Wissenschaftliche E-Book-Reihe, Band 1

Herausgeber:

Vertrieb: www.jugendkulturen.de

Lektorat: Gabriele Vogel

ISBN (epub): 978-3-943774-53-5

ISBN (pdf): 978-3-943774-52-8

Die Wissenschaftliche Reihe im Archiv der Jugendkulturen

Alljährlich entstehen an Universitäten und Fachhochschulen Hunderte von wissenschaftlichen Arbeiten, die zumeist nur von zwei GutachterInnen gelesen werden und dann unbeachtet in den Asservatenkammern der Hochschulen verschwinden. Dabei enthalten viele dieser Arbeiten durchaus neues Wissen, interessante Denkmodelle, genaue Feldstudien. Das Archiv der Jugendkulturen, Fachbibliothek und Forschungsinstitut zugleich zu allen Fragen rund um Jugendkulturen, hat deshalb damit begonnen, wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Jugend zu sammeln und öffentlich zugänglich zu machen. Mehr als 600 solcher Arbeiten enthält die Präsenzbibliothek des Archivs inzwischen – für jedermann kostenlos und frei zugänglich.

In der Wissenschaftlichen Reihe publiziert das Archiv der Jugendkulturen seit 2007 zudem qualitativ herausragende wissenschaftliche Arbeiten zu jugendkulturellen Zusammenhängen. Die Arbeiten werden von fachkundigen GutachterInnen gelesen und vor der Veröffentlichung professionell lektoriert. Da pro Jahr von 30 – 40 eingereichten Arbeiten nur zwei veröffentlicht werden, kann bereits die Aufnahme in den Verlagskatalog als Auszeichnung verstanden werden. Doch für die AutorInnen lohnt sich die Veröffentlichung auch materiell. Die Archiv der Jugendkulturen Verlag KG verlangt von ihren AutorInnen keinerlei Kostenbeteiligungen! Im Gegenteil: AutorInnen, deren Arbeiten wir in unserer Wissenschaftlichen Reihe veröffentlichen, erhalten bereits für die Erstauflage ein Garantiehonorar von 2.000 Euro!

Seit 2011 wird diese Reihe durch eine elektronische Schwester ergänzt. Denn immer wieder mussten wir hervorragende Manuskripte ablehnen, da ein kleiner Verlag wie der unsrige sich nicht mehr als zwei wissenschaftliche Titel mit den gesetzten Qualitätsstandards (großformatige Hardcover, alle Bände sind reichlich illustriert, oft in Farbe) und dem bewusst sehr niedrig angesetzten Ladenpreis (um möglichst viele Menschen zu erreichen) leisten kann. Die E-Book-Reihe soll dieses Manko nun ausgleichen. Was für die Printreihe gilt, gilt auch für unsere E-Books: Sie werden ebenfalls unter der Fülle eingereichter Arbeiten sorgfältig ausgewählt und lektoriert, die AutorInnen erhalten ein kleines Garantiehonorar und werden am Umsatz beteiligt.

Das Archiv der Jugendkulturen e. V.

Das Berliner Archiv der Jugendkulturen e. V. existiert seit 1998 und sammelt – als einzige Einrichtung dieser Art in Europa – authentische Zeugnisse aus den Jugendkulturen selbst (Fanzines, Flyer, Musik etc.), aber auch wissenschaftliche Arbeiten, Medienberichte etc., und stellt diese der Öffentlichkeit in seiner Präsenzbibliothek kostenfrei zur Verfügung. Darüber hinaus betreibt das Archiv der Jugendkulturen eine umfangreiche Jugendforschung, berät Kommunen, Institutionen, Vereine etc., bietet jährlich bundesweit rund 80 Schulprojekttage und Fortbildungen für Erwachsene an und publiziert eine eigene Zeitschrift – das Journal der Jugendkulturen – sowie eine Buchreihe mit ca. sechs Titeln jährlich. Das Archiv der Jugendkulturen e. V. hat derzeit 240 Mitglieder weltweit (darunter viele Institutionen). Die Mehrzahl der Archiv-MitarbeiterInnen arbeitet ehrenamtlich.

