Maik Voelzke

Ergotherapie im Rahmen der DBT

Handlungs- und materialbezogenes Arbeiten

Mit einem Geleitwort von Christian Stiglmayr

Mit Beiträgen von

Melanie Allasino

Diana Krämer

Sven Peters

Maik Voelzke

Mit 20 Abbildungen, 4 Tabellen

Arbeitsblätter online

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Maik Voelzke

Agaplesion Diakonieklinikum ­Rotenburg / Wümme

Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Elise Averdieck Strasse 17

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M.Voelzke@diako-online.de

Melanie Allasino

St. Hedwig-Krankenhaus

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10115 Berlin

m.allasino@alexius.de

Diana Krämer

Intergo - Interdisziplinäres ­Therapiezentrum

Greifenhagener Straße 32

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dk.intergo@googlemail.com

Sven Peters

Zentrum für Integrative ­Psychiatrie ZIP gGmbH

Ratzeburger Allee 160

23538 Lübeck

Sven.Peters@uksh.de

Besonderer Hinweis:

Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben, insbesondere zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren, immer nur dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches entsprechen können. Hinsichtlich der angegebenen Empfehlungen zur Therapie und der Auswahl sowie Dosierung von Medikamenten wurde die größtmögliche Sorgfalt beachtet. Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert, die Beipackzettel und Fachinformationen der Hersteller zur Kontrolle heranzuziehen und im Zweifelsfall einen Spezialisten zu konsultieren. Fragliche Unstimmigkeiten sollten bitte im allgemeinen Interesse dem Verlag mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt verantwortlich für jede diagnostische oder therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.

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Schattauer

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Alle Rechte vorbehalten

Cover: unter Verwendung eines Fotos von © rodimovpavel – www.stock.adobe.com

Lektorat: Birgit Albrecht, www.redaktion-albrecht.de

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-43158-2

E-Book: ISBN 978-3-608-16984-3

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-26984-0

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Geleitwort

Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) wurde von Prof. Marsha Linehan in den 80er Jahren zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) entwickelt. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen als Betroffene entstand eine Therapiemethode voller Herzlichkeit, Wohlwollen und Mitgefühl bei gleichzeitig hoher Strukturiertheit, Konfrontation und gelegentlicher Provokation. Ziel in der DBT ist das zunehmende Blockieren dysfunktionaler Verhaltensweisen wie z.B. Suizidversuche oder schweres selbstverletzendes Verhalten bei gleichzeitigem Aufbau funktionaler Verhaltensweisen wie z.B. der Einsatz von Fertigkeiten zur Spannungsregulation oder von Fertigkeiten zur Emotionsregulation.

Aufgabe des DBT-Therapeuten ist hierbei, die notwendige Kraft und Energie entstehen zu lassen, die der Betroffene zur Überwindung der Angst vor Veränderung benötigt. Dies gelingt durch das fortwährende Aufzeigen von Widersprüchlichkeiten, wie z.B. dass die Betroffenen ihr Leid zwar nicht selbst verursacht haben, sie aber dafür verantwortlich sind, sich – mit Hilfe des Therapeuten – aus diesem zu befreien. Auf diesem für den Betroffenen mitunter sehr anstrengenden Prozess begleitet der DBT-Therapeut ihn mit höchster Authentizität und Menschlichkeit, stellt sich als ganze Person zur Verfügung.

Neben dem beständigen Suchen nach der dialektischen Balance zwischen Akzeptanz und Veränderung zeichnet sich die DBT insbesondere durch ihre hohe Praktikabilität aus. Sie bietet durch transparente Behandlungsalgorithmen und einen modularen Aufbau praktisch für jede therapeutische Situation einen orientierenden Leitfaden. Da diese Behandlungsalgorithmen einfachen Prinzipien folgen und gut kommunizierbar sind, eignet sich die DBT für die Anwendung in unterschiedlichsten therapeutischen Settings. Zudem besteht die DBT aus mehreren Behandlungsmodulen, die eine effektive Anpassung an die jeweilige zugrundeliegende Problemsituation ermöglicht.

Die hohe Praktikabilität der DBT ist sicherlich ein wesentlicher Grund für die umfangreichen Forschungsaktivitäten rund um die DBT. Keine andere Methode zur Behandlung einer BPS kann so viele Wirksamkeitsnachweise vorlegen. Aus diesem Grund wird die DBT In den S2-Richtlinien der DGPPN (2009) für die Behandlung von Patienten mit einer BPS als die Methode der Wahl empfohlen.

Mit dem vorliegenden Buch ist den Autoren ein längst fälliges Buch zur Anwendung von Ergotherapie im DBT-Kontext gelungen. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsproduktion von seit vielen Jahren einschlägig tätigen ergotherapeutischen Kolleginnen und Kollegen aus dem stationären wie auch ambulanten Bereich, unter Leitung von Herrn Maik Voelzke.

In der Ergotherapie im Rahmen der DBT wird die Herstellung eines Werkstücks als die Grundlage zur Vermittlung von Fertigkeiten und Kompetenzen verstanden. Wie die Autoren darlegen, geht es hierbei weniger um die Entwicklung eines perfekten Gegenstandes, sondern um das Erlernen eines kompetenten Umgangs mit Frustrationen, Anspannungszuständen und Emotionen wie z.B. Ärger, Scham, aber auch Stolz. Hierzu schreiben die Autoren sehr treffend: »Den Schutz vor Frustrationen übernehmen wir nicht«, stattdessen »nutzen wir diese Gefühle als das, was sie sind: Zeichen der Menschlichkeit«.

Im Anschluss an einen umfassenden Überblick über die DBT findet sich die spezifische ergotherapeutische Praxis unter dem Deckmantel der DBT konkret und praxisorientiert beschrieben. Auf mögliche spezifische Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Ergotherapie im Rahmen der DBT wird eingegangen, unter besonderer Berücksichtigung der Arbeit mit Patienten mit einer BPS. Explizite Hinweise für die Ergotherapeutin und den Ergotherapeuten helfen, sich in dem Buch sehr schnell zu orientieren und bei Bedarf das Wesentliche herauszufiltern. Konkrete Fallbeispiele veranschaulichen die Arbeit der Ergotherapeutin und des Ergotherapeuten bei der Arbeit mit DBT.

