Erster Band

Inhaltsverzeichnis

Vor ein paar Tagen sagte ich zu meiner Frau: „Ich fühle noch nicht die nötige Andacht zu dem neuen Buche, das ich schreiben will.“

Und während ich dies sagte, erinnerte ich mich dabei an jene japanische Dichterin, die, um die nötige Weihe für ein großes Werk zu empfangen, sich in einen Tempel einschließen ließ und nachts in dem einsamen Tempelraum auf dem Deckel eines Gebetbuches die Niederschrift ihrer dichterischen Eingebungen begann.

Der deutsche Übersetzer ihres Buches, der diesen Vorfall in der Einleitung berichtet, fügte hinzu: „Wo wäre heutzutage in Europa der Dichter zu finden, der eine ähnliche Vorbereitung für ein Buch nötig fände?“

Wie wenig kannte doch der Mann die Dichterherzen aller Zeiten!

Wo große Werke entstanden, sind auch die Männer, die diese schufen, immer mit herzklopfender Andacht an ihr Schaffen herangetreten.

Wenn sich die Dichter auch nicht in die Sakristeien der Kirchen zurückgezogen haben, so ist doch immer jeder ihrer geistigen und ernsten Arbeiten eine seelische und körperliche Kasteiung vorausgegangen.

Jeder künstlerische Schöpfungsakt wird durch Entsagungsakte vorbereitet. Der Beispiele sind viele, und wer die Geschichte der Zeiten verfolgt, wird immer wieder auf diese Vorbereitungen stoßen, Vorbereitungen voll innerster Andacht, die jedem bleibenden Werk vorangehen müssen.

Als ich nun meiner Frau neulich gestehen mußte, daß ich mich noch nicht andächtig genug fühle, das neue Buch zu beginnen, das meine Kameraden und mich in der Zeit der neunziger Jahre (1890–1900) in unseren Begegnungen und im Ringen um neue Ideale schildern soll, und als ich sagte, daß ich noch nicht die Weihe zur Mitteilung dieses Lebensabschnittes hätte — dessen Aufzeichnungen eine Art Fortsetzung meines letzten Buches „der Geist meines Vaters“ werden sollten —, da ahnte ich in meiner Niedergeschlagenheit nicht, auf welche seltsame Weise mir mein Schicksal die Weihe zu dieser Arbeit erteilen würde.

Seit zwei Jahren ungefähr trage ich den Wunsch, dieses Buch zu schreiben, mit mir herum.

Seit das erste Jahrzehnt unseres neuen Jahrhunderts vollendet war und ich bei mir bemerkte, wie schnell wir uns von einem vergangenen Jahrhundert entfernen, und wie viele Lebensäußerungen in die Vergessenheit sinken und verloren gehen können, wenn sie nicht in schriftlicher Erinnerung aufgespeichert und damit der Nachwelt wieder zugänglich gemacht werden, — seit ich also wahrnahm, daß auch das letzte Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts bereits in meiner Erinnerung zu verblassen begann, drängte es mich, das starke Dichterleben dieser neunziger Jahre, das reich an neuen Idealen, reich an großen Geistern war, in Aufzeichnungen für mich festzulegen.

Ich kann in diesem Buche, sagte ich mir, nur den bescheidenen Teil, der vom Jahrhundertende mit meiner Person zusammenhängt, wiedergeben. Aber es werden sich daraus für den Leser von selbst anziehende Fernblicke auf die ganze Dichterwelt der neunziger Jahre öffnen, und mancher junge Dichter findet vielleicht dann ein besseres Verständnis für seine eigene Zeit, wenn er einen Ausschnitt aus jener, die deutsche Dichtung so umwälzenden Vergangenheit nacherlebt.

Aber nicht bloß den jungen Dichtern und Denkern sei dies Buch gewidmet, das ihnen einiges von ihren Kameraden erzählen will, — vor allem dem deutschen Volk, das einen kleinen Einblick gewinnen soll in die Arbeitsernsthaftigkeit, in das märtyrerhafte Leiden und in die weltfernen Freuden, zwischen denen sich das Leben der oft verkanntesten Söhne des Volkes, das Leben der jungen Dichter und Denker, bewegt.

Den Wunsch, Andacht zu diesem Buche zu bekommen, trug ich besonders heftig nach der Drucklegung meines letzten Buches, im Herbst 1912, mit mir herum.

Aber ich war, teils zu zerstreut von alltäglichen Sorgen, teils fortgerissen vom äußerlichen Leben und vom Krieg, der im Balkan sich abspielte, unaufmerksam für meine Vergangenheit geworden, da mir stündlich blutende Wirklichkeit vor Augen stand.

Ich hatte mir gewünscht, dieses Buch in den zum Niederschreiben von Erinnerungen so angenehmen Wintertagen zu beginnen und es bis Frühjahr vielleicht vollendet zu haben.

Und nun war schon die Weihnachtszeit gekommen, und ich stand unzufrieden am Fenster und fütterte hungernde Vögel, und unter den Hungernden sah ich auch als grauen Vogel meine Seele hin und her fliegen.

Aber sie war scheu. Fürchtete sie den Wirklichkeitsblick meiner Augen? Sie wollte sich nicht in mir niederlassen und mir nicht von der Vergangenheit vorsingen.

Die Sperlinge, Amseln und Finken, die auf die Fensterbank kamen, wurden satt, aber meine Seele blieb hungrig, und meine Hände nahmen täglich unruhigere Bewegungen an, und meine Augen lasen nur die hastigen Kriegsnachrichten der Zeitungen und nahmen sich nicht die Ruhe, in mir selbst zu lesen.

So feierte ich ein unglückliches Weihnachtsfest. Ich war so viel zwischen dem fernen Balkan, dem Kriegsschauplatz, und meinem Zimmer hin und her geflogen, daß ich den Fluß unter den Fenstern, den alten Main, nicht mehr rauschen hörte, dessen Rauschen mir sonst in wachen Nachtstunden viele Betrachtungen aus der Stille der Vergangenheit herbeigeholt hatte.

Ich fragte mich oft: ist meine Heimat vor den Fenstern verschwunden? Es war, als stünde mein Zimmer irgendwo in einer seelenlosen Fremde.

Viel zu viel hatte ich bei den Zeitungen meine Stunden verbracht, und Wirklichkeitslärm hatte sich in meine vier Wände eingenistet, so daß das Buch, das ich der Vergangenheit widmen wollte, unmöglich in dieser seelenlosen Umgebung aufwachsen konnte.

Oft trug ich mich mit dem Gedanken, fortwandern zu müssen in ein abgeschiedenes Gebirgsdorf, in ein Berghaus in tiefem Schnee, wohin keine Zeitung und kein Briefbote kommen konnte, in Einsamkeit, wo die Gegenwart sich leicht in Vergangenheit umwandeln kann.

Aber nein, sagte ich mir, ich will noch das neue Jahr erwarten. Die Heimatluft ist mir noch nie untreu gewesen. Immer gab sie mir Arbeitsfrieden, wenn ich nur recht eindringlich danach verlangte. Warum sollte ich dieses Mal auswandern müssen?

