Sigmund Freud
Band 1:
Werke aus den Jahren 1892-1899
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Sigmund Freud, 1856 in Freiberg (Mähren) geboren, wandte sich nach dem Medizinstudium während eines Studienaufenthalts in Paris der Psychopathologie zu. Anschließend beschäftigte er sich in der Privatpraxis mit Hysterie und anderen Neurosenformen. Er begründete die Psychoanalyse und entwickelte sie fort als eigene Behandlungs- und Forschungsmethode sowie als allgemeine, auch die Phänomene des normalen Seelenlebens umfassende Psychologie. 1938 emigrierte Freud nach London, wo er 1939 starb.
Gesammelte Werke in Einzelbänden,
Band 1:
Ein Fall von hypnotischer Heilung
Charcot
Die Abwehr-Neuropsychosen
Studien über Hysterie
- Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene
- Krankengeschichten
- Zur Psychotherapie der Hysterie
Zur ›Angstneurose‹
Zur Ätiologie der Hysterie
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Hinweise zur Zitierfähigkeit dieser Ausgabe:
Textgrundlage dieser Ausgabe ist: Sigmund Freud, Gesammelte Werke. Bd. 1, Werke aus den Jahren 1892-1899.
Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag, 1991. 6. Auflage.
Die grauen Zahlen in geschweiften Klammern markieren jeweils den Beginn einer neuen, entsprechend paginierten Seite in der genannten Buchausgabe. Die Seitenzahlen im Register beziehen sich ebenfalls auf diese Ausgabe.
ISBN 978-3-10-400152-4
Zwischen Abfassung und Korrektur dieser Zeilen ist mir eine Schrift von H. Kaan zugekommen (Der neurasthenische Angstaffekt bei Zwangsvorstellungen etc., Wien 1893), welche analoge Ausführungen enthält.
Vgl. die gleichzeitig erscheinende vorläufige Mitteilung von J. Breuer und S. Freud über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene in Mendels Zentralblatt Nr. 1 und 2, 1893. [Als einleitender Teil der „Studien über Hysterie“ enthalten in diesem Bande der Ges. Werke.]
Ich deute hier nur an, daß es lohnend sein dürfte, der Objektivierung des Gegenwillens auch außerhalb der Hysterie und des Tic nachzuspüren, wo sie im Rahmen der Norm so häufig vorkommt.
Les trois articles en français ont été revus et corrigés sur le texte original quant aux fautes de typographie et de français, tout en respectant strictement le sens.
Chemin faisant, je ferai remarquer que ce caractère important de la paralysie hystérique de la jambe que M. Charcot a relevé d’ après Todd, à savoir que l’ hystérique traîne la jambe comme une masse morte au lieu d’ exécuter la circumduction avec la hanche que fait l’ hémiplégique ordinaire, s’ explique facilement par la propriété de la névrose que j’ ai mentionnée. Pour l’ hémiplégie organique, le partie centrale de l’ extrémité est toujours un peu indemne, le malade peut remuer la hanche et il en fait usage pour ce mouvement de circumduction, qui fait avancer la jambe. Dans l’ hystérie, la partie centrale (la hanche) ne jouit pas de ce privilège, la paralysie y est aussi complète que dans la partie périphérique et, en conséquence, la jambe doit être traînée en masse.
État mental des hystériques. Paris 1893 und 1894. – Quelques définitions récentes de l’ hystérie. Arch. de Neurol. 1893. XXXV–VI.
Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene. Neurologisches Zentralblatt, 1893, Nr. 1 und 2. [Als einleitender Teil der „Studien über Hysterie“ enthalten in diesem Bande der Gesamtausgabe.]
Vgl. unsere gemeinsame Mitteilung.
Diese Beispiele sind der noch nicht veröffentlichten ausführlichen Arbeit von Breuer und mir über den psychischen Mechanismus der Hysterie entnommen. [„Studien über Hysterie“.]
Oppenheim: Die Hysterie ist ein gesteigerter Ausdruck der Gemütsbewegung. Der „Ausdruck der Gemütsbewegung“ stellt aber jenen Betrag psychischer Erregung dar, der normalerweise eine Konversion erfährt.
Strümpell: Die Störung der Hysterie liegt im Psychophysischen, dort, wo Körperliches und Seelisches miteinander zusammenhängen.
Janet hat im zweiten Abschnitt seines geistvollen Aufsatzes „Quelques définitions etc.“ den Einwand, daß die Bewußtseinsspaltung auch den Psychosen und der sogenannten Psychasthenie zukommt, selbst behandelt, aber nach meinem Ermessen nicht befriedigend gelöst. Dieser Einwand ist es wesentlich, der ihn dazu drängt, die Hysterie für eine Degenerationsform zu erklären. Er kann aber die hysterische Bewußtseinsspaltung durch keine Charakteristik genügend von der psychotischen u. dgl. sondern.
