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Über die Autorin

Danielle Strickland ist Majorin der Heilsarmee. Als Rednerin ist sie weltweit unterwegs. Inzwischen hat sie fünf Bücher geschrieben. Strickland engagiert sich gegen Zwangsprostitution, betreibt einen eigenen Podcast und ist Botschafterin des Kinderhilfswerks Compassion. Zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern lebt sie in Toronto, Kanada.

Inhalt

Einleitung

Der Exodus – Ein kurzer Rückblick

Kapitel 1: Atemberaubende Schönheit

Schritte in die Freiheit

Kapitel 2: Wie Sklaverei beginnt

Schritte in die Freiheit

Kapitel 3: Winzige Spinnenbisse

Schritte in die Freiheit

Kapitel 4: Warum Schmerz etwas Gutes sein kann

Schritte in die Freiheit

Kapitel 5: Vom Wert des Verlernens

Schritte in die Freiheit

Kapitel 6: In jedem von uns steckt ein Pharao

Schritte in die Freiheit

Kapitel 7: Es wird schlimmer, bevor es besser wird

Schritte in die Freiheit

Kapitel 8: Die Schönheit des puren Evangeliums – und der Wüste

Schritte in die Freiheit

Kapitel 9: Am Ende unserer Selbst

Schritte in die Freiheit

Kapitel 10: Von brennenden Büschen und anderen (über)natürlichen Zeichen

Schritte in die Freiheit

Kapitel 11: Was hast du da in deiner Hand?

Schritte in die Freiheit

Kapitel 12: Es braucht die Konfrontation

Schritte in die Freiheit

Kapitel 13: Habt keine Angst

Schritte in die Freiheit

Kapitel 14: Fangen Sie bei sich selbst an – jetzt

Schritte in die Freiheit

Kapitel 15: Leben mit geöffneten Händen

Schritte in die Freiheit

Kapitel 16: Sabbat trotz(t) Sklaverei

Schritte in die Freiheit

Kapitel 17: Frei sein und frei bleiben

Schritte in die Freiheit

Danke

Anmerkungen

Für Jan, die Unterdrückung mit Cupcakes besiegt hat.
Für Stepfanie, weil Blumen erschaffen wurden,
um zu blühen.
Für Taanis, die bewiesen hat, dass es nie zu spät ist,
um mit Gott in die Freiheit aufzubrechen.
Für alle, die in einer der vielen Formen von
moderner Sklaverei gefangen sind.
Gott hört euren Schrei.

Einleitung

Kürzlich hatte ich das große Privileg, Haiti besuchen zu können. Ich flog mit der Organisation Compassion International dorthin, um mein Patenkind und seine Mutter kennenzulernen. Dieser Besuch hinterließ in vielerlei Hinsicht einen tiefen Eindruck bei mir. Vielleicht können Sie sich die Mischung aus großem Schmerz und großer Freude vorstellen, die ich empfand, als ich dort mit äußerster Armut und deren verheerenden Auswirkungen konfrontiert wurde, und gleichzeitig so viele liebe Menschen kennenlernte, die in ihr lebten. Ich freute mich über die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die einige von ihnen dank der tatkräftigen Unterstützung einer lokalen Gemeinde haben durften. Ihre Hilfsangebote waren für die Menschen vor Ort wie eine letzte Rettungsleine. Ja, Hoffnung und Elend gingen dort Hand in Hand und schienen wie die Räder bei einem Tandem miteinander verbunden zu sein. Großer Jubel wich Verzweiflung und Hilflosigkeit, und verwandelte sich später wieder in Freude und Zuversicht. Als hinge das Herz dieser Menschen an einem Pendel, das sich immer zwischen diesen beiden Extremen hin und her bewegte.

