Autoren: Natalia Brodskaya und Nina Kalitina

Übersetzer: Rebecca Brimacombe und Richard Swanson

Redaktion der deutschen Ausgabe: Klaus H. Carl

 

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ISBN: 978-1-78525-701-8

Natalia Brodskaya und Nina Kalitina

 

 

 

Claude Monet

Band 1

 

 

 

 

 

Impression, Sonnenaufgang, 1873.

Öl auf Leinwand, 48 x 63 cm. Musée Marmottan Monet, Paris.

Inhalt

 

 

Vorwort

Monet – Die Person

Der Impressionismus

Die Impressionisten und die Klassische Schule

Die Vorläufer

Die Ausstellung der Impressionisten

Mitstreiter

Édouard Manet (1832-1883)

Pierre-Auguste Renoir (1841-1919)

Alfred Sisley (1839-1899)

Camille Pissarro (1830-1903)

Edgar Degas (1834-1917)

Berthe Morisot (1841-1895)

Sein Leben – Kindheit und Jugendjahre

Sein Leben – Erste große Schritte

Sein Leben – Kampf gegen die Tradition

Abbildungsverzeichnis

Pierre-Auguste Renoir, Porträt Claude Monet, 1875.

Öl auf Leinwand, 85 x 60,5 cm. Musée d’Orsay, Paris.

 

 

Vorwort

 

 

Der Titel eines Gemäldes von Claude Monet, das 1874 bei der ersten Ausstellung einer sich als „Société anonyme des artistes peintres, sculpteurs, graveurs etc.“ bezeichnenden Künstlergruppe gezeigt wurde, lautete Impression, Sonnenaufgang. Zuvor hatte Monet in Le Havre, der Stadt, in der er aufgewachsen war, eine Reihe von Landschaftsbildern und Seestücken gemalt, von denen er die besten für die Ausstellung auswählte.

Die Gestaltung des Katalogs übernahm Edmond Renoir, ein Bruder des gleichnamigen Malers. Zu Recht warf er Monet die Eintönigkeit der gewählten Bildtitel vor – Originelleres als Blick auf Le Havre hatte der Maler sich nicht einfallen lassen.

Diesen Titel hatte er für die Darstellung eines Hafens im Morgengrauen vorgesehen: Ein bläulicher Nebeldunst hüllt die Umrisse von Segelschiffen ein, dunkle Bootssilhouetten gleiten gespenstisch dahin, über den Horizont steigt orangefarben die flache Scheibe der Sonne empor und wirft eine erste, rötliche Lichtspur auf die Wasserfläche.

„Schreiben Sie doch: Impression“, schlug Monet daher Edmond Renoir vor, und so begann die Geschichte des Impressionismus. Am 25. April 1874 veröffentlicht der Kritiker Louis Leroy in der Zeitschrift Le Charivari eine satirische Rezension dieser Ausstellung:

Ein bekannter Künstler verliert angesichts der ausgestellten Werke zunehmend den Verstand. Er hält das gepflügte Feld auf einem Gemälde von Camille Pissarro für Kratzer einer Palette auf einer schmutzigen Leinwand, er kann Oben und Unten, Rechts und Links nicht mehr auseinander halten.

Claude Monets Bild Der Boulevard des Capucines entsetzt ihn, und sein Impression, Sonnenaufgang gibt ihm den Gnadenstoß. „Impression, dachte ich mir“, murmelt der Künstler. „Impression ist da bestimmt drin. Und diese Freiheit, diese Flüchtigkeit in der Ausarbeitung! Eine Tapete im Urzustand ist ausgearbeiteter als dieses Gemälde!“

Und er beginnt herumzutanzen und zu rufen: „Hough! Hough! Ich bin auf dem Pfad des Impressionismus, das Messer an der rächenden Palette!“ Leroy überschreibt seine Satire: „Ausstellung der Impressionisten“.

Dank seiner Begriffsstutzigkeit steht der Bildtitel Monets am Ursprung eines neuen Begriffs, so geistreich und treffend, dass er für immer in den Wortschatz der Kunstgeschichte eingehen wird.

Pierre-Auguste Renoir, Claude Monet, 1872.

Öl auf Leinwand, 65 x 50 cm. National Gallery of Art, Washington, D.C.

