KEITH LOWE

DER WILDE
KONTINENT

EUROPA IN DEN JAHREN DER
ANARCHIE 1943–1950

Aus dem Englischen übersetzt von
Stephan Gebauer und Thorsten Schmidt

Klett-Cotta

Impressum

Mit 29 Abbildungen im Tafelteil

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»Savage Continent. Europe in the Aftermath of World War II«

im Verlag Viking (Penguin Books), London 2012

© Keith Lowe 2012

Für die deutsche Ausgabe

© 2014 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH,
gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Redaktion: Monika C. Müller, Friedrichsdorf (Ts.)

Umschlag: Rothfos & Gabler, Hamburg

Unter Verwendung des Fotos »Vue de Coventry« von © Rue des Archives/Tallandier

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-96039-6

E-Book: ISBN 978-3-608-10758-6

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in dr Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Für Vera

INHALT

EINLEITUNG

TEIL 1 – DAS ERBE DES KRIEGES

1. KAPITEL Die Zerstörung der dinglichen Welt

2. KAPITEL Abwesenheit

3. KAPITEL Vertreibung

4. KAPITEL Hunger

5. KAPITEL Moralische Zerstörung

6. KAPITEL Hoffnung

7. KAPITEL Die Landschaft des Chaos

TEIL 2 – RACHE

8. KAPITEL Blutdurst

9. KAPITEL Die befreiten Lager

10. KAPITEL Gezügelte Rache: Zwangsarbeiter

11. KAPITEL Deutsche Kriegsgefangene

12. KAPITEL Entfesselte Rache: Osteuropa

13. KAPITEL Der Feind im Innern

14. KAPITEL Rache an Frauen und Kindern

15. KAPITEL Der Zweck der Rache

TEIL 3 – ETHNISCHE SÄUBERUNG

16. KAPITEL Vor die Wahl gestellt

17. KAPITEL Die Flucht der Juden

18. KAPITEL Die ethnische Säuberung Polens und der Ukraine

19. KAPITEL Die Vertreibung der Deutschen

20. KAPITEL Ein europäischer Mikrokosmos: Jugoslawien

21. KAPITEL Westliche Toleranz, östliche Intoleranz

TEIL 4 – BÜRGERKRIEG

22. KAPITEL Kriege in Kriegen

23. KAPITEL Politische Gewalt in Frankreich und Italien

24. KAPITEL Der griechische Bürgerkrieg

25. KAPITEL Ein Kuckucksei im Nest: Der Kommunismus in Rumänien

26. KAPITEL Die Unterjochung Osteuropas

27. KAPITEL Der Widerstand der »Waldbrüder«

28. KAPITEL Der Spiegel des Kalten Krieges

SCHLUSS

ANHANG

Danksagung

Anmerkungen

Abbildungsverzeichnis

Bildnachweis

Quellen

Personen- und Ortsregister

KARTEN

1. Gebietsveränderungen in Europa, 1945–1947

2. Die Kriegstoten in Europa, 1939–1945

3. Der Archipel der deutschen Konzentrationslager

4. Vertriebenenlager in Deutschland, Österreich und Norditalien

5. Die Flucht der Juden nach Palästina

6. Die Vertreibung der Deutschen

7. Schauplätze von Massakern in Jugoslawien, 1945

8. Von der Résistance bis zum 23. August 1944 eigenständig befreite Gebiete

9. Italien, 1945–1946

10. Von den Partisanen kontrollierte Gebiete Griechenlands, 1944

11. Die baltischen Länder

12. Die Teilung Europas im Kalten Krieg

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EINLEITUNG

Versuchen Sie sich eine Welt vorzustellen, in der es keine Institutionen gibt. Es ist eine Welt, in der sich die Grenzen zwischen den Ländern anscheinend aufgelöst haben. Menschen durchstreifen das grenzenlose Land auf der Suche nach Gemeinschaften, die nicht mehr existieren. Es gibt keine Verwaltungen mehr, weder nationale noch lokale. Es gibt keine Schulen und Universitäten, keine Bibliotheken und Archive mehr. Die Menschen haben keinerlei Zugang mehr zu Informationen. Es gibt keine Kinos oder Theater und natürlich auch kein Fernsehen. Das Radio funktioniert gelegentlich, aber das Signal ist schwach und die Sendungen, die man hören kann, sind fast immer in einer fremden Sprache. Eine Zeitung hat seit Wochen niemand mehr in der Hand gehabt. Es fahren keine Züge oder Autos, man kann weder telefonieren noch Telegramme verschicken, die Postämter sind alle verwaist – abgesehen von dem, was mündlich weitergeben wird, ist die Kommunikation unmöglich.

Es gibt keine Banken mehr, was jedoch keine Rolle spielt, da das Geld ohnehin wertlos ist. Es gibt keine Läden, denn niemand hat irgendetwas zu verkaufen. Es wird nichts mehr produziert: Die großen Fabriken und Unternehmen wurden alle zerstört oder stillgelegt, und auch die meisten anderen Gebäude stehen nicht mehr. Es gibt keine Werkzeuge außer denen, die man im Schutt findet. Es gibt keine Nahrung.

Recht und Ordnung existieren praktisch nicht mehr, denn es gibt weder Sicherheitskräfte noch ein Justizsystem. In einigen Gebieten scheinen die Menschen nicht mehr zu wissen, was Recht und was Unrecht ist. Sie eignen sich an, was greifbar ist, ohne darüber nachzudenken, wem es gehört, denn sie haben offenbar keine Vorstellung mehr vom Eigentum. Wer etwas besitzen darf, hängt davon ab, wer der Stärkere ist und es mit seinem Leben verteidigen wird. Bewaffnete Männer ziehen durch die Straßen, nehmen sich, was sie wollen, und bedrohen jeden mit dem Tod, der sich ihnen in den Weg stellt. Frauen aus allen Gesellschaftsschichten und jeden Alters prostituieren sich für Nahrung und Schutz. Die Menschen haben jedes Schamgefühl verloren und kümmern sich nicht mehr um moralische Normen. Es zählt nur das nackte Überleben.