Was mich bei meinem Besuch auf Haiti besonders interessierte, war die komplexe Geschichte des Landes, die von Sklaverei und einem Aufbruch in die Freiheit bestimmt war. Haiti ist die erste schwarze Republik, die auf der Welt gegründet wurde. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden 700000 Afrikaner in die französische Kolonie dort gebracht und versklavt, um auf Plantagen zu arbeiten. So wurde diese Kolonie zur profitabelsten in der Geschichte – bis irgendwann ein Mensch eine Erkenntnis hatte; eine Erkenntnis, die die Welt verändern würde.

Dieser Mensch erkannte, dass all die versklavten Afrikaner nicht dazu geboren waren, Sklaven zu sein. Denken Sie kurz darüber nach, denn genau so etwas nennen wir eine revolutionäre Idee.

Es folgte eine Zeit, in der sich die Afrikaner auf Haiti viele Gedanken über ihre Umstände machten; in der sie es plötzlich wagten, von Freiheit zu träumen und begannen, heimlich Pläne zu schmieden, wie sie sich diese wieder erkämpfen könnten. Eine Erkenntnis brachte schließlich den Durchbruch, nämlich die, dass die Sklaven auf Haiti den Sklavenhaltern zahlenmäßig überlegen waren – und zwar bei Weitem. So begann eine äußerst blutige Revolution. Die meisten Historiker stimmen darin überein, dass es eine der blutigsten Revolutionen der Geschichte war. Die französischen Herren wurden besiegt, und die afrikanischen Sklaven waren nun frei – zumindest in der Theorie.

Nachdem sich die Afrikaner ihre Freiheit so hart erkämpft hatten, begann eine ziemlich verworrene Geschichte voller politischer Unruhen und wiederkehrender Ausbeuterei. Immer wieder erfuhren die Menschen auf Haiti Ungerechtigkeit – die ihnen von außen angetan wurde oder die sie sich gegenseitig antaten. Das erklärt, warum Haiti noch heute in vielerlei Hinsicht mit Sklaverei zu kämpfen hat; sie hat lediglich ein anderes Gesicht bekommen: Die Plantagen sind verschwunden, aber die Armut existiert immer noch. Die Ketten und Fesseln sind verschwunden, aber das korrupte politische System existiert immer noch und lässt die Menschen in ständiger Angst leben. Die alten Kolonialherren sind verschwunden, aber es existiert immer noch eine hohe Verbrechensrate. Ehemalige Sklaven sind inzwischen selbst zu Sklavenhaltern geworden und betreiben Kindersklaverei. Was ist passiert?

Es ist das passiert, was scheinbar immer passiert: Die Geschichte wiederholt sich in der Geschichte immer wieder. Die Sklaverei kehrt immer wieder zurück. Die Unterdrückung findet lediglich neue Formen, und schon verfangen sich die Menschen wieder in ihrem Netz. Dieses Muster können wir nur durchbrechen, wenn wir uns nicht nur mit der äußerlichen Realität auseinandersetzen und dort Sklaverei bekämpfen, sondern auch innerlich versuchen, der Sklaverei zu entkommen.

Ich besuchte einmal eine Freundin, die seit vielen Jahren unter den Ärmsten der Armen in Asien arbeitet. Regelmäßig sieht sie, wie Frauen aus der Sklaverei der Sexindustrie aussteigen. Ich fragte sie nach einer Frau, die ich kurz zuvor an jenem Morgen kennengelernt hatte: „Wie lang ist sie schon frei?“ Meine Freundin gab mir die weise Antwort: „Sie ist seit sechs Monaten nicht mehr im Bordell, aber sie ist immer noch unterwegs in die Freiheit.“ Wie mir meine Freundin erklärte, dauert es nur wenige Augenblicke, um eine Frau aus dem Raum zu befreien, in dem sie als Sexsklavin gehalten wurde. Doch es kann viele Jahre dauern, bis die Frau auch innerlich von den Folgen der Sexsklaverei befreit ist.

Freiheit ist ein langwieriger Prozess, und oft geschieht er nur von innen nach außen.