Und ich blieb und fütterte weiter die Vögel an meinem Fenster und sah in die schönen blauen Wintertage, die zu dieser Weihnachtszeit mild wie Märztage waren.

Drei Tage vor Neujahr wanderte ich am letzten Sonntagnachmittag des alten Jahres mit meiner Frau über die Nordseite des Nikolausberges, um über dem Berg fort das kleine Haus im Guckelsgraben aufzusuchen, das ich mir in diesem Jahr hatte bauen lassen, und das im Frühjahr meine Wohnung werden sollte.

Viele Leute sagen, im Winter sei in der Natur draußen nicht viel zu sehen. Aber ist denn nicht der Winter zu sehen? Auch wenn kein Schnee liegt, so ist das Winterbild doch erschütternd und die Tragik des scheinbaren Weltstillstandes.

Ich habe einen gelben Hund. Er ist nicht klein und nicht groß. Er hat auch keine bestimmte Rasse. Es ist ein gelber kurzhaariger Pintscher, mit schöner weißer Zeichnung. Jeder aber, der ihn sieht, ruft unwillkürlich aus: „Ach, der Bauernhund!“

Man soll sich nicht wundern, daß ich von der Landschaft plötzlich auf meinen Hund überspringe. Man wird bald den Zusammenhang verstehen.

Meine Frau weiß, wie gern ich mit allen Sinnen die Landschaftsbilder genieße, wenn wir spazieren gehen. Ehe wir nun an diesem Nachmittag ausgingen, riet sie, den Hund zu Hause zu lassen, denn sie bedachte, wie sehr mich das Tier stören würde, da dieser Bauernhund immer Hasen jagen will.

Er hatte uns schon auf manchem Spaziergang geärgert, wenn er fortstürzte, „Has, Has“ bellend und auf kein Rufen und Pfeifen und Schelten hörend.

Es tat mir aber an diesem Tag leid, den Hund zu Hause zu lassen, und so hatten wir ihn bei uns. Meine Frau nennt ihn Sudel, ich nenne ihn Dusel, woraus man ungefähr seine Art erraten kann.

Er hat nämlich den Glücksdusel, dieser Hund. Es gelingt ihm alles, was er will, und ich habe oft scherzend gesagt, daß er bei den Göttern besser angeschrieben steht als mancher Mensch.

Bis auf die Berghöhe folgte Dusel heute meinem zurechtweisenden Ruf „Zurück“ und hielt sich dicht in der Nähe meines linken Fußes. Als wir auf die Bergfläche kamen, die wir überschreiten sollten, um nach dem Guckelsgraben hinunterzugelangen, da ging Dusel mit hochgehobener witternder Schnauze, weil der Westwind uns entgegenstand und wahrscheinlich dem wildgierigen Köter ganze Ladungen von Hasenwitterung in die Nasenlöcher trieb.

Ich konnte es endlich nicht mehr mitansehen, wie das Tier, gleichsam geblendet vom Wildgeruch, mit zwinkernden Augen schnuppernd in die Luft blinzelte und der Atem ihm erschauerte und stockte. Mit den Vorderpfoten ging er wie blind tastend und stieg immer viel zu hoch durch die Luft, weil sein Hundegeist schon weit fortsprang hinter den Hasenvorstellungen her.

Ich sagte zu meiner Frau, daß ich den Hund am liebsten querfeldein laufen lassen möchte. Ich konnte es nicht mehr mit ansehen, wie das Tier seine gesunden Naturinstinkte bei meinem barschen Zurufen „Zurück“ unterdrücken mußte.

„Ach,“ meinte meine Frau, „wenn du den Hund jetzt laufen läßt, sehen wir ihn heute nicht wieder. Dann kommt er vor Abend nicht heim.“

Aber wie wir noch sprachen, hatte der Hund sich schon von uns entfernt und stand, eine Fährte aufstöbernd, kräftig schnuppernd zwanzig Schritte querfeldein bei einer Dornenhecke.

Ich rief ihm zu. Da sah sich Dusel lachend um, wedelte lustig mit seinem geringelten Schweif und fuhr wieder mit der Nase eine Erdfurche ab.

Daß der Hund mich anlachte und nicht kam, ärgerte mich. Und die Vorstellung, daß er vielleicht jetzt in nächster Sekunde fortstürzen würde und dann erst in unabsehbarer Zeit heimfinden wollte, dieser Gedanke machte mich heftig.

Ich wollte dem Tier zeigen, daß ein Hund vom Menschen abhängig ist, und daß es nicht umgekehrt ist. Und ich dachte, wenn ich ihm einen Schlag mit meinem Spazierstock gäbe, so würde er, zahm gemacht, auch den Rest des Weges hinter mir hergehen.

Ich rief und rief nochmals aus Leibeskräften und hob drohend den Stock. Da gehorchte Sudel auch endlich und kam in weitem Bogen herangesprungen. Nun hätte ich ihn nicht schlagen sollen.

Aber ich dachte: ein Denkzettel wird dir und mir nützen, und dann schließen wir Frieden. Wie nun mein zuschlagender Stock durch die Luft fuhr, wich der Hund geschmeidig aus, und da ich ihn nicht traf und mein Körpergewicht in den Schlag gelegt hatte, so wankte ich bei dem verfehlten Stockhiebe.

Aber die Drehung meines Armes beim heftigen Zuschlagen riß mich, als ich in die Luft haute, so unglücklich herum, daß ich mir mein rechtes Bein im Kniegelenk blitzschnell ausrenkte.

Der gewaltige Schmerz dieser plötzlichen Verrenkung und die Angst, daß ich das Bein vielleicht gebrochen hätte, durchfuhren mich jählings. Auch konnte ich auf dem sehr schmerzenden Bein nicht mehr stehen, und ich sank im Feld zusammen, als wenn man mich niedergeschossen hätte.

Dann folgte viel Aufregung. Meine Frau, die glaubte, daß ich mein Bein gebrochen hätte, weil ich blaß und schmerzverzerrt am Boden lag, zerschlug ihren Regenschirm an dem Hund und jammerte über den frechen Sudel, der ebenfalls bei den Schirmschlägen heulte.

Dieses geschah ungefähr um drei Uhr nachmittags. Zwei Stunden brauchten wir, bis wir in die Nähe des nächsten Hauses kamen. Auf meinen Stock und auf meine Frau gestützt, arbeitete ich mich mühsam auf einem Bein bergab. Das rechte Bein war ganz unbrauchbar geworden, auch nachdem ich es wieder selbst eingerenkt hatte.

Das Bein war wie eine tote Masse, tot insofern, als ich es nicht bewegen konnte. Es schmerzte brennend. In den steinigen Hohlwegen des Berges war jeder Schritt eine Marter. Den Weg hätte man mit gesunden Füßen gut in zehn Minuten bergab zurückgehen können.

Wir kamen erst nach zwei Stunden zu jenem Gutshof, auf welchem ich viele Tage meiner Jugendzeit verlebt hatte, und welchen ich im Buch „Der Geist meines Vaters“ genau beschrieben habe.

