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NIE MEHR SÜCHTIG SEIN

Reinhard Haller

NIE MEHR SÜCHTIG SEIN

Leben in Balance

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage

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Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

ISBN 978-3-7110-0123-8

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Wussten Sie, dass …

Einleitung

Vom Verlust der Freiheit

Das Wesen der Sucht

Sucht und Seuche, Abhängigkeit und Siechwerden

Der Rausch: Entrückung und Verrückung

Viele Ursachen, noch mehr Motive

Suchtkarriere oder Suchtmisere?

Superstar Alkohol

Cannabis: Die Härte der weichen Drogen

Narziss und Kokainrausch

Medikamentenabhängigkeit:

Die weiße, heimliche Sucht

Das böse Spiel

Rauchen: Festsaugen am Serienkiller

Arbeit, Sport und Sex als Krankheit

Im Sog der modernen Medien

Die Abhängigen von Abhängigen

Nüchtern betrachtet

Der Patient als sein eigener Arzt

Und da ist noch die Sehnsucht

Literaturverzeichnis

Vorwort

Sucht ist ein zeitloses und aktuelles, ein konstantes und sich ständig wandelndes Phänomen zugleich. Viele Ursachen, Voraussetzungen und Bedingungen süchtigen Verhaltens sind menschliche Grundstörungen, die sich über Generationen hinweg kaum verändern. Missbrauch und Abhängigkeit von psychotropen Substanzen und berauschenden Verhaltensweisen sind menschliche Urprobleme. Die Abhängigkeitserkrankungen an sich sowie der Verlauf von süchtigen Entwicklungen erweist sich über Jahrhunderte hinweg als erstaunlich stabil.

Einer steten Änderung unterliegen aber die einzelnen Suchtmittel und die süchtigen Verhaltensweisen. Dies hängt wesentlich davon ab, ob neue Drogen entwickelt werden, welche Suchtmittel in welcher Menge auf den Markt kommen, wie die Griffnähe der suchtmachenden Mittel ist, wie die Zugangsmöglichkeiten und Regulationsmechanismen gestaltet sind. Vor allem aber, wie sich die Bereitschaft zur Drogenverwendung, das Bedürfnis nach Berauschung und die Motivation zur Einnahme psychotroper Substanzen entwickelt.

In den letzten Jahren sind die Drogengebrauchsmuster anders geworden: Heroin ist eher in den Hintergrund getreten und gilt heute als Loser Drug. Cannabis hat sich zur Volksdroge etabliert und Kokain sich weit über die traditionellen Gebrauchergruppen hinaus verbreitet. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Alkohol hat sich auf einem hohen Niveau eingependelt, bezüglich Rauchen ist der Umgang kritischer geworden. Eine nicht geahnte Renaissance erleben die medikamentösen Suchtmittel und die sogenannten Designerdrogen beherrschen derzeit die Szene. Nach der digitalen Revolution sind aber auch die Verhaltenssüchte wie Internet-, Online-, Handy- oder Spielsucht in den Vordergrund getreten.

Sucht ist also ein schillerndes, nie ganz fassbares und nie kalkulierbares Phänomen, das sich auf allen Ebenen des menschlichen Daseins abspielen kann. Es ist deshalb an der Zeit für eine Neuauflage des 2007 erschienenen Buches (Un)Glück der Sucht. Vieles was damals geschrieben wurde, bleibt weiterhin bestehen. Manches muss in Anbetracht der raschen Entwicklung aktualisiert werden. Zu einem Abschluss kommen wird das Thema Sucht niemals: Der Mensch ist und bleibt ein süchtiges Wesen, die Sucht ein sich stets wandelndes Phänomen.

Wussten Sie, dass …

… 90 Prozent der Menschen in irgendeiner Weise süchtig sind?

… für Suchtmittel mit 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr mehr Geld als für die Ernährung der Menschheit ausgegeben wird?

… ein Raucher sein Leben um durchschnittlich sechseinhalb Jahre verkürzt?

… pro Sekunde mehr als 30 000 Pornoclips und rund 50 Gigabyte Daten mit pornografischen Inhalten angesehen werden?

… bei Cannabiskonsumenten die Gefahr, an einer Psychose zu erkranken, um 41 Prozent erhöht ist?

… 20 Prozent der einjährigen Kinder und 90 Prozent der Dreijährigen regelmäßig vor dem Fernseher sitzen?

… in Deutschland mit Glücksspielen und Wetten jährlich 32 Milliarden Euro umgesetzt werden?

… die Zahl therapiebedürftiger Alkoholiker seit 1950 um das Zwölffache gestiegen ist?

… die von alkoholisierten Jugendlichen verübten gewalttätigen Delikte in Europa jährlich Schäden in der Höhe von über 50 Milliarden Euro verursachen?