Schon in den Anfängen der DBT im stationären Kontext Mitte der 90er Jahre an der psychiatrischen Universitätsklinik Freiburg engagierte sich der dort tätige Ergotherapeut Thomas Winkler um eine DBT-spezifische Anpassung. Gerade die Ergotherapie schien mit ihrer Vielzahl an unterschiedlichsten Materialien und ihrem Fokus auf das konkrete Handeln prädestiniert für die Integration DBT-spezifischer Elemente, allen voran das Erlernen und das Training neuer Fertigkeiten. Kaum eine andere Fachgruppe verfügt über ein solch flexibel einsetzbares Instrumentarium und damit über solch ausgeprägte Anpassungsmöglichkeiten an die jeweiligen Gegebenheiten der Betroffenen. Trotz dieses »Schatzes« verblieben die Ergotherapeuten lange Jahre mehr oder weniger in der Position von – wie es die Autoren ausdrücken – »Satellitentherapeuten«, also eher randständigen Mitgliedern des DBT-Teams. Dies lag vor allem an den nicht ausreichend konkret definierten Aufgaben der Ergotherapie im Rahmen der DBT.

Im Jahr 2006 hat sich Herr Voelzke der nicht immer ganz einfachen Aufgabe angenommen, der Ergotherapie im Rahmen der DBT einen Platz zu verschaffen. Mit bewundernswerter Kontinuität schob er das Projekt voran. Da die Größe eines solches Unterfangens alleine nur schwer zu bewerkstelligen ist, schlossen sich weitere sehr erfahrene Kolleginnen und Kollegen an, allen voran Frau Melanie Allasino, Herr Sven Peters und Frau Diana Krämer. Fortwährend wurde in der konkreten Arbeit mit Betroffenen das Konzept überprüft und weiterentwickelt. Seit drei Jahren wird in Fortbildungen von Ergotherapeuten »DBT-Ergo« vermittelt. Mit diesem Buch ist es den Autoren nun gelungen, die Früchte Ihrer Arbeit einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Es handelt sich um einen konkreten Leitfaden für die Arbeit der Ergotherapie unter dem Dach der DBT – und unterstreicht damit die notwendige Integration der Ergotherapie in das Behandlungskonzept der DBT. Oder, um es mit den Worten der Autoren zu formulieren: den Einschluss der Ergotherapeuten als »vollwertige Mitglieder des DBT-Behandlungsteams«.

Herzlich willkommen!

Berlin, 31.01.2018
Priv.-Doz. Dr. Christian Stiglmayr

Vorwort

»Wer von Ihnen übernimmt das Stationsübergreifende Angebot ›Skillstraining‹ gemeinsam mit einer Pflegekraft?« – So oder ähnlich waren die Worte unseres damaligen leitenden Psychologen, Herrn Dr. Ralf Schaible. Da ich gerade neu im Team der Ergotherapie war, überlegte ich nicht lange, ohne zu wissen, was da eigentlich auf mich zukam. Schnell haben wir als Gruppenleitung bemerkt, dass allein die Literatur des Trainingsmanuals von M. Linehan (1996b) nicht ausreichend war, um den Patientinnen und Patienten gerecht zu werden.

Ich entschloss mich im Jahr 2006 zunächst die Basiskurse DBT in Freiburg zu besuchen, um einen besseren Einblick in das zu bekommen, was ich im Skillstraining eigentlich tun sollte und was damit bezweckt wurde. Schon im ersten Block wurde ich recht nachdenklich, denn im dort vorgestellten Therapieplan der Station stand, dass die Ergotherapie »fakultativ« war. Alle anderen Therapieformen, zu meinem Erstaunen auch die Körpertherapie, hatten einen festen, für Patientinnen und Patienten verbindlichen Platz im Therapieplan. Der Gedanke »Wir arbeiten mit Material und Werkzeugen und über Handlungen werden Emotionen erzeugt« ließ mich nicht mehr los. Die Wirkung der ersten Workshops der DBT-Ausbildung ließ nicht lange auf sich warten. Ich bemerkte, wie sich durch das Entwickeln einer dialektischen Haltung und den Einsatz von Strategien der DBT meine Arbeitsweise deutlich veränderte. Ich begann erste Dinge für den Notfallkoffer für Patientinnen und Patienten in Arbeitsanleitungen zu verfassen, holte mir Commitment im Vorfeld und in der Therapie und validierte das Verhalten meiner Patientinnen und Patienten – nicht nur derjenigen mit Borderline. Dies führte zu einer deutlich verbesserten therapeutischen Beziehung mit den Patientinnen und Patienten und auch im Team wurde die Integration spürbar besser. Ich war nicht mehr der »Satellitentherapeut«, der irgendwie außerhalb stand.

Im Jahr 2010 lernte ich Sven Peters kennen und ein erster Erfahrungsaustausch mit ihm fand statt. 2012 kam Melanie Allasino dazu und wir entschlossen uns, unsere Erfahrungen und Ideen in einem Workshop zu bündeln, den wir dann mit der Unterstützung des Leiters der AWP Berlin, Herrn Dr. Christian Stiglmayr, entwickelten. Dieser Workshop wurde vom Dachverband DBT akkreditiert und fand als Zusatzangebot zur Standard-DBT einmal jährlich statt. Im Jahr 2014 erweiterte sich unser Team um Diana Krämer, die als Inhaberin einer ergotherapeutischen Praxis mit ihren Ideen das vorhandene Material um den ambulanten Bereich erweiterte. Ebenfalls 2014 veröffentlichten wir als Team einen gemeinsamen Buchbeitrag im »Fallbuch DBT« (Stiglmayr u. Leihener 2014). Während der Arbeit an dem Beitrag reifte in mir die Idee, unsere im Workshop »DBT für Ergotherapeuten« vermittelten Inhalte in Buchform zu veröffentlichen. Meine drei Kollegen waren schnell bereit, mich zu unterstützen, und mit Herrn Dr. Stiglmayr fanden wir einen Mentor, der sich trotz erheblichen Mehraufwands der Sache vonseiten des Dachverbandes DBT annahm. Ich war froh, mit dem Schattauer Verlag einen kompetenten Partner zu finden, der sich für mein Projekt interessierte und mir bei der Umsetzung behilflich war.