Mein gelber Dusel, welcher nur einen Augenblick zu mir gekommen war, als ich hingestürzt, war dann blindlings der nächsten Hasenfährte nachgejagt und spurlos verschwunden. Wir hörten ihn manchmal noch in der Ferne „Has, Has“ kläffen. Während der zwei Stunden, die wir zum Abstieg des verhältnismäßig kleinen Weges brauchten, hetzte der Hund die Hasen kilometerweit hin und her, unbekümmert um die Menschenwelt.

Da ich kaum noch weitergehen, meine Frau mich aber kaum mehr stützen konnte, so wurde beschlossen in den Gutshof am Berg einzutreten und dort eine Droschke abzuwarten, die aus der Stadt heraufgeholt werden sollte.

So lag ich denn bald auf einem Liegestuhl, den man in den Gartensaal gerückt hatte, dicht bei dem großen Weihnachtsbaum. Ich war seit drei Jahren nicht mehr in dem Gutshause gewesen, und während ich auf den Wagen wartete und die Frau des Hauses meiner Frau und mir zur Unterhaltung die Lichter des Weihnachtsbaumes anzündete, fielen mir Stunden ein, die ich vor dreiundzwanzig Jahren an diesem Ort erlebt hatte.

Auf einem Regal bei der Tür stand eine Photographie von mir, und als eine der Damen sich erhob, stieß sie zufällig an mein Bild, das dort auf einer kleinen Staffelei stand. Die Photographie rutschte zur Seite und zeigte eine andere, die auch auf derselben Staffelei Platz hatte.

Es war das Bild eines jungen Philosophen, eines Freundes von mir. Ein junger Mann, der die blasse Stirn in die Hand stützt. Diese Aufnahme hatte ich vor dreiundzwanzig Jahren selbst gemacht. Und es war mir nun, als seien die dreiundzwanzig Jahre, die zwischen jetzt und damals lagen, wie dreiundzwanzig Sekunden vorübergegangen.

In dem Gartensaal hatte sich seitdem fast nichts geändert. Menschen waren zwar im Hause gestorben, Junge waren erwachsen, und Erwachsene waren alt geworden. Aber die Luft des Saales war dieselbe geblieben. Die Fenster, die Türen, die Lampe, die Gartenterrasse draußen und die Aussicht auf die Stadt Würzburg, — dies alles wollte mir sagen, daß es Lebendes gibt, das nicht Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft kennt.

Ich hatte das schmerzende Bein auf den Liegestuhl legen müssen und spürte einstweilen in dieser Lage keine Schmerzen mehr. Ich wußte zwar, ich hatte ein Bein, das schmerzte, sobald ich aufstehen würde. Aber augenblicklich war mein Bein unwirklich, und es schien mir nicht zu gehören.

Und so war es auch mit meiner Gegenwart in diesem Gartensaal. Sie schien mir nicht zu gehören. Dieses Zimmer gehörte nur der Zeit vor dreiundzwanzig Jahren.

Dann kam der Wagen. Der fuhr meine Frau und mich und mein Bein in die Stadt. Dusel hatten wir verloren.

Aber dafür hatten wir eine andere dritte Persönlichkeit mitbekommen, und das war mein krankes Bein, dessen Kniesehnen verzerrt und zerrissen waren, und das bei mir lebte hochgeschwollen, steif, schmerzhaft brennend und das mir die Freude am Gegenwartsleben störte, so daß ich, um nicht an das Bein denken zu müssen, zu Hause gern in die Vergangenheit flüchtete.

Am Tag nach dem Sturz sagte ich vom Bett aus, darin ich liegen mußte, zu meiner Frau: „Die Schmerzen haben mich andächtig gemacht. Ich kann dir jetzt das neue Buch diktieren.“

Da nickte meine Frau und meinte: „Das war mein erster Gedanke, als ich dich so schlimm hinstürzen sah und dir ansah, daß du dich schwer verletzt hattest. Wenn er für nichts anderes gut ist, dieser Sturz, dachte ich mir, so ist er vielleicht dafür gut, daß er dir die rechte Andacht zu dem neuen Buch gibt, die du so sehr herbeisehntest.

Denn ich mußte mich mitten in meinem Schrecken blitzschnell erinnern, daß du vor ein paar Tagen sagtest: ‚Ich habe noch nicht die rechte Andacht zum Schreiben!‘“ —

Und so war es auch. Ich mußte nun wochenlang das Bett hüten und Eisbeutel auf das kranke Bein legen. Gleich am ersten Mittag, als alle Glocken der Stadt an mein Fenster kamen, sie die seit Wochen zur Mittagsstunde das Trauergeläut für unseren verschiedenen Regenten Luitpold von Bayern besorgten, sagten diese:

„Hast du es jetzt endlich begriffen, daß wir jeden Mittag nicht bloß zum Trauergeläut ausgeschickt waren? — Jahresringe, wie solche jedes Jahr den Bäumen wachsen, Jahresringe wachsen auch uns Glocken in unserm Erz. Wenn wir läuten, können wir alle vergangenen Jahre herläuten. Wir versuchten es, dir jeden Mittag zum Vergangenheitsrausch, in den du versinken wolltest, die Einleitung zu singen. Du warst aber immer auf Kriegsschauplätzen und wer weiß wo. Jetzt bist du endlich heimgekehrt. Liege nun still, dann wollen wir dich hineintragen in das vergangene Jahrhundert, in die neunziger Jahre, die du wiedersehen möchtest.“

Ich nickte nur und nicke den Glocken jeden Mittag zu, wenn sie um zwölf Uhr kommen und um ein Uhr gehen. Die uralten Glocken aus den uralten Türmen meiner Heimatstadt Würzburg berauschen mich, wenn sie in großem Schwarm die Stadt umkreisen. Bei ihrem Geläute wogt mein Blut, die Gegenwart löst sich auf, und ich sehe die versunkenen Stunden meiner Jünglingsjahre, als schaute ich durch die Fenster versunkener Städte in Räume, die einmal auf der Oberfläche der Erde standen und die fortgeschwemmt wurden samt ihren Bewohnern von der Flut der Zeit.

Mein krankes Bein, das mich ans Bett verankert hat, zwingt nun nicht bloß mich, sondern auch die Zeit um mich, die immer wie in Nebeln entgleiten will, zum Stillstand. Ich kann jetzt mit Muße und Andacht die Vergangenheit, die einmal lebendig war, wie es mein Fleisch und Blut sind, betrachten. Und ich will den Schemen, die mich locken, nachgehen und sie anreden. Sie sollen die Gespräche wiederholen, die schönen, die ernsten, die jugendbetörten, die einsam traurigen und die weltumarmenden meiner Jünglingsjahre.

Da ist ein Augustnachmittag, der sich zuerst an mich herandrängt, und der wegen einer Stunde, deren Gedanken die Welt des Unmöglichen erstürmen wollten, sich bedeutungsvoll aus der Reihe der Jahre vorschiebt. Aber voraus springen noch ein paar starke Augenblicke, die der seltsamen Stunde Vorläufer waren.

Es war in jener Zeit, als ich gegen meinen Vater noch nicht auszusprechen wagte, daß ich Schriftsteller werden wollte, teils aus Scham, diesem allerpersönlichsten Wunsch laute Worte geben zu müssen, teils aus Verlegenheit, weil ich nicht wußte, wie man Schriftsteller oder gar Dichter werden sollte.

