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Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich
SOZIALPHILOSOPHIE

Transformationen der Weltgesellschaft: Globalisierung und Philosophie

Dr. phil. Michael Reder

1. Die Renaissance als eine Frühform von Globalisierung

Nikolaus von Kues, einer der bedeutendsten deutschen Philosophen und Theologen, lebte im 15 Jahrhundert. Er wurde 1401 Bernkastel-Kues an der Mosel, woher auch sein Name stammt, geboren. Neben der Theologie und der Philosophie befasste sich Nikolaus Cusanus auch mit den Naturwissenschaften und der Mathematik und war zudem politisch tätig. Als Bischof setzte er sich für politische Belange ein und befeuerte die Debatten über neue Konzilstheorien mit eigenen Vorschlägen. Die Renaissance, zu deren Zeitgenossen der Universalgelehrte gehörte, gilt bei vielen Entwicklungshistorikern als eine erste Phase der Globalisierung.

Verschiedenste Entwicklungen dieser Zeit weisen Ähnlichkeiten zur heutigen Form der Globalisierung auf. Die Entdeckung Amerikas und der Ausbau verschiedener Schifffahrtsrouten veränderten den Transportsektor, was nicht ohne ökonomische Folgen blieb. Durch die neuen Handelsrouten zu Wasser und Land entstanden Handelsstrukturen zwischen Europa und den neu entdeckten Regionen der Welt. Dabei entwickelte sich mit der Geldwirtschaft ein neues Wirtschaftssystem. Geld setzte sich zu dieser Zeit in Europa und damit der Welt als allgemeines Zahlungsmittel durch.

Auch auf politische Ebene fanden Umbrüche statt. Die Spannungen zwischen Papst und Kaiser führten zur Trennung zwischen der Sphäre der Religion und der Politik – eine Frühform dessen, was wir heute als Trennung zwischen Staat und Kirche bezeichnen. Daneben darf die naturwissenschaftliche Forschung mit ihren technischen Neuerungen nicht vergessen werden, die auf vielen Feldern das alltägliche Leben revolutioniert und verändert hat.

Nikolaus von Kues hat in drei Dimensionen eine Antwort auf diese Frühform der Globalisierung gegeben. Erstens hat er eine Erkenntniskritik formuliert. Er war der Auffassung, die Welt könne, da sie ein kompliziertes und dynamisches Netzwerk sei, von menschlicher Erkenntnis nicht eins zu eins abgebildet werden. Menschliches Sprechen ist in seiner Perspektive immer begrenzt, und es muss auf diese Grenzen reflektieren, da sich die Horizonte so massiv erweitert haben. Deswegen entwickelte Nikolaus von Kues Frühformen von Interdisziplinarität - wie man heute sagen würde – zwischen Naturwissenschaften, Philosophie, Theologie, Recht und Politik. Damit versuchte er seine eigenen Erkenntnisbegrenzungen wissenschaftlich durch Einsichten anderer Disziplinen wieder zu ergänzen. Die zweite Dimension ist in der ersten schon angedeutet: Welt wird von Nikolaus von Kues als großes Netzwerk verstanden. Die Welt begreift er als ein großes relationales Gefüge, das aus vielfältigen interdependenten Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen unterschiedlichen Regionen, Akteuren und Institutionen besteht. „Alles hängt mit allem zusammen“ – so lautet einer der Kernbotschaften von Nikolaus von Kues.

Die dritte Antwort auf diese Frühform der Globalisierung betont die Bedeutung von Kommunikation und Dialog. Für eine Orientierung im Feld des Sozialen und der Politik ist es wichtig, dass Menschen miteinander kommunizieren und fragen, was andere Perspektiven auf die Welt sind und wie gemeinsam anstehende Probleme gelöst werden können. In dieser Perspektive entwickelt er eine neue Konzilstheorie, die im 15. Jahrhundert revolutionär war.

Nikolaus von Kues hatte letztlich einen Ansatz zur Strukturierung des Konzils vorgelegt, die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Realität in der Kirche wurde und stark auf den gemeinsamen Dialog der Bischöfe, Priester und Christen setzte.

2. Merkmale der heutigen Globalisierung

Globalisierung, so meine Ausgangsthese, ist heute eine Umbruchsituation, die große Ähnlichkeiten zu der frühen Globalisierung der Renaissance hat. Die Form ist natürlich eine andere, vor allem mit einer deutlich größeren Reichweite. Es finden sich aber ganz ähnliche Merkmale, beispielsweise im Bereich des Transports. Man denke an die Etablierung der großen Containerschiffsrouten weltweit oder den Luftverkehr, der enorme Veränderungen für die Wirtschaftswelt gebracht hat.