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Verlag Voland & Quist, Dresden und Leipzig, 2007

© by Verlag Voland & Quist – Greinus und Wolter GbR

Umschlaggestaltung: Tim Jockel

Satz: Fred, Leipzig

ISBN: 978-3-86391-049-5

www.voland-quist.de

Inhaltsverzeichnis

 

Vorwort

Spider

Einer nach dem anderen

Ahne

Ab wann ist man ein Mann

Tube

Man muss auch mal Zeichen setzen!

Robert Weber  

Ode an die Stammkneipe

Ahne

Dasselbe noch einmal

Spider

Wenn die Gärtner Pause machen

Robert Weber

Zehn gute Gründe,
sich vorzeitig zu verabschieden: 1. Natur

Lt. Surf

SW-Photo

Tube

Wie ich mal mit Susanne abrechnete

Spider

Mein Freund ist Schlüpfer

Ahne

Zwiegespräche mit Gott heute: Wellen

Robert Weber

Zehn gute Gründe,
sich vorzeitig zu verabschieden: 2. Freunde

Tube

Heute aber nicht

Ahne

Der Lebensinhalt ist flüssig

Spider

Schwanger

Robert Weber

Zehn gute Gründe,
sich vorzeitig zu verabschieden: 3. Alter

Tube

Mein Leben-Lauf

Spider

Unvollständige Liste der schönen Dinge
im Leben eines richtigen Mannes

Ahne

Wenn ich groß bin

Lt. Surf

Stummschaltung

Robert Weber

Zehn gute Gründe,
sich vorzeitig zu verabschieden: 4. Ärzte

Tube

Brutzel, brutzel, brutzel …

Spider

Mein Leben ohne Pillen

Ahne

Brot

Sarah

Das Ding an der Kasse

Robert Weber

Zehn gute Gründe,
sich vorzeitig zu verabschieden: 5. Liebe

Spider

Besuch aus der Provinz

Tube

Sechs Stunden

Robert Weber

Zehn gute Gründe,
sich vorzeitig zu verabschieden: 6. Schauspieler

Ahne

Trautes Heim

Spider

Unvollständige Liste der schönen Dinge
im Leben eines richtigen Mannes (Teil 2)

Robert Weber

Möbel

Tube

Was ich mal beim Einschlafen so gedacht habe

Ahne

Der Text, der eigentlich anders heißen sollte

Robert Weber

Zehn gute Gründe,
sich vorzeitig zu verabschieden: 7. Träume

Sarah

Die Kneifzange

Spider

Hast Du Lust mich kennenzulernen?