In Kapitel 1 stellen wir die DBT allgemein vor, die für Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten wichtigen Grundlagen werden dabei besonders intensiv beschrieben. Kapitel 2 widmet sich der Ergotherapie im Wandel der Zeiten und der wechselnden Paradigmen. Außerdem findet sich in diesem Kapitel wieder, welche Anforderungen an die Ergotherapie in der DBT gestellt werden und was die Ergotherapie im Behandlungsverlauf leisten kann. Kapitel 3 beschreibt das Krankheitsbild der Borderline-Störung, für welche die DBT ursprünglich entwickelt wurde. Es soll neben einem Einblick in die Vielfalt der Erkrankung auch das Verhalten der Patientinnen und Patienten aufzeigen und Verständnis wecken. In Kapitel 4 wird das Skillstraining in der Gruppe vorgestellt und es werden die Grundlagen für das Skillstraining, die auch in der Ergotherapie umsetzbar sind, erläutert. In den Kapiteln 5 bis 9 werden die Module des Skillstrainings mit einzelnen Skills vorgestellt und Ideen zur Umsetzung in der Ergotherapie unterbreitet. Kapitel 10 fasst diese Kapitel in Form einer Ideensammlung noch einmal zusammen, ohne auf jeden Skill einzeln einzugehen. Kapitel 11 ist einer besonderen Kategorie Skills vorbehalten: In Anlehnung an die zweite Ausgabe des Interaktionellen Skillstraining für Borderline-Patienten (Bohus u. Wolf 2013) werden die aus der Standard-DBT bekannten Skills um die Suchtskills ergänzt. Zum Abschluss wird im Kapitel 12 ein Ausblick insbesondere auf die ambulante Weiterbehandlung auch in der Ergotherapie geboten. Alle Kapitel beginnen mit einer kurzen Einführung in die jeweilige Thematik.

In den Kapiteln bieten die …

Hinweise für Ergotherapeuten

speziell auf die Ergotherapie zugeschnittene Anregungen.

Ergänzt wird das Ganze durch die …

Beispiele aus der Ergotherapie

Verschiedene Therapiesituationen sind durch Dialoge zwischen ErgotherapeutIn und PatientIn dargestellt, die genau wie »Merkwürdiges« in speziell gekennzeichneten Kästen hinterlegt sind. Abgerundet werden alle Kapitel durch Kontrollfragen am Ende, mit deren Hilfe das erworbene Wissen noch einmal überprüft werden kann.

Mit meiner Danksagung möchte ich etwas weiter zurückgreifen und mich bei allen Lehrenden der Berufsfachschule für Ergotherapie in Oldenburg (BBA) bedanken, die mir viele Dinge über das Wesen der menschlichen Handlung beigebracht haben. Ebenso bedanke ich mich bei der Klinikleitung des Zentrums für psychosoziale Medizin am Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg/Wümme, insbesondere bei Chefarzt Prof. Dr. Thiel, der mir die Ausbildung zum DBT-Therapeuten (SP) ermöglicht und mir bei der Ausbildung zum DBT-Trainer (SP) viele Freiräume gegeben hat. Ebenso gilt mein Dank unserer Leitenden Oberärztin Ilka Brockmüller, die mich jahrelang durch Höhe und Tiefen begleitete. Ein Dankeschön gebührt auch meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Tagesklinik, die mich in meiner täglichen Arbeit unterstützen und mir immer wieder dabei helfen, die »Brille der DBT« aufzusetzen.

Beim Dachverband DBT möchte ich mich bei allen bedanken, bei denen ich Kurse sowohl in der Ausbildung zum DBT-Therapeuten als auch in der Trainerausbildung absolviert habe. Mein besonderer Dank gilt hier Frau Dr. Valerija Sipos, die sich immer für die Ergotherapie interessiert und mich supervidiert hat.

Vielen Dank auch an das Autorenteam Sven, Melanie und Diana. Ohne Euch wäre das vorliegende Buch nie zustande gekommen. Danke auch an den Schattauer Verlag für das Interesse am Projekt und die Unterstützung bei der Umsetzung. Mein besonderer Dank hier gilt den Schattauer-Lektorinnen Sabine Poppe, Alina Piasny und Frau Dr. Nadja Urbani sowie der externen Lektorin Birgit Albrecht. Ich hoffe, ich habe allen Genannten nicht allzu viele Kopfschmerzen bereitet.

Hervorheben möchte ich besonders Herrn Dr. Christian Stiglmayr. Er hat mich sowohl bei meinem Weg innerhalb der DBT als auch bei der Erstellung des Buches begleitet und unterstützt, obwohl er nebenher noch einige andere Projekte zu betreuen hatte. Jede Antwort, ob schriftlich oder telefonisch, war wie eine Supervision für mich. Ich durfte noch einmal vieles lernen, inhaltlich hinterfragen und besser verstehen. Danke auch an Sophie Reiske, die sehr spontan die Durchsicht des Suchtkapitels übernommen hat.

Nicht zu vergessen ist meine Partnerin Dietlind, die mir, wie jetzt gerade in diesem Moment des Schreibens, viel Verständnis entgegengebracht hat und nie enttäuscht war, wenn ich, statt Zeit gemeinsam zu verbringen, wieder einmal am PC saß und am Buch arbeitete.

Zuletzt sind noch alle Patientinnen und Patienten zu erwähnen, die ich während meiner Zeit als Ergotherapeut behandelt habe. Vielen Dank – ich lerne jeden Tag dazu.

Und nun wünsche ich allen Leserinnen und Lesern viel Spaß bei der Lektüre und hoffe, dass das Buch einige Anregungen gibt oder neue Impulse verleiht. Für Ergänzungen, Lob und Kritik bin ich immer offen.

