image

Rüdiger Hauth

Taschenhandbuch Esoterik

Von Bachblüten bis Yoga – Ein kritischer Leitfaden

image

Dieses E-Book darf ausschließlich auf einem Endgerät (Computer, E-Reader) des jeweiligen Kunden verwendet werden, der das E-Book selbst, im von uns autorisierten E-Book Shop, gekauft hat. Jede Weitergabe an andere Personen entspricht nicht mehr der von uns erlaubten Nutzung, ist strafbar und schadet dem Autor und dem Verlagswesen.

Die Bibelzitate wurden der Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, entnommen.

Abbildungsnachweis:

Abb.: 1

Aus dem Archiv des Autors

Abb.: 2, 3

Reinhard Hummel, Yoga: Meditationsweg für Christen? Probleme einer christlichen Yogarezeption. EZW-Texte, Informationen Nr. 112, Oktober 1990, S. 16

Abb.: 4

Brigitte Müller/Horst Günther, Reiki. Heile dich selbst, München, Silberschnur Verlag 1991

RBtaschenbuch Bd. 675

© R. Brockhaus Verlag Wuppertal 2007

Umschlag: Dietmar Reichert, Dormagen

Satz: factory · Mediaservice, Burkhard Lieverkus, Remscheid

Druck: Ebner & Spiegel, Ulm

ISBN 978-3-417-21940-1 (E-Book)

ISBN 978-3-417-20675-3 (lieferbare Buchausgabe)

Bestell-Nr. 220.675

Datenkonvertierung E-Book:

Fischer, Knoblauch & Co. Medienproduktionsgesellschaft mbH, 80801 München

Die Weblinks wurden bei Redaktionsschluss der 1. Auflage überprüft. Zwischenzeitliche Änderungen vorbehalten.

VORWORT

Was ist Esoterik? Obwohl dieses Stichwort in letzter Zeit immer öfter zu hören und zu lesen ist, kommen »normale Mitmenschen« bei der Beantwortung dieser Frage doch leicht ins Stolpern. Das ist verständlich, wenn man die unübersichtliche esoterische Szene vor Augen hat: Im Westen gibt es, ganz allgemein gesehen, zwei in sich wiederum zerfaserte Ausprägungen von »Esoterik«, nämlich die sogenannte »System-Esoterik« und die »Gebrauchs-Esoterik«.

Mit dem ersten Begriff werden im Allgemeinen Weltanschauungsgemeinschaften bezeichnet, die einen esoterischen Hintergrund, verbunden mit einer organisatorischen Struktur, aufweisen. Hierzu zählen beispielsweise die Theosophie, die Anthroposophie oder die verschiedenen Rosenkreuzergruppen. Auf diesen Aspekt soll allerdings im Folgenden wegen seiner thematischen Dichte nicht weiter eingegangen werden.

»Gebrauchs-Esoterik« umschreibt eine frei vagabundierende, z. T. kommerzialisierte Esoterik, die keine einheitliche, fest umrissene Religion, Sekte, Philosophie oder Weltanschauung meint, sondern ein Sammelsurium von höchst unterschiedlichen Traditionen und Überzeugungen, Aktivitäten und rituellen Handlungen, das das ganze Spektrum zwischen »spirituell« und »irrational« abdeckt. So ist es nachvollziehbar, dass das Stichwort »Esoterik« bzw. »esoterisch« von Vielen als diffus oder nebulös empfunden wird und eine präzise Auskunft über die Inhalte erschwert.

Der vorliegende Band will helfen, einen Weg durch das Dickicht all dessen zu finden, was allgemein unter »Esoterik« zu verstehen ist und was auf dem Markt angeboten wird. Dabei kann es nicht um eine umfassende Darstellung der gesamten Szene gehen, sondern nur, nach einer detaillierten Begriffserklärung, um einige Aspekte, die als charakteristisch gelten können: Vorstellungen und Praktiken, die aus asiatischer Religiosität in den Westen getragen wurden (Yoga, Reinkarnation), esoterisches Heilen (Reiki, Bachblüten) und Orakel-Techniken.

Außerdem wird die Frage diskutiert, wie das Verhältnis zwischen Esoterik und christlichem Glauben zu sehen ist, da es inzwischen nicht wenige Christen gibt, die diese beiden Dinge verbinden oder gar vermischen möchten.