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Weitere Infos unter www.jugendkulturen.de

„Mit High-Heels im Stechschritt“:

Zur Rolle der Frau in der rechtsextremen Szene

von

Susann Uecker

Magisterarbeit im Fach Politikwissenschaft

E-Mail: susann_uecker@yahoo.de

Prüfer: Prof. Dr. Everhard Holtmann

Halle (Saale)

INHALT

1 Einleitung

2 Rekonstruktion des rechtsextremen Weltbildes

2.1. Elemente rechtsextremer Ideologie

2.2. Die Rolle der Frau in der rechtsextremen Ideologie

3 Die geschlechtsspezifischen Dimensionen der rechten Szene

3.1 Historische Vorläufer geschlechterspezifischer Organisationen

3.2 Rechtsextreme Parteien: Schwerpunkt NPD

3.3 Rechtsextreme Frauengruppierungen und -organisationen

3.4 „Kultur“: Rechtsrock, Aufmärsche und andere Veranstaltungen

3.5 „Gewalt“

4 Empirie Teil I: Programmatische Analyse der NPD-Geschlechterpolitik

4.1 Das NPD Parteiprogramm von 1996

4.2 Das NPD Bundestagswahlprogramm von 2009

4.3 Die NPD-Programmatik in Bezug zum RNF und zur GDF

5 Empirie Teil II: Das rechtsextreme Frauenbild im Perspektivwechsel

5.1 „Die rechtsextreme Frau“

5.2 Die Konstruktion „Frau“ in der rechtsextremen Szene

5.3 Die mediale Reflexion am Beispiel zweier Tageszeitungen

6 Fazit

7 Anhang

7.1. Abkürzungsverzeichnis

7.2 Tabellarische Übersichten

7.3 Quellenverzeichnis

7.4 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Klasse, 3000 Leute, die Straßen haben gehallt von den Rufen, […] das war echt ein Supererlebnis, das hat mich total motiviert“1, so beschreibt Heike, zum damaligen Zeitpunkt 26-jährige Kameradschaftsführerin, ihr persönliches Schlüsselerlebnis für die spätere Laufbahn bei der Jugendorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschland (NPD), die Demonstration am 1. Mai 1996 in München. Einprägsame Erfahrungen mit Demonstrationen oder Aufmärschen der rechten Szene hat auch Tanja Privenau gesammelt. Die mittlerweile durch Zeitungsinterviews bekannte Aussteigerin berichtet über ihre aktive Zeit als „Straßenkämpferin“ wie folgt: „Wenn ich auf der Straße demonstriert habe, gegenüber linken Gruppen und auch der Polizei, sind Pflastersteine geflogen. Und in meiner wilden Kampfzeit habe auch ich Pflastersteine geworfen.“2 Das Klischee der treu sorgenden Ehe- und Hausfrau, die blondbezopft zu Hause wartend die Kinder hütet, Wäsche wäscht und dem „braunen Kameraden“ das Essen zubereitet, trifft für Heike, Tanja und auch andere rechtsorientierte (zumeist junge) Frauen, die in der Szene aktiv sind, nicht zu. Der Kampf um die „nationale Sache“ vereint rechtsextreme Männer wie Frauen oftmals auf der Straße. Wissenschaftler und Journalisten weisen seit Jahren auf diese beängstigende Entwicklung in der rechten Szene hin. So heißt es beispielsweise bei der Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke, Frauen „drängen von Jahr zu Jahr mehr in die braune Szene. Manche bauen Kameradschaften mit auf, andere organisieren Neonazi-Konzerte oder ködern Nachwuchs an NPD-Infoständen.“3 Weitere Aktionsbereiche sind so vielfältig wie die rechte Szene selbst und umfassen neben Tätigkeiten als Autorin oder Herausgeberin rechter Fanzines4 auch die Aktivität als Musikerin oder spezifische Aufgaben im Verlagswesen.

Der oftmals konstatierte Anstieg von Frauen in rechtsextremen Gruppierungen und Organisationen, wie beispielsweise durch Jan Schwab vom Projekt „Lola für Lulu“5 oder die bereits oben zitierte Andrea Röpke, weist auf gewisse geschlechterspezifische6 Veränderungen sowie einen potentiellen Bedeutungszuwachs von Frauen innerhalb der Szene hin. Während in den 1990er Jahren vor allem der Skingirl Freundeskreis Deutschland (SFD) als Sammelbecken für organisierte Frauen der Szene diente, ist die Zahl der Frauengruppierungen beziehungsweise -organisationen seit Ende der 1990er Jahre deutlich angestiegen. Ihr Spektrum ist vielfältig und, so das Antifa Frauennetzwerk, „reicht von kleinen regionalen oder nur im Internet existierenden bis zu bundesweit und international agierenden Gruppierungen.“7 Dies lässt die Vermutung zu, dass die konservativ orientierte Gemeinschaft Deutscher Frauen (GDF) als eine der ersten Organisationen inhaltlich nicht ausreichend war. Die zunehmende Solidarisierung rechter Frauen in „Frauenschaften“8, also spezifischen Frauen-Kameradschaften nach US-amerikanischem Vorbild des „sisterhood“-Konzeptes, lässt letztlich eine wachsende Relevanz weiblicher Beteiligung annehmen.9 Auch zeigen die Namensgebungen zahlreicher Frauengruppierungen und -organisationen eine deutliche Anlehnung an den Kameradschaftsbegriff. Zu nennen sind: die Renee-Kameradschaft-Deutschland oder auch die Mädelkameradschaft Tor Berlin.10