… die Bank von England bei einer Überprüfung von zwei Millionen 10- und 20-Pfund-Scheinen an 40 Prozent Kokainspuren finden konnte?

… ein Heroinabhängiger täglich 150 bis 200 Euro zur Finanzierung seiner Sucht aufbringen muss?

… der weltweite Umsatz mit dem Online-Glücksspiel bei einer halben Billion Dollar liegt?

… nahezu jedes menschliche Verhalten süchtig entarten kann?

Und haben Sie schon einmal bedacht, dass …

… mütterlicher Missbrauch von Nikotin, Alkohol und Drogen die mit Abstand häufigste Ursache für Kindesmissbildungen ist?

… die in Deutschland pro Jahr gerauchten 145 Milliarden Zigaretten und Zigarillos in den Körpern der Raucher 1500 Tonnen Teer hinterlassen?

… die Kosten für eine Alkoholentwöhnungskur etwa 15.000 Euro, jene für eine Lebertransplantation etwa 200.000 Euro betragen?

… eine der schwerwiegendsten Folgen der Computersucht die Fettsucht ist?

… die Suchttherapie im Gegensatz zu ihrem Ruf zu den erfolgreichsten medizinischen Disziplinen gehört?

… durch die Sucht eines Menschen durchschnittlich zehn weitere Personen in Mitleidenschaft gezogen werden?

… Angehörige durch ihre (unbewusst) unterstützende Haltung als Co-Abhängige oft zur Verlängerung der Suchterkrankung beitragen?

… Sucht die einzige Krankheit darstellt, bei der ausschließlich der Betroffene über Heilung oder Rückfall entscheidet?

Einleitung

Das Thema Sucht hat anhaltend Hochkonjunktur. Neben den traditionellen Berichten über illegale Drogen hören wir von ausuferndem Jugendalkoholismus, von Kampf- und Komatrinken, von verheerenden Auswirkungen des Rauchens und Schutz der Nichtraucher, dem verbreiteten Medikamentenmissbrauch und dem immer dringlicher werdenden Problem Internet-, Computer-, Handy- und Spielsüchte. Wir klagen über die Ballermannkultur und die modernen Seuchen wie Ess-Brech-Sucht (Bulimie) oder Magersucht, fürchten uns vor den Auswirkungen neuer Rauschgiftwellen und diskutieren mit Eifer über die richtigen Lösungen. Fast tägliche Pressemeldungen berichten über die steigende Zahl an Drogenprobierern und -abhängigen, über die Ausbreitung von Hepatitis und HIV sowie die vielen Drogentodesfälle. Es wird über das ständig sinkende Einstiegsalter und die Verbreitung von Nikotin und Alkohol bei Kindern geschrieben, über ansteigenden Medikamentenmissbrauch bei Frauen und Alkoholprobleme bei alten Mitbürgern. Wir werden vor neuen, noch gefährlicheren Giften, vor Crystal Meth, Ketaminen und Naturdrogen gewarnt. Experten warnen uns vor einer durch und durch süchtigen Welt, in der wir nicht trotz, sondern nur noch wegen der chemischen Substanzen existieren können… Wir hören plötzlich von Handy- und Facebooksucht, fassen eine Reihe von gewohnheitsmäßigen und dominierenden Verhaltensweisen als Verhaltenssüchte zusammen und fragen uns verwundert, ob der moderne Mensch ein einziger Suchthaufen ist und die Süchtigkeit vor gar nichts mehr haltmacht.

Sie werden nun, verehrte Leserinnen und Leser, vermuten, dass der Autor eines Sachbuches das tut, was Gepflogenheit jedes Referenten, Vortragenden und Schreibenden ist, nämlich die Bedeutung seines Themas ins rechte, grelle Licht zu stellen. Von »einem der größten Probleme unserer Gesellschaft«, einer »schicksalhaften Frage für das Überleben der Menschheit« und einer »Entwicklung, die jeden von uns treffen kann« zu sprechen, sind hochverdächtige Formulierungen. Um Ihnen die Bedeutung meines Themas vor Augen zu führen, will ich Sie nicht zu einem kritischen Blick auf Ihre eigenen Gewohnheiten und Abhängigkeiten auffordern und auch nicht eindrucksvolle Statistiken und Zahlen referieren, sondern stattdessen die Ergebnisse einer kleinen, wohl ironisch gemeinten, aber trotzdem wahren Untersuchung aus den USA liefern. In dieser wurden amerikanische Erzieher befragt, welches die größten Probleme ihrer Schüler seien. Die 1940 und 2005 erhobenen Hitlisten zeigen tatsächlich eindrucksvolle Unterschiede (wie bei einer Siegerehrung beginnen wir mit dem letzten Rang):

1940

2005

7. Abfall nicht in den Papierkorb werfen

7. Raub

6. Unangemessene Kleidung

6. ungewollte Schwangerschaft

5. Vordrängeln

5. Selbstmord

4. Rennen auf dem Flur

4. Körperverletzungen

3. Lärmen

3. Computer- und Videospiele

2. Kaugummi kauen

2. Alkoholmissbrauch

1. Schwätzen

1. Drogenmissbrauch

Diese keinesfalls repräsentativen Ergebnisse zeigen einen klaren Trend: Süchtige Verhaltensweisen stellen ein großes Problem dar, vor allem für unsere Jugend.