I. »Esoterik« – ein schillernder Begriff

1.  Zur Definition und Geschichte

Es gibt keine allgemein verbindliche Festlegung, was unter »esoterisch« bzw. »Esoterik« zu verstehen ist, da sich schon Esoteriker und Nichtesoteriker, beispielsweise kritische Beobachter der Szene, durch ihre voneinander abweichenden Standpunkte und Beurteilungskriterien unterscheiden. Darüber hinaus ergibt sich die Frage, was eigentlich zum esoterischen Bereich gehört und was nicht, etwa im Hinblick auf die Abgrenzung zu Aberglaube, Magie und Okkultismus. Historiker sowie Religions- und Kulturwissenschaftler bringen weitere Aspekte aus ihren jeweiligen Forschungsgebieten ein, wie der entsprechenden Fachliteratur oder den einschlägigen Lexika-Artikeln zu entnehmen ist.

Dennoch lassen sich Erscheinungsformen beschreiben und einige Punkte nennen, die zum Verständnis dessen beitragen, was gemeint ist. Das Wort »esoterisch« wird vom griechischen Adjektiv esoterikós (eso = innen) abgeleitet, das sich mit »nach innen gewandt« oder »zum inneren Kreis gehörig« übersetzen lässt. In dieser Bedeutung findet es sich schon im 2. Jh. n.Chr. in einer Schrift des Satirikers Lukian von Samosata (ca. 120–180). Zum ersten Mal im Sinne von »geheim« gebrauchte Clemens von Alexandrien (ca. 160–215) den Begriff.

Die erstmalige Verwendung des Substantivs »Esoterik« wird gewöhnlich dem französischen Okkultisten Alphonse Louis Constant (1810–1875) zugeschrieben, der sich »Eliphas Lévi« nannte (kabbalistisches Pseudonym). Er war es übrigens auch, der den Begriff »Okkultismus« (occultisme) prägte. Constant hatte katholische Theologie studiert, war aber wegen abweichender Lehren und sexueller Freizügigkeit nicht zum Priester geweiht worden. Daraufhin wandte er sich magischen Praktiken und der Kabbala zu, einer jüdischen Geheimlehre. Um 1870 verwendete er den Terminus »Esoterik« (l'ésotérisme) als Sammelbezeichnung für verschiedene okkulte Strömungen, Handlungen und Gemeinschaften (Alchemie, Mantik, Hexenwesen, Rosenkreuzertum u. a.). Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass er den Begriff »l'ésotérisme« der Schrift Histoire critique du gnosticisme et de son influence (dt.: Geschichte des Gnostizismus und seines Einflusses) von 1828 entlehnt hat. Ihr Verfasser ist der elsässische Protestant Jacques Matter (1791–1864), der »l'ésotérisme« als Bezeichnung für freie religiöse und intellektuelle Spekulationen außerhalb der verfassten Kirchen benutzte, etwa im Sinne der christlichen Theosophie (= Gottesweisheit) des 18. Jahrhunderts (z. B. von Jakob Böhme und Friedrich Christoph Oetinger).

Zur inhaltlichen Bedeutung des Begriffs »Esoterik« hat jedoch wesentlich die Deutschrussin Helena Petrovna Blavatsky (1831–1891) beigetragen. Die Spiritistin, Gründerin der »Theosophischen Gesellschaft« (September 1875 in New York; nicht zu verwechseln mit der christlichen Theosophie) und Konvertitin zum Buddhismus (1880) vertrat am Ende ihres Lebens unter anderem folgende Überzeugungen, die noch heute für die Theosophie und damit größtenteils für die moderne Esoterik charakteristisch sind:

– Es gibt eine »Ur-Weisheit«, die sich hinter allen Philosophien, Kulturen und Religionen verbirgt. Diese sind nur historisch-materielle Ausprägungen dessen, was sie aus der gemeinsamen Quelle schöpfen. Der Wahlspruch der Theosophischen Gesellschaft lautet: »Keine Religion ist höher als die Wahrheit.«

– Es gibt keinen persönlichen Gott, sondern nur das unpersönliche »Göttliche«, das als »Energie« alles durchwirkt, auch den Menschen.