Ein kurzer Vers im Neuen Testament macht dies noch einmal deutlich: „Durch Christus sind wir frei geworden, damit wir als Befreite leben. Jetzt kommt es darauf an, dass ihr euch nicht wieder vom Gesetz versklaven lasst“ (Galater 5,1). Mit anderen Worten: Jesus hat für uns einen Weg in die wahre Freiheit geschaffen. In ihm können wir frei sein – äußerlich und innerlich. Deshalb fordert er uns dazu auf, in dieser Freiheit auch zu leben und uns nicht wieder selbst zu versklaven.

Die Warnung, die Paulus den Galatern gegenüber ausspricht, ist in höchstem Maße prophetisch. Schon er hat erkannt, dass die Sklaverei immer zurückkehren und möglicherweise nur andere Formen annehmen wird. Unterdrückung hat tausend unterschiedliche Gesichter. Im Falle der Galatischen Gemeinde hatten Leute begonnen, die Religion selbst als eine Form der Sklaverei zu missbrauchen – und die Geschichte zeigt uns leider immer wieder, dass religiöse Menschen in Machtpositionen tatsächlich brutale Sklavenhalter sein können.

Doch wenn wir genau hinschauen, können wir in fast jedem Bereich Hinweise auf Versklavung und Unfreiheit finden. Der Geschmack von frischem Kaffee ist jeden Morgen ein Genuss für mich und das, was ich brauche, um richtig wach zu werden; aber die Produktionsgeschichte dahinter kann von kapitalistischer Gier und der Ausbeutung ärmster Arbeiter verseucht sein. Wer reich ist, scheint frei und unbeschwert leben zu können. Doch einige äußerst reiche Menschen sind innerlich in dunklen Gedanken gefangen und leiden unter selbstzerstörerischen Tendenzen. Wie sollen wir mit diesem Dilemma umgehen? Mit diesen Dingen, die frei machen und schön sind, mich oder andere aber gleichzeitig unterdrücken? Kann Sklaverei jemals ganz aufhören? Ist wahre Freiheit überhaupt möglich?

Dieses Buch gibt die klare Antwort: Ja. Die Sklaverei kehrt wahrscheinlich immer wieder zurück, aber dennoch ist Freiheit möglich. Ich bin eine unerschütterliche Optimistin und ich glaube, dass Freiheit das Geburtsrecht jedes menschlichen Wesens ist. Ja, es ist unsere Bestimmung, frei zu sein. So hat Gott uns geschaffen. Es ist die älteste Geschichte über die Entstehung der Erde; über die Menschheit, die geschaffen wurde, um frei zu sein.

Doch die Geschichte der Sklaverei beginnt in unserem eigenen Herzen. Als Menschen leiden wir alle unter irgendeiner Form von Gebrochenheit und Verängstigung, und in diesem Zustand neigen wir dazu, andere zu unterdrücken oder uns selbst unterdrücken zu lassen. Auch die Bibel warnt uns, dass wir – sobald wir befreit wurden – auf der Hut sein sollen, um uns nicht gleich wieder unterdrücken zu lassen, wie wir es zuvor in Galater 5,1 gelesen haben.

Nun, das ist ein toller Rat, aber wie können wir ihn umsetzen? Wie können wir wirklich frei werden – und frei bleiben? Wie kann so ein Leben in Freiheit konkret aussehen?

Gott sei Dank gibt es eine Geschichte, die uns bei diesen Fragen weiterhelfen kann. Es ist die Befreiungsgeschichte überhaupt – die großartige Geschichte von Gottes Volk, das in Ägypten in der Sklaverei gefangen war und aus ihr befreit wurde. Es ist die Geschichte, in der Gott eine Kette von Ereignissen in Gang setzt, die schließlich zu einem triumphalen Befreiungszug seines Volkes führte und die Israeliten zu einem neuen Volk unter seiner Herrschaft machte.

