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Wilfried A. Hary (Hrsg.)

STAR GATE – das Original: Die 5. Kompilation

„Die Bände 41 bis 50 der laufenden Serie STAR GATE – das Original – zusammengefasst!“


Nähere Angaben zum Autor siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

STAR GATE – das Original:

 

Die 5.

Kompilation

 

Wilfried A. Hary (Hrsg.)


Impressum:

Urheberrechte am Grundkonzept zu Beginn der Serie STAR GATE - das Original: Uwe Anton, Werner K. Giesa, Wilfried A. Hary, Frank Rehfeld.

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de.

ISSN 1860-1855


Diese Fassung basiert auf den Romanen 41 bis 50 der laufenden Serie!


© 2016 by HARY-PRODUCTION

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eMail: wah@HaryPro.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und

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Titelbild: Gerhard Börnsen

Coverhintergrund: Anistasius


Achtung: „STAR GATE - das Original“ ist eine eigenständige Serie, die nachweislich Jahre vor Serien ähnlichen Namens begann, wie sie im Fernsehen laufen oder liefen oder im Kino zu sehen sind oder waren! Daher der Zusatz „das Original“!



Vorwort


Die Serie STAR GATE – das Original existiert nun schon seit 1986(!). Einige Autoren sind daran beteiligt. Viele Leser genießen das Heftformat, in dem die Serie in erster Linie erscheint, aber es gibt nicht wenige Leser, die immer wieder auch nach einem umfangreichen Buchformat verlangen, vergleichbar etwa mit den Silberbänden der Perry-Rhodan-Serie.

Für diese haben wir nun nach den ersten vier die 5. Kompilation geschaffen, basierend auf den Bänden 41 bis 50 der laufenden Serie!

Die Autoren dieser 5. Kompilation sind (in der Reihenfolge ihrer Verwendung):

Miguel de Torres

Wilfried A. Hary

W. Berner


Die Kompilation beinhaltet die Romane:

41 »Katharsis« Miguel de Torres

42 »Das Schiff der Götter« Wilfried Hary

43 »Galaxis der Prupper« Wilfried Hary

44 »Wie das Jüngste Gericht« Wilfried Hary

45 »Die rote Sonne« Wilfried Hary

46 »Die goldenen Äpfel der Hesperiden« W. Berner

47 »Multiversum« Wilfried Hary

48 »Gedankenkontrolle« Wilfried Hary

49 »Welten im Krieg« Wilfried Hary

50 »Feindliche Übernahme« Wilfried Hary


Viel Freude beim Lesen dieser immerhin wieder ganze 10(!) Bände umfassenden Kompilation!

Euer Wilfried A. Hary (Hrsg.)


Einführung


In Hermann Schladts Roman ›Das MAFIA-Experiment‹ (Band 13) wird geschildert, wie der Konzern MAFIA bei dem Versuch, ein eigenes Star Gate zu konstruieren, zwar scheitert, dabei aber eine Möglichkeit entdeckt, Personen zu duplizieren. Obwohl die Angelegenheit eskaliert und sie nicht begreifen, was da wirklich geschieht und ob es vielleicht noch ungeahnte weitere Nebenwirkungen der negativsten Art gibt: Dies bringt Alfonso Volpone, den Konzernchef (›Paten‹) von MAFIA, auf die wahnsinnige Idee, sich des ungeliebten und erfolgreicheren Konkurrenten Mechanics Inc. zu bemächtigen, indem dessen Chef Frascati im MAFIA-SG dupliziert und dann durch das Double ersetzt wird.

Auf dem Höhepunkt der Geschehnisse passiert es: DIE INVASION DER KYPHORER (Band 17) erfolgt – und mit dem »verdoppelten« Frascati geschehen seltsame Dinge: Er »vereint« sich als Original mit seiner Kopie! Danach flüchtet er durch ein geheimes STAR GATE an einer Stelle, an der einst Troja stand – mit unbekanntem Ziel.

Am Ankunftsort schließlich...


Prolog


Während Lino Frascatis Körper sich zusammen mit Jackson »Jackie« Chan, Cengiz Ay und einer seltsamen schwarzen Katze namens Felicitas in einer unbekannten Star-Gate-Station befindet, bewegt sich sein Geist, losgelöst von seiner stofflichen Hülle durch die Mithilfe des Stationscomputers, der auf diese Weise Klarheit über Frascatis Status zu bekommen versucht, durch die Tiefen und Untiefen seiner eigenen Vergangenheit. Soeben durchlebte Frascati erneut die Ereignisse des Sommers 2043, die letztlich die jahrelangen und verlustreichen Konzernkriege auslösten. Als sein Geist zurückgeschleudert wird in die namenlose Finsternis des absoluten Nichts, nimmt er an, die Prüfung des Stationscomputers sei damit abgeschlossen, doch als es endlich wieder hell um ihn wird, befindet er sich nicht in jener Star-Gate-Station, sondern im…


Frühjahr 2058:

Der Kampf um Mechanics


Das Mechanics-Krankenhaus im Zentrum Detroits, ohne allen Zweifel die modernste und auch luxuriöseste Klinik des ganzen Kontinents, war ausschließlich Funktionären, Managern und leitenden Angestellten des Konzerns vorbehalten. Mehrere Hundert hochbezahlte Ärzte sowie Tausende von Assistenten, Schwestern und Pflegern sorgten dafür, dass es jenen Patienten an nichts mangelte, die von der Konzernführung für wichtig genug erachtet wurden, im Falle einer Krankheit oder eines Unfalls darin aufgenommen zu werden.