– Alles im Kosmos entwickelt sich, gemäß einem universalen Gesetz, von einer materiellen zu einer geistigen Existenz. Dazu bedarf es allerdings, besonders im Hinblick auf den Menschen, verschiedener Reinkarnationen (Wiederverkörperungen).

– Da der Mensch am Göttlichen Anteil hat, kann er durch eigene Anstrengung und »Erkenntnis der Wahrheit« schließlich selbst vergöttlicht werden.

Von Religions- und Kulturwissenschaftlern werden die Termini »Esoterik« bzw. »esoterisch« vielfach noch im klassischen Sinne gebraucht, um den Gegensatz zwischen einem »inneren« und einem »äußeren« Bereich zu kennzeichnen, etwa bei der Beschreibung von Geheimgesellschaften, Geheimkulten, Mysterienreligionen usw. Der innere Bereich wird charakterisiert durch Kenntnisse und Erfahrungen, von denen behauptet wird, dass sie Außenstehenden nicht ohne Weiteres zugänglich seien. Geheime Schriften, Passwörter, Handgriffe und entsprechende Rituale werden dem Adepten (Schüler, Neuling) erst nach einer längeren Zeit der Prüfung und »Bewährung« von einem »Meister«, »Großmeister«, »Guru« oder »Hohepriester« übermittelt. Mit der Aufnahme wird dem neuen Mitglied meist das Versprechen abgenommen, Verschwiegenheit zu wahren (»Arkandisziplin«) und die Gemeinschaft nach außen nicht zu gefährden. Durch dieses Prozedere fühlen sich viele »Eingeweihte« als erwählt, aus der Masse der Nichtwissenden herausgehoben und wähnen sich auf dem Wege zur Erleuchtung oder gar Erlösung.

2.  Heutiges Erscheinungsbild

Seit Anfang der 1970er-Jahre ist nun ein merkwürdiges Phänomen zu beobachten: eine Popularisierung des Begriffs »Esoterik«. Es ist ein Allerweltswort geworden, »ein Gefäß, worin alles und jedes zu einem subjektiven und willkürlichen Einheitsbrei zusammengekocht zu werden droht und wo viele Menschen völlig unkritisch und ohne Unterscheidungsvermögen einfach alles konsumieren, was in dem >esoterischen Gemischtwarenladen< so feilgeboten wird« (Ronald Zürrer, »Die Not-Wendigkeit der Esoterik«; in: Vision, März-April 1993, S. 25).

Dieser Beurteilung wird zustimmen, wer sich einen Überblick über den gegenwärtigen »esoterischen Gemischtwarenladen« verschafft und zur Kenntnis nimmt, was heute unter »Esoterik« angeboten wird. Hier eine kleine Auswahl von Kategorien:

– Bewusstseinserweiterung mit Hilfe fernöstlicher, d. h. aus asiatischen Religionen stammender Meditationsformen, Yoga-Techniken, Götterverehrungsritualen …

– Alternativ-esoterische Heilungsmethoden: Reiki, Edelsteinmagie, Bachblüten, Geistheilung, Ayurveda, Reinkarnationstherapien …

– Wahrsage- und Orakeltechniken: Tarot, Nummerologie, Pendeln, Astrologie …

– Channeling (= »Kanal sein«): Kontaktaufnahme eines Mediums mit Wesen auf höheren, spirituell-feinstofflichen Ebenen mit »Seth«, »Ramtha«, »Ea«, »P'taah«, »Bashar«, »Kryon«, »Jesus«, »Gott«, »Engeln«, »aufgestiegenen Meistern« …

– Ufologie als Glaube an die Errettung des Planeten Erde und der ganzen Menschheit durch hoch entwickelte Außerirdische und ihre Raumschiffe: »Asthar Sheran«, »Venusier«, »Orlon«, »Argun«, »Tai Shiin«, »Satun Shener« …

– Ethnische (von Naturvölkern stammende) Religiosität und Ritualistik, Schamanismus, indianische Spiritualität (Schwitzhütte, Medizinrad), keltische Mythologie (Druiden), Voodoo-Kulte …

– Esoterische »Erd-Techniken«: Geomantie, Radiästhesie, Feng- Shui …

– Glaube an »Kraftorte« und »heilige Plätze« als Zentren kosmischer Lebensenergie: Stonehenge (England), Externsteine, Findhorn (Schottland), Kailash (»heiliger« Berg im Südwesten Tibets), Pyramiden, Atlantis, germanische Steinkreise …