Die Gruppe von typischen Phobien, für welche die Agoraphobie Vorbild ist, läßt sich nicht auf den oben entwickelten psychischen Mechanismus zurückführen, vielmehr weicht der Mechanismus der Agoraphobie von dem der echten Zwangsvorstellungen und der auf solche reduzierbaren Phobien in einem entscheidenden Punkte ab. Es findet sich hier keine verdrängte Vorstellung, von welcher der Angstaffekt abgetrennt wäre. Die Angst dieser Phobien hat einen anderen Ursprung.
Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene. Neurologisches Zentralblatt 1893, Nr. 1 und 2.
Dr. Breuers Vorwort zur zweiten Auflage lautete: „Das Interesse, welches in steigendem Maße der Psychoanalyse entgegengebracht wird, scheint sich jetzt auch den ’ Studien über Hysterie’ zuzuwenden. Der Verleger wünscht eine Neuauflage des vergriffenen Buches. Es erscheint nun hier in unverändertem Neudrucke, obwohl die Anschauungen und Methoden, welche in der ersten Auflage dargestellt wurden, seitdem eine weit- und tiefgehende Entwicklung erfahren haben. Was mich selbst betrifft, so habe ich mich seit damals mit dem Gegenstande nicht aktiv beschäftigt, habe keinen Anteil an seiner bedeutsamen Entwicklung und wüßte dem 1895 Gegebenen nichts Neues hinzuzufügen. So konnte ich nur wünschen, daß meine beiden in dem Buche enthaltenen Abhandlungen bei der Neuauflage desselben in unverändertem Abdrucke wieder erscheinen mögen.“
Diese aus dem „Neurologischen Zentralblatt“, 1893, wieder abgedruckte Arbeit ist – vgl. oben S. 76 – von Breuer und Freud.
Die Möglichkeit einer solchen Therapie haben Delboeuf und Binet klar erkannt, wie die beifolgenden Zitate zeigen: Delboeuf, Le magnétisme animal. Paris 1889: „On s’ expliquerait dès-lors comment le magnétiseur aide à la guérison. Il remet le sujet dans l’ état où le mal s’ est manifesté et combat par la parole le même mal, mais renaissant.“ – Binet, Les altérations de la personnalité. 1892, p. 243: „… peut-être verra-t-on qu’ en reportant le malade par un artifice mental, au moment même où le symptôme a apparu pour la première fois, on rend ce malade plus docile à une suggestion curative.“ – In dem interessanten Buche von P. Janet: L’ automatisme psychologique, Paris 1889, findet sich die Beschreibung einer Heilung, welche bei einem hysterischen Mädchen durch Anwendung eines dem unsrigen analogen Verfahrens erzielt wurde.
Wir können im Texte dieser vorläufigen Mitteilung nicht sondern, was am Inhalte derselben neu ist und was sich bei anderen Autoren wie Möbius und Strümpell findet, die ähnliche Anschauungen für die Hysterie vertreten haben. Die größte Annäherung an unsere theoretischen und therapeutischen Ausführungen fanden wir in einigen gelegentlich publizierten Bemerkungen Benedikts, mit denen wir uns an anderer Stelle beschäftigen werden.
Dieses Schnalzen bestand aus mehreren Tempi; jagdkundige Kollegen, die es hörten, verglichen dessen Endlaute mit dem Balzen des Auerhahnes.
Die Worte entsprachen in der Tat einer Schutzformel, die auch im weiteren ihre Erklärung findet. Ich habe solche Schutzformeln seither bei einer Melancholika beobachtet, die ihre peinigenden Gedanken (Wünsche, daß ihrem Manne, ihrer Mutter etwas Arges zustoßen möge, Gotteslästerungen u. dgl.) auf diese Art zu beherrschen versuchte.
Es handelte sich um ein hysterisches Delirium, welches mit dem normalen Bewußtseinszustande alterniert, ähnlich wie ein echter Tic sich in eine Willkürbewegung einschiebt, ohne dieselbe zu stören und ohne sich mit ihr zu vermengen.