An diesem Abend des 4. Mai war ein nicht unbeträchtlicher Teil des Klinikpersonals damit beschäftigt, das Leben des wichtigsten Mannes des Konzern zu retten: Malcolm Agnew, siebzigjähriger Konzernchef, Bruder des zwei Jahre zuvor verstorbenen Frank Agnew, hatte am Nachmittag einen Bergunfall erlitten und war nach seiner Einlieferung sofort in ein künstliches Koma versetzt worden. Obwohl die Verletzungen sehr schwer waren – Agnew war mehr als zwanzig Meter tief auf ein felsbrockenübersätes Terrain abgestürzt –, waren die Ärzte zuversichtlich, sein Leben erhalten zu können.

In einem beinahe fürstlich eingerichteten Warteraum unfern der Intensivstation – alte chinesische Teppiche auf dem Boden, japanische Holzschnitte an den Wänden, französische Kristalllüster an der Decke und ein Mobiliar, das zum Teil der Werkstatt Thomas Chippendales entstammte – saßen und standen vier Männer, die in eine erregte Diskussion vertieft waren.

»Ich frage nochmals: Wie konnte das geschehen?«, ereiferte sich David Mogan, der einundfünfzigjährige Finanzvorstand des Konzerns und erste Stellvertreter des Aufsichtsratsvorsitzenden Agnew. Sein stechender Blick war dabei auf Hal Cook, den Sicherheitschef, gerichtet.

Cook, ein fünfundvierzig Jahre alter Mann mit grauen Schläfen, Stirnglatze und großen, wasserblauen Augen, sah sich in die Defensive gedrängt.

»Agnew selbst hat den Sicherheitsleuten befohlen zurückzubleiben.« Er zuckte in einer Geste, die seine ganze Hilflosigkeit ausdrückte, mit den Schultern. »Sie kennen ihn doch – wenn er in den Bergen unterwegs ist, will er stets allein sein. Nur der Führer ...« Cook verstummte und blickte von einem zum anderen.

»Den können wir ja nun nicht mehr fragen, was genau passiert ist«, stellte Lino Frascati, der dritte Anwesende, fest. Seit nunmehr drei Jahren war er Personalvorstand von Mechanics Inc.; im vergangenen Dezember war er zum zweiten stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden aufgerückt. Es war allgemein bekannt, dass er von Agnew, der große Stücke auf den eher unscheinbaren, untersetzten Mann mit dem oft väterlich wirkenden Verhalten hielt, protegiert wurde.

Der vierte Mann im Raum, der etwas abseits saß und bislang mit geistesabwesendem Ausdruck vor sich hingestarrt hatte, sah auf.

»War er sofort tot? Der Führer, meine ich?«, fragte Clint Fisher. Der dreiundvierzigjährige Überlebensspezialist hatte sich vor einigen Monaten aus dem aktiven Dienst zurückgezogen und den Posten des stellvertretenden Sicherheitschefs eingenommen. Man hatte ihn aus einem Karibikurlaub zurückbeordert, nachdem die schlimme Nachricht eingetroffen war.

Der hochgewachsene Mogan – er überragte Frascati beinahe um Haupteslänge – nickte. »Er hatte weniger Glück als Agnew; er stürzte mit dem Kopf voraus auf den Felsen. Muss ein unschöner Anblick gewesen sein...«

»Ich frage mich«, fiel Cook ein, »ob in Anbetracht der noch ungeklärten Umstände des Unfalls vielleicht Flibo ...« Er sah die anderen drei nacheinander mit vielsagendem Blick an.

Mogan schüttelte entschieden den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen! Schließlich war es Malcolm Agnew, der sich nach dem Tod seines Bruders um einen Ausgleich mit dem europäischen Konzern – und auch mit den anderen Konzernen – bemüht hat. Die Welt ist groß genug für alle; so etwas wie die Konzernkriege darf es nie wieder geben!«

»Möglicherweise«, sagte Fisher mit ruhiger Stimme, »denkt man in Rheinstadt anders über diese Dinge ...« Bei den nächsten Worten sah er Mogan direkt an. »Möglicherweise käme Agnews Tod Don Harris, dem Flibo-Konzernchef, sehr gelegen – schließlich war es Harris selbst, der vor fünfzehn Jahren die Konzernkriege vom Zaun gebrochen hat.«

Frascati starrte den ehemaligen Überlebensspezialisten und jetzigen stellvertretenden Sicherheitschef an. Sie beide – Fisher und er – wussten sehr gut, was damals, im Sommer 2043, wirklich geschehen war: dass nämlich Fisher selbst Harris in eine Situation gedrängt hatte, in der diesem kaum etwas anderes übrig geblieben war, als eine bewaffnete Auseinandersetzung zu eröffnen.

Laut sagte Frascati: »Noch ist Agnew nicht tot, und wie es im Augenblick aussieht, ist sein Zustand zwar ernst, aber nicht lebensbedrohlich. Die Ärzte hier gehören zu den besten der Welt, von der zur Verfügung stehenden Medizintechnik ganz zu schweigen!«

Mogan nickte und erhob sich. Die Kaffeetasse, die seit einer halben Stunde vor ihm stand, hatte er in der ganzen Zeit nicht einmal angerührt. »Ich will schnellstmöglich einen detaillierten Bericht über diesen Unfall«, trug er Cook auf. »Die wichtigsten Fakten, auch wenn sie nur vorläufig sind, spätestens um neun Uhr heute Abend!«

Der Sicherheitschef stand ebenfalls auf.

»Selbstverständlich«, versicherte er. »Ich mache mich sofort an die Arbeit!« Sekunden später fiel die Tür hinter ihm zu. Er war froh, die Besprechung verlassen zu können, denn er wusste, dass man letztlich ihn persönlich für Agnews Unfall verantwortlich machen würde.

