Titelbild

Thomas Koebner

Roman Polanski

Der Blick der Verfolgten

Eine Biographie

Reclam

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

Umschlaggestaltung: Stefan Schmid, Stuttgart, unter Verwendung eines Fotos von Francesca Ruggieri, © picture alliance / dpa

Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen

Made in Germany 2013

RECLAM ist eine eingetragene Marke

der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-960398-8

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-010936-6

www.reclam.de

Inhalt

Einleitung

Anfänge, die diskrete Autobiographie

Die Kurzfilme

Das Messer im Wasser

Swinging London

Ekel

Wenn Katelbach kommt

Tanz der Vampire

Rosemarys Baby

Sharon Tate

Macbeth

Was?

Chinatown

Der Mieter

Vor Gericht und danach

Tess

Piraten

Frantic

Arbeit und Ehre

Bitter Moon

Der Tod und das Mädchen

Die neun Pforten

Der Pianist

Oliver Twist

Der Ghostwriter

Der Gott des Gemetzels

Ein Aufenthalt in der Schweiz

Filmographie

Literatur in Auswahl

Dank

Bildnachweis

Hinweise zur E-Book Ausgabe

Einleitung

Der typische Polanski-Film geht nicht gut aus. Bei einer Mehrheit von Roman Polanskis Filmfabeln streckt der Teufel – bildlich gesprochen – am Ende sein Bein aus, über das die Helden stolpern, um sich den Hals zu brechen. Polanskis Leinwand-Erzählungen befördern keinen einfältigen Optimismus: Schon diese Eigenart erweist ihn als europäischen Filmkünstler, eine bornierte puritanische Ideologie des fernen Westens verdächtigt ihn sogar der Dekadenz. Das amerikanische Prinzip, die schwierigste Abenteuerreise oder Bewährungsprobe im Film mit einem Lachen und einem unverfroren unglaubwürdigen Happy End abzuschließen, liegt dem französischen Staatsbürger polnischer Herkunft nicht. Polanski hat bereits in relativ frühen Jahren – da war er gerade 50 Jahre alt geworden – eine Autobiographie vorgelegt, in der er ausführlich die Schreckensjahre seiner Kindheit und Jugend schildert. Man könnte vermuten, dass ihm damals seelische Wunden von solcher Tiefe zugefügt wurden, die sich durch ein Bekenntnis in den Memoiren allein nicht heilen lassen. In der Tat kehren Konfigurationen und Obsessionen in den Filmen Polanskis beharrlich wieder und verraten, dass die Erlebnisse des jungen Roman jüdischer Abstammung in den Zeiten des Terrors, den das Dritte Reich über Polen brachte, merkliche Spuren im künstlerischen Werk hinterlassen haben.

Es ist stets der Blick der Verfolgten, der Opfer, den seine Filme den Perspektiven der Mächtigen vorziehen. Polanskis Hauptfiguren, Frauen wie Männer, sehen sich oft von einer undurchschaubaren, labyrinthischen Welt umfangen, von der ihnen wirkliche oder vermeintliche Gefahr droht. Vielen Beobachtern ist aufgefallen, welche Bedeutung die Wohnungen und Behausungen bei Polanski spielen: Einerseits versprechen diese Mauern Schutz, setzen andererseits Attacken von außen – die sich durch allerlei Geräusche, Klopfen und andere Drohsignale ankündigen – keinen verlässlichen Widerstand entgegen. Auf die Dauer sind es unsichere Zufluchtsstätten, Schlupflöcher, Zellen, in denen einsame Menschen sich so von der Welt abgeschieden wissen oder abscheiden wollen. Der Rückzug in Fluchträume bietet nicht immer Sicherheit vor Eindringlingen, die sich zur feindseligen Gemeinschaft der ›anderen‹ verschworen haben. Die Angst vor Invasionen ins Versteck, die Angst davor, sich nicht rechtzeitig davonmachen zu können oder keine Kraft für ›heroischen‹ Widerstand aufzubringen, treibt die Verfolgten und Gejagten von vornherein ins Versteckspiel. Sie vertrauen ihrer Stärke nicht, wissen sie sich doch schwach und verletzbar. Man könnte auch sagen, dass sich Polanskis Helden wie Waisenkinder im Märchen ohne den Schutz von Vater und Mutter, die abwesend sind, in der Fremde zurechtfinden und um ihr Leben bangen müssen. Die Biographie Polanskis berichtet vom Dasein des jungen Roman in bewachten oder zweifelhaften, unsicheren Quartieren: im Ghetto von Krakau oder im Haus eines polnischen Bauern, in dem der Zehnjährige auf das Ende des Krieges und der Nazi-Herrschaft wartete: Jahre der Furcht, aufgestöbert, abtransportiert oder gleich exekutiert zu werden.