Diese Geschichte ist teilweise sehr hart, aber sie ist wahr. Sie erzählt von vielen Enttäuschungen und der Realität eines Lebens inmitten äußerer und innerer Versklavung – denn genau dort muss der Kampf um die Freiheit ausgefochten werden. Diese Geschichte fordert uns heraus, doch indem wir uns mit der größten Befreiungsgeschichte des Volkes Gottes auseinandersetzen, finden wir die Schlüssel zu unserer eigenen Freiheit – und den Ausgang, den einzig wahren „Exodus“, um in diese Freiheit aufbrechen zu können, und zwar von innen nach außen.

Mein Gebet ist, dass Sie beim Lesen dieses Buches genau diese Schlüssel finden, die Ihnen den Weg in die Freiheit in Ihrem eigenen Leben eröffnen.

Der Exodus –

Ein kurzer Rückblick

Um sicherzugehen, dass wir alle über dasselbe reden, lassen Sie mich kurz erklären, was mit „Exodus“ in diesem Buch gemeint ist. Exodus ist der Name eines Buches in der Bibel, das im Deutschen oft auch „2. Mose“ genannt wird. In diesem Buch entwickeln sich zwei Hauptstränge einer längeren Geschichte, die sich durch mehrere biblische Bücher zieht. Es ist die Geschichte davon, wie Gottes Volk von Sklaverei, Angst und Unterdrückung in die Freiheit geführt wird. Ich kann Ihnen nur empfehlen, die ganze Geschichte einmal selbst zu lesen.

Die Exodus-Geschichte ist im Kern immer auch die Geschichte von Mose, die schon viele Hollywoodfilme aufgegriffen haben. Wenn Sie also nicht nur Bücher mögen, sondern auch gern Filme sehen, haben Sie eine große Auswahl zu diesem Thema. Meine Kinder mögen den Zeichentrickfilm Der Prinz von Ägypten. Die Filmmusik ist toll, und in den 90 Minuten wird die Geschichte gleichzeitig unterhaltsam und sehr bewegend erzählt, aber natürlich erzählt der Film die biblische Geschichte nicht originalgetreu nach. Verglichen mit der Bibel, gibt es strenggenommen ein paar „Fehler“ in der Handlung. Und diese gibt es sicherlich auch in anderen tollen Moses-Filmen wie Die Zehn Gebote oder Exodus: Götter und Könige. Ich persönlich finde jedoch, man darf gegenüber der Art und Weise, wie diese Filme die biblischen Geschichten interpretieren, nicht allzu kritisch sein. Sie erheben schließlich überhaupt nicht den Anspruch auf Bibeltreue, sondern wollen lediglich eine faszinierende Geschichte erzählen, und dann greifen sie sich eben ein paar Facetten heraus.

Auch dieses Buch hier wird nicht alle Facetten dieser Geschichte beleuchten und auf alle potenziellen Lektionen darin eingehen können, die wir für unseren eigenen Weg in die wahre Freiheit lernen können. Aber ich werde sehr genau auf die biblischen Worte eingehen.

Das Wort „Exodus“ bedeutet „Auszug, Ausgang“, und tatsächlich ist die biblische Exodus-Geschichte voller hell leuchtender Notausgangsschilder. Sobald ich Sie einmal auf diese Schilder hingewiesen habe, werden Sie die vielen „Notausgänge“ in der Geschichte nicht mehr verfehlen können.

Der Grund, warum man diese Schilder so hell beleuchtet, ist derselbe wie der, warum die Exodus-Geschichte in die Bibel aufgenommen wurde: Es ist wichtig zu wissen, wo der Ausgang ist.

Die Exodus-Geschichte dreht sich sowohl um einzelne Menschen als auch um eine ganze Gemeinschaft, ein großes Volk. Das sollte uns nicht überraschen, schließlich sind unsere Leben alle irgendwie miteinander verbunden.

