Vertraue niemandem

Horst Buchwald

Vertraue niemandem

Impressum

© Februar 2015

Horst Buchwald
Wilhelmshavener Str. 57
10551 Berlin
Tel: 030 915 51 229
Mail: hobuchwald@web.de

ISBN: 978-3-7375-3179-5

Über das Buch

Wurde Kanzlerin Ruth Stroth ermordet oder was es Selbstmord? Die Ermittlungen kommen kaum voran. Ihr persönlicher Bodyguard Frank gerät in Verdacht. Doch wo ist er? Er arbeitete für die Security-Firma TOP. Die hat ihre Finger überall drin. Sie konkurriert mit Geheimdiensten und erfüllt auch Aufträge der Mafia. Nachfolgerin Stroths wird die ehrgeizige Karin Hausner. Sie stellt mit ihren Entscheidungen die geopolitischen Verhältnisse auf den Kopf. Plötzlich taucht sie in Moskau auf und gibt das Ergebnis ihrer Verhandlungen mit den Staatschefs von Rußland und China bekannt: Deutschland wird Mitglied im euroasiatischen Verbund. Indessen wird ihrem ehemaligen Mann Hans Kolbe vom CIA die Akte Frank zugespielt. Alles manipuliert? Was beabsichtigt der US-Geheimdienst? Hans wird von TOP-Leuten entführt und gefoltert. Es geht um die Akte. Oder nicht? Er kann fliehen. Doch das war zu einfach. Was wollen TOP und CIA von ihm? Dann ist da noch Lisa. Sie ist Kellnerin im Promirestaurant „Inferno“ und darauf spezialisiert, alles mitzuhören. Als Hans sie näher kennenlernt, entpuppt sie sich als Verwandlungskünstlerin. Oder ist sie eine Spionin? Vertraue niemandem!

Über den Autor

Horst Buchwald ist Wirtschaftsjournalist und hat u.a. veröffentlicht in „Wirtschaftswoche“, „Capital“, „Focus“, „Telebörse“ und zahlreichen Tageszeitungen wie „Tagesspiegel“, „Berliner Zeitung“ und „Taz“. Bevorzugte Themen waren Wirtschaftskriminalität, Immobilienspekulation, organisiertes Verbrechen sowie die IT-Branche. Er ist begeisterter Fotograf und Digitalpainter. Mehr dazu unter www.digitalwonder.de. Alles Weitere ergibt sich beim googeln.

Eins

Wir sind so gut wie nie auf eine plötzliche Wende im Leben vorbereitet. Manchmal ahnen wir etwas, doch wir nehmen es nicht ernst.

Es begann mit einem Stau vor dem Großen Stern. Der Berliner Taxifahrer Hans Kolbe sah die Goldene Else im grellen Licht der Mittagssonne hoch oben vor sich. Er schätzte die Entfernung bis zum Kreisverkehr und wurde langsam sauer, denn der Stau würde ihn eine halbe Stunde kosten. Keine Kunden, vergeudete Zeit. Er schaltete das Radio an und wählte den Nachrichtensender „BerlinNews“. Noch zwei Minuten bis zu den Tagesnachrichten. Er tippte auf das Display und startete eine DVD mit dem Vienna-Konzert des Bluesguitarristen Joe Bonamassa. Doch schon bald tippte er zurück zu den Tagesnachrichten.

Die erste Meldung wirkte wie ein Auffahrunfall. Darauf war er nicht vorbereitet: „Bundeskanzlerin Ruth Schroth hat das Kabinett umgebildet. Neue Außenministerin ist jetzt Karin Hausner. Sie hatte zuvor das Bundeskanzleramt geleitet und zählte zu den engsten Vertrauten der Kanzlerin. Die Kanzlerin betonte, mit der Ernennung von Frau Hausner käme eine der profiliertesten Vertreterinnen der ‚Neue-Welt-Bewegung‘ an die Spitze des Ministeriums. Sie wies auf die hohen Verdienste hin, die sich Hausner zu den Fragen Sicherung des Weltfriedens, Klima- und Datenschutz erworben habe. Man könne sicher sein, daß von ihr in Zukunft entscheidende Impulse ausgehen werden.“  

Karin hatte es wieder mal geschafft. Noch ein Stück höher auf der Karriereleiter. Kolbe war nicht neidisch auf seine ehemalige Frau. Ihm war nur bewußt, daß sie mit diesem Ministerposten in einer schwierigen Phase der globalen Veränderungen eine enorme Verantwortung auf sich lud.

Nachdem die Nachrichten beendet waren, beschrieb der Moderator die Weltlage in wenigen Sätzen und dann folgte ein Interview mit der neuen Außenministerin.

