[11|12] img

[51|52]Wolfgang Stickel

VIDEOBEWEGUNG UND BEWEGUNGSVIDEOS
Politische Videoarbeit der Medienwerkstatt Freiburg in den 1980er Jahren

Die Anfänge der ersten Videogruppen in der Bundesrepublik gehen zurück auf die 1968 einsetzende Studentenbewegung und die frühen 1970er Jahre. 1973 wurde in Hamburg das Medienpädagogik Zentrum (MPZ) gegründet, zwei Jahre später das dortige Medienzentrum Fuhlsbüttel und der Medienladen, der sich 1979 auflöste und im Frauenmedienladen bildwechsel sowie dem Stadtjournal Hamburg aufging. In Berlin entstand 1977 die Medienoperative. Vor allem diese Gruppen prägten in den 1970er Jahren die politische Medienarbeit und verfolgten unterschiedliche Konzepte, wie Gegenöffentlichkeit herzustellen sei.

Zentral waren damals der Gedanke der Selbsttätigkeit und die Idee, dass jeder politisch Aktive zum Produzenten werden könne – ganz im Sinne von Sergej Tret’âkovs Operativismus. Kein Spezialistentum mehr, sondern die Aufhebung der Trennung in Produzent und Konsument. In der Praxis der Medienzentren lautete das in Anlehnung an amerikanische und kanadische Vorbilder Public Access. Man müsse lediglich das Know-how vermitteln sowie Kameras und Schnittplätze (bzw. Fotolabors und Druckgeräte) zur Verfügung stellen.

Nach mehreren Jahren Medienarbeit war dann 1978/79 in der Videoszene die Rede von »Video in der Krise«. Die Videogruppe Aachen z.B. war der Meinung: »Der Streikführer im Stahlarbeiterstreik, der andere mobilisieren will, gehört nicht hinter die Kamera, sondern vor sie.«1 Die Arbeitsweise müsse daher professionalisiert werden. Gefordert wurden mehr Experimente, subjektive Sichtweisen und Selbstreflexion. Andere wie Gerd Roscher vom Medienladen und Carl-Ludwig Rettinger (Telewissen) vertraten in der Videoszene die Thesen der »Wildenhahn-Kreimeier-Debatte«, die von den 16mm-Dokumentarfilmern geführt wurde. Das Konzept des Public Access und der Selbsttätigkeit hatte zwar ansatzweise während der ersten Phase des Anti-AKW-Kampfes funktioniert, danach blieb aber die politische Basis aus. Neben einer Revision der Theorien und Konzepte wurden neue Sichtweisen und Arbeitsweisen gefordert. Nicht mehr die Betroffenen sollten im Vordergrund stehen, sondern die Betroffenheit der Produzenten. Es sollte zukünftig um authentisches Arbeiten gehen, um die Entwicklung neuer Gestaltungsmöglichkeiten und eine dem Medium eigene Bildsprache und Montage, eben um das Videospezifische.

[52|53] Medienwerkstatt Freiburg: »Wie alles anfing …«

Als wir im Sommer 1977 die Medienwerkstatt Freiburg gründeten, hatten wir bereits Kontakt zu den hamburger Gruppen geknüpft und wurden tatkräftig unterstützt, mit Ideen, Geräten und ersten Bändern für unsere Videothek. Konzeptionell lehnten wir uns an den Medienladen und sein Modell des Public Access an, boten Videokurse an und zogen mit Filmen, Videorecordern und Fernsehern durch die Kneipen. Die Videothek hatte ein Jahr später bei unserem Umzug in die Konradstraße bereits ein beachtliches Ausmaß angenommen. Im ersten Verleihkatalog waren 64 Filme aufgeführt zu Themen wie Umwelt, Repression, Medien, Jugend, Stadt usw. Ein bemerkenswertes Angebot – nur annehmen wollte es kaum jemand. Die Skepsis gegenüber Video (und Fernsehen generell) war in der linken Szene noch weit verbreitet. Man sah darin Herrschaftsmedien, die der Manipulation dienten und nichts mit linker Politik zu tun hätten. Als Mittel der Darstellung dienten Flugblätter, Plakate, Stellwände, Broschüren usw., aber noch nicht das junge Medium Video.

Ein Großteil unserer Energien floss von Anfang an in die Einarbeitung in die Videotechnik und in die Produktion von Bändern. Kaum war der erste Videomischer im Haus, wurde damit gebastelt und probiert. Es entstanden mehrere kleine elektronische Spielereien, die dann wieder in die ernsthaften Videoprojekte einflossen und allmählich zur Entwicklung einer eigenen Bildsprache führten. Eines unserer Themen war der Widerstand der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen gegen die Umweltzerstörungen in unserer Region, in Markolsheim, Fessenheim, am Kaiserstuhl und in Wyhl, die 1982, also vier Jahre später, in den Film s’Weschpe-Näscht – Die Chronik von Wyhl 1970–1982 mündete.

Zunächst beschäftigten wir uns aber hauptsächlich mit den vielfältigen Aktionen gegen Wohnraumzerstörung in den Innenstädten. Der sogenannte Häuserkampf tobte inzwischen in Zürich, Freiburg und Berlin und vielen anderen Städten der BRD. Der Jugendbewegung ging es nicht nur um den Kampf gegen die Zerstörung erschwinglichen, innenstadtnahen Wohnraums, sondern auch um den Aufbau und die Erhaltung autonomer Lebens- und Arbeitsformen (sogenannte »staatsfreie Räume«) und um die Entwicklung eigener Kulturformen – um Kultur von unten. Unsere Filme zum Häuserkampf waren der Startschuss für eine Reihe von Bewegungsfilmen, die endlich den Durchbruch in der linken Szene in Freiburg brachten. Mit einem Mal war allen klar, welche mobilisierende Kraft dem Medium Video innewohnte.

Von 1979 bis 1982 entstanden folgende Filme:

[53|54]Das waren gewiss keine objektiven Filme, sondern Filme von Betroffenen. Unsere eigene Betroffenheit deckte sich mit der Betroffenheit derjenigen, die vor der Kamera agierten. Wir waren Teil dieser Bewegung und nahmen an ihren vielfältigen Aktionen teil, mit und ohne Kamera. Die Welle der Besetzungen im gesamten Bundesgebiet hielt an. Die 1978 gegründete taz veröffentlichte regelmäßig eine Hitliste der besetzten Häuser. Berlin lag uneinholbar an der Spitze, und fast überall kam Video zum Einsatz. Kaum waren die ersten Nachrichten von neuen Hausbesetzungen eingetroffen, gab es auch schon ein entsprechendes Flugblatt-Video dazu – über Nacht geschnitten, kopiert und in Windeseile verschickt. Die Süddeutsche Zeitung brachte mit ihrer Schlagzeile »Zusammenhalt durch Video«2 zum Ausdruck, welch wichtige Rolle dem Medium Video im Häuserkampf zukam.

