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Titelseite

Impressum

Winter

Kapitel I

Kapitel II

Jean-Philippe Toussaint

Sich lieben

Roman

Aus dem Französischen

von Bernd Schwibs

Winter

I

II

Ich hatte eine kleine Flasche mit Salzsäure füllen lassen und trug sie jetzt immer bei mir, mit der Idee, sie eines Tages jemandem mitten in die Visage zu schütten. Ich brauchte nur die Flasche zu öffnen, eine Flasche aus buntem Glas, die zuvor Wasserstoffperoxyd enthalten hatte, auf die Augen zu zielen und wegzurennen. Ich fühlte mich seltsam ruhig, seitdem ich mir diese Flasche mit bernsteinfarbener und ätzender Flüssigkeit beschafft hatte, die meine Stunden würzte und meine Gedanken schärfte. Marie aber fragte sich, mit einer vielleicht nicht unbegründeten Sorge, ob diese Säure nicht eines Tages in meinen Augen, meinem eigenen Blick landen würde. Oder in ihrer Visage, in ihrem seit so vielen Wochen verweinten Gesicht. Nein, sagte ich ihr mit einem freundlichen verneinenden Lächeln. Nein, ich glaube nicht, Marie, und ohne sie aus den Augen zu lassen, strich ich zärtlich über die anmutigen Rundungen der kleinen Flasche in meiner Jackentasche.

Noch bevor wir uns zum ersten Mal küßten, hatte Marie zu weinen angefangen. Es war in einem Taxi, vor sieben Jahren und mehr, sie saß neben mir im Halbdunkel des Taxis, das Gesicht in Tränen, gezeichnet von den fliehenden Schatten der Seine-Quais und dem gelb-weißen Widerschein der Scheinwerfer uns entgegenkommender Autos. Wir hatten uns bis zu diesem Augenblick noch nicht geküßt, ich hatte noch nicht ihre Hand ergriffen, hatte ihr noch nicht die geringste Liebeserklärung gemacht – aber habe ich ihr je eine Liebeserklärung gemacht? –, und ich betrachtete sie, ergriffen, hilflos, sie so weinend an meiner Seite sitzen zu sehen.

Die gleiche Szene hat sich vor einigen Wochen in Tokio wiederholt, aber da trennten wir uns für immer. Wir sprachen nichts in diesem Taxi, das uns ins Grandhotel von Shinjuku zurückfuhr, wo wir am selben Morgen angekommen waren, und Marie weinte still an meiner Seite, sie schniefte und schluchzte leise an meine Schulter gelehnt, wischte sich in weitausholenden wirren Gesten mit dem Handrücken die Tränen ab, schwere Tränen der Trauer, die sie entstellten und die Wimperntusche verlaufen ließen, während es vor sieben Jahren, als wir uns kennenlernten, reine Tränen der Freude waren, leicht und duftig wie Schaum, die schwerelos ihre Wangen hinunterrannen. Das Taxi war überheizt, und Marie war es jetzt zu warm, sie fühlte sich schlecht, sie zog schließlich unter Schwierigkeiten, neben mir auf dem Rücksitz sich windend und drehend, ihren langen schwarzen Ledermantel aus, schnitt dabei, offenbar wütend auf mich, Grimassen, obwohl ich doch nichts dafür konnte, verdammt nochmal, wenn es so heiß im Taxi war, brauchte sie sich bloß beim Fahrer zu beschweren, am Armaturenbrett hing gut sichtbar sein Name und Paßfoto. Sie stieß mich weg, um den Mantel zwischen uns auf den Sitz zu legen, zog ihren Pullover aus und knüllte ihn neben sich. Sie hatte nur noch eine verrutschte und zerknitterte weiße Hemdbluse an, die, oben offen, den Blick auf ihren schwarzen Bürstenhalter freigab und über dem Gürtel ihrer Hose ein wenig heraushing. Wir sprachen nichts im Taxi, und aus dem Autoradio schallten pausenlos rätselhafte und beschwingte japanische Schlager ins Halbdunkel.

