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Inhalt

Tina hat schlechte Laune

Die Fremden

Sigurd von Strauch

Die kalte Dusche

Alex als Reiseführer

Auf dem Birkenhof

Sigurds Plan

Dagobert ist beleidigt

Gespräch in der Pferdebox

Markttag

Schon wieder Streit

Tina unternimmt etwas

Die Verfolgung

Unter der Linde

Das Sonnenblumenfeld

In größter Gefahr

Es brennt

Wand aus Feuer

Kein Traum

Die schwarze Wolke

Sigurd und das Geld

Kommissar Tanner

Es regnet

Der Brandstifter

Ausgetrickst

Einfach perfekt

Tina hat schlechte Laune

„Nicht so lahm, Amadeus!“, feuerte Tina ihren Fuchshengst an.

„Schneller, Sabrina“, rief Bibi. „Gleich könnt ihr euch abkühlen.“

Nachdem die Pferde ein Stückchen galoppiert waren, fielen sie wieder in Trab und dann sogar in Schritt. Es war einfach zu heiß – selbst für Pferde. An ein Wettreiten war heute gar nicht zu denken. Und so sehr Bibi und Tina den Sommer liebten, dieses Jahr war er einfach zu heiß. Zu heiß für die Menschen, zu heiß für die Tiere, zu heiß aber auch für das Land. Seit Wochen war kein Tropfen Regen mehr gefallen. Normalerweise wären Bibi und Tina in dieser Jahreszeit an goldgelben Getreidefeldern entlanggeritten, stattdessen bedeckten nur noch gelbbraune Stoppeln die rissigen Äcker. Die Getreideernte war längst vorbei. Die Bauern hatten wegen der Trockenheit und Hitze nicht länger warten können und viel geringere Erträge als sonst gehabt.

Nur eines war in diesem Jahr wie immer: Bibi Blocksberg, die kleine Hexe aus Neustadt, verbrachte die Sommerferien bei ihrer Freundin Tina Martin auf dem Martinshof. Tinas Mutter allerdings war heute Morgen zu ihrer Tante Paula abgereist, die sich den Knöchel verstaucht hatte und dringend Unterstützung benötigte. Da die nächste Gruppe mit Ferienkindern erst in einigen Tagen ankommen würde, hatte Frau Martin sich freinehmen können. Tina, Bibi und Tinas Bruder Holger würden sich in der Zwischenzeit um den Reiterhof kümmern.

Nachdem sie alle anfallenden Arbeiten erledigt hatten, waren Bibi und Tina losgeritten. Ihr Ziel war der Baggersee in der alten Kiesgrube, wo sie mit Tinas Freund Alexander von Falkenstein verabredet waren. Als die beiden durch den Falkensteiner Forst ritten, atmeten sie auf, denn die hohen alten Buchen und Kiefern hielten die glühende Sonne ein wenig ab.

„Na, freust du dich auf Alex?“, fragte Bibi ihre Freundin.

„Geht so“, erwiderte Tina. Sie war sauer auf Alex. Die zwei hatten sich seit Tagen nicht gesehen, weil Alex keine Zeit für Tina gehabt hatte. Sein Vater, Graf Falko von Falkenstein, war heute Morgen ebenfalls abgereist. Er besuchte einen ehemaligen Klassenkameraden in London, der ihn zu einer Pferdemesse eingeladen hatte. In London regnete es, weshalb Graf Falko die Einladung sofort angenommen hatte. Das heiße Wetter hier machte ihn furchtbar nervös, und in den Tagen vor seiner Abfahrt hatte er Alex dermaßen eingespannt, dass dieser für nichts anderes mehr Zeit gehabt hatte – auch nicht für Tina. Aber immerhin hatte Alex gleich am frühen Morgen angerufen und vorgeschlagen, sich am Baggersee zu treffen.

Als Bibi und Tina den Wald hinter sich hatten, ritten sie in östlicher Richtung weiter und erreichten schließlich den staubigen Schotterweg, der zum See in der Kiesgrube führte. Von den Einwohnern von Rotenbrunn und Falkenstein wurde der Baggersee im Steinbruch eifrig zum Baden genutzt. Auf der Anhöhe zügelten Bibi und Tina ihre Pferde und blickten auf die silbrig glitzernde Wasserfläche hinab.

„Was ist denn hier los?“, wunderte sich Bibi.

Seltsamerweise waren heute keine Badenden zu sehen.

„Alex ist auch noch nicht da!“, meinte Tina verärgert.

„Wir gehen trotzdem schon mal ins Wasser!“ Bibi trieb ihre Stute an und ritt zum See hinab. „Jetzt wird gebadet, Sabrina“, rief sie fröhlich.

Als auch Tina neben ihr angekommen war, ritten die beiden Mädchen gemeinsam ins Wasser. Doch selbst in der Mitte des Sees reichte es den Pferden nur bis zu den Knien.