Was zunächst nach einem „Ansturm“ rechter Frauen klingt, ist hierbei als eine „kontinuierliche ‚aber nicht ‚explosionsartige’ Steigerung“11 innerhalb der letzten 15 Jahre zu verstehen. Als aktuelle Entwicklung hebt die Sozialwissenschaftlerin Renate Bitzan hervor, dass neben so genannten „Antifas“12 und Medien mittlerweile auch Politiker und Verfassungsschutzämter für geschlechterspezifische Aspekte sensibilisiert wurden.13 Dennoch, die anhaltende Diskrepanz zwischen medialen und wissenschaftlichen Einschätzungen einerseits, polizeilichen sowie innenpolitischen Einschätzungen andererseits, ist eindeutig. Während Wissenschaftler weibliche Neumitglieder innerhalb der NPD auf 30 Prozent sowie innerhalb von rechtsextremen Kameradschaften, Organisationen, Gruppierungen oder Cliquen auf 25 bis 30 Prozent beziffern, ist dieser Anteil von polizeilicher Seite aus nicht zu untermauern.14 Auch die Informationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfVS), wie beispielsweise die jährlich veröffentlichten Verfassungsschutzberichte (VSB), weisen keine geschlechterspezifische Unterscheidung auf. Rechtsextreme beziehungsweise rechtsorganisierte Frauen werden lediglich randläufig erwähnt. Der Fokus liegt personell gesehen auf männlichen Akteuren, die als Führungspersonen, Gewalttäter oder wichtige Kontaktpersonen im Szenevertrieb als demokratiegefährdend eingeschätzt werden. Dennoch existiert die latente Gefahr, die durch aktive rechtsextreme Frauen ausgeht, deutlich, auch durch thematischen Ausschluss respektive durch eine potentielle Unterschätzung. Frauen sind trotz geringerer Beteiligung in allen Facetten, Funktionen und Hierarchien der rechten Szene vertreten. Darüber hinaus spricht die aktuelle Rekrutierung von Frauen mittels frauenspezifischer Themen und Aktionsbereiche für eine entsprechende „Flexibilisierung und Modernisierung“ innerhalb der rechten Szene.15 Die Pädagogin und Expertin für Rechtextremismus Renate Feldmann deutet die aktuellen Entwicklungen wie folgt: „Ich glaube, dass viele Frauen selbst in die Szene rein wollen, in die Partei rein wollen. Einfach weil sie selbst so denken und fühlen und sich selbst als Teil ins Spiel bringen wollen, auch aktiv werden wollen […]. Frauen wollen es [die aktive Beteiligung], sie werden auch entdeckt, sie werden jetzt auch gelassen da drin. Das ist vielleicht eine Neuerung der letzten Zeit.“16