Das erste Videoband, das bundesweit für Furore sorgte, war Züri brännt (1980) vom Videoladen Zürich – für Wilhelm Roth in »Der Dokumentarfilm seit 1960«3 das Haupt- und Schlüsselwerk der Bewegung. In Zeiten von HD und 4K sicher kein Augenschmaus, dafür umso sprach- und bildgewaltiger und ein Beleg dieser Zeit. Viele der Bänder aus Zürich, Berlin, Freiburg usw. waren Ausdruck einer eigenen Kultur, einer Kultur von unten, die sich nicht nur in Video zeigte, sondern auch in neuen Theaterformen, in der Musik, in Literatur, in der Gestaltung von Zeitschriften, in Wandmalereien und Graffiti.

Ob diese sich überwiegend in den eigenen Reihen abspielenden Aktivitäten im strengen Sinne als »Gegenöffentlichkeit« zu bezeichnen waren oder doch nur Predigt an die Propheten, sei dahingestellt. Peter Krieg (1981 Deutscher Filmpreis für Septemberweizen) stellte in der Zeitschrift medium die Frage: »Könnte es sein, daß die lebendigsten, interessantesten und attraktivsten Dokumentarfilme derzeit zumeist deshalb auf Video gedreht werden, weil sich die Video-Dokumentaristen einen Teufel um Fernsehen oder Kino, um ewige Gesetze des Dokumentarfilms, noch überhaupt um Gesetze scheren?«4

Hier eine Auswahl von Filmen zum Häuserkampf zwischen 1978 und 1981: Berlin:

Freiburg:

Zürich:

Nürnberg:

Hamburg:

Anderswo:

Der Höhepunkt unserer Videoarbeit zum Häuserkampf war Passt bloss auf!, die erste große Produktion fürs Fernsehen. 1981 erhielten wir vom ZDF – Redaktion Kleines Fernsehspiel den ersehnten Produktionsauftrag, verbunden mit der Summe von 80.000 DM. Erstmals hatten wir die Gelegenheit, ohne Zeitdruck und mit finanzieller Absicherung an einem Filmprojekt zu arbeiten, was unsere Zukunft nachhaltig beeinflusste. Der Film beruhte vor allem darauf, dass wir auf unser gesamtes Material zurückgreifen konnten, das in den Jahren zuvor gedreht worden war. Materialsuche begann für uns nicht erst bei der Entwicklung der Filmidee, sie war Teil unserer täglichen Arbeit von Beginn an. Wir drehten auch ohne konkretes Verwertungsinteresse Ereignisse und Fakten, die uns für eine Geschichte von unten wichtig genug erschienen. Sie fanden Eingang in unser visuelles Gedächtnis, das Medienwerkstatt-Archiv, das wir als Sammelstelle von Fakten im Vertov’schen Sinne begriffen.

Bewegungsmythos und Videoszene

So euphorisch der Durchbruch und Aufstieg der Videobewegung begann, so kritisch wurde diese Entwicklung auch gesehen, vor allem bei den Gruppen, in deren Region der Häuserkampf solche Ausmaße annahm wie in Freiburg, Zürich und Berlin. Die Hamburger gerieten nach dem Abflauen der Anti-AKW-Bewegung in die Krise. Sollten sie sich einfach an die nächste Bewegung hängen und zum Hofberichterstatter einer linken Szene werden, die von einer Bewegung in die andere schwappte? »Manchmal kommen einem doch etwas Zweifel, wenn man mit etwas Distanz sieht, wie sich die Bewegungen so einander ablösen – Anti-AKW-Bewegung, Ökologie-Bewegung, Friedensbewegung. Irgendwie hängen sie ja schon zusammen, aber wir schwimmen auf diesen Bewegungen wie die Fettaugen in der Suppe« (Gerd Roscher).5

[55|56] img

s’Weschpe-Näscht (1982)

Medienwerkstatt Freiburg

Dietrich Leder stellte 1985 zwar fest, dass die Bänder eine gewisse mobilisierende Kraft entwickelten, die das alte Selbstbild von Video als Befreiungsmedium stabilisieren könnte. Nur: »Was so keiner recht bemerkte, war nun die Tatsache, daß diese Bedeutung von Video in hohem Maße von der Bedeutung der ›Bewegungen‹ abhängig war. Erlahmten die Kräfte der spontanen Erhebung, dann war es auch rasch mit der Faszination des spontanen Mediums vorbei.«6 1982 und 1983 entstanden in der Medienwerkstatt auch Filme, die sich kritisch zur Bewegung verhielten und die internen Auseinandersetzung vorantrieben. Zum Beispiel setzte sich Ein Wort kann eine Karikatur sein – Friede mit der Friedensbewegung und ihrem Dogma der Gewaltfreiheit auseinander.

In einem Gespräch über Gegenöffentlichkeit und Betroffenenberichte, das Mitarbeiter der Zeitschrift Medien Magazin 1982 mit Oskar Negt führten, vertrat dieser die Ansicht, dass beides, kritische Distanz und solidarische Nähe, zusammengehörten. Diese Dialektik von Distanz und Nähe zu den Ereignissen, zu Bewegungen, zu unserem politischen Umfeld sollte fortan unsere Medienarbeit bestimmen. Die Frage der Finanzierung solcher Arbeit war nach wie vor [56|57]ungeklärt. Dass die Medienzentren von den Bewegungen finanziert würden, wie dies Mitte der 1970er Jahre im Medienladen noch erhofft wurde, daran glaubten wir nicht. Blieb als Geldgeber also nur noch das Fernsehen? Würden wir schließlich beim Autorenfilm oder bei Fernsehfilmen landen, wie es uns bei Diskussionen über Bewegungsvideo prophezeit wurde? Mitte der 1980er Jahre gelang es uns noch ohne Probleme, politische Medienarbeit und die Arbeit fürs Fernsehen zu vereinbaren.