Wenn man aber über Alkohol, Drogen und Sucht spricht, fällt man leicht in eine von positiven und negativen Superlativen geprägte Sprache. Da ist von gigantischen Umsätzen mit Rauschgift und Glücksspielen, von neuen Drogen-Rekordernten und drohenden Heroinwellen, vom Reichtum der Kokainbarone, vom Wirtschaftsfaktor Alkohol und vom Boom der Psychopillen, von Doping und Brainboosters die Rede. Wir lesen von grausamen Drogenkriegen und der Beschlagnahmung riesiger Kokainmengen, von unvorstellbaren Summen an Schwarzgeldern oder der Verbindung von Rauschgift- und Waffenhandel. Lassen wir uns durch diese Sensationsberichte und die Extrembeispiele nicht von uns selbst, von unseren störenden Gewohnheiten und Abhängigkeiten ablenken?

Sucht spielt sich jedenfalls nicht nur bei den anderen, sondern bei jedem von uns ab. Sucht lässt sich nicht nur auf jene drei Prozent der Bevölkerung, die alkoholkrank sind, auf die zwei Prozent Medikamenten- und die 0,5 Prozent Rauschgiftsüchtigen, nicht nur auf die deklarierten und diagnostizierten Ess-Brech- und Magersüchtigen projizieren. Süchtige Anteile hat fast jeder von uns. Sie bestehen in Gewohnheiten, welche einen eigenständigen Charakter annehmen, in Impulsen, über die wir die Kontrolle verlieren oder in tatsächlichen Abhängigkeiten von psychisch wirksamen Substanzen. Oft sind wir uns ihrer Bedeutung gar nicht bewusst, fast nie sehen wir dahinter eine Störung oder gar eine Krankheit.

Süchtiges Verhalten stellt ein uraltes, zutiefst menschliches Phänomen dar. Der Wunsch nach vorübergehender Flucht aus der Realität ist so alt wie die Menschheit selbst. Jedes Individuum hat das Bedürfnis, sich abzulenken, zu entspannen, zu beruhigen oder sich in eine Scheinwelt zu entrücken. Dies geschieht manchmal über bestimmte Verhaltensweisen, manchmal mit speziellen meditativen Techniken, oft aber mit Hilfe von psychotropen Substanzen.

In keiner Zeit der Menschheitsgeschichte waren so viele Substanzen mit berauschender Wirkung verfügbar wie heute. Nur ein verhältnismäßig kleiner Teil davon ist nutzbringend und wird in Therapie und Medizin zur wirksamen Behandlung von psychischen und körperlichen Leiden eingesetzt. Der Großteil der Drogen dient der Realitätsflucht, dem Wunsch nach neuen Erlebnissen und Eindrücken, der Beseitigung unangenehmer Gefühlszustände oder schlichtweg dem Erleben von Spaß. Typisch für die pluralistische Gesellschaft sind die Widersprüche, welche sich aus großen Freiräumen und unbegrenzten Möglichkeiten auf der einen und der zunehmenden Einengung durch Vorschriften und Überwachungen auf der anderen Seite ergeben. Drogen und süchtige Verhaltensweisen bilden eine Möglichkeit, diesen Gegensatz scheinbar zu überwinden. Mit ihrer Hilfe lassen sich Grenzen überschreiten und die sogenannten Über-Ich-Strukturen – also alles, was mit Gewissen und Regeln zu tun hat – ein Stück weit auflösen.

Die Sehnsucht nach neuen Erlebnissen und veränderten Gefühlszuständen, nach scheinbarem Glück und künstlichen Paradiesen ist größer als der Widerstand gegen unübersehbare Gefahren. Gerade unter jungen Menschen ist die Bereitschaft zum Risiko nach dem Motto »No risk – no fun« erheblich. Da dabei aber oft nicht genügend Brems-, Hemm- und Steuerungsmechanismen zur Verfügung stehen, kommt es häufig zu großen Schwierigkeiten.