Diese große Befreiungsgeschichte beginnt jedoch nicht erst im Buch Exodus, sondern bereits im Buch Genesis, dem ersten Buch der Bibel – und zwar dort, als Josef von seinen eifersüchtigen Brüdern in die Sklaverei verkauft wird. (Man muss fairerweise erwähnen, dass er auch eine ziemliche Nervensäge gewesen sein muss.) Durch eine unglaubliche Verkettung von Umständen wird Josef später der stellvertretende Befehlshaber von ganz Ägypten.

Da Gott durch Träume zu ihm spricht, kann er Ägypten vor einer großen Hungersnot bewahren und trägt so entscheidend zum Wohlstand des Landes bei. Seine ganze Familie (die kleinen Anfänge von Gottes Volk Israel) wird ebenfalls vor dem Hungertod gerettet. So lädt der ägyptische Pharao Josefs Familie ein, nach Ägypten zu ziehen und dort zu leben, wo es – dank Josef – genug Essensvorräte gibt. Er gibt ihnen das Land Goschen, den Teil Ägyptens, der am besten für die Viehzucht geeignet ist.

Die Geschichte im Buch Exodus setzt 300 Jahre später ein. Der neue Pharao kennt die Geschichte von Josef und seiner Familie nicht mehr. Er fühlt sich bedroht durch die Israeliten, die sich im Laufe der Jahrhunderte immer stärker in seinem Land vermehrt haben. Anstatt in ihnen Freunde und erfolgreiche Partner zu sehen, sieht der Pharao die Israeliten als potenzielle Konkurrenten und Feinde an. Deshalb fängt er an, sie zu unterdrücken. Sie müssen Zwangsarbeit verrichten, und ihre Hebammen werden angewiesen, alle männlichen Neugeborenen zu töten.

Zwei Hebammen weigern sich jedoch, die Babys zu töten. Sie lassen die Jungen am Leben – und damit beginnt eine Revolution.

Ein besonderes Baby, das auf diese Weise vor dem Tod bewahrt wurde, wird später von der Tochter des Pharaos adoptiert und wächst dann im Palast des Pharaos auf. Man nennt dieses Baby „Mose“ …

Die Entwicklung des Hauptcharakters ist der Schlüssel für eine gute Geschichte. Moses persönliche Geschichte ist eng mit der Geschichte des Volkes Israel verwoben. Wenn die Bibel über sein Leben erzählt ist das, wie wenn ein Film, der eine große Geschichte erzählt, zwischendurch immer wieder Nahaufnahmen von einer Person zeigt.

Mose wächst heran, und als junger Mann beobachtet er, wie ein Ägypter einen hebräischen Sklaven schlägt. Seine Reaktion fällt brutal aus – er tötet den Ägypter. Daraufhin verlässt er Ägypten als Flüchtling und erreicht schließlich das Land Midian. Dort trifft er auf die Töchter eines Priesters, die in der Wüste Schafe und Ziegen hüten. Als andere Hirten sie von der Wasserstelle verdrängen wollen, nimmt er die Frauen in Schutz. Aus Dankbarkeit nimmt deren Vater Mose in die Familie auf und gibt ihm eine seiner Töchter zur Frau. So wird Mose zu einem Schafhirten in der Wüste.

Das Volk Israel schreit zu Gott um Befreiung. Und Gott hört sie.

Er erscheint Mose in der Wüste in einem brennenden Busch. Mose hört Gottes Ruf und reagiert darauf – er ist bereit, seinen Auftrag zu erfüllen. Gott schickt ihn los, um dem Pharao die Stirn zu bieten und sein Volk aus der Sklaverei zu befreien. Natürlich ist der Pharao nicht so begeistert von Moses Vorhaben. Er ist hartherzig und will ihm nicht einmal richtig zuhören.