Heute scheint es uns, als könnte es eine solche Welt nur in der Phantasie von Hollywood-Drehbuchautoren geben. Aber noch heute leben hunderttausende Menschen, die vor einigen Jahrzehnten tatsächlich unter solchen Bedingungen ihr Dasein fristen mussten – und zwar nicht in einem abgelegenen Winkel der Erde, sondern im Herzen jener Region, die seit Jahrzehnten als stabilste und am höchsten entwickelte der Welt gilt. In den Jahren 1944 und 1945 versanken weite Teile Europas für Monate im Chaos. Der Zweite Weltkrieg – der vermutlich zerstörerischste Krieg in der Menschheitsgeschichte – hatte nicht nur die materielle, sondern auch die institutionelle Infrastruktur verwüstet, die die Länder des Kontinents zusammenhielt. Die politischen Systeme waren so vollkommen zusammengebrochen, dass amerikanische Beobachter vor der Möglichkeit eines europaweiten Bürgerkriegs warnten.1 Die gezielte Zerstückelung der Gemeinschaften im Krieg hatte ein unüberwindliches Misstrauen zwischen Nachbarn gesät, und für die hungernden Menschen hatte die persönliche Moralität jegliche Bedeutung verloren. »Europa«, erklärte die New York Times im März 1945, »befindet sich in einem Zustand, den ein Amerikaner unmöglich verstehen kann.« Dies war »der neue dunkle Kontinent«.2

Dass es Europa gelang, sich aus seinen Trümmern zu erheben und sich wieder in einen wohlhabenden, toleranten Kontinent zu verwandeln, wirkt tatsächlich wie ein Wunder. Angesichts der großen Leistungen des Wiederaufbaus – es wurden Straßen, Eisenbahnen, Fabriken, ja ganze Städte wiederhergestellt – könnte man meinen, die Nachkriegszeit sei eine makellose Erfolgsgeschichte gewesen. Nicht weniger beeindruckend war die politische Wiedergeburt im Westen Europas, insbesondere die Rehabilitierung Deutschlands, das sich innerhalb weniger Jahre von einem Ausgestoßenen in ein verantwortungsbewusstes Mitglied der europäischen Familie verwandelte. In den Jahren nach dem Krieg erwachte auch der Wunsch nach internationaler Zusammenarbeit, die Wohlstand und Frieden bringen sollte. Mittlerweile werden die Jahrzehnte seit 1945 als die längste Friedenszeit in Europa seit dem Römischen Reich gepriesen.

Es ist nicht verwunderlich, dass jene Autoren, die sich mit der Nachkriegszeit beschäftigen, seien sie Historiker, Staatsmänner oder Wirtschaftswissenschaftler, von einer Ära sprechen, in der sich Europa wie Phönix aus der Asche erhob. In dieser Darstellung endeten mit dem Krieg nicht nur Unterdrückung und Gewalt, sondern es begann auch eine spirituelle, moralische und wirtschaftliche Wiedergeburt des ganzen Kontinents. Die Deutschen bezeichnen die Monate nach Kriegsende als »Stunde Null«: Sie machten reinen Tisch und fingen von vorne an.

Aber man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass die Nachkriegsgeschichte unmöglich so schön gewesen sein kann. Zunächst einmal war der Krieg nicht einfach vorbei, als Hitler besiegt war. Es dauerte Monate, wenn nicht Jahre, um einen Konflikt von den Ausmaßen des Zweiten Weltkriegs zu beenden, der zahlreiche kleinere innere Auseinandersetzungen nach sich gezogen hatte. Und der Krieg endete in verschiedenen Teilen Europas zu verschiedenen Zeitpunkten. Zum Beispiel war er in Sizilien und Süditalien im Herbst 1943 praktisch vorbei. In Frankreich endete er für den Großteil der Zivilbevölkerung ein Jahr später, im Herbst 1944. Hingegen gingen die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Teilen Osteuropas noch lange nach dem Ende der europäischen Kampfhandlungen am 8. Mai 1945 weiter. In Jugoslawien kämpften Titos Truppen noch mindestens bis zum 15. Mai gegen deutsche Einheiten. In Griechenland, Jugoslawien und Polen tobten die durch die Interventionen Hitler-Deutschlands ausgelösten Bürgerkriege noch mehrere Jahre, nachdem der große Konflikt in Europa beendet war. In der Ukraine und im Baltikum setzten nationalistische Partisanen ihren Kampf gegen die sowjetischen Truppen bis in die fünfziger Jahre fort.

Manche Polen sind der Ansicht, der Zweite Weltkrieg habe eigentlich erst vor wenigen Jahren geendet. Da der Konflikt offiziell mit dem Einmarsch deutscher und sowjetischer Truppen in Polen begann, war er in ihren Augen erst vorüber, als im Jahr 1989 der letzte sowjetische Panzer das Land verließ. In den baltischen Ländern wird die Geschichte ähnlich betrachtet: Im Jahr 2005 lehnten die Präsidenten Estlands und Litauens eine Einladung ab, in Moskau an einer Feier anlässlich des 60. Jahrestags des Kriegsendes in Europa teilzunehmen. Sie begründeten ihre Weigerung damit, dass ihre Länder erst Anfang der neunziger Jahre befreit worden seien. Berücksichtigt man auch den Kalten Krieg, der eigentlich ein andauernder Konflikt zwischen Ost- und Westeuropa war, sowie mehrere nationale Erhebungen gegen die sowjetische Hegemonie in Osteuropa, so stellt man fest, dass die Behauptung, die Nachkriegszeit sei eine Ära des stabilen Friedens gewesen, maßlos übertrieben ist.

Gleichermaßen zweifelhaft ist die Vorstellung von der »Stunde Null«. Mit Sicherheit wurde kein reiner Tisch gemacht, so sehr es sich die deutschen Politiker auch wünschen mochten. Der Krieg löste Wellen der Rache und Umverteilung aus, die sämtliche Bereiche des europäischen Lebens erfassten. Staaten verloren Gebiete und Vermögen, in Verwaltungen und Institutionen fanden Säuberungen statt, und ganze Gemeinschaften sahen sich dem Terror ausgesetzt, weil man sie kollektiv für Übeltaten während des Krieges verantwortlich machte. Zivilisten wurden Opfer furchtbarer Rache. In ganz Europa wurden Deutsche misshandelt, verhaftet, versklavt oder einfach ermordet. Soldaten und Polizisten, die mit den Nationalsozialisten kollaboriert hatten, wurden festgenommen und gefoltert. In den im Krieg von der Wehrmacht besetzten Ländern wurden Frauen, die sich mit deutschen Soldaten eingelassen hatten, nach der Befreiung nackt ausgezogen, kahlgeschoren, mit Teer übergossen und durch die Straßen getrieben. Millionen deutsche, ungarische und österreichische Frauen wurden vergewaltigt. Statt reinen Tisch zu machen, wurde nach dem Krieg lediglich das Ressentiment zwischen ethnischen Gruppen und Nationen vertieft, und oft schwelt diese Feindseligkeit noch heute.

Auch begann mit dem Kriegsende keine neue Ära der ethnischen Harmonie in Europa. In Teilen des Kontinents verschärften sich die Spannungen zwischen den Volksgruppen sogar noch. Die Juden wurden weiter verfolgt. Überall richtete sich die nationalistische Politik einmal mehr gegen die Minderheiten, und an manchen Orten führte der so geweckte Hass zu Gräueln, die nicht weniger abscheulich waren als die der Nationalsozialisten. In den Jahren nach dem Krieg wurden die Bemühungen des NS-Regimes fortgesetzt, die verschiedenen ethnischen Gruppen zu kategorisieren und voneinander zu trennen. In den Jahren 1945 bis 1947 wurden mehrere Millionen Menschen aus ihren Heimatländern vertrieben. Diese ethnischen Säuberungen zählen zu den größten der Geschichte. Darüber sprechen die Bewunderer des »europäischen Wunders« nur selten, was vor allem daran liegt, dass die wenigsten von ihnen verstehen, was damals wirklich geschah. Selbst jene, denen die Vertreibung der Deutschen bekannt ist, wissen wenig über ähnliche Schicksale anderer Minderheiten in Osteuropa. Die kulturelle Vielfalt, die Europa vor und sogar noch während des Krieges ausgezeichnet hatte, wurde erst endgültig zerstört, als der Krieg schon beendet war.