 

 

Monet – Die Person

 

 

Nach den herrschenden ästhetischen Kriterien war das überhaupt kein Gemälde, sondern eher eine Art Skizze in Öl, rasch hingeworfen, um den flüchtigen Augenblick einzufangen, in dem ein neuer Tag anbricht. Offensichtlich war der Titel Blick auf Le Havre für dieses Bild denkbar ungeeignet, schon weil die Stadt Le Havre auf ihm gar nicht zu sehen war.

Gustave Geffroy, ein Freund und Biograf von Claude Monet, zeigt in seiner Monografie über den Künstler zwei darstellende Porträts von Monet. Auf dem ersten, welches von einem unbedeutenden Maler angefertigt wurde, ist Monet 18 Jahre alt.

Ein schwarzhaariger junger Mann in gestreiftem Hemd sitzt rittlings auf einem Stuhl, auf dessen Lehne seine angewinkelten Arme ruhen.

Die Pose drückt Unbefangenheit und Lebendigkeit aus, sein Gesicht, das von bis an die Schultern reichenden Haaren umrahmt wird, ist von Wille (Mundlinie und Kinn) und Unruhe (in den Augen) gekennzeichnet.

Der zweite Teil des Buches von Geffroy wird mit dem Fotobildnis des 82-jährigen Monet eingeleitet. Ein stämmiger Alter mit weißem Vollbart steht auf weit gespreizten Beinen sicher da. Monet ist ruhig und weise, er kennt den Wert der Dinge und glaubt an die unsterbliche Kraft der Kunst.

Nicht ohne Grund wünschte er, mit der Palette in der Hand vor einem Wandgemälde aus der Folge Seerosen im Hintergrund zu posieren.

Eine ganze Reihe von Porträtdarstellungen Monets ist bis heute erhalten geblieben: Selbstbildnisse, Werke von Freunden, unter anderem von Édouard Manet und Pierre-Auguste Renoir, und Fotoporträts von Étienne Carjat und Nadar, die die Gesichtszüge Monets in den verschiedensten Perioden seines Lebens festhalten.

Es sind ebenfalls unzählige Beschreibungen des Äußeren von Monet überliefert. Diese häuften sich besonders, nachdem der Künstler berühmt wurde und Schriftsteller und Journalisten Bekanntschaft mit ihm suchten. Wie stellt sich uns Monet nun dar? Auf einer Fotografie aus den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts ist Monet schon kein Jüngling mehr, sondern ein reifer Mann mit dichtem schwarzem Schnurr- und Backenbart.

Die Stirn wird leicht von kurz geschnittenen Haaren bedeckt. Der Blick der kastanienbraunen Augen ist äußerst lebendig, sein Gesicht drückt Selbstsicherheit und Energie aus. Das ist Monet zur Zeit des angespannten und kompromisslosen Kampfes um neue ästhetische Ideale. Ein Selbstbildnis aus dem Jahr 1886 zeigt ihn mit Barett. Genau zu dieser Zeit lernte Geffroy den Künstler auf der Insel Belle-Île an der Südküste der Bretagne kennen. „Auf den ersten Blick“, so erinnert sich der Schriftsteller, „hätte ich ihn für einen Seemann halten können, Jacke, Stiefel und Hut hatte er fast dieselben an wie auch sie. Er zog sie an, um sich vor dem Küstenwind und dem Regen zu schützen.“

Einige Zeilen weiter schreibt Geffroy: „Dies ist ein starker junger Mann mit Sweater, Barett, wirrem Bart und glänzenden Augen, die mich sofort durchdrangen.“

Im Jahre 1919 wurde Monet, der fast wie ein Einsiedler in Giverny, nicht weit von Vernon an der Seine lebte, von Fernand Léger besucht. Mit dabei war der Kritiker Ragnar Hoppe, der ihn dann so beschrieb: „ein mittelgroßer Herr mit Panamahut und in einem eleganten Anzug englischen Schnitts […] Er hatte einen großen weißen Bart, ein rosafarbenes Gesicht und kleine Augen, die lustig und munter, mit einer Spur von Misstrauen, dreinschauten. […]“

Die literarischen und gemalten Porträts zeigen Monet als einen unbeständigen, veränderlichen und unruhigen Menschen. Er konnte den Eindruck eines Mutigen und Verwegenen hervorrufen, konnte aber auch (besonders in der zweiten Lebenshälfte) selbstsicher und ruhig erscheinen.