Tube

Zugeparkt

Robert Weber

Zehn gute Gründe,
sich vorzeitig zu verabschieden: 8. Essen

Ahne

Wie ich mal den Faden
der ironischen Distanz zerschnitt

Spider

Marsmission

Robert Weber

Zehn gute Gründe,
sich vorzeitig zu verabschieden: 9. Sprache

Tube

Die Geschichte vom Westschloss

Spider

Gutenachtgeschichte mit Happy End

Ahne

Nationaler Widerstand

Robert Weber

Zehn gute Gründe,
sich vorzeitig zu verabschieden: 10. Ich

Tube

Mein Handy

Robert Weber

Die Trauerfeier

Ahne

Die Revolution muss warten

Tube

20 Cent sind zu teuer

Robert Weber

Rosemarie-Rose

Tube

Multipolster

Spider

Drogenbeichte

Ahne

Heraus zum 2. Mai

Michael Stein

Gebet gegen die Arbeit

Vorwort

Achtung: die Surfpoeten sind zurück! Zurück in den Regalen der Buchhandlungen. Zurück in den Nylonbeuteln zwischen den Pausenbroten der Schichtarbeiter, zurück auf den traumfeuchten Nachttischen unzähliger Heranwachsender und auf studentischen Wohngemeinschaftstoiletten. Zurück auf Wunschzetteln für den Weihnachtsmann und auf Geburtstagsgabentischen. Zurück als Zeittotschläger auf die Gänge der Arbeitsämter und als Präsente zur Rente. Und die Surfpoeten kehren auch zurück in tausende CD-Player. Ja, seit der letzten Publikation der Surfpoeten hat die CD sich wider Erwarten gegenüber der Vinyl-Schallplatte als Tonträger durchgesetzt. Als hätte er dies geahnt, legte Voland & Quist damals jedem Buch eine dieser gelochten Silberscheiben bei. Vor drei Jahren war das, als »Die Surfpoeten« erschien. Als die erste Tanzveranstaltung der Welt, bei der man nicht nur zur von DJ Lt. Surf sorgfältig ausgesuchten Musik, sondern auch zu Hörspielen von Robert Weber, zu Predigten von Michael Stein und zu Texten von Ahne, Tube und Spider tanzen kann, die Bühne verließ und die Nylonbeutel mit den Pausenbroten der Schichtarbeiter eroberte, die traumfeuchten Nachttische unzähliger Heranwachsender und so weiter, und so weiter …

Aber so wie die Surfpoeten immer wieder auf die Bühne zurückkehren, jeden Mittwoch, seit zehn Jahren, und auf die Tanzflächen, so kehren sie auch wieder in Buchform zurück. Und als CD. Und mit Sarah als Gast.

Denn es gibt immer neue Geschichten zu erzählen. Und noch längst nicht alle Ziele der Surfpoeten sind erreicht: Der Kampf gegen den Zwang zur Lohnarbeit, für Essen umsonst und billiges Bier wird noch lange dauern. Noch oft also werden die Surfpoeten wiederkehren müssen, und sie machen es gerne. Hier kommt Teil II. Hier kommt: »Die Rückkehr der Surfpoeten!«