Bremen, im Frühjahr 2018
Maik Voelzke

Inhalt

1 Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT)
Maik Voelzke

1.1 Allgemeine Informationen

1.2 Therapeutische Grundhaltungen

1.2.1 Therapeutische Grundannahmen

1.3 Therapiebausteine (ambulant)

1.4 Therapiestruktur

1.4.1 Primäre Behandlungsstruktur

1.4.2 Sekundäre Behandlungsstruktur

1.5 Therapeutische Strategien

1.5.1 Dialektische Strategien

1.5.2 Validierungsstrategien

1.5.3 Validierungsfallen

1.5.4 Commitmentstrategien

1.5.5 Kontingenzmanagement

1.5.6 Shaping

1.6 Weitere Strategien

1.7 Die therapeutische Adhärenz der DBT

1.8 Zusammenfassung

1.9 Kontrollfragen

2 Ergotherapie
Sven Peters

2.1 Grundlagen und Paradigmenwechsel in der Ergotherapie

2.1.1 Geschichtliche Entwicklung

2.1.2 Auswirkungen von gesetzlichen Regelungen und Normen

2.1.3 Gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte

2.1.4 Strukturelle und konzeptionelle Veränderungen

2.1.5 Veränderung der Materialien

2.1.6 Rolle des Ergotherapeuten im Stationsteam

2.1.7 Aufgaben des Ergotherapeuten in der DBT

2.1.8 Spezifische Aufgaben des Ergotherapeuten

2.2 Sozialformen in der ergotherapeutischen Behandlung

2.2.1 Einzelarbeit

2.2.2 Einzelarbeit in der Gruppe

2.2.3 Gruppenarbeit

2.2.4 Arbeit mit der Videokamera

2.3 Methoden der ergotherapeutischen Behandlung

2.3.1 Ausdruckszentrierte Methode

2.3.2 Interaktionelle Methode

2.3.3 Kompetenzzentrierte Methode

2.4 Materialeinsatz in der Ergotherapie nach DBT

2.5 Zusammenfassung

2.6 Kontrollfragen

3 Borderline-Persönlichkeitsstörung
Maik Voelzke

3.1 Klinisches Erscheinungsbild

3.2 Die neun diagnostischen Kriterien nach DSM-5

3.2.1 Einordnung der Diagnosekriterien

3.2.2 Zusammenfassung Borderline-Diagnose

3.3 Ätiologie – die biosoziale Theorie

3.3.1 Zusammenfassung biosoziale Theorie

3.4 Komorbiditäten und Differenzialdiagnose

3.5 Epidemiologie

3.6 Verlauf und Prognose

3.7 Kosten der Störung

3.8 Zusammenfassung

3.9 Kontrollfragen

4 Skillstraining
Maik Voelzke

4.1 Einführung

4.2 Was versteht man unter Fertigkeiten (Skills)?

4.3 Wie werden Skills vermittelt?

4.4 Was wird den Patienten in den einzelnen Modulen vermittelt?

4.5 Die Module des Skillstrainings und ihr Bezug zu den DSM-5-Kriterien

4.6 Rahmenbedingungen des Skillstrainings

4.7 Strukturmerkmale des ambulanten Skillstrainings

4.8 Strukturmerkmale des (teil)stationären Skillstrainings

4.9 Zusammenfassung Skillsvermittlung

4.10 Grundlagen für das Skillstraining

4.10.1 Anspannung/Spannungskurve

4.10.2 Zugangskanäle für Skills

4.10.3 Frühwarnzeichen

4.10.4 Spannungsprotokoll

4.11 Zusammenfassung

4.12 Kontrollfragen

5 Achtsamkeit
Diana Krämer

5.1 Einführung

5.2 Achtsamkeit in der DBT

5.3 Die Ziele der Achtsamkeit in der DBT

5.3.1 Wirksame Kontrolle

5.3.2 Dem intuitiven Wissen mehr Raum geben

5.3.3 Verbesserter Bezug zu sich selbst

5.4 Wie heißen die Skills des Achtsamkeitsmoduls und wie können sie ergotherapeutisch umgesetzt werden?

5.4.1 Die Was-Fertigkeiten

5.4.2 Die Wie-Fertigkeiten

5.4.3 Das Zusammenspiel von Was- und Wie-Fertigkeiten

5.4.4 Mentales Verbinden

5.4.5 Verbundenheit wahrnehmen

5.5 Zusammenfassung

5.6 Kontrollfragen

6 Stresstoleranz
Melanie Allasino, Sven Peters, Maik Voelzke

6.1 Einführung

6.2 Ziele des Moduls Stresstoleranz

6.3 Wie heißen die Skills? und wie können sie in der Ergotherapie umgesetzt werden?

6.3.1 Kurzfristig wirksame Stresstoleranzskills

6.3.2 Kurzfristige Stresstoleranzskills in der Ergotherapie

6.3.3 Skills zum Annehmen der Realität und der Übernahme von Verantwortung

6.4 Zusammenfassung

6.5 Kontrollfragen

7 Umgang mit Gefühlen
Maik Voelzke

7.1 Einführung

7.1.1 Was wissen wir über Emotionen?

7.1.2 Wie entstehen Emotionen?

7.1.3 Das allgemeine Emotionsmodell

7.1.4 Wie wirken Emotionen?

7.2 Ziele des Moduls »Umgang mit Gefühlen«

7.2.1 Warum ist dieses Modul so wichtig und was können die Patienten lernen?

7.3 Wie heißen die Skills und wie können sie in der Ergotherapie umgesetzt werden?

7.4 Spezifische Gefühle

7.4.1 Angenehme Emotionen

7.4.2 Unangenehme Emotionen

7.5 Zusammenfassung

7.6 Kontrollfragen

8 Zwischenmenschliche Fertigkeiten
Melanie Allasino, Sven Peters, Maik Voelzke

8.1 Einführung

8.1.1 Fehleinschätzungen von Handlung, Kontext und verbalen Mittelungen anderer

8.1.2 Störung von eigenen Handlungsentwürfen

8.1.3 Störungen der Handlungskontrolle

8.1.4 Fehleinschätzung der Wirkung auf andere

8.1.5 Störungen der Kooperation

8.1.6 Zusammenfassung zwischenmenschliche Fertigkeiten

8.2 Ziele des Moduls

8.2.1 Interaktionelle Methode

8.3 Wie heißen die Skills? und wie können sie in der Ergotherapie umgesetzt werden?

8.3.1 Drei Arten der Orientierung

8.3.2 Umsetzung der Orientierungsarten

8.4 Zusammenfassung

8.5 Kontrollfragen

9 Selbstwert
Diana Krämer, Maik Voelzke

9.1 Einführung

9.2 Strategien zur Vermeidung des sozialen Erfolges

9.2.1 A-priori-Strategien

9.2.2 Post-hoc-Strategien

9.2.3 Vermeidung von sozialem Erfolg durch aktive Passivität

9.3 Ziele des Moduls Selbstwert

9.4 Wie heißen die Skills des Selbstwertmoduls? und wie können sie in der Ergotherapie umgesetzt werden?

9.4.1 Selbstzugewandtheit

