Impressum

Vollständige eBook-Ausgabe des bei Möllers & Bellinghausen Verlag GmbH (Quinto) 2007 erschienenen Werkes mit der ISBN 978-3-89835-845-3
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Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.

© eBook: Quinto, Möllers & Bellinghausen Verlag GmbH, München 2015

Text: Martin Baltscheit, Illustrationen: Ulf K.

Layout: Eva Tillmann
eISBN: 978-3-89835-457-8

www.quinto-verlag.de

Inhalt

Die Bücherbäume

Ein falsches Ende

Das Änderungsatelier

Der unsichtbare Zug

Das verlorene Lachen

Der gute und der schlechte Tag

Herr Paul findet einen starken Mann

Martin Baltscheit

Ulf. K

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Vielleicht waren seine Eltern aber auch im Garten, weil sie ein schlechtes Buch gefunden hatten, ein Bilderbuch ohne Herz, ein Roman ohne Verstand, ein Gedicht ohne Sinn. Diese Bücher brachten sie dann auf den Kompost im Garten. Es war der größte Kompost in der Gegend und je mehr Mist in den schlechten Büchern stand umso besser war der Dünger für die Bücherbäume. Die Pauls waren nicht die einzigen, die Bücherbäume im Garten hatten, aber bei ihnen wuchsen sie am besten. Der kleine Herr Paul hatte an jedem Baum eine Schaukel und wenn er nicht lesen, sondern schaukeln wollte, erzählte ihm der Wind in den Blättern eine Geschichte. Es gab Abenteuerbäume, die sehr hoch waren und immer ein Baumhaus in ihrer Krone hatten. Es gab Bäume mit dünnen Ästen, die bis auf den Boden hingen, sie erzählten romantische und traurige Geschichten. Die knorrigen Obstbäume waren gut für Kalauer mit Kobolden und hinten im Wäldchen gab es die schönsten Märchen.

Bücherbäume waren nicht einfach zu pflegen. Zum einen brauchte es Regen, denn in die Wassertropfen hatte der Wind die Gespräche der Menschen hinein geblasen. Jeder Tropfen trug einzelne Worte und manchmal ganze Sätze. Im Frühling befruchteten sich Büchersamen und Wortepollen einander so ausgiebig, dass die Pauls im Herbst eine gute Ernte hatten. Die Äste wogen schwer unter der Last der Bücher. Der Abenteuerbaum trug einmal über 20 Folgen einer wirklich raffinierten Piratengeschichte. An der kleinen Gedichtrosenhecke wuchsen 14 Bände Herzschmerz, die außergewöhnlich stark dufteten. Mancher Baum hatte keine Bücherfrüchte, sondern Blätter. Hier galt es, rechtzeitig zu sammeln. Erntete man zu früh, waren die Seiten nur halb beschrieben, wartete man zu lange, hatte der Wind die reifen Blätter fortgeweht. Waren alle Seiten gesammelt, ging es ans sortieren. Nicht selten passierte es, dass Absätze und ganze Kapitel fehlten. Meistens aber wuchs ein solcher Baum jahrelang an ein und derselben Geschichte und mit ein bisschen Glück fanden die Buchgärtner bei der nächsten Ernte die fehlende Stelle. Ein vollständiges Buch von einem Blätterbaum war ein großes Glück und wurde wie ein Schatz gehütet.

Der kleine Kleine Herr Paul sah sich um. Im Garten waren seine Eltern nicht und auf der Lesecouch waren sie auch nicht. Auf dem Klo saßen sie nicht und im Keller lagen nur ein paar alte Gruselgeschichten. Der kleine Paul wusste nicht weiter und immer wenn er nicht weiter wusste, fragte er sein Bücherregal. Er schloss die Augen, nahm ein Buch und sah auf den Titel: „Mein erstes Bilderbuch“. Das war das Buch mit dem er Lesen gelernt hatte. „Aber natürlich!“, rief der kleine Paul, „Ich weiß wo sie sind!“ Er nahm das Buch und schlug die Seite mit den Zeichnungen von „Vater“ und „Mutter“ auf, drehte das Buch herum und schüttelte sie hinaus.

Sie fielen auf den Boden, standen auf und klopften sich ein paar Buchstaben von Rock und Hose.

„Hallo, hallo!“, sagte Pauls Vater und seine Mama sagte:

„Unser kleiner Paul hat uns gefunden!“

Dann gingen sie alle frühstücken.

Es war ein langer Weg zu dem Dichter, aber den unzufriedenen Lesern ging der Gesprächsstoff nicht aus. Zuerst erzählten sich alle noch einmal das Ende ihrer Geschichte und stritten dann darüber, welches das Schönere sei. Sie hatten sich so viel zu sagen, dass sie nicht bemerkten, wie schnell die Zeit verging und sie längst angekommen waren.

Der alte Dichter öffnete die Tür. Sofort erkannte er sein Buch und als er den Lesern anbot Platz zu nehmen, um eine Tasse Tee zu trinken, riefen sie ,nein‘, sie seien nicht gekommen um Tee zu trinken. Sie würden nicht eher gehen, bis sie das richtige Ende der Geschichte erfahren hätten. Der alte Dichter seufzte und sagte leise:

„Meine lieben Leser, weil Sie ein solch glühendes Interesse an meinem Buch zeigen, will ich Ihnen die Wahrheit sagen! Es gibt kein Ende der Geschichte! Ich habe sie vor über vierzig Jahren erfunden und konnte mich für kein endgültiges Ende entscheiden! Deshalb habe ich mehrere aufgeschrieben! Es tut mir Leid!“

Da fingen die unzufriedenen Leser an zu schimpfen und riefen: „Klatscht in die Hände! Wir woll’n ein neues Ende!“