Man muss den Akzent nur ein wenig verschieben und weniger von der Konstruktion fatal durchlässiger Behausungen reden als von der Befindlichkeit derer, die so viel Zeit in ihnen verbringen: es sind allemal Verfolgte oder solche, die sich zu Recht oder Unrecht verfolgt fühlen, Unschuldige im Würgegriff der Gesellschaft, der politischen Verhältnisse und ihrer Büttel. Die Angst, im Versteck entdeckt zu werden, sich plötzlich ›denen da draußen‹ ausgeliefert zu sehen, kann dazu führen, dass die Umzingelten der Panik und dem Wahnsinn verfallen. Das gilt von der jungen Heldin Carol (Catherine Deneuve) in Ekel bis zu Trelkovsky in Der Mieter (Polanski selbst in dieser aufschlussreichen Rolle), der sich geradezu zwanghaft zum preisgegebenen Untertanen einer Umwelt verwandelt, die ihn scheinbar ablehnt und ›austreiben‹ will wie einen lästigen Außenseiter – und der sich ebenso aus dem Fenster stürzt wie die Vormieterin Simone Choule (ein vermutlich jüdischer Name). Das gilt auch noch für Paulina Escobar (Sigourney Weaver) in Der Tod und das Mädchen, die nach der Folter in der vorangegangenen Diktatur nervös in ihrem einsamen Haus verharrt, als hätte ihr die Erfahrung von Verletzung und körperlicher Demütigung alle Freude daran verdorben, Mensch unter Menschen zu sein. Oft sind es Frauen, die diese Zumutungen erleiden, auch Tess (dargestellt von Nastassja Kinski im gleichnamigen Film), die Sanfte und Naive, die betrogen und benutzt wird und am Ende in stummer Verzweiflung und Wut über das falsche Leben, das Männer ihr aufgezwungen haben, einen dieser Täter umbringt – ein Sühnemord, den auszuüben auch die weibliche Hauptfigur in der Tod und das Mädchen bereit zu sein scheint. Bevor Trelkovsky in Der Mieter sich aus der Welt verabschiedet, die ihn aus seiner Sicht nicht dulden und erdulden will, verwandelt er sich in seine Vorgängerin, er verkleidet und schminkt sich als Frau: So scheint er die Verletzbarkeit des Menschen durch die Wahl des verletzbareren Geschlechts zu potenzieren (wenn diese Auffassung von der weiblichen Zerbrechlichkeit nicht auch einem traditionell männlichen Verständnis entspringt).

Roman Polanski

Roman Polanski

In Polanskis Filmen prägen sich die Opferfiguren ein, die unaufhaltsam dem dunklen Punkt entgegentreiben, gleich, ob sie in selbstzerstörerischer Besessenheit verzweifelt um sich schlagen und so auch zu Tätern werden – wie die weiblichen Protagonistinnen in Repulsion oder Bitter Moon. Polanski – es sei nur an Messer im Wasser erinnert – war von Anfang an ein scharfsichtiger Analytiker menschlichen Verhaltens in Situationen außergewöhnlicher Bedrängnis. Darüber soll seine jugendliche Lust am Grotesken nicht hinwegtäuschen, die Figuren überformt oder Szenen ins Absonderliche treibt: also eine nicht-realistische, eher komödiantische Stilistik mit der sonst vorherrschenden psychologischen Präzision in spannungsvolle Reibung versetzt – gerade im Horror- oder Mystery-Thriller-Genre, von Tanz der Vampire bis zu Die neun Pforten.