Denn die Weltordnung will es, daß keiner das Dichten erlernen kann. Und es wird auch nirgends, auf keiner Schule der Welt, versucht, diese Kunst zu lehren.

Wohl bedarf der Dichter der Schulung, aber die muß er sich selbst erringen und selbst geben. Seine Hochschule und Werkstatt, in der er arbeitet, ist sein Herz.

Keine von den anderen Künsten erfordert so sehr die Hochschule des Herzens wie das Dichtertum. Und ich behaupte, daß dem jungen Dichter in seinen Entwicklungsjahren das schwerste Los der Welt zuteil wird.

Er ist da wie eine Raupe, die unter Würmern kriecht. Während die Würmer aber Würmer bleiben, soll die Raupe ein Schmetterling werden.

Und wenn der junge Dichter auch ahnt, daß ihm Flügel wachsen, — sein Herz, das keine Beweise hat, muß schweigen, muß zweifeln, muß in die Einsamkeit flüchten, muß der Familie, den Freunden, die seine Ahnungen, seine Hoffnungen, seine Pläne nie ganz teilen, entfliehen. Er muß sich dem Rufe der Undankbarkeit, der Untreue, der Wetterwendigkeit aussetzen, wehrlos gefoltert von den Anklagen, die er zu Wäldern von Dornen anwachsen sieht, durch die er hindurch soll.

Den jungen Dichter können keine Lehrer zur Dichtung leiten, keine Bücher, keine weisen Männer, keine klugen Frauen, kein Zorn der Welt, kein Haß der Welt. Er erreicht in seiner Kunst nichts durch Verbindungen, durch Empfehlungen, nichts durch das Erbe seiner Väter, nichts durch das Vermögen oder den Rang der Familie, — er ist bloßgestellt, auf sich angewiesen, auf sich selbst beruhen müssend, aus seiner Unerfahrenheit heraus immer an sich selbst glauben müssend, immer ein einzelner, ein in und über den Dingen stehend Geborener, — ein weltferner Kamerad.

Er muß drei Welten bewältigen: die Welt des äußeren Miterlebens, die Welt der inneren Beschaulichkeit und die Welt seiner geistigen Schöpfungen und soll sich immer in und über den Dingen behaupten.

Und aus diesem ewigen „Von Natur aus anders sein müssen“ als die anderen, daraus erwachsen dem jungen Dichter die Berge voll Dornen, und die Kammern des Lebens scheinen ihm oft mit Folterwerkzeugen angefüllt.

Der Dichter ist auch nie alt und nie jung zu nennen. Er ist, so lange er lebt, Kind, Mann und Greis in einer Person.

Die Kindesnatur gibt ihm immer wieder neues Vertrauen zum Miterleben. Das Weltbetrachten und das „Über den Dingen stehen“, das ihm angeboren ist, gibt ihm schon in jungen Jahren die Ruhe, die Tiefe und die Weisheit des Greises. Und seine Schöpfungen machen ihn zum tatkräftigen Mann, zum Erzeuger hoher ewiger Werte.

Der Dichter wird innerlich fertig geboren. Er entwickelt sich innerlich nie. Sein Herz ist ein Diamant, der nicht feuriger und nicht blinder wird.

Er ist von allen Menschen der Mensch, der im Gleichgewicht geboren wurde; in jenem Gleichgewicht, das die anderen erst durch Leben und Alter erlangen, oder es nie erlangen, aber diesem Gleichgewicht bewußt oder unbewußt zustreben. Denn jedes echte Gedicht muß aus einer Herzensmelodie geboren werden, und eine Melodie ist nur entstehungsmöglich dort, wo Harmonie, das ist Gleichgewicht, herrscht.

Ein Dichterherz ist das harmonischste Herz der Welt. Und deshalb können im letzten Grunde die Wälder und Berge aus Dornen, die Lebenskammern, die voll Folterwerkzeuge starren, dem jungen Dichter nichts anhaben. Er ist der Mann im Feuerofen, er ist der Mann in der Löwengrube, er kann wie Dante die Kreise der Hölle und die Kreise des Himmels durchwandern. Er ist der Unverletzbare, er ist der Prophet, der auf dem Feuerwagen in den Himmel fährt. Er ist der Gesetzgeber, der die Lebensgesetze aus erster Hand der Schöpfung empfängt. Er muß sich plündern lassen wie Hiob und wird doch sein hohes Lied anstimmen und über seinen Tod noch weitersingen ohne Mund, über die Jahrtausende wie Homer.

Seht dagegen die anderen Menschensöhne an! Allen, die auf den Erdstraßen arbeiten, ist ihr Weg bekannt. Alle erhielten Schulen und Führer, Lehrer und Gesetze für ihren Beruf, nach denen sie sich richten konnten, um rechtschaffene Meister zu werden.

Der Handwerker hat seine Lehrjahre und seine Meister, die ihn unterweisen. Der Geschäftsmann hat seine Handelsschule und das Geschäft, die ihn zur Selbständigkeit vorbereiten. Die Ingeniöre und die Architekten haben ihre Hochschulen, die Ärzte, die Richter, die Geistlichen, die Lehrer finden ihren Bildungsweg an Lehrschulen und Universitäten. Den Offizieren, den Diplomaten, — allen ist ihr Lebensplan vom Staate und im Staate eingerichtet.

Ja, selbst den anderen Künstlern, den Bildhauern, Malern, Musikern, stellt der Staat heute Akademien und Konservatorien zur Verfügung. Er erteilt ihnen Titel und Ränge. — Für alle geistigen Arbeiter, die sich dem Gesamtwohl der Nation widmen, hat der Staat einen Platz, ein Auge, eine freigiebige Hand, eine Würde übrig. Nicht so für den jungen Dichter.

Die einen stört das Kindliche an der Dichternatur, das alles miterleben möchte. Die anderen stört das Greisenhafte an der Dichternatur, das tiefe und aufrichtige Betrachten und Sichversenken in die Lebenszustände. Und die Dritten macht das kühne Männliche kopfscheu, das in der Dichternatur unerschöpflich sprudelt, und von dem man keinen Weg voraussehen kann, und das die Bürgerruhe verblüfft, schwindlig macht und abschreckt. Die Vorsichtigen sehen den Dichter unvorsichtig auf einem geflügelten Rosse reiten. Während der Bürger Pferde artig auf der Erde rennen und am Abend müde sind, rauscht über sie fort, noch unter den Sternen, der Dichter als unermüdlicher Sehnsuchtsreiter. —

Um das Jahr 1890 hatte ich heimlich angefangen, manches kleine Gedicht zu schreiben, kleine balladenartige Gedichte, Empfindungsergüsse, die sich in nichts unterschieden von den tausend Reimereien, die jeder ein wenig gebildete, schreib- und lesefähige Mensch zustande bringen kann, und die man nicht Gedichte nennen darf, nicht Dichtungen. Reimverfasser dieser Art sind vom wirklichen Dichter, der den Namen Dichter mit Würde tragen darf, so weit entfernt, wie es ein Schaukelpferd, ein Spielzeug, vom Schulpferd und Rennpferd ist.

