Über Jean G. Goodhind

Jean G. Goodhind wurde in Bristol geboren und lebt nun teilweise in ihrem Haus im Wye Valley in England oder ist mit ihrer Yacht unterwegs, die im Grand Harbour von Malta ihren Liegeplatz hat. Sie hat bei der Bewährungshilfe gearbeitet und Hotels in Bath und den Welsh Borders geleitet.

Im Aufbau Verlag sind ebenfalls ihre Romane »Dinner für eine Leiche« und »Mord zur Geisterstunde« lieferbar.

Informationen zum Buch

Der Tod lauert in der Küche

BISS – der Wettbewerb für Sterneköche – ist ein großes Ereignis in Bath. Doch der Sieger hat nur kurze Zeit Freude an seinem Erfolg, denn er wird ermordet. Honey ist mehr als froh, dass ihr Koch ein Alibi für die Tatzeit hat.Ein neuer Fall für Honey Driver und Steve Doherty und ein Muss für Freunde des modernen, aber trotzdem typisch britischen Frauenkrimis.

»Very British, very witzig – very spannend bis zur letzten Seite.« Kieler Nachrichten

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Jean G. Goodhind

Dinner für eine Leiche

Honey Driver ermittelt

Kriminalroman

Aus dem Englischen
von Ulrike Seeberger

Inhaltsübersicht

Über Jean G. Goodhind

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Anmerkungen

Impressum

Kapitel 1

Bei einem Kochwettbewerb zwischen Sterneköchen musste es einfach Mord und Totschlag geben. Da war sich Honey Driver sicher.

Die Veranstaltung war Teil einer Feinschmeckerwoche, »Baths Internationale Sternekoch- und Speisenwoche« mit der sinnreichen Abkürzung »BISS«. Nach den Ausscheidungsrunden waren noch sechs Teilnehmer übrig geblieben. Die trafen nun in der Endausscheidung aufeinander und würden um den Preis von 5000 Pfund kämpfen. Das Geld war eine wohlverdiente Belohnung, aber Meisterköche waren wie Platzhirsche. Wenn die in der Brunftzeit zusammentreffen, gehen sie mit ihren Geweihen aufeinander los. Nur waren Köche noch schlimmer. Die hatten scharfe Messer, und außerdem war bei ihnen die Triebfeder nicht so eine triviale Sache wie Sex. Ihnen ging es ums Kochen, und da reichte nun mal nichts anderes heran!

Der Tag hatte mit einer seltsamen Überraschung angefangen, wie sie einem das Hotelgewerbe manchmal beschert.

Das Zimmermädchen hatte heftig an die Tür von Zimmer 20 gehämmert, aber der Bewohner war nicht frisch und froh aus den Federn gestiegen. Er war auch nicht beim Frühstück erschienen oder hatte seine Rechnung beglichen.

»Vielleicht ist er tot«, vermutete Honeys Tochter Lindsey.

Honey war praktisch veranlagt. »Kein Problem, außer wenn er an Lebensmittelvergiftung gestorben ist. Das wäre schlecht fürs Geschäft. Aber das wissen wir bald genauer.«

Sie tippte auf ihrem Handy das Schnellwahlkürzel für den Nachtportier ein. Der meldete sich schlaftrunken, was weiter nicht überraschte, denn er war ja gerade erst zu Bett gegangen.

»Reg, haben Sie gesehen, ob Mr. Slade von Zimmer 20 letzte Nacht spät nach Hause gekommen ist?«

»Ja. Er ist mit seiner Frau etwa um ein Uhr früh zurückgekehrt.«

»Na, das hatte ich mir doch gleich gedacht.« Honey klappte ihr Handy mit einem scharfen Knall zu. »Geben Sie mir Ihren Schlüssel«, forderte sie das Zimmermädchen auf.

»Ist er sehr spät zurückgekommen?«, fragte Lindsey. Sie versuchte mit ihrer Mutter Schritt zu halten, die die Treppe hinaufstürmte und über den Flur eilte.

»Ja. Mit seiner Frau.«

Lindsey kicherte. Das Zimmermädchen schaute verwirrt, bis endlich auch bei ihr der Groschen fiel. Mr. Slade war Verkaufsmanager einer IT-Firma, die Software herstellte, und er hatte ein Einzelzimmer gebucht. Mit einer Ehefrau war er nicht angereist.

»Was gilt die Wette, dass er extrem indisponiert ist?«, fragte Lindsey.

Ihre Mutter lächelte ironisch. »Wie komme ich bloß zu einem so weltgewandten Kind?«

Lindsey, die beinahe neunzehn Jahre alt war, grinste zurück. »Klapperstorch?«

»Der arme Mr. Slade. Wenn mich mein Instinkt nicht täuscht, werden wir wohl bei den liegengebliebenen Kleidungsstücken nachschauen und ihm etwas zum Anziehen raussuchen müssen«, sagte Honey, während sie die Tür aufschloss.

Wie erwartet, lag der übernächtigte Bewohner von Zimmer 20 splitterfasernackt auf seinem Bett ausgestreckt. Außerdem war er gefesselt und geknebelt und trug um die Lenden eine Art ledernes Geschirr mit kleinen Glöckchen, die zwischen seinen Beinen bimmelten.

Nachdem sich Honey einen raschen Überblick über die Lage verschafft hatte, wandte sie sich ihrer Tochter zu. »Wie viel haben wir in der Handkasse?«

Die Kleider des Managers waren allesamt verschwunden. Desgleichen seine Aktentasche und was er sonst noch dabei gehabt haben mochte. Die Edelnutte, die er abgeschleppt hatte, hatte ihn nach allen Regeln der Kunst ausgenommen.

»Ich habe das Bargeld gestern erst aufgefüllt und seitdem nur Briefmarken gekauft.«

Während das Zimmermädchen diskret ein verknittertes Handtuch über die edlen Teile des armen Kerls breitete, schaute sich Honey in der Mappe, die Lindsey mitgebracht hatte, seine Rechnung an.

Dann blickte sie streng auf den Fesselfetischisten. »Also, Mr. Slade, wir haben Ihren Namen und Ihre Adresse, und wir haben Ihre Kreditkarte kopiert. Sie bekommen von uns genug Bargeld für die Heimreise, und wir suchen Ihnen auch etwas zum Anziehen zusammen.«

Er schaute sie mit Glubschaugen an.

»Verstehen Sie mich?«, fragte Honey nach.

Er nickte und murmelte etwas.

»Gut. Sie werden also nichts dagegen haben, wenn wir Ihnen den Preis für ein Doppelzimmer anstelle eines Einzelzimmers in Rechnung stellen?«

Hinter dem Knebel war weiteres Gemurmel zu hören, dazu ruckten die beiden gebundenen Hände wild. Dadurch drohte das über die edlen Teile gebreitete Handtuch zu verrutschen.