Doch die Ruhe und Selbstbeherrschung Monets waren nur äußere Eindrücke. Seine Jugendfreunde, Frédéric Bazille, Pierre-Auguste Renoir, Paul Cézanne und Édouard Manet sowie die ihn in Giverny besuchenden ihm nahestehenden Menschen, in erster Linie Gustave Geffroy, Octave Mirbeau und Georges Clemenceau, wussten sehr gut, welchen Anfällen quälender Unzufriedenheit und peinigender Zweifel Monet unterlag.

Diese ständig zunehmende Erregung und das Zerwürfnis mit sich selbst fanden dann ihren Durchbruch in unübersehbaren, spontanen Handlungen, wobei Monet Dutzende von Ölgemälden vernichtete, die Farbe abkratzte, Bilder in Stücke zerschnitt, sie manchmal sogar verbrannte. Der Kunsthändler Paul Durand-Ruel, mit dem Monet durch einen Kontrakt verbunden war, erhielt von ihm eine Vielzahl von Briefen mit der Bitte, die Abgabefrist für die Bilder zu verlängern. Monet berichtete, dass er begonnene Studien „nicht nur abkratzte, sondern sie auch einfach zerriss“, dass es, damit er zufrieden wäre, notwendig sei, Ausbesserungen vorzunehmen, dass die erreichten Ergebnisse „unverhältnismäßig zur aufgewendeten Mühsal“ seien, dass er „in schlechter Stimmung“ sei und „zu nichts tauge“.

Monet war zu mutigen, von hohem Bürgersinn durchdrungenen Taten fähig, gleichzeitig zeigte er aber auch Kleinmut und Inkonsequenz. Im Jahre 1872 besuchte er zusammen mit dem Maler Eugène Boudin den Abgott seiner Jugend, Gustave Courbet, im Gefängnis. Eine solche Handlung, so könnte es scheinen, war nicht weiter bedeutsam, unter den Bedingungen der allgemeinen Verfolgung aber, der der Kommunarde Courbet ausgesetzt war, war es eine moralisch mutige Tat. Auch hinsichtlich des Angedenkens an Édouard Manet trat Claude Monet auf wie sonst keiner aus der Umgebung des ehemaligen Anführers der Schule von Batignolles. Als er im Jahre 1889 vom amerikanischen Künstler John Singer Sargent erfuhr, dass das Meisterwerk Olympia von Manet eventuell in die Vereinigten Staaten verkauft werden würde, wandte sich Monet an die französische Intelligenz mit dem Aufruf, Geld zu sammeln, um die Olympia zu kaufen und sie dem Louvre zu übergeben. In den 90er Jahren, zur Zeit der Affäre Dreyfus, stand Monet auf der Seite der Dreyfusarden und war vom Mut Émile Zolas begeistert.

Pierre-Auguste Renoir, Porträt Claude Monet, 1872.

Öl auf Leinwand, 61 x 50 cm. Musée Marmottan, Paris.

Die Spitze von la Hève bei Ebbe, 1865.

Öl auf Leinwand, 90,2 x 150,5 cm. Kimbell Art Museum, Fort Worth (Texas).

 

 

Der Impressionismus

 

 

Die Impressionisten und die Klassische Schule

 

Von der Großzügigkeit der Natur Monets zeugt folgende Episode: In den 80er Jahren vereinte er sich, nachdem er seine Frau verloren hatte, mit Alice Hoschedé, die fünf Kinder aus der ersten Ehe mitbrachte. Monet nahm sie mit offenem Herzen auf und nannte sie ständig „meine Kinder“. Und doch gab es auch andere Zeiten.

So verließ Monet zum Beispiel gegen Ende der 60er Jahre, zu einer Zeit der größten Not und Erfolglosigkeit, seine erste Frau Camille und den kleinen Sohn Jean mehrere Male.

In einem Anfall von Verzweiflung verließ er sie, stürzte Hals über Kopf aus seiner gewohnten Umgebung, in der er nur künstlerische Niederlagen erfahren hatte. Einmal fasste er sogar den Entschluss, sich das Leben zu nehmen.