Beim Erwachen aus der Hypnose blickte sie jedesmal wie verworren einen Augenblick herum, ließ dann ihre Augen auf mir ruhen, schien sich besonnen zu haben, zog die Brille an, die sie vor dem Einschlafen abgelegt hatte, und war dann heiter und ganz bei sich. Obwohl wir im Verlaufe der Behandlung, die in diesem Jahre sieben, im nächsten acht Wochen einnahm, über alles Mögliche miteinander sprachen und sie fast täglich zweimal von mir eingeschläfert wurde, richtete sie doch nie eine Frage oder Bemerkung über die Hypnose an mich und schien in ihrem Wachzustande die Tatsache, daß sie hypnotisiert werde, möglichst zu ignorieren.
Eine solche plötzliche Einschiebung eines Deliriums in den wachen Zustand war bei ihr nichts Seltenes und wiederholte sich noch oft unter meiner Beobachtung. Sie pflegte zu klagen, daß sie oft im Gespräche die verdrehtesten Antworten gebe, so daß ihre Leute sie nicht verstünden. Bei unserem ersten Besuche antwortete sie mir auf die Frage, wie alt sie sei, ganz ernsthaft: Ich bin eine Frau aus dem vorigen Jahrhundert. Wochen später klärte sie mich auf, sie hätte damals im Delirium an einen schönen alten Schrank gedacht, den sie auf der Reise als Liebhaberin antiker Möbel erworben. Auf diesen Schrank bezog sich die Zeitbestimmung, als meine Frage nach ihrem Alter zu einer Aussage über Zeiten Anlaß gab.
Eine Art von Migräne.
Dies Erinnern in lebhaften visuellen Bildern gaben uns viele andere Hysterische an und betonten es ganz besonders für die pathogenen Erinnerungen.
Im Wachen hatte ich auf die Frage nach der Herkunft des Tic die Antwort erhalten: Ich weiß nicht; oh, schon sehr lange.
An die Kröte muß sich wohl eine besondere Symbolik geknüpft haben, die ich zu ergründen leider nicht versucht habe.
Welches auch zutraf.
Die Antwort: „Ich weiß es nicht“, mochte richtig sein, konnte aber ebensowohl die Unlust bedeuten, von den Gründen zu reden. Ich habe später bei anderen Kranken die Erfahrung gemacht, daß sie sich auch in der Hypnose um so schwerer an etwas besannen, je mehr Anstrengung sie dazu verwendet hatten, das betreffende Ereignis aus ihrem Bewußtsein zu drängen.
Wie man hier erfährt, sind das ticähnliche Schnalzen und das spastische Stottern der Patientin zwei Symptome, die auf ähnliche Veranlassungen und einen {111}analogen Mechanismus zurückgehen. Ich habe diesem Mechanismus in einem kleinen Aufsatze: „Ein Fall von hypnotischer Heilung nebst Bemerkungen über den hysterischen Gegenwillen“ (Zeitschrift für Hypnotismus, Bd. I; enthalten in diesem Bande der Ges. Werke) Aufmerksamkeit geschenkt, werde übrigens auch hier darauf zurückkommen.
Alle solchen lehrhaften Suggestionen schlugen bei Frau Emmy fehl, wie die Folge gezeigt hat.
Ich bin diesmal in meiner Energie wohl zu weit gegangen. Noch eineinhalb Jahre später, als ich Frau Emmy in relativ hohem Wohlbefinden wiedersah, klagte sie mir, es sei merkwürdig, daß sie sich an gewisse, sehr wichtige Momente ihres Lebens nur höchst ungenau erinnern könne. Sie sah darin einen Beweis für die Abnahme ihres Gedächtnisses, während ich mich hüten mußte, ihr die Erklärung für diese spezielle Amnesie zu geben. Der durchschlagende Erfolg der Therapie in diesem Punkte rührte wohl auch daher, daß ich mir diese Erinnerung so ausführlich erzählen ließ (weit ausführlicher, als es die Notizen bewahrt haben), während ich mich sonst zu oft mit bloßen Erwähnungen begnügte.
Ich verstand diese kleine Szene erst am nächsten Tag. Ihre ungebärdige Natur, die sich im Wachen wie im künstlichen Schlaf gegen jeden Zwang aufbäumte, hatte sie darüber zornig werden lassen, daß ich ihre Erzählung für vollendet nahm und sie durch meine abschließende Suggestion unterbrach. Ich habe viele andere Beweise dafür, daß sie meine Arbeit in ihrem hypnotischen Bewußtsein kritisch überwachte. Wahrscheinlich wollte sie mir den Vorwurf machen, daß ich sie heute in der Erzählung störe, wie ich sie vorhin bei den Irrenhausgreueln gestört hatte, getraute sich dessen aber nicht, sondern brachte diese Nachträge anscheinend unvermittelt vor, ohne den verbindenden Gedankengang zu verraten. Am nächsten Tag klärte mich dann eine verweisende Bemerkung über meinen Fehlgriff auf.