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit der Rolle der rechtsextremen Frau nach 1998 in Deutschland auseinander. Hierfür werden zum einen das Selbstbild beziehungsweise das Selbstverständnis der Frauen, der potentiell zunehmende gestalterische Einfluss im Zuge ihrer wachsenden Präsenz, wie auch die „strategische Modernisierung“ der Szene untersucht. Neben den anfänglich theoretischen Betrachtungen bezüglich der rechtsextremen Ideologie (Kapitel 2) liegt der Schwerpunkt der hier beabsichtigten Analyse auf den empirischen Teilen (Kapiteln 4 und 5), welche durch einzelne Aspekte bezüglich der geschlechterspezifischen Dimension eingeleitet werden (Kapitel 3). Den Hintergrund bildet dabei die Annahme eines Spannungsfeldes zwischen dem traditionellen bürgerlichen Frauenbild und den Veränderungen, die im Zuge sozialer Bewegungen wie der Frauenbewegung entstanden sind. Eine weitere Annahme ist, dass diese Entwicklungen rechtsextreme Akteure vor neue Herausforderungen hinsichtlich der Mitgliederrekrutierung stellen, da traditionell ideologische Vorstellungen rechtsextremer Männer mit den Veränderungen des Frauenbildes und des Selbstverständnisses von Frauen nur zu gewissen Anteilen zu vereinen sind. Anlass für meine Betrachtungen ist die Gründung der Frauenorganisation Ring Nationaler Frauen (2006), die als Unterorganisation der NPD fungiert. Zunächst soll der Frage nach einem möglichen ideologischen Wandel des Frauenbildes in der rechten Szene17 nachgegangen werden (Kapitel 4). Im Anschluss daran wird das rechtsextreme Frauenbild aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Hierzu stehen im ersten Teil Interviews mit rechtsorientierten Frauen18, im zweiten Teil die hierdurch angestrebte Außenwirkung sowie abschließend die mediale Reflexion von Frauen im Mittelpunkt. Ziel der analytischen Dreiteilung ist es, die verschiedenen Facetten des rechtsextremen Frauenbildes sowie Unterschiede anhand von Eigen- und Fremdkonstruktionen zu beleuchten. Grundsätzlich kann diesbezüglich der Sozialwissenschaftlerin Michaela Köttig zugestimmt werden, die folgendes festhält: „Es kann nicht von dem rechtsextremen Mädchen oder der rechtsextremen Frau gesprochen werden, da Mädchen und Frauen ein großes Spektrum an Funktionen, Orientierungen und Handlungsmustern abdecken.“19 Meine weiterführenden Fragen lauten hier: Welche Facetten an Frauenbildern existieren und welche möglichen Differenzen zwischen den verschiedenen zu veranschaulichenden Blickwinkeln sind feststellbar? In die Thematik einleitend sind im Folgenden einige Aspekte der geschlechterspezifischen Rechtsextremismusforschung sowie grundlegende Begriffe der vorliegenden Arbeit dargelegt.

Geschlechterspezifische Aspekte innerhalb der Rechtsextremismusforschung sind seit Beginn der 1990er Jahre als eigenes Untersuchungsfeld aufgegriffen worden. Einzelne Forschungspunkte sind unter anderen „Frauen und rechtsextremistisches Verhalten“ (Ursula Birsl20, Birgit Meyer21), „Anfälligkeitsmomente für Frauen“ (Kurt Möller22), „spezifische Äußerungsformen und Handlungsmuster“ (Christine Holzkamp/Birgit Rommelspacher23) sowie „Motive und Erklärung der Einstellungs- und Handlungsdiskrepanz“ (Gertrud Siller24).25 Trotz erwiesener geschlechterrelevanter Unterschiede wird das Forschungsfeld Rechtsextremismus weiterhin, vor allem gerade aufgrund der Gewaltproblematik, als „männliches Phänomen“ betrachtet. Während bisherige Studien zur ideologischen Einstellungsebene von Männern und Frauen weitestgehend vergleichbare Ergebnisse aufweisen, zeigen sich in den Handlungsbereichen Wahlverhalten, Organisiertheit, Straftaten oder auch Gewalttaten größere Diskrepanzen. Etwaige Vergleiche zur Freiheitlichen Partei Österreich (FPÖ) deuten jedoch auf tendenzielle Veränderungen des weiblichen Wahlverhaltens hin.26

Die allgemeine, aber dennoch grundsätzliche Frage lautet: Warum lassen sich Frauen auf rechtsextreme Ideologien ein? Dies lässt sich, wie auch bei Männern, weder eindeutig erklären noch monokausal begründen. Feministische Erklärungsansätze zu den Ursachen von Rechtsextremismus differenzieren sich allgemein in soziologische (Gertrud Siller27, Ursula Birsl28), kulturelle (Birgit Rommelspacher/Christine Holzkamp29) und gemischte Ansätze (Birgit Meyer30). Weitere Grundlagen liefern darüber hinaus die Biografieforschung (Michaela Köttig) ebenso wie die Diskurs- und Textanalyse (Renate Feldmann, Kirsten Döring).31 Bei der Beantwortung der oben gestellten Frage kann von einem Zusammenspiel biografischer wie auch gesellschaftlicher Faktoren in Verbindung mit Einflüssen aus dem sozialen Umfeld ausgegangen werden.32 Die realen Auswirkungen scheinen jedoch, folgt man der Aussage von Renate Feldmann, geschlechterunabhängig abzulaufen. Laut Feldmann gehen Frauen in die Szene, weil sie wie Männer oder Jungen „rassistisch denken, weil sie antisemitisch denken, weil sie in einer machtvollen Position sein wollen als weiße Deutsche gegenüber anderen Minderheiten.“33