Umso bemerkenswerter ist, dass der Wiederaufbau Europas inmitten all dieser Wirren beginnen konnte. Aber so wie sich das Ende des Krieges über Jahre hinzog, dauerte es auch lange, bis der Wiederaufbau in Gang kam. Die Menschen, die in den Trümmern der europäischen Städte lebten, waren so beschäftigt mit dem täglichen Überlebenskampf, dass sie kaum Zeit hatten, die Fundamente der Gesellschaft zu reparieren. Sie waren hungrig, gezeichnet vom Verlust und verbittert nach den Jahren des Leidens. Bevor man sie bewegen konnte, mit dem Wiederaufbau zu beginnen, brauchten sie Zeit, um ihrer Wut Luft zu machen, nachzudenken und zu trauern.

Auch die neuen Verwaltungen, die überall in Europa ihre Tätigkeit aufnahmen, brauchten Zeit, um sich zu etablieren. Anfangs war nicht daran zu denken, die Trümmer wegzuräumen, die Eisenbahnlinien instand zu setzen oder die Fabriken wieder in Betrieb zu nehmen. Zuerst mussten in den einzelnen Verwaltungsgebieten Vertreter ernannt und Gremien eingerichtet werden. Diese Gremien mussten dann das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen, die im Lauf von sechs Jahren der organisierten Grausamkeit gelernt hatte, den Kontakt mit öffentlichen Einrichtungen zu vermeiden. Unter diesen Umständen war es wenig mehr als ein Wunschtraum, Recht und Ordnung wiederherzustellen, geschweige denn, dass man darüber nachdenken konnte, das eigene Land wieder aufzubauen. Nur Einrichtungen, die von außen kamen – die alliierten Militärverwaltungen, die Vereinten Nationen, das Rote Kreuz –, hatten die Befugnis oder die Mittel, um das zu bewerkstelligen. Dort, wo solche Einrichtungen fehlten, herrschte das Chaos.

***

Die Geschichte Europas in den ersten Nachkriegsjahren war daher nicht in erster Linie eine Geschichte des Wiederaufbaus. Zunächst war es eine Geschichte des Abstiegs in die Anarchie. Diese Geschichte ist nie richtig erzählt worden. In Dutzenden vorzüglichen Büchern wurden die Geschehnisse in einzelnen Ländern – insbesondere in Deutschland – beschrieben, aber das Gesamtbild betrachtete keiner der Autoren: Überall auf dem Kontinent wiederholte sich dieselbe Geschichte. Einige wenige Autoren – ein Beispiel ist Tony Judt (Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart) – zeichnen ein umfassenderes Bild des Kontinents, aber da sie einen sehr viel längeren Zeitraum behandeln, müssen sie die Geschehnisse in den ersten Nachkriegsjahren in wenigen Kapiteln zusammenfassen. Meines Wissens gibt es kein Buch in irgendeiner Sprache, in dem genau beschrieben wird, was in dieser wichtigen und turbulenten Zeit überall in Europa geschah.

In diesem Buch versuche ich, diese Lücke teilweise zu schließen. Anders als vielen anderen Autoren geht es mir nicht darum zu erklären, wie sich der Kontinent schließlich aus den Trümmern erhob und den materiellen, wirtschaftlichen und moralischen Wiederaufbau in Angriff nahm. Ich werde mich nicht auf die Nürnberger Prozesse, den Marshall-Plan oder andere Versuche konzentrieren, die vom Krieg aufgerissenen Wunden zu heilen. Vielmehr handelt dieses Buch von einer Zeit, in der diese Versuche zur Wiederherstellung des zerstörten Europa noch undenkbar waren, von einer Zeit, in der weite Teile des Kontinents noch extrem instabil waren und die Gewalt beim geringsten Anlass erneut auszubrechen drohte. In gewissem Sinn versucht dieses Buch das Unmögliche: die Beschreibung des Chaos. Um das zu bewerkstelligen, werde ich verschiedene Bestandteile der Anarchie herausgreifen und versuchen, sie verschiedenen Themen zuzuordnen.

Zunächst werde ich zeigen, was genau im Krieg zerstört wurde. Nur wenn wir uns ein Bild von der dinglichen und moralischen Zerstörung machen, können wir die folgenden Geschehnisse verstehen. In Teil II beschreibe ich die Welle der Rache, die über den Kontinent rollte, und erkläre, wie dieses Phänomen für politische Zwecke manipuliert wurde. Die Rache ist ein ständiges Thema dieses Buchs, und wenn wir die Atmosphäre im Europa der Nachkriegszeit verstehen wollen, müssen wir uns ein Bild davon machen, wie Rache funktioniert und zu welchen Zwecken sie in jener Zeit eingesetzt wurde. In den Teilen III und IV gehe ich der Frage nach, was geschah, als sich Rache und andere Formen der Gewalt ungehindert entfalten konnten. Die ethnischen Säuberungen, die politische Gewalt und die Bürgerkriege jener Zeit zählen zu den umwälzenden Ereignissen in der Geschichte Europas. Ich werde meine These erläutern, dass diese Entwicklungen tatsächlich die letzten Zuckungen des Zweiten Weltkriegs waren – und in vielen Fällen fast nahtlos in den Kalten Krieg übergingen. Daher geht es in diesem Buch im Wesentlichen um die Jahre 1944 bis 1949.

Eines meiner wichtigsten Ziele ist es, mich von der auf die westliche Welt beschränkten Darstellung dieser Zeit zu lösen. Jahrzehntelang haben sich die Autoren, die sich mit den Folgen des Weltkriegs beschäftigt haben, auf die Geschehnisse in Westeuropa konzentriert, was vor allem daran lag, dass Informationen über den Osten sogar östlich des Eisernen Vorhangs schwer zugänglich waren. Seit dem Zerfall der Sowjetunion und der Befreiung ihrer Satellitenstaaten hat sich die Informationslage gebessert, aber das Bild der Nachkriegszeit ist weiterhin unscharf. Eigentlich ist diese Zeit nur in Fachbüchern und historischen Zeitschriften behandelt worden, und diese Arbeiten liegen oft nur in der Muttersprache des Autors vor. Polnische, tschechische und ungarische Autoren haben wichtige Pionierarbeit geleistet, aber ihre Untersuchungen liegen eben nur in polnischer, tschechischer oder ungarischer Sprache vor. Und diese Arbeiten sind zumeist für ein akademisches Publikum bestimmt – womit wir bei einem weiteren Ziel dieses Buches sind: Ich möchte einem breiten Publikum die Möglichkeit geben, sich ein Bild von dieser Zeit zu machen.