Das Taxi setzte uns vor dem Hoteleingang ab. In Paris, sieben Jahre zuvor, hatte ich Marie vorgeschlagen, irgendwo in der Nähe der Bastille, wo noch was offen hatte, ein Glas trinken zu gehen, in der Rue de Lappe, oder der Rue de la Roquette, oder der Rue Amelot, der Rue du Pas-de-la-Mule, ich weiß nicht mehr. Wir waren lange in der Nacht umhergelaufen, waren von einem Café zum anderen, von einer Straße zur anderen im Viertel geirrt, um schließlich an der Île Saint-Louis auf die Seine zu stoßen. Wir hatten uns nicht sofort in dieser Nacht geküßt. Nein, nicht sofort. Aber wer möchte ihn nicht hinauszögern, diesen köstlichen Augenblick, der dem ersten Kuß vorausgeht, da zwei Wesen, die sich zueinander hingezogen fühlen, bereits stumm beschlossen haben, sich zu küssen, ihre Augen es wissen, ihr Lächeln es ahnt, ihre Lippen und Hände es spüren, aber die den Augenblick noch hinauszögern, da ihre Münder sich zum ersten Mal zärtlich berühren?

In Tokio waren wir sofort auf unser Zimmer gegangen, wir hatten wortlos die große menschenleere Hotelhalle mit den erleuchteten Kristallüstern durchquert, ein Trio gleißender Leuchter, die vor unseren Augen genau in dem Moment, als wir ins Hotel zurückkamen, sachte zu schaukeln anfingen, die Leuchter begannen zu schwingen wie Kirchenglocken, sie schüttelten sich über uns langsam in einem Klirren von Glas und Kristall, das mit einem unwiderstehlichen verzweifelten Grollen der Materie einherging, ein Grollen, das den Boden erzittern und die Wände wackeln ließ, dann, als die Welle vorüber war, als das Licht an der Decke geflackert und das Hotel für Sekundenbruchteile in Finsternis getaucht hatte, waren die Leuchter, noch immer in Bewegung, in verschiedenen Phasen in der Halle wieder angegangen und hatten sich im gegenläufigen Beben Tausender durchsichtiger Glaspailletten, die nach und nach zum Stillstand kamen, wieder in ihre Ausgangsstellung begeben. Die Hotelrezeption war leer, leer auch der Aufzug, der langsam im Hauptschiff des Atriums nach oben schwebte, und schweigend standen wir Seite an Seite in der durchsichtigen Kabine, Marie in Tränen, ihren schwarzen Ledermantel und ihren Pullover über dem Arm, und schauten auf die Leuchter, die immer noch nicht zur Ruhe gekommen waren nach diesem Erdbeben von so schwacher Stärke, daß ich mich frage, ob es sich nicht vielleicht nur in unseren Herzen ereignet hatte. Der Etagenflur war still, endlos, beiger Teppichboden, vor einer Tür stand verlassen ein Wagen des Zimmerservices mit einzelnen Speiseresten, einer zerknüllten Serviette quer über einem schmutzigen Teller. Marie marschierte vor mir, mit hängenden Schultern, kraftlosen Armen, nachlässig eine Hand an der Wand des Flurs entlangschleifend. Vor der Tür holte ich sie ein und schob die Magnetkarte ins Schloß, um ins Zimmer zu treten. Und jedesmal, an beiden Abenden, in Paris wie in Tokio, haben wir uns geliebt, das erste Mal zum ersten Mal – und das letzte Mal zum letzten Mal.

