WILL HENRY

 

 

Nordstern

 

 

 

 

 

Apex Western, Band 14

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

NORDSTERN5 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

Dreiundzwanzigstes Kapitel 

Vierundzwanzigstes Kapitel 

Fünfundzwanzigstes Kapitel 

Sechsundzwanzigstes Kapitel 

 

North to Alaska: Will Henry und der Northern - Ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth 

 

 

Das Buch

 

Alaska 1899.

Das Goldfieber hat das Land erbarmungslos in einen brodelnden Hexenkessel verwandelt. Mit letzter Kraft kämpfen Männer gegen die brutale Gewalt der arktischen Stürme, gegen die eisige Wildnis und gegen die mörderische Gier der Goldsucher.

Will Henrys Roman Nordstern erzählt die Geschichte von der Nordstern-Goldader, von Murrah Starr, der sie entdeckte, von Black Angus McClennon, der ihn töten und berauben wollte, und von Erin O'Farrell, jenem verführerischen, wilden Mädchen, das mit Starr in die eisige Wildnis ging...

 

Der Apex-Verlag veröffentlicht den Roman in seiner Reihe APEX WESTERN als durchgesehene Neu-Ausgabe, ergänzt um ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth.

  NORDSTERN

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Sein Name war Murrah Starr. Er war ein wortkarger, dunkelhäutiger Mann mit blauen Augen, der selten lächelte und niemals lachte.

Wenn er sprach, kamen die Worte kehlig und gedehnt; sie klangen vertraut und fremd zugleich. Die Männer an den Bächen und in den Lagern längs der Meerenge fühlten sich unbehaglich bei ihrem Klang und machten keinen Hehl daraus, dass sie Murrah Starr keine Sympathie entgegenbrachten. Nicht etwa, weil ihnen fremde Sprachen ungewohnt gewesen wären. In den Hütten und Zelten, die eng aneinandergedrängt am Hauptarm des Snake River lagen, hörte man fremde Sprachen häufiger als die nasalen Laute des geborenen Amerikaners.

Seit dem ersten Schrei, der die Entdeckung von Gold verkündete, war der Norton's Sound von einer Menschenflut überschwemmt worden, die teils aus dem Binnenland kam, teils von Schiffen ausgespien wurde.

Man sah Russen, die von den Robbenfangstationen der Pribilofs kamen; Schweden, Dänen und Norweger, die ihren altmodischen, die Arktis durchfurchenden Walfangschiffen untreu geworden waren; dunkelhäutige Genuesen, blonde Letten, schlitzäugige Malaien und kaffeebraune Bewohner der pazifischen Inseln, die ihren hochmastigen Frachtschiffen den Rücken gekehrt hatten.

Kanadische Engländer waren von Britisch-Kolumbien gekommen; französische Canucken hatten aus Quebec den Weg über das Kap Horn und San Francisco gefunden; stämmige Schotten und breitschultrige Iren hatten ihre Holzfällerlager in Oregon verlassen. Über Seattles Hafen kamen Polen, Preußen, Griechen und Bulgaren.

Sie alle waren im Herbst 1899 dem Ruf des Goldes gefolgt. Zu ihnen gesellten sich Hunderte von Binnenländern - Männer, die über den Yukon gezogen kamen, als die Goldfelder von Klondike ausgebeutet waren.

Nome war der Schmelztiegel, in den sich diese Flut ergoss.

Murrah Starr war weder ein Einwanderer, der über das Meer gekommen war, noch ein Alaskaschürfer, der den Landweg gewählt hatte. Er entstammte weder einer desertierten Schiffsbesatzung noch hatte sein Name in den Listen der großen Passagierdampfer gestanden.

Er war schon dagewesen, als es begann, wahrscheinlich schon früher. Niemand wusste es genau. Er war aus dem weiten Inneren hinter White Horse, hinter Dawson, hinter Skagway aufgetaucht, begleitet von Smoke, seinem mächtigen Wolfshund, der ihm wie ein Schatten folgte.

Sie sagten, er sei ein Chinik, oder ein Abkömmling der Selawik-Indianer, oder ein Tubucktulik-Eskimo, der einen weißen Vater gehabt habe. Aber das war nur eine Vermutung, denn Murrah Starr verriet ihnen nie, wer er war oder woher er kam.