Mose wiederum hört ganz genau hin, was Gott ihm zu sagen hat, und handelt danach. Es braucht jedoch viel Zeit, viele Zeichen und Wunder, viel Gebet, viel Geduld und anfangs auch noch die Unterstützung von anderen (Aaron und Miriam helfen Mose zunächst bei der Leitung), bis die Israeliten schließlich über den Grund des Roten Meeres laufen, das sich auf wundersame Weise vor ihnen teilt und in dem Moment wieder schließt, als die ägyptische Armee versucht, sie einzuholen. Die Israeliten gehen mitten durchs Wasser hindurch – aus Ägypten heraus. Bumm! Was für ein Siegeszug!

Sie veranstalten eine große Party, feiern ihre Freiheit und errichten ein Denkmal – und dann fangen sie an, sich bei Gott zu beschweren, weil ihnen dämmert, dass sie die Wanderung durch die Wüste vielleicht gar nicht überleben werden. O ja, die Wüste. Kommt Ihnen dieses Thema bekannt vor?

Das Volk Gottes wandert 40 Jahre in der Wüste umher, und lernt dabei, was es heißt, ein Leben mit Gott zu führen – nicht als Sklaven, sondern als freie Menschen. Doch sie brauchen sehr lange, bis sie in das „Verheißene Land“ kommen – das Land, von dem ihnen gesagt wurde, dass es ihnen gehört. Ich hoffe, dass dieses Buch uns allen dabei hilft, weniger Zeit mit orientierungslosem Umherwandern zu verbringen und mehr Zeit damit, in Freiheit zu leben. Gott helfe uns dabei.

Kapitel 1:

Atemberaubende Schönheit

Aber aus Ehrfurcht vor Gott hielten sich die Hebammen nicht an den königlichen Befehl, sondern ließen die Jungen am Leben. 2. Mose 1,17

Es war ein absolut bezaubernder Moment, als mein jüngster Sohn geboren wurde – natürlich meine ich „bezaubernd“ nicht im Sinne von Zauberei, aber ich meine dieses Walt-Disney-Gänsehautgefühl, wenn man sich fühlt wie im Himmel. Ich liebte ihn schon, bevor er geboren worden war. Auf den ersten Ultraschallbildern sah er zwar noch ein bisschen wie eine ungelenke Transformers-Actionfigur aus, aber dennoch liebte ich meinen Sohn, noch bevor wir uns das erste Mal in die Augen sahen.

Das Leben und die Schönheit darin sind Geschenke. Ich spreche dabei nicht von der Art Schönheit, die vermarktet und in Flaschen und Formeln verkauft wird, sondern von der Art Schönheit, die sich schreiend in dem zerknitterten, kleinen Körper eines Neugeborenen zeigt. Das Leben in dieser zerbrechlichsten Form ist ein Geschenk an die Welt – ein Zeichen für etwas Größeres, Gewaltigeres, Tieferes.

Ich komme ständig mit Leuten ins Gespräch – Menschen, die stark und furchteinflößend sind, Menschen, die Narben und Lederjacken tragen und viele Tattoos haben – und diese Menschen sagen, dass die Geburt eines Babys ihren ganzen Schmerz wegnahm. All ihre Verbitterung verließ sie, als sie ein kleines, 3000 Gramm schweres Bündel aus Haut und Knochen in ihren Armen hielten. Ein kleines Baby, das noch nichts allein tun kann, schaffte es, dass diesen Menschen plötzlich bewusst wurde, was für ein riesiges Geschenk das Leben ist. Ein kleines Baby raubte ihnen den Atem.

Als sie mir ihre Geschichten erzählten, verstand ich sie. Auch ich habe Momente, in denen ich ganz neu über das Geschenk des Lebens staune. Es muss nicht immer ein neugeborenes Baby sein, das mich daran erinnert; dieses Geschenk zeigt sich in jedem Ausdruck von Freundlichkeit und Güte. Es liegt in der Schönheit und in der Hoffnung, die wir jeden Tag in den kleinen Momenten unseres Lebens finden können.