Ich wußte, daß mir viel fehlte, aber wußte keine Richtung zu finden. Da lernte ich in dieser Zeit einen jungen Studenten kennen, mit welchem ich nach der Tanzstunde, die wir damals besuchten, manche Stunde nachts plaudernd in den Straßen der Stadt spazieren ging oder in einem Kaffeehause saß.

Unsere Bekanntschaft war dadurch entstanden, daß jener junge Mann, der Medizin studierte, mich ganz unvermittelt gefragt hatte, ob ich schreibe. Die Frage erstaunte und verblüffte mich. Und der Frager sagte, als ich zustimmte, er habe an meiner Kopfform erkannt, daß ich künstlerisch tätig sein müsse, daß ich mich mit Phantasiearbeit beschäftigen müsse.

Ich vertraute ihm an, daß ich einige Verse geschrieben hätte, aber daß ich das noch keine Dichtung, keine Phantasiearbeit nennen könne. Aber seit dieser Frage unterhielten wir uns öfters, und er versuchte mich, da er zum Philosophieren neigte, für die Gedankenwelten der verschiedenen Philosophien zu begeistern.

Meine Empfindungswelt kam mir zwar reicher vor als alte Gedanken, über die wir zusammen sprachen. Aber ich hörte doch gerne seiner mir fremden Welt zu, ließ mir von ihm Schopenhauer vorlesen und hörte seine Erörterungen an, in denen er manches Mal die Wortfechterei der ganzen Philosophie verhöhnte. Ich las ihm dagegen den Schriftsteller, den ich damals mir als Vorbild gewählt hatte, den Dänen J. P. Jacobsen, vor, und ich war erfreut, daß jener junge Philosoph meiner Begeisterung für Jacobsens „Niels Lyhne“ beistimmte und auch auf meine Gedanken einging, so wie es sich für richtige Freunde gehört. Jeder von uns hatte ein waches Ohr für die Empfindungswelt des anderen, ohne seine eigene Welt zu verleugnen oder zu verlassen.

Bei einem Abendspaziergang dann auf dem Steinberg erinnere ich mich deutlich der Augenblicke eines großen Umsturzes, den ein einziger Satz aus dem Munde meines neuen Freundes in mir hervorbrachte. Ich war bisher nicht mehr und nicht weniger fromm und religiös gewesen als andere junge Leute meiner Zeit. Ich war naturehrfürchtig und liebte außerdem die heiligen Personen des Alten und Neuen Testamentes, so wie man alte Familienüberlieferungen liebt, deren Echtheit man nicht bezweifelt.

Ich liebte die Weihnachtsheimlichkeit mit ihrer Mettenstunde, mit ihren Krippenliedern und ihrem Krippenspiel. Ich liebte die Karwoche mit ihrem wehmütigen Karfreitagsleid und wandelte so mit den Festtagen durchs Jahr, denn nur die Kirchenfeste erinnerten mich noch an die Religion, die man mich in der Schule gelehrt hatte.

Gott konnte für mich ebensogut Wirklichkeit wie eine schöne Vorstellung sein. Niemand konnte ergründen, wohin die Toten gehen, niemand konnte ergründen, woher das Leben gekommen war.

Warum sollte es mir daher einfallen, über Gott, der eine uralte Überlieferung war, nachzugrübeln, oder gar diesen Gott abzusetzen. Fragte mich denn jemand, ob ich die Welt haben wollte, wie sie war? Fragte mich denn jemand, ob ich meinen Vater haben wollte, wie er war? Warum sollte ich nicht ebensogut Gott bestehen lassen, da ihn doch die Väter hatten bestehen lassen und deren Väter?!

Auf jenem Abendspaziergang aber auf dem Steinberge, als die Sterne am Nachthimmel wie ein Silberregen glitzerten, kam mir in der Nähe meines immer gedankenvollen Freundes der leichte Ausruf auf die Lippen: „Schade, daß man sterben wird und niemals erfahren wird, wer diese Haufen Sterne geschaffen hat.“

Es war jene Frage, die man so oft nachts an den Himmel richtet, die jeder junge Mensch einmal fragen muß. Eine Frage, die mehr einen leisen Stoßseufzer bedeutet, der aus dem angenehmen Unterbewußtsein kommt, daß das Unerklärliche an der Welt das Köstlichste ist, daß es süß ist, sich in dieser Unerklärlichkeit nur als eine Krume auf dem ungeheueren Welttisch zu fühlen, als eine Wenigkeit, die im Verhältnis zu den riesenhaften Welträumen gar nicht in Frage zu kommen scheint.

Man genießt bei diesem Seufzen in einem Atemzug des Himmels Riesenräume, in denen keine Menschenmacht mitzureden hat. Man genießt sie als eine Freiheit, als ein Aufatmen vom Menschendruck unserer menschenvollen Erde.

Der junge Philosoph antwortete mir, und ich hörte in seiner Stimme ein spöttisches Verachten:

„Wer sagt Ihnen denn, daß die Sterne einen Schöpfer brauchten? Die Sterne sind Atome, die immer waren. Wir können das jedenfalls geradesogut annehmen, wie wir annehmen, daß sie einen Schöpfer haben sollten. Beweise haben wir weder für das eine noch für das andere Vorstellungsbild.

Die Vorstellung von einem Schöpfer kennt keine Freiheit des persönlichen Ich-Bewußtseins. Während, wenn ich mir vorstelle, daß alles sich selbst schafft und sich selbst vernichtet, das Ich-Bewußtsein gewahrt und erhöht wird.

Es bleibt jedem natürlich überlassen, sich einen Schöpfer vorstellen zu wollen oder nicht. Nur wird der Klügere, der schöpferische Mensch, sich gegen eine solche Vorstellung sträuben, die sein Ichbewußtsein von einem Schöpfer abhängig macht. Ich, für meinen Teil, stelle mir lieber vor, daß die Welten sich selbst schufen; da mir scheint, daß diese Vorstellung dem Verstand des Zeitgeistes, in dem ich aufgewachsen bin, mehr zusagt.“ — So sprach mein Freund zu mir.

Ich weiß heute nicht mehr, was ich ihm antwortete. Ich weiß nur, daß ich mich zuerst heftig sträubte, auf die uralte Vorstellung von Gott und dem Schöpfer oder Weltgeist, wie mein Vater immer gesagt hatte, kurzerhand zu verzichten und jedem Wesen eigene Schöpferkraft zuzusprechen.

Mein Freund lachte nur und sagte: „Ich nehme Ihnen ja nichts, wenn ich Ihnen zumute, den Schöpfer wegzudenken und an seine Stelle allgemeine Schöpferkraft zu setzen. Ihr Schöpfer ist so unbeweisbar wie meine Atomkraft. Ich setze nur an Stelle des Nichts, an das Sie glauben, ein anderes Nichts.