9.4.2 Umgang mit Glaubenssätzen und Grundannahmen

9.5 Zusammenfassung

9.6 Kontrollfragen

10 Skills kompakt/direkt
Diana Krämer

10.1 Achtsamkeit

10.1.1 Was-Fertigkeiten

10.1.2 Wie-Fertigkeiten

10.2 Stresstoleranz

10.3 Umgang mit Gefühlen

10.4 Zwischenmenschliche Fertigkeiten

10.5 Selbstwert

10.6 Zusammenfassung

11 DBT-Sucht
Maik Voelzke, Melanie Allasino

11.1 Einführung

11.1.1 Diagnostische Kriterien des ICD-10 zur Alkoholabhängigkeit

11.1.2 Einige wichtige Begriffe

11.1.3 Wirkweisen einiger Substanzen

11.2 Besonderheiten der DBT-S

11.2.1 Grundannahme und -haltung der DBT-S

11.2.2 Ziele in der DBT-S

11.2.3 Veränderungsstrategien in der DBT-S (State of Change)

11.3 Gestaltung der Skillsgruppen in der DBT-S

11.3.1 Zuordnung der Skills zu den Spannungsdimensionen

11.4 Wie heißen die Skills? und wie können sie in der Ergotherapie umgesetzt werden?

11.4.1 Anti-Craving-Skills

11.5 Zusammenfassung

11.6 Kontrollfragen

12 Ausblick
Diana Krämer

12.1 DBT-basierte Ergotherapie – von der stationären bis zur ambulanten Behandlung

12.1.1 Wie kann diese Arbeit aussehen?

12.2 Die Verknüpfung der DBT mit der Ergotherapie

12.2.1 Die DBT als Bezugsrahmen für die psychisch-funktionelle Behandlung

12.3 Zusammenfassung

Literatur

1 Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT)
Maik Voelzke

In diesem Kapitel werden allgemeine Informationen zur DBT gegeben, die therapeutische Grundhaltung und einzelne, für fachtherapeutische Berufsgruppen relevante Therapiebausteine vorgestellt. Ziel ist es, einen Einblick in die Grundlagen der DBT zu geben und erste Anregungen zur Entwicklung einer eigenen dialektischen Haltung zu vermitteln.

1.1 Allgemeine Informationen

In den 1970er- und 80er-Jahren befasste sich ein Forscherteam unter Leitung von Prof. Marsha Linehan mit dem Thema, wie man chronisch suizidale Frauen, die bis dahin als nicht therapierbar galten, wirkungsvoll behandeln kann. Sehr schnell wurde klar, dass klassisch veränderungsorientierte Verhaltenstherapie nicht zum Erfolg führte, solange die akzeptanzorientierten Behandlungselemente fehlten. Diese Anteile fand M. Linehan unter anderem in der Gesprächspsychotherapie und in der Zen-buddhistischen Praxis der Achtsamkeit. Durch das Hinzufügen der akzeptanzorientierten Anteile wurde es nun möglich, eine Balance zwischen Akzeptanz und Veränderung zu schaffen. Um der Bedeutung des Ausbalancierens noch mehr Gewicht zu geben, wurde die ursprüngliche Bezeichnung »Paradoxe Verhaltenstherapie« verworfen und durch die Bezeichnung »Dialectical Behavioral Therapy – DBT« ersetzt. Das erste Therapiemanual sowie das Manual zum Skillstraining erschienen 1993 (Linehan 1993 a, b).

In Deutschland, konkret in Freiburg, wurde DBT 1994 von der Arbeitsgruppe um Prof. Martin Bohus erstmals stationär implementiert. Da es sich bei der DBT originär um eine ambulante Therapie handelt, mussten in verschiedenen Bereichen (z. B. Skillstraining, Körpertherapie) Anpassungen vorgenommen werden. Das stationäre Behandlungsprogramm erstreckt sich in Freiburg über einen Zeitraum von drei Monaten.

Inzwischen ist die DBT weiterentwickelt und modifiziert worden:

Wenn man sich die DBT als ein Haus vorstellt, ist das Fundament der Behandlungsvertrag, der zwischen Behandlerteam und Patienten abgeschlossen wird. Die zwei tragenden Säulen des Hauses sind 1. die therapeutische Haltung und 2. die zur Anwendung kommenden Behandlungstechniken. Auf den Säulen ruht das Dach, die DBT.

Wie bereits erwähnt werden aus Gründen der Komplexität in diesem Kapitel die für Ergotherapeuten relevanten Behandlungstechniken ausführlich erläutert.

1.2 Therapeutische Grundhaltungen

Das therapeutische Verständnis in der DBT kann gut mit dem Vertrag eines Fußballvereines mit einem Trainer verglichen werden. Der Trainer (DBT-Therapeut) vereinbart mit dem Verein den Aufstieg in die Zweite Bundesliga innerhalb von zwei Jahren (Therapieziel) und legt ein Erfolg versprechendes Konzept vor (DBT), in dessen Rahmen beide arbeiten werden. Dabei achtet der Trainer darauf, dass die Mannschaft sowohl im Training als auch im Spiel alles gibt (Fordern) und nach schweren Spielen eine angemessene Regenerationsphase erhält (wohlwollendes Sorgen). Der Trainer wird darauf achten, dass es eine angemessene Ausgewogenheit zwischen Belastung und Entlastung gibt (Dialektik). Der Trainer ist davon überzeugt, dass die Mannschaft alles gibt, um das Ziel zu erreichen. Er ist der Mannschaft nicht nur bei Erfolgen freundlich zugewandt und spricht Lob aus, sondern auch Niederlagen werden wohlwollend analysiert. Und anstatt nur zu trösten, wird er gemeinsam mit der Mannschaft nach Lösungen suchen. Diese Lösungen behält er im Auge und hilft der Mannschaft von der Seitenlinie aus, diese umzusetzen. In besonders schwierigen Spielen, wenn es auf der Kippe steht oder alles verloren scheint, steht er der Mannschaft zur Seite, indem er jeden einzelnen Spielzug laut und wild gestikulierend ins Feld ruft. Auf der anderen Seite sichert die Mannschaft zu, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um seine Anweisungen umzusetzen, bis zur Erschöpfung zu kämpfen und niemals ein Spiel, egal wie schlecht es gerade aussieht, verloren zu geben.