Honey zupfte es rasch wieder zurecht und schaute auf die Uhr. »Ich habe noch einiges zu tun und ein paar Termine. Außerdem wartet ein ungeduldiger Chefkoch auf mich. Lindsey kümmert sich weiter um Sie.«

Lindsey zog eine Grimasse. »Na, tausend Dank!«

Honey suchte in dem Vorratsschrank auf dem Flur nach, in dem vergessene Frotteeplüschbademäntel und diverse andere Kleidungsstücke aufbewahrt wurden. Zu Mr. Slades Pech waren die Fundstücke eher für Frauen geeignet, mit Ausnahme von ein paar alten Kochmonturen in verschiedenen Größen. Die Wahl war klar: entweder ein rosa Morgenmantel aus Frotteeplüsch oder eine weiße Kochjacke, eine blaukarierte Hose und ausgelatschte weiße Clogs.

Honey legte die Kochklamotten vor die Zimmertür. Um den Rest würde sich Lindsey kümmern müssen.

Am Fuß der Treppe wartete bereits ihr Chefkoch Smudger Smith auf sie, trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Sie erklärte ihm, was passiert war. Das beeindruckte ihn überhaupt nicht.

»So ein dämlicher Idiot! Aber könnten wir jetzt langsam in die Gänge kommen? In der Küche ist alles unter Kontrolle …«

Smudger rasselte herunter, was er arrangiert hatte, damit während seiner Abwesenheit in der Küche alles reibungslos funktionierte. Natürlich konnte es nicht so wunderbar werden wie unter seiner Aufsicht. Das würde jeder Chefkoch behaupten. Denn wie ein großer Gutsherr war er der König über alles, worauf sein Auge fiel.

Die Endausscheidung des Kochwettbewerbs sollte bei einer Nachmittagsveranstaltung in den Pump Rooms fallen, jenen außerordentlich eleganten Räumen aus der Regency-Zeit1, in denen die vornehmen Badegäste vor zweihundert Jahren das heilende Wasser getrunken hatten und wo sich heute eines der beliebtesten Restaurants von Bath befand. Alles, was Smudger dazu brauchen würde, war bereits im Lieferwagen des Hotels dorthin gebracht und in Kühlschränken in der Nähe des Austragungsortes verstaut worden. Als Honey und Smudger ankamen, liefen die Vorbereitungen für die Veranstaltung bereits auf Hochtouren. Die Luft war wie elektrisiert.

Zu beiden Seiten des Raumes hatte man Tische mit Arbeitsflächen aus rostfreiem Edelstahl aufgestellt. Sechs Köche hatten das Finale erreicht. Diejenigen, die bereits dort waren, betrachteten den Neuankömmling mit kaum verhohlener Feindseligkeit. Wenn Blicke töten könnten, wäre Smudger sofort zu Boden gesunken.

Der Stolz schwellte Honeys wohlgerundete Brust noch mehr: Ihr Chefkoch, Mark »Smudger« Smith, der kluge Junge, war einer von diesen sechs Köchen. Und er war wirklich scharf auf dieses Wettkochen. Scharf wie Löwensenf. Besonders seit er wusste, dass man einen der Juroren ausgewechselt hatte.

Am Morgen war er, noch ehe irgendjemand sonst aufgestanden war, im Hotel eingetroffen, war wie der Blitz durch die Küche gesaust und hatte seine Töpfe, Pfannen und Zutaten zusammengesucht. Eine Pfanne hatte er dem Küchenhelfer buchstäblich aus der Hand gerissen, direkt aus der Spülmaschine.

»Hast du schon die neueste Nachricht gehört?«, fragte er aufgeregt.

Honey hatte eine wilde Vermutung geäußert: »Alle anderen Köche haben abgesagt, weil sie erfahren haben, dass du am Wettbewerb teilnimmst.«

Er grinste mit strahlenden Augen. »Auch gut möglich. Okay, also, was wäre die zweitbeste Antwort?«

»Du hast die Preisrichter bestochen?«

»Schon dichter dran.« Smudger genoss es, sie mit einer kleinen Kunstpause noch einen Augenblick auf die Folter zu spannen. »Casper ist gebeten worden, als Vorsitzender der Jury auszuhelfen. Und der ist nun wirklich ein erfahrener Gourmet.«

Da hatte ihr lieber, ein wenig impulsiver – na ja, sehr impulsiver – Küchenchef ausnahmsweise einmal recht. Casper St. John Gervais war wirklich einer der pingeligsten Menschen, wenn es um kulinarische Feinheiten ging. Er duldete nur Topqualität, und kein noch so hohes Bestechungsgeld und keine Überredungskünste konnten sein Urteil trüben.

So einfach würde die Sache aber nun doch nicht werden. »Du trittst hier gegen eine ganz schön harte Konkurrenz an«, erinnerte Honey ihren Koch.

Smudger Smith warf unwillig den Kopf zurück. »Zumindest haben wir jetzt eine reelle Chance, dass es bei der Entscheidung mit rechten Dingen zugehen wird.« Aus unerfindlichen Gründen verfinsterte sich plötzlich sein Gesicht. »Solange alle fair arbeiten«, grummelte er.

Spätestens da bekam sie ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.

Ihre bösen Vorahnungen bewahrheiteten sich bald, als sie Smudgers Reaktion auf Oliver Stafford, den Chefkoch des Beau Brummell Hotels, wahrnahm. Einige Leute mochte Smudger, einige tolerierte er, und einige hasste er auf den ersten Blick. Die meisten anderen Chefköche und alle Lebensmittellieferanten fielen in die zweite Kategorie, Oliver Stafford jedoch eindeutig in die dritte.

Vielleicht wäre es Honey gelungen, die Sache unter Kontrolle zu halten, wenn da nicht die Hühnerbrüste gewesen wären.

»Da hat sich jemand an meinem Kühlschrank zu schaffen gemacht«, erklärte Smudger und warf finstere Blicke in Richtung Oliver Stafford. »Das sind nicht meine Hühnerbrüste. Sieh dir das an! Die sind nicht mal ordentlich aufgetaut. Meine waren frisch und nicht gefroren. Und ich habe gestern einen Blick in seinen Kühlschrank geworfen. Da war Zeug in Dosen drin. Schon vorgeschnittenes Hühnerfleisch. Also hatte er keinen Grund, meine Hühnerbrüste zu klauen!«

Honey packte Smudger beim Arm, ehe er sich auf Stafford stürzen und ihm einen Kinnhaken verpassen konnte.

»Lass das! Willst du disqualifiziert werden oder gewinnen?« Sie schluckte ihre Bedenken herunter, schaffte es, ihre Stimme ruhig zu halten, und schaute ihn flehend an.

Sie spürte, wie sich sein Arm entspannte. Die Wut blieb, brodelte weiter und zeigte sich deutlich auf seinem geröteten Gesicht. Er begann, Eier aufzuschlagen.

»Ich könnte ihn umbringen«, knurrte er und umklammerte dabei mit Mordlust im Blick seinen Schneebesen.