Moderator: „Die alte Weltordnung, in der der Westen den Osten dominierte, gerät immer mehr aus den Fugen. Eurasien, mit China und Rußland an der Spitze – das wird immer klarer –, steigt unaufhaltsam zur stärksten Wirtschafts- und Militärmacht empor. Bei uns im Westen ist zwar viel von ‚Gegenangriff‘ die Rede, doch die Staats- und Regierungschefs können sich seit Jahren nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.“ Kurze Pause: „Erste Frage an die neue Außenministerin: Sie waren einst führend in der Neue-Welt-Bewegung. Sie haben sich Verdienste zum Erhalt des Friedens in Europa erworben. Jetzt, als Außenministerin, stehen Sie vor anderen Herausforderungen – es wird nicht immer um Frieden gehen, sondern auch um Krieg. Was hat Sie veranlaßt, diesen Schleudersitz trotzdem zu übernehmen?“

Antwort: „Gerade meine langjährigen Erfahrungen in der Friedensbewegung in Deutschland, meine weitreichende Vernetzung mit friedliebenden Politikern in Europa und vielen anderen Ländern betrachte ich als ideale Basis, um diesem Ministerium eine neue, der gegenwärtigen Zeit und der Zukunft angemessene Rolle zu verschaffen.“

Frage: „Wie sollen deutsche Generäle und Soldaten nun die Welt sicherer machen und Frieden schaffen – mit gutem Zureden und ohne Waffen oder indem sie den Terroristen dieser Welt ihre Grenzen aufzeigen, und zwar mit Panzern, Flugzeugen und Raketen?“

Antwort: „Kein deutscher Soldat muß seine Waffen jetzt einmotten. Wer den Frieden sichern will, muß notfalls auch bereit sein, diese Waffen einzusetzen – natürlich nur, wenn es um einen gerechten Krieg geht. Ich möchte gleich ein Beispiel nennen. Schon in den nächsten Tagen werde ich mit unserem Verteidigungsminister Hans Baumann und den zuständigen Generälen für die Region Afrika Gespräche über unsere Position zu den Problemen im Kongo führen. Es geht um die Sicherung des strategischen Rohstoffes Tantal. Nachdem sich Golden Security, das ist eine terroristische Eliteeinheit, die Förderung widerrechtlich angeeignet hat, manipuliert sie den Preis für das Edelmetall. Zugleich werden Oppositionelle im Kongo von diesen Terroristen abgeschlachtet. Es wird also darum gehen, nach Wegen zu suchen, wie wir im Kongo Recht und Gesetz und Frieden wieder herstellen und dafür sorgen können, daß der Rohstoff Tantal nicht zum Spielball einer Privatarmee wird.“

Frage: „Bedeutet das, Sie streben eine Intervention der Bundeswehr im Kongo an?“

Antwort: „Wir werden die Verhältnisse sorgfältig analysieren und dann entscheiden.“

Hans war sofort alarmiert. Gerechte Kriege – gab es die? Nur in der Theorie, reale Beispiele fielen ihm nicht ein. Was hatte Karin vor? Kaum als Ministerin vereidigt, wollte sie schon Krieg führen. Das war Wasser auf die Mühlen der Expansionisten und jener Leute des Koalitionspartners Union, die einen offensiveren Kurs Deutschlands in der Außenpolitik, mehr Auslandseinsätze und überhaupt ein „stärkeres Deutschland“ forderten. Natürlich verlangten sie auch viel mehr Geld für Rüstung. Zum Glück stellte sich die Kanzlerin diesen Leuten in den Weg – bisher.

Ruth Schroth absolvierte jetzt ihre zweite Amtszeit in einer Großen Koalition und es wurde immer häufiger das Gerücht verbreitet, sie wolle ihr Amt vorzeitig aufgeben. Der Grund war, daß die letzten Wahlen für sie nur eine knappe Mehrheit gebracht hatten und sich in ihrer Partei – den Neuen Sozialdemokraten (NSD) – und auch bei den Bundestagsabgeordneten immer häufiger die Expansionisten durchzusetzen versuchten. Sie standen unter dem Einfluß der Rechtsnationalen in der Union. Für Hans war diese Partei keineswegs mehr christlich, sondern reaktionär. Die Unterschiede zu den extrem rechten Oppositionsparteien „Starkes Deutschland“ und „Vorwärts Deutschland“, die noch nationalistischer, ausländer- und islamfeindlicher auftraten und die seit den letzten Wahlen in Teilen der Bevölkerung mit ihren Parolen immer beliebter wurden, waren nur noch minimal. Einige Experten schlossen nicht mehr aus, daß die Expansionisten und Rechtsnationalen in der Union sich einst mit den extremen Rechten zusammenschließen könnten und dann sogar eine Mehrheit erhalten würden. Wer auch immer regierte – es war einer der schwierigsten Jobs, den je ein Kanzler in Deutschland erledigen mußte.

Die Ankündigung von Karin, im Kongo zu intervenieren, wird der Kanzlerin nicht gefallen – da war Hans sich sicher. Aber was hatte sich seine einstige Partnerin mit ihrer Ankündigung, sie könnte Truppen in den Kongo schicken, gedacht? Möglicherweise glaubte sie, damit die Rechtsnationalen in der Union neutralisieren zu können. „Welch eine Illusion!“, sprudelte es aus ihm heraus. „Sie werden das nutzen, um noch frechere Forderungen zu stellen. Und wehe, wenn du nicht mitspielst. Dann spielen sie dich an die Wand.“ Er würde ihr das gern unter vier Augen sagen. Doch er hatte seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr. Jeden Versuch ihrerseits, mit ihm wieder ins Gespräch zu kommen, hatte er konsequent blockiert. Diesmal aber war es anders. Er würde ihr einen Brief schreiben.