Einer nach dem anderen – Spider

Manchmal wird mir alles zu viel. Zum Beispiel jetzt gerade. Der Computer stürzt ab, meine Freundin klappert mit dem Abwasch, mein Sohn experimentiert neuerdings mit Böckchen, unterm Fenster reißen Bauarbeiter Mutter Erde den Arsch auf, an der Tür klingelt »Wärbung bittäh!«, am Telefon … nein, ans Telefon gehe ich jetzt nicht. Ich muss meine Nerven beruhigen, entspannen, massieren. Ich brauche Trost, Zuspruch, Liebe. Ich brauche Konsum. Ich muss etwas kaufen. Ich muss in die Schön-Schöner-Schönhauser-Allee-Arcaden. Oder, nein, noch besser, in die Kaisers’Kaufhalle. Ja, viel besser. Kaisers’Kaufhalle. Viel besser! Ja! Gut! Also die Hose angezogen und Jacke und Schuhe und eine Schleife gemacht und noch eine. Und den Rucksack gegriffen, den Rucksack mit den vielen Flaschen drin. PET-Flaschen, jede Menge. Auf dem Weg zur Kaufhalle. All die Autofahrer, die nicht richtig fahren können, die nicht mal richtig parken können. Und die Fahrradfahrer, die auch nicht richtig fahren können, sonst trügen sie ja wohl keine Helme. Und die anderen Fußgänger, die bestimmt auch zu irgendwas zu blöd sind. Dazu, an der engsten Stelle nicht stehen zu bleiben zum Beispiel. Auf dem Weg in die Kaufhalle. Manchmal wird mir alles zu viel. Mach ich mir aber nichts draus. Das wird schon wieder. In der Kaisers’Kaufhalle. Die Kaufhalle ist voll. Überall Menschen, und sie bleiben immer an der engsten Stelle stehen. Schlangen an den Kassen, Leute, die den PIN-Code ihrer EC-Karte vergessen haben oder einen 100-Euro-Einkauf mit Gutscheinen bezahlen, wobei ihnen aber 67 Cent fehlen, und weil sie kein Geld dabei haben, überlegen sie ewig, was aus ihren zwei Einkaufswagen sie zurücklegen. Am Eingang kreischen Kleinkinder auf einer Schaukellokomotive nach neuen 50-Cent-Stücken. Vor der Schiebetür jaulen die angeleinten Köter. Es herrscht Bombenstimmung. Stimmung. Ich brauche Trost. Ich suche den Flaschenautomaten. In der Getränkeabteilung ist der Flaschenautomat. Vor ihm ist eine Schlange. Ein Rentner steckt immer und immer wieder eine Flasche verkehrt herum hinein. »Mit dem Boden zuerst«, wird er belehrt, aber er hört so schlecht. Irgendwann bin ich dran. Hinter mir ist die Schlange jetzt richtig lang. Ich hole eine Flasche aus dem Sack und mache es wie der alte Mann. Immer und immer wieder. Immer und immer wieder kommt die Flasche raus. Ich fluche laut, schlage mit der flachen Hand gegen die Vorderseite des Automaten. Dann wieder von vorne. Stimmung in der Reihe hinter mir. »Mit dem Boden zuerst«, hilft mir eine junge Mutti. »Lenken Sie mich nicht ab«, schreie ich sie an, »Ich habe es eilig!« Die Flasche verschwindet im Automaten. Ich drücke den grünen Knopf. Ein Bon wird gedruckt. Ich nehme den Schnipsel, dann klatsche ich mir mit der Handfläche an die Stirn. Ich hole noch eine Flasche aus dem Rucksack. Ich stecke sie mit der falschen Seite zuerst in den Automaten. Wieder und wieder. Bombenstimmung. »Mach bloß hinne!« Ich drücke auf den Knopf für den Bon. Ich fluche laut, ziehe noch eine Flasche aus dem Sack und beginne von vorne. Ich spüre eine gewisse Ungeduld. Manche telefonieren, dass sie später kommen. Die Menschen brauchen Entspannung. Die Ärmsten. Noch ein Bon. Noch eine Flasche. Die Schlange hinter mir zischt gereizt. Noch ein Bon. Noch eine Flasche. Die Schlange hinter mir wächst. »Müssen Sie hier an der engsten Stelle stehen«, hört man vom Eingang der Getränkeabteilung. Ich schlage auf den Automaten. Eine Flasche kommt immer wieder zurück. Vielleicht ist sie sortimentsfremd. »Manchmal wird mir alles zu viel«, stöhnt die junge Mutti. Ihr Kind quengelt. Aus meinem Rucksack hole ich noch eine Flasche. Sie kommt immer wieder zurück, weil nicht mit dem Boden zuerst. Oder ist sie sortimentsfremd? Immer die gleichen Fragen. So oft. Ich hole eine Flasche aus meinem Rukksack, stecke sie in den Automaten, der gibt sie mir zurück. So oft. So oft noch. Als ich fertig bin, verlasse ich mit einem kleinen Stoß Pfandbons die Getränkeabteilung. »Müssen Sie an der engsten Stelle stehen«, schimpfe ich auf einen Bauarbeiter mit Wochenendeinkauf. Er steht ganz hinten in der Schlange. Das Gleiche an der Schlange vor der Kasse. Einer telefoniert, dass es noch dauert. »Lassen Sie mich bitte durch?«, frage ich die Schlange, die längste der drei Schlangen, »ich habe bloß Flaschenpfand einzulösen.« »Na ja, gut, Hauptsache es geht schnell, aber wir stehen auch.« »Guten Tag«, wünscht mir die Kassiererin. »Ich möchte meinen Pfand«, sage ich und reiche ihr einen Pfandbon. Sie lächelt. Sie schiebt den Bon über den Scanner, kritzelt etwas und gibt mir ein paar Münzen. Die anderen Schnipsel in meiner Hand hat sie noch nicht bemerkt.

Lt Surf empfiehlt zu diesem Text: Soyol Erdene (Kulturschatz) mit D. Gankhoyag u. B. Nandintsetseg – Orgon Hangajn Nutag (A Broad Expanse), Malodija, UdSSR, 1981
Diese mongolische Band errang 1991 den siebten Platz beim World Pop Festival in Tokyo!

Ab wann ist man ein Mann – Ahne

Die Tasse Kakao steht noch auf dem Tisch. Ich ließ sie dort stehen, obwohl sie noch nicht ausgetrunken war. Musste mich sputen, musste zur Arbeit.