1.2.1 Therapeutische Grundannahmen

Wie in anderen Therapieformen wird auch in der DBT die therapeutische Grundhaltung von Wertschätzung und Empathie getragen. Bei der Behandlung von Borderline-Patienten kommt es immer wieder zu schwierigen Situationen, die den Behandler belasten, z. B. selbstverletzendes Verhalten oder Suizidversuche. Deshalb sind in der DBT explizit acht Grundannahmen entwickelt worden, die es dem Behandlerteam auch unter schwierigen Situationen ermöglichen, die beste DBT durchzuführen.

Diese Grundannahmen muss jeder Behandler verinnerlichen. Dabei ist es nicht ausschlaggebend, diese wortgetreu wiedergeben zu können, wichtiger ist es, sich ihren Inhalt und ihre Bedeutung während der Behandlung immer wieder vor Augen zu halten.

Dies bedeutet im Gegenzug aber nicht, über die eigenen Grenzen zu gehen. Die Grundannahmen weisen den Weg und helfen, den Abstand zu Patienten zu wahren, um nicht z. B. in Beziehungskonflikte zu geraten, sondern sich ganz auf die Arbeit mit den Patienten in der Therapie konzentrieren zu können.

Die oft dysfunktionalen Verhaltensweisen der Patienten werden vom Behandlungsteam als sehr belastend erlebt und gerade bei nicht störungsspezifischer Behandlung nicht als Versuch der Problemlösung erkannt. Dies hat zur Folge, dass den Patienten »Manipulation« und ungenügende Bereitschaft, sich in der Therapie anzustrengen, zur Last gelegt wird. Suizidandrohungen und selbstverletzendes Verhalten werden als »Erpressungsversuch« gewertet, um z. B. den stationären Aufenthalt zu verlängern oder den Urlaub des Therapeuten zu verhindern. Beim Formulieren der Grundannahmen hat Linehan gängige Vorurteile aufgegriffen.

Die acht Grundannahmen sind:

  1. Patienten geben sich wirklich Mühe.
  2. Patienten wollen sich verändern.
  3. Patienten müssen sich stärker anstrengen und härter arbeiten, um sich zu verändern.
  4. Patienten haben ihre Schwierigkeiten nicht alle selbst verursacht, aber müssen sie selber lösen.
  5. Das Leben suizidaler Borderline-Patienten ist so, wie es gegenwärtig gelebt wird, nicht auszuhalten.
  6. Patienten müssen neues Verhalten in allen relevanten Lebensbereichen erlernen.
  7. Patienten können in der Therapie nicht versagen.
  8. Therapeuten, die Borderline-Patienten behandeln, brauchen Unterstützung.

Wenn Sie diese Grundannahmen gelesen haben, möchte ich Sie bitten, einmal an Ihren »schlimmsten Patienten« zu denken. Gibt er sich wirklich Mühe? Möchte er sich wirklich verändern (Annahme 1 und 2)? Ja, er gibt sich Mühe, sonst wäre er längst tot. Er möchte sich verändern, denn sonst wäre er nicht in der Therapie. Wenn der Patient sich funktionaler verhalten könnte, würde er dies tun!

Warum muss er sich härter anstrengen, um sich zu verändern (Annahme 3)? Patienten haben bisher alles gegeben, um im Leben zurechtzukommen. Dies war schwer genug. Jetzt müssen sie sich trotzdem noch mehr anstrengen und noch härter arbeiten, um sich zu verändern.

Die vierte Grundannahme beleuchtet eine große Herausforderung für Patienten: Dinge zu verändern, die sie nicht verursacht haben ( Kap. 3.3). Folgende Metapher ist hilfreich: Stellen Sie sich vor, Sie laufen auf einer schmalen Uferstraße an einem Fluss entlang. Plötzlich springt jemand aus dem Gebüsch und stößt Sie ins Wasser. Sie sind da nicht allein hineingesprungen, nein, das wollten Sie überhaupt nicht. Aber um nicht zu ertrinken, müssen sie alles selbst unternehmen, um ans Ufer zu kommen.

Die fünfte Grundannahme ist als Appell an den Therapeuten zu verstehen, dass seine chronisch suizidalen Patienten sich den Gedanken an Suizid als letzte Tür offenlassen.

Warum sollten Patienten in allen relevanten Lebenslagen neues Verhalten lernen (Annahme 6)? Man könnte auch andersherum fragen: In welchem Lebensbereich spielen Emotionen keine Rolle? Außerdem ist diese Grundannahme nützlich, um den Patienten davon zu überzeugen, dass Skills auch in »ruhigen Zeiten« geübt und eingesetzt werden müssen. Patienten können nicht versagen (Annahme 7)? Verglichen mit einem Werkzeugkoffer hat die DBT einiges an Werkzeugen zu bieten. Manchmal ist jedoch nicht das richtige Werkzeug dabei und die DBT oder der Therapeut sind angehalten, nach einem geeigneten Werkzeug Ausschau zu halten oder es zu entwickeln und in den Koffer zu tun. Diese Grundannahme ist eine Aufforderung an die DBT nicht stehenzubleiben, sondern sich weiterzuentwickeln und zu verbessern.

Warum benötigen Therapeuten, die mit Borderline-Patienten arbeiten, Unterstützung (Annahme 8)? Linehan sagt, dass die Behandlung von Borderline-Patienten als »Einzelkämpfer« grob fahrlässig ist. Das Team dient der gezielten Unterstützung und Entlastung von allen an der Behandlung Beteiligten.

Es hat sich bewährt, die Grundannahmen gut sichtbar auf der Station, auch in der Ergotherapie, anzubringen.

1.3 Therapiebausteine (ambulant)

Die DBT erfordert klare Absprachen zwischen Behandler und Patienten, bevor mit der Therapie begonnen wird. Diese Absprachen sind in einem Therapievertrag festgelegt, der von beiden Seiten unterschrieben wird. Dazu ist anzumerken, dass der Therapievertrag keinerlei rechtliche Relevanz hat. Er dient lediglich dazu, die gemeinsam getroffenen Absprachen schriftlich festzuhalten und mit der beiderseitigen Unterschrift zu »besiegeln«.

Die Therapiebausteine sind

Einzeltherapie

Der Einzeltherapeut ist verantwortlich dafür, mit dem Patienten an dessen individuellen Zielen zu arbeiten und dabei die Behandlungsstruktur ( Kap. 1.4.1) im Auge zu behalten. Es ist Aufgabe des Einzeltherapeuten, den Patienten zu motivieren, an den gemeinsam erarbeiteten Zielen zu arbeiten und einem Vermeidungsverhalten vonseiten des Patienten entgegenzuwirken.