Leben hat Macht. In Schönheit ist Stärke. Wenn man länger darüber nachdenkt, ist das sehr beeindruckend, und es ist wichtig, sich immer wieder an diese Wahrheit zu erinnern.

Ich erinnere mich an einen Mann, der jahrelang alkoholabhängig war. Er war überall unerwünscht und wurde von allem ausgeschlossen. Die Polizei brachte ihn regelmäßig aus der Stadt heraus. Er erzählte mir davon, wie es war, auf Entzug zu sein: Er wollte von den Drogen loskommen und sehnte sich danach, dass es ihm endlich besser ging, doch als der Alkohol dann langsam seinen Körper verließ, fing er heftig an zu zittern und ihm würde speiübel. Er war elend und fühlte sich am Ende.

Die Erinnerungen an diese schreckliche Zeit sind inzwischen verschwommen, doch an eines erinnerte sich dieser Mann noch ganz genau: Eine nette Krankenschwester saß bei ihm, hielt seinen Kopf in ihrem Schoß und strich ihm liebevoll übers Haar, wie es seine Mutter getan hätte – hätte sie ihn je geliebt. Er erzählte mir, er hätte nur noch geweint – dort, im Schoß der Liebe –, denn er hatte sich nicht mehr daran erinnern können, wann ihn zuletzt jemand so freundlich berührt hatte.

Die erfahrene Freundlichkeit hinterließ einen tiefen Eindruck bei ihm. Er spürte die Kraft der Liebe. Heute ist er ein leidenschaftlicher Mann Gottes, der jeden Tag für andere Menschen in Not kämpft und versucht, Güte in eine dunkle und einsame Welt zu bringen. Als er mir diese Geschichte erzählte, war er mein Supervisor in der Heilsarmee. Seine Geschichte ist ein großartiges Beispiel dafür, was ein einziges Leben – und die Kraft der Freundlichkeit – in dieser Welt bewirken kann.

Das ist es, was ich an der Exodus-Geschichte so liebe. Die Geschichte, wie Gott sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten befreit, hat eine gewaltige Kraft – und ist bis heute aktuell. Gottes Befreiungsgeschichte ist kein Märchen; Menschen aus Fleisch und Blut haben sie erlebt. Menschen, die das wahre Leben kannten und wussten, wie schwer es sein kann. So ist die „Hintergrundkulisse“ dieser Geschichte in der Tat sehr düster, so als wollte Gott zeigen, dass er wirklich weiß und versteht, wie hart die Umstände sein können, die uns Angst machen und gefangen nehmen. Doch die Schönheit des Lichts und die Kraft der Liebe, Güte und Wahrheit sind vor dieser dunklen Kulisse umso überwältigender. Vor allem die Kraft der Freundlichkeit und Güte zeichnet sich vor diesem Hintergrund in atemberaubender Intensität ab.

In vielerlei Hinsicht ist die Geschichte vom Auszug aus Ägypten auch die Geschichte eines neuen Lebens. Es ist die Geschichte, wie Gottes Volk „geboren“ wird. Die Geschichte, die mit einer Tragödie von Sklaverei, Gebundenheit und Angst beginnt, ist in Wahrheit die Geschichte der Geburt von etwas Neuem; die Geschichte von Hoffnung, Güte und Schönheit – die Geschichte, die die Welt verändern wird.

Der revolutionäre Anfang

Der Auszug in die Freiheit begann nicht erst, als Mose vor dem Roten Meer stand und darauf wartete, dass es sich teilte. Er begann auch nicht, als Mose vor dem Pharao stand und ihn bat, sein Volk ziehen zu lassen. Er begann nicht, als Mose vor dem brennenden Busch stand und Gottes Stimme hörte. Und es war auch nicht der Anfang der Geschichte, als Mose realisierte, dass er fliehen musste, weil er gerade einen ägyptischen Sklaventreiber getötet hatte. Es waren zwei Frauen, mit denen die Exodus-Geschichte begann, noch bevor Mose überhaupt geboren worden war.