Auch kann man sein Verhalten den Impressionisten gegenüber, als er, Pierre-Auguste Renoir folgend, den „Heiligen Bund“ zerstörte und seine Teilnahme an der fünften, sechsten und achten Ausstellung dieser Gruppe absagte, als unkorrekt bezeichnen. Nicht ohne Grund bezichtigt ihn Edgar Degas der „zügellosen Reklame“, als er von der Absage Monets, zusammen mit den Impressionisten im Jahre 1880 auszustellen, erfuhr.

Vollkommen intolerant und ungerechtfertigt feindlich war Monet auch Paul Gauguin gegenüber. Diese Beispiele verdeutlichen uns den Charakter Monets auf anschauliche Weise.

Natürlich ist die Frage berechtigt, warum in einer Beschreibung des Schaffens dieses Künstlers über dessen Charakterzüge gesprochen wird, und das umso mehr, da einige dieser Züge Monet nicht gerade in einem angenehmen Licht erscheinen lassen.

Es ist riskant, eine einheitliche Persönlichkeit gleichsam in zwei zu teilen – einerseits in einen ganz gewöhnlichen Menschen mit allen Schwierigkeiten und Verwirrungen seines persönlichen Schicksals und andererseits in einen hervorragenden Maler, der seinen Namen in die Weltgeschichte der Kunst eingeschrieben hat.

Großartige Werke werden keinesfalls von idealen Menschen geschaffen, und wenn die Kenntnis der Charakter nicht unbedingt dazu beiträgt, die von ihnen hergestellten Meisterwerke zu verstehen, so trägt sie doch zum Verständnis der Entstehung der Werke bei.

Die unsicheren Versuche Monets, die beständige Unzufriedenheit mit sich selbst, seine Unbefangenheit und stürmische Emotionalität, die sich mit kaltem methodischem Vorgehen abwechselten, das Bewusstsein, eine Persönlichkeit zu sein, die mit den Interessen ihrer Zeit lebt, sein ausgesprochener Individualismus – die Kenntnis all dieser Charaktereigenschaften Monets bringt Licht in seinen Arbeitsprozess und seine Einstellung zum künstlerischen Schaffen.

Der Leuchtturm von lHospice, 1864.

Öl auf Leinwand, 54 x 81 cm. Kunsthaus Zürich, Zürich.

Alfred Sisley, Die Lastkähne, um 1870.

Öl auf Leinwand, 69 x 100 cm. Musée de Dieppe, Dieppe.

 

 

Die Gruppe junger Künstler, die auf diese Weise zu der Bezeichnung „Impressionisten“ gelangte, hatte sich seit Beginn der sechziger Jahre zusammengefunden. Claude Monet, der Sohn eines Kolonialwarenhändlers in Le Havre, Frédéric Bazille, Spross wohlhabender Eltern aus Montpellier, Alfred Sisley, der von einer in Frankreich lebenden englischen Familie abstammte, und der Pariser Schneidersohn Pierre-Auguste Renoir lernten sich im Atelier des Kunstprofessors Charles Gleyre kennen, von dem sie sich in der Malkunst unterweisen ließen.

In ihren Augen verkörperte Gleyre wie kein anderer die klassische Schule. Charles Gleyre war damals sechzig Jahre alt. Der aus einem Ort am Genfer See stammende Schweizer hatte seit seiner Kindheit in Frankreich gelebt, nach dem Besuch der École des Beaux-Arts jedoch sechs Jahre in Italien verbracht.

Seine Erfolge bei den schon seit Jahrhunderten alle zwei Jahre in Paris organisierten Ausstellungen für Gegenwartskunst, den so genannten Salons, hatten ihn bei seinen Zeitgenossen berühmt gemacht.

Gleyres Spezialität waren großformatige Gemälde, auf denen er biblische und mythologische Motive in vollendet klassizistischer Klarheit zelebrierte; der Körperbau seiner weiblichen Aktdarstellungen hielt jedem Vergleich mit den Werken des großen Jean-Auguste-Dominique Ingres stand.