Das einzige, was sie über ihn wussten, verriet ihnen der nie erlahmende Spionagedienst, der die Waagen der Handelsgesellschaften überwachte.

Seine North Star Mine lag irgendwo am Anvil Creek, genauer gesagt, am Pushtash Creek, aber nie war es jemandem gelungen, ihm dorthin zu folgen. Doch er wog sein Gold in Nuggets, die so groß und scharfkantig waren wie die Schlacke aus den Schmelztiegeln, und sein feinster Goldstaub war noch körniger als der Sand des Strandes. Man konnte daraus nur eine Folgerung ziehen: Murrah Starrs Pushtash-Erzgang musste das reichste Goldvorkommen auf weisen, auf das ein Einzelgänger je im amerikanischen Alaska gestoßen war.

 

Am Rande der Stadt lockerte Starr die Traggurte seines Gepäcks und schob seine alte 45-90-Winchester griffbereit.

Er sprach zu dem Wolfshund. Es war ein geknurrter Befehl, der auf Englisch keine Bedeutung hatte, aber das Tier kauerte zu seinen Füßen nieder und folgte ihm dichtauf, als er weiterging. Sie passierten die Front Street mit ihren Hütten und Zelten, mieden den neuangelegten Gehsteig und wateten durch den knöcheltiefen Schlamm der Straße.

Der Nachthimmel war wolkenverhangen. Trotz der Dunkelheit erkannte Starr undeutlich die Konturen der großen Schilfe, die jenseits der Snake-Mündung im Ozean ankerten. An den Anlegeplätzen des Flusses selbst lagen kleinere Boote, die den Verkehr zwischen den großen Schiffen und dem Strand besorgten.

Auch in der Nacht waren einige der Boote unterwegs, um den nicht endenden Strom von Goldsuchern und die Vorräte, die sie brauchten, um die kommenden langen Nächte und das Polareis, das sich bald bilden würde, zu überleben, an Land zu bringen.

Starr gefiel, was er sah. Sein seltenes Lächeln zuckte über die kantigen Züge und verschwand wieder.

Es war spät im September.

Schon brauste der erste Regensturm von der Beringstraße in die Bucht und wühlte das Wasser auf. Die Boote, die jetzt durch die Wellen pflügten, waren die letzten. Sie brachten die letzten Vorräte für den Winter und trugen die letzten Goldsucher an Land.

Nach ihnen kam das Packeis und schuf eine unüberwindliche Barriere, die erst unter der bleichen Frühjahrssonne schmelzen würde. Bis dahin war Nome von der Außenwelt abgeschlossen. Monate zwangsweiser Ruhe würden folgen, wenn die Schürfstellen einfroren, und der Tod würde Ernte halten unter den Hunderten, die am Strand ihr Lager aufgeschlagen hatten, ohne für den Winter gerüstet zu sein.

Auch das ist gut, dachte Starr, sehr gut. Es sind ohnehin zu viele.

Am Ende des zweiten Sommers mussten es bereits mehr als dreitausend sein. Der richtige Ansturm würde erst beginnen, wenn das Frühjahr 1900 den Wasserweg wieder öffnete. Dann erst würde sich eine wahre Flut aus den Staaten über Nome ergießen. Die jetzt schon den Weg hierhergefunden hatten, verdankten es dem Zufall, dass sie in der Nähe waren, als das magische Wort die Runde machte.

Zugegeben, ein großer Teil von ihnen war schon jetzt Glücksritter, aber diese würden überwiegen, wenn im dritten Sommer nichts geschah, das ihnen den Appetit auf leicht erworbene Millionen verdarb. Dieses Etwas konnte der Winter sein, vorausgesetzt, dass er streng genug wurde.

Mit gebeugten Schultern stemmte Murrah Starr sich gegen den immer stärker werdenden Wind aus der Beringstraße, der einen grimmigen Winter versprach.

Wieder zuckte das dunkle Lächeln über sein Gesicht, aber er kam nicht dazu, sich seiner Gedanken länger zu erfreuen.