Das Freiburger Videotreffen 12.–14.3.1982

Anfang 1982 stand für uns die Zusammenarbeit mit anderen Videogruppen auf dem Prüfstand. Wir wollten die Ansprüche der Videobewegung an ihrer tatsächlichen Praxis messen und luden nach Freiburg ein. Es kamen rund fünfzig Leute aus siebzehn Videogruppen und Medienzentren.

Die Ergebnisse waren:

1. Der Bänderrundlauf, mit dem die Videogruppen ihre Produktionen möglichst schnell austauschen wollten, wurde eingestellt. Von nun an musste sich jeder selbst um die Filme kümmern.

2. In der Medienwerkstatt Freiburg wurde eine Koordinationsstelle eingerichtet, die den Videoinformationsdienst cut/in und einen Gesamtkatalog der Videoszene herausbringen sollte. Der Aufbau eines Archivs der Videogruppen und die Organisation eines Dokumentarfilmfestivals für Video, Super 8 und 16mm wurden zwar gewünscht, aber in den Jahren danach nicht realisiert. Finanziert wurde die Stelle im Wesentlichen durch Soli-Abogebühren von zehn größeren Medienzentren.

Die Konzeption des cut/in war von Anfang an fragwürdig – ein Informationsdienst von und für Videointeressierte ohne redaktionelle Betreuung, der im Prinzip nach demselben Betroffenenberichterstattungsritus funktionieren sollte wie sein Vorbild, der ID-Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten. Statt einer Redaktion gab es lediglich eine Koordinationsstelle in der Medienwerkstatt Freiburg. Die Nachrichten aus der Videoszene sollten hier zusammenlaufen und gesammelt wieder nach außen getragen werden, um die Auseinandersetzung in der Szene und den Austausch untereinander zu fördern.

So einfach sich dieses Modell anhörte, so schwierig gestaltete sich seine Umsetzung. Mit der Weitergabe von Informationen funktionierte es, sofern es sich um Ankündigungen neuer Videos, Selbstdarstellungen, Festival- und Veranstaltungshinweise oder um Techniktipps handelte. Austausch und Auseinandersetzung dagegen fehlten (abgesehen von wenigen Ausnahmen) während des gesamten Erscheinungszeitraums. Im Dezember 1987 stellten wir in Freiburg das Erscheinen ein. Das Medienzentrum Dortmund versuchte es weiter, begrub aber das cut/in endgültig 1990.

[57|58] Der Gesamtkatalog »Das andere Video« und Bänderaustausch

Das Ergebnis, um es vorwegzunehmen, war im Juli 1984 ein Katalog mit 159 Bändern, der bei seinem Erscheinen bereits überholt war. Aber immerhin wurde die zehnjährige Videoarbeit zusammengetragen, die einen Eindruck vermittelte von dem, was die Videoszene bewegte. Im Wesentlichen ging es ums Geld und um die Frage, wer als regionales Verleihzentrum im Katalog aufgeführt wird und dadurch kostenlos die Filme der anderen Verleihzentren erhält und verleihen kann – ohne Lizenzgebühr. Daran schieden sich die Geister. Ab 1983 forcierten wir in Freiburg unseren Verleih und Vertrieb und dehnten ihn mit einem neuen Verleihkatalog bundesweit aus. Der freie Bänderaustausch unter den Videogruppen war für uns damit gestorben. Nur noch einzelne Gruppen erhielten unsere Filme kostenlos und im Austausch.

Auf eine wichtige Aktion der Videoszene will ich kurz eingehen: das Vorgehen gegen den Sony-Konzern 1982/83, das unter den Schlagworten »Sony-Quietschseuche« und »Kulanzlösung« bekannt wurde. Die Videobänder des damaligen Systems Japan Standard 1, von dem laut Sony in der BRD und Westberlin ca. 50.000 Geräte verkauft worden waren, ließen sich nicht mehr abspielen. Sie begannen zu quietschen und blieben nach kurzer Anlaufzeit kleben. Rund 40 Geschädigte schlossen sich zusammen und forderten Schadensersatz. Nachdem Sony ein Verfahren zum Umkopieren der Quietschbänder auf das neue Kassettensystem Umatic entwickelt hatte, stimmten die Vertreter der betroffenen Videoproduzenten dem sogenannten Sony-Deal zu: Vereinbart wurde, dass Sony sämtliche anfallende Kosten trägt, alle Halbzoll-Bänder in Umatic-Kassetten umtauscht und den Geschädigten beim Kauf neuer Umatic-Geräte großzügige Rabatte gewährt. Sony überließ der Videoszene noch fünf komplette Umatic-Schnittplätze, die günstig an fünf Gruppen weitergegeben wurden. Der Erlös floss in einen gemeinsam verwalteten Topf der Videoszene. Vor dem Umstieg auf Umatic wurde noch eindrücklich gewarnt. »Wer Umatic wählt, wählt das Kapital!« – so Wolfgang Schemmert (Cinetix) und andere.7 Für die Zukunft postulierten sie zwei Videobewegungen: eine »schmutzige kleine von unten« mit Heimvideostandard (VHS usw.) und eine »professionell-dokumentarfilmerische« von Umatic an aufwärts. Sie sollten Recht behalten.

Zwei Filme, die unsere Arbeit wesentlich bestimmten

s’Weschpe-Näscht

Am 27. April 1982 wurde in Endingen/Kaiserstuhl die Chronik von 12 Jahren Widerstand uraufgeführt, die wir zusammen mit dem Liedermacher und Autor Walter Moßmann erstellt hatten. 500 Zuschauer/innen verfolgten die Stationen, die ihr Leben in dieser Zeit bestimmten, und schöpften daraus neuen Mut [58|59]für ihren Kampf gegen das geplante AKW in Wyhl, der noch nicht gewonnen war. Erst vier Wochen vorher, am 31.3.1982 gab der Verwaltungsgerichtshof Mannheim das Wyhl-Urteil bekannt: »Das AKW darf gebaut werden.« Notfalls auch mit Polizeigewalt. Doch die Kaiserstühler/innen gaben nicht auf. Vier Tage nach Urteilsverkündung fand auf dem Bauplatz eine Großkundgebung mit 50.000 AKW-Gegnern statt. Der Kampf gegen das AKW ging weiter. Diesen Kampf zu unterstützen, war unsere Intention. Da wir selbst erst vier Jahre mit der Kamera dabei waren, suchten wir Material aus früheren Zeiten. Wir wurden fündig – bei Schnittbeginn hatten wir über 45 Stunden Ausgangsmaterial zur Verfügung (Normal 8, Super 8, 16mm und Video), das von AKW-Gegner/innen der Region gedreht und gesammelt wurde. Ohne diese Aufnahmen wäre die »Chronik von Wyhl« nicht zustande gekommen.