Wenn Sie zum vorliegenden Buch greifen, erwarten Sie keine komplizierten Suchttheorien und keine hochwissenschaftlichen Erklärungen für eines der schwierigsten persönlichen und gesellschaftlichen Probleme. Sie bekommen keine trockenen Statistiken präsentiert, wiewohl diese im Suchtbereich sehr eindrucksvoll wären, und werden mit Zahlenmaterial weitgehend verschont. Das Buch kann Ihnen auch nicht eine der vielen Behandlungen mit Erfolgsgarantie, einen Tipp zum weichen Entzug oder eine Formel zur Umprogrammierung des süchtigen Gehirns liefern. Die in jedem Suchtwerk inbrünstig wiedergegebenen wissenschaftlichen Definitionen werden Sie ebenso vermissen wie Symptom- und Checklisten oder Kriterienkataloge. Dem Autor liegt es auch fern, Sie mit den »wahren Lösungen«, mit Heilungsversprechungen oder schlichtweg mit der unkritischen Hoffnung auf eine suchtfreie menschliche Existenz beglücken zu wollen.

Vielmehr enthält das Buch viele Geschichten von Süchten und Süchtigen und gibt begleitende Erklärungen. Es erzählt Begebenheiten, die sich um die erstaunlichen und letztlich nie ganz begreifbaren Phänomene Sucht und Abhängigkeit drehen, beschreibt normale und schillernde Formen der Rauschzustände und geht den Umständen nach, durch welche Menschen in den Sog der Sucht geraten können. In der arabischen Medizin waren die Psychiater Geschichtenerzähler oder, umgekehrt betrachtet, die Geschichtenerzähler mussten Psychotherapeuten sein. Es musste ihnen gelingen, zu jedem Problem, zu jeder Form von Lebensschwierigkeit oder Krise, zu Verstimmungszuständen oder Todeswünschen, zur Flucht in die Sucht oder zum Elend des abhängig gewordenen Menschen eine passende Erzählung zu finden. Diese sollte in ihrer Dramaturgie, ihrem inneren Gehalt und ihrer symbolischen Kraft das Problem des Patienten widerspiegeln, seine Situation aus einem anderen Blickwinkel analysieren und letztlich einen Weg zur Heilung zeigen.

Genau diesem hohen Anspruch möchte das vorliegende Buch entsprechen. Der Leser soll sich in der einen oder anderen Geschichte selbst finden, soll in den Leiden der Süchtigen seine eigenen abhängigen Anteile und Verhaltensweisen wiedererkennen, soll Hinweise auf den richtigen Umgang mit suchtkranken Mitmenschen erhalten und vielleicht auch Lösungen finden können. Eines will das Buch ganz sicher nicht: Menschen entmündigen, sie bevormunden und ihnen Ratschläge geben, die mehr Schlag als Rat sind. Der suchtanfällige oder -kranke Patient (das Wort des Leidenden trifft den Zustand des Süchtigen viel besser als das so modern klingende des Klienten) soll nicht neuerlich von außen gelenkt und dadurch beengt werden. Er soll vielmehr die Unfreiheit, in welche ihn zwanghafte Verhaltensweisen oder berauschende Substanzen gebracht haben, reflektieren und sich davon distanzieren können. Vor allem aber soll er erkennen, dass die Lösung des Suchtproblems ganz in seiner Person liegt. Sucht ist die einzige Krankheit, bei der letztlich nur ein einziger Arzt wirklich heilen kann: der Betroffene selbst.

Vom Verlust der Freiheit

In einer ländlichen Gemeinde vor dem Arlberg mussten die Bewohner dreier benachbarter Häuser mit zunehmendem Ärger feststellen, dass ihnen die Post zu völlig unterschiedlichen Tageszeiten zugestellt wurde. Die einen erhielten Zeitungen und Briefe bereits in der Früh, die anderen gegen Mittag, die dritten gar erst am Nachmittag. Diese nicht länger hinzunehmende Ungerechtigkeit führte nicht nur zu Zerwürfnissen zwischen den Nachbarn, sondern hatte geharnischte Proteste bei der Postbehörde zur Folge, welche der Sache auf den Grund ging. Nach intensiver Befragung des Postboten konnte die Ursache für dessen ungehöriges und vorerst unlogisch scheinendes Agieren in einer geradezu lächerlichen Kleinigkeit gefunden werden: Der verdienstvolle Beamte erhielt auf seinem Rundgang immer wieder Zuwendungen, hier eine Jause, da eine Tasse Kaffee und in drei Häusern Alkohol. Diese lagen ausgerechnet nebeneinander. Da er die Alkoholzuwendungen sehr schätzte, aber nicht – wie er sagte – »in einem Zug« trinken wollte, musste er sich anders behelfen. Entsprechend seinem Trinkstil, der nicht durch rauschartige Exzesse, sondern durch kontinuierlichen Konsum gekennzeichnet war, musste er für mehrstündige zeitliche Distanz zwischen dem Genuss der einzelnen alkoholischen Getränke sorgen. Dem trug er durch die geschilderte Gestaltung des Rundganges Rechnung.