Zwei

Karin las den Brief von Hans ein zweites Mal. Warum hatte sie ihn nicht verbrannt oder geschreddert? Weil seine „Visionen für eine bessere Welt“ Positionen enthielt, die sie selber im tiefsten Herzen vertrat. Doch die Regierungszentrale war eine andere Welt. Die reale Welt da draußen war weit weg. Hier herrschten andere Gesetze und Regeln. Eine davon war: „Du kannst deine echten Überzeugungen niemals 1:1 verwirklichen. Du mußt immer faule Kompromisse eingehen.“ Und die zweite Regel lautete: „Du mußt einen sehr langen Atem haben.“ Das alles konnte Hans nicht wissen. Aber wenn die Zeit reif war, würde sie ihm das erklären. Ihre Zeit war knapp, denn sie mußte sich auf ein Interview mit dem Magazin „Streitlust“ vorbereiten. Ihr Pressesprecher Konrad Bode hatte den Redakteuren begeistert zugesagt, sie aber erst gestern informiert. Sie war verstimmt, aber absagen wollte sie auch nicht, weil das negativ ausgelegt werden könnte. Ihr blieben noch eine Stunde und 15 Minuten für die Vorbereitung. Sie schrieb Hans eine kurze, verschlüsselte E-Mail und legte seinen Brief in ihren Safe.

Ihr Handy klingelte, es war die Kanzlerin.

„Hallo Karin, wir müssen dringend miteinander reden. Hast du eine halbe Stunde übrig?“

„Was ist so dringend?“

„Das kannst du dir doch denken – es geht um deine Ankündigung, wir sollten im Kongo intervenieren. Das war nicht abgesprochen. Wir müssen uns verständigen, bevor andere daraus einen Widerspruch zwischen uns konstruieren.“

„Aber ich bin jetzt ziemlich ausgelastet … In einer Stunde gebe ich ein Interview. Ich muß noch an einigen Formulierungen feilen.“

„Sie werden dich auf das Thema Kongo festnageln. Also wäre es doch sinnvoll, wenn wir uns eine gemeinsame Linie erarbeiten.“

Karin war sich bewußt, daß die Kanzlerin eine andere Strategie verfolgte. Während Ruth Stroth glaubte, man müsse den Rechtsnationalen nicht entgegenkommen, hielt Karin das für richtig. Sie wollte die Spannungen in der Koalition zwischen der NSD und den rechten Unionlern abbauen und damit verhindern, daß die Union die Koalition verließ und sich mit den extremen Rechten aus der Opposition zusammentat. Der Hinweis auf eine mögliche Intervention im Kongo war also auch ein Lockmittel. Faßte die Union es positiv auf, war das Weiterregieren einfacher. Was dann letztlich von ihr und der Kanzlerin entschieden wurde, war eine völlig andere Sache. Im Nachhinein konnten sie jede Entscheidung damit rechtfertigen, daß die Umstände nichts anderes zuließen. Danach konnte man erneut mit der Fahne „Kompromißbereitschaft“ winken. Aber das jetzt mit der Kanzlerin zu diskutieren – dazu war die Zeit zu knapp. Also schlug Karin vor:

„Ich glaube nicht, daß wir das in einer Viertelstunde erledigen können … wie wäre es, wenn du mir vertraust und wir reden hinterher?“

Die Kanzlerin schwieg einige Sekunden, dann gab sie eine überraschende Antwort:

„Du willst meine Position also schwächen … oder anders gesagt: mich herausfordern?“

Jetzt war Karin perplex, doch sie antwortete rasch:

„Auf keinen Fall, aber die Zeit drängt. Bisher habe ich dir noch nie geschadet oder einen falschen Rat gegeben. Warum kannst du mir nicht vertrauen?“

„… Vertrauen schon, aber du kannst mir nichts vormachen. Mit der Entscheidung, daß wir – also Deutschland – in Afrika intervenieren, leitest du eine neue Strategie ein. Bevor wir uns dazu entschließen, sollten wir die Sache vom Ende her denken. Wir sollten wissen, wo uns diese neue Linie hinführt. Wo lauern mögliche Gefahren? Welche Kosten kommen auf uns zu? Wer ist für und wer ist gegen uns? Ich hoffe, du verstehst, daß dies ein ernsthaftes Thema ist. Falsch angepacktkann es negative Folgen für uns haben. Aber gut, ich lasse dich erst mal machen. Doch eine offizielle Zustimmung von mir wird es nicht geben, falls ich um ein Statement gebeten werde.“

Die Kanzlerin legte auf. Karin atmete tief durch. Hatte sie sich durchgesetzt? Ruth war ihre beste Freundin und Förderin. Aber sie hatte noch nie zugelassen, daß Karin ohne Abstimmung mit ihr wichtige Entscheidungen traf. Jetzt aber hatte sich alles verändert. Karin hatte ihr eigenes Ressort und in dieser Position mußte man Entscheidungen treffen. Wenn die Kanzlerin das als Herausforderung begriff, ja, dann offenbarte sie eine Seite ihrer Persönlichkeit, die Karin bisher nicht kannte.