Ein Wort kann eine Karikatur sein – Friede

Der zweite der von uns so genannten Nachbewegungsfilme, der unter wesentlicher Beteiligung des Kabarettisten Matthias Deutschmann entstand, widmete sich der Friedensbewegung, genauer, ihrer Geschichtslosigkeit und ihrem Dogma der absoluten Gewaltfreiheit. Badische Zeitung: »Alle reden vom Frieden. Neuerdings redet auch die Medienwerkstatt Freiburg mit. Sie sagt: ›Ein Wort kann eine Karikatur sein – Friede.‹ Das ist ein radikaler Satz und der Titel ihres neuesten Films. Ein unverschämter Satz auch. Weil hier kein Tabu mehr gilt. Unverschämt – keine Scham vor den zahllosen Freunden der Friedensbewegung, keine Scham vor allem, was grün, alternativ, christlich, gewerkschaftlich ist. Der Film ist ein Parforce-Ritt gegen die Friedensbewegtheit, wie sie in den letzten beiden Jahren groß geworden ist.«8

Der Film kritisierte nicht nur das Dogma der Gewaltlosigkeit innerhalb der Friedensbewegung, sondern auch die Formen von Gewalt, die nicht mehr verstehbar waren und zum Selbstzweck wurden. Die Basler Zeitung schrieb: »Mit diesem Werk werden sich die Filmemacher zwischen alle Stühle setzen. Eine kritischere Auseinandersetzung mit diesem Thema gab es bislang nicht – und vor allem keine, die annähernd filmisch so brillant gemacht war.«9 Das Sich-zwischen-die-Stühle-setzen, Nicht-in-gängige-Schablonen-passen, war beabsichtigt. Der Film sollte schwer verdaulich sein – und er war es auch. Quer durch alle Strömungen der Friedensbewegung wurde er kontrovers diskutiert. Was konnte man einem Film Besseres wünschen?

Die Videoszene nach 1984 – Ende der Schonzeit

Nach 1984 war die Szene gekennzeichnet durch das rege Bemühen, trotz aller Unterschiede an etwas Gemeinsamem festzuhalten. Was dies genau sein sollte, blieb eigentlich während all der Jahre unklar. Die Gegensätze zwischen professionellen Gruppen mit langjähriger Praxis einerseits und relativ neuen [59|60]Gruppen, die nicht den Anspruch hatten, von ihrer Arbeit zu leben, andererseits waren kaum mehr zu überbrücken. Ein weiterer entscheidender Faktor für das Ende der Videoszene waren die vielfältigen Veränderungen in der Mediensituation:

— Das öffentlich-rechtliche Fernsehen war inzwischen relativ offen für politische und gesellschaftliche Probleme, die früher noch den Videogruppen vorbehalten waren.

— Die Bürgerinitiativen sahen sich und ihre Arbeit inzwischen lieber im Fernsehen dargestellt und versprachen sich davon mehr als von einem aufrichtigen Videofilm, der sein Publikum nur mühsam findet.

— Auch die Ansprüche des Publikums waren gewachsen. Videomacher/innen mussten inzwischen weit mehr an Zeit und Arbeit investieren, um mit ihrem Film beim Publikum anzukommen. Auch in politisch interessierten und aktiven Kreisen waren bestimmte Mindestanforderungen an inhaltliche Analyse und technische Qualität unverzichtbar.

— Nicht zuletzt waren es die gewachsenen technischen Voraussetzungen, die das Produzieren immer teurer machten. Auch wenn nicht fürs Fernsehen produziert wurde, war der Investitionsbedarf inzwischen weit höher als noch Anfang der 1980er Jahre. Die »Rüstungsspirale« im Videobereich machte auch vor Anfängern keinen Halt. Und die Profis waren längst gefangen. Bis zur Einführung des Digitalen Videos sollte es noch fast zehn Jahre dauern, und das Internet steckte noch in den Kinderschuhen.

Konnte in dieser Situation das Konzept »Gegenöffentlichkeit« noch greifen – oder war es bereits so, dass Magazine wie Spiegel-TV, das ab 1988 zusammen mit dctp produziert wurde, diejenigen abgelöst haben, die vor Jahren am Aufbau einer gegenöffentlichen Struktur gearbeitet haben? Bearbeiteten sie inzwischen die Themen, die in den 1980ern noch der politischen Videoszene vorbehalten waren? Hatten Spiegel-TV und Verwandtes die »zeitgeist-gerechte Rolle der sogenannten Gegenöffentlichkeit übernommen«, wie auf dem Freiburger Video-Forum 1990 von einem früheren Verfechter des Konzepts behauptet wurde?

1   Videogruppe Aachen: Wider die Video-»Doktrin«. Eine Provokation. In: Erlanger Beiträge zur Medientheorie und Praxis, Nr. 4, 1979, S. 89-91.

2   Wilhelm Roth: Zusammenhalt durch Video. In: Süddeutsche Zeitung, 1.9.1981.

3   München, Luzern: C. J. Bucher 1982.

4   Peter Krieg: Fragen an meine Kollegen und mich selbst. In: medium, Nr. 12, 1981, S. 37-39.

5   MPZ (Hg.): Bewegungsvideo – ein Gespräch (Hamburg/Freiburg). In: medienarbeit, Nr. 30, November 1982, S. 30.

6   Dietrich Leder: Video-Politik. In: Zelluloid, Nr. 22, Sommer 1985, S. 38.

7   Wolfgang Schemmert: Videoarbeit und Kapital: Traurige Thesen zu einem traurigen Kapitel. In: cut/in, Nr. 11, Februar 1983, S.4.