Das letzte und vielleicht wichtigste Ziel dieses Buchs ist es, meinen Lesern einen Weg durch das Labyrinth der Mythen zu weisen, die über die Nachwirkungen des Kriegs verbreitet worden sind. Bei einer genaueren Untersuchung zeigt sich, dass viele »Massaker« sehr viel weniger dramatisch waren als in den bekannten Darstellungen. Auf der anderen Seite wurden einige schockierende Gräuel vertuscht oder verschwanden einfach im Strudel wichtigerer historischer Vorgänge. In einigen Fällen wird es vermutlich nie gelingen, die ganze Wahrheit ans Licht zu bringen. Aber wir können zumindest einige Unwahrheiten entlarven.

Eine besondere Plage ist in meinen Augen die Vielzahl ungenauer und nicht fundierter Statistiken, die regelmäßig in Diskussionen über diese Zeit zitiert werden. Die statistischen Daten spielen eine wichtige Rolle, denn sie eignen sich sehr gut, um politische Ziele zu erreichen. In einigen Ländern werden die Verbrechen der Nachbarländer regelmäßig übertrieben, sei es, um die Aufmerksamkeit von den eigenen Verbrechen abzulenken oder die nationalen Bestrebungen voranzutreiben. Parteien jeder Couleur lenken gerne die Aufmerksamkeit auf die Schandtaten ihrer politischen Gegner, während sie die Verbrechen ihrer Verbündeten herunterspielen. Auch mancher Historiker neigt zur Übertreibung oder pickt aus einer Vielzahl verfügbarer Daten die eindrucksvollste Zahl heraus, um seine Darstellung dramatischer zu gestalten. Aber die Geschichten aus dieser Zeit sind auch ohne Übertreibung unglaublich. Aus diesem Grund habe ich mich dort, wo ich Zahlen nenne, nach Möglichkeit auf amtliche Statistiken gestützt und dort, wo die amtlichen Zahlen fehlen oder nicht vertrauenswürdig sind, Studien seriöser Forscher herangezogen. Wann immer die Statistiken umstritten sind, werde ich im Text die in meinen Augen zuverlässigste Zahl nennen und in den Fußnoten auf andere Angaben verweisen.

TEIL 1
DAS ERBE DES KRIEGES

Ich dachte, du würdest auf mich warten … Stattdessen fand ich die leere Hülle unseres zerstörten Hauses vor, über dem der üble Geruch der Asche hing.

Samuel Puterman bei seiner Heimkehr nach Warschau im Jahr 19451

Wir konnten die Zerstörung der dinglichen Welt sehen, aber die Auswirkungen der gewaltigen wirtschaftlichen Verwerfungen und der politischen, sozialen und psychischen Zerstörung […] blieben uns verborgen.

Dean Acheson, Staatssekretär im US-Außenministerium, im Jahr 19472

1
DIE ZERSTÖRUNG DER DINGLICHEN WELT

Im Jahr 1943 veröffentlichte Karl Baedeker einen Reiseführer über das Generalgouvernement, jenen Teil Zentral- und Südpolens, der nominell vom Deutschen Reich getrennt war. Wie alle zeitgenössischen deutschen Publikationen diente dieser Reiseführer nicht nur der Information der Leser, sondern auch der Verbreitung von Propaganda. Ein besonders aufschlussreiches Beispiel dafür war der Abschnitt über Warschau. Das Buch enthielt eine lyrische Abhandlung über die deutschen Ursprünge und den deutschen Charakter der Stadt und beschrieb, wie Warschau dank der »Jahrhunderte dauernden deutschen Aufbauarbeit« zu einer der großartigsten Hauptstädte der Welt geworden war. Der Reisende wurde aufgefordert, das mittelalterliche Königsschloss, die im 14. Jahrhundert erbaute Johanneskathedrale und die Jesuitenkirche aus der Spätrenaissance zu besichtigen, die allesamt Produkte der deutschen Kultur und des deutschen Einflusses seien. Von besonderem Interesse war der Komplex der Barockschlösser am Piłsudskiplatz, dem »schönste[n] Platz Warschaus«, der mittlerweile in Adolf-Hitler-Platz umbenannt worden war. Der zentrale Bestandteil des Komplexes war das – selbstverständlich von einem Deutschen erbaute – Sächsische Palais mit dem malerischen Sächsischen Garten, der ebenfalls von deutschen Architekten angelegt worden war. Die Autoren des Reiseführers räumten ein, dass ein oder zwei Gebäude leider im Verlauf der Schlacht um Warschau im Jahr 1939 beschädigt worden waren, versicherten aber dem Leser, die Stadt werde einmal mehr unter deutscher Führung wiederaufgebaut.1

Unerwähnt blieben die westlichen Vororte der Stadt, die in ein Ghetto für die Juden verwandelt worden waren. Das machte vermutlich keinen Unterschied, denn genau zu der Zeit, als das Buch erschien, brach im Ghetto ein Aufstand aus, weshalb sich SS-Gruppenführer Jürgen Stroop unerbittlich genötigt sah, praktisch alle Häuser in dem Bezirk in Brand zu setzen.2 Fast vier Quadratkilometer der Stadt wurden vollkommen zerstört.

Im Jahr darauf brach ein zweiter Aufstand aus, der ganz Warschau erfasste. Diesmal war es eine von der Polnischen Heimatarmee angeführte Volkserhebung. Im August 1944 begannen Gruppen polnischer Männer, Frauen und Jugendlicher, deutsche Soldaten aus dem Hinterhalt zu überfallen und ihnen ihre Waffen und Munition abzunehmen. In den folgenden zwei Monaten verschanzten sie sich in der Altstadt und den angrenzenden Vierteln und hielten mehr als 17 000 deutsche Soldaten in Schach.3 Der Aufstand endete erst im Oktober; die Kämpfe zählten zu den brutalsten im Zweiten Weltkrieg. Erbost über den Widerstand der Polen, befahl Hitler, Warschau angesichts der bevorstehenden Einnahme der Stadt durch die Rote Armee dem Erdboden gleichzumachen.4

Also sprengten die deutschen Truppen das mittelalterliche Königsschloss, das Baedeker so beeindruckt hatte. Sie untergruben die Kathedrale aus dem 14. Jahrhundert und jagten sie ebenfalls in die Luft. Dann zerstörten sie die Jesuitenkirche. Sie brauchten drei Tage, um das Sächsische Schloss kurz nach Weihnachten 1944 systematisch zu sprengen. Der gesamte Komplex von Barock- und Rokokoschlössern wurde zerstört. Das von Baedeker empfohlene Hotel Europäischer Hof wurde im Oktober niedergebrannt und zur Sicherheit im Januar 1945 auch noch gesprengt. Die deutschen Soldaten nahmen sich Haus für Haus vor, um die Stadt systematisch dem Erdboden gleichzumachen: 93 Prozent der Gebäude Warschaus wurden zerstört oder irreparabel beschädigt. Um das Zerstörungswerk abzuschließen, brannten die deutschen Besatzer das Nationalarchiv, das Archiv alter Akten, das Finanzarchiv, das Kommunalarchiv, das Archiv neuer Akten und die öffentliche Bibliothek nieder.5