Als der eingeschaltete Betriebsarzt einschlägige Befunde erhob und den Verdacht auf ein Alkoholproblem äußerte, reagierte der Postbote entrüstet: Er trinke weniger als alle anderen, habe noch nie blaugemacht, sei noch kein einziges Mal mit Alkohol am Steuer erwischt worden und habe in seinem Leben nicht einen Rausch gehabt – »seit der Musterung«, fügte er hinzu. Dass er seit damals mit Ausnahme der Nachtstunden auch nie mehr ganz nüchtern gewesen war, verschwieg er indes geflissentlich.

Der Postbote hatte immer getrunken, dies jedoch in heimlicher, stiller und unauffälliger Weise. Er war nie durch Räusche, Kontrollverluste oder Alkoholfolgesymptome auffällig geworden. Durch sein mäßiges, aber regelmäßiges Trinken hatte er einen Konsumationsstil entwickelt, den man als »Spiegeltrinken« bezeichnet. Dadurch wurde sein körperliches und psychisches Gleichgewicht auf eine leichte bis mittelgradige, aber nie ganz absinkende Alkoholkonzentration eingestellt. Er war zum rauscharmen, kontinuierlichen Trinker geworden, der die Kontrolle nie verliert – weswegen er zwischen den Besuchen der drei Alkoholstationen auf seinem Rundgang auch jeweils eine mehrstündige Pause einlegen konnte –, jedoch unfähig zur Abstinenz war. Da er erkennbare Berauschungen stets vermied, blieb sein Alkoholproblem seinen Kollegen und Vorgesetzten, seinen Kindern und seiner Frau, letztlich aber auch ihm selbst verborgen.

Die Familie Maier hatte ein wunderschönes Eigenheim errichtet. Stararchitekt und beste Handwerker, Innendesigner und Gartengestalter, edelste Materialien und hohe Rechnungen garantierten, dass die Vorstellungen des Familienoberhauptes, eines gewichtigen Bankdirektors, umgesetzt und sein Traum vom Wohnen realisiert werden konnten.

Nach Fertigstellung des Wunderwerkes hätte die Familie, mit der es das Schicksal auch sonst gut meinte, eigentlich glücklich sein können, wenn … wenn da nicht ein auffälliges Putzverhalten von Frau Maier dazwischengekommen wäre. Sie hatte sich an der Grundreinigung des Hauses beteiligt und das Kommando über den Putztrupp übernommen. Da sie mit Leistung und Genauigkeit der Gehilfen in keiner Weise zufrieden war, jagte sie alle kurzerhand davon und begann, selbst Tag und Nacht zu putzen. Sie war für keinen zu sprechen und lehnte jede Hilfe ab, da niemand ihren Sauberkeitsvorstellungen entsprechen konnte. Sie vernachlässigte den Haushalt, kümmerte sich kaum noch um Mann und Kinder und ließ sich auf keine Diskussion mehr ein.

Die Hoffnung auf ein Ende ihres Zwangs nach der dreimal durchgeführten Grundreinigung erwies sich als trügerisch. Frau Maier putzte und putzte, sie fing bereits in der Früh mit dem Schrubben und Wischen an, führte zu Mittag eine Zwischen- und am Abend eine Schlussreinigung durch, stand selbst in der Nacht auf und ließ stundenlang den Staubsauger laufen. Sie desinfizierte täglich Türschnallen und Armaturen, staubte Lampenschirme und Möbel jeden Tag mehrmals ab, kratzte mit speziellen Instrumenten Dreck aus den Fugen, saugte an Matratzen und Polstern und reinigte jeden zweiten Tag alle Fenster des Hauses. Wenn sie mit den Wohnräumen fertig war, stürzte sie sich auf Keller und Dachboden, dann auf die Gänge und die Garage. Sie argumentierte, in der Früh die Böden von Hausstaubmilben und am Nachmittag die Möbel von Sporen befreien zu müssen. Sie verbot den Kindern, im Haus zu spielen, und reagierte mit Wutanfällen, wenn jemand das Gebäude mit Straßenschuhen betrat. Besucher wies sie aus Angst vor Verunreinigung am Eingang ab, auf Klingeln reagierte sie nicht mehr. Selbst ihre Angehörigen wurden mit diversen Begründungen ausgeladen. Wenn ein Kind Brot aufschneiden wollte, reagierte sie aus Angst vor den Brosamen mit heller Panik.

Längst diente das Putzen nicht mehr dem Reinigen, sondern dem Selbstzweck ihres Handelns. Durch das viele Putzen ging der Glanz der Böden verloren, manche Materialien nahmen in Folge des ständigen Schrubbens sogar Schaden. Frau Maier putzte nicht mehr für Sauberkeit und Pflege, sondern um des Vorgangs an sich willen. Wenn sie nicht putzte, fühlte sie sich unwohl, unausgeglichen, sogar unrein und – wie sie meinte – unnütz. Das Traumhaus war zu einem sterilen Luxusgut, zu einem nicht mehr bewohnbaren Pflegestück geworden. Infolge der Putzsucht von Frau Maier existierten Partnerschaft und Familienleben nicht mehr. Eines Morgens meinte ihr verzweifelter Mann, sie könnte doch noch die Dachziegel abbürsten, was sie im Laufe des Tages tatsächlich bewerkstelligte. Ebenso setzte sie seinen zynischen Vorschlag, die Kieselsteine der Gartenwege auszusaugen und zu waschen, unmittelbar in die Tat um.