8   Wolfgang Prosinger: Die Angst sucht sich einen Tanzpartner. In: Badische Zeitung, 16.5.1983.

9   Uwe Künzel: »Friede« als Karikatur. In: Basler Zeitung, 16.5.1983.

[106|107] Nathalie Karl, Ursula von Keitz

FRAUEN, BEWEGT
Filmische Positionen im westdeutschen Feminismus der 1970er und frühen 1980er Jahre

Die Ära der Kanzlerschaft Adenauers in der frühen Bundesrepublik war bestimmt durch die Restaurierung einer überkommenen bürgerlichen Familienverfassung und Lebensweise, die sich mit einer klar getrennten Verteilung der Geschlechterrollen verknüpfte: Männer hatten für den Unterhalt der Familie zu sorgen, die Frauen sich um Haushalt und Kindererziehung zu kümmern. Damit wurde in der Bundesrepublik – anders als in der DDR, die seit ihrer Gründung nicht nur die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau in der Verfassung festschrieb, sondern diese vor allem auch im ökonomischen Raum außerhäuslicher Erwerbsarbeit praktizierte – im Grunde auf einen vormodernen Wertekanon zurückgegriffen. Die Konzentration von Energien und Interessen auf die Familie führte, so schrieb der Soziologe Helmut Schelsky schon zu Beginn der 1950er Jahre,1 zu einer wachsenden sozialen Abkapselung und Isolierung von Familien, die dem allgemeinen politischen und kulturellen Geschehen gleichgültig gegenüberständen. Andererseits führten diese Verhältnisse zu einem Autoritätsgewinn der Frauen »im Innern«, indem sie von der Aufwertung ihrer häuslichen Sphäre profitierten.

Weibliche Lebenswelten zwischen Tradition und Aufbruch

Befördert durch das westdeutsche »Wirtschaftswunder« und eine im Laufe der 1950er Jahre zunehmende Technisierung wurde die Hausarbeit transformiert und zugleich ideologisch aufgewertet.2 Vor allem die Werbung, die sich des gesamten medialen Spektrums (Plakate, Zeitschriften, des Kinos und zunehmend auch des Fernsehens) bediente, um ihre Botschaften »an die Frau« zu bringen, schrieb durch die strategische Zuweisung semantischer Mehrwerte der ästhetisierten Warenwelt von Haushalt, Einrichtung, Kleidung und Kosmetik eine elementare Bedeutung für die Sinnstiftung weiblichen Lebens zu: Liebe und Glück stellten sich demgemäß nur ein, wenn die Konsumregeln befolgt würden. Betont und politisch festgeschrieben wurde die Unersetzbarkeit der Frau im Haushalt und bei der Kindererziehung. Die öffentliche Kommunikation war in Bezug auf das Geschlechterverhältnis stark homogenisiert. Das mit der Technisierung verbundene Versprechen von Rationalisierung, Zeitersparnis und Entlastung bei der Hausarbeit entlarvte indes bereits in den frü[107|108]hen 1960er Jahren die US-amerikanische Soziologin und Psychologin Betty Friedan in ihrem richtungsweisenden, auch in der BRD weithin rezipierten Buch »Der Weiblichkeitswahn« als Illusion.3 Ausgangspunkt ihrer Studie war die Beobachtung, dass Frauen, die in den Vorortsiedlungen amerikanischer Großstädte lebten und sich dort ausschließlich Haushalt und Kindererziehung widmeten, an einer Krankheit litten, die »keinen Namen« habe.4

Das dominante, (klein-)bürgerlich-städtische Modell der Geschlechterrollentrennung, das (verheiratete) Frauen im Prinzip von der Erwerbsarbeit ausschloss und im wörtlichen Sinne domestizierte, erfuhr in der Bundesrepublik Anfang der 1960er Jahre erste Brüche. Als Grund für diesen, zunehmend als soziales Problem wahrgenommenen, Wandel wird unter zunächst konservativer Perspektive ein mit dem »Wirtschaftswunder« einhergehender Konsumdruck ausgemacht. Dem Befund eines derartigen sozial(psychologisch)en Missstands trägt auch der dokumentarische Film Rechnung.

So setzt sich der formal zwischen Reportage und Kulturfilm zu situierende »zeitkritische Filmbericht« Wenn die Mutter mitarbeitet (1961, Dieter Menninger, Gottfried Gülicher) mit den negativen Folgen der voranschreitenden Erwerbstätigkeit von Müttern in der BRD auseinander. Diese, so die Argumentation, gefährdet die Gesundheit der Frauen wie der Kinder und stellt damit ein großes Risiko für die Intaktheit des Familienlebens im Einzelnen und der bundesdeutschen Gesellschaft im Ganzen dar. Mütter würden dazu verleitet, Erwerbsarbeit in Niedriglohngruppen in Industriebetrieben zu leisten, weil Konsumgüter angeschafft oder abbezahlt werden müssen. Der in München und Hamburg gedrehte Film enthält einen wortreichen Kommentar, der von den zwei, gelegentlich auch ins Bild tretenden Autoren gesprochen wird. Knappe Sprechepisoden von Frauen in ihren Betrieben wechseln sich mit Statements von Expertinnen und Experten aus Wirtschaft (v.a. Personalleiter), Sozialarbeit, Medizin und Gewerkschaft ab. Die These von der Mütterarbeit als »folgenreichstes Dilemma der Moderne« (Kommentar) wird wissenschaftlich zu untermauern versucht. Gegenargumente gibt es kaum. Die ikonische, am Spielfilm orientierte Inszenierung besonders tragischer Lebenssituationen, wie der eines namenlosen achtjährigen Waisenjungen, eines Häftlings oder auch erkrankter Frauen in einem Müttergenesungszentrum, zielt auf die Mobilisierung von Gefühlen. Die Frontalaufnahmen sprechender sozialer Akteure werden durch eine hohe Schnittfrequenz dynamisiert. Appelliert wird an ein moralisches Bewusstsein, das das traditionelle kleinbürgerliche Geschlechterverhältnis weiterhin zur Norm erhebt, gleichwohl politisch höchst vage bleibt.

Auch zu Beginn von Wilhelm Bittorfs medienkritischem SDR-Film Die unzufriedenen Frauen (1963, produziert für die Reihe Zeichen der Zeit) wird die Doppel- bzw. Dreifachbelastung erwerbstätiger Mütter beklagt; allerdings weitet sich hier in einem querschnitthaften Darstellungsmodus die Perspektive, da vor allem eine junge Frauengeneration im Mittelpunkt steht, die viel[108|109]fältigste Kritik äußert: fehlende Anerkennung in der Beziehung, Unglück, zu wenig Wirtschaftsgeld – Erfahrungen, die laut einer UN-Umfrage in den westlichen Industrieländern international beobachtbar sind. Eine inszenierte Redaktionskonferenz der Frauenzeitschrift Constanze unterstreicht die intermediäre Situation der Frauen, in der sie »nicht wissen, wohin sie gehören – weder in den Beruf, noch in die Ehe/Familie« (Kommentar). Statements von Studentinnen, die Beruf, Ehe und Kinder verbinden wollen, von Sekretärinnen, Stewardessen und Models werden mit Bildern von Arbeiterinnen am Fließband und im Labor unter Hinweis auf die auf 30 % angewachsene weibliche Erwerbsarbeit kontrastiert, aber auch spezifisch interpretiert: Frauen machen Jobs, die Männer nicht mehr machen würden – solche, bei denen sie »geistig wegtreten« und in die Illusionswelt des Films fliehen können. Der Beobachtung von Dreharbeiten in einem Werbefilm-Atelier kommt eine Schlüsselrolle zu: »Es ist unser Job, die Frauen unzufrieden zu machen mit dem, was sie haben« (O-Ton). Die Effekte von Werbung hypostasiert Bittorf, indem er daraufhin Bilder älterer Frauen und von Müttern auf Kur montiert, um schließlich die totale Erschöpfung einer Frau zu zeigen, deren Mann sich weiterbildet und ihr die ganze Last des Lebensunterhalts, des Haushalts und der Erziehung aufbürdet. »Um gute Verbraucher zu sein, verbrauchen die Frauen sich selbst«, so das luzide Schlussresümee des Films.