„Ich glaub’s einfach nicht“, murmelte Bibi fassungslos. „Sogar der Baggersee ist fast ausgetrocknet.“

Das Wasser war noch dazu trübe und roch faulig. In dieser Brühe wollten sie wirklich nicht baden. Schnell ritten sie ans Ufer zurück und stiegen von ihren Pferden. Die Überreste eines Lagerfeuers waren zu sehen, Flaschen und leere Getränkedosen lagen herum. Einige Jugendliche hatten hier wohl eine Party veranstaltet und es nicht geschafft, hinterher wieder aufzuräumen. Tina stieß mit dem Fuß gegen eine der Flaschen. „Wissen die denn nicht, dass die kleinste Glasscherbe bei dieser Hitze einen Brand auslösen kann?“, rief sie kopfschüttelnd. In der Zeitung und im Radio wurde täglich vor der drohenden Waldbrandgefahr gewarnt. Dass es auf dem Kies brennen würde, war zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber trotzdem war es nicht in Ordnung, seinen Müll hier liegen zu lassen.

„Ich mache das schnell sauber.“ Bibi hob ihre Hände: „Eene meene Samt und Tüll, in den Eimer fliegt der Müll! Hex-hex!“

Ein leises Plingpling ertönte, Hexsternchen sprühten, und gleich darauf segelten sämtliche Flaschen, Plastiktüten und Dosen in einen Mülleimer, der in der Nähe aufgestellt war.

Mit zusammengekniffenen Augen blickten die beiden Mädchen auf die flimmernde Wasserfläche hinaus. Schatten gab es hier unten nicht.

„Wenn Alex in zwei Minuten nicht da ist, reiten wir nach Hause“, beschloss Tina. „Ich habe es satt, ständig auf ihn zu warten.“

Tina war heute wirklich ziemlich gereizt. Bibi war sich sicher, dass das an der Hitze lag. Diese Hitze machte manche Leute richtig verrückt. Man konnte keinen klaren Gedanken fassen. Bibi hob einen flachen Kiesel auf und schleuderte ihn über das Wasser. Der Kiesel hüpfte einige Male, bis er unterging.

„Fünf Mal!“, rief Bibi begeistert. „Willst du’s nicht auch versuchen?!“

„Keine Lust“, kam es von Tina.

Bibi zuckte mit den Schultern. Da bemerkte sie auf der Hügelkuppe einen Reiter.

„Alex kommt!“, rief sie.

Tina drehte sich um.

Tatsächlich ritt Alexander von Falkenstein den Abhang hinunter. Als er den Rand des Sees erreichte, stieg er vom Pferd.

„Hallo!“ Er lächelte zwar, doch er wirkte erschöpft. Sein Gesicht war verschwitzt und gerötet.

„Du bist zu spät!“, sagte Tina.

„Tut mir leid!“, erwiderte Alex. „Maharadscha hatte keine Lust zu laufen.“

„Na klar, dein Pferd ist schuld!“, meinte Tina spöttisch.

Alex schüttelte verwirrt den Kopf, nahm den Helm ab und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

„Ihr hättet ja nicht auf mich warten müssen. Wollen wir jetzt endlich baden?“

„Das kannst du vergessen“, sagte Tina. „In dem See ist kaum Wasser.“

„Wieso das denn?“, wollte Alex wissen.

„Ausgetrocknet! Uns hier zu verabreden, war eine richtig bescheuerte Idee“, maulte Tina.

„Hey, Tina. Das konnte ich doch nicht wissen!“, fuhr Alex auf. „Ich dachte, du freust dich, mich zu sehen“, fügte er enttäuscht hinzu.

„Klar“, rief Tina. „Wenn der Herr Graf mal Zeit hat, freut sich die kleine Tina gleich wie verrückt. Das könnte dir so passen! Ich komme auch ohne dich zurecht, damit du’s nur weißt.“

„Ach ja?“ Eine zornige Falte erschien zwischen Alex’ Augen. „Dann will ich dich nicht weiter stören.“

Alex stieg wieder in den Sattel. „Los, Maharadscha! Wir sind hier nicht willkommen.“

Auweia, dachte Bibi. Es wurde wirklich höchste Zeit, dass sie eingriff.

„Hey, Alex, warte doch! Tina meint es nicht so!“

„Und ob ich das so meine!“, rief Tina. „Genau so, wie ich es gesagt habe.“

Alex hatte noch einmal kurz angehalten, doch jetzt trieb er Maharadscha den Hügel hinauf, ohne sich noch einmal umzudrehen. Bibi folgte ihm mit den Augen, bis Alex die Kante der Kiesgrube erreicht hatte und schließlich verschwunden war.

Die Fremden

Alex knallte die Sonne auf den Reithelm, und der Schweiß rann ihm in die Augen, dass es brannte. „Mist!“, rief er und wischte sich über die Stirn. Er wollte jetzt nur noch nach Hause. Wieso benahm Tina sich bloß so zickig? Je mehr Alex über den Streit nachdachte, desto verärgerter wurde er. Sollte er sich etwa alles gefallen lassen? Wieso glaubte Tina eigentlich, so mit ihm umspringen zu können? Wahrscheinlich, weil er immer viel zu nett zu ihr war! Aber damit war jetzt Schluss!