Die empirische Grundlage dieser bisherigen Erklärungsansätze kann als schmal bezeichnet werden. Zu den ersten Versuchen, welche auf der Annahme eines homogenen Frauenbildes basieren, zählen die Göttinger Studie von Ursula Birsl34 und die polis Studie von Hilde Utzmann-Krombholz35. Weitere Aufschlüsse sowie Zweifel hinsichtlich des einseitigen Frauenbildes ergaben sich aus Interviews mit Frauen bei den Republikanern (Annette Skrzydlo/Nikola Wohllaib und Britta Büchner36). Eine umfangreichere empirische Studie anhand zahlreicher Zeitschriftenartikel rechtsextremer Publikationen aus den Jahren 1985 bis 1993 führte Renate Bitzan durch. Ergebnis dieser Untersuchung war, dass über das Verhältnis beider Geschlechter hinaus auch in anderen frauenspezifischen Thematiken – beispielsweise bezüglich der weiblichen Berufstätigkeit – verschiedene Positionen in der rechten Szene vertreten werden.37

Abschließend sei kurz auf elementare Begriffe dieser Arbeit eingegangen. Zur Beschreibung des hier zu untersuchenden Phänomens wird, in Abgrenzung zu alternativen Formulierungen wie „Neonazismus“ oder „Rechtsradikalismus“, die Bezeichnung „Rechtsextremismus“ favorisiert. Dieser Terminus ist grundsätzlich kein definierter Rechtsbegriff, sondern ein „Arbeitsbegriff“, welcher vor allem von Seiten des BfVS genutzt wird. In seiner Bedeutung können prinzipiell zwei Ebenen unterschieden werden: Einerseits „das Phänomen“, also der diskursive Anteil, andererseits aber auch die soziale und politische Praxis.38 Im Weiteren ist aufgrund des hier zu bearbeitenden Analysegegenstandes nur die zweite Definitionsebene erheblich. Zur inhaltlichen Ebene des Begriffes wird im anschließenden Kapitel Bezug genommen.

Der im Folgenden genutzte Begriff „rechte“ beziehungsweise „rechtsextreme Szene“ ist vielschichtig und umfasst die Gesamtheit an formellen wie informellen Strukturen, die Rechtextremismus charakterisieren. Dazu gehören nach dem hier beabsichtigten Verständnis: rechtsextreme Parteien, Organisationen, internationale Netzwerke, Kameradschaften, subkulturelle Erscheinungen, rechtsorientierte Verlage, Versandhäuser, diverse Internetforen und -seiten sowie Fanzines und Rechtsrock-Bands.39 Die Verwendung des Begriffs „Szene“ entspricht hierbei einer bewussten Differenzierung zwischen Kern und Umfeld rechtsextremer Strukturen.

Zum Schluss der Begriffserläuterungen sei kurz auf die vorgenommene Unterscheidung der Begriffe „Gruppierung“ und „Organisation“ verwiesen: „Gruppierung“ ist im Folgenden die Bezeichnung für eine informelle Gruppe mit größtenteils „Face to face“-Beziehungen. „Organisationen“ kennzeichnen sich neben informellen auch durch formale Strukturen, wie Mitgliedschaften oder Eintritts- und Austrittskonditionen.

1 Heike, in: Hofmann (2003), S. 34. Hier und i.F. werden Zitate aus rechtsextremen Quellen kursiv und im Original, mit Rechtschreib- und Grammatikfehlern, wiedergegeben. Für nachzitierte Aussagen wird keine separate Kennzeichnung angewendet, jedoch die Anmerkung mit dem Hinweise „zitiert nach“ versehen.

2 Tanja Privenau im Interview mit Monika Schmidtke, in: Schmidtke, Monika: „Ich habe Steine geworfen“, TAZInterview, erschienen am 09.05.2009 (Online-Zugriff am 27.05.2009).

3 Röpke (2005-a), S. 6.

4 Der Begriff „Fanzine“ stammt von den englischen Wörtern für Fan und Magazin und steht für szeneinterne Magazine, die mit diversen Schwerpunkten über subkulturelle Musik, Veranstaltungen und Ähnliches berichten.

5 „Lola für Lulu“ ist ein Projekt der Amadeu Antonio Stiftung und richtet sich explizit an Mädchen und Frauen aus dem Landkreis Ludwigslust (Mecklenburg-Vorpommern). Ziel des Projektes ist es, aktives Engagement gegen Rechtsextremismus zu fördern sowie Aussteigerinnen der rechten Szene zu unterstützen. Vgl.: Lola für Lulu (2009).

6 Geschlecht bzw. geschlechterspezifisch meint hier und i.F. das soziale Geschlecht oder die spezifische Geschlechterrolle des oder der Einzelnen.