»Mit dem Schneebesen?« Das war ja nicht auszudenken!

»Da wüsste ich verschiedene Methoden«, murmelte er mit zu schmalen Schlitzen verengten Augen.

Leider arbeitete derjenige, auf den sich seine kriminellen Absichten richteten, ausgerechnet am Nebentisch.

Honey machte ihrem süßen Vornamen alle Ehre und säuselte: »Das Essen, Smudger, konzentriere dich nur aufs Kochen.«

»Er hat meine Brüste gemopst.«

Mancher andere hätte Smudger da missverstanden, doch zum Glück hatte ihn sonst niemand gehört.

»Er hat deine Hühnerbrüste bestimmt nur aus Versehen genommen.«

Smudger schaute finster. »Ha! Wer’s glaubt.«

»Gut, dass wir genug Reserve mitgebracht hatten«, sagte sie fröhlich, um ihn aufzumuntern.

Von Oliver Staffords Arbeitsplatz konnte man hören, wie Fleisch gehackt wurde. Smudger schaute wütend zu ihm hinüber. Oliver grinste zurück. Er hatte sogar die Dreistigkeit, ihr zuzuzwinkern. Damit hatte sie kein Problem. Sie mochte es, wenn junge Männer ihr zuzwinkerten. Kess. Eigentlich ziemlich süß. Aber Staffords Blick war frecher. Mannomann, war der sexy! Und er wusste es auch. Das war mehr als deutlich zu sehen.

Eine Glocke erklang.

»Der Wettbewerb ist eröffnet!«, verkündete der Conferencier, ein Herr von großzügigem Körperumfang, dessen Gesicht beinahe so rot wie sein Jackett war.

Die Preisrichter rauschten herein. Es waren vier: ein Gastrojournalist, ein Fernsehkoch, ein Vertreter der Tourismusbehörde und Casper.

Prächtig ausstaffiert in lavendelblauem Jackett mit steif gestärktem Halstuch, war Casper St. John Gervais, der Vorsitzende des Hotelfachverbands von Bath, der auffälligste Preisrichter, den dieser Wettbewerb je gehabt hatte. Er sah einfach fabelhaft aus. Aber das war eben Casper. Er schoss immer weit übers Ziel hinaus.

Lieblich nach Lavendel duftend schwebte er an Honey vorüber.

»Wunderbarer Publikumszuspruch«, murmelte er ihr aus dem Mundwinkel zu. »Menschen aus aller Herren Länder.«

»Die haben wohl gehört, dass Sie kommen würden.«

»Ach, wie süß«, erwiderte er und setzte seinen Weg fort.

Honey fragte sich, ob er das Aftershave passend zum Jackett ausgewählt hatte.

Sie überlegte, das Schlimmste wäre nun wohl vorüber. Smudger hatte sich wieder so gut in der Hand, wie es ihm möglich war. Also gesellte sie sich zu denen, die zum Zuschauen hergekommen waren. Unterwegs lief ihr noch Stella Broadbent vor die Füße. Sie war die Besitzerin des Beau Brummell Hotels, und Oliver Stafford war ihr Küchenchef.

Als die Frauen einander bemerkten, gefror beiden das Lächeln auf dem Gesicht.

»Hannah!«

Sie sprach Honeys wirklichen Vornamen so scharf und schnell aus, als wollte sie ihn so rasch wie möglich hinter sich bringen.

Honey schlug zurück. »Stella!«

Freundinnen hätten einander die Wange geküsst. Die beiden taten nichts dergleichen. Ihre Zähne blieben zum Lächeln gefletscht, als wären sie Vampire, die wetteiferten, wem der erste Biss gelingen würde.

Wie immer war Stella Broadbent mit so viel Goldschmuck behängt, dass er locker die Titanic hätte versenken können. Er glitzerte, er funkelte, und er war völlig übertrieben zu dem Outfit, das sie trug. Die Klunker waren der Grund für ihren Spitznamen. Brilli. Der saß.

Stellas Lippen lächelten, rot und marmorhart. »Alles in Ordnung mit Ihrem Chefkoch?«

Sie meinte: Ich hoffe, ihn trifft auf der Stelle der Schlag.

»Ich glaube, die Hühnerbrüste wurden verwechselt. Ihr Chefkoch hat wohl aus Versehen unsere genommen«, antwortete Honey.

Der breite Mund erstarrte in gezwungenem Lächeln. »Wenn das stimmt, dann bin ich sicher, dass es ein echtes Versehen war. Doch ich bezweifle es. Wir benutzen nämlich nur Zutaten von allerhöchster Qualität.«

»Tiefkühlware?«

Stella war früh gekommen und hatte bereits den Weg zum Tisch mit den Getränken gefunden. Der Farbe ihrer Wangen nach zu urteilen, hatte sie dabei alle anderen um Längen geschlagen.

»Was sollen denn das für Anschuldigungen sein! Ich ahne es schon: Sie werden eine sehr schlechte Verliererin sein!« Ihr Gebaren war hochnäsig, ihr Ton streitlustig.

»Ich lasse Ihnen unsere Rechnung zukommen.«

Stella platzte heraus: »Sie … machen … was?«

Honey wartete ab, bis sie zu Ende gelacht hatte. Denn eine Pointe entfaltet nur dann ihre volle Wirkung, wenn der Zuhörer ihr volle Aufmerksamkeit schenkt.

»Es sei denn, der Preis für ein paar lumpige Hühnerbrüste übersteigt Ihre finanziellen Möglichkeiten?«

Stellas Mund blieb offen hängen. Die Flüssigkeit in ihrem Weinglas schwappte hin und her.

»Ich schicke Ihnen die Rechnung.« Mit diesen Worten machte Honey abrupt kehrt und ließ sie stehen.

Jetzt konnte sie selbst etwas zu Trinken gebrauchen. Sie war nicht feige, aber wenn sie Stella sah, stellten sich ihr die Nackenhaare auf. Deren in Gelb und Schwarz gehaltenes Hummel-Outfit machte ihr Lust, fest mit der Fliegenklatsche draufzuhauen. Und all das verdammte Gold. Wie konnte sie sich das bloß leisten?

Was noch schlimmer war: Das Beau Brummell Hotel war eines der wenigen privat geführten Hotels in Bath, das einen eigenen Parkplatz hatte. Nichts konnte die Schönheit dieser kompakt gebauten Stadt trüben, deren höchste Blütezeit in den Tagen der Sänften und der von kastanienbraunen Pferden gezogenen Kutschen gewesen war. Doch heute waren die Zeiten bequemer Reisender angebrochen. Trotz dringender Aufforderungen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, verzichteten die Leute nicht gern auf ihre Autos. An einem Ort wie Bath war es eine Seltenheit, dass sie ihre fahrbaren Untersätze irgendwo parken und von dort gleich ins Stadtzentrum spazieren konnten. Honey sagte sich, dass sie keineswegs neidisch war. Trotzdem kochte sie vor Wut, während sie zum Tisch mit den Getränken ging.