Als sich die Polen nach dem Krieg daranmachten, ihre Hauptstadt wieder aufzubauen, zeigte das Nationalmuseum in einer Ausstellung Fragmente von Gebäuden und Kunstwerken, die von den deutschen Besatzern beschädigt oder zerstört worden waren. Der Ausstellungskatalog war anders als Baedekers Reiseführer zur Gänze im Präteritum geschrieben. Auf diese Art wollten die Autoren den Bewohnern Warschaus und der Weltöffentlichkeit vor Augen führen, dass all diese Schönheit verloren war. Sowohl der Reiseführer als auch die Ausstellung beinhalten die unausgesprochene Erkenntnis, dass die Menschen, die Zeugen der Zerstörung Warschaus wurden, nicht einschätzen konnten, was für ein gewaltiger Schaden ihrer Stadt zugefügt worden war. Schritt für Schritt hatten sie die Zerstörung und das Ende der Stadt erlebt: zunächst das Bombardement im Jahr 1939, dann die Plünderungen während der deutschen Besatzung und die Zerstörung des jüdischen Ghettos im Jahr 1943 und schließlich die Verwüstung Ende 1944. Nur wenige Monate nach der Befreiung hatten sie sich daran gewöhnt, inmitten von Schuttbergen in Häuserskeletten zu leben.6

In mancher Hinsicht konnten nur jene das wahre Ausmaß der Verheerung begreifen, die keine Zeugen der Zerstörung geworden waren, sondern nur ihr Ergebnis sahen. Der junge Fotograf John Vachon kam als Mitglied der Katastrophenhilfe der Vereinten Nationen nach dem Krieg nach Warschau. Die Briefe, die er im Januar 1946 an seine Frau Penny schrieb, zeigen seine Fassungslosigkeit angesichts des Ausmaßes der Zerstörung.

Dies ist wirklich eine unfassbare Stadt. Ich möchte sie dir beschreiben, weiß jedoch nicht, wie ich das anstellen soll. Es ist eine große Stadt, vor dem Krieg hatte sie mehr als eine Million Einwohner. Sie ist so groß wie Detroit. Nun sind 90 Prozent davon vollkommen zerstört … Wo man auch hinkommt, man sieht nur Reste von Gebäuden, denen die Dächer oder Seitenmauern fehlen, und darin leben Menschen. Eine Ausnahme ist das Ghetto, das nur eine weite Ebene ist, übersät mit Ziegelsteinen, verbogenen Bettgestellen, Badewannen, Sofas, gerahmten Bildern, Baumstümpfen, Millionen Dingen, die aus dem Schutt hervorragen. Ich verstehe nicht, wie jemand das tun konnte … Es ist unbegreiflich böse.7

Die malerische barocke Stadt, die Karl Baedeker nur zwei Jahre früher beschrieben hatte, war verschwunden.

Es ist schwer, das Ausmaß der im Zweiten Weltkrieg angerichteten Verheerungen nachvollziehbar zu beschreiben. Warschau ist nur eines von vielen Beispielen. Allein in Polen wurden Dutzende weitere Städte in Trümmerfelder verwandelt. In ganz Europa wurden hunderte Städte teilweise oder vollkommen verwüstet. Nach dem Krieg aufgenommene Fotos geben uns eine Ahnung vom Ausmaß der Zerstörung in einzelnen Städten, aber wenn man versucht, sich einen verheerten Kontinent vorzustellen, stößt das Verständnis zwangsläufig an Grenzen. In einigen Ländern, insbesondere in Deutschland, Polen, Jugoslawien und der Ukraine, wurde ein Jahrtausend kultureller und architektonischer Leistungen innerhalb weniger Jahre ausgelöscht. Die Gewalt, die eine derart umfassende Zerstörung hervorbrachte, ist von einigen Historikern mit Armageddon verglichen worden.8

Jene Menschen, die Zeugen der Zertrümmerung von Europas Städten wurden, konnten selbst die lokal begrenzten Verheerungen, die sie mit eigenen Augen sahen, kaum begreifen, und nur ihre vom Leid erfüllten, unzulänglichen Beschreibungen vermitteln uns eine Ahnung vom Ausmaß der Verheerungen. Aber bevor wir uns den menschlichen Reaktionen auf den Anblick einer zerschmetterten und zerborstenen Welt widmen, sollten wir uns einige Statistiken ansehen. Denn so trügerisch sie auch sein mögen: Statistiken sind aufschlussreich.

Als einziges Land, das Hitler während des gesamten Kriegs erfolgreich die Stirn bot, musste Großbritannien sehr leiden. Die deutsche Luftwaffe lud im Verlauf des »Blitz«, wie die Briten den Luftkrieg nennen, 50 000 Tonnen Bomben über der Insel ab. 202 000 Häuser wurden zerstört, 4,5 Millionen beschädigt.9 Es ist allgemein bekannt, wie übel die britischen Großstädte zugerichtet wurden, aber das wahre Ausmaß der Bombardements zeigt sich am Schicksal einiger kleinerer Städte. Angesichts der Ergebnisse ihrer brutalen Angriffe auf Coventry prägte die deutsche Luftwaffe ein neues Wort für die vollkommene Zerstörung: »coventrieren«. In dem Industriestädtchen Clydebank bei Glasgow blieben von 12 000 Häusern nur 8 unbeschädigt.10

Auf der anderen Seite des Ärmelkanals waren die Schäden nicht ganz so umfassend, aber sehr viel konzentrierter. Beispielsweise verschwand Caen praktisch von der Landkarte, als die Alliierten im Jahr 1944 in der Normandie landeten: Drei Viertel der Häuser wurden von alliierten Bomben ausgelöscht.11 Saint-Lô und Le Havre litten noch mehr: Dort wurden 77 beziehungsweise 82 Prozent der Gebäude in Schutt und Asche gelegt.12 Bei der alliierten Landung in Südfrankreich wurden in Marseille mehr als 14 000 Gebäude teilweise oder vollkommen zerstört.13 Aus behördlichen Aufzeichnungen über Entschädigungsansprüche und Kreditanträge für die Behebung von Kriegsverlusten geht hervor, dass in Frankreich im Krieg 460 000 Gebäude zerstört und weitere 1,9 Millionen beschädigt wurden.14

Je weiter man nach dem Krieg nach Osten reiste, desto schlimmere Verwüstungen bekam man zu Gesicht. In Budapest waren 84 Prozent der Gebäude beschädigt, 30 Prozent waren vollkommen unbewohnbar.15 Rund 80 Prozent von Minsk waren zerstört: Von 332 großen Industriebetrieben in der weißrussischen Hauptstadt überstanden nur 19 den Krieg, und das nur, weil Pioniere der Roten Armee die von den Deutschen bei ihrem Rückzug hinterlassenen Minen rechtzeitig entschärfen konnten.16 Als sich die Russen 1941 aus Kiew zurückzogen, verminten sie die meisten öffentlichen Gebäude – die übrigen wurden zerstört, als die Rote Armee 1944 zurückkehrte. Um Charkiw im Osten der Ukraine wurden so viele Schlachten geführt, dass am Ende nur wenig blieb, um das man kämpfen konnte. Rostow am Don und Woronesch wurden nach Aussage eines britischen Journalisten zu »nahezu 100 Prozent« zerstört.17 Man könnte die Liste noch lange fortsetzen. In der Sowjetunion wurden rund 1700 Städte und Ortschaften verwüstet; allein in der Ukraine waren es 714.18