Karin glaubte, daß ihr Plan perfekt war. Sie wollte dem Morden von Golden Security ein Ende machen und dafür sorgen, daß diese Terrortruppe nicht länger die Preise für das strategische Metall Tantal manipulierte. Ihr war bewußt, daß die deutschen Unternehmen das begrüßen würden. Hörte das Abschlachten der Bevölkerung auf, würde sie auf der internationalen Bühne zusätzlich Lob ernten. Und weiter: Wenn die Rechtsnationalen in der Union durch diese Aktion ruhiggestellt wurden, weil sie glaubten, die neue Außenministerin sei auf ihrer Linie und dadurch das Weiterregieren einfacher würde, dann hatte sie ihr Ziel erreicht. Ob dies eine neue Militärstrategie bedeutete, war ihr egal.  

Drei

Hans saß in seiner Lieblingskneipe „Ganymed“ im Bahnhof Zoo. Er hatte sich ein Schinkenbrötchen und einen Kaffee bestellt und dachte nach. Er war enttäuscht. Karin hatte ihm nur ein paar Zeilen geschrieben. Sie freue sich, daß er sich gemeldet habe, aber die Zeit wäre knapp. Sie lasse von sich hören, sobald sie wieder durchatmen könne. Kein Wort zum Inhalt seiner „Visionen für einer bessere Welt“.

Sein Taxifahrerkollege James Baier klopfte ihm auf die Schulter und setzte sich zu ihm. „Na, mein Freund, du bist heute anders. Dich belastet irgendetwas. Wer hat dir den Kopf verdreht und dich dann hängen lassen? Etwa deine ehemalige Gattin?“

Hans mußte grinsen. Baier hatte manchmal hellseherische Qualitäten. „Ja, du liegst nicht ganz falsch. Ich habe ihr einen ausführlichen Brief geschrieben. Du kennst ja meine ‚Visionen für eine bessere Welt‘ – von Karin keine Zeile dazu. Nur dies: keine Zeit.“

„Mensch Hans – vergiß das Weib. Die lebt in einer total anderen Welt. Die ist abgehoben. Uns versteht die gar nicht mehr.“

„Glaube ich nicht. Du übertreibst, wenn du behauptest, sie kann uns nicht mehr verstehen. Ich war fünf Jahre mit ihr verheiratet und die meiste Zeit haben wir uns sehr gut verstanden …“

„Aber ihr seid schon seit zwei Jahren getrennt. Es ist viel passiert mit ihr. Da, wo diese Frau gelandet ist, herrscht ein anderer Wind – und der verändert die Menschen total.“

„Ich will dir nicht grundsätzlich widersprechen. Was mich an ihrer Reaktion stört, ist, daß bei ihr immer die Zeit knapp ist. Das erinnert mich an unsere erste Begegnung. Es war an jenem Tag, als die Neue-Welt-Bewegung in Berlin gegründet und wir beide in den Vorstand gewählt wurden. Karin ist ja vier Jahre jünger als ich und sie wollte von Köln nach Berlin ziehen, um hier Jura zu studieren. Ich schrieb damals an meiner Diplomarbeit im Fach Psychologie und hatte mich bei der Polizei um einen Job bemüht. Als ich ihr von meinen beruflichen Absichten erzählte, kommentierte sie das eiskalt mit den Worten: ‚Das paßt doch gar nicht zusammen – unsere Bewegung und die Bullen.‘ Ehrlich gesagt, im ersten Moment habe ich mich wegen dieser Abfuhr ziemlich schlecht gefühlt. Darum schlug ich ihr vor, wir sollten das unbedingt diskutieren. Ihre Antwort: ‚Keine Zeit.‘ Aber dann habe ich ihr erklärt, daß ich kein Bulle werde, sondern ein Spezialist für Konfliktlösungen, und da huschte über ihre Gesichtszüge plötzlich ein Lächeln … ‚Spezialist für Konfliktlösungen‘, wiederholte sie. Sie machte eine Pause und meinte dann mit Begeisterung in der Stimme: ‚Das klingt interessant. Davon will ich mehr wissen.‘ Das reichte mir. Also habe ich sie zum Essen eingeladen. Ihr gefiel ihr sehr, denn wir gingen ins ‚Bruno‘. Ich mußte meine gesamten Ersparnisse investieren. Aber das war der Abend aller Abende. Sie verwandelte sich in einen der liebenswürdigsten Menschen, den man sich vorstellen kann. Und ob du es glaubst oder nicht – über Konflikte und wie man sie löst, haben wir an diesem Abend kein Wort verloren.“

„Und wenn sie nicht gestorben wären, lebten sie heute noch. Blahh, blahh, blahhh. Wach auf Hans! Das war einmal. Jetzt ist sie nicht mehr so. Die ist Außenministerin! Und was bist du?“

„Bitte, keine Häme. Es war eine tolle Zeit mit ihr. Davon verstehst du nichts.“

„Ich weiß, ich weiß. Du bist der Schuldige – ganz allein. Du hast einen Fehler gemacht und so weiter. Sie war nur lieb. Also – ich bin zwar kein Psychologe, aber meine Diagnose lautet: Du bist masochistisch. Schwer masochistisch.“

„Okay Herr Student der Psychologie: Was hat ein Masochist mit Schlagsahne gemeinsam?“

James dachte nach. „Ein Witz soll das werden. Keine Ahnung.“

„Beides muss man steifschlagen!“

James lachte dröhnend los.