Dort wurden flüssige Erfrischungen für beinahe jeden Geschmack angeboten. Die gesundheitsbewussten Teile des Publikums konnten an dem eisenhaltigen Wasser nippen, das aus einem georgianischen Brunnen gezapft worden war. Bereits die Kelten hatten diese heiße Quelle verehrt, die Römer hatten sich nackt darin getummelt, die Zeitgenossen König Georgs hatten ihre Bade- und Trinkkuren voll bekleidet gemacht, und die Touristen moderner Zeiten tranken aus kleinen Gläsern von dem Wasser. Manche schworen auf dessen gesundheitsfördernde Wirkung. Andere spuckten es angewidert aus und machten sich auf die Suche nach wohlschmeckenderen Alternativen.

Man konnte Wein offen oder als ganze Flasche erwerben. Die Flaschen fanden reißenden Absatz. Honey beschränkte sich auf einen Schoppen. Es würde ein langer Tag werden. Am Abend würden rings um den Abbey Square Stände aufgestellt. Dort würden der Öffentlichkeit Kostproben gereicht werden, die die Chefköche der Top-Hotels der Stadt zubereitet hatten. Die Einnahmen sollten einem wohltätigen Zweck zugeführt werden.

Honey hatte sich vorgenommen, einen klaren Kopf zu behalten. Wenn Smudger diesen Wettbewerb gewann, würde er sich betrinken wollen. Wenn er verlor, dann auch. Sie war hier, um seine Energie auf die Veranstaltung im Freien zu konzentrieren und um ihn davon zu überzeugen, dass letzten Endes doch die gute Sache gewinnen würde – zumindest wenn er im Wettbewerb nicht siegen sollte. In jedem Fall würde es mit ihm unerträglich sein. Dieser Gedanke schoss ihr durch den Kopf, als sie die Hand nach einem zweiten Glas Wein ausstreckte, kurz zögerte und beschloss, doch lieber nüchtern zu bleiben.

Genau in dem Augenblick, als die abschließende Beurteilung beginnen sollte, klingelte ihr Telefon. Es war ihre Mutter.

»Hat er gewonnen?«

»Sie machen gerade die letzte Beurteilung.«

»Hast du Casper gesagt, dass er gewinnen muss?«

Honey schloss die Augen und zählte bis zehn. Wenn es ums Siegen ging, kannte ihre Mutter keine Skrupel. Deswegen hatte sie nur reiche Ehemänner gesammelt.

»Natürlich nicht.«

»Das solltest du aber. Sag ihm, dass du mit diesem Polizeiverbindungs-Dingsda nicht weitermachst, wenn er Smudger nicht die Höchstpunktzahl gibt.«

»Tschüs, Mutter.«

Honey klappte ihr Handy zu. Ihr Mutter glaubte, dass man alles erreichen konnte, wenn man die Leute nur genug drangsalierte. Sie war wie ein Hund, den man einfach nicht einschläfern lassen konnte. Na ja, zumindest nicht ohne ungeheure Gewissensbisse.

Casper St. John Gervais beriet sich mit den anderen Juroren. Sie steckten die Köpfe zusammen, ihre Kugelschreiber schwebten über den Klemmbrettern, und sie murmelten miteinander, schauten zur Seite, überprüften noch einmal ihre Notizen, taten alles, um so auszusehen, als wüssten sie tatsächlich, was sie taten. Dieser Wettbewerb sollte die Spitzenküche vorstellen, die man hier in Bath geboten bekam. Die Stadt war darauf angewiesen, dass ausländische Touristen ihr Römisches Bad, die georgianischen Pump Rooms und die eleganten Straßenzüge und Plätze besuchten. Alle Geschäftsleute, besonders die im Hotelgewerbe, wussten, wie sehr sich schlechte Presse auf die Besucherzahlen auswirkte.

Wenn man eine Schau veranstalten musste, dann war Casper sicherlich der richtige Mann. Casper hatte auch die Idee mit dem »Polizeiverbindungs-Dingsda« gehabt, von dem ihre Mutter gesprochen hatte. Die Sache hatte sich für Honey als etwas mehr als nur eine Verbindung herausgestellt. Sie war wirklich in einen Mordfall verwickelt worden und hatte entscheidend zu seiner Klärung beigetragen. Bei dieser Angelegenheit war hauptsächlich zwischen ihr und Detective Inspector Steve Doherty eine Verbindung entstanden – und sie war keineswegs nur beruflicher Art. Zwischen den beiden knisterte eine starke Spannung unter der Oberfläche. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der zündende Funke überspringen würde.

Es tat Honey gut, einmal einen Tag außerhalb des Hotels zu verbringen. Das Leben als Hotelbesitzerin war nicht so glamourös, wie man es immer hinstellte: nichts als dankbare Gäste, Riesentrinkgelder, Berühmtheiten und Champagner. Routine beschrieb diesen Job wohl am besten: montags Fleisch bestellen, dienstags Gemüse, mittwochs Weinvertreter und dazwischen Tisch decken, Servietten falten und mit Gästen fertig werden, die ein bisschen zuviel Hochland-Whisky intus hatten.

Honey hatte sich schon lange nach einer zusätzlichen Beschäftigung gesehnt. Die Aufgaben der Verbindungsperson zur Polizei gaben ihrem öden Alltag ein wenig Pfiff. Das Gleiche galt auch für Steve Doherty.

Die vier Preisrichter blieben noch einmal an jedem Tisch stehen, kosteten, schwatzten leise miteinander, nickten wie Esel, die aus der gleichen Krippe fressen. Sie einigten sich und schrieben ihre Beurteilung auf.

Kein einziges Mal wanderte ihr Blick von dem gekosteten Gericht, den Klemmbrettern oder ihren Kollegen zu den Chefköchen. Bei allen Gerichten war der Hauptbestandteil Hühnerfleisch. Alle anderen Zutaten hatte man den Köchen überlassen. Für die Juroren zählten der Geschmack und die Präsentation des Gerichtes. Augen, Nase und Zunge; Anblick, Geruch und Geschmack. Die Preisrichter knabberten am Fleisch, stocherten und hackten darin herum. Sie zerlegten die Gerichte in alle Einzelteile. Sie schlürften die Soßen teelöffelweise.

Endlich war die Entscheidung gefallen. Einer nach dem anderen stolzierten die Juroren durch die Menge der Hotelbesitzer, freiberuflichen Gastrojournalisten und hungrigen Horden aus der Außenwelt auf eine erhöhte Plattform zu. An normalen Wochentagen spielte hier ein Streichertrio Händel für die Gäste, die sich an Sahnetörtchen gütlich taten. Heute war weit und breit kein Sahnetörtchen zu sehen – Gott behüte!