Seine immer wachsamen Augen schlossen sich zu schmalen Schlitzen, als er vorausspähte. Er sprach scharf zu dem Wolfshund an seiner Seite, setzte aber den Weg mit langen, geschmeidigen Schritten fort. Der Hund hob den Kopf der Richtung zu, in die sein Herr blickte. Er winselte einmal und begann zu zittern, dann wurde er ruhig.

Weiter oben in der Straße wühlte eine Meute von Bastarden in einem Berg von Fischköpfen und gefrorenem Abfall, der sich zwischen Boozer Browns gerade eröffnetem Saloon und dem noch ungestrichenen Bau des Nordlicht-Hotels häufte. Es waren sieben oder acht Hunde, die Nomes unersättlichem Hunger nach brauchbaren Pack- und Schlittenhunden auf unerklärliche Weise entgangen waren.

Als ihr Anführer, ein kräftig gebauter Eskimohund vom Kugruk River, den weder die Erinnerung an eine Niederlage noch die Furcht, den kürzeren zu ziehen, belasteten, noch zehn Meter entfernt war, blieb Starr stehen.

Smoke blickte zu ihm auf und winselte. Starr nickte und trat zur Seite.

Zu spät witterte der Kugruk den Wolfsgeruch des fremden Tieres. Er versuchte der Begegnung auszuweichen, aber Smoke sprang schon und traf ihn mit seiner kantigen Schulter. Der Anprall schleuderte den Kugruk unter die Bretter des erhöhten Gehsteiges. Smoke stieß nach wie ein großes graues Frettchen. Er gab keinen Laut von sich, und aus der Kehle des Kugruk kam nur ein heiseres Keuchen. Der Eskimohund schob sich unter den Brettern hervor, kam taumelnd auf die Beine und brach mitten im Straßenschmutz zusammen.

Die ihm folgende Meute stürzte sich auf Smoke. Winselnd und knurrend versuchten die Tiere, ihren Feind zu erledigen. Auch sie erkannten zu spät die Witterung, die ihrem Führer zum Verhängnis geworden war. Aus der zerrissenen Kehle des Kugruk floss Blut, als der letzte der Rächer mit eingeklemmter Rute heulend das Weite suchte.

Hinter der reglosen Gestalt Murrah Starrs sammelten sich Neugierige.

»McClennon wird nicht gern hören, was passiert ist«, verkündete jemand aus der rasch anwachsenden Menge. »Er hat verdammt große Stücke von seinem besten Hund gehalten.«

»Stimmt, und darum wird es Ärger geben«, sagte ein anderer. »Ich möchte verdammt nicht in Ihrer Haut stecken, Fremder.«

Greenhorns, dachte Starr. Es lohnte sich nicht, ihnen zu antworten.

Er war während des ganzen Sommers nicht öfter als dreimal in der Stadt gewesen und würde auch diesmal nicht länger bleiben, als es erforderte, seine Wintervorräte einzukaufen und der Stadt den Rücken zu kehren. Er hatte weder Zeit noch Verlangen, sich mit Neulingen, die sich nicht auskannten, in ein Gespräch einzulassen.

Aber die Menge bestand nicht nur aus großmäuligen Feiglingen.

»Ist das nicht die verdammte Rothaut vom Creek oben?«, hörte Starr einen Oldtimer zu seinem Nachbarn sagen.

»Natürlich ist er's. Er und seine wilde Bestie von einem Wolf«, erwiderte der Goldgräber. »Ich würde zwanzig Dollar für eine Unze zahlen, um dabei zu sein, wenn McClennon erfährt, was geschehen ist.«

Erst jetzt wandte Starr sich um. Er musterte die Männer mit ausdruckslosem Gesicht.

»Sparen Sie Ihr Geld«, sagte er kurz. Er bückte sich, packte den toten Hund beim Schweif und setzte den Weg über die Straße fort. »Folgt mir, wenn ihr wollt. Es gibt eine Gratisvorstellung.«

Mit langen Schritten ging er davon. Smoke wich nicht von seiner Seite. Der Kopf und die Vorderbeine des Eskimohundes schleiften durch den Schmutz der Straße.