Skillstraining

Das Skillstraining findet wöchentlich als Gruppentraining statt. Dabei besteht die Gruppe aus sechs bis acht Patienten und zwei Therapeuten. Das Skillstraining hat den Charakter eines Volkshochschulkurses, was bedeutet, dass auf jegliche gruppendynamischen Elemente verzichtet wird. Es wird lediglich der Inhalt der einzelnen Skills vermittelt ( Kap. 4).

Telefoncoaching

Telefoncoaching findet immer dann statt, wenn der Patient in einer akuten Belastungssituation Hilfe bei der Skillsanwendung benötigt. Hierzu hat er die Telefonnummer seines Therapeuten. Die Regeln für das Telefoncoaching sind vorher genau festgelegt, um den Therapeuten und seine Privatsphäre zu schützen. Das Telefoncoaching dient ausschließlich dazu, den Patienten an bereits vorhandene Fertigkeiten zu erinnern, verbunden mit der Aufforderung, diese anzuwenden. Die Telefonate dauern drei bis fünf Minuten und haben nicht den Charakter einer Therapiestunde. Es gibt in der DBT drei Gründe für eine telefonische Beratung:

Konsultationsteam

Das Konsultationsteam besteht aus Therapeuten und Skillstrainern, dabei ist es möglich, dass auch andere Berufsgruppen, die regelmäßig mit dem Patienten zusammenarbeiten, Bestandteil des Teams sind (z. B. Ergotherapeuten, Sozialarbeiter). Die Treffen finden einmal wöchentlich für eine Stunde statt. Das Konsultationsteam stellt sicher, dass der Patient die bestmögliche DBT erhält, da alle an der Behandlung Beteiligten ihre Sichtweise und Ideen mit einbringen. Die Behandlung der Patienten erfolgt also nicht durch den Einzelbehandler, sondern durch das Team. Dadurch entlastet das Team den Einzeltherapeuten, der die im Team gefassten Beschlüsse umsetzt.

Im Konsultationsteam laufen alle Informationen zusammen und werden ausgewertet. Darauf aufbauend wird beschlossen, was bis zum nächsten Treffen von den Teammitgliedern umgesetzt werden muss. Beim nächsten Treffen berichten die Teammitglieder über die Umsetzung der Teambeschlüsse. Es werden wieder alle Informationen zusammengetragen und neue Beschlüsse gefasst.

Supervision

In der Supervision werden individuelle Prozesse besprochen, die im Konsultationsteam keinen Platz finden. Gerade bei Problemen, z. B. in der Interaktion im Konsultationsteam, ist Supervision zwingend notwendig. Die Supervision erfolgt durch erfahrene, in DBT ausgebildete approbierte Ärzte und Psychologen, die vom Fortbildungsausschuss des Dachverbandes DBT zum DBT-Supervisor ernannt wurden.

1.4 Therapiestruktur

Grundsätzlich hilft die DBT den Patienten, ihre persönlichen Ziele zu erreichen. Um an seinen Zielen arbeiten zu können, ist es jedoch zunächst notwendig, dass der Patient die Ziele, welche die DBT vorgibt, erreicht. Als übergeordnetes Ziel ist es notwendig, dass der Patient dialektische Verhaltensmuster aufbaut. Es ist unumgänglich dialektische Denkmuster zu vermitteln und extreme Reaktionen durch ausgeglichene, integrative Reaktionen zu ersetzen. Im Vergleich zu den Anfängen der DBT (Linehan 1996a; Bohus 2002) ist die Zielhierarchie neu geordnet und teilweise ausdifferenziert worden. Dies war notwendig, da sich die vorhandene Therapiestruktur als zu grob herausstellte. Damals stand an erster Stelle die Reduktion suizidalen und selbstverletzenden Verhaltens. Im Anschluss wurde an der Reduktion therapiegefährdenden Verhaltens und schließlich an der Verbesserung der Lebensqualität gearbeitet.

Heute steht an erster Stelle die Verbesserung der Überlebensfertigkeiten. Es folgt die Arbeit an den Fertigkeiten zur Verbesserung der Mitwirkung bei der Therapie. Danach wird an der Reduktion des krisengenerierenden Verhaltens gearbeitet. Im Anschluss erfolgt die Behandlung von sehr schwerwiegenden psychischen Störungen (z. B. PTBS) und/oder Problemen, die eine normale soziale Interaktion und berufliche Tätigkeit verhindern.

1.4.1 Primäre Behandlungsstruktur

In der DBT ist der Aufbau bzw. die Verbesserung von funktionalen Strategien zur Emotionsregulation das vorrangige Behandlungsziel. Um es Patienten zu ermöglichen, dieses Ziel zu erreichen, wird es in zwei Unterziele unterteilt:

  1. Zunächst soll den Patienten vermittelt werden, »die extreme Emotionalität zu verändern und fehlangepasste stimmungsabhängige Verhaltensweisen zu reduzieren« (Linehan 1996a).
  2. Im zweiten Schritt soll den Patienten vermittelt werden, »den eigenen Gefühlen, Gedanken und Aktivitäten ihre Berechtigung zuzugestehen und ihnen zu vertrauen« (Linehan 1996a).

Daraus ergibt sich die folgende vorrangige Behandlungsstruktur:

Behandlung von schwerwiegenden Verhaltensproblemen

Verringern von

  1. lebensbedrohlichem Verhalten (Suizidversuche, fremdgefährdendes Verhalten [z. B. Totschlag], potenziell lebensbedrohliche unbehandelte medizinische Zustände, Hochrisikoverhalten, lebensbedrohliches selbstverletzendes Verhalten, schwere Ess- und Trinkstörungen),
  2. therapiezerstörendem Verhalten (drohende Behandlungsabbrüche, Burnout des Therapeuten, schwere Probleme im therapeutischen Setting, Finanzierungsprobleme),
  3. krisengenerierendem Verhalten (schwerwiegende familiäre Probleme, fatale Partnerschaften, anhaltende Bedrohung durch oder sexuelle Kontakte mit Tätern, ungeplante psychiatrische Notaufnahmen, rezidivierende schwere Selbstverletzungen),
  4. den Therapiefortschritt gefährdendem Verhalten (Intoxikationen, Dissoziationen, chronisch anhaltende Psychose, Major Depression, schwere ADHDS, Non-Commitment, schwere Schlafprobleme),
  5. Verhalten, das die Lebensqualität beeinträchtigt: Hier ist alles zusammenzufassen, was bisher nicht erwähnt wurde (Partnerschaftsprobleme, Probleme am Arbeitsplatz usw.).