Wenn man sich das Verhalten Trelkovskys in Der Mieter ansieht, diese merkwürdige Mischung aus unterwürfiger Selbsterniedrigung und allzu leisen Protesten gegen das Bild, das sich die ›Einheimischen‹ von ihm machen, mag man sich geradezu mit Schrecken an die Schilderung mancher assimilierter deutscher Juden erinnern, die Jakob Wassermann in seiner unvergesslichen Studie Mein Weg als Deutscher und Jude (1922) entwirft: die Unausgeglichenheit, der Wunsch, angenommen zu werden, als ein Gleicher unter Gleichen – und dennoch ständig mit Misstrauen gequält zu werden, zurückgestoßen, laut oder leise verhöhnt. Man muss die Charakteristik eines Menschen, der von seiner Umwelt nicht angenommen wird, keinesfalls auf das innere Ungleichgewicht jüdischer Assimilierter vor 1933 reduzieren – es gibt analoge Notlagen, die ebenso imstande sind, das Selbstverständnis von Menschen abweichender Art oder Herkunft zutiefst zu erschüttern. Doch angesichts der Frühgeschichte des jungen Roman liegt es näher, das Verhängnis der Ausgesetzten, die ein feindseliger Antisemitismus zu vogelfreien Juden erklärt hat, als Muster für das Schicksal Trelkovskys zu betrachten.

Damit verwandte Denkfiguren ziehen sich durch das Œuvre Polanskis und legen die Folgerung nahe, dass es sich um ›Lebensthemen‹ des Regisseurs handle: So erfindet Polanski Gegenfiguren zu Carol, Trelkovsky und den anderen, die keinerlei Furcht lähmt, selbstsichere Sonderlinge wie Professor Abronsius in Tanz der Vampire oder Kapitän Red in Piraten. Mit ihnen verknüpft er im Sinne dramatischer Opposition junge Gefolgsleute, die solchen Herren als Knechte dienen. Polanski spielt selbst einen von ihnen, Alfred, den schüchternen Begleiter von Professor Abronsius, der nie in die Lage kommen wird, sein eigener Herr zu sein. Bis zu Oliver Twist und dem Ghostwriter bleibt die Differenz zwischen Herrn und Knecht, dem Dicken und dem Dünnen, dem Mächtigen und dem Ohnmächtigen als Schema lebendig – wobei der Schwächere am Ende bisweilen die Oberhand behält oder einfach übrigbleibt (wie George, dargestellt von Donald Pleasance, in Wenn Katelbach kommt). Der Tod und das Mädchen greift sowohl die Situation der Verfolgten, als auch die Konstellation zwischen Herrn und Knecht auf, wobei die verfolgte Heldin diesmal durch Zufall den in ihre Gewalt bekommt, der der Meister der Torturen (Ben Kingsley) gewesen ist, die man ihr zugefügt hat, darunter etliche Vergewaltigungen der Wehrlosen. Der so tief Verletzten gelingt es, dem Folterer von einst das Geständnis der Wahrheit abzuringen – ohne dass sie imstande wäre, selber ausgleichende Vergeltung zu üben. Wie sollte diese Vergeltung auch praktiziert werden? Welche Waage wäre geeignet, Leid und Rache auszugleichen?

Roman Polanski

Roman Polanski

Die Angst, die die eigene Niederlage vorausfühlt, lässt gehetzte, drangsalierte, beschädigte Existenzen an eine schier unüberwindliche Macht da draußen glauben – womöglich ein aus Erfahrung geborener Kinderglaube, der noch die in Panik regredierten Erwachsenen besetzt hält. Diese Macht kann als Verschwörung der Geheimdienste auftreten und dadurch politischen Charakter erhalten (in Der Ghostwriter), sie kann als satanische Strategie imaginiert werden in entsprechenden Mystery-Thrillern (wie in Rosemarys Baby oder Die neun Pforten, in komödiantischer Brechung sogar in Tanz der Vampire): Was sonst sollte den erklärten Agnostiker Polanski immer wieder dazu treiben, Figuren zu erfinden, die ernsthaft an dämonische Ungeheuer oder ungeheure Dämonen zu glauben scheinen? Selbst in abstrakt-absurder Form bestimmt diese fernliegende Gewalt das Verhalten der Eingesperrten – so etwa der ferne Chef Katelbach in Wenn Katelbach kommt, von dem wir nicht einmal die Stimme im Telefon deutlich hören. Das Drohende, gegen das scheinbar keine Gegenwehr hilft, kann sich auch in anderer Gestalt verbergen, etwa in der einer geheimnisvoll gewalttätigen Sexualität (sowohl in Ekel als auch, verwickelt in die Fabel eines amour fou, in Bitter Moon).