Wer nach dem Krieg durch diese verwüstete Landschaft reiste, sah eine zerstörte Stadt nach der anderen. Die wenigsten dieser Reisenden versuchten je, das gesamte Ausmaß der Vernichtung zu beschreiben – stattdessen bemühten sie sich, die Schäden in jeder einzelnen besuchten Stadt zu verarbeiten. Stalingrad zum Beispiel bestand nur noch aus »Mauerresten, Hüllen halbzerstörter Gebäude, Schuttbergen und Kaminen, die aus der Ebene aufragten«.19 Sewastopol war ein »unbeschreiblich trauriger« Ort, wo »sogar in den Vororten … kaum noch ein Haus stand«.20 Im September 1945 beobachtete der amerikanische Diplomat George F. Kennan in der ehemals finnischen und mittlerweile russischen Stadt Wiborg, wie ein paar Strahlen der aufgehenden Sonne »auf die ausgebrannten Gerippe der Wohnblocks« trafen und sie »mit einem bleichen, kalten Glanz [überschütteten]«. Abgesehen von einer Ziege, die er in der Tür einer Ruine bemerkte, schien Kennan das einzige Lebewesen in der Stadt zu sein.21

Und im Herzen dieses wüsten Kontinents lag Deutschland, dessen Städte zweifellos die umfassendste Zerstörung erlebten. Rund 3,6 Millionen deutsche Wohnungen wurden von den britischen und amerikanischen Luftstreitkräften zerstört – das war etwa ein Fünftel des gesamten Wohnraums.22 Gemessen an den absoluten Zahlen ging in Deutschland fast 18-mal mehr Wohnraum verloren als in Großbritannien.23 Und einzelne Städte erlitten überdurchschnittlich schwere Verluste. Aus den vom Statistischen Reichsamt erhobenen Zahlen geht hervor, dass in Berlin bis zu 50 Prozent, in Hannover 51,6 Prozent, in Hamburg 53,3 Prozent, in Duisburg 64 Prozent, in Dortmund 66 Prozent und in Köln 70 Prozent des Wohnraums verloren gingen.24

Die meisten alliierten Beobachter, die nach dem Krieg nach Deutschland entsandt wurden, hatten damit gerechnet, dort ähnliche Zerstörungen vorzufinden wie jene, die die deutschen Flächenbombardements in Großbritannien angerichtet hatten. Aber die Fotos und Beschreibungen der Verheerungen, die britische und amerikanische Zeitungen und Zeitschriften nach Kriegsende zu veröffentlichen begannen, konnten diese Beobachter unmöglich auf den Anblick vorbereiten, der sie erwartete. Austin Robinson wurde direkt nach Kriegsende vom britischen Produktionsministerium nach Deutschland geschickt. Seine Beschreibung von Mainz verrät, wie schockiert er war:

Dieses Skelett, in dem ganze Häuserblocks eingeebnet waren, in großen Gebieten nur Mauern standen und ganze Fabriken fast vollkommen ausgeweidet waren, bot ein Bild, das mich mein Leben lang verfolgen wird. Man hatte es intellektuell gewusst, ohne es emotional oder menschlich zu fühlen.25

Ähnlich entsetzt war der britische Leutnant Philip Dark über den apokalyptischen Anblick, den Hamburg bei Kriegsende bot:

Wir bogen ins Zentrum ab und kamen in eine Stadt, die unvorstellbar verwüstet war. Es war mehr als schockierend. Soweit das Auge blickte, Quadratmeile auf Quadratmeile leerer Häuserschalen, in denen verbogene Stahlträger wie Vogelscheuchen emporragten, Heizkörper an einer noch stehenden Wand in der Luft hingen wie das gekreuzigte Skelett eines Pterodaktylus. Furchtbare, abscheuliche Formen von Kaminen sprossen aus dem Gerüst einer Wand. Über dem ganzen hing eine Atmosphäre zeitloser Stille. […] Solche Bilder kann niemand verstehen, der sie nicht gesehen hat.26

In vielen Beschreibungen deutscher Städte aus dem Jahr 1945 klingt schiere Verzweiflung durch. Dresden hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem »Florenz an der Elbe«, sondern wirkte eher wie eine »Mondlandschaft«, und die Planungsstäbe waren der Ansicht, es werde »mindestens 70 Jahre« dauern, die Stadt wieder aufzubauen.27 München war derart verwüstet, dass »man sich kaum des Gedankens erwehren konnte, das letzte Gericht stehe unmittelbar bevor«28. Berlin war »vollkommen zerschlagen – nichts als Schutthaufen und Hausskelette«.29 Köln »lag in Trümmern, ohne Schönheit und Gestalt, einsam in völliger physischer Vernichtung«.30

Zwischen 18 und 20 Millionen Deutsche verloren durch die Zerstörung ihrer Heimatstädte das Dach über dem Kopf – diese Zahl entspricht der gemeinsamen Bevölkerung der Beneluxstaaten vor dem Krieg.31 In der Ukraine waren 10 Millionen Menschen obdachlos, das waren mehr als die Vorkriegsbevölkerung Ungarns.32 Diese Menschen hausten in Kellern, Ruinen, Erdlöchern oder wo sie sonst ein wenig Schutz vor der Witterung finden konnten. Millionen Menschen in ganz Europa fehlte es am Grundlegenden: Sie hatten kein fließend Wasser, keine Heizung, keinen Strom. Ein Beispiel: In ganz Warschau gab es nur noch zwei funktionierende Straßenlaternen.33 In Odessa gab es nur Wasser aus selbst gegrabenen Brunnen, weshalb sogar Würdenträger bei ihrer Visite der Stadt pro Tag nur eine Flasche Wasser für die Körperpflege erhielten.34 Da sie nicht einmal mit den grundlegenden Gütern versorgt wurden, führten die Bewohner der europäischen Städte, wie eine amerikanische Berichterstatterin schrieb, »ein mittelalterliches Leben inmitten einer zusammengebrochenen Maschinerie des 20. Jahrhunderts«.35

Zwar nahm die Verwüstung in den Städten besonders dramatische Formen an, aber die Menschen auf dem Land litten nicht weniger. Überall auf dem Kontinent wurden Bauernhöfe geplündert, niedergebrannt, überflutet oder einfach aufgegeben. Die süditalienischen Marschen, die Mussolini mit so großem Eifer trockengelegt hatte, wurden von den Deutschen bei ihrem Rückzug wieder überflutet – was dazu führte, dass die Malaria zurückkehrte.36 In den Niederlanden wurden 219 000 Hektar Land ruiniert, als deutsche Truppen gezielt die Deiche öffneten und das Meerwasser einströmen ließen.37 Auch Orte fernab des Kriegsgeschehens blieben nicht verschont. In Lappland zerstörten die Deutschen bei ihrem Rückzug mehr als ein Drittel der Unterkünfte, um zu verhindern, dass die finnischen Truppen nach dem Wechsel auf die Seite der Alliierten Schutz vor der Winterkälte fanden.38 Aber auf diese Art wurden auch 80 000 Menschen zu Flüchtlingen. Überall in Norwegen und Finnland wurden Straßen vermint, Telefonleitungen unterbrochen und Brücken gesprengt, was noch Jahre nach Kriegsende das Leben in diesen Ländern beeinträchtigte.