Als sich Frau Maier endlich zum Besuch eines Psychotherapeuten überreden ließ, stellte dieser neben einer zwanghaften Persönlichkeitsstruktur schwere Minderwertigkeitsgefühle, besonders gegenüber ihrem Mann, eine ausgeprägte Entlastungsdepression nach den Strapazen des Hausbaus und eine tiefe Sinnkrise fest. Durch Flucht in die Putzsucht versuchte sie sich Bestätigung und Genugtuung zu verschaffen, ihren Depressionen zu entfliehen und ihre Selbstwertzweifel zu kompensieren. Die Putzsucht wurde durch ihre Genauigkeit, ihren Perfektionismus und ihre hohen Leistungsansprüche begünstigt, ist aber weit über diese Persönlichkeitszüge hinausgegangen. Das Putzverhalten ist erst nach Bezug des neuen Hauses zum Zwang und zur Sucht geworden und hat dann den eigendynamischen Verlauf jeder Suchtkrankheit mit Steigerung der Dosis, immer rascherem Wiederholen des Verhaltens und mit Verlust der Kontrolle genommen.

Man kann fragen, weshalb sie nicht Entspannungsmedikamente genommen oder die Stimmung verbessernde Wirkung des Alkohols gesucht hat und nach Substanzen süchtig geworden ist. Wahrscheinlich hat dies mit der Symbolik des Putzens und mit dem suchtartigen Wunsch, sich neben ihrem beängstigend erfolgreichen Mann in ihrem Zuständigkeitsbereich als perfekt zu präsentieren, zu tun.

Ein junges Paar wurde mitten in der Nacht durch heftiges Pochen an der Haustür aus dem Schlaf gerissen. Als der Mann öffnete, wurde er von einem Unbekannten mit den Worten »Gib es sofort her!« attackiert und im Laufe des nachfolgenden Handgemenges mit einem Messer schwer verletzt. Auch die zu Hilfe eilende junge Frau wurde vom Eindringling brutal niedergestochen. Wie die Rekonstruktion ergab, hatte dieser nach der Messerattacke das Haus gezielt durchsucht, einen vom Ehepaar am Vortag erworbenen alten Schrank aufgebrochen und einem darin befindlichen Geheimfach, dessen Existenz den Käufern gar nicht bekannt war, etwas entnommen. Dies war nicht, wie wir vermuten könnten, ein wertvoller Schmuck, ein geheimnisvoller Schatz oder ein Bündel voller Geldscheine, nein – es war ein Brief mit Kokain.

Laut Ermittlungen handelte es sich beim bald gefassten Täter um einen 50-jährigen, strafrechtlich noch nie in Erscheinung getretenen, mehrfach beschäftigten Beamten. Neben seinem Büroberuf hatte er, mit hohen Schulden kämpfend, einen Zusatzjob als Hausverwalter und dann noch eine Drittstelle als Securitymann in einem Nachtclub übernommen. Dort kam der chronisch überlastete, ausgepowerte Mann in Kontakt mit Kokain und lernte die aktivierende, euphorisierende, jegliche Müdigkeit vertreibende Wirkung dieser Substanz kennen. Mit Kokain ging die Arbeit leicht von der Hand, er fühlte sich voll Schwung und Motivation und spürte nichts mehr von Resignation und Depressivität.

Vorerst nahm er das Kokain vereinzelt, dann an den Wochenenden, bald jeden Abend ein. Die Wirkung einer Line hielt nicht mehr so lange an. Es fiel ihm gar nicht auf, dass er das Kokain plötzlich auch an den freien Tagen nicht missen wollte. Bald war er nicht mehr fähig, ohne Kokain zu arbeiten und zu leben, er brauchte die Substanz wie das tägliche Brot und hatte das Gefühl, ohne das weiße Pulver nicht mehr zu funktionieren. Ohne Kokain wurde er unruhig, reizbar und aggressiv, auf Kleinigkeiten reagierte er panisch. Obwohl er Einnahmefrequenz und -dosis kontinuierlich steigern musste, meinte er stets, sich selbst, seine Arbeiten und auch den Drogenkonsum im Griff zu haben.