Ich habe leider in diesem Falle versäumt, nach der Bedeutung der Zoopsie zu forschen, etwa sondern zu wollen, was an der Tierfurcht primäres Grausen war, wie es vielen Neuropathen von Jugend auf eigen ist, und was Symbolik.
Das visuelle Erinnerungszeichen der großen Eidechse war zu dieser Bedeutung gewiß nur durch das zeitliche Zusammentreffen mit einem großen Affekt gelangt, dem sie während jener Theatervorstellung unterlegen sein muß. Ich habe mich aber in der Therapie dieser Kranken, wie schon eingestanden, häufig mit den oberflächlichsten Ermittlungen begnügt und auch in diesem Falle nicht weiter nachgeforscht. – Man wird übrigens an die hysterische Makropsie erinnert. Frau Emmy war hochgradig kurzsichtig und astigmatisch und ihre Halluzinationen mochten oft durch die Undeutlichkeit ihrer Gesichtswahrnehmungen provoziert worden sein.
Ich war damals geneigt, für alle Symptome bei einer Hysterie eine psychische Herkunft anzunehmen. Heute würde ich die Angstneigung bei dieser abstinent lebenden Frau neurotisch erklären. (Angstneurose.)
Der Hergang war also folgender gewesen: Als sie am Morgen aufwachte, fand sie sich in ängstlicher Stimmung und griff, um diese Stimmung aufzuklären, zur nächsten ängstlichen Vorstellung, die sich finden wollte. Ein Gespräch über den Lift im Hause der Kinder war am Nachmittage vorher vorgefallen. Die immer besorgte Mutter hatte die Gouvernante gefragt, ob die ältere Tochter, die wegen rechtsseitiger Ovarie und Schmerzen im rechten Beine nicht viel gehen konnte, den Lift auch zum Herunterkommen benutze. Eine Erinnerungstäuschung gestattete ihr dann, die Angst, deren sie sich bewußt war, an die Vorstellung dieses Aufzuges zu knüpfen. Den wirklichen Grund ihrer Angst fand sie in ihrem Bewußtsein nicht; der ergab sich erst, aber ohne jedes Zögern, als ich sie in der Hypnose darum befragte. Es war derselbe Vorgang, den Bernheim und andere nach ihm bei den Personen studiert haben, die posthypnotisch einen in der Hypnose erteilten Auftrag ausführen. Zum Beispiel Bernheim (Die Suggestion, S. 51 der deutschen Übersetzung) hat einem Kranken suggeriert, daß er nach dem Erwachen beide Daumen in den Mund stecken werde. Er tut es auch und entschuldigt sich damit, daß er seit einem Biß, den er sich tags vorher im epileptiformen Anfall zugefügt, einen Schmerz in der Zunge empfinde. Ein Mädchen versucht, der Suggestion gehorsam, einen Mordanschlag auf einen ihr völlig fremden Gerichtsbeamten; erfaßt und nach den Gründen ihrer Tat befragt, erfindet sie eine Geschichte von einer ihr zugefügten Kränkung, die eine Rache erfordere. Es scheint ein Bedürfnis vorzuliegen, psychische Phänomene, deren man sich bewußt wird, in kausale Verknüpfung mit anderem Bewußten zu bringen. Wo sich die wirkliche Verursachung der Wahrnehmung des Bewußtseins entzieht, versucht man unbedenklich eine andere Verknüpfung, an die man selbst glaubt, obwohl sie falsch ist. Es ist klar, daß eine vorhandene Spaltung des Bewußtseinsinhaltes solchen „falschen Verknüpfungen“ den größten Vorschub leisten muß.