Seinen Kunstunterricht erteilte Gleyre in einem von Hippolyte Delaroche, einem anderen erfolgreichen Salonmaler, eingerichteten Atelier. Hier erhielten die Studierenden eine traditionelle, klassische Ausbildung, blieben jedoch von den offiziellen Anforderungen der École des Beaux-Arts verschont und genossen den Vorzug, vom ersten Tag an am lebenden Modell studieren zu können. Niemand hat die Ausbildung, die die künftigen Impressionisten hier genossen, besser geschildert als Pierre-Auguste Renoir.

Seinem Sohn Jean, dem großen Regisseur, erzählte er später, wie „Gleyre, ein mächtiger, bärtiger und kurzsichtiger Schweizer“, ihn „in einen großen, kahlen Raum (führte), in dem junge Leute über ihre Staffeleien gebeugt waren. Durch eine Glaswand, vorschriftsmäßig auf der Nordseite, fiel graues Licht auf ein nacktes Modell.“

Die hier versammelten Studierenden waren, wie schon ihr Äußeres zeigte, sehr unterschiedlicher Herkunft:

Während der Handwerkersohn Renoir im praktischen Anstreicherkittel erschien, kleideten die Sprösslinge begüterter Familien, die hergekommen waren, um „Künstler“ zu spielen, sich vorzugsweise in schwarze Samtwämser, zu denen sie ein passendes Barett trugen.

Renoir war schlicht „gekommen, um Zeichnen zu lernen. Er bedeckte sein Papier mit Kohlestrichen, und rasch war er ganz in die Form einer Wade oder die Krümmung einer Hand versunken.“

Das Meeresufer bei Honfleur, 1864-1866.

Öl auf Leinwand, 60 x 81 cm. Los Angeles County Museum of Art, Los Angeles.

Gustave Courbet, Abenddämmerung, Trouville, um 1870.

Öl auf Leinwand, 71,8 x 103,2 cm. Privatsammlung.

Dorfstraße in der Normandie (Rue de la Bavolle, Honfleur), 1864.

Öl auf Leinwand, 55,9 x 61 cm. Museum of Fine Arts, Boston.

 

 

Für ihn und seine Freunde war der Unterricht kein Spiel, so sehr auch die Leichtigkeit, mit der er arbeitete, seinen Lehrer aus dem Konzept brachte. Renoir erzählte, „wie Gleyre einmal verblüfft hinter ihm stand und lange seine Skizze betrachtete. Dann: ,Junger Mann, Sie sind sehr geschickt, sehr begabt, aber man könnte denken, Sie malen zum Spaß!’ ,Natürlich’, antwortete mein Vater, ,wenn es mir keinen Spaß machte, würde ich ja gar nicht malen.’“

Alle vier brannten darauf, sich die Anfangsgründe der Malkunst und die klassische Technik anzueignen.

Sie studierten die Modelle so eifrig, dass sie nicht nur die obligatorischen Prüfungen mühelos bestanden, sondern sogar Auszeichnungen in den Fächern Zeichnen, Perspektive, Anatomie und „Ähnlichkeit“ erwarben.

Reihum wurde jeder von ihnen von seinem Lehrer zu seinen Arbeiten beglückwünscht. Um ihm eine Freude zu machen, malte Renoir eines Tages einen Akt genau nach den Schulvorschriften: „Karamellfarbenes Fleisch entsteigt nachtschwarzem Pech, das Gegenlicht streichelt die Schulter, der Gesichtsausdruck ist gequält wie bei Leibschmerzen.“

 

Die Vorläufer

 

Zu Recht gewann Gleyre den Eindruck, dass sein Schüler sich damit einen Ulk erlaubt hatte: Er hatte gezeigt, dass er exakt nach Vorschrift malen konnte, und bestand doch darauf, die Modelle darzustellen, „wie sie im täglichen Leben aussehen!“ Claude Monet erinnert sich an die Reaktion, die eine seiner Aktstudien bei Gleyre auslöste:

 

Nicht schlecht, rief er, wirklich nicht schlecht! Aber Sie bleiben zu dicht am Modell. Sie haben einen gedrungenen Mann. Er hat riesige Füße, und Sie geben sie wieder, wie sie sind. Das ist alles sehr hässlich. Denken Sie daran, junger Mann, wenn man eine Figur darstellt, muss man sich immer an die Antike halten. Die Natur, mein Freund, ist sehr schön als Studienobjekt, aber ansonsten uninteressant.