Nachdem Cook den Raum verlassen hatte, sah David Mogan auf die Uhr. »Ich denke, wir können hier nichts mehr tun. Agnew ist bei den Ärzten in den besten Händen.« Er nickte Fisher und Frascati zu. »Alles Weitere besprechen wir bei der turnusmäßigen Aufsichtsratssitzung am Montag um neun Uhr. Bis dann also!«

Frascati, der bislang an der mit libanesischer Zeder getäfelten Wand gelehnt hatte, wollte dem stellvertretenden Konzernchef folgen, doch Fisher hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.

»Was gibt es?«, fragte der Personalvorstand.

Fisher wartete, bis die Tür hinter Mogan ins Schloss gefallen war und sich dessen Schritte entfernt hatten, dann antwortete er mit gesenkter Stimme: »Ich wollte nur ... Nun, falls Malcolm Agnew wider Erwarten nicht überleben sollte, wird das daraufhin beginnende Rennen um den Aufsichtsratsvorsitz wohl auf ein Duell zwischen Ihnen und Mogan hinauslaufen. Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich dabei fest auf Ihrer Seite stehen werde!«

Der Personalvorstand starrte sein Gegenüber verblüfft an. Daran, dass er sich unversehens an der Spitze des wohl größten Konzerns der Welt wiederfinden könnte, hatte er noch gar nicht gedacht. Was ihn aber an der Äußerung des stellvertretenden Sicherheitschefs am meisten überraschte, war die Offenheit, mit der dieser das Thema angeschnitten hatte.

»Sie hörten ja, was Mr. Mogan, den Zustand Agnews betreffend, ausführte«, antwortete er kalt. »Die Frage einer Nachfolge stellt sich nicht.«

Er wandte sich brüsk ab und war bereits auf dem Weg zur Tür, als diese aufgestoßen wurde. Professor Lang, der Chefarzt der Mechanics-Klinik, stand im Eingang. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn, und nicht nur seine Stimme zitterte, als er den beiden Männern eröffnete:

»Es tut mir sehr leid, aber Mr. Agnew ist soeben völlig überraschend verstorben!«

Der fassungslose Blick Lino Frascatis traf Clint Fisher.

Die grauen Augen des stellvertretenden Sicherheitschefs glitzerten kalt.


1


PROTOKOLL

AUFSICHTSRATSSITZUNG VOM 6. 5. 2058


ANWESENHEITSLISTE:

Malcolm Agnew, Aufsichtsratsvorsitzender – abwesend wg. Ableben (siehe Tagesordnung Punkt 1)

David Mogan, Finanzvorstand, 1. stellv. Aufsichtsratsvorsitzender – anwesend

Lino Frascati, Personalvorstand, 2. stellv. Aufsichtsratsvorsitzender – anwesend

Peter Resin, 1. stellv. Personalvorstand – abwesend wg. Gefängnisaufenthalt

Patrick Kirkpatrick, Produktvorstand – anwesend

Wolf Dietrich Seidlitz, Entwicklungsvorstand – anwesend

Willi Doors, Leiter Software-Entwicklung – abwesend wg. Fehlersuche in der neuen Bergrettungs-Koordinierungssoftware

Hal Cook, Sicherheitsvorstand – anwesend

Clint Fisher, 1. stellv. Sicherheitsvorstand – anwesend

Anton Leppke, Chefbuchhalter – abwesend wg. Geschäftsreise nach Vaduz

Mario Volpone, 1. stellv. Chefbuchhalter – abwesend, Grund unbekannt, Aufenthalt unbekannt, wurde zuletzt in Neapel gesichtet

Jan van der Heyden, Marketingleiter – anwesend

Walter Con, Rechtsvorstand – abwesend wg. Gerichtstermin

Luigi Sabaldi, Sonderbevollmächtigter für die Unterstützung Not leidender UNO-Politiker – abwesend wg. Geschäftsreise nach Genf


LEITUNG DER SITZUNG: David Mogan


TAGESORDNUNG:

Punkt 1: Bespr. der Situation nach dem Ableben von Malcolm Agnew.

(Keine weiteren Tagesordnungspunkte; der ursprünglich vorgesehene Punkt »Mysteriöse Abbuchung eines Milliardenbetrags« wird auf die nächste Sitzung verschoben.)


Die Luft im abhörsicheren Konferenzraum II/A im sogenannten »Mech-Tower«, der Konzernzentrale von Mechanics Inc. in Detroit, war mehr als nur geschwängert vom Qualm dicker Havannas und dünner Zigarillos. Sieben schwarzbefrackte Männer mit Leichenbittermienen saßen um einen runden Tisch mit Marmorplatte, der für die dreifache Anzahl gedacht war. Die Einrichtung des Konferenzraums war nüchtern, zweckmäßig und modern und in nichts vergleichbar mit dem protzigen Warteraum der Mechanics-Klinik. Einzig ein jetzt unbesetzter lederner Ohrensessel erschien wie ein Anachronismus.

Die erregte Diskussion schien bereits seit einiger Zeit in Gang zu sein, denn die auf dem Tisch stehenden Gläser, Flaschen und Aschenbecher befanden sich in unterschiedlichem Zustand der Befüllung.

»Sie bleiben also dabei«, sagte Kirkpatrick, der Produktvorstand, mit vor Erregung zitternder Stimme, »dass Sie die Abstimmung für Agnews Nachfolge erst in zwei oder drei Wochen durchführen wollen?«

Die Frage war an David Mogan gerichtet, der zur Rechten des leeren Ohrensessels saß. Der hochgewachsene Finanzvorstand, dessen Haare ein so tiefes Schwarz aufwiesen, dass sie nur gefärbt sein konnten, wechselte einen kurzen Blick mit dem auf der anderen Seite von Agnews vakantem Ehrenplatz sitzenden Frascati – einen Blick des schweigenden Einverständnisses.