Was es bedeutet, in der Kindheit umhergetrieben zu sein, unbehaust und gejagt, ohne die Fürsorge von Eltern, die nicht nur willens, sondern auch imstande wären, das Kind vor einer bösartigen Welt zu bewahren, hält Charles Dickens in seinem berühmten Roman Oliver Twist fest. Dass Polanski in seinem Spätwerk diese Erzählung aufgreift, darf als deutlicher Rekurs auf die Leiden der eigenen Kindheit und Jugend gelten. Es mag sein, dass mit der Trennung von seinem ständigen Drehbuch-Koautor Gérard Brach (nach Bitter Moon) die ästhetische Verfremdung des Eigenen schlagartig, nicht kontinuierlich aufgegeben wurde – oder dass der Künstler im Alter dazu neigt, die verhüllenden Masken abzulegen. Jedenfalls häufen sich in dieser Phase, spätestens seit den 1990er Jahren, Filme, die sich unverhohlen als Teile einer »großen Konfession« zu erkennen geben: Filme, die den Blick durch die Fiktion wie durch eine brechende Linse auf das eigene Leben richten. In The Pianist bietet die Überlebensgeschichte des Władysław Szpilman eine gewisse Schicksals-Parallele zu der Überlebensgeschichte des jungen Roman Liebling oder Roman Wilk: Liebling, der ursprüngliche Name Polanskis, Wilk, das Pseudonym, das nicht erkennen lassen durfte, er stamme vielleicht aus jüdischer Familie.

Kaum einem Künstler dieser Generation sind in seinem privaten Leben die Gunst des frühen Ruhms, die Lebensfreude der swingenden 1960er Jahre in solchem Übermaß zuteil geworden – und kaum einem anderen sind solch tiefe Wunden geschlagen worden. Die Ermordung seiner zweiten, zu dieser Zeit schwangeren Ehefrau Sharon Tate und einiger Freunde 1969 durch eine kriminelle Bande, die Anklage wegen sexuellen Verkehrs mit einer Minderjährigen vor einem unzweifelhaft böswilligen kalifornischen Richter 1977, die Flucht aus den USA, die Festnahme in der Schweiz 30 Jahre später, andererseits die dritte, vor der Öffentlichkeit beschützte Ehe mit Emmanuelle Seigner, der zwei Kinder entstammen, bieten nur Stichworte, die eine äußerst wechselhafte Vita kennzeichnen, voller Glück und Unglück, Tröstlichem und Untröstlichem, dem Glanz zahlreicher Ehrungen und dem Elend unverdienter Haft und Hexenjagd auf ihn.

Dennoch wäre es einfältig und vermessen, alle Filme Polanskis als autobiographische Zeugnisse zu verstehen, denn selbst die prägenden Eindrücke der frühen Kindheit verwandeln sich unweigerlich auf dem langen Weg der Objektivierung bis zum fertigen Kunstwerk – wie Träume die Botschaften ›bearbeiten‹, die das Unbewusste (oder wie man die verborgenen Instanzen der Person nennen will) dem Ich sendet. Anzeichen erschütternder Erfahrungen stechen unzweifelhaft hervor, insbesondere wenn man Geduld für eine intensivere Interpretation der Filme aufbringt. Die braucht es, denn es ist eine gewisse Neigung Polanskis zu beobachten, die Vergangenheit vor dem Zugriff aufdringlicher Neugier diskret abzuschirmen. Wie in seiner Autobiographie ist er zwar willens, all das Zurückliegende in einer Chronik sachlich zu rekonstruieren, die faktentreu zu sein beansprucht, jedoch nicht – außer in einigen jüngeren Gesprächen (etwa der Filmaufzeichnung des Interviews mit Andy Braunschweig) – die Geschichte der tieferen Gefühle als éducation sentimentale preiszugeben oder erneut anzutasten. Daher ist bei vielen von Polanskis Protagonisten nicht klar, woher sie kommen, welches Schicksal sie vor Beginn der Handlung erlebt, vielleicht sogar erlitten haben. Dementsprechend verzichten seine langen Spielfilme auf Retrospektiven, Rückblicke auf das Vorleben und den Werdegang der Charaktere, werfen also kein Licht auf frühere Irrungen und Wirrungen. Bezeichnend für diese Scheu, zu den Anfängen oder Ursprüngen zurückzukehren, oder für das Interesse, sorgsam auszuwählen, was man von all dem Vergangenen noch ins Gedächtnis rufen will, ist etwa der Umstand, dass Polanski in seiner Oliver Twist-Version den gesamten familiären Hintergrund und den Tod der Mutter Olivers ausspart. Polanski bevorzugt eindeutig eine Erzählweise, die den Blick nach vorne richtet – vermeidet also die Form des analytischen Dramas, in dem sich das Wichtige bereits ereignet hat, dem nun, in der Gegenwart des Spiels, nachgeforscht werden muss.