7 Antifa Frauennetzwerk (2005), S. 9.

8 Zum Begriff „Frauenschaften“ auch in Abgrenzung zum Begriff der „Kameradschaften“ siehe Kapitel 3.3.

9 Vgl.: Antifa Frauennetzwerk (2005), S. 11.

10 Siehe hierzu auch die Tabelle der einzelnen Frauengruppierungen und -organisationen im Kapitel 3.3.

11 Bitzan (2007), S. 23.

12 Die Abkürzung „Antifas“ steht für „Antifaschisten“ und wird für Akteure des linken Spektrums verwendet.

13 Vgl.: Bitzan (2007), S. 23.

14 Vgl.: BKA (2009).

15 Vgl.: Antifa Frauennetzwerk (2005), S. 9.

16 Renate Feldmann im Interview, Röpke Film (2006/2007), Zitat entstammt der 11. Filmminute.

17 Als Frauenbild wird hier und i.F. ein von Männern wie Frauen vorgestelltes Verständnis der sozialen Rolle der Frau (beispielsweise traditionell-konservativ, modern oder gemischt) bezeichnet.

18 Die verwendeten Interviews basieren auf Sekundärliteratur und wurden für die Analyse ausgewertet.

19 Köttig (2006), S. 258.

20 Für ergänzende Informationen: Birsl, Ursula: Frauen und Rechtsextremismus, in: Aus der Politik und Zeitgeschichte, Bonn 1991.

21 Für ergänzende Informationen: Meyer, Birgit: Mädchen und Rechtsradikalismus, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 5, Berlin 1991, S. 601-611.

22 Für ergänzende Informationen: Möller, Kurt: Geschlechtsspezifische Aspekte der Anfälligkeit für Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: Institut Frau und Gesellschaft, H. 2, Hannover 1991, S. 27-49.

23 Für ergänzende Informationen: Holzkamp, Christine/Rommelspacher, Birgit: Frauen und Rechtsextremismus, in: päd extra &Jugend, H. 3, [keine Angabe zum Ort] 2000, S. 9-23.

24 Für weitere Informationen: Siller, Gertrud: Junge Frauen und Rechtsextremismus. Zum Zusammenhang von weiblichen Lebenserfahrungen und rechtsextremistischen Gedankengut, in: deutsche jugend, 39. Jg., H. 1, Weinheim 1991, S. 23-32; Ebd.: Das Verhältnis von Frauen zu Rechtsextremismus und Gewalt. Theoretische Vorüberlegungen für eine weiterführende Analyse, in: Otto, Hans-Uwe/Merten, Roland (Hrsg.): Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland. Jugendprobleme in gesellschaftlichen und biographischen Umbruchsituationen, Bonn 1993.

25 Vgl.: Siller (1994), S. 151 f.

26 So verweist Amesberger auf eine tendenzielle Steigerung der Wählerinnen in Deutschland von etwa einem Drittel auf 40 Prozent und unterstützt diese Beobachtung mit dem Wachstum der absoluten Wählerinnen bei der FPÖ. Vgl.: Amesberger (2002), S. 40 f.

27 Für ergänzende Informationen siehe Anmerkung 24.

28 Für ergänzende Informationen: Birsl, Ursula: Rechtsextremismus: weiblich – männlich? Eine Fallstudie, Opladen 1994; Ebd.: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Reagieren Frauen anders? Zur theoretischen Verortung der Kategorie Geschlecht in der feministischen Rechtsextremismus-Forschung, in: Falter, Jürgen W. (u.a. Hrsg.): Rechtsextremismus. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung. Sonderheft 27 der Politischen Vierteljahresschrift, Opladen 1996, S. 49-65.

29 Für ergänzende Informationen: Rommelspacher, Birgit: Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und Macht, Berlin 1995; Holzkamp, Ute/Rommelspacher, Birgit: Frauen und Rechtsextremismus – Wie sind Mädchen und Frauen verstrickt?, in: päd extra und demokratische Erziehung 1, Hamburg 1991.

30 Für ergänzende Informationen: Meyer, Birgit: Haben Frauen in Deutschland die Wahl? Die Frauenpolitik der Parteien im vergangenen Jahrzehnt, in: Renner-Institut (Hrsg.): Frauen-Dok 3, Wien 1998, S. 10-20.