Neue Sichten auf Weiblichkeit im dokumentarischen Film

Die Phänomene, die die beschriebenen Filme in ihrer thesenhaft-sprachzentrierten und ganz aufs Expertentum setzenden Gestaltung aufzeigen, spielen auch in den Filmen feministischer Filmmacherinnen eine wesentliche Rolle. Freilich werden sie im folgenden Jahrzehnt entschieden anders angegangen. Dieser Wandel schreibt sich insbesondere in das Verhältnis der Filmenden zu ihren gefilmten Akteurinnen ein, sei es als Selbstreflexion auf die eigene Rolle, sei es als persönliche Teilhabe in der Situation des Filmens selbst.

Mit der zweiten Emanzipationsbewegung, die von mehrheitlich gebildeten, politisch engagierten Frauen getragen wird, setzt ab Mitte der 1960er Jahre eine intensive Auseinandersetzung mit der restaurativen Geschlechterpolitik der Bundesrepublik ein. In Westdeutschland bewegen sich viele der angehenden Filmmacherinnen zunächst im Umfeld des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS), von dem sie sich allerdings zunehmend abgrenzen. Als Genossinnen halten sie nicht nur die These, die »Frauenfrage« sei als »Nebenwiderspruch« des Klassenkampfes zu behandeln,5 für unhaltbar. Mit der Theoretisierung von Frauen als eigener Klasse hatte sich erstmals Simone de Beauvoir in ihrem Schlüsselwerk »Das andere Geschlecht« von der dominanten Figur des Geschlechterkonflikts als Nebenwiderspruch des Kapitalismus distanziert.6

[109|110] img

Die unzufriedenen Frauen (1963, Wilhelm Bittorf): Gudrun Stascheit

Aber mehr noch erregen das geringe Mitspracherecht der weiblichen Mitglieder und das allgemeine Desinteresse der Kommilitonen an Debatten über die Gleichberechtigung der Geschlechter den Unmut der Studentinnen. Trotz exzellenter Ausbildung gelten weiterhin Kindererziehung und Haushalt als alleiniger Aufgabenbereich von Frauen. Mit dem Wissen, dass eine chronische Mehrfachbelastung für Frauen, die eine berufliche Karriere anstreben, vorprogrammiert ist, erheben die Feministinnen ihre ganz privaten Konflikte zum Politikum. Zu einer verstärkten Wahrnehmung der Neuen Frauenbewegung in den Medien führt der Tomatenwurf der Romanistikstudentin Sigrid Rüger auf den prominenten Genossen Hans-Jürgen Krahl während der SDS-Delegiertenkonferenz am 13.9.1968 in Frankfurt am Main.7 Knapp drei Jahre später fordern Aktivistinnen öffentlich die Abschaffung des § 218 Strafgesetzbuch (StGB) und ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ein, nachdem am 6.6.1971 die Illustrierte Stern das Bekenntnis von 374 prominenten Frauen zur Abtreibung unter dem Titel »Wir haben abgetrieben!« veröffentlicht hatte.8 Sie halten den § 218 für überholt und bekennen öffentlich: »Wir haben gegen ihn verstoßen«. Initiatorin der Unterschriftenaktion und ihrer Veröffentlichung war die Feministin Alice Schwarzer. Zudem protestieren Frauen gegen die Diskriminierung am Arbeitsplatz und die Festschreibung des Weiblichen [110|111]auf die häusliche Sphäre. Themen, die noch immer tabuisiert sind oder die es in der Ehe zu lösen gilt und gemäß dem BGB der Entscheidungsgewalt des Mannes obliegen,9 werden damit erstmalig Teil eines breiten öffentlichen Diskurses.

Für die Professionalisierung weiblicher Regisseure spielt die Gründung der ersten westdeutschen Filmhochschulen – 1963 das Institut für Filmgestaltung an der HfG Ulm, 1966 die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) und 1967 die Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München – eine entscheidende Rolle. An ihnen erhält am Ende des Jahrzehnts eine noch überschaubare Anzahl junger Frauen, sozialisiert durch die Studenten- und Frauenbewegung, Zugang zu einer anerkannten Ausbildung.

In den ersten Jahren nach der Hochschulgründung üben die linkspolitischen Theoriedebatten um eine zukunftsweisende sozialistische Gesellschaftsordnung großen Einfluss auf die Studentenfilme aus, von denen die meisten die Arbeiterklasse heroisieren und einen stark dogmatischen Zugang zur Filmarbeit offenbaren. Als stilbildend erweisen sich die ästhetischen und programmatischen Ansätze der dffb-Dozenten für Regie und Kamera, Egon Monk und Klaus Wildenhahn, deren »realistisch-sozialkritische«10 Filme die junge Generation der Filmmacherinnen und Filmmacher nachhaltig prägten.11

In dieser sehr aufs Kollektiv bedachten, intimen Arbeitsatmosphäre spüren insbesondere die wenigen Filmstudentinnen den Konkurrenzdruck ihrer männlichen Kommilitonen, wenn es um die Besetzung der Regie- und Kameraposten geht. Um der hochschulinternen Ungleichbehandlung entgegenzuwirken, beginnen sie sich zu organisieren.12 Ein Resultat ihrer Anstrengungen ist der dffb-Lehrfilm Women’s Camera (1971, Frauengruppe der dffb), in dem ausschließlich Filmstudentinnen den Umgang mit einer 16mm-Arriflex-Kamera einem weiblichen Publikum erläutern. Infolge der dürftigen technischen und finanziellen Ausstattung der Filmhochschulen sind die Studentinnen und Studenten gezwungen, möglichst kostengünstig zu produzieren. Ihre Wahl fällt daher nicht selten auf dokumentarische Filmformate, da diese gegenüber dem Spielfilm einfacher zu finanzieren sind.13 Der nichtfiktionale Film kommt mit seinem »unverstellten« Blick auf die Wirklichkeit aber auch dem zeitgenössischen Anspruch der Filmenden entgegen, weibliche Lebensrealitäten möglichst authentisch abzubilden.