Die im Nachtmilieu erworbenen Kokainvorräte versteckte er an seinem Arbeitsplatz in einem im Abstellraum stehenden alten Schrank. Als er eines Abends, schon unter aufkommenden Entzugserscheinungen leidend, sein »Power-Pulver«, wie er es nannte, holen wollte, bemerkte er voll Entsetzen das Verschwinden des Möbelstücks. Völlig konfus verschaffte er sich Informationen zum Verkauf des Schranks und die Adresse des Käufers. Als er bei dessen Haus eintraf, habe er sich nach seinen Worten in einem »unsäglichen« Zustand, in der Verfassung »einer Bombe kurz vor der Explosion« befunden. Sein ganzes Fühlen, Denken und Handeln richtete sich nur noch auf den einen Wunsch, unter allen Umständen und ohne jegliche Verzögerung eine Line zu ziehen. Er musste nur noch ein letztes Hindernis überwinden, den sich ihm in den Weg stellenden Mann beseitigen. Dann hatte seine Qual ein Ende, dann wartete auf ihn die Befreiung. Durch nichts hätte er sich davon abbringen lassen, es gab kein Halten mehr.

Die drei Geschichten, so unterschiedlich ihre Hauptpersonen und die einzelnen Milieuumstände sein mögen, haben einen gemeinsamen Kern und eine nahezu identische Dramaturgie. Irgendetwas – eine Substanz, ein Verhalten, ein Gefühl – gewinnt im Leben eines Menschen an Bedeutung, nimmt sein Interesse gefangen, wird immer verlockender und stärker, rückt in den Mittelpunkt seines Fühlens und Wollens und ergreift von seiner Person ganz und gar Besitz. Das Individuum, das über lange Zeit dieses eine – den Alkohol, das Putzen, das Pulver – nach eigenem Gutdünken herangezogen oder auf der Seite gelassen hat, verliert die Kontrolle. Drogen und Verhaltensweisen gewinnen immer mehr Platz im Leben und Dasein, nehmen Wollen, Denken und Handeln in Beschlag und beherrschen sein Wesen schließlich ganz. Die Kräfteverhältnisse haben sich umgekehrt: Der süchtig gewordene Mensch kann nicht mehr agieren, sondern nur noch reagieren. Er wird getrieben vom Verlangen nach Drogen oder Lust bringendem Verhalten, von der Gier nach dem, was ihn süchtig macht. Er wird beherrscht vom Kampf gegen immer stärker werdende Entzugserscheinungen, von Unruhe und Nervosität, von Angst und Verzweiflung, von Agitiertheit und Panikgefühlen. Der frühere Drang, etwas zu trinken, zu tun oder zu schnupfen, ist zu einem unwiderstehlichen Zwang, zu einem alles beherrschenden, das Verhalten einengenden und bestimmenden Trieb geworden. Der süchtig gewordene Mensch kann seinen Umgang mit Rauschmitteln oder berauschendem Verhalten nicht mehr selbst bestimmen und steuern, er ist eindeutig der Schwächere, er unterliegt den Gesetzen der Sucht.

Alle drei Beispiele demonstrieren uns mehr als alle Hypothesen und Definitionen das Wesen der Sucht oder, besser gesagt, ein Hauptzeichen jeglichen süchtigen Verhaltens. Dieses liegt nicht in den noch zu erörternden klassischen Symptomen wie Dosissteigerung und Auftreten von Entzugserscheinungen, nicht in den schädlichen Folgen und auch nicht im Kontrollverlust. Das Wesen der Sucht ist die Dominanz, die irgendein Gefühlszustand oder ein Verhalten in unserem Leben bekommt. Alles andere scheint unwichtig, alle übrigen Bedürfnisse und Verpflichtungen werden nachgeordnet. Substanzen und Eigenschaften, die wir normalerweise beherrschen, entgleiten unserer Kontrolle und werden lebensbestimmend. Ein Verlangen wird zum unwiderstehlichen Impuls, ein Drang zum Zwang, eine Lust zur Sucht. Der ehemals Agierende ist nur Reagierender, er ist nicht mehr Herr oder Frau im eigenen Haus, er ist hilflos und abhängig. Der Briefträger, der seinen Dienst nicht nach Vorschrift oder Plan, sondern nach dem Diktat seines Alkoholspiegels erledigt; die Hausbesitzerin, die nicht mehr der Sauberkeit halber putzt und ihre ganze Daseinsberechtigung aus dem perfekten Reinemachen bezieht; der Kokainist, der ohne seine Droge in Panik verfällt und völlig steuerungsunfähig geworden ist: Sie alle sind abhängig geworden, sie haben das höchste Gut des Menschen – die Freiheit – verloren.