Honey sprach ein stummes Gebet und drückte beide Daumen. Sie warf einen Blick auf die selbstgefällig grinsende Stella Broadbent und drückte vorsichtshalber auch noch die großen Zehen. Etwas Furchtbares würde geschehen. Sie spürte es in der Magengrube.

Casper war der Sprecher der Jury. Er reckte seinen langen Hals zum Mikrofon und sah dabei auffallend wie eine Giraffe aus, die sich daran machte, eine große schwarze Pflaume zu verzehren.

»Meine Damen und Herren.« Kristallklar schwebte seine Stimme zur Rokokodecke empor, hallte von den hohen Bogenfenstern wider. Seine durchdringenden Augen schweiften über das Publikum und erheischten ungeteilte Aufmerksamkeit. »Wir haben den besten Köchen von Bath die Aufgabe gestellt, ein Gericht zu komponieren, dessen Hauptbestandteil Hühnerfleisch ist. Die übrigen Zutaten durften sie selbst auswählen …«

Honey schaute zu Smudger. Seine Augen waren starr auf Casper gerichtet und schienen zu sagen, er solle es ja nicht wagen, nicht ihn als Gewinner zu nennen. Normalerweise war Smudgers Teint zartrosa, im Augenblick jedoch weißer als das weißeste Weißmehl.

Honey stellte ihr Weinglas ab, stopfte sich die Finger in die Ohren und schloss die Augen. Was würde jetzt kommen? Worauf lief es hinaus? Auf Feiern oder Mitleidsbekundungen?

Der Applaus drang durch ihre Finger an die Ohren. Sie schlug die Augen auf und sah den oberen Teil einer weißen Kochmütze, die zum Podium hinaufhüpfte. Ihr wurde das Herz schwer.

Nicht Smudger. Smudger war etwa eins achtzig groß. Wenn er gewonnen hätte, hätte sie seine errötenden Wangen und sein strohgelbes Haar gesehen.

Oliver Stafford, gerade einmal eins fünfundsechzig groß, vielleicht in Küchenclogs eins siebzig, trat strahlend auf die Bühne, nahm seinen Preis entgegen und warf dem Publikum Kusshände zu.

»Der Beste hat gewonnen«, rief er.

Applaus brandete auf. Oliver Stafford zog seine Show ab, schüttelte Männern die Hand, küsste Frauen, die er nie zuvor gesehen hatte, die Hand. Seine Augen schienen überall zu sein. Sie blieben an ihr hängen. Wieder dieses Zwinkern, dieses offenkundige Mustern ihrer Figur und das anzügliche Grinsen. Die Aussage war mehr als klar: Ich bin zu allen Schandtaten bereit, wenn du mitspielst.

Honey schaute zu Smudger, der niedergeschlagen dastand und applaudierte, die blaue Rosette des zweiten Preises an seiner Jacke. Wenn Blicke töten könnten, dann wäre Oliver Stafford nun ein gut durchgebratenes Steak.

Auf einmal hatte es Honey sehr eilig.

Sie wandte den Ereignissen auf der Bühne den Rücken zu und drängte sich durch die Menge. »Gratulation! Du hast dich hervorragend geschlagen!«

Gott, überzeugend klang das nicht! Sie überlegte sich eine neue Strategie. »Ich glaube, du hast dir einen Bonus verdient.«

Smudgers Stirn legte sich erneut in finstere Falten. »Und ich glaube, dieser Schweinehund hat sich einen Tritt in den …«

»Schnell«, unterbrach sie ihn, als hätte sie nichts gehört. »Wir müssen zum Abbey Square und uns den besten Platz sichern.«

»Clint hat gesagt, dass er das für uns macht.«

Smudgers Stimme war völlig teilnahmslos. Seine Augen starrten immer noch auf Oliver.

Clint, dessen wirklicher Name Rodney Eastwood war, betätigte sich bei Honey als Spülhilfe, Mädchen für alles und Küchenjunge. Er hatte tatsächlich versprochen, einen guten Platz zu ergattern und schon mit dem Aufbau des Stands anzufangen. Doch Smudger brauchte unbedingt eine Beschäftigung, damit er Oliver Stafford nicht den Schädel einschlug.

»Aber du musst dich doch um alles kümmern.« Das klang noch lahmer.

Smudger wich keinen Zentimeter von der Stelle.

Honey folgte seinem Blick. Oliver Stafford stellte sich mit triumphierendem Lächeln und eingerahmt von zwei dürftig bekleideten Blondinen den Fotografen. Die silberne Trophäe hielt er hoch über den Kopf.

»Komm schon. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Honey begann mit dem Einpacken. Erst die Messer. Die waren am gefährlichsten. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Smudger mit dem Schneebesen auf Oliver zustürmen. Hastig verstaute sie auch den.

»Hierher, hierher.«

Oliver, die Blondinen und eine Traube von Fotografen und anderen Neugierigen drängten sich zu den Stahltischen.

»Bitte der Gewinner hinter den Tisch«, befahl einer der Fotografen.

Ehe er diese Position einnahm, küsste Oliver erst die eine Blondine, dann die andere und drückte jede ein bisschen zu lange an sich. »Nur noch einen kleinen Augenblick, meine Süßen. Haltet mir alles auf kleiner Flamme warm, ja?«

Honey packte Smudger beim Arm. Zu spät. Schon hatte Smudger Stafford bei den Ohren genommen.

»Lass mich los!«

Die Kameras der Fotografen klickten fröhlich weiter.

Casper drängte sich durch die Menge. »Bitte zügeln Sie Ihren Chefkoch, Madam! Wie können Sie es wagen, diesen Mann so zu malträtieren?«

»Smudger! Lass sofort seine Ohren los!«

Smudger knurrte wütend. »Der sollte seinem Schicksal dankbar sein, dass ich ihn nicht ganz woanders gepackt habe!«

Ringsum herrschte Aufruhr, und immer noch knipsten die Paparazzi. Honey murmelte verschiedene Gründe, warum Smudger Stafford lieber nicht die Ohren vom Kopf reißen sollte, und umklammerte seinen Arm. Wütende Augen funkelten über roten Wangen – wenn sie auch nicht annähernd so rot waren wie die Ohren des Opfers. Zwischen den beiden Gesichtern waren nur Zentimeter.

»Ich weiß, was du gemacht hast, Stafford. Und das zahle ich dir noch heim. Hör mir gut zu, das zahle ich dir noch heim«, schrie Smudger.

Endlich ließ er ihn los.

»Der ist vollkommen durchgeknallt«, sagte Stafford und rieb sich die knallroten Ohren. »Du bist völlig von der Rolle, Smith. Total plemplem!«

Ehe Stafford das gesagt hatte, hatte sich Smudger von Honey ein Stück wegziehen lassen. Sie waren schon beinahe auf dem Weg nach draußen.

Aber jetzt machte er wieder einen Satz nach vorn, ballte die Fäuste und war drauf und dran, sie seinem Rivalen ins Gesicht zu dreschen.