Anstelle eines Hochschulstudiums absolvieren einige Filmmacherinnen – zu ihnen zählt die Regisseurin und Drehbuchautorin Erika Runge – ihre Berufsausbildung bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern. Runges frühes Fernsehporträt Warum ist Frau B. glücklich? (1968) thematisiert die entbehrungsreiche Lebensgeschichte der Maria B., einer im Ruhrgebiet beheimateten Witwe eines Bergmanns und alleinerziehenden Mutter. Marias biografischer Wandel von einer politisch Desinteressierten zum aktiven Mitglied der IG Bergbau trägt dem sehr persönlichen Anliegen der Regisseurin, die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen, Rechnung.14

[111|112]Die heterogene Ausbildungs- und Berufspraxis weiblicher Filmschaffender schlägt sich in den methodischen wie stilistisch-ästhetischen Zugängen zu den Themen der Frauenbewegung, aber auch im eigenen Selbstverständnis nieder. Für viele Filmmacherinnen wird die Studienzeit und der damit verbundene kreative Freiraum zur Experimentierphase, um abseits der Programm- und Strukturzwänge der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten eine eigene, spezifisch weibliche Bildsprache zu entwickeln, die nicht selten autobiografische Züge trägt und durch formale Innovationen mit der Film- und Fernsehpraxis zu brechen versucht.

Ein frühes Dokument dieser Filmarbeit, das die Handschrift gleich mehrerer Regisseurinnen trägt, ist die WDR-Auftragsproduktion Das schwache Geschlecht muss stärker werden (1969, Hanna Laura Klar). Vor laufender Kamera diskutieren in diesem programmatischen Gemeinschaftswerk Erika Runge, Claudia von Alemann, Hanna Laura Klar, Helke Sander, Suzanne Beyerle und Ula Stöckl über die gesellschaftspolitische Stellung der Frau in der BRD. In die Gruppendiskussionsszenen sind sechs (semi-)dokumentarische Kurzfilme aller Teilnehmerinnen eingeflochten, die anhand verschiedenster Alltagsszenarien gängige Mechanismen gesellschaftlicher Unterdrückung von Frauen aller Gesellschaftsschichten in Beruf, Familie und Ehe veranschaulichen. Die Erprobung dokumentarischer und fiktionaler Elemente zur Vermittlung frauenpolitischer Inhalte ist für die Arbeiten der Studentinnenbewegung der frühen 1970er Jahre prägend: Einige Filmmacherinnen treten als Laiendarstellerinnen selbst vor die Kamera. Eigenwillige Kameraperspektiven und eine ungewöhnliche Montage sind mit Blick auf spätere Filme als Ausdruck einer Professionalisierungsphase, aber auch als Folge höchst knapper finanzieller Mittel zu verstehen.

Etwa zeitgleich zu Klars Gemeinschaftsprojekt dreht die Regisseurin Helma Sanders Angelika Urban, Verkäuferin, verlobt (1969/70), einen knapp 30-minütigen, Cinéma Vérité-nahen Dokumentarfilm über den von Monotonie geprägten Alltag einer jungen Verkäuferin in der Schmuckabteilung des kölner Kaufhofs. Das (1970 mit dem Preis der Katholischen Filmarbeit ausgezeichnete) Porträt behandelt die Unvereinbarkeit des propagierten Frauenbilds und der weiblichen Selbstwahrnehmung aus der Perspektive seiner Hauptdarstellerin, deren Off-Kommentar sukzessive die Vorstellung vom »abwechslungsreichen« (O-Ton) Aufgabengebiet der Angestellten unterläuft. Angelikas Wunsch, den schlechten Arbeitsbedingungen durch ein zukünftiges Dasein als Ehefrau, Hausfrau und Mutter zu entkommen, wird zum Sinnbild tradierter Geschlechterstereotype, innerhalb derer die Frau die politische Unmündigkeit eigenverantwortlich sucht und an erster Stelle als Konsumentin am Wirtschaftskreislauf teilhat.

Von einer wirklichen Öffnung des Arbeitsmarkts für Frauen in Medienberufen kann trotz dieser ersten positiven Entwicklung nicht gesprochen werden. In den öffentlich-rechtlichen Sendern und der freien Filmwirtschaft arbeitet [112|113]ein Großteil der weiblichen Mitarbeiter weiterhin in den typischen »Frauenberufen«, die, abgesehen von der Tätigkeit als Ansagerin oder Cutterin, mehrheitlich in der Verwaltung angesiedelt sind. Der Film Es geht um: Frauen im NDR (1973, NDR-Frauengruppe) nimmt sich der genderspezifischen Arbeitsteilung und gängigen Sexismen in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mit spitzer Ironie und trickreichen Mitteln an. Eine Szene ist als fiktive Tagesschau inszeniert, an deren Meldung, die Mitarbeiterinnen des NDR seien in den Streik getreten, sich die Bitte um männliche Unterstützung anschließt. Der Aufruf polt die klassische Aufteilung innerhalb der Senderhierarchie geschickt um: »Wir suchen Putzmänner, Sekretäre, Cutter, Telefonisten, Fernschreiberherren, Empfangsherren, männliche Küchenhilfen, männliche Ballettratten, junge unverbrauchte Ansagegesichter und ansprechende, gut gewachsene Quizassistenten« (O-Ton).15

Ungeachtet der neuen Förderungsmöglichkeiten für Filmprojekte, die nach der Verabschiedung des Film- und Fernsehabkommens 1974 den Filmmacherinnen zur Verfügung stehen,16 ist die Auftragslage für junge Hochschulabgängerinnen besonders kritisch. Wie ihre Kommilitonen sind sie auf den Konkurrenzdruck in den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten nur bedingt vorbereitet. Schon während ihrer Ausbildung sind die meisten Filmstudentinnen auf die Fördergelder der Sender angewiesen, um ihre akademieexternen Projekte finanzieren zu können; gleichzeitig scheuen sie deren Einflussnahme auf die eigenen Filmprojekte.17 Trotz des Ausbaus von Förderprogrammen innerhalb der Bundesländer in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre stagniert die Filmförderung auf Bundesebene und die Aufsichtsbehörden gewinnen an Bedeutung. Filme, die eine weibliche Erfahrungswelt in kontroversen und subversiven Bildern neu erzählen, liegen jenseits des Mainstreamkinos und sind »der neuen Rigidität und engstirnigen Moral«18 staatlicher Finanziers besonders ausgesetzt. Unregelmäßige und lange Arbeitszeiten, dazu die mageren Gehälter, belasten vor allem die Hochschulabsolventinnen mit Familie.

