 Gesundheitskompetenz
4.2.1 Edukative Aspekte
4.2.2 Gesundheitsfördernde Aspekte
4.3 Tipps für die Pflege: Persönliche Gesundheit
5 Settings der Gesundheitsförderung: Wo macht man das?
5.1 Das intramurale Setting
5.1.1 Das stationäre Setting
5.1.2 Das ambulante Setting
5.2 Das extramurale Setting
5.3 Die Langzeitpflege
5.4 Arbeitsmedizin und betriebliche Gesundheitsförderung im Pflegebereich
5.5 Tipps für die Pflege
6 Methoden der Gesundheitsförderung: Wie macht man das?
6.1 Die Beratung
6.1.1 Theoretische Grundlagen für die Beratung als Verhaltensänderung
6.1.2 Salutogenetische und gesundheitsfördernde Aspekte der Beratung
6.1.3 Gesundheitsbiografie
6.2 Der Gesundheitsprozess
6.2.1 Schritt 1: Erkennen von Bedürfnissen und Prioritäten
6.2.2 Schritt 2: Festlegen operationaler Ziele
6.2.3 Schritt 3: Wahl des besten Weges
6.2.4 Schritt 4: Festlegen der Ressourcen
6.2.5 Schritt 5: Planen der Evaluierungsmethode
6.2.6 Schritt 6: Festlegen des Aktionsplanes
6.3 Weitere mögliche Methoden
6.4 Tipps für die Pflege: Persönliche Gesundheit
7 Public Health
7.1 Community Nurse
7.2 Family Health Nurse
7.3 School Nurse
Literatur

Vorbemerkung

Gesundheitsförderung als Konzept ist in letzter Zeit immer stärker in das Bewusstsein vorgedrungen. Als solches hat sie zunächst die Theorielandschaft verändert und bewegt nunmehr die Praxis – nicht nur die Theorie und Praxis der Expertenwelt, sondern auch und gerade die Alltagswelt der Laien. Eine durchaus gewollte Entwicklung, denn Gesundheitsförderung richtet sich ganz bewusst an alle: die Angehörigen der Gesundheitsberufe (in ihrem beruflichen Umfeld) ebenso wie Menschen in ihrem Alltag.

Dieses Buch möchte die Verbindung zwischen Experten und Laien stärken, indem es das Thema leicht fasslich aufbereitet. Es richtet sich an Gesundheitsberufe und soll ihnen gesundheitsförderliche Ansätze bewusst machen – sowohl zur Weitergabe an Patientinnen und Patienten bzw. Klientinnen und Klienten als auch für den täglichen Berufsalltag.

Die Zielsetzung der WHO lautet, dass Gesundheitsförderung in die Köpfe der Menschen Einzug halten soll. Genau dazu soll dieses Buch dienen. Das darüber hinausweisende Ziel ist letztlich Gesundheit für alle.

Natürlich finden theoretische Konzepte Erwähnung, allerdings nur als Grundlage. Die Anwendbarkeit und Anwendung in den jeweils konkreten lebensweltlichen Umständen – beruflich oder im Alltag – steht im Fokus. Daher wurden vor allem jene Themen und Aspekte herausgegriffen bzw. betont, die nach Ansicht der Autorin Bezug zu diesen Lebenswelten haben und ohne großen Aufwand umsetzbar bzw. lebbar sind. Dieser Wunsch wird durch konkrete Tipps unterstrichen, die es den Handelnden erleichtern sollen, einen gesundheitsförderlichen Weg zu beschreiten.

1 Warum Gesundheitsförderung?

Jeder Mensch möchte „gesund sein“, sich wohlfühlen. Gesundheitsförderung versucht, aktiv Schritte zu setzen, um die Gesundheit im Menschen zu stärken.

Doch wenn „Gesundheit“ ohnehin ein grundlegendes Bedürfnis der Menschen ist, warum ist dann „Gesundheitsförderung“ überhaupt notwendig?

Gesundheit – der herausgeforderte Mensch

Im Laufe eines Lebens fordern verschiedenste Umstände den Menschen gesundheitlich heraus: Ausbildung, Erwerbsleben, Wohnsituation, aber auch die soziale Lage, die Konsumwelt oder Freizeitangebote. Dazu kommen Umstände auf höherer Ebene, die Gesundheit und Wohlbefinden beeinflussen: etwa das jedem Menschen innewohnende Sicherheitsbedürfnis, die steigende Lebenserwartung, das Verhältnis der Generationen zueinander, die Umwelt, die Globalisierung und Ähnliches.

Viele Menschen haben für sich erkannt, dass Gesundheit nicht nur einen körperlichen Aspekt hat, sondern den ganzen Menschen betrifft und daher auch das Geistige, Psychische, das Seelische und das Soziale umfasst. Auch die Politik hat diesen Umstand inzwischen erkannt. Diese „Allumfasstheit“ der Gesundheit erklärt, warum mit diesen Herausforderungen auch umfassend umgegangen werden sollte – und zwar nicht nur, indem Beschwerden behandelt werden, sondern auch, indem mögliche Nachteile vorweggenommen werden (Vermeidung und Prävention).