Ich will bei dem oben erwähnten Beispiel einer falschen Verknüpfung etwas länger verweilen, weil es in mehr als einer Hinsicht als vorbildlich bezeichnet werden darf. Vorbildlich zunächst für das Verhalten dieser Patientin, die mir im Verlaufe der Behandlung noch wiederholt Gelegenheit gab, mittels der hypnotischen Aufklärung solche falsche Verknüpfungen zu lösen und die von ihnen ausgehenden Wirkungen aufzuheben. Einen Fall dieser Art will ich ausführlich erzählen, weil er die in Rede stehende psychologische Tatsache grell genug beleuchtet. Ich hatte Frau Emmy vorgeschlagen, anstatt der gewohnten lauen Bäder ein kühles Halbbad zu versuchen, von dem ich ihr mehr Erfrischung versprach. Sie leistete ärztlichen Anordnungen unbedingten Gehorsam, verfolgte dieselben aber jedesmal mit dem ärgsten Mißtrauen. Ich habe schon berichtet, daß ihr ärztliche Behandlung fast niemals eine Erleichterung gebracht hatte. Mein Vorschlag, kühle Bäder zu nehmen, geschah nicht so autoritativ, daß sie nicht den Mut gefunden hätte, mir ihre Bedenken auszusprechen: „Jedesmal, so oft ich kühle Bäder genommen habe, bin ich den ganzen Tag über melancholisch gewesen. Aber ich versuche es wieder, wenn Sie wollen; glauben Sie nicht, daß ich etwas nicht tue, was Sie sagen.“ Ich verzichtete zum Schein auf meinen Vorschlag, gab ihr aber in der nächsten Hypnose ein, sie möge nur die kühlen Bäder jetzt selbst vorschlagen, sie habe es sich überlegt, wolle doch noch den Versuch wagen usw. So geschah es nun, sie nahm die Idee, kühle Halbbäder zu gebrauchen, selbst am nächsten Tage auf, suchte mich mit all den Argumenten dafür zu gewinnen, die ich ihr vorgetragen hatte, und ich gab ohne viel Eifer nach. Am Tage nach dem Halbbad fand ich sie aber wirklich in tiefer Verstimmung. „Warum sind Sie heute so? – Ich habe es ja vorher gewußt. Von dem kalten Bade, das ist immer so. – Sie haben es selbst verlangt. Jetzt wissen wir, daß Sie es nicht vertragen. Wir kehren zu den lauen Bädern zurück.“ – In der Hypnose fragte ich dann: „War es wirklich das kühle Bad, das Sie so verstimmt hat?“ – „Ach, das kühle Bad hat nichts damit zu tun,“ war die Antwort, „sondern ich habe heute früh in der Zeitung gelesen, daß eine Revolution in S. Domingo ausgebrochen ist. Wenn es dort Unruhen gibt, geht es immer über die Weißen her, und ich habe einen Bruder in S. Domingo, der uns schon so viel Sorge gemacht hat, und ich bin jetzt besorgt, daß ihm nicht etwas geschieht.“ Damit war die Angelegenheit zwischen uns erledigt, sie nahm am nächsten Morgen ihr kühles Halbbad, als ob es sich von selbst verstünde, und nahm es noch durch mehrere Wochen, ohne je eine Verstimmung auf dasselbe zurückzuführen.
Man wird mir gerne zugeben, daß dieses Beispiel auch typisch ist für das Verhalten so vieler anderer Neuropathen gegen die vom Arzt empfohlene Therapie. Ob es nun Unruhen in S. Domingo oder anderwärts sind, die an einem bestimmten Tage ein gewisses Symptom hervorrufen; der Kranke ist stets geneigt, dies Symptom von der letzten ärztlichen Beeinflussung herzuleiten. Von den beiden Bedingungen, welche fürs Zustandekommen einer solchen falschen Verknüpfung erfordert werden, scheint die eine, das Mißtrauen, jederzeit vorhanden zu sein; die andere, die Bewußtseinsspaltung, wird dadurch ersetzt, daß die meisten Neuropathen von den wirklichen Ursachen (oder wenigstens Gelegenheitsursachen) ihres Leidens teils keine Kenntnis haben, teils absichtlich keine Kenntnis nehmen wollen, weil sie ungerne an den Anteil erinnert sind, den eigenes Verschulden daran trägt.
Man könnte meinen, daß die bei den Neuropathen außerhalb der Hysterie hervorgehobenen psychischen Bedingungen der Unwissenheit oder absichtlichen Vernachlässigung günstiger für die Entstehung einer falschen Verknüpfung sein müssen, als das Vorhandensein einer Bewußtseinsspaltung, die doch dem Bewußtsein Material für kausale Beziehung entzieht. Allein diese Spaltung ist selten eine reinliche, meist ragen Stücke des unterbewußten Vorstellungskomplexes ins gewöhnliche Bewußtsein hinein, und gerade diese geben den Anlaß zu solchen Störungen. Gewöhnlich ist es die mit dem Komplex verbundene Allgemeinempfindung, die Stimmung der Angst, der Trauer, die, wie im obigen Beispiele, bewußt empfunden wird und für die durch eine Art von „Zwang zur Assoziation“ eine Verknüpfung mit einem im Bewußtsein vorhandenen Vorstellungskomplex hergestellt werden muß. (Vgl. übrigens den Mechanismus der Zwangsvorstellung, den ich in einer Mitteilung im Neurolog. Zentralblatt, Nr. 10 und 11, 1894, angegeben habe. Auch: Obsessions et phobies, Revue neurologique, Nr. 2, 1895.) [Beide Arbeiten enthalten in diesem Band der Ges. Werke].