– Kontakte zu und Kommunikation mit Pflanzengeistern, Feen, Devas, Elfen, Gnomen …

Esoterisches und Mystisches haben Konjunktur, wobei die Szene teilweise im Verborgenen, aber auch für jedermann sichtbar auf dem »Markt der Möglichkeiten« agiert. Einschlägige Fernsehsendungen, wie etwa »Mystery«, »Buffy – im Banne der Dämonen«, »Akte X«, »Ghost Whisperers – Stimmen aus dem Jenseits«, erfreuen sich großer Beliebtheit. Seit Juni 2004 bietet die in Berlin ansässige »Questico AG« über verschiedene regionale (über Satellit oder digital zu empfangende) Fernsehsender unter der Bezeichnung »Astro TV« einen besonderen esoterischen »Service« an. Viele Stunden am Tag gibt es Beratung in Sachen Liebe, Beruf, Gesundheit oder Finanzen. Zuschauer können sich direkt (»Callin«) an die im Studio sitzenden Wahrsager, Astrologen und KartenlegerInnen wenden, um ihre Probleme vorzutragen. Die Zeit für eine Beratung ist allerdings auf drei Minuten begrenzt.

Keine größere Buchhandlung kommt heute ohne eine gut ausgestattete Abteilung »Esoterik« aus. Der Umsatz mit entsprechenden Büchern, Zeitschriften und Materialien soll inzwischen in Deutschland pro Jahr fast sieben Milliarden Euro betragen.

Die jährlich stattfindenden »Esoterik-Messen« sind ein weiterer Hinweis auf die zunehmende Präsenz und Aktivität der Szene. Für das Jahr 2007 sind 19 solcher Messen in deutschen Großstädten geplant (z. B. in Mannheim, Karlsruhe, Köln, München, Stuttgart, Nürnberg, Braunschweig), mit vielfältigen Vorträgen, Workshops und Seminaren, die fast die ganze Spannbreite der oben genannten Kategorien abdecken.

3.  Abgrenzung von Magie und Aberglaube

Vom Gesamtkomplex »Esoterik« müssen die Begriffe »Magie« und »Aberglaube« wegen inhaltlicher und struktureller Unterschiede abgegrenzt werden, obwohl es an manchen Stellen Berührungspunkte und Überschneidungen gibt. Aus diesem Grund werden auch im Sprachgebrauch der breiten Öffentlichkeit, besonders in den Massenmedien, die drei Termini oft unterschiedslos verwendet.

a) Magie

Das Wort »Magie« wird vom lateinischen magia abgeleitet, das wiederum auf das altpersische magu (= medischer Priesterstand) zurückgeht. Es ist eine Sammelbezeichnung für rituelle Handlungen, die auf die Beeinflussung von Ereignissen, Menschen und Natur abzielen. Dahinter steht ein bestimmtes magisches Weltbild, das von der Existenz geheimer Kräfte, Wesen und Mächte sowie kosmischer Gesetzmäßigkeiten ausgeht, die sich »Eingeweihte« zunutze machen können.

Zur Verwirklichung seines Vorhabens steht dem Magier ein bestimmtes Instrumentarium zur Verfügung, das er sich selbst geschaffen oder auch vorgefunden hat. Dazu gehören Beschwörungsformeln, mit denen versucht wird, Naturkräfte oder Geistwesen zu beherrschen und sich dienstbar zu machen. Bei Naturvölkern spielen auch Gesänge und rituelle Tänze eine Rolle, um z. B. in Trance zu fallen und so mit der Geisterwelt in Verbindung zu treten. In der magischen Praxis werden bisweilen auch Gegenstände wie Steine, Knochen, Fetische oder Götzenfiguren benutzt, denen eine besondere »Macht« zugemessen wird. Das Prinzip »pars pro toto« (= ein Teil steht für das Ganze) spiegelt die Überzeugung wider, dass zwischen Teilen, etwa abgeschnittenen Haaren oder Fingernägeln, und dem Ganzen, also dem Menschen, von dem sie stammen, eine geheimnisvolle Verbindung bestehe, die der Magier nutzen könne, um dem Betreffenden zu helfen oder zu schaden. Das gleiche Prinzip soll für die Abbilder einer Sache oder Person gelten, womit in diesem Zusammenhang auch das gefürchtete »Puppenstechen« im Voodoo erklärt wird.