Aber wie oft haben wir uns nicht schon zum letzten Mal geliebt? Ich weiß es nicht, häufig. Häufig . . . Ich hatte hinter mir die Tür geschlossen und betrachtete Marie, wie sie vor Müdigkeit schwankend ins Zimmer trat, auf dem Arm ihren schwarzen Ledermantel und ihren Pullover, in ihrer weißen Bluse, die aus der Hose gerutscht war – an diesem verstörenden Detail würde mein Blick haftenbleiben, bis sie ihre Bluse auszieht, und dann wären nur noch ihr fest in meine Hände gedrücktes Gesicht, ihre warmen Wangen in meinen gewölbten Handflächen –, Marie, die vor Müdigkeit im Zimmer fast umfiel und wie in Zeitlupe ihre unversieglichen Tränen weinte, und ich dachte bei mir, daß wir uns diese Nacht am Ende trotzdem noch lieben würden und daß es herzzerreißend wäre. Keiner von uns hatte bisher im Zimmer Licht angemacht, weder Deckenleuchte noch Nachttischlampe, und durch das große Glasfenster des Hotelzimmers sah man in der Ferne das in der Nacht erleuchtete Verwaltungsviertel von Shinjuku und, ganz nahe bei uns, fast nicht erkennbar durch die Nähe, die die Proportionen verzerrte, die linke Seite des monumentalen Rathauses von Kenzo Tange. Weiter unten, einige Meter vom Fenster entfernt, war der Schatten eines terrassenförmigen flachen Daches zu sehen, bedeckt mit hohen senkrechten Türmen aus Neonröhren, die pausenlos durch die Nacht blinkten wie Positionslichter, mit periodisch unterbrochenen und sich ausweitenden Reflexen, rötlich, schwarz und blaßlila, die ins Zimmer drangen und auf die Wände einen diffusen roten Helligkeitsschein warfen, der die reinen Tränen auf Maries Gesicht erglänzen ließ, infrarot, durchsichtig und abstrakt. Sie ging an der Fensterfront entlang, mit feuchten Augen, die ich im Zwielicht erahnte, das unbefleckte Weiß ihrer Bluse, die sie halb geöffnet hatte, wie bestrahlt in regelmäßigen Abständen von einer Schicht jener unsagbaren rötlichen Helligkeit, die überdeckt wurde von den regelmäßigen Lichtstößen der auf den Dächern blinkenden Neonröhren. Ich trat zu ihr ans Fenster, betrachtete mit ihr einen Augenblick den dichten Strauß von Türmen und Bürogebäuden, die sich in der Dunkelheit vor uns erhoben, verstreut und majestätisch standen sie da, wobei jedes, von seinen obersten Stockwerken aus, persönlich über seinen Verwaltungsbereich von Stille und Nacht zu wachen schien, während mein Blick langsam von einem zum anderen wanderte, Shinjuku Sumitomo Building, Shinjuku Mitsui Building, Shinjuku Center Building, Keio Plaza Hotel. Warum willst du mich nicht küssen? fragte mich plötzlich Marie mit leiser Stimme, den Blick in die Ferne gerichtet, im Gesicht etwas Eigensinniges. Ohne zu antworten, schaute ich weiter nach draußen. Nach einer Weile antwortete ich, mit neutraler Stimme, erstaunlich ruhig, daß ich niemals gesagt hätte, sie nicht küssen zu wollen. Und warum küßt du mich dann nicht? sagte sie und wandte sich mir zu, um mich an die Schulter zu fassen. Ich versteifte mich, stieß ihre Hand so sanft wie möglich weg und begann erneut, das nächtliche Viertel zu betrachten. Mit derselben ruhigen, fast ausdruckslosen Stimme, einer Feststellung gleich, antwortete ich: Ich habe auch nie gesagt, daß ich dich küssen will. (Es war zu spät, Marie, es war zu spät jetzt.) Sie schaute mich lange vor dem Fenster an. Laß uns schlafen gehen, Marie, sagte ich, laß uns schlafen gehen, es ist spät, und ich sah, wie ein langgezogener Schauer über ihre Schultern glitt, ein Schauer der Niedergeschlagenheit und des Ärgers. Fast hätte ich noch etwas hinzugefügt, aber ich sagte nichts, ich hielt mich zurück, legte sachte die Hand auf ihren Unterarm, und sie zog mit einer heftigen Bewegung ihren Arm weg. Du liebst mich nicht mehr, sagte sie.