»Davon abgesehen, dass der Aufsichtsrat heute gar nicht beschlussfähig ist«, begann Mogan, »und auch davon abgesehen, dass die Pietät ein solch überstürztes Vorgehen verbietet, ist die Entscheidung über den zukünftigen Vorsitzenden, vulgo Konzernchef, viel zu wichtig, um übers Knie gebrochen zu werden! Ich denke, eine Wartezeit von einigen Wochen ist für eine Meinungsbildung aller Beteiligten nicht nur sinnvoll, sondern sogar erforderlich!«

Beifälliges Gemurmel und Kopfnicken antwortete dem für die Übergangszeit geschäftsführenden Vorsitzenden. Lediglich der heißblütige Kirkpatrick, ein gebürtiger Ire mit rotem Haarschopf und ebensolchem Schnauzer, verzog das Gesicht und biss sich auf die Lippen, verzichtete jedoch auf eine Antwort. Allen Anwesenden war klar, was der Produktvorstand mit seinem durchsichtigen Vorstoß beabsichtigt hatte: Er hatte in seiner stets polternden Art gehofft, den Konzern in einem Handstreich, einer Überrumpelung, die einem Piratenüberfall glich, übernehmen zu können. Ebenso klar war, dass er mit dieser Niederlage aus dem Rennen um den künftigen Vorsitz ausgeschieden war.

Doch es gab noch genug andere, die sich Hoffnungen machten.

Mogan schlug den vor ihm liegenden Ordner, in den er während der ganzen Sitzung keinen Blick geworfen hatte, demonstrativ zu und trank sein Glas aus. Die anderen verstanden und erhoben sich – die Konferenz war vertagt. Während sie nach und nach den Raum verließen, überlegten sie bereits angestrengt, wie sie ihre Chancen auf den Sitz des Konzernchefs verbessern konnten.

Am Schluss befanden sich nur noch David Mogan und Clint Fisher im Raum. Der stellvertretende Sicherheitschef ging auf den Finanzvorstand zu, der ihm mit einem fragenden Blick entgegensah.

»Was...?«

»Sie sollten wissen«, begann Fisher mit ruhiger Stimme und blickte seinem Gegenüber dabei fest in die Augen, »dass ich der Ansicht bin, der erste Stellvertreter des alten Aufsichtsratsvorsitzenden sollte der neue Vorsitzende werden. Sie können sich auf meine unbedingte Loyalität verlassen!«

Dann verließ er mit raschen Schritten den Raum.

Mogan sah ihm verblüfft nach.


*


Clint Fisher war wohl der einzige der Sitzungsteilnehmer, der sich weder Hoffnungen auf den Chefsessel machte noch diesen anstrebte – zumindest vorläufig. Nicht einmal ein halbes Jahr zuvor hatte er sich nach einer außerordentlich erfolgreichen Karriere als Überlebensspezialist aus dem aktiven Dienst verabschiedet, um seinen derzeitigen Posten einzunehmen. Dass er nun bereits den Gipfel erklimmen könne, erschien ihm nicht nur ein vermessener, sondern auch völlig unsinniger Gedanke.

Natürlich war es sein Ziel, irgendwann Konzernchef von Mechanics Inc. zu werden. Aber er wusste, dass er dieses nur Schritt für Schritt erreichen konnte – und der nächste Schritt war für ihn klar: Wer auch immer die in einigen Wochen erfolgende Abstimmung gewinnen sollte, er musste felsenfest davon überzeugt sein, dass Fisher auf seiner Seite stand. Cook war nach dem »Bergunfall« Agnews – der von Fisher so geschickt inszeniert worden war, dass nicht einmal der Hauch eines Verdachts auf ihn fallen konnte – als Sicherheitschef untragbar geworden; Fisher als dessen Stellvertreter war die natürliche Wahl, wenn es darum ging, Cooks Nachfolger zu bestimmen. Der künftige Konzernchef – hieß er nun Mogan oder Frascati, kein anderer hatte in Fishers Augen realistische Chancen – würde Cook feuern und ihn, Fisher, zum Sicherheitschef machen. Alles andere kam später; mit seinen dreiundvierzig Jahren hatte er keinen Grund zur besonderen Eile.

Mogan oder Frascati...

Aus der jetzigen Sicht heraus, überlegte Fisher, war es völlig offen, wer von beiden das Rennen machen würde. Klar, Mogan war der erste Stellvertreter und Frascati nur der zweite, aber letztlich würde diese Rangfolge bei der alles entscheidenden Abstimmung so gut wie keine Rolle spielen, ebenso wenig wie die menschlichen oder die Führungsqualitäten eines Kandidaten. Entscheidend vielmehr würde sein, wer von beiden der versammelten Aktienmehrheit – faktisch also der Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder – mehr zukünftige persönliche Vorteile versprechen konnte als der andere. Natürlich spielten Führungsqualitäten dabei auch eine gewisse Rolle, denn wenn es dem Konzern gutging, dann auch seinen Aufsichtsratsmitgliedern. Aber Mechanics Inc. hatte mittlerweile eine Größe erreicht, die den Konzern zu einer Art »Selbstläufer« machten; alle in Reichweite befindlichen kleineren Konzerne waren aufgekauft, übernommen oder integriert worden. Die konkurrierenden Konzerne – allen voran Flibo in Rheinstadt – hatten ebenfalls eine Größe erreicht, die eine mehr oder weniger friedliche Übernahme beinahe unmöglich machte, so dass nun eine Art »Gleichgewicht der Macht« herrschte, wenn auch ein sehr fragiles. Nichtsdestoweniger musste der neue Konzernchef schon ein ausgemachter Trottel sein, um Mechanics in den Abgrund zu führen – und das waren weder David Mogan noch Lino Frascati.