Die Männer zögerten, dann folgten sie ihm. Schnell vergrößerte sich die Schar der Neugierigen. Die vordersten Männer drängten mit in den Krämerladen von Angus McClennon.

McClennon, ein mächtiger, hitziger Schotte mit schwarzen Brauen, stand hinter dem Verkaufstisch und wog einem Goldsucher Mehl in einen derben Lederbeutel. Als er Starr und den toten Hund sah, ließ er den Lederbeutel auf der Waage ruhen, kam hinter dem Ladentisch hervor und pflanzte sich breitbeinig auf.

»Legen Sie ihn nieder, Mann«, sagte er mit seiner tiefen Stimme, die nicht unfreundlich klang.

Aber Starr ließ sich nicht täuschen. Er legte den Hund nieder, ohne den Blick von den pechschwarzen Augen des Schotten zu lassen, in denen ein Schimmer lag, der ihn warnte.

»Er hat uns angefallen«, sagte Starr, zuerst auf den toten Hund, dann auf seinen eigenen deutend.

McClennon musterte den Wolfshund, der mit heraushängender Zunge und leicht geneigtem Kopf wachsam neben der Tür saß. Die Neugierigen, die sich mit hereingedrängt hatten, pressten sich an die Wände und schienen eifrig darauf bedacht, den Abstand zwischen sich und dem Hund nicht zu verringern.

»Ich habe einem Golovin-Eskimo vor zwei Wochen zweihundert Dollar in guten Waren für diesen Hund gegeben«, sagte McClennon. »Er war der geborene Führungshund; einen besseren habe ich nie gesehen.« Während er sprach, schlüpfte er aus seiner Jacke aus schottischem Tuch. »Wie wollen Sie für ihn zahlen, Starr?«

»Es tut mir leid«, sagte Starr. »Ich wusste nicht, dass er Ihr Hund war. Ich bin nicht in der Stadt gewesen, seit Sie ihn kauften. Er griff uns an.« Er zuckte die Schultern. »Natürlich gab ich Smoke den Befehl, den Kampf aufzunehmen.«

McClennon faltete seinen Rock und legte ihn sorgfältig auf den Ladentisch.

»Ich habe Ihnen eine klare Frage gestellt, Mann. Wie wollen Sie für den Hund zahlen? Mit Ihrer eigenen grauen Bestie? Oder soll ich Ihnen alle Zähne in Ihre verdammte Halbblutkehle schlagen?«

»Ich will weder so noch so zahlen«, erwiderte Starr ruhig. »Ich habe einen Hund.«

Der breitschultrige Schotte schüttelte langsam den Kopf.

»Nicht doch, mein Freund, nicht doch. Sie haben keinen Hund mehr.« Er griff schnell hinter den Ladentisch. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, umspannte sie eine Winchester mit kurzem Lauf. Er lud die Waffe durch. »Treten Sie zur Seite. Sie geben ihm Deckung.«

Nur Starrs dünne Lippen bewegten sich, als er ruhig sagte: »Ich bringe Sie um, wenn Sie es versuchen.«

Wieder schüttelte McClennon den mächtigen Schädel. »Sie haben die Wahl. Sie oder Ihr schlitzäugiger Wolf. Wie wollen Sie es haben?«

Starr musterte den andern. Sein Blick glitt suchend über den Kreis von Männern, der sich um sie gebildet hatte, und kehrte zu dem hochgewachsenen Händler zurück.

»Sie sind ein Narr, McClennon«, sagte er. Er löste das Gepäck von seinem Rücken, griff nach der Springfield. Das Gepäck polterte zu Boden. Er schlüpfte aus seiner Fuchsfellparka und ließ sie achtlos fallen. Er hob die von ihrer Last befreiten Schultern, rieb seine kupferfarbenen Hände, wie um sie geschmeidig zu machen und glitt geduckt auf McClennon zu.

Smoke, der keinen Blick von ihm gelassen hatte, war mit einem Satz neben ihm. Die Zunge verschwand, die mächtigen Kiefer klappten aufeinander.

McClennon legte auf den Hund an.