Roman Polanksi

Roman Polanski

Polanski hat Regie an der Filmhochschule in Lodz gelernt – und dies sehr gründlich, wie einige seiner bei etlichen internationalen Festivals ausgezeichneten kurzen Stummfilme beweisen. Er ist übrigens früh auch als Schauspieler aufgetreten. Viele Zuschauer kennen ihn, weil er in seinen Filmen selber Rollen übernommen hat – wie den Lakaien im Stummfilm Der Dicke und der Dünne, Alfred in Tanz der Vampire, den frechen Einzelgänger Mosquito in Was?, den weiß gekleideten Gangster in zwei Szenen in Chinatown, Trelkovsky in Der Mieter (abgesehen von umfänglicheren Rollen in Giuseppe Tornatores Una pura formalità, 1994, oder in Andrzej Wajdas Verfilmung der romantischen Komödie Zemsta, 2002).

Polanski agiere am Set – das bestätigen viele, die bei einer Produktion mit ihm zu tun hatten – mit beeindruckender und mitreißender Energie und dazu noch in mehreren Sprachen, im Umgang mit den Akteuren zumal in Englisch und Französisch. Vor allem überzeuge er durch seine umfassende Professionalität, die nicht nur die Arbeit der Schauspieler beeinflusse und bestimme, sondern auch Position und Bewegung der Kamera genau festlege, oft in Kooperation mit ihm vertrauten Kameraleuten, jüngst dem polnischen ›Cinematographen‹ Pawel Edelman. Die vorgesehenen Drehzeiten hat Polanski oft überschritten, weil es ihm nicht zuletzt um die aufmerksame Kontrolle der Details geht: die überlegte Anordnung und Physiognomik der Dinge vor den Augen der Kamera. Damit dürfte er sich zu einer strengeren Inszenierungspraxis bekennen, für die etwa auch Fritz Lang steht, die unbedachte Improvisation im freien Raum selten zulässt, die sich bei der Erzählung und bei der Auflösung der Situationen in Bilder eng ans Drehbuch und einen bestimmten Begriff von Realismus hält. Polanski strebt in vielen seiner Filme einen, wenn man es so nennen will, Realismus des Environment an, sogar bei Exkursen ins Surreale oder Allegorisch-Sinnbildhafte – etwa in Der Pianist mit der Einstellung, in der Szpilman als weinender Schmerzensmann durch die verlassene, mit den Hinterlassenschaften der deportierten Juden übersäte Ghetto-Straße auf die Kamera zugeht, eine schockierende und eigentlich absurde Szenerie. Polanskis filmischer Wirklichkeitssinn tritt nicht nur im präzisen Arrangement der Gegenstände hervor, sondern zeigt sich auch darin, dass er das Verhalten der Figuren durch die Widerstände der Umwelt bedingt und beschränkt weiß.

Obwohl fast alle Schauspieler bezeugen, dass Polanski freundlich, aber unbeirrbar auf der von ihm vorgeschlagenen Konzeption der Blicke und Bewegungen beharrt habe, sind sie dazu bereit gewesen sich einzufügen – offenbar zu ihrem Vorteil, denn etliche Darstellerpreise für ihre Leistungen haben den augenscheinlichen Erfolg ihrer Zusammenarbeit mit dem ›Spielleiter‹ Polanski bestätigt. Obwohl Polanski den Mitgliedern der Crew, vom Drehbuchautor bis zum Cutter, oft außerordentlich treu ist, und sie nach Möglichkeit von Produktion zu Produktion mit sich zieht, gleichsam ein beständiger Tross, neigt er dazu, immer neue Schauspieler auszuwählen: Catherine Deneuve oder Donald Pleasance, Mia Farrow oder Jack Nicholson, Nastassia Kinski oder Harrison Ford, Ben Kingsley oder Sigourney Weaver, Emmanuelle Seigner oder Johnny Depp, Walter Matthau oder Ewan McGregor, Jodie Foster, Kate Winslet oder Christoph Waltz. Vielleicht ist die Freude am Experimentieren und Ausprobieren Ursache für solch emsigen Partnerwechsel in beinahe jeder neuen Inszenierung, vielleicht auch das Interesse, wiederkehrende Themen des Eigenen sogar auf diese Weise hinter vielen fremden Gesichtern zu verstecken.