Honey warf sich auf ihn, die Arme – nicht gerade graziös – wie bei einem Rugby-Tackle ausgestreckt. Sie umklammerte seine Taille, das Gesicht fest an seine männliche Pobacke gepresst. Dabei verlor sie ihre Schuhe und hing nun breitbeinig an ihrem Chefkoch. Elegant sah das alles wirklich nicht aus, wenn sie auch, dem Applaus der Menge nach zu urteilen, durchaus sportliche Fertigkeiten unter Beweis gestellt hatte. Zum Glück hatte sie, dank ihrer Vorliebe für zuckersüße Banoffee Pies, das nötige Gewicht ins Spiel zu bringen und konnte diesen Ringergriff erfolgreich anwenden. Smudger zerrte sie weiter. Ihre Beine schleiften über den Boden, aber sie hängte sich an ihn, so gut sie konnte.

»Komm schon, Smudge«, murmelte sie in die gestärkte Baumwolle seiner weißen Kochjacke hinein.

Er blickte über die Schulter auf sie herab und runzelte die Stirn. »Großer Gott, das ist, als würde sich ein Sack Kartoffeln an einen dranhängen.«

»Wirklich charmant. Herzlichen Dank.«

Aber sie ließ nicht los. Sie wagte es nicht.

»Was ist mit unseren Töpfen und dem ganzen Zeug?«, fragte er, während seine Augen immer noch Oliver Stafford verfolgten, dessen Chefin gerade sein Riesenego besänftigte. Brilli Broadbents Pfirsichteint leuchtete von innen, als sie Honey ein verächtliches Lächeln zuwarf.

»Na, na, wie nehmen Sie denn Ihre Niederlage hin? Am Boden und mit breit gespreizten Beinen. Na ja, für Sie wohl keine außergewöhnliche Position, was man so hört.«

Honey rappelte sich auf die Füße. Jetzt war sie drauf und dran, sich auf jemanden zu stürzen. »Du Mistkuh …« Smudger musste sie mit aller Kraft zurückhalten.

Stafford machte eine ausladende, theatralische Handbewegung, um das Ganze zu beenden. »Schlechte Köche, schlechte Verlierer.«

Honey spürte, wie sich ihr gesamter Körper anspannte. Sie schaute sich hastig um. Die Messer hatte sie bereits verstaut, aber was war mit dem Fleischklopfer? Ein kleiner Schlag mitten auf die Stirn, und – Simsalabim – schon waren die Zaubertage dieses Chefkochs gezählt!

Smudger war furchterregend ruhig. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Honey musste ihn unbedingt nach draußen bringen, ehe der Orkan losbrach und er Stafford die Nase demolierte.

»Komm schon, Smudger. Lass uns gehen.«

Sie versuchte ihn zu schieben. Er war unverrückbar wie ein Fels. Er deutete mit einem anklagenden Finger auf Stafford. Seine Stimme klang ganz ruhig. »Dieser Preis hätte mir zugestanden. Du hast ihn mir gestohlen, Stafford. Das weiß ich ganz genau, du Schwein. Aber ich krieg dich noch. Das lass dir gesagt sein!«

Kapitel 2

Emma Pearce unterdrückte ein Gähnen. Seit drei Uhr am Nachmittag hatte sie Dienst an der Rezeption des Beau Brummell Hotels. Und jetzt war es beinahe elf Uhr nachts. Sie hatte wohl oder übel Überstunden machen müssen.

Oliver Stafford, der Chefkoch des Hotels, war aus dem heutigen Wettbewerb mit einigen anderen hervorragenden Köchen als Sieger hervorgegangen, und die Feier war noch lange nicht zu Ende.

Lachen, knallende Champagnerkorken und das Klirren der Gläser nach unzähligen Trinksprüchen auf den Chefkoch waren bis zur Rezeption zu hören. Wenn vergangene Partys dieser Art ein Maßstab waren, dann würde es da drin noch bis in die frühen Morgenstunden feuchtfröhlich weitergehen.

Emma seufzte und gähnte noch einmal, schlüpfte aus dem rechten Schuh und rieb den Fuß am linken Knöchel. Ihre Füße brachten sie beinahe um. Der Nachtportier war spät dran, würde aber bald hier sein. Es hatte keinen Zweck, Mrs. Broadbent zu fragen, ob bis dahin jemand anderer Emma an der Rezeption vertreten könnte. Mrs. Broadbent erwartete, dass das Personal so lange blieb, bis die Ablösung da war – wie müde, treue Soldaten, die einen wichtigen Brückenkopf zu verteidigen hatten.

Ein Luftzug wehte von der Tür am Haupteingang herüber, die soeben aufgeschoben wurde.

Emma wollte sich gerade ein Lächeln abringen, ehe sie den Kopf hob und einen spät eintreffenden Gast begrüßte. Stattdessen blieb ihr der Mund weit offen stehen.

Turmhoch ragte ein schwarzer Mann über ihr auf. Als sie seinen Aufzug sah, fiel ihr die Kinnlade vollends herunter.

»Guten Abend, Miss. Ich komme meine Frau besuchen und möchte meinen Anspruch auf die Hälfte dieses Hotels geltend machen.« Lächelnd legte er den Kopf zurück und schaute sich um. »Es ist sehr schön, nicht wahr?«

Emma versuchte, ihre Gesichtszüge wieder unter Kontrolle zu bekommen. Vorher konnte sie unmöglich ein Wort herausbringen. Träumte sie? Sie zwinkerte und hoffte, sie würde gleich zu Hause in ihrem Bett aufwachen und schnellstens wieder einschlafen. Der Mann war nicht nur groß. Es war sein Aufzug – er sah so ähnlich aus wie der amerikanische Schauspieler, der den afrikanischen Stammeshäuptling auf Brautschau in New York spielte. Wie hieß der doch gleich? Es fiel ihr nicht ein. Sie war zu sehr damit beschäftigt, auf seine Fellkleidung und die unzähligen korallenroten, weißen und gelben Perlen zu glotzen, aus denen der riesige Kragen bestand, den er um den Hals trug.

Er bemerkte ihr Interesse. »Ich sehe, Ihnen gefällt mein Stammesgewand. Es ist ein Massai-Gewand. Gefällt Ihnen auch mein Speer?«

Emma warf einen kurzen Blick auf den Speer, während sie immer noch versuchte, ihre Stimme wiederzufinden. »Ich …«

Die Zunge klebte ihr am Gaumen.