Von der Macht eines solchen Zwanges zur Assoziation habe ich mich unlängst durch Beobachtungen auf anderem Gebiete überzeugen können. Ich mußte durch mehrere Wochen mein gewohntes Bett mit einem härteren Lager vertauschen, auf dem ich wahrscheinlich mehr oder lebhafter träumte, vielleicht nur die normale Schlaftiefe nicht erreichen konnte. Ich wußte in der ersten Viertelstunde nach dem Erwachen alle Träume der Nacht und gab mir die Mühe, sie niederzuschreiben und mich an ihrer Lösung zu versuchen. Es gelang mir, diese Träume sämtlich auf zwei Momente zurückzuführen: 1. auf die Nötigung zur Ausarbeitung solcher Vorstellungen, bei denen ich tagsüber nur flüchtig verweilt hatte, die nur gestreift und nicht erledigt worden waren, und 2. auf den Zwang, die im selben Bewußtseinszustande vorhandenen Dinge miteinander zu verknüpfen. Auf das freie Walten des letzteren Momentes war das Sinnlose und Widerspruchsvolle der Träume zurückzuführen.
Daß die zu einem Erlebnisse gehörige Stimmung und der Inhalt desselben ganz regelmäßig in abweichende Beziehung zum primären Bewußtsein treten können, habe ich an einer anderen Patientin, Frau Cäcilie M …, gesehen, die ich weitaus gründlicher als jede andere hier erwähnte Kranke kennen lernte. Ich habe bei dieser Dame die zahlreichsten und überzeugendsten Beweise für einen solchen psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene gesammelt, wie wir ihn in dieser Arbeit vertreten, bin aber leider durch persönliche Umstände verhindert, diese Krankengeschichte, auf die ich mich gelegentlich zu beziehen gedenke, ausführlich mitzuteilen. Frau Cäcilie M … war zuletzt in einem eigentümlichen hysterischen Zustande, der gewiß nicht vereinzelt dasteht, wenngleich ich nicht weiß, ob er je erkannt worden ist. Man könnte ihn als „hysterische Tilgungspsychose“ bezeichnen. – Die Patientin hatte zahlreiche psychische Traumen erlebt und lange Jahre in einer chronischen Hysterie mit sehr mannigfaltigen Erscheinungen zugebracht. Die Gründe aller dieser Zustände waren ihr und anderen unbekannt, ihr glänzend ausgestattetes Gedächtnis wies die auffälligsten Lücken auf; ihr Leben sei ihr wie zerstückelt, klagte sie selbst. Eines Tages brach plötzlich eine alte Reminiszenz in plastischer Anschaulichkeit mit aller Frische der neuen Empfindung über sie herein, und von da an lebte sie durch fast drei Jahre alle Traumen ihres Lebens – längst vergessen geglaubte und manche eigentlich nie erinnerte – von neuem durch mit dem entsetzlichsten Aufwande von Leiden und der Wiederkehr aller Symptome, die sie je gehabt. Diese „Tilgung alter Schulden“ umfaßte einen Zeitraum von dreiunddreißig Jahren und gestattete, von jedem ihrer Zustände die oft sehr komplizierte Determinierung zu erkennen. Man konnte ihr Erleichterung nur dadurch bringen, daß man ihr Gelegenheit gab, sich die Reminiszenz, die sie gerade quälte, mit allem dazugehörigen Aufwande an Stimmung und deren körperlichen Äußerungen in der Hypnose abzusprechen, und wenn ich verhindert war, dabei zu sein, so daß sie vor einer Person sprechen mußte, gegen welche sie sich geniert fühlte, so geschah es einige Male, daß sie dieser ganz ruhig die Geschichte erzählte und mir nachträglich in der Hypnose all das Weinen, all die Äußerungen der Verzweiflung brachte, mit welchen sie die Erzählung eigentlich hätte begleiten wollen. Nach einer solchen Reinigung in der Hypnose war sie einige Stunden ganz wohl und gegenwärtig. Nach kurzer Zeit brach die der Reihe nach nächste Reminiszenz herein. Diese schickte aber die dazu gehörige Stimmung um Stunden voraus. Sie wurde reizbar oder ängstlich oder verzweifelt, ohne je zu ahnen, daß diese Stimmung nicht der Gegenwart, sondern dem Zustande angehöre, der sie zunächst befallen werde. In dieser Zeit des Überganges machte sie dann regelmäßig eine falsche Verknüpfung, an der sie bis zur Hypnose hartnäckig festhielt. So z. B. empfing sie mich einmal mit der Frage: „Bin ich nicht eine verworfene Person, ist das nicht ein Zeichen der Verworfenheit, daß ich Ihnen gestern dies gesagt habe?“ Was sie tags vorher gesagt hatte, war mir wirklich nicht geeignet, diese Verdammung irgendwie zu rechtfertigen; sie sah es nach kurzer Erörterung auch sehr wohl ein, aber die nächste Hypnose brachte eine Reminiszenz zum Vorschein, bei deren Anlaß sie sich vor zwölf Jahren einen schweren Vorwurf gemacht hatte, an dem sie in der Gegenwart übrigens gar nicht mehr festhielt.