Zwei Frauen – in einer Welt, in der Frauen kaum etwas zählten. Und es waren noch nicht einmal ägyptische Frauen, die wenigstens etwas Einfluss oder Macht besessen hätten. Die bekannteste biblische Befreiungsgeschichte beginnt mit zwei einfachen hebräischen Hebammen, doch in den Augen der damaligen Welt hatte ihr Leben kaum eine Bedeutung.

Eines Tages forderte der König Ägyptens, getrieben von Wut und Angst, diese beiden hebräischen Frauen auf, etwas Böses und unvorstellbar Grauenvolles zu tun. Er wollte, dass sie alle neugeborenen Jungen der Hebräer töteten. Als Hebräerinnen war ihnen der Wert des einzelnen Lebens gelehrt worden, was diese ohnehin schon schreckliche Tat für sie noch grausamer gemacht haben musste. So wurden im Schöpfungsbericht der Hebräer alle Menschen hochgeachtet und wertgeschätzt – nicht aufgrund dessen, was sie taten, sondern schlicht und ergreifend deshalb, weil Gott sie geschaffen hatte. Sie waren wertvoll an sich. Einfach nur geboren zu werden, war der Beweis dafür, dass Gott einen „sehr gut“ nannte.

Der Pharao hatte jedoch eine ganz andere Weltsicht. Für die alten Ägypter hatten Menschen keinen Wert, sondern einen Nutzen. Und Frauen waren das Eigentum der Männer. Die hebräischen Jungen wurden zu einer potenziellen Bedrohung, die eliminiert werden musste. Ich bezweifle, dass der Pharao bei seinem grausamen Befehl eine persönliche Betroffenheit verspürte; das ist bei Bösen selten der Fall. Es war sehr wahrscheinlich eine kalte, rationale Entscheidung: Es war besser, wenn die hebräischen Jungen starben.

Die ägyptischen Hebammen wären wahrscheinlich eher in der Lage gewesen, dem Befehl des Pharaos Folge zu leisten und seine Argumentation zu schlucken, dass diese Babys eben „unnötig“ waren. Schließlich hatten auch sie ein anderes Menschenverständnis.

Tatsächlich können wir in unserer heutigen Kultur ebenso „überzeugende“ Gründe dafür finden, warum Kinder gar nicht erst geboren werden sollten. Doch das galt nicht für die alten Hebräerinnen. Die hebräischen Hebammen wussten etwas, das ihre ägyptischen Kolleginnen nicht wussten: Sie wussten, dass jedes Leben ein Geschenk ist. Sie wussten, dass Babys nicht vom Storch gebracht wurden oder von Menschen geplant werden konnten. Sie wussten: Jedes neue Leben kommt von Gott. Und dass das Leben ein Geschenk ist.

Also taten diese zwei Frauen etwas äußerst Mutiges: Sie sagten Nein. Und wissen Sie was? Jede revolutionäre Tat beginnt mit einem Nein. Als diese zwei Frauen, die zu den Machtlosesten der Gesellschaft gehörten, dem mächtigsten (menschlichen) Herrscher die Stirn boten, geschah etwas. Es war, als würde die Zeit für einen Augenblick stillstehen. Die Welt wurde auf den Kopf gestellt – wenn auch nur für einen kurzen Moment. Doch dieser Moment reichte aus, und alles veränderte sich. Die größte biblische Befreiungsgeschichte fand ihren Anfang mit zwei Frauen, die an Gott glaubten, an die Schönheit und an das Leben – und die bereit waren, ein Risiko einzugehen, um das Richtige zu tun, egal, was es sie kosten würde. Durch ihren Glauben und ihren Mut kam Licht in eine unglaublich düstere Zeit.

Geschenk

Schritte in die Freiheit