»Wo ist sie also?«, fragte der Mann, und seine Dreadlocks peitschten ihm um den Kopf, während er ihn hierhin und dorthin wandte. »Wo ist meine Gattin Stella Broadbent Jones? Mein Name ist Obediah Jones. Wir haben uns letzten Sommer auf einer Safari im Massai Mara kennengelernt, als sie dort Urlaub machte, und wir haben da geheiratet. Meine Frau sollte meinen Namen annehmen. Namen mal zwei sind gut, ja?«

Emma nahm an, dass er damit auf die Vereinigung von Mrs. Broadbents Namen mit dem seinen anspielte. »Äh … ja …«

Plötzlich erklang in der Bar schallendes Gelächter. Der Mann wandte den Kopf in diese Richtung. »Sie ist dort, nicht?«

Emma nickte. Der Hals war ihr vor Staunen so sehr zugeschnürt, dass sie einfach kein Wort hervorbrachte. Wenn dies ein Scherz war, dann war es ein guter. Sie kicherte. Wenn es Wirklichkeit war – konnte man sich dann für Stella Broadbent eine peinlichere Situation vorstellen?

Der Mann schritt auf die breite zweiflügelige Tür zu, die in die Bar führte. Gerade kam ein japanisches Paar zur Eingangstür herein. Die beiden hatten fröhlich über das Theaterstück geschwatzt, das sie gerade im Theatre Royal gesehen hatten. Auf dem Weg zum Empfangstresen gerieten ihre Schritte plötzlich ins Stocken. Emma warf ihnen nicht einmal ein Willkommenslächeln zu. Mrs. Broadbent war nicht die beste Chefin, die sie je gehabt hatte. Mit einem halben Dutzend Pink Gins im Blut konnte sie ausgesprochen widerlich werden oder völlig vergessen, was sie tat. Die Möglichkeit, dass sie so viel getankt und dann einen afrikanischen Krieger geheiratet hatte, würde ihrer furchteinflößenden Arroganz eine ganz schöne Delle verpassen.

Emma ignorierte die beiden sprachlosen japanischen Gäste, hüpfte, ja rannte beinahe hinter dem Mann her, um ihn einzuholen.

Sobald er in die Bar eintrat, verstummte jegliches Geräusch. Alle Augen waren auf ihn gerichtet.

Stella Broadbent nahm noch rasch einen Schluck, ehe sie ihre Aufmerksamkeit auf ihn konzentrierte. Zuerst wirkte sie verwirrt, dann aber begann sie zu lachen. »Okay, wer hat den Stripper gebucht? Los schon, warst du das, Oliver?«

Obwohl ein Lächeln um seinen Mund spielte, verengten sich Oliver Staffords Augen. Er war nicht gerade ein Blitzmerker. »Nee, ich nicht«, antwortete er und ließ den Korken aus der nächsten Flasche knallen.

Der hoch aufgeschossene Krieger schritt auf Stella zu.

»Du meine Güte«, sagte sie, schaute ihn von Kopf bis Fuß an und streichelte ihm neckisch über den Arm. »Ein bisschen mager bist du ja geraten, aber alle Muskeln sind am rechten Platz.«

Amüsiertes Kichern breitete sich im Publikum aus.

»Frauen sollten zu ihrem Herrn und Meister nicht solche Worte sprechen«, erwiderte der Mann mit finsterer Miene, während er zu Stella hinunterblickte. Er breitete die Arme aus und richtete seine Worte an die Zuhörer. »Wir haben uns letztes Jahr auf einer Safari kennengelernt und bei einem herrlichen Wasserloch geheiratet. Ich erhebe nun Anspruch auf meine Ehefrau und auf die Hälfte dieses sehr schönen Hotels.«

Es war immer noch Lachen zu hören, aber längst nicht mehr von allen. Stella war stinksauer.

»Ich weiß, was hier gespielt wird! Irgendjemand hat dir das gesteckt, genau die gleiche Person, die Graffiti auf unsere Mauer gesprüht und die Autos unserer Gäste beschädigt hat. Wer hat dich beauftragt? Los schon! Raus damit!«

Obediah schaute verletzt drein. Er schüttelte traurig den Kopf. »Ich hätte es wissen müssen, als du aus so vielen Flaschen getrunken hast, dass du mir verweigern würdest, was mir zusteht. Aber ich werde nicht streiten. Ich will keine Frau, die erst mit mir das Lager teilt und dann trinkt und mich vergisst. Das ist nicht gut.«

Das amüsierte Kichern wich ungläubigem Staunen. War dies gute Unterhaltung, oder war dieser Mann echt? Langsam fasste wohl letztere Meinung Fuß.

Stella Broadbent schien zu wachsen, bis sie nur noch aus Kopf und hochhackigen Schuhen, einem kalkweißen Gesicht und tellergroßen Augen bestand. Sie schnaufte tief und explodierte.

»Raus! Raus! Raus!«

Chaos brach los. Leute schrien oder lachten. Einige forderten, man solle die Polizei rufen. Andere lachten und orderten weitere Drinks.

Der gedrungene Wachmann, den man eingestellt hatte, um die Graffitisprüher abzuschrecken, kam hereingerannt.

»Diesen Mann da«, kreischte Stella, die inzwischen von Freunden und Gästen umringt war, »sofort rauswerfen!«

Der Wachmann, der von allen Seiten angebrüllt und bedrängt wurde, verlor seine Mütze. Als er sich bückte, um sie aufzuheben, bevor sie plattgetrampelt wurde, trat ihm jemand auf die Hand. Ehe er sich wieder aufgerichtet hatte, war der schlaksige Mann, den er rauswerfen sollte, schon weg.

»Hier entlang.« Emma fühlte sich irgendwie für den großen Mann verantwortlich und geleitete ihn nach draußen.

Der Klang einer Polizeisirene versetzte sie beide in Panik.

»Hier hinein«, sagte einer der japanischen Touristen und hielt seine Autotür auf.

Das Polizeiauto raste vorbei. Der Tourist, der mit dem Unterhaltungsprogramm des Abends insgesamt sehr zufrieden war, ließ den Massai-Krieger dort im Auto sitzen.

Außer Sichtweite und auf dem Rücksitz zusammengekauert, schlief der große Mann in dem zufriedenen Gefühl ein, seinen Job gut gemacht zu haben.

Er wusste nicht, wie spät es war, als er aufwachte. Seine Gliedmaßen waren ganz steif, weil er sich in dem kleinen Wagen hatte zusammenfalten müssen wie ein Liegestuhl am Strand.

Er streckte die langen Beine durch die offene Autotür, schaute sich vorsichtig um. Nichts. Nur ein paar Lichter brannten noch im Hotel.

Alles war in Ordnung, entschied er, während er sich den schmerzenden Rücken rieb. Außer …

Seine rechte Hand war leer.

»Scheiße! Wo ist der verdammte Speer?« Zu allem Überfluss merkte er, dass er auf die Toilette musste. Der Haupteingang war höchstwahrscheinlich inzwischen verriegelt und verrammelt, also versuchte er es mit der Hintertür des Hotels. Die ging auf.

Essengeruch hatte das Gebäude bis in die Mauern durchdrungen. Der große Mann rümpfte die Nase und hoffte, dass der vor ihm liegende Flur ihn ins Haupthaus führen würde.

Er wäre weitergegangen, wenn er nicht Stimmen gehört hätte. Er presste das Ohr an die Küchentür. Ein Mann und eine Frau stritten.