Alex wischte sich abermals mit dem Handrücken über die Stirn, während er auf Maharadscha einen Feldweg entlangtrabte. Bald würde er zu Hause sein. Er konnte das Schloss schon sehen. In der Ferne erhoben sich seine Zinnen in den gleißend blauen Himmel.

„Gleich haben wir es geschafft, Maharadscha.“

Wieder dachte er an Tina. Sie hätten einen lustigen Nachmittag haben können. Der ausgetrocknete Baggersee war zwar Pech, aber bestimmt wäre ihnen noch etwas anderes eingefallen.

In diesem Augenblick sah Alex ein Auto am Wegrand stehen. Der Wagen war so alt, verbeult, verrostet und klapprig, dass ihm bei der geringsten Erschütterung Stoßstangen, Auspuff und Türen abfallen mussten. Die Motorhaube stand offen, und darüber stieg weißer Dampf in den Himmel.

Das Kennzeichen kannte Alex nicht. Aus der Gegend kam das Auto jedenfalls nicht. Überhaupt sah es so aus, als wäre der Wagen aus einem anderen Land und einer anderen Zeit. Dreißig Jahre hatte die Kiste mindestens auf dem Buckel! Vielleicht war es eine Fata Morgana? Alex riss sich zusammen. Diese Hitze! Nein, der Wagen war echt. Jetzt kamen zwei Menschen zum Vorschein, die hinter der geöffneten Motorhaube gestanden hatten. Sie hatten das Hufgetrappel gehört. Es waren ein junger Mann und ein Mädchen. Der Mann war vielleicht zwanzig Jahre alt, das Mädchen etwa sechzehn. Beide hatten schwarze Haare und dunkle Augen.

„Hoo, Maharadscha!“ Alex zügelte seinen Rappen und blieb neben dem Wagen stehen.

Das Mädchen trat sofort zu Maharadscha. Mit einer Selbstverständlichkeit, als würde es das Pferd schon lange kennen, begann es, den Rappen zu streicheln – und Maharadscha ließ sich das gern gefallen.

„Ist das ein Araber?“, fragte es den jungen Mann, der jetzt neben es trat.

„Ja, ungefähr sechs Jahre alt“, erwiderte dieser, wobei er Maharadscha fachkundig betrachtete.

Die beiden sprachen mit leicht fremdländischem Akzent. Sie schienen sich sehr für Maharadscha zu interessieren; Alex beachteten sie hingegen kaum. Er fand daher, dass es höchste Zeit war, sich vorzustellen.

„Ich heiße übrigens Alex“, sagte er. „Und mein Pferd heißt Maharadscha. Er ist Fremden gegenüber normalerweise sehr scheu.“

Das Mädchen lächelte zu ihm hoch: „Entschuldige, dass wir uns nicht vorgestellt haben. Ich bin Jelena, und das ist mein Bruder Milan“, sagte es.

„Habt ihr Probleme mit dem Wagen?“, fragte Alex.

Milan nickte. „Das Kühlwasser ist alle.“

Das war allerdings kein Wunder bei dieser Hitze.

„Und was macht ihr jetzt?“, wollte Alex wissen.

„Wir müssen uns wohl irgendwo Wasser besorgen.“ Milan grinste. Er schien die Panne nicht sonderlich tragisch zu finden. Auch dass sie hier in der Sonne brutzelten, machte ihm anscheinend wenig aus.

„Ich habe Wasser dabei“, sagte Alex.

Er stieg ab und holte eine Trinkflasche aus der Satteltasche.

„Stilles Mineralwasser. Ist das in Ordnung?“

Milan nickte wieder. „Die alte Kiste säuft alles, was sie kriegen kann.“

Er nahm Alex die Wasserflasche ab, ging damit zum Wagen und beugte sich über die Motorhaube. Er schraubte einen Plastikbehälter auf und ließ das Wasser aus der Flasche gluckernd darin verschwinden. Dann gab er Alex die leere Flasche zurück. Alex’ Blick fiel wieder auf das fremde Kennzeichen.

„Wo kommt ihr eigentlich her?“, fragte er.

„Aus Rotenbrunn“, erwiderte Milan.

„Echt? Aber …“

„Eigentlich kommen wir aus Siebenbürgen“, sagte Jelena, die Alex’ zweifelnden Blick bemerkt hatte. „Das ist in Rumänien. Aber zuletzt waren wir wirklich in Rotenbrunn.“

„Macht ihr hier Urlaub?“, wunderte sich Alex.

Da lachte Jelena laut auf. „Wir arbeiten hier! Genauer gesagt: Wir wollten in Rotenbrunn bei der Erdbeerernte helfen.“

Jetzt begriff Alex endlich. In der Nähe von Rotenbrunn gab es eine riesige Erdbeerplantage. Bei der Ernte wurden Helfer benötigt, die manchmal von weit her kamen. Für die Arbeit gab es gutes Geld, mehr, als die Menschen in ihren Heimatländern verdienten.

„Wir haben schon öfter dort gearbeitet“, erklärte Milan. „Aber dieses Jahr ist die Ernte schon vorbei.“