Zeitgleich Aufbau und Verbesserung von Verhaltensfertigkeiten im Gruppensetting durch

Schweres Leid auf der emotionalen Ebene akzeptieren/verändern
Probleme der Lebensführung akzeptieren/lösen
Gefühle der Unerfülltheit akzeptieren/verändern

Die Therapieziele werden hierarchisch abgearbeitet. Dies bedeutet auch, dass sobald ein bereits bearbeitetes dysfunktionales Verhalten erneut auftaucht, der Therapiefokus sich wieder dorthin zurück verschiebt.

Beispiele aus der Ergotherapie

Ein Patient arbeitet in der Ergotherapie mit Speckstein. Er stellt ein Symbol für bereits Erreichtes her (arbeitet also im Bereich Selbstwert). Nachdem er sich selbst verletzt hat, ergab die Verhaltensanalyse, dass der Patient Schwierigkeiten hat, seine Frühwarnzeichen wahrzunehmen, und noch Stresstoleranzskills benötigt. In der Ergotherapie bleibt der Patient beim Werkstück, allerdings ändert sich der Fokus, z. B. auf die Wahrnehmung seiner individuellen Frühwarnzeichen. Sowohl der Patient als auch der Ergotherapeut achten nun vermehrt darauf, wie der Patient bei auftretenden Schwierigkeiten reagiert.

1.4.2 Sekundäre Behandlungsstruktur

Im Gegensatz zur primären und damit individuellen Therapiestruktur ist die sekundäre Therapiestruktur für alle Patienten in der DBT gültig. Wie diese Behandlungsstrukturen in der Ergotherapie umgesetzt werden können, wird nachfolgend an einigen Beispielen erklärt. In der DBT sollen Patienten lernen, ihre emotionale Reaktivität durch Verbesserung der Modulation zu beherrschen. Sie sind angehalten, die Selbstinvalidierung durch Selbstvalidierung zu ersetzen. Statt ständig krisengenerierendes Verhalten zu zeigen, sollen Patienten in der DBT das emotionale Erleben verbessern. Sie sollen die aktive Passivität als Problemlösungsstrategie zugunsten einer aktiven Problemlösung aufgeben. Patienten sollen sich adäquat bei auftretenden Problemen äußern, statt durch die Demonstration scheinbarer Kompetenz weiter in das Problem hineinzugeraten.

Hinweise für Ergotherapeuten

Es wird deutlich, dass in der Ergotherapie an allen hier aufgeführten Zielen ( Tab. 1-1) hervorragend gearbeitet werden kann. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen:

Emotionale Modulation: zunächst akzeptieren, dass (bei der Arbeit mit Ton) eine bestimmte Glasur nicht vorhanden ist, und darauf bestehen, dass sie bestellt wird, anstatt herumzuschreien, dass sie nicht da ist.

Selbstvalidierung: »Schwierig, aber das bekomme ich hin« anstatt »Bin ich eh zu blöd dazu«.

Realistische Bewertung: »Ist das wirklich so schlimm, dass ich das heute nicht fertig bekomme? Gibt es Alternativen?« anstatt »Alles bescheuert hier, ich hau ab«.

Aktive Problemlösung: bei schwierigen Aufgabenstellungen jemanden um Hilfe bitten, anstatt seine Hilflosigkeit immer stärker nach außen zu zeigen (aktive Passivität).

Adäquater Ausdruck: rechtzeitig bemerken, wenn man an seine Grenzen kommt und Skillsanwendung, anstatt Anspannung um jeden Preis auszuhalten und sich dann in der Folge zum Spannungsabbau selbst zu verletzen.

1.5 Therapeutische Strategien

Wenn man die DBT von außen betrachtet, fällt rasch auf, dass sie sich durch zwei sich scheinbar wiedersprechende therapeutische Strategien auszeichnet. Zum einen drängt sie den Patienten zur Veränderung seiner Verhaltensweisen, zum anderen akzeptiert sie die Verhaltensweisen des Patienten. Die so entstehenden Spannungen werden in der DBT genutzt, um den therapeutischen Prozess voranzubringen.

Dies bedeutet, dass auch Ergotherapeuten lernen müssen, diese Spannung auszuhalten, statt dem Patienten vorschnell eine Lösung anzubieten.

Beispiele aus der Ergotherapie

Der Ergotherapeut akzeptiert, dass es dem Patienten schwerfällt, in Gruppen zu arbeiten und an der Skillswerkstatt teilzunehmen (Akzeptanz). Auf der anderen Seite wird der Ergotherapeut vom Patienten die Teilnahme an der Gruppe fordern, um in der Therapie voranzukommen (Fordern von Veränderung).

1.5.1 Dialektische Strategien

Eines der wichtigsten Merkmale der DBT ist die Dialektik, also das ständige Ausbalancieren von Gegensätzen. Ziel der Dialektik ist es, den Patienten zu einem ausgewogenen Leben zu verhelfen. Wichtigstes Prinzip ist es, den Patienten so anzunehmen, wie er ist und gleichzeitig eine Verhaltensänderung zu fordern ( Tab. 1-1).

Tab. 1-1 Übersicht dialektische Strategien

Akzeptanz

Veränderung

Validierung

Veränderungsstrategie

wohlwollendes Sorgen um die Patienten

Fordern von Veränderung

im Moment sein

der DBT-Zielhierarchie folgen

Miteinander

eigene Grenzen beachten

warme, zugewandte Kommunikation

freche, provokative Kommunikation

Ein ausgewogenes Patient-Behandler-Verhältnis lässt sich bildlich gut als Therapeutische Wippe ( Abb. 1-1) darstellen. Jede Bewegung einer Seite wird durch eine Gegenbewegung (Einsatz der entsprechenden Strategie) ausbalanciert. So wird sichergestellt, dass beide Seiten auf der Wippe (in der Therapie) bleiben.

S10.tif

Abb. 1-1 Die Dialektische Wippe