Mogan oder Frascati...

Die Entscheidung, welchen von beiden Fisher – natürlich verdeckt – unterstützen sollte, fiel ihm nicht leicht. Frascati war eindeutig der stärkere Charakter; wenn Fisher sein Vertrauen gewinnen konnte und Frascati tatsächlich Konzernchef wurde, war Fishers Zukunft in den höchsten Führungskreisen gesichert. Andererseits war Mogan leichter lenkbar; Fisher wusste einige Dinge über ihn, die ihn erpressbar machten. Würde Mogan Konzernchef und setzte Fisher sein Wissen und seine Fähigkeiten richtig ein, wäre es fast ebenso, als führte er selbst den Konzern ... Frascati dagegen würde ihm zwar loyal verbunden sein – immer vorausgesetzt, Fisher verstünde es, das Vertrauen des derzeitigen Personalvorstands zu erwerben und zu behalten –, aber er würde sich in seinen Entscheidungen kaum von dem ehemaligen Überlebensspezialisten beeinflussen lassen.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit, schlussfolgerte Fisher schließlich, war es am besten, Mogan bei seiner Kandidatur zu unterstützen – selbstverständlich auf eine Art und Weise, dass Frascati dies nicht bemerkte.

Schließlich musste man sich stets eine Hintertür offenhalten...


*


An diesem Abend saß Lino Frascati in dem gigantischen Wohnzimmer seines neuen Landhauses, hielt ein volles Glas Pernod in der Hand und starrte auf die spiegelglatte, dunkle Fläche des Erie-Sees, hinter der soeben die Sonne verschwunden war. An einer kleinen Landzunge, etwa zweihundert Meter von der Villa entfernt, stand reglos eine weißgekleidete Gestalt.

Margret.

Beinahe gewaltsam riss er den Blick von seiner Frau und ließ ihn durch das Wohnzimmer schweifen, das einen Anblick bot, als habe eine Bombe in ein Museum eingeschlagen. Das Haus war nagelneu und noch lange nicht fertig eingerichtet. Viele geschlossene und einige geöffnete Umzugskisten prägten das Bild, dazwischen war etwa ein Dutzend lebensgroßer antiker Statuen verstreut. Ein gigantischer Spiegel mit vergoldetem Rahmen, der ursprünglich aus Versailles stammte, lehnte wenige Meter von Frascati entfernt an der Wand. Darin wurde ein Teil eines großen weißen Konzertflügels reflektiert – er war vor nunmehr beinahe fünfzehn Jahren Frascatis Hochzeitsgeschenk an Margret gewesen.

Margret...

Wieder schweifte sein Blick zu der kleinen Landzunge – Margrets Lieblingsplatz, seit sie gemeinsam dieses Grundstück ausgewählt hatten. Die weiße Gestalt war verschwunden; offensichtlich hatte sie seine Ankunft bemerkt und sich auf den Rückweg zu der Villa gemacht, die äußerlich einem hölzernen Ranchgebäude glich, innen jedoch mit ebenso moderner wie weitgehend unsichtbarer Hochtechnik ausgestattet war.

Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah auf. In dem Spiegel ihm gegenüber sah er Margret neben dem Flügel stehen. Ihre Blicke begegneten sich in dem jahrhundertealten Glas.

»Hallo«, sagte sie nur. In ihrer Stimme lag keine Freude über seine Ankunft, aber auch kein Vorwurf, dass er mehr als achtundvierzig Stunden in seinem Büro in Detroit zugebracht hatte. Sie begrüßte ihn, wie man jemanden begrüßt, den man gut kennt und beinahe täglich sieht – jemanden, den man respektiert und achtet, aber nicht unbedingt liebt.

»Hallo«, antwortete er und nahm einen Schluck aus dem Glas. Er musterte Margrets Reflektion. Plötzlich fiel ihm auf, wie sehr sie in der letzten Zeit gealtert war. Sie trug kein Make-up, und die Falten um ihre Augen und erste graue Strähnen im blonden, einst beinahe goldenen Haar ließen sie aussehen wie fünfzig und nicht wie siebenunddreißig.

»Agnew ist tot. Ich weiß es aus den Nachrichten«, stellte sie sachlich fest.

Du hättest mich anrufen können.

Langsam nickte Frascati. »Ich hätte dich anrufen sollen, aber plötzlich ging wirklich alles drunter und drüber ...« Er stellte das Glas auf den kleinen Tisch neben ihm und sah wieder hinaus auf den See, dessen ruhige Oberfläche ein tiefes Purpur angenommen hatte.

»Vielleicht werde ich Konzernchef.«

Es sagte es in einem Tonfall, als ging es um die Planung des Abendessens.

»Ich wünsche dir viel Glück«, antwortete sie im gleichen Ton.

Überrascht sah er sie an – ihr Abbild im Spiegel. Sie hatte auf dem Klavierhocker Platz genommen und den rechten – nein, den linken – Arm auf die Abdeckung der Klaviatur gelegt.

»Weißt du, was das bedeutet? Konzernchef von Mechanics zu werden? Kannst du dir das vorstellen?«

Margret nickte langsam, bedächtig. »Ich kann mir vorstellen, was es dir bedeutet. Es war ja immer dein Ziel.«

Ihr Mann sprang aus dem Sessel auf und wandte sich um. Zum ersten Mal sah er sie nun direkt an. »Ein Traum war es, nichts weiter als ein Traum! Mit so einer Entwicklung konnte ich nicht rechnen!« Zwei schnelle Schritte brachten ihn zum Flügel. Er nahm ihre Hand. »Alle sagen, es läuft auf ein Duell zwischen David Mogan und mir hinaus!«

»Wer darf die Waffen wählen?«

Verärgert ließ er ihre Hand los. »Du weißt, wie ich es meine!« Er trat einen Schritt zurück und musterte sie. Ihre grünen Augen, fand er, sahen irgendwie ... stumpf aus. Das leuchtende Funkeln in ihnen, das ihn stets so fasziniert hatte, war erloschen.