»Bringen Sie den Wolf hinaus«, sagte er leise zu Starr. »Ich denke nicht daran, gegen einen Mann zu kämpfen, der eine solche Bestie in seinem Rücken hat.«

Starrs dunkles Gesicht färbte sich noch dunkler.

»Es tut mir leid«, murmelte er undeutlich. »Ich vergaß den Hund. Smoke...«

Die Ohren des Wolfshundes richteten sich lauschend auf. Er erstarrte mitten im Schritt; eine Vorderpfote blieb reglos in der Luft hängen.

»Ya howo«, befahl das Halbblut in seiner fremden Sprache.

Ungläubig blickte der Hund zu Starr auf. Ein dumpfes Knurren grollte tief in seiner Kehle.

»Ya howo!«, wiederholte Starr kurz.

Den Goldgräbern, die der Szene mit angehaltenem Atem folgten, schien es, als nickte der Hund zu dem Befehl, der ihm heiser zugerufen wurde. Die Männer fühlten, wie es ihnen kalt über den Rücken lief. Der dunkelhäutige Besitzer der North Star Mine machte eine warnende Geste.

»Machen Sie die Tür auf und kommen Sie ihm nicht in den Weg!«

Einer der Männer betätigte das Schnappschloss und stieß die Tür mit dem Fuß auf. Smoke glitt geschmeidig durch die Öffnung und verschwand. Die Tür schlug hinter ihm zu; das Schnappschloss rastete wieder ein.

»Also dann - so, wie Sie es wollen«, sagte Murrah Starr.

Die Art, wie er es sagte, jagte den Männern zum zweiten Mal einen kalten Schauder über den Rücken.

Lautlose Stille herrschte, als Starr, weich in den Knien federnd, langsam auf seinen Gegner zu glitt.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Zuerst umkreisten sie sich in der Art, wie es alte Hunde und kluge Männer tun. Die Männer an den Wänden kamen näher und bildeten einen Kreis um die Kämpfer. Sie folgten instinktiv dem Gesetz der Meute, das schon alt war, als der erste Höhlenbewohner nach einem Felsbrocken griff-, um seinen Artgenossen damit zu erschlagen.

McClennon marschierte auf der Innenbahn des Kreises und hatte den Vorteil. Er gab seine Position nicht auf und zwang Starr, in weitem Bogen um ihn herumzugehen. Starr schien mit dieser Regelung zufrieden; er unternahm nichts, in eine günstigere Position zu gelangen.

Einmal, zweimal umrundete er den großen Schotten, begann seinen dritten Kreis. Der heisere Laut, der den Zuschauern entfuhr, erinnerte an das Knurren einer Bestie.

Das Halbblut fürchtete sich!

Es zögerte die Entscheidung hinaus, wusste offensichtlich nicht, wie es sich mit seiner Lage abfinden sollte. Starr schien weder den Mut zu haben, auf McClennon loszugehen noch sich ihnen zuzuwenden und zu erklären, dass er nicht den Mut habe, gegen einen Mann wie den Schotten zu kämpfen.

Wieder stieg das ärgerliche Knurren auf.

Sie waren alle gleich, diese hinterhältigen Halbblute; sie hatten gerade genug vom Weißen in sich, um sich einzubilden, so gut wie jeder andere zu sein. Aber es war zu viel von der anderen Farbe in ihnen, um ihnen Mut genug zu geben, auch zu beweisen, dass sie den andern nicht unterlegen waren.

Das dritte Knurren war laut und unüberhörbar.

Starr vernahm es, und er verstand es. Er wusste, was die Goldsucher dachten, und er wusste, dass sie Grund genug für ihre Gedanken hatten.

Angus McClennon war so groß und kräftig wie ein Bär von der Kodiak-Insel. Er hatte ein hitziges Temperament und die Stärke einer Wölfin von 260 Pfund Gewicht. Er war ein berühmter und gefürchteter Kämpfer, hatte einen Mann getötet und ein halbes Dutzend andere zu Krüppeln gemacht in Kämpfen wie diesem, die mit nackten Händen ausgetragen wurden.