Bei nachheriger Überlegung muß ich mir sagen, daß diese „Genickkrämpfe“ organisch bedingte, der Migräne analoge Zustände gewesen sein mögen. Man sieht in praxi mehr derartige Zustände, die nicht beschrieben sind und die eine so auffällige Übereinstimmung mit dem klassischen Anfalle von Hemikranie zeigen, daß man gerne die Begriffsbestimmung der letzteren erweitern und die Lokalisation des Schmerzes an die zweite Stelle drängen wollte. Wie bekannt, pflegen viele neuropathische Frauen mit dem Migräneanfalle hysterische Anfälle (Zuckungen und Delirien) zu verbinden. So oft ich den Genickkrampf bei Frau Emmy sah, war auch jedesmal ein Anfall von Delirium dabei.
Was die Arm- und Beinschmerzen angeht, so denke ich, daß hier ein Fall der nicht sehr interessanten, aber um so häufigeren Art der Determinierung durch zufällige Koinzidenz vorlag. Sie hatte solche Schmerzen während jener Zeit der Aufregung und Krankenpflege gehabt, infolge der Erschöpfung stärker als sonst empfunden, und diese, ursprünglich mit jenen Erlebnissen nur zufällig assoziierten Schmerzen wurden dann in ihrer Erinnerung als das körperliche Symbol des Assoziationskomplexes wiederholt. Ich werde von beweisenden Beispielen für diesen Vorgang in der Folge noch mehrere anführen können. Wahrscheinlich waren die Schmerzen ursprünglich rheumatische, d. h., um dem viel mißbrauchten Worte einen bestimmten Sinn zu geben, solche Schmerzen, die hauptsächlich in den Muskeln sitzen, bei denen bedeutende Druckempfindlichkeit und Konsistenzveränderung der Muskeln nachzuweisen ist, die sich am heftigsten nach längerer Ruhe oder Fixierung der Extremität äußern, also am Morgen, die auf Einübung der schmerzhaften Bewegung sich bessern und durch Massage zum Verschwinden zu bringen sind. Diese myogenen Schmerzen, bei allen Menschen sehr häufig, gelangen bei den Neuropathen zu großer Bedeutung; sie werden von ihnen mit Unterstützung der Ärzte, die nicht die Gewohnheit haben, die Muskeln mit dem Fingerdrucke zu prüfen, für nervöse gehalten und geben das Material für unbestimmt viele hysterische Neuralgien, sogenannte Ischias u. dgl. ab. Auf die Beziehungen dieses Leidens zur gichtischen Disposition will ich hier nur kurz hinweisen. Mutter und zwei Schwestern meiner Patientin hatten an Gicht (oder chronischem Rheumatismus) in hohem Grade gelitten. Ein Teil der Schmerzen, über welche sie damals klagte, mochte auch gegenwärtiger Natur sein. Ich weiß es nicht; ich hatte damals noch keine Übung in der Beurteilung dieses Zustandes der Muskeln.
Es war kaum eine gute Methode, die ich da verfolgte. Dies alles war nicht erschöpfend genug gemacht.
Mit der Zurückführung auf die beiden initialen Traumen sind Stottern und Schnalzen nicht völlig beseitigt worden, obwohl von da ab eine auffällige Verminderung der beiden Symptome eintrat. Die Erklärung für diese Unvollständigkeit des Erfolges gab die Kranke selbst (vgl. p. 105). Sie hatte sich angewöhnt, jedesmal zu schnalzen und zu stottern, so oft sie erschrak, und so hingen diese Symptome schließlich nicht an den initialen Traumen allein, sondern an einer langen Kette von ihnen assoziierten Erinnerungen, die wegzuwischen ich unterlassen hatte. Es ist dies ein Fall, der häufig genug vorkommt und jedesmal die Eleganz und Vollständigkeit der therapeutischen Leistung durch die kathartische Methode beeinträchtigt.