Eine halbe Stunde später fuhr Hans einen schweigsamen Gast zum Flughafen Schönefeld. Der ältere Herr hatte sich hinter einer Zeitung verschanzt und zeigte damit, daß er beschäftigt war. Obwohl Hans versuchte, auf andere Gedanken zu kommen, verfiel er in Gespräche mit Karin, und es liefen wieder und wieder Szenen aus der Vergangenheit in seinem Kopfkino. Ja, für sie war Zeit immer „knapp“. Das lag an ihrem Ehrgeiz, alles Wichtige aus der Politik, Jura oder Ökonomie in Rekordzeit aufzusaugen und in die Praxis umzusetzen. Ihr Tempo war enorm. Er war anders, aber, wie sie rasch merkte, keineswegs weniger effektiv. Während sie die Details liebte, konzentrierte sich Hans auf den Punkt, auf den es ankam. Zusammen waren sie ein sehr starkes Team. Ja, es waren fünf phantastische Jahre! Nach diesem Gedanken war er plötzlich wieder da – der Katzenjammer. Hans wurde traurig und dann zornig über sich selbst. Und merkte erst jetzt, daß sein Gast etwas von ihm wollte:

„Bitte, fahren Sie mich zu Terminal 2. Hier sind wir falsch.“

„Oh Pardon.Tut mir leid. „

Hans nahm die nächste Abfahrt, schaltete die Taxiuhr aus. „Das geht auf meine Rechnung“, und lieferte den Zeitungsleser wenig später an Terminal 2 ab.

Vier

Tom Snyder, der Nordeuropa-Chef des internationalen Security-Dienstes TOP, konnte seinem Boß, der in Dubai saß, einen ersten Erfolg melden. Erst gestern hatte er von ihm den Auftrag erhalten, die Kommunikation der neuen Außenministerin „scharf zu beobachten.“ Also hatte er zwei seiner besten Hacker auf sie angesetzt – Germanicus und Fridericus. Beide saßen ihm gegenüber. Sie hatten das Telefonat der Kanzlerin mit der neuen Außenministerin abgefangen und wenig später auch die Mail von Hausner an ihren einstigen Ehemann.

Snyder las den Bericht und bedankte sich für die gute Arbeit. Dann rief er seinen Chef über die verschlüsselte Leitung an.

Snyder: „Ich mache es kurz. Die Strategie der neuen Außenministerin bedeutet sehr wahrscheinlich: Es gibt Ärger in der Regierung. Hausner schlägt sich entweder auf die Seite der Expansionisten oder sie benutzt das Thema Intervention im Kongo als Lockmittel, um Ruhe in der Koalition herbeizuführen.“

Boß: „Für mich steht fest: Wenn die Bundeswehr im Kongo gegen diese Elitetruppe antreten will, muß sie sich ziemlich warm anziehen. Das wird kein Waffengang, der in einem Monat abgeschlossen werden kann. Und man darf ja nicht vergessen: Sie beherrschen den Tantalmarkt. Die neue Ministerin weiß nicht, was sie da angestoßen hat. Ein ziemlich blöder Anfängerfehler. Entscheidend ist aber, daß sie von rechts gestützt wird und daß es auch in der Bevölkerung Verständnis für diesen ‚gerechten Krieg‘ oder ‚humanitäre Aktion‘ gibt.“

Snyder: „Dann ist das Thema also heiß – ein Streitpunkt zwischen Hausner und Stroth?“

Boß: „Ohne Zweifel. Die Neue hat die Kanzlerin sofort auf dem falschen Fuß erwischt. Stroth hatte sich ja vorgenommen, ‚jetzt kürzer zu treten‘ und ‚die Annehmlichkeiten der Macht und die damit verbundenen Freiheiten‘ zu nutzen ‚und zu genießen‘.“

Snyder: „Ich erinnere mich, diese Sätze stammen aus einer Mail an ihren Lover?“

Boß: „So ist es. Unser Mann ist perfekt. Sie ahnt überhaupt nichts. Aber das Verhältnis zwischen den beiden könnte ein Problem werden.“

Snyder: „Warum das?“

Boß: „Wenn die Kanzlerin sich gegen Hausner stellt und zwar in einer so wichtigen Frage, sich dann die Kräfteverhältnisse in der Partei und in der Regierung zugunsten von Hausner entwickeln, was ich gegenwärtig vermute, dann ist der Job der Kanzlerin gefährdet. In dem Fall ist unser Lover nichts mehr wert, weil die Kanzlerin nach verlorenem Machtkampf zurücktreten muß. Folgt Hausner ihr nach, wen platzieren wir in einer ähnlichen Position wie unseren Lover?“