Es gab für Starr kein Entkommen, es sei denn, er versuchte, Smoke durch die Tür nach draußen zu folgen. Er wusste es, aber er wusste auch, dass er für alle Zeit sein Gesicht verlieren würde, wenn er versuchte, Smoke zu folgen. Aus einem dunklen Grund, den er nicht kannte, wollte McClennon ihn töten.

Es war nicht Furcht, sondern das instinktive Erfassen dieser Tatsache, die den Schritt des Halbblutes langsamer werden ließ.

Warum wollte der Besitzer des Krämerladens ihn umbringen, nachdem sie monatelang vergeblich versucht hatten, ihm zu seiner versteckten Mine zu folgen?

Irgendetwas musste seit seinem letzten Besuch der Stadt geschehen sein und den Händler zu einer Änderung seiner Absichten bewogen haben. Ganz sicher war es nicht der tote Eskimohund. Auch nicht der normale Hass des Weißen gegen das Halbblut. Vielleicht hing es mit der Mine zusammen, obwohl es kaum denkbar war. Kein Goldsucher, der zum Händler der Boom-Stadt geworden war, konnte Murrah Starr unbemerkt folgen.

Starr schüttelte den hässlichen Verdacht, der Händler könne sein Goldvorkommen entdeckt haben, ab. Er verdrängte sogar den warnenden Gedanken, dass McClennon darauf aus war, ihn hier vor all seinen Freunden legal zu Tode zu prügeln.

Er hatte sich geirrt; er war zu ängstlich, zu misstrauisch gewesen. Es war Zeit, die Sache hinter sich zu bringen. Als er den dritten Kreis zur Hälfte beendet hatte, wirbelte er plötzlich herum und ging mit fliegenden Fäusten auf seinen breitschultrigen Gegner los. Aber McClennons mächtiger Rumpf war nicht da, wo seine Fäuste hintrafen. Der Händler hatte auf den Angriff gewartet und war mit einem blitzschnellen Schritt zur Seite ausgewichen.

McClennon knurrte, grinste breit und schmetterte eine Faust von der Größe und Härte eines Eichenklobens mitten in das dunkle Gesicht vor ihm. Aber seine Faust traf nicht.

Der gewaltige Schlag landete auf Starrs nachgebender Schulter und brachte den Schotten für Sekunden aus dem Gleichgewicht. Starr rammte ihm die Schulter in den Leib und richtete sich auf. Der Schotte wurde von den Füßen gerissen und landete krachend am Boden.

Fast im gleichen Augenblick war er wieder auf den Beinen, unverletzt und durch den überraschenden Fall noch gereizter als zuvor.

Das Halbblut war also ein Ringkämpfer. Gut. Das machte es leichter. Der Mann, der seine Hände nur zu Ringergriffen benutzte, hatte nur wenige Chancen gegen denjenigen, der von seinen Fäusten Gebrauch zu machen wusste.

McClennon lächelte grimmig, ballte die Hände zu Fäusten und griff an.

Diesmal war sein Schlag eine vorgetäuschte Wiederholung des ersten Schlages. Starr ließ sich täuschen. Als er sein Manöver mit der Schulter wiederholen wollte, folgte ein trockener kurzer Haken, der ihn unterhalb des Herzens traf. Nach Luft ringend, richtete er sich auf. Sein Gesicht wurde lachsfarben. Die Faust McClennons traf ihn zum zweitenmal, diesmal voll auf den Mund. Fast dreihundert Pfund keltischer Knochen und Muskeln lagen hinter dem Schlag. Starrs schlanke Gestalt klappte zusammen wie ein Taschenmesser. Er fiel zurück, prallte vom Ladentisch ab, stolperte blind über ein Bündel Fuchsfelle und krachte mit dem Schädel auf den Boden.

Er war noch bei Bewusstsein, aber hilflos, als der schwere Stiefel des Schotten seine Rippen traf.

Stechender Schmerz lief durch Starrs Rücken und durch die Schultern und bohrte sich tief in seine Magengrube. Plötzlich spürte er keinen Schmerz mehr. Die Lähmung war vorüber. Er sah den Stiefel noch einmal kommen, warf sich ihm entgegen und packte ihn. Mit aller Kraft bog er den Fuß auswärts und kam auf die Beine.