Attacke auf die Öffentlich-Rechtlichen: Frauen und Film

Das Spannungsverhältnis zwischen beruflicher Selbstverwirklichung und realen Arbeitsbedingungen, das sich auch als ideologische Schere zwischen dem bürgerlichen Bildungsauftrag der Rundfunkanstalten und den emanzipatorischen Interessen der Filmmacherinnen lesen lässt, thematisiert Helke Sander in ihrer feministischen Streitschrift »nimmt man dir das schwert, dann greife zum knüppel«, die sie 1974 unter der Herausgeberschaft der von ihr mitgegründeten feministischen Filmzeitschrift Frauen und Film veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt auftragslos, berichtet die Filmautorin über die Unmöglichkeit, für feministische Themen Fernsehaufträge zu erhalten. Ihre Filmexposés zur Geschichte der Frauenbewegung, zu weiblicher Sexualität, Abtreibung und [113|114]Menstruation werden von den Sendern allesamt abgelehnt. Wie Sander blickt kaum eine der Absolventinnen auf eine kontinuierliche Berufskarriere zurück.19 Die ausgebildete Regisseurin und ihre Mitstreiterinnen machen in der Zeitschrift ihrem großen Unmut über die persönlich erfahrene Diskriminierung Luft. Zugleich diskutieren sie über Programmatik und Ästhetik frauenpolitischer Filme, wobei in den ersten Jahren der dokumentarische Film im Fokus steht. Zudem werden Übersetzungen feministischer filmtheoretischer Texte aus dem Englischen und Französischen erstmalig einer deutschen Leserschaft zugänglich gemacht. Die Zeitschrift avanciert zur Plattform der Vernetzung weiblicher Filmschaffender und will Frauen in Medienberufen zur gemeinschaftlichen Arbeit an eigenen Filmprojekten animieren.

Für bekennende Feministinnen, aber auch Sympathisantinnen der Frauenbewegung bieten die Gemeinschaftsproduktionen mit ehemaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen sowie befreundeten Filmschaffenden oftmals die einzige Chance, ohne eine Finanzierung durch die Sender Wunschthemen in die Praxis umzusetzen; Finanzierung und Vertrieb der Projekte müssen jedoch von den Frauen selbst gestemmt werden, mit der Konsequenz, dass die fehlende technische Ausrüstung und der Mangel an professionellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der Qualität der Filme zehrt.

»Von Frauen, über Frauen, für Frauen«: Formierung und Stärkung

Ein anderer Schritt, um Frauen den Berufseinstieg in die Medienbranche nachhaltig zu erleichtern und kontinuierliche Arbeitsbiografien zu ermöglichen, ist die Initiierung des weltweit ersten Frauenfilm-Seminars im November 1973 in Westberlin, das von Helke Sander und Claudia von Alemann gemeinsam unter großem logistischen und organisatorischen Aufwand veranstaltet wird. Vier Tage lang werden rund 45 Arbeiten aus dem In- und Ausland zu den Kernthemen der Frauenbewegung gezeigt und von einem internationalen, vorwiegend weiblichen Publikum diskutiert. Das Filmprogramm beinhaltet ausschließlich Dokumentar- und Spielfilme »von Frauen über Frauen«,20 die ein breites gesellschaftspolitisches Themenspektrum anschneiden. Die Situation der Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten in den Niedriglohnsektoren wird in den Filmen ebenso zum Ausgangspunkt medienbasierter Gesellschaftskritik wie die gängigen Rollenklischees innerhalb der Medien. Der Fokus der Regisseurinnen richtet sich außerdem auf die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und eine übergreifende Dokumentation zur Arbeit der Emanzipationsbewegung in Europa und den USA. Ihre Arbeiten teilen einen gemeinsamen Bildungsauftrag zur umfassenden Aufklärung und Politisierung der Bürgerinnen.21

[114|115] img

Für Frauen – 1. Kapitel (1971, Cristina Perincioli): Ulla Lange, Helga Freyer

Im Rahmen des Seminars wird auch der Dokumentarfilm … Es kommt drauf an, sie zu verändern (1972/73, Claudia von Alemann) gezeigt, der die prekäre Situation von Akkordarbeiterinnen in der Metallindustrie aufgreift. Von Alemanns ausgeprägt analytischer Zugang zur Thematik schlägt sich in der wortwie textreichen Umklammerung des visuellen Materials nieder und macht in seinem Wortlaut und im formalästhetischen Anspruch noch die marxistischleninistische Politschule der Studentenbewegung geltend, insbesondere zum Ende hin, wenn der Film einen kämpferischen Aufruf zur Vereinigung und Streikbereitschaft der weiblichen Arbeiterschaft formuliert. Damit bleibt … Es kommt drauf an, sie zu verändern in der Tradition westdeutscher Arbeiterfilme verankert, stellt hinsichtlich seiner genderspezifischen Programmatik – die Mobilisierung der Arbeiterinnenbewegung – allerdings ein Novum dar.22

Über die Ungleichbehandlung der Geschlechter am Arbeitsplatz zu sprechen, bedeutet für die Filmmacherinnen notwendigerweise, die weibliche Diskriminierung innerhalb der Privatsphäre zu thematisieren, in der den Ehefrauen (noch bis 1977!) eine berufliche Tätigkeit nur mit Einverständnis des Ehemanns zugestanden wird. Unter der Maxime »Das Private ist politisch« greift die dffb-Studentin Cristina Perincioli bereits in Für Frauen1. Kapitel (1971) die Situation von Supermarktverkäuferinnen auf.23 Als Geringverdienerinnen befinden sich diese in doppelter Abhängigkeit vom Lohn der Ehemänner, aber auch von deren Einverständnis zur Arbeitsaufnahme. Nicht von ungefähr [115|116]