Sieben Jahre zuvor hatte sie mir erklärt, daß sie bisher bei keinem ein solches Gefühl empfunden hätte, eine solche Gemütsbewegung, eine solche Woge von süßer warmer Melancholie war über sie gekommen, als sie mich diese so schlichte, so scheinbar nichtssagende Geste habe machen sehen, wie ich während des Essens ganz behutsam mein Stielglas dem ihren näherte, ganz vorsichtig und gleichzeitig so unpassend für zwei Personen, die sich noch nicht richtig kennen, die sich erst das zweite Mal treffen, mein Stielglas dem ihren näherte, um die Rundung ihres Glases zu liebkosen, es neigte, um es sachte an ihres zu stoßen in einem simulierten, ansatzweise ausgeführten wie sofort auch unterbrochenen Akt des Anstoßens, noch draufgängerischer und gleichzeitig taktvoller und eindeutiger zu sein, wäre nicht möglich, hatte sie mir erklärt, ein Konzentrat an Intelligenz, Sanftheit und Stil. Sie hatte mir zugelächelt, in der Folge gebeichtet, daß sie in diesem Moment sich in mich verliebt hätte. Nicht durch Worte also war es mir gelungen, ihr dieses Gefühl von Schönheit des Lebens und Gleichklang mit der Welt zu vermitteln, das sie so intensiv in meiner Gegenwart empfand, auch nicht durch meine Blicke oder meine Handlungen, vielmehr durch die Eleganz dieser einfachen Geste meiner Hand, die sich langsam zu ihr hin bewegt hatte mit einer solch metaphorischen Feinfühligkeit, daß sie plötzlich innigste Übereinstimmung mit der Welt empfunden hatte, daß sie mir einige Stunden später mit derselben Kühnheit, derselben naiven und frechen Spontaneität sagen mußte, das Leben ist schön, mein Liebling.

Marie zog ihre Bluse aus, ließ sie vor dem Fenster des Hotelzimmers zu ihren Füßen fallen und ging mit nackten Schultern, nur noch diesen zarten schwarzen Büstenhalter mit Spitzen tragend, den ich so sehr liebte, zum Bett und schaltete dort eine Lampe an. Erst jetzt bemerkte ich das Chaos, in dem wir das Zimmer hinterlassen hatten, um zu Abend essen zu gehen, Dutzende von geöffneten Koffern standen da im schwachen, durch den Schirm gedämpften Licht der Nachttischlampe auf dem Teppichboden herum, annähernd hundertvierzig Kilo Gepäck, die Marie am Abend zuvor in Roissy aufgegeben hatte, achtzig Kilo Übergewicht, das sie ohne mit der Wimper zu zucken akzeptiert und sofort auf Heller und Pfennig am Schalter der Fluglinie bezahlt hatte, verstreut standen sie da im Zimmer, acht gepolsterte Metallkoffer und vier identische Überseekoffer, mit einem Teil der Kleider ihrer letzten Kollektion, dazu eine Reihe von spitz zulaufenden Reisekoffern, halb aus Korbweide, halb aus Metall, extra für den Transport von Kunstwerken entwickelt, in denen die Experimentalkleider aus Kevlar-Titan waren, von ihr für eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst entworfen, die sie nächstes Wochenende im Contemporary Art Space von Shinagawa eröffnen sollte. Marie war Modedesignerin und bildende Künstlerin in einem, sie hatte in Tokio vor einigen Jahren eine eigene Marke kreiert, Allons-y Allons-o. Ich betrachtete sie, sie hatte sich flach aufs Bett fallen lassen, mitten auf ihre Kleider, die unter dem Gewicht ihres Körpers die Form verloren hatten und nun in trägen Kaskaden zusammenfallenden Stoffs zu Boden rutschten, und sie weinte, mein Liebling, das Gesicht vergraben in einen Kleiderbesatz, der sich mit ihren Haaren vermengte. Vor einigen Monaten war ihr Vater gestorben, und jetzt mischten sich in ihrem Herzen so viele Tränen, die seit Wochen im stürmisch-bewegten Lauf unseres Lebens flossen, Tränen der Traurigkeit und der Liebe, der Trauer und der Befremdung. Um sie herum schienen diese Kleider wie zu einer Vorführung angetreten, steif und bewegungslos in ihren durchsichtigen Hüllen, herausgeputzt, stolz, mit tiefem Ausschnitt, verführerisch und bunt, amarantrot, fleischrot hingen sie an Schranktüren oder auf Behelfsbügeln, waren aufgereiht an den zwei Reiseständern, die sie im Hotelzimmer wie in einer improvisierten Theaterloge aufgestellt hatte, oder lagen einfach nur säuberlich auf Stühlen und Sessellehnen. Ich betrachtete im Halbdunkel des Zimmers alle diese körperlosen, in allen Farben des Feuers und der Finsternis schimmernden Kleider, die um ihren halbnackten Körper einen Kreis zu bilden schienen, und müde, wie ich war, ja, auch ich – sehr müde jetzt, wie zerschlagen von der Zeitverschiebung –, dachte ich erneut an meine kleine Flasche mit Salzsäure, die in meinem Kulturbeutel lag.