Erneut war die Zerstörung umso schlimmer, je weiter man nach Osten kam. Griechenland büßte unter deutscher Besatzung ein Drittel seiner Wälder ein, und mehr als tausend Dörfer wurden niedergebrannt und entvölkert.39 In Jugoslawien waren nach Angaben der Reparationskommission 24 Prozent der Obstgärten, 38 Prozent der Weingärten und etwa 60 Prozent der Viehbestände verloren gegangen. Die Plünderung von Millionen Tonnen Getreide, Milch und Wolle machte den Ruin der jugoslawischen Landwirtschaft vollkommen.40 Noch schwerer getroffen wurde die Sowjetunion: Dort wurden sage und schreibe 70 000 Dörfer samt ihrer Gemeinschaften und der gesamten ländlichen Infrastruktur ausgelöscht.41 Diese Schäden waren nicht einfach das Ergebnis der Kämpfe und gelegentlicher Plünderungen: Vielmehr wurden Land und Eigentum systematisch und gezielt zerstört. Beim geringsten Hinweis auf Widerstand wurden Bauernhöfe und Dörfer niedergebrannt. Entlang der Straßen schnitten die Besatzer breite Schneisen in die Wälder, um die Gefahr von Hinterhalten zu verringern.

Es gibt zahlreiche Beschreibungen der Unbarmherzigkeit, mit der Deutsche und Russen übereinander herfielen. Nicht weniger rücksichtslos verhielten sich beide Seiten bei der Verteidigung. Als die deutschen Armeen im Sommer 1941 in die Sowjetunion einmarschierten, wies Stalin die Bevölkerung in einer Radioansprache an, vor ihrer Flucht möglichst viel vor den Invasoren in Sicherheit zu bringen: »Alles wertvolle Gut, darunter Buntmetalle, Getreide und Treibstoff, das nicht weggeschafft werden kann, muß unbedingt vernichtet werden. In den vom Feind besetzten Gebieten müssen Partisanenabteilungen […] gebildet werden, sowie Diversionsgruppen […] zur Niederbrennung der Wälder, Depots und Transporte.«42

Als sich das Blatt wendete, gab Hitler seinerseits den Befehl, es dürfe nichts für die Sowjets zurückgelassen werden. »Der Feind wird bei seinem Rückzug uns nur eine verbrannte Erde zurücklassen und jede Rücksichtnahme auf die Bevölkerung fallenlassen«, erklärte er im Jahr 1945 im »Nerobefehl«. »Ich befehle daher: 1. Alle militärischen Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen sowie Sachwerte innerhalb des Reichsgebietes, die sich der Feind für die Fortsetzung seines Kampfes irgendwie sofort oder in absehbarer Zeit nutzbar machen kann, sind zu zerstören.«43 Als die Lage der deutschen Truppen aussichtslos wurde, wies Himmler die SS-Führung an, alles zu zerstören: »Ich beauftrage Sie, mit allen Kräften mitzuwirken, daß […] kein Mensch, kein Vieh, kein Zentner Getreide, keine Eisenbahnschiene zurückbleiben… Der Gegner muß wirklich ein total verbranntes und zerstörtes Land vorfinden.«44

Derartige Befehle hatten zur Folge, dass ein großer Teil der landwirtschaftlichen Nutzflächen in der Ukraine und Weißrussland nicht einmal, sondern zweimal angezündet wurden – und mit den Feldern gingen ungezählte Dörfer und Höfe in Flammen auf, in denen der Feind Zuflucht hätte finden können. Und natürlich zählten die Industrieanlagen zu den ersten Dingen, die zerstört wurden. So wurden in Ungarn 500 große Fabriken demontiert und nach Deutschland gebracht – mehr als 90 Prozent der verbleibenden Industrieanlagen wurden gezielt beschädigt oder zerstört –, und fast alle Kohlengruben wurden geflutet oder zum Einsturz gebracht.45 In der Sowjetunion wurden rund 32 000 Fabriken zerstört.46 In Jugoslawien schätzte die Reparationskommission, dass das Land Industrieanlagen im Wert von mehr als 9,14 Milliarden Dollar verloren hatte, das heißt ein Drittel seiner industriellen Kapazitäten.47

Die vielleicht schwersten Schäden erlitt die Verkehrsinfrastruktur des Kontinents. In Holland beispielsweise wurden 60 Prozent der Straßen, Bahnlinien und Kanäle zerstört. In Italien war ein Drittel des Straßennetzes unbrauchbar, und 13 000 Brücken waren beschädigt oder eingestürzt. Frankreich und Jugoslawien verloren je 77 Prozent ihrer Lokomotiven und einen ähnlich großen Teil ihrer Waggons. In Polen wurden ein Fünftel der Straßen, ein Drittel des Eisenbahnnetzes (insgesamt etwa 16 000 Kilometer), 85 Prozent des gesamten rollenden Inventars und 100 Prozent der zivilen Flugzeuge zerstört. Norwegen verlor die Hälfte der Ladekapazität seiner Handelsflotte, und in Griechenland lagen die Verluste an Schiffen zwischen zwei Dritteln und drei Vierteln. Bei Kriegsende gab es nur eine einzige vollkommen zuverlässige Fortbewegungsart: zu Fuß.48

Die Verwüstung Europas ging über den Verlust seiner Bauten und seiner Infrastruktur hinaus. Sie ging sogar über die Auslöschung von Jahrhunderten an Kultur und Architektur hinaus. Das wirklich Verstörende an den Ruinen war, was sie symbolisierten. Die Schuttberge waren, wie es ein britischer Soldat ausdrückte, »ein Monument für die menschliche Fähigkeit zur Selbstzerstörung«.49 Die Trümmer erinnerten hunderte Millionen Menschen jeden Tag an die Verwerflichkeit, die den Kontinent erfasst hatte. Diese Verwerflichkeit konnte jederzeit wieder zum Vorschein kommen.