 

Aber gerade die Natur war es, die die künftigen Impressionisten interessierte. Schon bei ihrer ersten Begegnung wurde Renoir von Frédéric Bazille aufgeklärt: „Mit den großen klassischen Kompositionen ist’s vorbei. Das Schauspiel des täglichen Lebens ist aufregender.“

Gleyres Verachtung für die Natur brachte seine besten Schüler gegen ihn auf. Einer von ihnen erinnert sich:

 

Die Landschaftsmalerei war für ihn eine dekadente Kunst, und der glorreiche Rang, den sie sich bei den Zeitgenossen erkämpft hatte, eine Usurpation; die Natur taugte nur als Rahmen und Hintergrund, und mehr war sie bei ihm nie, wenn er seine Landschaften auch genau so gewissenhaft und sorgfältig malte, wie die menschlichen Gestalten, denen sie als Rahmen dienen mussten.

 

Immerhin konnte sich niemand beklagen, in Gleyres Atelier zu irgendetwas gezwungen zu werden. Zwar standen die Meisterwerke des Louvre – die antike Skulptur und die Gemälde von Raffael und Ingres vor allem – auf dem Programm. Praktisch ließ Gleyre seinen Studierenden jedoch völlig freie Hand.

Er vermittelte ihnen unerlässliche Kenntnisse in den Techniken der Malerei, in der Beherrschung der klassischen Komposition, der Präzision der Zeichnung und der Schönheit des Schwungs – Dinge, die den Impressionisten später immer wieder abgesprochen werden sollten.

Monet, Bazille, Renoir und Sisley verließen ihren Lehrer schon 1863. Gerüchte gingen um, nach denen Gleyre sein Atelier aus Geldmangel und Krankheitsgründen schließen müsse.

Im Frühjahr 1863 schrieb Bazille seinem Vater: „Monsieur Gleyre ist ziemlich krank, anscheinend ist sein Augenlicht bedroht. Alle seine Schüler sind sehr betrübt darüber, denn er ist ein Mensch, den man nicht kennenlernen kann, ohne ihn lieb zu gewinnen.“

Aber der eigentliche Grund, warum sie ihre Lehrzeit beendeten, liegt wohl tiefer. Vermutlich hatten die künftigen Impressionisten das Gefühl, dass ihr Lehrer ihnen bereits alles gegeben hatte, was er ihnen vermitteln konnte, und es trieb sie hinaus ins wirkliche Leben.

Wenn Bazille, Monet, Sisley und Renoir das Atelier verließen, kamen sie an der Closerie des Lilas vorbei, einem Café an der Kreuzung Boulevard Montparnasse / Avenue de l’Observatoire, in dem sie sich oft in langen Diskussionen über die Zukunft der Malerei die Köpfe heiß redeten. Bazille führte seinen neuen Freund Camille Pissarro in diesen Kreis ein, der sich Les Intransigeants („die Unbeugsamen“) nannte und von einer neuen Renaissance träumte. So resümiert Jean Renoir die Erinnerungen seines Vaters Pierre-Auguste an die Diskussionen innerhalb der Gruppe:

 

Corot, Manet, Courbet und die Schule von Fontainebleau arbeiteten bereits nach der Natur. Aber sie übersetzten sie und folgten damit dem Rat der Alten. Die „Intransigenten“ hofften, ihre unmittelbare Wahrnehmung unübersetzt auf die Leinwand bringen zu können. […] Die Schulmalerei hatte über der Nachahmung der Nachahmer der Meister ihren Geist ausgehaucht. Renoir und seine Freunde aber waren höchst lebendig. Ihnen fiel die Aufgabe zu, die französische Malerei zu erneuern. […] Sie brannten vor Begierde, ihre Entdeckung der Wahrheit dem Publikum mitzuteilen. Die Einfälle sprühten, kreuzten sich, es hagelte Erklärungen. Einer schlug in vollem Ernst vor, den Louvre zu verbrennen.

Seinemündung bei Honfleur, 1865.

Öl auf Leinwand, 89,5 x 150,5 cm. Norton Simon Museum, Pasadena.