Die Lebenswelt

Die Lebenswelt jedes Menschen ist anders. Die Einflüsse, denen jeder einzelne Mensch ausgesetzt ist, sind so vielfältig und unterschiedlich, dass es ganz wesentlich ist, den Einzelnen in seiner jeweils besonderen Lebenssituation zu betrachten und ernst zu nehmen. Das bedeutet für den Gesundheitssektor: Zu Maßnahmen, die sich am Bevölkerungsdurchschnitt oder bestimmten Erwartungen und letztlich mathematischen Wahrscheinlichkeiten orientieren (wie etwa zahlreiche Präventionsmaßnahmen), müssen auch sinnvolle ergänzende bzw. alternative Möglichkeiten und Konzepte hinzutreten, die an der ganz besonderen Lebenspraxis des Einzelnen orientiert sind und zum Ziel haben, dass dieser Einzelne sein Leben (und seine Gesundheit) aktiv gestalten kann.

Der Blick nach vorne – die Zukunft

Wir leben immer mit Blick auf die Zukunft. Es macht für die Menschen daher einen spürbaren Unterschied, ob diese Zukunft von Vermeidung und Verhinderung geprägt ist oder von Aktivität, Selbstbestimmtheit und direktem Einfluss auf die Gestaltung der individuellen Lebenslage. Gesundheitsförderung versucht, u. a. durch Empowerment (Selbstermächtigung, siehe Kap. 3.2.3), die aktive, selbstbestimmte und gestaltende Seite in den Fokus zu rücken.

Das Selbstverständnis der Pflege

Die Berufsbilder im Gesundheitswesen haben sich ausdifferenziert und gerade im Bereich der Pflege hat sich das Selbstverständnis gewandelt – weg vom naturwissenschaftlichen und pathogenetischen Ansatz, dem vorwiegend reparierenden Zugang und einem Defizitdenken mit Krankheit im Fokus hin zum salutogenetischen Ansatz, der die Gesundheit in den Mittelpunkt stellt. Dies zeigt sich auch in gesetzlichen Bestimmungen: aus der„Diplomkrankenschwester“ ist (im § 11 des Gesundheitsund Krankenpflegegesetzes) der/die „Diplomierte Gesundheitsund KrankenpflegerIn“ geworden. Alles in allem hat eine Verschiebung vom Begriff der „Krankheit“ hin zur „Gesundheit“ stattgefunden. Damit haben sich auch die mit dem Berufsbild verbundenen Aufgaben geändert: die Maßnahmen zur Gesundheitsförderung fanden ausdrücklich Aufnahme in dieses Gesetz, weil die Bedeutung dieses Themas erkannt wurde.

sometxtBGBl. I Nr. 108/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 75/2016:
§ 11. (1) Personen, die nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zur Ausübung des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege berechtigt sind (§ 27), sind berechtigt, die Berufsbezeichnung „Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger“/„Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin“ zu führen.

2 Was ist Gesundheit?

In der Vergangenheit wurden zahlreiche Versuche unternommen, „Gesundheit“ zu definieren. Jeder Begriff hat seine Geschichte, jede Definition verrät etwas über ihre Perspektive und ihren Zweck und setzt andere Schwerpunkte. Die Auseinandersetzung mit Vergangenem hilft, das Verständnis zu verbessern, den Blick für das Heute zu schärfen und offene Fragen für die Zukunft zu erkennen.

2.1 Gesundheit im Lauf der Geschichte

Funde aus Ägypten und dem Zweistromland belegen es: Bereits in frühen Zivilisationen finden sich verschiedene Zeugnisse für die Betrachtung von Krankheiten als Symptomkomplexe und für Vorläufer von Diagnose, Prognose und Therapie. Verletzungen äußerer Art wurden von inneren Krankheiten unterschieden. Häufig wurden menschliche Sünden als Ursache für Krankheiten angesehen. Ein einheitliches Begriffsverständnis von Gesundheit und Krankheit gab es nicht.

Im alten Indien – und ähnlich in China – war Gesundheit die höchste Quelle von Wohlstand, Freude und Erlösung. Krankheit zerstörte nicht nur Gesundheit, sondern auch das gute Leben und letztlich das Leben selbst. Die indische Ayurveda kennt ein umfassendes Diagnose- und Behandlungssystem: Krankheiten des Körpers sollten durch eine Änderung der Essgewohnheiten, durch Salben oder Kräuter, aber auch durch spirituelle Handlungen geheilt werden. Krankheiten des Geistes wurden durch religiöse Handlungen, aber auch philosophische Haltung und Aktivitäten wie z. B. Konzentrationsübungen behandelt.