Ich erfuhr hier zum ersten Male, wovon ich mich später unzählige Male überzeugen konnte, daß bei der hypnotischen Lösung eines frischen hysterischen Deliriums die Mitteilung des Kranken die chronologische Reihenfolge umkehrt, zuerst die letzterfolgten und minderwichtigen Eindrücke und Gedankenverbindungen mitteilt und erst am Schlusse auf den primären, wahrscheinlich kausal wichtigsten Eindruck kommt.
Ihre Verwunderung am Abend vorher, daß sie so lange keinen Genickkrampf gehabt, war also eine Ahnung des nahenden Zustandes, der sich damals schon vorbereitete und im Unbewußten bemerkt wurde. Diese merkwürdige Form der Ahnung war bei der vorhin erwähnten Frau Cäcilie M. etwas ganz Gewöhnliches. Jedesmal, wenn sie mir im besten Wohlbefinden etwa sagte: „Jetzt habe ich mich schon lange nicht bei Nacht vor Hexen gefürchtet“, oder: „Wie froh bin ich, daß mein Augenschmerz so lange ausgeblieben ist,“ konnte ich sicher sein, daß die nächste Nacht der Wärterin den Dienst durch die ärgste Hexenfurcht erschweren oder daß der nächste Zustand mit dem gefürchteten Schmerz im Auge beginnen werde. Es war jedesmal ein Durchschimmern dessen, was im Unbewußten bereits fertig vorgebildet lag, und das ahnungslose „offizielle“ Bewußtsein (nach Charcots Bezeichnung) verarbeitete die als plötzlicher Einfall auftauchende Vorstellung zu einer Äußerung der Befriedigung, die immer rasch und sicher genug Lügen gestraft wurde. Frau Cäcilie, eine hochintelligente Dame, der ich auch viel Förderung im Verständnisse hysterischer Symptome verdanke, machte mich selbst darauf aufmerksam, daß solche Vorkommnisse Anlaß zum bekannten Aberglauben des Beschreiens und Berufens gegeben haben mögen. Man soll sich keines Glückes rühmen, anderseits auch den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er. Eigentlich rühmt man sich des Glückes erst dann, wenn das Unglück schon lauert, und man faßt die Ahnung in die Form des Rühmens, weil hier der Inhalt der Reminiszenz früher auftaucht als die dazu gehörige Empfindung, weil im Bewußtsein also ein erfreulicher Kontrast vorhanden ist.
Quelques considérations pour une étude comparative des paralysies motrices, organiques et hystériques. Archives de Neurologie, Nr. 77, 1893 [abgedruckt in diesem Band der Ges. Werke].
Abgedruckt in diesem Bande der Ges. Werke.
Ich könnte hier den Eindruck erwecken, als legte ich den Details der Symptome zu viel Gewicht bei und verlöre mich in überflüssige Zeichendeuterei. Allein ich habe gelernt, daß die Determinierung der hysterischen Symptome wirklich bis in deren feinste Ausführung hinabreicht, und daß man ihnen nicht leicht zu viel Sinn unterlegen kann. Ich will ein Beispiel beibringen, das mich rechtfertigen wird. Vor Monaten behandelte ich ein 18jähriges Mädchen aus belasteter Familie, an dessen komplizierter Neurose die Hysterie ihren gebührenden Anteil hatte. Das erste, was ich von ihr erfuhr, war die Klage über Anfälle von Verzweiflung mit zweierlei Inhalt. Bei den einen verspürte sie ein Ziehen und Prickeln in der unteren Gesichtspartie von den Wangen herab gegen den Mund; bei den anderen streckten sich die Zehen an beiden Füßen krampfhaft und spielten ruhelos hin und her. Ich war anfangs auch nicht geneigt, diesen Details viel Bedeutung beizumessen, und früheren Bearbeitern der Hysterie wäre es sicherlich nahegelegen, in diesen Erscheinungen Beweise für die Reizung kortikaler Zentren beim hysterischen Anfalle zu erblicken. Wo die Zentren für solche Parästhesien liegen, wissen wir zwar nicht, es ist aber bekannt, daß solche Parästhesien die partielle Epilepsie einleiten und die sensorische Epilepsie Charcots
Nachschrift: Ich habe später auch dies erfahren. Das törichte Mädchen arbeitete darum so übereifrig an seiner Verschönerung, weil es – einem jungen Vetter gefallen wollte. (Eine Reihe von Jahren später wandelte sich ihre Neurose in eine Dementia praecox.)