Jetzt ist er kalt geworden, der Milchtrunk. Ich schütte ihn seufzend in den Ausguss. Der Kakao läuft nicht ab. Ich spüle mit Wasser hinterher. Die Mischung läuft auch nicht ab. Wohl verstopft, der Abfluss.

Plasterohre. Ich erinnere mich, dass wir Plasterohre verlegt hatten, damals bei der Sanierung. In Plasterohre darf man nicht rein mit einer Spirale, glaube ich. Da geht dis dann erst mal richtig kaputt, dis Rohr, glaube ich. Ein Meister des Halbwissens. Meine Herren! Mal hier was aufgeschnappt, mal da. Und eine Melange dessen lege ich mir dann so zurecht, dass ein Schuh draus wird. Ein Schuh, der mir passt.

Ich bin faul. Ich habe keine Lust, mich auf die Suche nach einer geeigneten Spirale zu begeben. Die Rohre sind aus Plaste. Na bitte! Da kann man wohl nichts machen, da gehe ich eben an den Computer und gucke, ob mir wer geschrieben hat. Oh, es hat mir keiner geschrieben. Gar keiner! Niemand! Was für eine Verschwörung ist das denn jetzt bitteschön?!

Könnte eigentlich mal eine Liste mit den zehn schlimmsten Weltverschwörungen ins Internet stellen. Platz eins wäre auf alle Fälle die, wo sich Teufel, Gott und sicherlich auch der Mossad zusammengerauft haben, uns mittels billigster Taschenspielertricks vorzugaukeln, es gäbe überhaupt irgendetwas. Doch bestimmt existiert die schon, die Liste. Wird schon irgendein Arschloch hineingebastelt haben, ins Netz. Oder jedenfalls wird uns vorgegaukelt, irgendein Arschloch hätte die in ein angeblich vorhandenes Internetz hineingebastelt. Schnell ausmachen, das Gerät, sonst wird man noch strahlenkrank.

Vor meinem Fenster blühen Erdbeeren. »Strawberry fields forever«. Wann habe ich eigentlich das letzte Mal Drogen genommen? Is in Kakao Koffein drin? Hat mir vielleicht jetzt jemand geschrieben? Immer noch nicht.

Ich will mich ja sterilisieren lassen. Zick zack, Sack ab! Ich habe genug getan für die Erhaltung der Menschenart. Ich habe mir meine Rente verdient, wallera, da darf ich mich jetzt auch bequem zurücklehnen gefälligst, tätärä. Wird natürlich nich der ganze Sack abgeschnitten, keine Angst meine Damen, nur im Sack, an den Hoden, da sind ja irgendwie so ’ne Rohre dran, also eher dünne Rohre, Kabel, noch dünner, Stricke, Fäden, die …, durch die strömt jedenfalls die Wichse oder, wissenschaftlich gesagt, die Pampe, das Sperma, meine ich natürlich. Samenleiter. Die müssen zersägt werden. Gekappt, eliminiert. Da werden so winzig kleine Sprengladungen werden da, an denen dran, befestigt. Und die lässt man, in einem geeigneten Augenblick dann, hochgehen. Also möglichst, wenn draußen gerade ein Bus vorbeifährt, damit sich niemand erschrickt, bei dem Knall. Dis is natürlich, mit Megamakrotechnik wird dis gemacht. Davon spürt man gar nichts, als Patient jetzt. Das machen alles Nanoroboter. Die werden in mikroskopisch kleine U-Boote, werden die da hineingesetzt und dann implantiert. Und der Arzt, der Onkel Doktor, der verfolgt dis dann, deren abenteuerliche Reise, auf einem dieser so genannten Flachbildschirme in 600.000facher Vergrößerung. Und dort kann der die dann auch steuern, per Mausklick, oder die moderneren, die haben schon, wie beim Düsenjet, bloß in klein, wie bei einer Playstation so’n Schaltknüppel und, dis is eigentlich voll spannend, weil, da kann ja auch immer was dazwischenkommen, feindliche Viren von links zum Beispiel, die man dann abballern muss oder man steht plötzlich unvermittelt vor einem Rätsel, das gelöst werden will, erst dann kann es weitergehen und überhaupt, die Zeit, das Wichtigste ist ja die Zeit, da geht es um den Rekord, wenn man den knackt, dann winken einem bis zu eine Million Bonuspunkte, dann wäre man der King, also nich du jetzt als Patient, natürlich nich du, der Arzt, der wäre der King.