Snyder: „Da gibt es diesen Taxifahrer, der zu seiner ehemaligen Frau wieder Kontakt aufgenommen hat.“

Boß: „Richtig. Den müssen wir im Auge behalten und im Fall der Fälle trickreich nachhelfen.“

Snyder: „Wird gemacht. Bis demnächst, Boß.“

Fünf

Henry Lawrence war außer sich. Wieder mal sah es so aus, daß die TOP-Leute schneller waren. Der Berliner CIA-Chef geriet dadurch in Bedrängnis. Denn offensichtlich hatte sein Konkurrent Snyder es geschafft, einen eigenen Mann im unmittelbaren Umfeld der Kanzlerin zu installieren. Das Gespräch zwischen Snyder und seinem Boß in Dubai, das ihm die NSA entschlüsselt übermittelt hatte, ließ daran keine Zweifel. Und jetzt planten sie auch schon für den Fall der Fälle – dem Rücktritt der Kanzlerin und der Annahme, daß die neue Außenministerin die Nachfolgerin wird. Lawrence sah in diesem Fall jedoch auch eine Chance für sich. Denn es war ja nicht unmöglich, diesen Taxifahrer für seine Interessen einzusetzen.

Einschub:

Aus dem Brief von Hans Kolbe an seine ehemalige Frau Karin:

„E-Mails wurden einst von Wissenschaftlern erfunden, die sich vertrauten. Inzwischen sind E-Mails so vertraulich wie eine Postkarte. Doch viele wollen es nicht wissen, andere ignorieren es und beruhigen sich mit der Formel ‚Ich habe doch nichts zu verbergen‘ oder stellen sich die unsinnige Frage: ‚Wer interessiert sich schon für meinen Alltag?‘ Nur ein kleiner Kreis der Nutzer setzt Verfahren wie Authentifizierung, Signierung und Transportve rschlüsselung ein. Warum machen das so wenige? Die meisten Menschen hassen Komplikationen und sie lieben Bequemlichkeit. Verschlüsselungstechnik ist für sie so schwierig wie die Relativitätstheorie. Darum ist sie kaum verbreitet.

Heute haben all jene, die sich über Milliarden Menschen ein genaues Bild machen wollen, beste Chancen. Wie machen sie das?

Lauschangriffe auf E-Mails können innerhalb des Systems Internet an jeder Stelle stattfinden: Per Trojaner auf dem Absender- und Empfänger-Gerät, auf den Mail-Relays der Provider und vor allem während des Transports durch das Internet.

Geheimdienstler haben Zugriff auf den E-Mail-Verkehr aller wichtigen Provider: Microsoft, Google, Yahoo und AOL. Sie kontrollieren den Mail-Verkehr, der über die Unterseekabel im Mittelmeer, dem Nahen Osten und an der britischen Küste verläuft.

Die riesigen Datenmengen, die dabei abgesogen werden, landen in einem Data-Warehouse – das ist wie eine riesige Festplatte, von der die gespeicherten Daten mit spezieller Software, die die neueste Forensik-Technik verwendet, zu jedem Zeitpunkt ausgewertet werden. Für was? Wer die Verhaltensweisen von Milliarden Menschen im Alltag kennt, ihre Vorlieben, ihr Sündenregister, ihre Ziele, ihre Wünsche, ihre Geheimnisse, ihr Vermögen, ihre Schulden, ihre Krankheiten – einfach ALLES! – der wird eines Tages in der Lage sein, ihr Verhalten vorauszuahnen und er wird die Menschen so formen, wie sie die Mächtigen dieser Welt haben wollen. Menschen sind dann nur noch Schäfchen, die nach Belieben manipuliert werden können. Das Menschsein wird dann von diesem Erdball verschwinden.“

Sechs

Karin empfing die Redakteure Olaf Franz und Heinz Grünbaum vom Magazin „Streitlust“. Ihr Pressesprecher Konrad Bode sondierte die Thematik. Er fragte ganz offen:

„Worauf läuft das Gespräch hinaus? Was wollen Sie wissen?“

Olaf Franz, ein etwa 50-jähriger, schlanker, grauhaariger Marathontyp mit tiefen Falten in der Stirnregion, übernahm nach einem kurzen Abnicken mit seinem Kollegen die Antwort:

„Es geht um den Kongo. Wenn die Bundeswehr dort interveniert, leitet die Ministerin damit  eine Strategie ein, die sehr wahrscheinlich von der Kanzlerin nicht geteilt wird. Es ist also eine Provokation.“ Er schluckte und schaute etwas verunsichert in die Runde, weil die Ministerin ihren abstrafenden Oberlehrerblick auf ihn richtete. Doch Bode hakte nach:

„Ist das alles? Sie wollen nichts darüber wissen, inwiefern die Ministerin dabei vor allem eines im Sinn hat: Sie will das Abschlachten tausender Unschuldiger beenden, die Manipulationen mit dem Tantalpreis unterbinden und dort unten endlich Frieden schaffen?“

Nun stoppte Heinz Grünbaum seine Kritzelein auf dem Block vor ihm, setzte ein breites Lächeln auf und kommentierte:

„Frieden? Frieden? Was ist daran friedlich, wenn wir dort einmarschieren? Wie kann man Frieden mit Panzern schaffen? Ist das nicht die alte Leier? Mir scheint, es ist ein Rückschritt. Nach unseren Informationen wird das kein Spaziergang. Diese Terroristen sind den meisten deutschen Soldaten an Kampferfahrung und Ausrüstung klar überlegen. “

Karin kannte Grünbaum schon aus den Zeiten der Neue-Welt-Bewegung. Weil er nur manchmal realistische Vorstellungen hatte und zum Recherchieren zu faul war oder in die Themen nicht tief genug eindrang, kam es häufig zu Mißverständnissen. Die Folge davon waren Verdrehungen, Unterstellungen und Spekulationen. Ob linke oder rechte Politiker, sie hüteten sich alle vor ihm. Aus diesem Grunde wollte Karin gerade jetzt kein Risiko eingehen. Grünbaum war auf Ärger aus. Er wollte Krawall zwischen ihr und Ruth erzeugen. Nein, dabei wollte sie nicht mitwirken. Sie erhob sich und stellte klar:

„Wenn das Ihre Position ist, dann brauchen sie mich ja nicht mehr. Schreiben Sie, was Sie denken. Ich will Ihre wertvolle Zeit nicht verschwenden. Vielen Dank, daß Sie sich hierher bemüht haben.“ Dann verließ das Zimmer.

Die beiden Redakteure von „Streitlust“ waren empört und doch wieder nicht. Olaf Franz, der mit Bode einst in der Redaktion der „taz“ gearbeitet hatte, kommentierte unerbittlich: „Der Ministerin paßt das also nicht. Diskutieren will sie auch nicht. Hat sie was zu verbergen? Gibt es Ärger mit der Kanzlerin?“

Bode antwortete: „Ich möchte Ihnen keine Vorschriften machen, wie man ein Interview führt. Aber meinen Sie nicht, daß Sie ziemlich brutal mit der Tür ins Haus gefallen sind?“

Grünbaum reagierte sauer: „Sie haben uns aufgefordert, zu sagen, worum es geht, das haben wir getan. Der Ministerin paßte das nicht. Ja, es schien uns, als wäre sie noch nicht eingearbeitet, als hätte sie übereilig und unüberlegt eine Entscheidung getroffen, und nun muß sie möglicherweise den Rückzug antreten, sofern die Kanzlerin sich dagegenstellt. Also – was ist das? Ein grandioser Fehlstart. Ich habe mich ohnehin schon gefragt, ob Frau Hausner die geeignete Person für den schwierigsten Job in der Regierung ist.“

Bode erkannte, die beiden würden morgen einen Artikel veröffentlichen, der es in sich hat. Ändern konnte er das sowieso nicht. Also reichte er ihnen die Hand und verabschiedete die beiden mit den Worten:

„Wenn es noch Fragen gibt – ich stehe gern zur Verfügung.“

Sieben

Hans googelte Artikel über Karin und erfuhr, daß der Unternehmensberater Michael Benn ihr neuer Begleiter war. Benn wohnte in Zehlendorf und war Partner in einer renommierten Wirtschaftsprüfergesellschaft. Die beiden gingen gerne essen. Ihr Lieblingsrestaurant war das „Inferno“ in der Bleibtreustraße. Als er eine Stunde später einen Kunden vor dem Hotel Kempinski am Kurfürstendamm absetzte und ein anständiges Trinkgeld kassierte, nahm er sich eine Auszeit und fuhr in die Bleibtreustraße. Etwa 200 m vom „Inferno“ entfernt, fand er eine Parklücke. Von dort schlenderte er gemächlich am Restaurant vorbei. Fast jeder Tisch war besetzt. Dann sah er, daß die Tür zum Hinterhof geöffnet war. Hans konnte seine Neugier noch nie zügeln. Er ging hinein. An den Mülltonnen bemerkte er eine junge Frau, die Flaschen und Essensreste in die Tonnen warf. Da er schwarz gekleidet war und seine Turnschuhe kaum Geräusche erzeugten, erschrak die junge Dame furchtbar, als er neben ihr auftauchte und ihr einen guten Abend wünschte. Sie wich zurück und hatte plötzlich eine Taschenlampe in der Hand. Damit leuchtete sie ihm direkt ins Gesicht. Hans war sofort geblendet, mühte sich um ein sanftes Lächeln, hob die Hände über den Kopf und sagte:

„Keine Angst, ich tue Ihnen nichts. Ich bin unbewaffnet. Ich wollte nur mal erkunden, ob es sich lohnt, in diesem Restaurant zu essen.“

Das Mädchen knipste die Lampe wieder aus. Für einen Moment war Hans immer noch geblendet.

„So, so … und darum wollten Sie in den Mülltonnen mal die Reste analysieren? Sehr klug. Auf diese Idee sind nicht mal die Leute von Michelin gekommen, als sie uns vor drei Wochen den zweiten Stern verliehen.“

Das Mädchen war etwas kleiner als er. Ihre blonden Haare waren hochgesteckt. Sie strahlte Gewitztheit aus. Obwohl sie sehr sportlich wirkte, war sie keine dürre Schönheit, sondern fraulich, mit gut geformten Brüsten und sanften Rundungen. Seit langem mal wieder ein weibliches Wesen, daß ihn sofort in den Bann zog.