McClennon brüllte vor Überraschung und Schmerz, als er fiel. Sein Schädel krachte gegen ein mit Spitzhacken gefülltes Fass, was nur noch dazu beitrug, seine Wut anzustacheln.

Instinktiv griff er hinter sich, als er sich aufrichtete, und packte eine der Spitzhacken. Er schwang sie hoch über dem Kopf, bereit, beim nächsten Angriff des Halbbluts zuzuschlagen.

Starr, der auf den Angriff wartete, musste sich schnell entscheiden. Die Spitzhacke änderte die Situation. Er hatte nur eine Waffe in Reichweite, um der Waffe McClennons zu begegnen. Sie zu benutzen, bedeutete sichere Niederlage, selbst wenn es ihm gelang, seinen Gegner entscheidend zu besiegen. Nicht von ihr Gebrauch zu machen, bedeutete einen zerschmetterten Schädel und danach ewige Dunkelheit und Stille.

Es gab keinen Zweifel mehr: McClennon war entschlossen, ihn zu töten.

Wieder reagierte er mit dem Instinkt, der so alt war wie die Menschheit selbst. Oberstes Gesetz war, am Leben zu bleiben. Blitzschnell fuhr seine Hand unter das Hemd und kam mit der blitzenden Klinge zum Vorschein.

Die schwere Spitzhacke hatte ihren Bogen erst halb beschrieben, als Starr unter ihr hinwegtauchte, um mit McClennon auf Tuchfühlung zu kommen. Er hätte den großen Mann ebenso leicht töten können wie ein verwundetes Reh. Aber er tat es nicht. Statt ihm die Klinge ins Herz zu stoßen, zielte er auf eine andere Stelle des Körpers.

McClennon brüllte auf, drehte sich halb um, ließ die Spitzhacke fallen und presste beide Hände auf die Wunde, die zu bluten begann. Der Schotte erhielt Hilfe von den Zuschauern. Die Goldgräber stürzten sich auf Starr, bevor er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte.

Er erinnerte sich an den Geruch ihrer schweißbedeckten Körper, an die Wärme ihres Atems, die ihm ins Gesicht schlug. Dann entriss ihm jemand das Messer. Unzählige Schläge prasselten auf ihn herab. Knie bohrten sich schmerzhaft in seinen Körper. Er lag am Boden, und die Schläge schienen kein Ende zu nehmen. Noch einmal versuchte er, sich kämpfend aufzurichten, und sah McClennon mit erhobener Spitzhacke wie durch einen Nebel auf sich zukommen.

Dann war nichts mehr.

Es gab keinen Kampf mehr und keinen Schmerz.

 

Sanft und leise trieb er irgendwo unter den kalten Sternen dahin.

Die Landschaft war fremd; er entdeckte keine Markierungen, die ihm bekannt erschienen. Stille umgab ihn, tiefer Friede herrschte. Langsam arbeitete er sich an die Schwelle des Bewusstseins vor. Er wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war.

Dann erinnerte er sich an die drohend geschwungene Spitzhacke, an das blitzende Messer, an das Verbrechen, das er begangen hatte und das alle Männer zu seinen Gegnern werden ließ.

In einem fairen Kampf durfte ein weißer Mann jeden Gegenstand benutzen, der ihm als Waffe brauchbar schien. Ein zertrümmerter Stuhl, eine zerbrochene Flasche, eine Brechstange, eine Axt, eine Spitzhacke - das alles waren zugelassene Waffen nach den Gesetzen, die in den Goldgräbersiedlungen galten. Nach den gleichen Gesetzen war eine Waffe verboten, jene Waffe nämlich, zu der er gegriffen hatte, um sich McClennons Angriffs zu erwehren. Das Messer war die natürliche Verteidigungswaffe aller dunkelhäutigen Männer; es war ihnen so selbstverständlich wie dem Kaukasier die geballte Faust. Vielleicht hatten die Letzteren darum dieses Gesetz geschaffen. Vielleicht auch nicht. Es war sinnlos, darüber nachzudenken. Das Gesetz war da, du kanntest es. Du hast es gebrochen, und es hat dich umgebracht.

 

 

 

 

 

  Drittes Kapitel