Gibt’s leider noch nicht, dass man da selber mitspielen darf. Sich selbst operieren, das befindet sich noch in der Versuchsphase. Das wird erst noch ausprobiert an Tieren, Ratten und Schweinen, im Weltall. Aber vielleicht, in ferner Zukunft, 2012 oder so, da kann dis schon sein, dass dis dann so Internetcafés gibt, mit so Internetinteraktivoperationssälen. Wo dann die Leute in einer Reihe liegen, in ihren Händen Computerknüppel, vielleicht noch ’ne Schachtel mit Nanorobotern und Zubehör und dann …, na vielleicht geht dis auch erst 2016.

Ich auf jeden Fall habe keine Angst. Die Technik ist so perfekt vorangeschritten, vielleicht lass ich mir gleich noch meinen Puller vergrößern, bei der Gelegenheit. Wären im Prinzip zwei Fliegen mit einem Schnitt. Bis zu vier Zentimeter geht das, und dicker kann man den, glaube ich, auch machen. Vielleicht nehm’ ich sogar ein völlig neues Modell, eines, das so nach oben gebogen ist, mit dem man besser an den G-Punkt dran kommt, dann brauch man sich nicht mehr anzustrengen. Einfach reinstecken, raus, rein, fertig. Absolute Orgasmusgarantie und endlich Ruhe vor Staubwischen und so’m Kram.

Bliebe lediglich das Problem der Lohnarbeit, Krieg und Frieden vielleicht noch, Neid, Missgunst, Katzenpisse und der Abfluss …, ach, ich guck mal, ob mir jetzt jemand geschrieben hat. Sieh da, Mary McKenzie! Hmm, kenn ich nich.

Lt Surf empfiehlt zu diesem Text: Man… or Astroman? – Ten Years After World War 4. Album »Made From Technetium«, One Louder Records, 1997

Man muss auch mal Zeichen setzen! – Tube

Wo sind die Eier verdammt noch mal. Ich kann sie nicht finden. Die waren doch letzte Woche noch hier, oder bin ich völlig plemplem?

Verwirrt schiebe ich den Einkaufswagen vor mir her, spähe nach links und rechts in die Regale. Überall sind Kekse drin. Viereckige Kekse, runde Kekse – mit oder ohne Schokolade –, andere Kekse, noch mehr Kekse und Waffeln. Ich weiß doch ganz genau, dass hier neulich noch die Eier gewesen sind, zum Teufel noch mal. Wo sind die Eier? Ich will keine Kekse.

»Wie wär's denn heute mal mit Keksen?«, trillert eine Frauenstimme aus den Lautsprechern an der Decke. »Gönnen Sie sich und Ihrer Familie doch mal eine Packung Kekse. Unser großartiges Sortiment hat für jeden Geschmack was dabei. Probieren Sie doch einfach mal die viereckigen Kekse, oder auch die runden, egal, ob mit oder ohne Schokolade, vielleicht aber auch die anderen Kekse, oder sogar Waffeln.«

Verdammt noch mal, ich will jetzt aber Kekse und keine Waffeln. Nee, halt. Stopp. Ich will Eier und keine Kekse. Die verwirren mich ja noch total hier. Schnell weg! Ich kurve mit meinem Wagen um die Ecke in die nächste Gasse, wo es Kaffee und Tee gibt – normalerweise. Jetzt sind die Regale jedoch mit Klopapier, Fischbüchsen und Babywindeln gefüllt. Hä?