»Du hast dich verändert«, erkannte er schließlich.

»Ich habe mich verändert, weil du dich verändert hast!« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Seit du Personalchef geworden bist, gibt es für dich nur noch Mechanics; alles andere ist nicht mehr wichtig.« Margret schlug die Augen nieder. »Wir sind nicht mehr wichtig!«

Nun schüttelte auch Lino Frascati den Kopf, doch bei ihm drückte diese Geste Unverständnis, beinahe Fassungslosigkeit aus.

»Für wen, glaubst du, mache ich das alles? Für wen bleibe ich tagelang im Büro, für wen arbeite ich oft genug die Nacht durch? Für dich – für uns, für niemand anderen!« Er versuchte, ihr in die Augen zu sehen, doch sie wich seinem Blick aus. »Für unsere Zukunft! Und jetzt werde ich vielleicht Konzernchef von Mechanics! Mehr kann ein Mensch auf dieser Welt nicht erreichen! Du musst doch glücklich sein!«

Endlich sah sie ihn wieder an. »Ich bin glücklich, wirklich – für dich, weil ich weiß, wie viel dir das bedeutet!« Sie erhob sich und wandte sich ab. »Belassen wir es dabei.« Langsam schritt sie in Richtung des Eingangs.

»Wohin gehst du?«, rief er ihr nach.

Sie blieb in der geöffneten Tür stehen und wandte sich um. »Es ist Montagabend, und es ist schon spät. Ich sollte bereits in Detroit sein.«

»Wieder Projekt Suppenküche?« Frascati konnte ein spöttisches Lächeln nicht ganz unterdrücken.

Margret tat, als bemerkte sie es nicht. Sie nickte. »Du kannst es so nennen, ja. Es ist wichtig, diesen Leuten zu helfen; denjenigen, die Mechanics – die Personalabteilung von Mechanics! – ›aussortiert‹ hat, weil sie zu alt oder aus anderen Gründen nicht mehr produktiv genug sind. Meine Arbeit in der ›Suppenküche‹ ist wichtig für diese Menschen – und wichtig für mich.«

»Aber warum musst du selbst dort hingehen? Zwei- oder dreimal pro Woche bis Mitternacht? Geld spielt ja zum Glück kaum mehr eine Rolle für uns – du könntest jeden Monat zehntausend Verrechnungseinheiten spenden! Damit wäre den Leuten mehr geholfen als mit deinem Projekt Suppenküche

Margret biss sich auf die Lippen. »Sagen wir: Ich will mir mein Gewissen nicht abkaufen lassen. Ich will etwas tun

»Hältst du das für klug?«

»Klug?«, fragte sie, ehrlich verblüfft.

Er hob beide Hände. »In Anbetracht meiner Situation, meine ich. Es könnte negative Folgen für meine Kandidatur um den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden haben, wenn sich meine Frau nachts in den übelsten Gegenden von Detroit herumtreibt. Das passt einfach nicht zu meiner Position!«

Verärgert antwortete sie: »Aber es passt zu meiner Position – und wenn ich nicht gehe, könnte es negative Folgen für andere haben. Wusstest du, dass im letzten Winter mehr als vierhundert Menschen verhungert oder erfroren sind? In Detroit, einer der angeblich reichsten Städte der Welt?« Sie drehte sich abrupt um. »Bis später also.«

Sie verließ den Raum. Kurz darauf hörte Frascati die Tür ihres Gleiter zuschlagen. Das Aufheulen des normalerweise beinahe unhörbar leisen Motors verriet ihm, dass sie es eilig hatte wegzukommen.

Weg – von ihm? Oder von seiner Art zu leben, die sie nicht mehr teilen wollte, weil sie sie nicht mehr verstand, so wie er sie nicht mehr verstand?

Kopfschüttelnd ging er zurück zu seinem Sessel, ließ sich darin nieder und nahm das Glas mit dem Pernod zur Hand.

Die Landschaft jenseits des großen Panoramafensters versank in Dunkelheit.


*


Zwölf Stunden später saß Clint Fisher in seinem Büro und studierte einen kurzen dreidimensionalen Film, der von seinem Computer über den Schreibtisch projiziert wurde. Der Film, mit versteckter Mikrokamera gedreht, zeigte Margret Frascati bei ihrem sozialen Engagement – der von ihrem Mann so genannten »Suppenküche«, die in Wahrheit ein komplettes und gut ausgestattetes Heim für Obdachlose war, zum größten Teil von Margrets – und damit von Lino Frascatis – Geld finanziert.

Mit einer unwirschen Handbewegung schaltete Fisher die Projektion ab und lehnte sich in seinem Sessel zurück.

Das führte zu nichts.

Über seine Frau war Frascati nichts anzuhaben. Im Gegenteil – ihr soziales Engagement brachte dem Personalvorstand allenfalls Pluspunkte bei der Wahl zum CEO ein. Den anderen Aufsichtsratsmitgliedern – Fisher eingeschlossen – lag zwar nichts ferner, als sich selbst in welcher Form auch immer sozial zu engagieren, aber ihnen allen war klar, dass Margret Frascatis Verhalten bei der Bevölkerung gut ankam. Und die Meinung des »Mob«, wie Fisher die Masse des Volkes insgeheim nannte, durfte man trotz allem nicht außer Acht lassen.

Vielleicht, überlegte Fisher, war es doch besser, sich auf Mogan zu konzentrieren, der in jedem Fall eine größere Angriffsfläche bieten würde...