Ihr Bild vom Schöpfer verhält sich übrigens zu meiner Atomkraft, die ich mir als Urkraft vorstelle, wie ein Ölporträt zu einem Photographieporträt. Das Ölbild ist das künstlerische, aber auch das ungenauere Bild. Die Photographie ist das unkünstlerische, aber das realistisch genauere Bild.“

In den nächsten Tagen war es mir schwer, mit meinem Freunde weiterzusprechen. Ich litt unter dem Verlust, den er mir zumutete, indem ich das künstlerische Bild von Gott und der Schöpfung aus meinem Herzen ausrotten, und an Stelle der alten Überlieferungen mechanische Vorgänge der Atome annehmen sollte, die mir zwar glaubhaft schienen, aber mich stimmungs- und vorstellungsarm machten.

So weh ums Herz, dachte ich, muß es den letzten Griechen und Römern gewesen sein, als sie die Tempel schließen und Abschied nehmen sollten von den schönen und vertrauten Bildsäulen ihrer erdachten Göttergestalten und von den Zeremonien, den gewohnten, mit denen sie die Feste dieser Götter feierten, die ihnen von ihren Vätern und Vorfahren seit Jahrhunderten überliefert waren und Familieneigentum geworden waren und persönliches Eigentum und Welteigentum, beinahe wie die Bäume, wie der Himmel, wie der Regen und die Sonne, ohne die sie sich ihre Lebensjahre nicht vorstellen konnten.

Ich hatte in jener Sternennacht, da mein philosophischer Freund meinem Herzen den Umtausch vorschlug, an Stelle des Schöpfers, an Stelle des persönlichen Gottes die verallgemeinerte und wissenschaftliche Atomkraft zu setzen, im bläulichen Zwielicht der Sterne auf die türmereiche Stadt Würzburg vom Steinberg hinuntergesehen, über meine kirchenüppige Vaterstadt hin, und ich trug dieses Bild der vielen Kirchen noch in den nächsten Tagen neben meinen verwirrten Gedanken mit mir.

Und so wie die letzten Griechen und Römer gefragt haben werden, als man an Stelle ihrer Götterreligion den einfachen alleinigen Gott der Christen, den einzigen Weltregenten, setzen sollte: „Wozu waren also alle die Tempel, die da Jahrhunderte gebaut waren, gut? Haben wirklich unsere Väter durch Jahrhunderte nur einem schönen Schein gehuldigt?“ So fragte ich mich, wenn ich im Geist das prunkreiche Bild der Kirchenstadt Würzburg vor mich hinstellte und es mit der Öde des Wortes Atom verglich.

Meinen Freund, welchen ich absichtlich in den nächsten Tagen mied, und der, wenn ich ihn traf, es ebenfalls vermied, von neuem das Gespräch der Entgötterung meines alten Himmels aufzunehmen, er konnte endlich die Verstimmung, die so sichtlich zwischen uns getreten war, nicht länger unbekämpft lassen.

Zur Abendstunde zwischen sechs und sieben Uhr holte er mich meistens in der Wohnung meines Vaters ab, und wir gingen durch die Stadtanlagen rund um den Ring der Stadt und am Main entlang, bis wir, wieder an dem Ausgangspunkt zurückgekommen, uns voneinander verabschiedeten, — wenn der junge Student nicht zum Vorlesen und Klavierspielen für den Abend bei mir eintrat und zu Besuch blieb. Er spielte auch manches Mal mit meinem Vater Schach oder plauderte mit meiner jüngsten Stiefschwester.

Aber in diesen Tagen der Umwälzung der Gottbegriffe in mir forderte ich ihn nicht mehr auf, nach dem Spaziergang zu uns in die Familie zu kommen. Er war für mich jetzt nicht mehr bloß Mensch und Freund, sondern er schien mir ein weltfernes Wesen geworden, ähnlich einem jener Atome voll Atomkraft, das selbstschöpferisch walten konnte. Ich war aber mit dieser persönlichen Atomgöttlichkeit noch zu wenig vertraut, um ihr zu vertrauen.

Und gegenüber den altgeweihten menschlichen Gottesvorstellungen erschien mir mein Freund mit seiner selbstherrlichen Atomkraft wie eine Dynamitpatrone, mit der ich noch nicht umzugehen verstand, und die ich meinem Vater nicht ins Haus bringen wollte. Jedenfalls wollte ich selbst erst über den Ersatz der Atomkraft, die den persönlichen Weltschöpfer verdrängen sollte, klar werden, ehe der junge Philosoph, vielleicht nach einer Schachpartie, meinen Vater oder meine Schwester in die Atommächte einweihen würde.

Denn, wenn auch mein Vater mir immer an Stelle des persönlichen, alttestamentarischen Gottes einen neutestamentarischen geistigen Gott, einen Weltgeist, gesetzt hatte, so war doch diese Vorstellung für mich immer noch poetischer Natur gewesen. Der Weltgeist, der über allem schweben sollte, alles durchdringen sollte, war wie ein Riesenweltadler, der mit seinem Flügelschlag das Leben anfachte, und dessen Flügelschlag man aus dem Leben aller Dinge spüren konnte.

Die Weltgeistvorstellung war für mich bis dahin immer noch eine Einheit gewesen, zu der man aufschauen konnte, die über dem Weltall schwebte und atmete, wie ein großes Welt-Ich. Jetzt sollte aber auf einmal dieser Weltgeist so wenig da sein wie der alttestamentarische, persönliche, menschenähnliche Gott und so wenig wie die griechischen, ägyptischen oder assyrischen Götter.

Jedes Stäubchen, das in der Sonne flog, sollte ein schöpferisches Ich sein und nichts Mächtigeres über sich kennen. Es sollte es selbst sein, es sollte Urkraft sein. Alle Legenden des Weihnachtsfestes, des Oster- und Pfingstfestes, die Poesie der Bibel und der Kirchen sollte ich verlassen und gegen Atomleben eintauschen!

Fast haßte ich diesen Entgötterer, der mir in diesem jungen Philosophen zum Freund geworden war. Es war, als kehrte er meine uralte Vaterstadt aus und kehrte mit den Kirchen die traulichen Winkel, Häuser und Gassen fort, und statt der türmereichen Stadt lag nun am Main eine leere Atomwüste.

Nicht einmal mehr das Bild eines grünen gras- und baumreichen Tales, wie es vor der Entstehung der Stadt am Main gewesen war, konnte ich jetzt dort vor mir sehen. Denn auch die Wälder, die da früher waren, die Gräser, die unschuldigen blumigen Mainwiesen, die vor zweitausend Jahren die Ufer säumten, auch sie wurden ein Atommehl, farblos, formlos.

Und eine grenzenlose Verlassenheit befiel mich bei diesen ersten Anfängen meiner Atomkraftvorstellung, die ich an Stelle der bilderreichen Bibelereignisse und der Schöpfung setzen sollte.

Es war an einem hellen Frühlingsabend, als mich mein Freund wieder einmal abholte. Und auf dem Wege durch die Stadtanlagen sagte ich seufzend zu ihm: „Ich glaube nicht, daß wir uns weiter verstehen.“ Er hatte mich nämlich gefragt, warum ich in letzter Zeit so schweigsam sei, ob ich Ärger in der Familie hätte.