Als ich packte, hatte ich mich gefragt, wie ich diese Flasche Salzsäure mit nach Japan nehmen sollte. Es war natürlich ein Ding der Unmöglichkeit, sie während der Reise bei mir zu tragen, beim Anbordgehen oder beim Zoll wäre sie entdeckt worden und ich außerstande gewesen, ihre Herkunft, ihren Sinn und Zweck zu erklären. Andererseits hatte ich auch Angst, sie im Koffer zu lassen, da sie dort zerbrechen konnte und die Säure sich dann über meine ganzen Sachen ergießen würde. Schließlich hatte ich es ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen – ihr unauffälliges Aussehen eines Fläschchens Wasserstoffperoxyd war wohl doch die beste Tarnung – in einem der drei flexiblen Seitenfächer meines Kulturbeutels untergebracht, die jeweils durch einen abknöpfbaren Lederriemen abgetrennt waren, zwischen einer Parfumflasche und einem Päckchen Rasierklingen. Mein Kulturbeutel hatte des öfteren schon derart bunt zusammengewürfeltes Zeug beherbergt, Zahnpasta und Nagelzange, Honig und Gewürze, Bargeld in Umschlägen aus Packpapier, ganz zu schweigen von etlichen noch nicht entwickelten Filmen, kleinen schwarzblauen Kompaktrollen Ilford FP4 und schwarzgrünen Ilford FP5, die mehr oder minder heimlich aus diesem und jenem Land herausgebracht werden mußten. Doch ohne irgend jemandes Aufmerksamkeit zu erregen, reiste die kleine Flasche von Paris nach Tokio.

An jenem Tag, da Marie mir vorschlug, sie nach Japan zu begleiten, begriff ich, daß sie bereit war, auf dieser großen Tour unsere letzten Liebesreserven zu verheizen. War es nicht einfacher, wenn wir uns schon trennen wollten, diese seit langem geplante Reise dafür zu nutzen, wechselseitig ein wenig Distanz zu gewinnen? Zusammen zu verreisen, war das wirklich die beste Möglichkeit, um Schluß zu machen? In bestimmter Hinsicht wohl schon, denn so wie die Nähe uns zerriß, so hätte uns die Ferne wieder nähergebracht. Tatsächlich waren wir in unseren Gefühlen dermaßen zerbrechlich und orientierungslos, daß die Abwesenheit des anderen sicher das einzige war, was uns noch nahebringen konnte, während unser beider Gegenwart Seite an Seite die innere Zerrissenheit nur noch vertiefen und unsere Trennung besiegeln konnte. War ihr das bewußt, als sie mir vorschlug, sie nach Tokio zu begleiten, und hatte sie mich ganz vorsätzlich eingeladen, um Schluß zu machen – ich weiß es nicht, ich glaube es auch nicht. Andererseits argwöhnte ich, daß sie zumindest zwei leicht perverse Hintergedanken hegen mochte, als sie mir vorschlug, sie nach Japan zu begleiten, zum einen, daß sie annahm, ich könnte ihre Einladung ausschlagen (mehrerer Gründe wegen, vor allem aber einem, über den ich jedoch nicht reden möchte), vor allem aber, daß ihr unser jeweiliger Status während dieser Reise nur allzu klar war, sie überhäuft mit Ehrungen, eingedeckt mit Terminen und Arbeit, umgeben von einem Hofstaat von Mitarbeitern, Hostessen und Assistenten, ich ohne Status, in ihrem Schatten, letztlich ihr Begleiter, ihr Gefolge und Geleit.