Ein Geräusch, das wie ein fernes Donnergrollen klang, schreckte den stellvertretenden Sicherheitschef aus seinen Gedanken. Er wandte sich um und sah aus dem großen Panoramafenster, das einen Ausblick auf halb Detroit bot. Weit hinten, in einer Entfernung von vielleicht zehn Kilometern und damit am nördlichen Rand des gigantischen Mechanics-Areals, stieg eine schwarze Rauchsäule mit beachtlicher Geschwindigkeit in den Himmel. Während der halben Sekunde, in der er wie gelähmt dasaß, erreichte sie bereits die Höhe des Mech-Towers – und sie stieg noch weiter.

Fisher fuhr herum und wollte eben mit der zuständigen Abteilung Kontakt aufnehmen, als diese ihm zuvorkam. Der Bildschirm flammte auf und übermittelte das zu Tode erschreckt wirkende Antlitz eines höchstens zwanzigjährigen, strohblonden Mannes.

»St... Steffens, Sir«, stotterte der junge Mann. Seine Augen zwinkerten nervös. »Explosion in einem der Teststände für Gleitertriebwerke! Es ... es sieht böse aus, Sir!«

»Das sehe ich bis hierher!«, knurrte Fisher. »Geht es nicht etwas konkreter?«

»Einen Moment, Sir!« Das Gesicht des Jungen verschwand. Fisher überlegte nicht lange, sondern schaltete das Gespräch auf Mogans Büro um und ging dann rasch, aber äußerlich völlig ruhig, hinüber.

Mogan stand am Fenster, das beinahe die ganze Rückseite seines Büros einnahm, und starrte mit weit aufgerissenen Augen hinaus. Als Fisher eintrat, wandte er nicht einmal den Kopf.

»Was ist passiert?«, flüsterte er.

Fishers fast blutleere Lippen verzogen sich für einen kurzen Augenblick zu einem verächtlichen Grinsen. Im nächsten Moment bereits hatte er sich wieder in der Gewalt, aber seine Zweifel, wen er im Kampf um den Stuhl des Konzernchefs unterstützen sollte, waren verflogen. Mogan fehlte Frascatis Entschlusskraft, und Fisher würde nicht das einzige Aufsichtsratsmitglied sein, das dies bemerkte.

Laut sagte er: »Die Meldung kommt eben rein«, und deutete auf den Bildschirm auf Mogans Schreibtisch, wo mittlerweile Steffens wieder erschienen war.

Der Junge hatte sich schnell gefasst und erstattete nun eine beinahe militärische Meldung: »Feuer in Teststand XIII nach Explosion, Sir! Kein Zugang mehr möglich; da müssen mehrere Tausend Grad herrschen.« Er blickte für einen Moment zur Seite, dann nickte er und sah wieder in die Kamera. »Zum Zeitpunkt der ... des Unglücks haben sich etwa zwanzig Leute im Teststand befunden – für sie besteht kaum Hoffnung. Das ist aber nicht das Schlimmste...«

»Sondern?«, fragte Mogan, immer noch flüsternd. Fisher, der ihn scharf beobachtete, bemerkte, dass der stellvertretende CEO kalkweiß war.

Im Hintergrund des Büros öffnete sich die Tür – Lino Frascati war ebenfalls von der Explosion aufgeschreckt worden.

»Das Feuer breitet sich weiter aus, Sir! Die Löschtrupps haben soeben mit der Arbeit begonnen, konnten aber noch keinen Erfolg erzielen.« Steffens begann wieder, nervös zu zwinkern. »Das ... das ist kein normales Feuer, Sir!«

»Natürlich nicht«, warf Fisher ein. »Ist ja auch kein normaler Treibstoff, der da erprobt wird!«

»Einen Moment, Sir!«

Steffens Gesicht verschwand, und die drei Männer sahen sich betroffen an. Mogan schüttelte fassungslos den Kopf.

»Dass das ausgerechnet jetzt passieren muss«, entfuhr es ihm. »Ausgerechnet jetzt!« Er zog ein Taschentuch heraus und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Fisher und Frascati warfen sich einen kurzen Blick zu. Obwohl sich beide bemühten, nicht allzu viel Bedeutung in diese flüchtige Geste zu legen, wurde damit doch eines klar: Beide hatten erkannt, dass der Finanzvorstand Mogan in dieser Situation überfordert war.

Der stellvertretende CEO hatte sich wieder dem Panoramafenster zugewandt, und die beiden anderen Männer folgten seinem Blick. Die Rauchsäule wurde stetig dicker, und nun konnte man – bei einer Entfernung von zehn Kilometern! – am Boden bereits erste grellorange Flammenzungen erkennen.

Eine aus dem Interkom dröhnende Stimme lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Schreibtisch zu. Auf dem Schirm war das verschwitzte und schmutzverkrustete Gesicht eines anderen, älteren Mannes zu sehen.

»Barnes, Leiter Noteinsatztrupp C«, stellte er sich vor.

Fisher nickte ihm kurz zu; der Mann war ihm als tatkräftig und überaus kompetent bekannt.

»Wie steht es?«, wollte der ehemalige Überlebensspezialist wissen. Erst in diesem Moment fiel ihm die Abwesenheit des Sicherheitschefs Hal Cook auf. Ein kurzer Gedanke der Befriedigung schoss durch seinen Kopf: Was auch immer Cook als Grund für seine Abwesenheit anführen würde – die Tatsache, dass er in diesen entscheidenden Minuten fehlte, würde ihn endgültig den Job kosten.

»Schlecht, Mr. Fisher«, gestand Barnes ohne Umschweife. Er wischte sich mit der Hand über sein Gesicht und zog dabei eine Schneise durch die Schicht aus Ruß und Staub, die es bedeckte.