Magische Vorstellungen und Praktiken sind ein Phänomen, das bei vielen Kultur- und Naturvölkern aller Erdteile durch die Jahrtausende hin anzutreffen war oder noch ist. Bei den altorientalischen Sumerern, Babyloniern, Chaldäern oder Ägyptern und den lateinamerikanischen Azteken, Maya und Inka war Magie Bestandteil ihrer Religion. In Ostasien, bei Chinesen, Tibetern, Mongolen, Koreanern und Japanern, ist das teilweise gegenwärtig noch der Fall. Aber auch Germanen, Kelten, Griechen und Römer wiesen in ihren religiösen Vollzügen magische Elemente auf.

Magische Kompetenz wurde nur bestimmten Menschen zugetraut, meistens Priestern oder Schamanen, von denen angenommen wurde, dass sie über geheimes Wissen und die entsprechenden Fähigkeiten verfügten. Sie hatten die Aufgabe, durch zeremonielles Beschwören von Göttern und Dämonen ihr Volk bzw. die Dorfgemeinschaft einschließlich des jeweiligen Herrschers vor Schaden zu bewahren oder von den Gottheiten das Wohlergehen aller zu erbitten. Außerdem mussten sie »Unerklärliches« erklären, die Zukunft deuten und die Glaubensvorstellungen ihrer Umwelt in ihren Zeremonien erkennbar zum Ausdruck bringen. Bei Naturvölkern mit entsprechender religiöser und sozialer Struktur geschieht das alles heute noch.

In Europa beschäftigten sich zu allen Zeitepochen Philosophen, Theologen und Naturwissenschaftler mit der Frage der Magie und ihrer Wirksamkeit und kamen zu ganz unterschiedlichen Beurteilungen. Dann gab es solche, die auf magischem Wege »ewige Jugend« erleben oder den »Stein der Weisen« (eine geheimnisvolle Substanz) finden wollten, um aus unedlen Metallen Gold zu machen.

In unserer Zeit werden magische Praktiken vor allem mit den Besessenheitsritualen der afro-brasilianischen Kulte Macumba und Candomblé, mit Voodoo und Santeria in der Karibik sowie in westlichen Ländern mit okkult-satanistischen Gruppen in Verbindung gebracht.

Während der Fußballweltmeisterschaft im Sommer 2006 in Deutschland erregte ein Schamane aus Ecuador Aufsehen und fand ein breites Medienecho. Der 37-jährige, aus dem Amazonasgebiet stammende Abram Tzamarenda Naychapi besuchte in seinem pittoresken Outfit alle zwölf Spielstätten und »reinigte« die Stadien mit dem »Ritual des Wasserfalls« von »negativen Schwingungen und bösen Geistern«. In alle vier Himmelsrichtungen gewandt, rezitierte er Beschwörungsformeln, stieß spitze Schreie aus und rammte seinen Speer in den Rasen.

Dem Verdacht, dass der Schamane die Stadien, in denen die ecuadorianische Mannschaft spielen sollte, durch das Vergraben einer besonderen Feder »verhext« habe, begegnete die BILD-Zeitung mit dem groß aufgemachten Bericht über einen Gegenzauber. Ein »Magier« aus Bremen hatte eine Voodoo-Puppe prepariert, um den »Zauber« zu neutralisieren. Der Magier erklärte: »Die kleine Stoffpuppe hat Power. Ich habe sie gleich noch mit einer Beschwörung belegt, die die Beine der Ecuadorianer schwer macht. Das funktioniert auch über große Entfernung« (BILD, 20. Juni 2006). Deutschland besiegte Ecuador am 20. Juni mit 3:0 Toren.