»Wie wär’s denn heute mal mit Klopapier?«, jauchzt die Frauenstimme wieder von oben. Wie wär’s denn heute mal mit Klopapier. Als wenn ich mir den Arsch immer mit ’nem Scheuerlappen abwischen würde. »Sie glauben bestimmt, dass Sie noch genügend Klopapier zu Hause haben. Aber davon können Sie nie genug haben. Stellen Sie sich nur vor, mit einem Mal erwischt es Ihre ganze Familie, zum Beispiel mit Durchfall. Das Papier geht zur Neige, und Sie müssten sich Ihrer Vorräte an Scheuerlappen bedienen. Wie unappetitlich. Also, worauf warten Sie noch? Greifen Sie zu! Decken Sie sich ein! Nehmen Sie am besten gleich zwei Familienpackungen mit. Und daneben finden Sie unser Topangebot des Tages, im Preis gesenkte Fischbüchsen, weil heute deren Verfallsdatum ist. Fischbüchsen und Klopapier. Gönnen Sie sich einen Abend mit Abwechslung ganz besonderer Art! Und für die ganz Jungen und ganz Alten stecken Sie gleich noch ein paar Windeln ein!«

Was will ich denn jetzt eigentlich hier? Fischbüchsen für Durchfall, dazu Klopapier, zwei Familienpackungen, ach was, ich nehme lieber gleich drei, dann ein paar Windeln für die Oma, und dann wollte ich doch noch irgendwas, was war das denn noch mal … ach ja! Kekse. Wo waren die Kekse gleich noch? Ich glaub hier um die Ecke.

Huch? Nee. Hier ist Katzenfutter.

»Wie wär’s denn heute mal mit Katzenfutter?« Wie wär’s denn mal mit Katzenfutter? Als wenn ich ’ne Katze hätte. »Oder auch Hundefutter«, ergänzt die Lautsprecherfrau. Ich hab auch keinen Hund. »Sind Sie nicht am Eingang gerade noch gefragt worden, ob Sie vielleicht einen Euro übrig hätten? Und haben Sie da nicht geantwortet: Nein? Und hat man Sie dann nicht gefragt, ob Sie nicht wenigstens eine Dose Hundefutter mitbringen könnten? Also, worauf warten Sie noch. Zeigen Sie, dass auch Sie ein Herz haben. Greifen Sie zu! Solange der Vorrat reicht.«

Gut, Hundefutter, zehn Dosen, ach und vielleicht auch noch ein bisschen Katzenfutter. Ja, Katzenfutter kann man doch immer mal ganz gut gebrauchen. So. Jetzt nur noch die Kekse finden, dann hab ich, glaub ich, alles zusammen.

Ich rolle den Wagen in die nächste Gasse. Wo waren denn bloß die Kekse vorhin? Hier gibt’s nur Eier. Hä? Waren hier nicht sonst immer die Kartoffeln?

»Wie wär’s denn heute mal mit Eiern? Kaufen Sie! Na los! Machen Sie! Schnell! Gleich drei Stiegen.«

Stimmt. Beinahe hätte ich es ja vergessen. Ich wollte doch auch noch Eier kaufen. Ich hieve drei Stiegen in den Drahtwagen. Jetzt aber wirklich nur noch die Kekse wiederfinden, dann hab ich alles, oder?

Zwanzig Minuten später stoße ich endlich wieder zu den Keksen. In meinem Einkaufswagen stapeln sich mittlerweile neben Eiern, Klopapier, Fischbüchsen, Windeln, Katzen- und Hundefutter auch noch Kochtöpfe, Bettwäsche, vier Säcke Blumentopferde und Dünger sowie eine Brotbackmaschine nebst einem Flügelschraubenbüchsenöffner für die Fischbüchsen. Ich bin überall gegengerasselt, weil ich oben nicht mehr richtig drübergucken und die enorme Masse nicht so leicht zum Stoppen bringen konnte.

Als ich die Kekse nehme, bemerke ich plötzlich, dass sie nicht mehr in den Wagen passen und ich eigentlich auch gar keine Kekse haben wollte, und das andere Zeug, das wollte ich doch auch gar nicht haben, und das Geld, das alles zu bezahlen, habe ich ja auch nicht dabei.