»Der Brand ist nicht mit konventionellen Mitteln zu stoppen. Nicht mit den verschiedenen uns zur Verfügung stehenden Löschchemikalien, und mit Wasser sowieso nicht. Das Feuer breitet sich rasend schnell weiter aus.«

»Was schlagen Sie also vor?«, fragte Fisher knapp. Er wusste: Barnes war kein Mann, der schnell aufgab.

»Wir müssen eine Schneise um den Flammenherd herum freisprengen, mindestens fünfzig Meter breit nach allen Seiten. Und das muss schnell geschehen!«

Bevor Fisher antworten konnte, drängte sich David Mogan vor ihn. Er rang Atem um ebenso wie um Fassung.

»Voll ... vollständig ausgeschlossen!«, schnappte er. »Völlig undenkbar! Das würde Hunderte von Millionen, vielleicht sogar Milliarden kosten!«

Barnes starrte den stellvertretenden CEO an. »Für jede Minute, die wir warten, können Sie locker noch mal ein paar Hundert Millionen dazuaddieren«, sagte er kalt. »Ich sehe keine Alternative – aber die Anweisung zum Sprengen müssen Sie geben!«

Mogan schüttelte heftig den Kopf. »Unter keinen Umständen, hören Sie? Sie sprengen unter keinen Umständen! Andernfalls mache ich Sie persönlich für den Schaden haftbar!«

Barnes warf Fisher einen kurzen, aber vielsagenden Blick zu, dann zuckte er mit den Schultern. »Ist ja nicht mein Konzern. – Ich muss mich um die Evakuierung kümmern.« Grußlos verschwand er und machte Steffens’ bleichem Gesicht Platz. Der Junge enthielt sich jedoch jeden Kommentars, sondern starrte nur erwartungsvoll auf den Bildschirm vor ihm, der ihm einen Ausschnitt von Mogans Büro übermittelte.

Frascati legte dem Finanzchef eine Hand auf die Schulter. »David, Sie müssen den Befehl zur Sprengung geben!«, beschwor er ihn. »Barnes ist der erfahrenste Mann, den Mechanics auf diesem Gebiet beschäftigt! Wenn er sagt, er sehe keine andere Möglichkeit, dann gibt es keine andere Möglichkeit!«

Fisher nickte bekräftigend. »Ich kenne Barnes ebenfalls! Sie dürfen nicht länger zögern!«

Mogan fuhr zurück, als hätte ihn eine Schlange gebissen. Hasserfüllt starrte er die beiden anderen an.

»So ist das also«, zischte er. »Sie beide glauben, die günstige Gelegenheit nutzen zu können, um mich aus dem Rennen um den Vorsitz zu werfen! Sie denken, wenn Sie mich dazu bringen, eine Milliarden teure Fehlentscheidung zu treffen, wird mich der Aufsichtsrat fallen lassen! Aber da irren Sie sich, meine Herren, da irren Sie sich!«

Zitternd vor Erregung schritt er wieder zum Fenster, wo er mit auf dem Rücken verschränkten Händen stehen blieb und auf die schwarze Rauchsäule starrte. Die Flammen am Boden waren nun deutlich zu sehen; welche feurigen Gewalten dort unten tobten, war vom Tower aus nicht einmal zu erahnen.

Fisher machte einen Schritt auf Frascati zu. »Sie müssen handeln, bevor es zu spät ist!«, drängte er. »Sie sind der zweite Mann, geben Sie den Befehl! Barnes wird auf Sie hören.«

Mogan fuhr herum. »Sie brauchen nicht zu flüstern!«, schrie er unbeherrscht. »Meine Ohren sind noch gut genug! Das ist ... das ist...«

Wieder tauschte Frascati mit Fisher einen kurzen Blick des Einverständnisses, dann nickte er. Der stellvertretende Sicherheitschef ging auf Mogan zu, die Hände zu einer Geste der Beschwichtigung erhoben. Währenddessen gab Frascati Steffens einen Wink.

»Bringen Sie Barnes!«, befahl er. »Schnell!«

»Unterstehen Sie sich!« Mogan hatte drohend die Faust erhoben. Er machte Anstalten, sich auf den Personalvorstand zu stürzen, doch Fishers Hände schlossen sich wie stählerne Klammern um die Unterarme des geschäftsführenden Konzernchefs. Dem ehemaligen Überlebensspezialisten war Mogan körperlich weit unterlegen; er musste sich auf weitere Beschimpfungen beschränken.

Frascati ignorierte ihn, denn in diesem Moment war Barnes auf dem Bildschirm erschienen.

»Sprengen Sie!«, befahl der Personalchef knapp.

Mit einem Blick erkannte der Leiter des Noteinsatztrupps die Lage in dem Büro. »Ihre Verantwortung?«, fragte er knapp.

Frascati nickte ernst. »Meine Verantwortung als zweiter stellvertretender Vorstandsvorsitzender«, bestätigte er. »Der erste stellvertretende Vorstandsvorsitzende ist im Moment nicht Herr seiner Entschlüsse.«

Ein Aufschrei Mogans quittierte diesen Satz. Barnes nickte entschlossen. »Hoffentlich ist es noch nicht zu spät!« Dann verschwand sein Gesicht vom Schirm. Frascati wusste, dass er die nächsten Stunden, vielleicht sogar Tage, würde Übermenschliches leisten müssen, um die durch den Streit entstandene Verzögerung noch zu kompensieren.

Die drei Männer in Mogans Büro hingegen konnten im Moment nichts anderes tun als abzuwarten.

Der stellvertretende CEO massierte seine Arme, die Fisher aus dem Schraubstock entlassen hatte.

»Das wird Ihnen beiden noch leidtun«, stieß er wutentbrannt hervor. »Das wird Ihnen noch leidtun!«