Das Wesen der Sucht

Ein bedeutsamer Mann – zumindest bei Frau und Kindern galt er als großer Manager – hatte die Alkoholkultur, das Trinken mit Geschäftsfreunden und das Feiern von erfolgreichen Abschlüssen etwas übertrieben und sich an einen regelmäßigen Konsum gewöhnt. Er brauchte Alkohol vor Konferenzen, er benötigte ihn vor wichtigen Reden, er trank ihn bald bei jedem geringfügigen und schließlich ohne irgendeinen Anlass. Die morgendliche Übelkeit besänftigte er mit einem klaren Schnaps, das aufkommende Zittern mit Rotwein, den übermäßigen Durst mit Bier. Anfangs hatte er nur mit Geschäftsfreunden und bei besonderen Anlässen getrunken, dann vermehrt am Wochenende, bald an jedem Feierabend, später auch zum Mittagessen und zwischendurch, schließlich bereits am Morgen. Er brachte es, wenn er ehrlich war, jeden Tag auf drei Liter Wein und fünf oder sechs Schnäpse.

Unbemerkt hatte er sich im Wesen verändert, war unkonzentriert und vergesslich geworden, reagierte gegenüber Mitarbeitern schroff und verlor bei Problemen leicht die Fassung. Wie bei so vielen machtvollen Persönlichkeiten, getraute sich niemand, ihn auf sein immer deutlicher werdendes Alkoholproblem und auf die Veränderungen seines Verhaltens anzusprechen. Trotz größter Bemühungen, das heißt immer stärkeren Alkoholkonsums, gelang es ihm immer weniger, die Entzugssymptome zu unterdrücken. Als besonders lästig erwies sich das zunehmende Zittern, welches am Morgen so stark ausgeprägt war, dass er ohne Alkohol keine zügige Unterschrift mehr leisten und keine Tasse Kaffee halten konnte. Der Tremor erfasste nach Fingern und Händen auch Kopf und Körper und ließ sich trotz zusätzlich eingenommener Beruhigungsmittel nicht mehr verbergen. Die Aufwachphase des neuen Tages war ein einziges Zittern, sodass er es nicht mehr schaffte, einen Beruhigungskognak zu trinken, ohne den Inhalt des Glases zu verschütten.

Findig, wie Suchtkranke stets sind, wusste sich der Mann zu helfen: Er stellte am Abend nach dem letzten doppelten Schnaps ein großes Bierglas, gefüllt mit einer Spirituose, auf sein Nachtkästchen und knotete an diesem mit alkoholberuhigter Hand ein Handtuch fest. In der Früh kniete er sich in seiner ganzen durch den nächtlichen Entzug ausgelösten Zittrigkeit vor das Nachtkästchen, legte mit einer Hand das Handtuch um seinen Hals, presste mit der anderen – zittrig, aber immerhin – das Schnaps- Bierglas auf dem Untergrund fest, öffnete den Mund und musste nur mehr ziehen. Die Schnapskaskade, die sich mehr oder weniger vollständig in seinen Mund ergoss, beruhigte ihn so weit, dass er die Krawatte binden, die Mitarbeiter forsch zurechtweisen und leserliche Unterschriften leisten konnte.

Das eigentliche Wesen der Sucht liegt, wie ausgeführt wurde, in der Dominanz und Übermacht von Suchtmittel und Suchtverhalten sowie im damit einhergehenden Autonomieverlust des konsumierenden Individuums. Zur Sucht gehören aber noch drei weitere charakteristische Elemente, die in jeder Definition genannt werden: die Notwendigkeit der Dosissteigerung mit Entwicklung einer Toleranz, das Auftreten von Entzugserscheinungen, wie sich dies im angeführten Fall so eindrucksvoll gezeigt hat, und der sogenannte Kontrollverlust.

Dosissteigerung oder nicht genug kriegen können

Ein Süchtiger braucht immer mehr von dem, was ihn befriedigt oder berauscht. Während bei einer Gewohnheit irgendwann eine bestimmte Dosis erreicht ist und dann beibehalten wird, gibt es bei der Sucht nach oben praktisch kein Ende. Der tägliche Kaffeekonsum beschränkt sich vielleicht auf fünf bis sechs Tassen, bei denen es kontinuierlich bleibt. Die tägliche Zigarettenzahl hat sich beim Raucher auf einem bestimmten Level eingependelt und wird über Jahre hinweg kaum mehr überschritten. Alkoholiker und Spielsüchtige benötigen aber immer mehr. Die erwünschte Wirkung wird nur erreicht, wenn die konsumierte oder eingesetzte Menge gesteigert und die Frequenz des süchtigen Handelns erhöht wird. Der später Alkoholabhängige hat auch irgendwann einmal mit einem Bier oder einem Achtelliter Wein begonnen. Am Höhepunkt seiner Krankheit braucht er dann vielleicht 30 Flaschen Bier oder vier Liter Wein, um sich zu beruhigen, um überhaupt eine Wirkung zu spüren und um die Entzugserscheinungen unterdrücken zu können. Er hört mit der Zufuhr des Rauschmittels erst auf, wenn er im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr kann. Beim Spielen steigen die ursprünglich kleinen Einsätze ins Unermessliche, nur noch Höchstsummen bringen Kitzel und Spannung, alles darunter wirkt uninteressant und langweilig.