b) Aberglaube

Mitte April 2005 veröffentlichte das »Institut für Demoskopie Allensbach« die Ergebnisse einer Umfrage unter 1 027 Deutschen über 16 Jahre zum Thema »Gute und böse Vorzeichen – von Kleeblättern, Schornsteinfegern und schwarzen Katzen«. Die Daten wurden in einer Langzeitstudie erhoben, die auf Vergleichszahlen aus den Jahren 1973, 1980 und 2000 zurückgreifen konnte. Die Umfrage zeige, so das Institut, dass Menschen heute den Zeichen und Symbolen aus der Welt des Aberglaubens mehr Bedeutung beimessen würden als in den 70er-Jahren. Gemäß der 20 Fragen umfassenden Liste gaben 42 % (1973: 28 %) an, dass sie einem vierblättrigen Kleeblatt Beachtung schenken würden, 40 % (1973: 22 %) den Sternschnuppen und 28 % (1973: 17 %) der Zahl »13«. Immerhin meinten 6 %, dass es »Unglück bringt, Salz zu borgen«, und noch 1 %, dass man »keinen Buckligen berühren« sollte. Diese Umfrage bezog sich allerdings nur auf einen ganz kleinen Ausschnitt aus dem Komplex »Aberglaube«. Dieser umfasst ein sehr viel größeres Spektrum.

Das Wort »Aberglaube« stammt von dem mittelhochdeutschen Wort abergloube (aber = verkehrt, entgegengesetzt), also eigentlich »falscher Glaube« oder »Gegenglaube«. Der Begriff taucht erstmalig im 15. Jh. in einer Wiener Handschrift auf. Eine brauchbare Definition könnte lauten: »Der Aberglaube ist subjektiv und steht im Widerspruch zu besserem Wissen seiner Zeit sowie zu einem mehrheitlich vertretenen Glauben und lässt sich zumeist auf Reste früherer Glaubens- und Verhaltensregeln zurückführen« (Helmut Hiller, Lexikon des Aberglaubens, München 1986, S. 315). Heute verwendet man in der wissenschaftlichen Diskussion der entsprechenden Phänomene den Begriff »Aberglaube« kaum noch, sondern spricht eher von »Volksglaube«, da man hier Spuren alten Heidentums, des germanischen Götterglaubens und der Volksmedizin zu entdecken meint.

Abergläubische Überzeugungen und damit verbundene Verhaltensweisen oder Handlungen werden in ganz unterschiedlichen Bereichen erkennbar, unter anderem in folgenden:

– Abwehr von Schaden und Unglück:

Hier spielen »Amulette« eine Rolle, also kleine, am Körper getragene Gegenstände aus Stein, Knochen, Holz oder Metall, die oft geheimnisvolle Zeichen und Symbole aufweisen. Man traut ihnen magische Kräfte zu, die den Träger vor schädlichen Einflüssen und Unheil schützen sollen. Fromme Menschen benutzen als Amulette bisweilen auch kleine Heiligenbilder, Marienmedaillons oder Ähnliches.

– Herbeiwünschen von Glück und Wohlergehen:

Zur Erfüllung dieser Wünsche sollen »Talismane«, ebenfalls kleine, aus unterschiedlichen Materialien gefertigte Gegenstände, beitragen. Der Gebrauch von Talismanen stammt vermutlich aus Indien und hat sich über Persien und Arabien in alle Welt verbreitet. Zu den Glücksbringern zählen Abergläubische des Weiteren Maskottchen, Hufeisen, Glückspfennige oder »energetisch aufgeladene« Wollbändchen bzw. Kupferarmbänder am Handgelenk.

– Beachtung von Zahlen, Zeiten und Tagen:

Unter diese Rubrik des Aberglaubens fällt die diffuse Ängstlichkeit vieler Menschen vor der Zahl »13« und besonders vor dem Datum »Freitag, der 13.«. Ganz vorsichtig sein mussten diese Personen am Freitag, den 13. Oktober 2006, da die Quersumme der Ziffern (13.10.2006) ebenfalls »13« ergab. Solch einen »Super-Unglückstag« hatte es zuletzt am 13. Januar 1520 gegeben. Die Dreizehn galt schon bei den Babyloniern als Zerstörerin einer angeblich existierenden, kosmischen Vollkommenheit, die durch die Zwölf symbolisiert wird. Deshalb findet man die »13« selten als Nummerierung von Hotelzimmern (stattdessen »12a«), als Sitzreihe in Flugzeugen oder Stockwerk in (amerikanischen) Hochhäusern. (In Ostasien fürchten sich Menschen in diesem Zusammenhang übrigens vor der »4«.)