Vorsichtig schlich er sich zurück. Sonst würden ihn die beiden vielleicht bemerken. Er drehte sich um und ging hinaus, dann draußen am Gebäude entlang auf den Haupteingang zu. Unterwegs fand er noch seinen Speer, der am Boden lag, und hob ihn auf. Zeit zu gehen.

Stella machte Zicken, aber das war Oliver bereits gewöhnt. Er wusste, dass sie die Nachricht nicht gut aufnehmen würde, doch das war ihm gleichgültig.

»Nach allem, was ich für dich getan habe«, kreischte sie mit funkelnden Augen.

Schon hatte er sie beim Kinn gepackt.

»Was es auch war, ich habe es nur für mich getan. Ein Sprungbrett, mehr warst du für mich nicht. Das ist alles.«

»All das Geld …«, begann sie.

Außer den unzähligen Pink Gins hatte sie auch noch einen Rest Feuer im Blut.

Sie zuckte zusammen, als er fester zupackte.

Seine Augen sprühten. »Ich habe nur die Gelegenheit erkannt und sie beim Schopf ergriffen. Ich habe dir haufenweise Geld verdient. Da steht mir eine bessere Belohnung zu.«

Ihr Kinn tat weh. Ihre Lippen waren verzerrt. »Aber was ist mit mir?«

Oliver Stafford hatte zwei Sorten von Lächeln drauf. Beim einen konnten einer Frau die Knie weich werden. Das andere jedoch konnte selbst das tapferste Herz gefrieren lassen.

»Du hattest mich, Schätzchen. Reicht dir das nicht? Jetzt geht es auf zu neuen Jagdgründen. Bisher brachliegenden Jagdgründen, sozusagen.«

Er hatte eine neue Freundin, eine frischere und jüngere Freundin. Stella war für ihn eine Fahrkarte zu mehr Geld gewesen, zu einflussreichen Bekanntschaften und einem besseren Leben.

»Ich habe aus dir gemacht, was du bist. Ich habe dich mit meinen Beziehungen reich gemacht«, schrie sie.

Er schaute sie von der Seite an, wie damals, als er sie verführt hatte. »Ja, du hast mich ihnen vorgestellt. Aber jetzt tanzen sie nach meiner Pfeife, und zwar zu meinen Bedingungen. Du bist nichts als ihre Marionette. Ich habe keine Lust, weiter diese Rolle zu spielen.«

Sie starrte ihn mit blitzenden Augen an. »Das wird dir noch leidtun. Lass dir das gesagt sein.«

»Halt du bloß die Klappe«, zischte er und deutete anklagend mit dem Finger auf sie. Er sah, wie ihr das Blut aus den Wangen wich, und wusste, dass sie jetzt zumindest eine Weile ruhig sein würde. Das Problem war nur, wenn sie einmal Alkohol getankt hatte, vermochte sie ihre Zunge nicht mehr im Zaum zu halten. Das konnte alle in Schwierigkeiten bringen. Das, was er vorhatte, konnte auch jede Menge Ärger nach sich ziehen. Aber ich bin schlauer als sie, sagte er sich. Ich weiß, wie man mit diesen Leuten umgehen muss.

Er prostete sich selbst zu, nachdem Stella fortgegangen war. Heute war so ein guter Tag gewesen. Dann trank er auch ein Glas auf Mark Smith, den Chefkoch des Green River Hotels.

»Und auf seinen Fleischer«, fügte er hinzu. »Feine frische Hühnerbrüste waren das.«

Er leerte sein Glas und warf es in die Spüle, wo es klirrend zerbrach. Da bemerkte er die Pfanne, die zum Einweichen dort stand. Außerdem lag da noch ein Küchenteufel, ein scharfes Allzweckmesser.

Oliver grollte. Köchen wird bereits in der Lehre eingeschärft, dass sie immer alles sofort wegräumen müssen – ganz besonders Messer. Und in seiner Küche wurde gemacht, was man gelernt hatte. Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. »Du kleiner Scheißkerl. Warte, wenn ich dich erwische, Carmelli.«

Wütend schleuderte er das Messer auf den Stahltisch, wo es entlangschlitterte und noch einige Pirouetten drehte, ehe es liegenblieb.

Bei der Tür war auch ein Sack mit Müll stehengeblieben. Oh, warte nur, Carmelli, den würde er zu Hackfleisch machen. Aber in der Zwischenzeit …

Mit boshaftem Eifer streute er mit beiden Händen den Müll auf dem sauberen Tisch aus, rieb geronnene Bratensoße und Fett in die glänzende Oberfläche. Dann ließ er seinen Blick über die Herde streifen, um zu sehen, welche anderen unangenehmen Aufgaben ihm noch für seinen sündigen Souschef einfallen würden.

Er blickte auf, als sich die Tür öffnete. Er sah, wer hereingekommen war, und sagte: »Wenn du versuchen willst, mich zu überreden, die Sache zu schmeißen, dann verschwendest du deine Zeit.«

Er konzentrierte sich so sehr darauf, noch mehr Unordnung zu schaffen, dass er seinen Besucher beinahe vergaß und sich erst an ihn erinnerte, als ihm schon das Messer die Gurgel durchschnitt. Danach war nur noch Vergessen.

Den ganzen Abend lang hatte der Wind köstliche Aromen über den Abbey Square geweht. Honey atmete die herrlichen Gerüche tief ein und seufzte. Verglichen mit der Veranstaltung in den Pump Rooms war dies der siebte Himmel gewesen. Smudger hatte sich wieder erholt – wenn man denn Einsilbigkeit und eine finstere Miene als Zeichen der Erholung deuten konnte. Sie wusste, dass er enttäuscht war, nicht gewonnen zu haben. Also tat sie ihr Bestes, um ihn abzulenken: Sie drückte ihm eine Zwanzigpfundnote in die Hand, mit der er in die nächste Bar wandern konnte.

Sie und Clint machten am Stand weiter, produzierten bis wenige Minuten vor Mitternacht wie am Fließband Steaks und Langustinen, Nudeln und Pastetchen. Als sie gerade ihre letzten Utensilien in den Kofferraum des Lieferwagens luden, tauchte Steve Doherty auf.

»Kann ich dich dazu verlocken, mich in die nächste Weinbar zu begleiten?«

Ihre Müdigkeit verflog. »Dazu lasse ich mich gern verlocken.«

Er lächelte erwartungsvoll. »Prima.«

Sie gingen in eine kleine Weinbar mit Namen Lautrec’s, gleich beim Kingsmead Square, eine von Honeys Lieblingskneipen. An den Wänden hingen Toulouse-Lautrec-Plakate zwischen Gaslampen, die beinahe so alt waren wie das Gebäude.

»Ich mag diese schwarzen Delfine«, sagte Steve und deutete mit dem Kopf auf die Bilder, während der Burgunder gluckernd aus der Flasche rann.