31 Vgl.: Amesberger (2002), S. 46 und Bitzan (2002), S. 96.

32 Vgl.: Bitzan (2007), S. 23.

33 Renate Feldmann im Interview, Röpke Film (2006/2007), Zitat entstammt der 4. Filmminute.

34 Siehe Anmerkung 28 (erste ergänzende Information).

35 Die Studie wurde 1994 von Hilde Utzmann-Krombolz im Auftrag des Ministeriums für Gleichstellung von Frau und Mann des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) gefertigt; Titel der Studie: Rechtsextremismus und Gewalt. Affinitäten und Resistenzen von Mädchen und jungen Frauen. Ergebnisse einer Studie.

36 Für ergänzende Informationen vgl. Büchner (1995) und Skrzydlo (1996).

37 Vgl.: Bitzan (2000), S. 10f.

38 Vgl.: Klärner (2006), S. 12 ff.

39 Vgl.: Grumke (2002-b), S. 47.

2 Rekonstruktion des rechtsextremen Weltbildes

Als theoretische Grundlage der weiteren Kapitel wird an folgender Stelle eine Rekonstruktion des rechtsextremen Weltbildes anhand einzelner Aspekte rechtsextremer Ideologie vorgenommen. Zunächst zur Konkretisierung spezifischer Begrifflichkeiten: Der Ausdruck „Weltbild“ wird gemeinhin oftmals mit Termini wie „Weltanschauung“ oder „Ideologie“ synonym für ein und denselben Zusammenhang verwendet. Aufgrund der mangelnden Relevanz für die anschließende Analyse wird an dieser Stelle auf eine spezifische Differenzierung verzichtet. Im Weiteren soll vielmehr unter Weltbild die Gesamtheit der „Objekte, die für ein Bewusstsein, Wissen, Denken oder praktische Haltung existieren mitsamt den zwischen diesen Objekten bestehenden Relationen“40 verstanden werden. Als Ausgangspunkt des rechtsextremen Weltbildes kann dabei die rechtsextreme Ideologie betrachtet werden, welche durch unterschiedliche Facetten (Antisemitismus, Verständnis als „Volksgemeinschaft“, etc.) die spezifischen Ansichten sowie jeweiligen Handlungen des zugehörigen Anhängerkreises bestimmen. Die rechtsextreme Ideologie sowie das rechtsextreme Weltbild als dessen Konstrukt grenzen sich hierbei von anderen Denkstrukturen wie Ansichten ab. Das heißt letztlich auch, dass ein Weltbild nicht zwingend die Existenz anderer Weltbilder negiert.

Aufgrund der zentralen Rolle rechtsextremer Ideologie wird nach einer allgemeinen Erläuterung des Wortes „Ideologie“ auf die inhaltlichen Komponenten rechtsextremer Ideologie eingegangen.

Zur Erläuterung des Begriffs „Ideologie“: Die Bezeichnung „Ideologie“ geht auf den Aufklärer Destutt de Tracy zurück, welcher unter diesem Wort die „Lehre von Ideen“ verstand. Grundsätzlich bietet der Begriff „Ideologie“ keine allgemeingültige Definition und keinen generellen Erklärungsansatz, sondern lässt als „Diskursphänomen“ zahlreiche, teilweise auch konträre Bedeutungsmöglichkeiten zu. Neben einer in der Regel neutralen Verwendung des Terminus als „weltanschauliches System von Überzeugungen“41, herrschen gelegentlich negative Assoziationen vor. Ideologie wird dementsprechend als „falsches Bewusstsein“ gedeutet, in dem die dogmatische Auslegung eines weltanschaulichen Systems im Vordergrund steht.42 Der Begriff „Ideologie“ impliziert somit zumeist zwei Bedeutungsebenen: Einerseits die Verwendung als „analytisches Instrument“, andererseits die Auslegung als „politische Angriffswaffe“.43 Resultat der möglichen Deutungen ist demzufolge eine Reihe von Definitionen, die je nach Interesse beziehungsweise „Stoßrichtung“ nebeneinander stehen.

Weiterhin sind drei Deutungsmöglichkeiten des Ideologiebegriffes zu unterscheiden: Zum einen die Verwendung des Terminus als „relativ geschlossenes Dogmensystem von Wert- und Ordnungsvorstellungen“44, welches im Sinne der Obrigkeiten als richtiges Bewusstsein gerechtfertigt, jedoch von Seiten der Untergebenen als „falsches Bewusstsein“ gedeutet wird. Neben diesem Konzept, welches unter anderem von marxistischer Seite aus vertreten wird, steht als zweite Deutung der „totale Ideologiebegriff“ von Karl Mannheim.45 Die dritte Definition stellt die eigenen Ideen und Überzeugungen in Opposition zu gegnerischen Konzepten. Demnach werden diese als grundlegend falsch diffamiert und eigene Ideen positiv und grundlegend richtig hervorgehoben. Ideologie wird in diesem Fall zu einem Bestandteil der direkten „Bewusstseinsmanipulation“, wie beispielsweise im Leninismus und Nationalsozialismus.