Hans tat erstaunt:

„Echt, zwei Sterne hat dieses Restaurant? Welche Spezialitäten gibt es denn hier?“

Ihren Gesichtszügen entnahm Hans, daß sie ihn abcheckte und sich zu fragen schien: Na, kann der sich ein Zwei-Sterne-Restaurant überhaupt leisten? Ergebnis: Niemals. Der muß ein ganzes Jahr auf ein Menü sparen. Aus dem Abschätzen wurde eine abschätzige Miene. Aber das ignorierte Hans. Es war ihre Stimme, tief und etwas rau, die ihn faszinierte. Und sie redete auch schon weiter.

„Geben Sie es zu … Sie haben keine Ahnung, was in so einem Restaurant abläuft! Aber trösten Sie sich, bis vor einem halben Jahr habe ich meinen Kartoffelbrei auch nur aus der Tüte zubereitet. Kochen Sie manchmal?“

„Was heißt manchmal? Ich koche seit Jahren regelmäßig und gerne.“

Sie war überrascht. Dann lächelte sie … und schwieg … und musterte ihn von oben bis unten. Beide musterten sich ….und wie es manchmal so läuft, fanden sie vorsichtig Gefallen aneinander. Hans hatte die rettende Idee:

„Wenn Sie mögen, lade ich Sie mal in meine Sterneküche ein.“

Wieder lächelte sie und es gab keinen Zweifel – sie fand ihn attraktiv und interessant und war neugierig. Hatte sie grüne Augen? Wie Karin? Diesen Gedanken schob er sofort beiseite. Aber er tauchte auf der anderen Seite wieder auf. Als er Karin zum ersten Mal begegnete, war der Ablauf ähnlich.

Sie hob die Hände und lächelte. Schwer zu deuten? Eine Art Abwehrhaltung?

“Also ich muß schon sagen – das geht ja sehr schnell mit Ihnen. Sie kennen mich ja überhaupt nicht, ich Sie auch nicht. Und außerdem muß ich jetzt wieder zurück an meinen Arbeitsplatz.“

Hans kapierte – sie verkomplizierte seine Situation und setzte ihn einem stärkeren Test aus. Indem sie fortging, erwartete sie, daß er den richtigen Einfall hatte, um sie doch noch zu einem gemeinsamen Essen überreden zu können. Also griff Hans in seine Brusttasche und holte eine Visitenkarte heraus. „Rufen Sie mich bitte an, wenn Sie frei haben. Vielleicht wollen Sie mich ja mal unverbindlich kennenlernen.“

Sie nahm die Karte, steckte sie in ihre Schürze.

„Okay. Am Mittwoch habe ich frei. Ich rufe an.“

Acht

Sie hatten es nicht anders erwartet. Das Magazin „Streitlust“ brachte einen Artikel, der sich auf zwei zentrale Aussagen konzentrierte: 1. Die neue Außenministerin treibt das Land leichtfertig in einen Konflikt, der sehr schnell in einen größeren Krieg ausarten kann. 2. Sie hat vermutlich nicht die Unterstützung der Kanzlerin. Deren Sprecher stimme dem nicht zu, dementiere aber auch nicht.

Kaum hatten Karin und ihr Pressesprecher den Artikel besprochen, bemerkte sie auf dem Display ihres Handys, daß die Kanzlerin anrief.

„Wie ist es heute um 14 Uhr bei mir im Büro. Ich spendiere auch einen guten Cappuccino.“

Karin spürte, daß die Kanzlerin vorerst nicht auf Konfrontation aus war. Wenn es mal Differenzen gab, war der Cappuccino das Symbol für die Friedenspfeife. Aber würde das in diesem Fall auch funktionieren? Karin war skeptisch, sagte aber dennoch zu.

„Gerne, ich komme um 14 Uhr rüber. Bis dann.“

Die Kanzlerin trug schwarz, Karin fast nur rot. Sie lächelten sich an und die Kanzlerin winkte sie zu der gemütlichen Sesselgruppe. Als Karin saß, begann sie für beide einen Cappuccino zu kochen. Drei schnelle Klicks auf das Display der Kaffeemaschine – das reichte für einen köstlichen Trunk. Während die Maschine leise summte, setzte sich die Kanzlerin zu ihr.

Karin hatte sich vorgenommen, jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen, geschmeidig an einer Zuspitzung vorbeisteuern, hieß ihre Devise. Dennoch wollte sie wissen, ob Ruth mit der Redaktion von „Streitlust“ gesprochen hatte.

„Nein. Kein Wort. Aber ich konnte gegenüber einigen Presseagenturen nicht dementieren, daß es Differenzen zwischen uns in der Frage gibt, ob und wie wir uns zu dem Fall Kongo positionieren.“

„Hast du dir dazu eine Meinung bilden können?“

„Nichts Hundertprozentiges. Darum möchte ich dich bitten, mir deine Argumente zu nennen und mich zu überzeugen oder auch nicht.“