Beachtet werden von Abergläubischen auch Mondphasen oder die »Tage zwischen den Jahren«, d. h. zwischen Weihnachten und Neujahr, und die Dinge, die man in dieser Zeit tun darf oder nicht.

– Zukunftsdeutung und Orakelwesen:

Dies ist das Betätigungsfeld der (professionellen) Wahrsager, Kartenleger, Astrologen und Kaffeesatzleser, die von der allgemeinen Zukunftsangst und der Inanspruchnahme ihrer »Dienste« durch gar nicht so wenige Menschen gut leben können. Aber auch harmlosere Spielereien wie das Bleigießen zu Silvester oder das Gänseblümchenblätterzupfen sind hier zu nennen.

– Besprechen, Bannen und »Heilen«:

Diese Szene ist die gefährlichste, weil abergläubische Menschen Gesundheit und Leben aufs Spiel setzen können, wenn sie sich mit ihren Problemen an Betrüger und Scharlatane wenden. Anfang der 70er-Jahre wurde für solche zwielichtigen Zeitgenossen der Begriff »Okkulttäter« geprägt.

In diese Kategorie des Aberglaubens gehört auch das berüchtigte »6. und 7. Buch Mose«, eine aus dem Mittelalter stammende Sammlung von Zaubersprüchen und Anweisungen zum »Hexenbannen«, »Heilen« und »Beschwören von Geistern«. Zur Wiederherstellung eines tauben Gehörs wird Folgendes vorgeschlagen: »Nimm je eine Galle von einer Forelle, einem Aal, Hasen und Raben. Diese tue in ein neues Tongefäß, schütte etwas Branntwein darauf und bedecke es gut. Nun stelle man dieses Tongefäß in einen eisernen Topf mit kaltem Wasser und bringe es zum Kochen. Nachdem alles gut durchgekocht ist, lasse man es erkalten, seihe es durch ein Tuch und bewahre es in einer gut schließenden Flasche auf. Dem Patienten gebe man täglich zwei bis drei Tropfen in das taube Ohr. Dieses tue man so lange, bis sich das verlorene Gehör wiederfindet« (6. und 7. Buch Mose, Planet-Verlag, Braunschweig 1950, S. 167).

c) Kritische Anmerkungen

Magie und Aberglaube sind ein Nachhall aus der Frühzeit menschlichen Fragens und Suchens, archaische Fossilien aus einer heidnischen Welt, die auch in westlichen Ländern trotz Christentum und »Aufklärung« (das Prinzip vernunftgemäßen Denkens und Handelns) überlebt haben. Sie stehen im Widerspruch zu heute geltenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und zu christlichen Glaubensüberzeugungen. Von magischem bzw. abergläubischem Denken geprägte Menschen hängen einem altertümlichen Weltbild an und glauben an die Wirksamkeit von Handlungen, die normalerweise als irrational gelten.

Zu den Hintergründen und Motiven gibt es bisher noch keine wissenschaftlich fundierte Untersuchung. Es lässt sich nur Folgendes vermuten: Wir leben in einer hoch technisierten Welt, deren Strukturen für die meisten Menschen nicht mehr durchschaubar sind, z. B. auf dem Gebiet der Medizin, Zukunftstechnologien und Naturwissenschaften. Der »Rationalität« bei Problemlösung und Krisenbewältigung versuchen daher viele ein Stück »Irrationalität« entgegenzusetzen. Das würde erklären, warum immer mehr Menschen beispielsweise von der Existenz und magischen Wirkung geheimnisvoller »Energien« und kosmischer Mächte überzeugt sind und behaupten, mit deren Hilfe das Alltagsleben meistern und die Zukunft gestalten zu können.

Im Bereich »Aberglaube« ist zu unterscheiden zwischen den eher harmlosen Spielarten (Kleeblatt, Sternschnuppen, Hufeisen u. a.) und den bedenklichen, gefährlichen Formen wie Astrologie, Kartenlegen, Wahrsagen, Wunderheilen usw. Die oft zwanghafte Abhängigkeit von den zuletzt genannten Dingen kann zu einem nicht mehr selbst bestimmten Leben führen und sogar psychische Schäden verursachen.

Deutsches Pfarrerblatt,