Um eine ausreichende Überzeugungskraft und Attraktivität auf Menschen ausstrahlen zu können, ist es für ideologische Konzepte existenziell wichtig – unabhängig von ihrem Gehalt an Wahrheit oder Fiktion – einen gewissen Realitätsbezug aufzuweisen. Indem innerhalb weltanschaulicher Systeme reale Wünsche und Bedürfnisse des alltäglichen Lebens aufgegriffen werden, ergeben sich entsprechende Anreize, sich diesen Ideen anzuschließen beziehungsweise sich mit diesen Ideen zu identifizieren. Dabei können spezifische Ansichten jeglicher Logik und Wahrheit widersprechen.46 Das heißt, dass Ideologien respektive ideologische Aussagen auf der einen Seite einen realistischen Bezug aufzeigen müssen, auf der anderen Seite oftmals auch „Falschheit, Verzerrung und Mystifizierung“47 beinhalten.

Am Beispiel des Nationalsozialismus wird ersichtlich, dass Staatsideologien letztlich so weit reichen können, dass einerseits die totale Ausgrenzung des vermeintlich „Anderen“, andererseits die Legitimierung der dafür verwendeten Mittel (so zum Beispiel Verfolgung, systematische Ermordung oder Genozid) als „ideologisch“ gerechtfertigt und dementsprechend verteidigt werden.

2.1. Elemente rechtsextremer Ideologie

„Wenn man […] fragt, wofür sind Rechte: Dann geht es immer um die ‚Sache’. Die ‚Sache’ ist die deutsche Volksgemeinschaft, dafür kämpft man. Es geht darum, deutsche Rechte durchzusetzen. Dabei schwingt immer mit, dass das ‚Dritte Reich’ verraten wurde – auch durch die Besatzungsmächte. Es geht um die eigentliche Wahrheit. Und die eigentliche Wahrheit ist die Wahrheit des ‚Dritten Reiches’.“48

Wie anhand des Zitates ersichtlich wird, bildet gegenwärtig wie bereits auch zu Zeiten des Nationalsozialismus das Streben nach der „Volksgemeinschaft“ die ideologische Grundlage der rechten Szene. Die Ausrichtung auf eine „arische Gemeinschaft“ impliziert dabei nahezu alle verschiedenen Merkmale rechtsextremer Ideologie. Diese stellen jedoch, im Gegensatz zu anderen ideologischen Anschauungen wie dem Kommunismus, kein in sich geschlossenes politisches Weltbild dar. Versuche theoretischer Ansätze zur Schaffung einer umfassenden Ideologie wurden unter Schlagworten wie „artgerechtes Denken“ oder auch „Nationale Volksdemokratie“ bislang in verschiedenen Anläufen erfolglos initiiert.49

Als ideologische Merkmale des Rechtsextremismus sind nach dem Politologen Armin Pfahl-Traughber folgende zu nennen: 1. Die Ablehnung des Gleichheitsanspruches, 2. die „Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit“, 3. „antipluralistisches und identitäres Gesellschaftsverständnis“ sowie 4. Autoritarismus.50 Die hier erwähnten Kategorien sind dabei lediglich beispielhaft, da je nach Forschungsschwerpunkt oder Fragestellungen unterschiedliche Merkmale ausgewählt und akzentuiert werden. Darüber hinaus sind auch innerhalb der fragmentierten rechten Szene selbst deutliche Unterschiede bei einzelnen Kategorien sichtbar. So orientieren sich Neonazis stärker am Begriff der „Rasse“, während rechtsextreme Parteien eher „die Nation“ in den Fokus stellen.51 Neuere inhaltliche Entwicklungen des Spektrums reichen vor allem auf die Intellektualisierungsbestrebungen der „Neuen Rechten“52 zurück. So werden ideologische Standpunkte ergänzend unter dem Blickwinkel des Ethnopluralismus53, der Kapitalismuskritik oder ökologischer Fragen betrachtet. Veränderungen in der rechten Szene zeigen sich auch in Betrachtungen zu Internationalität, in deren Folge Nation vordergründig mit „Rasse“ statt mit politischen Grenzen gedeutet wird. Ausdruck dieser Haltung sind Vorstellungen, die die Integration slawischer Völker in eine „pan-arische Rasse“ anstreben.54