»Haben Sie kein Geld dabei? Bei uns können Sie auch bargeldlos bezahlen.«

Nein, das will ich nicht. Ich will das alles gar nicht. Das ist doch nur Beschiss hier. Ja, Beschiss ist das. Ich will das Zeug überhaupt nicht haben. Ich will nicht mal Eier. Ich werde alles wieder ausladen. Genau. Das mach ich jetzt. Ich werde alles ausladen.

Zuerst leg ich wohl am besten mal die Brotbackmaschine wieder zurück. Aber wo war das nur? Wo muss ich die denn jetzt hinbringen? Wo hab ich die eigentlich her? Ich kurve wieder durch die Gegend und lege nach und nach alles in die Regale zurück. Die Fischbüchsen, das Katzenfutter, das Klopapier.

Es vergeht ein halbe Stunde, bis ich wieder bei den Keksen vorbeikomme.

Mein Einkaufswagen ist nicht leerer geworden. Zwar hab ich kein Klopapier und so was mehr drin, dafür aber jetzt fünf Fußabtreter, zehn Bratpfannen und 60 Tatzen Bananen. Hab ich mir unterwegs aus irgendeinem Grund wohl gedacht, dass ich das alles vielleicht ganz gut gebrauchen könnte. Brauch ich aber gar nicht alles, verdammt noch mal, bemerke ich jetzt abermals.

Wenn ich den Kram gleich wieder ausladen gehe, hab ich am Ende bestimmt noch zwei Fahrräder und drei Säcke Scheuerlappen, zum Abwischen, im Einkaufswagen. Dieser Teufelskreis. Es gibt nur eine Chance auszubrechen. Ich muss etwas ganz Unkonventionelles tun. Ja, das mache ich jetzt. Ich tue etwas ganz Unkonventionelles.

Ich schütte die Bratpfannen, die Fußabtreter und die 60 Bananentatzen ins Keksregal. So! Und jetzt schnell weg hier nach draußen und ohne umgucken.

Im Rücken höre ich noch jemanden sagen: »Hä? Waren hier nicht sonst immer die Kekse? Was soll ich denn mit Bananen?«

Als ich mich mit dem leeren Wagen neben der Schlange an der Kasse vorbeischiebe, setzt Getuschel ein. Ich merke, dass sie über mich reden. Flüsterfetzen flattern in meine Ohren. »Völlig leer der Wagen. Unglaublich. Das gibt’s doch nicht.«

kaufen

Wieder wird getuschelt: »Nee, das schafft der nie. Ich sag, der geht gleich zurück und holt ’ne Bratpfanne. Der ist jetzt voll eingeschüchtert. Und Eier und Klopapier kauft der auch gleich. Hier kommt man nicht so raus. Nee, keine Chance. Äh, äh.«

Langsam, Schritt für Schritt bewege ich mich vorwärts, schiebe mich in Richtung Ausgang. Neben mir der Detektiv, er schaut mir in die Augen. Totenstille kehrt ein, als ich dicht beim Ausgang stehen bleibe. Alle starren mich an, der Detektiv, die Kassiererinnen, die anderen Kunden.

Spannung liegt in der Luft. Sie scheint stillzustehen. Jetzt oder nie …

»Man muss auch mal Zeichen setzten!«, rufe ich und ramme den Wagen in die Kolonne der geparkten Einkaufswagen, schnappe blitzschnell das Kettchen mit dem Stecker. Schnipp, kommt der Euro heraus, ich nehme ihn und springe zur Tür.

Der Detektiv hat keine Chance.

Und während die Glastür hinter mir zuschwingt, höre ich die Menschen jubeln und applaudieren, und ich höre wie weitere Einkaufswagen ausgeschüttet werden.

Lt Surf empfiehlt zu diesem Text: Albert Collins & his Rhythm Rockers – The Freeze. Kangaroo, Housten 1958.
Der »Master of the Telecaster« wurde in den 50er Jahren mit seinen »guitar walks« durchs Publikum bekannt.