„Es ist vielmehr,“ klagte ich, „ich habe Ärger mit allem, was Sie neulich abends auf jenem Berge mir erklärten. Ich streite in mir hin und her. Wenn ich nachts am Fenster stehe und den mir sonst so altlieben Sternhimmel bewundern will, fällt mir ein, daß das nur ein Haufen Atome sein soll, über dem kein Weltgeist waltet, kein Gottgeist, der versöhnlich dem Ganzen seinen Willen gibt, den Stempel des Guten und des Bösen.

Diese verantwortungslose Atommasse, die ich vor mir sehen soll, stört mich sehr. Bei den Frühlingsblüten der Stadtanlagen sehe ich bald nicht mehr die fröhlichen Farben, das Lila des Flieders, das Goldgelb des Löwenzahns, die weißen Sterne des Schlehdorns, sondern ein gleichgültiges Atommeer arbeitet da rund um mich, dessen Farben keinen Sinn haben, dessen Düfte keine Wollust mehr ausströmen.

Denn wenn der Duft aus den Frühlingsbüschen zu mir kommt, so sind das nur wieder Atome, die meine Atome anrühren. Das ganze Leben wird öde bei dieser wissenschaftlichen Atombetrachtung.“

Mein Freund lachte kurz auf. „Aber das ist ja ein großes Mißverständnis,“ erklärte er eifrig. „Sie dürfen sich die Atome nicht als Punktmasse vorstellen, die ziellose Kräfte hat. Jedes Atom ist ein Lebewesen und erlebt Freude, jedes Atom erlebt Leid.

Wenn vorher nur ein einziger großer Schöpfer über all den Dingen dastand — die die Menschen fälschlich die toten Dinge nennen —, so tauschen die, die den Schöpfer ausschalten und allen Dingen eigene Schöpferkraft, eigene Verantwortung, eigene Freude, eigenes Leid zusprechen, dadurch eine Welt von Leben ein gegen die Welt der toten Dinge, die vorher den Menschen umgeben sollte.

Vorher, bei der Vorstellung des fernen Schöpfers, den wir überhaupt nie zu sehen bekommen sollten, da waren die Menschen unendlich einsam und sahen sich durch den sogenannten Weltgeist, der über den Dingen schweben sollte, von der Schöpfung unendlich getrennt und lebten in einer eiteln Einsamkeit. Denn die Menschen kamen sich fälschlich unter allen Geschöpfen als die einzigen Erleuchteten vor, da sie ganz allein einen Funken vom Weltgeist, den sie die menschliche Seele nannten, zu besitzen glaubten.

Doch mit der Annahme, daß alle Dinge Selbstschöpfer sind, daß die Atome der sogenannten toten Dinge, die Atome der Pflanzen, die Atome der Tiere, die Atome der Berge, der Meere, der Wolken, die Atome des Lichtes, eben solche beseelten Wesen sind wie die beseelten Atome des Menschen, — bei dieser Annahme ist der Mensch stündlich und täglich von ewigem Leben umringt und braucht nicht erst auf seinen Tod zu warten, um als Seele in ein ewiges Seelenleben überzugehen.

Jedes Atom ist ein ewiges Ich mit Verstand und Gefühl. Tote, leblose, gefühllose Dinge gibt es im Weltall des ewigen Lebens, in dem sich unser Leben abspielt, nicht. Alle Dinge kennen sich, alle Dinge fühlen sich, alle Dinge verstehen sich.

„Aber“ entgegnete ich, „das haben die Dichter schon längst in den Märchen gesagt, in den Märchen, wo die Schneeflocke redet, wo der Frosch am Brunnenrand mit der Königstochter spricht, wo die Vögel im Walde mit den Menschen reden. Der Bach und der Regen und der Wind und der Baum, — alle reden dort. Und dieses Märchen der Dichter, das soll Wahrheit sein?“ unterbrach ich den jungen Philosophen.

„Jawohl,“ sagte er. „Die Dichter sind die einzigen, die von jeher das Weltall in seinem Urbau erkannt haben. Sie fühlten immer die Einheit und Beseeltheit aller Dinge, der lebenden und ‚toten‘ Dinge persönliches Leben.“

Wir waren an das Mainufer gekommen, wo die Sonne hinter fernen Waldbergen untergegangen war. Die Hügel lagen da wie Haufen blaugrauer Asche, und die roten Abendwolken standen darüber wie Feuerbrände über Opferaltären.

Noch einmal machte mein Herz, den alten Überlieferungen treu geblieben, einen Anlauf, und es verteidigte die Bilder der Engelschöre, die wir Menschen uns in die Wolken versetzen und das Bild des großen alttestamentarischen Gottes mit dem weißen wehenden Bart, der in den Sternenmantel der Jahrtausende gehüllt, immer weise richtend, über den Chören der Engel thronen soll, das Gute zu sich ziehend und belohnend, das Böse fortstoßend und verdammend.

Und die Abendglocken der dunkelbeschatteten Stadt, die zu den feurigen Wolken hinaufläuteten, schienen mir recht geben zu wollen. Der schwere Glockenklang, der mit unseren Schritten auch von den Pflastersteinen widerhallte, ging durch meinen Körper und wühlte in meinem Blut alle alten Überlieferungen der Bibelgeschichte auf.

Da wurde meine Stimme ein wenig pathetisch, als ich zu dem jungen Mann an meiner Seite sagte: „Nein, ich kann ihn nicht absetzen, den alten großen Gott. Ich kann mir den Himmel nicht leer denken, nur mit den Atomen der Wolken angefüllt. Ich will Dichter werden, und es muß mein Dichterrecht sein, mir beliebig die Welt mit Gestalten ausfüllen zu dürfen.

Mit Atomkräften — und auch wenn die Atome beseelt sein sollen — kann ich künstlerisch nichts anfangen. Es ist, als rauben Sie, Philosoph, mir aus meinem Puppentheater die Puppen, und als sollte ich nun auf leerer Szene nur mit der Leere der vier Windrichtungen ein Stück aufführen.“

Wieder lachte der junge Philosoph auf, und seine Stimme wurde plötzlich nicht mehr von Gedanken getragen. Sie klang ganz irdisch nüchtern und knapp, wie die Stimme eines Arztes, der einen phantasierenden Fieberkranken anredet.

„Ja, können Sie sich denn nicht selbst genügen? Warum müssen denn die Wolken Arme und Beine haben und Engel tragen? Warum muß denn überall der Mensch den Menschen hindenken in Regionen, wo es keine Menschen geben kann? Warum sollen die Dinge rundum nicht ihr eigenes Leben leben dürfen?

Lassen Sie doch das Leben aller Dinge einmal zu sich herankommen! Diese Geduld hatte bis jetzt noch keiner von euch Dichtern. Immer müßt ihr gleich alles ins Menschliche verwandeln. Das Weltalleben aber liegt voll von unaufgedeckten Poesien.

Sobald man den Schöpfer absetzt und jedes Geschöpf als seinen eigenen Schöpfer einsetzt, dann wird eine große Fülle von lebenbejahenden, lebenbejubelnden und lebengründenden Dichtungen entstehen.

In den Märchen ließet ihr bis jetzt die Mäuse nur Hochzeit machen wie die Menschen. Ihr stelltet euch dann dabei einen Mäusepfarrer vor, der das Pärchen zusammentat.