Primo Levi, der Auschwitz überlebt hatte, bezeichnete die von den Deutschen hinterlassene totale Zerstörung als geradezu übernatürlich. Angesichts der Trümmer eines Armeestützpunkts in Slutsk bei Minsk erklärte er, hier sei wie in Auschwitz »das Genie der Zerstörung, der Antischöpfung […] am Werk gewesen: die Mystik des Leeren, über jedes Erfordernis des Krieges, jegliche Beutelust hinaus«.50 Die von den Alliierten angerichteten Zerstörungen waren fast genauso schlimm: Als Levi die Ruinen Wiens sah, empfand er »einen umfassenderen Schmerz, der sich mit unserem eigenen Elend und dem drohend lastenden Gefühl eines unheilbaren und endgültigen Übels verband, das, überall gegenwärtig, sich wie ein Wundbrand in die Eingeweide Europas und der Welt gefressen hatte, Same künftigen Unheils.«51

Diese Grundströmung der »Anti-Schöpfung« und des »endgültigen Bösen« machte die zerstörten europäischen Städte und Ortschaften zu einem beklemmenden Anblick. Obwohl es nie offen ausgesprochen wurde, geht aus sämtlichen zeitgenössischen Schilderungen hervor, dass sich hinter der materiellen Verwüstung etwas sehr viel Schlimmeres verbarg. Die »Skelette« der Häuser und die gerahmten Bilder, die in Warschau aus dem Schutt hervorragten, haben hohen Symbolwert: Die Ruinen hatten sowohl buchstäblich als auch im übertragenen Sinn eine menschliche und moralische Katastrophe unter sich begraben.

2
ABWESENHEIT

DER BLUTZOLL Die materielle Zerstörung Europas ist kaum nachzuvollziehen. Doch wirklich unbegreiflich ist das Ausmaß der menschlichen Verluste. Keine Beschreibung der Opferzahlen kann der menschlichen Katastrophe gerecht werden. Der Schriftsteller Hans Erich Nossack versuchte, die Auswirkungen des Hamburger Feuersturms im Jahr 1943 zu beschreiben: »Ach, während ich in der Erinnerung diese Straße nach Hamburg hinein wieder fahre, treibt es mich, anzuhalten und abzubrechen. Wozu? Ich meine: Wozu dies alles niederschreiben? Wäre es nicht besser, es für alle Zeiten der Vergessenheit preiszugeben?«1 Doch wie Nossack erkannte, haben Augenzeugen und Historiker die Pflicht, solche Ereignisse aufzuzeichnen, selbst wenn ihre Versuche, dem Geschehenen einen Sinn abzugewinnen, zwangsläufig zum Scheitern verurteilt sind.

Bei der Beschreibung derart gewaltiger Katastrophen ist der Historiker stets hin- und hergerissen zwischen widersprüchlichen Impulsen. Einerseits kann er einfach die Statistiken vorlegen und es dem Leser überlassen, sich die Bedeutung dieser Zahlen auszumalen. Nach dem Krieg sammelten die Verwaltungen und Hilfsagenturen Zahlen zu praktisch jedem Aspekt des Konflikts – von der Zahl der getöteten Soldaten und Zivilisten bis hin zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Bombardements auf bestimmte Industrien. Überall in Europa wollten die Behörden messen, schätzen, quantifizieren – Nossack hatte den Eindruck, man habe versucht, »die Toten durch Zahlen zu bannen.«2

Auf der anderen Seite ist der Historiker versucht, die Zahlen vollkommen außer Acht zu lassen. Stattdessen kann er sich darauf beschränken, festzuhalten, wie die Menschen diese schrecklichen Ereignisse erlebten. Zum Beispiel war die deutsche Bevölkerung nach dem Hamburger Feuersturm weniger über die Zahl von 40 000 Toten selbst aufgebracht: Viel größer war das Entsetzen darüber, wie diese Menschen umgekommen waren. Die Berichte über das Inferno, über einen Feuersturm von Orkanstärke und den Funkenhagel, der Haare und Kleidung der Menschen in Brand setzte – derartige Schilderungen fesseln die Vorstellungskraft sehr viel mehr als die nackten Zahlen. Außerdem verstanden die Menschen schon zu jener Zeit instinktiv, dass sie den Statistiken nicht trauen konnten. Ungezählte Leichen lagen unter Bergen von Trümmern begraben, die ungeheure Hitze hatte manche Körper miteinander verschmolzen, andere waren zu Asche zerfallen. Es war unmöglich, die Zahl der Toten auch nur annähernd genau zu ermitteln.

Gleichgültig, welchen Zugang wir wählen, wir werden lediglich eine leise Ahnung davon erhalten, was eine solche Katastrophe tatsächlich bedeutet. Die herkömmliche Geschichtsschreibung verfügt einfach nicht über geeignete Mittel, um zu beschreiben, was Nossack als »das Fremde«, als das »eigentlich Nicht-Mögliche« bezeichnete.3

In mancher Hinsicht war der Hamburger Feuersturm ein Mikrokosmos dessen, was im Zweiten Weltkrieg in Europa geschah. Wie das übrige Europa wurde die Stadt durch das Bombardement in eine Ruinenlandschaft verwandelt – und doch gab es Stadtteile, die nach dem Angriff wie durch ein Wunder heiter und unberührt dalagen. Wie in anderen Teilen des Kontinents waren ganze Vororte kurz vor dem Feuersturm evakuiert worden und blieben jahrelang praktisch verwaist. Wie anderswo gehörten die Opfer verschiedensten Nationalitäten und gesellschaftlichen Gruppen an.

In anderer Hinsicht ist das Schicksal dieser Stadt nicht mit dem des übrigen Kontinents vergleichbar. So grauenhaft der Hamburger Feuersturm war, tötete er doch weniger als 3 Prozent der Bevölkerung. Die gesamteuropäische Opferrate war mehr als doppelt so hoch. Die Zahl der Europäer, die direkt dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen, ist unbegreiflich: Es starben zwischen 35 und 40 Millionen Menschen.4 Diese Zahl entspricht etwa der Vorkriegsbevölkerung Polens (35 Millionen) oder Frankreichs (42 Millionen).5 Anders ausgedrückt, verloren so viele Menschen das Leben, als wäre der Hamburger Feuersturm tausend Nächte lang wiederholt worden.

Hinter der ungeheuerlichen Gesamtzahl verbergen sich gewaltige Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Beispielsweise war der Verlust an Menschenleben in Großbritannien, so furchtbar er auch war, vergleichsweise gering. Im Zweiten Weltkrieg starben etwa 300 000 Briten – das war etwa ein Drittel des Verlusts im Ersten Weltkrieg.6 Frankreich verlor mehr als eine halbe Million Menschen, die Niederlande etwa 210 000, Belgien 86 000 und Italien fast 310 000.7 Deutschland hingegen verlor fast 4,5 Millionen Soldaten und weitere 1,5 Millionen Zivilisten. Die Zahl der deutschen Zivilisten, die den alliierten Bombenangriffen zum Opfer fielen, war etwa genauso hoch wie die Gesamtzahl der britischen, belgischen und niederländischen Zivilisten und Soldaten, die im Krieg starben.8

Wiederum waren die Verluste um so schwerer, je weiter man nach Osten kam. Griechenland zählte rund 410 000 Kriegstote, eine Zahl, die nicht deutlich höher scheint als die anderer bereits erwähnter Länder – bis man sich vor Augen hält, dass dieses Land vor dem Krieg nur rund 7 Millionen Einwohner hatte. Der Krieg tötete also 6 Prozent der Griechen.9 Auch in Ungarn entsprach die Zahl von 450 000 Kriegstoten fast 5 Prozent der Bevölkerung.10 11 12 13