Im antiken Griechenland galt Gesundheit als eines der höchsten Ziele und war eng mit Schönheit verknüpft. Krankheit war somit die Störung von Gesundheit und Schönheit. Die Wege von Medizin und Philosophie trennten sich erstmals, und es entwickelte sich eine Wissenschaft der Medizin: Hippokrates, der versuchte, Krankheiten systematisch zu verstehen, gilt als Begründer der abendländischen Medizin. Medizin bestand aber nicht nur in der Heilung von Krankheiten, sondern auch in der Bewahrung von Gesundheit: Nach Platon ist Medizin Gesundheitslehre. Ihm zufolge gibt es keine vollständige Gesundheit, sondern der Mensch befindet sich ständig in einem Schwebezustand zwischen Gesundheit und Krankheit. Ein erster Gesundheitsförderungsansatz – allerdings noch mit starkem Präventionsbezug – findet sich in seinem Grundsatz der Mäßigung.

Vom frühen Christentum bis ins hohe Mittelalter wurden Krankheiten auch als Bestrafung für Sünden betrachtet; durch sie konnte aber auch Erlösung erlangt werden. Leiden wurde dadurch zur Tugend. Das christliche Mittelalter war unter dem Schlagwort „Barmherzigkeit“ aber auch Ausgangspunkt für die Entwicklung der Hospitale.

Im Laufe der Jahrhunderte beeinflussten vielfältige naturwissenschaftliche und technische Erkenntnisse, die auch durch gesellschaftliche Entwicklungen begünstigt waren, die Einstellung zur Gesundheit und die Entwicklung der Medizin: Die Klassifizierung von Krankheiten auf Basis klinischer Symptome ermöglichte ein einfaches und systematisches Vorgehen, indem nach Diagnosestellung anhand von aufgelisteten Symptomen eine ebenfalls gelistete Medizin verschrieben wurde. Im späten 18. Jahrhundert entwickelten sich die Krankenkassen und damit erste Ansätze zur Finanzierung des Gesundheitswesens. In Österreich ist vor allem Kaiser Joseph II. (1741–1790) zu nennen, der Spitäler, Blinden- und Invalidenhäuser sowie Anstalten für psychisch Kranke errichten ließ.

Technische Entwicklungen wie die Erfindung des Stethoskops und wissenschaftliche Meilensteine wie die Nutzung von Statistiken brachten ebenfalls neue Aspekte in die Medizin ein. Ärzte entwickelten sich zu einer eigenen Berufsgruppe und waren gemeinsam mit der Krankenpflege

Teil eines Versorgungssystems rund um das zentrale Element Krankenhaus. Dieses war auch die Grundlage für die Etablierung der Krankenpflege bzw. Pflegeberufe als eigene Berufsgruppe. Florence Nightingale gründete im Jahr 1860 eine Schule, an der theoretisches Wissen von Medizinern vorgetragen wurde, im praxisorientierten Bereich jedoch erfahrene Pflegepersonen lehrten.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnte durch rasanten Wissenszuwachs im Bereich der Immunologie und der Infektionslehre die Impfung entwickelt werden, wodurch viele Infektionskrankheiten unter Kontrolle gebracht werden konnten; ein herausragendes Beispiel für den vorbeugenden Charakter medizinischer Maßnahmen. Ein weiterer Meilenstein war die Entdeckung der Antibiotika, die eine wirksame Bekämpfung bakterieller Infektionen ermöglichten.

Heute geht es nicht mehr nur darum, Krankheiten zu heilen, sondern auch darum, ihnen vorzubeugen. In jüngster Zeit versucht man immer mehr, Gesundheit zu unterstützen und zu fördern, bevor Krankheit überhaupt entsteht (vgl. Steinbach, S.17ff, 2015).

2.2 Definitionen und Perspektiven

Wenn wir Gesundheitsförderung betreiben wollen, ist es hilfreich zu wissen, was unter „Gesundheit“ und „Krankheit“ verstanden werden kann und wo die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit zu ziehen ist.

Eine einheitliche Definition des Begriffs Gesundheit gibt es nicht. Typisch ist, dass sie vielfach als „Nicht-Kranksein“ gesehen wird, also über Krankheit definiert wird. Gesundheit als Nicht-Kranksein ist also etwas, das nicht wahrgenommen wird – Kranksein wird wahrgenommen und erfordert Aktion, Gesundsein nicht.

Gesundheit ist mittlerweile ein Begriff in vielen Disziplinen, von der Psychologie über die Soziologie bis zu Biologie, Gesundheitswissenschaften und anderen mehr. Am engsten mit dem Begriff verbunden ist aber wohl die Medizin.

Wie schon beschrieben, hat Gesundheit zumindest eine körperliche, eine geistige, eine seelische, eine emotionale und eine gesellschaftliche Dimension. Sie ist somit ein mehrdimensionaler Begriff. Der Einbezug dieser unterschiedlichen Bezüge macht sie zu einem ganzheitlichen Konzept.

2.2.1 Wissenschaftliche Definitionen

Tab. 1: Wissenschaftliche Definitionen von Gesundheit