Um die Blumen leben zu lassen, müßt ihr ihre Lebensgeister in menschengestaltige Elfen verwandeln. Und über Riesen und Zwerge kommt ihr immer noch nicht hinaus. Immer muß eure Phantasie von kronentragenden Königen, hochzeitmachenden Prinzessinnen und verwunschenen Prinzen handeln.

Dieser abgenützte Plunder mittelalterlicher Lebensbefangenheit, dem wir keine neuen Seiten abgewinnen können, wird von selbst fortfallen, sobald die Weltschönheit, das Weltgefühl und das Weltleben mit dem kleinsten Grashalm, mit dem Schatten eines Blattes, mit dem geringfügigsten Leben, so wie es ist und nicht anders, zu euch reden darf.

Verwandelt nicht immer die Gestalten der Dinge, die an sich selbst jede ihre Schönheit haben. Die Muschel, der Stein, der Staub und ihre Figuren, ihre Lebensbewegungen, wenn sie im Licht aufblinken — alle die Weltalleben an sich selbst sind schön und bieten eine Fülle von Poesie, wenn der Mensch ihre Rhythmen auf sich wirken läßt. Lernt die Abendwolke genießen, so wie sie ist, als ein schwebendes Leben und seht sie nicht als eine erhöhte Kirchenbank für Engel an.

Der Dichter der Zukunft, der dieses fertig bringt, das Weltalleben in seinen wahren Schönheiten, in seinen erregten Lebensäußerungen unverwandelt wiederzugeben, dieses wird der Dichter der neuen Zeit werden, die jetzt anbricht, und die die alte Zeit abstoßen wird, wie ein altes abgetragenes Kleid.“

Ich begann aufzuhorchen. Das war ein Ausspruch! Meine Lust, ein Dichter zu werden, fühlte sich nun in Mitleidenschaft gezogen, und es war mir klar: das, was ich vorher an Versen geschrieben hatte, war nur eine weiche Schwärmerei und eine Schwelgerei auf altromantischen ausgetretenen Wegen gewesen.

Ich wußte zwar noch nicht, wohin mich ein Glaubenswechsel führen würde, und ob er mir wirklich einen Ersatz bieten würde. Aber ich war jung genug, um mich von der Lust anlocken zu lassen, alle bisherigen Wege, welche die Dichtkunst der christlichen Zeitspanne überliefert hatte, kühn zu verlassen und einen Sprung ins Unbekannte tun zu wollen.

Götter- und Ritterromantik sollte weit zurückbleiben. Dafür wollte ich die Romantik des bisher unentdeckten Landschaftslebens, das Reden der Dinge an sich, ohne daß sie menschliche Verkörperungen eingingen, ohne daß sie Märchengestalten annehmen sollten, begeistert aufdecken in ganz neuen Dichtungen.

So sicher und bestimmt, wie ich es heute in Worten niederschreibe, kam natürlich nicht jene Eingebung durch meinen Freund über mich. Mein waches äußeres Auge war noch hilflos, aber innere unbewußte Blicke redeten zu meinem Herzen, ungefähr so, wie in früheren Zeiten ein ferner unentdeckter Weltteil einem Kolumbus Unruhe bereitet haben mag und ihn innerlich gerufen hat, zu ihm zu kommen und unbekanntes Land zu suchen, zu finden und der bekannten Welt anzugliedern.

Wir waren am Main entlang gegangen, die Stadt zur Linken, den Main zur Rechten. Und drüben über dem Fluß, aus dem Tal, das der Marienberg, auf dem die alte Festungsburg steht, mit dem Nikolausberg bildet, aus diesem zu fernen Waldhöhen eilenden Tal kam eine Flut von gelbem Abendlicht. Und die Südfenster des Festungsschlosses und die goldenen Kreuze der Kapelle auf dem Nikolausberge gegenüber und der sanfte Mainspiegel darunter schienen zu brennen, als wären dort überall Freudenfeuer angezündet. Und die roten Wolken am Himmel standen zerpflückt über der Stadt wie große rote Blumensträuße, die auf die Dächer niederregneten.

War all das Licht umher meine Feststimmung, die aus meinem Herzen in den Raum hinausgetreten war? — Jedenfalls fühlte ich mich wie ein König, gekrönt von dem Entschluß, Herr über ein großes unbekanntes Reich zu werden. Und so wie der Abendstrahl dort aus dem Tal die mir so altgewohnte Stadtumgebung verwandelte und in zündendem Licht zeigte, so daß ich für einen Augenblick kaum das alte Heimatpflaster mehr erkannte, so durchstrahlte mich der zündende Gedanke einer geistigen Umwandlung, die jetzt in mein Empfindungsleben einziehen sollte, vom Scheitel bis zur Sohle, als brächte dieser Augenblick mir neues Blut.

Der junge Philosoph an meiner Seite glaubte, daß mich neue Zweifel bestürmten, und seine Stimme schlug plötzlich wie in volle Verachtung um, als er kurz zu mir sagte:

„Und übrigens ist es gar nicht wahr, daß, ehe wir in jener Sternennacht auf dem Steinberg auf Atomkraft zu sprechen kamen, Sie sich noch immer einen Gottvater mit einem weißen Bart vorstellten oder Engelsscharen auf den Wolken oder Ähnliches.

Sie haben längst nicht mehr glauben können, daß menschenähnliche Wesen den luftleeren Weltraum bevölkern können. Sie leisten mir nur jetzt Widerstand, weil Sie sich noch nicht in den Reichtum der neuen Welt, die sich Ihnen darbietet und in die Verantwortung, die Ihr Ich als eigener Schöpfer auf sich nehmen soll, hineinfinden können.

Das ist aber nur Gewohnheitssache. Die neue Welt, in welcher jedes Geschöpf Selbstschöpfer ist und keinen anderen Übersichstehenden anerkennt als sein eigenes Gefühl und seinen eigenen Verstand und als Richtschnur die Erfahrungen, die es aus den Widerständen des Lebens sammelt — diese Welt scheint einem zuerst etwas schwieriger zu sein, weil sie verantwortungsreicher ist.


Man muß seine eigene Schuld auf sich nehmen, aber auch die Freuden werden nicht mehr Geschenke, sondern eigene Errungenschaften. Man ist nicht mehr Geschöpf, das auf Gnade und Ungnade Knecht eines Herrn ist, sondern man ist Herr geworden, eigener Herr seines Lebens und aller zukünftiger Leben.


Niemand, der die neue Weltanschauung annimmt, kann sich mehr mit Schwäche entschuldigen, denn jeder glaubt dann an die unendlichen Schöpferkräfte, die er in sich hat, die wir aber bisher nur dem einen Schöpfer zusprachen.

Sehen Sie die anbrechende Nacht! Sie verhüllt Ihnen nichts mehr vom Augenblick an, wo Sie die Sonnen nicht höher setzen, als sich selbst. Die Nacht birgt in ihrem Dunkel keine anderen Schrecken, als die, die Sie in sich selbst tragen.

Die Nacht ist nicht besser und nicht schlechter als alles Licht. So wie Sie, im Urbegriff genommen, nicht besser und nicht schlechter sind als ich und alle anderen Menschen. Niemand ist Herr und niemand ist Knecht.