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Dr. Wolfgang Issel

Kopf und Bauch:

Ein Team!

Erfolg und Lebensfreude

Copyright: © 2017 Dr. Wolfgang Issel

Lektorat: Entwicklungslektorat Thomas Hoffmann

www.publi4all.de

Satz: Erik Kinting

Cover: design@elementi-studio.com

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

Teil 1: Das Gedankenmodell

Jeder hat seine eigene Realität

Unsere Software beinhaltet keine festen Maßstäbe

Ohne Information gerät die Software in Panik

Die Software setzt Prioritäten

Multitasking?

Was steuert mich?

Ohne seelische Energie läuft nichts

Unsere Software achtet auf körperliche und seelische Effizienz

Belohnung

Genetisches Potenzial

Quellen seelischer Energie

Existenzielle Bereiche 1 – 5

Soziale Bereiche 6 – 10

Die Software ist in Schichten aufgebaut

Wer hat das Sagen?

Kopf und Bauch

Investition und Erfolgsaussicht

Wem dient die Software?

Effizient sein

Pegel an seelischer Energie, Lebensgefühl und Verhalten

Ausgeglichene Seelenlage

Euphorie

Leichtes Defizit

Akutes seelisches Defizit

Schweres seelisches Defizit

Depression

Teil 2: Folgerungen aus dem Modell

Der seelische Abstieg beschleunigt sich von selbst, der Aufstieg auch

Ideologien

Schubladendenken

Rückentwicklung

Der Glaube an eine höhere Instanz

Placebo

Flucht

Soziale Unterstützung

Aggression

Schmerz und Krankheit

Burnout

Panik

Mangelnde soziale Kompetenz

Das Gute und das Böse

Macht

Extremes Verhalten und Gewalt

Kriminalität

Schuld

Verantwortung

Freiheit

Der freie Wille

Seelische Wirksamkeit

Überhöhung

Seelisches Management

Kompensation

Offenheit

Wunschgewicht

Strategisches Denken

Kooperation

Teil 3: Wege zur Ausgeglichenheit

Bedürfnisse

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Glaube

Relativieren

Vorurteile, Schubladendenken und schädliche Ideologien überwinden

Die seelisch positive Wirkung erhöhen

Positive Aspekte betonen

Selbstkritik

Die richtigen Prioritäten

Kooperation zwischen Kopf und Bauch

Genüsse

Gewohnheiten

Zurücksetzen

Variation und Kombination

Veränderte Umgebung

Aggression und Macht

Mann und Frau

Familie

Stress mindern

Teil 4: Schlussfolgerungen

Nachbemerkung

Literaturverzeichnis

Bildverzeichnis:

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser!

In diesem Buch beschreibe ich menschliches Fühlen und Verhalten aus einer modernen Sicht. Die Vorgänge im Kopf zu kennen, von denen man Tag für Tag gesteuert wird, könnte dies das Leben nicht sehr erleichtern? Sich nicht mehr ausgeliefert zu fühlen, sondern bewusst Einfluss darauf zu nehmen? Durch neue Einsichten seine fachlichen und sozialen Fähigkeiten deutlich aufzurüsten? Frühzeitig ein seelisches Abgleiten zu erkennen und Wege zu finden, wieder Tritt zu fassen?

Die in diesem Buch zusammengefassten Erkenntnisse können unseren elementar gesteuerten "Autopiloten Bauch" um mit dem Verstand gesteuerte Einsichten erweitern. Mit der Zeit wird das Gelernte ganz unbewusst in das tägliche Denken und Handeln übernommen. Dies macht die "menschliche Entwicklung" aus.

Den ersten Teil des Buchs widme ich dem Verhalten des Menschen im Lichte eines anschaulichen Gedankenmodells. An Beispielen zeige ich, wie und wann uns unser Gehirn durch unsere Gefühle steuert und welche Auswirkungen dies auf unser Realitätsempfinden, unser Verhalten, unsere Motivation und unser Lebensgefühl hat.

Im zweiten Teil beschreibe ich die Auswirkungen dieser Steuerung auf den persönlichen Alltag, Gesellschaft und Politik.

Und im dritten Teil zeige ich Ihnen, wie Sie dieses Wissen zu Ihrem Besten einsetzen können, um sich seelisch aufzubauen und eine Balance in Ihrem Leben zu finden.

Der vierte Teil schließlich ist der gesellschaftlichen Entwicklung gewidmet, die sich zukünftig aus dem Gedankenmodell ergeben könnte.

Sicherlich sind Themen dabei, die Sie persönlich interessieren: Burnout, Wunschgewicht, Freier Wille, Glaube, Energie, Stress, soziale Kompetenz und viele mehr.

Nun wünsche ich Ihnen so viel Freude bei der Lektüre, wie ich beim Schreiben hatte. Ich bitte Sie, mir Kritik oder Anregungen per Mail zu senden an:

wolfgang-issel@web.de

Im Internet ist eine Diskussionsplattform (BLOG) eingerichtet unter der Adresse:

http://wolfgang.issel.info/

Ihr

Wolfgang Issel

Teil 1: Das Gedankenmodell

Jeder hat seine eigene Realität

Sie kennen das bestens, verehrter Leser: Etwas passiert: "War das knapp! Wir drei Schüler auf dem Fahrrad. Fast hätte uns das Auto erwischt. Dieser Penner! Wenn der nicht noch gebremst hätte". – "Hat er doch gar nicht!" – "Aber klar, der Opel hat gebremst. Es hat gequietscht." – "Hat es nicht. Wir haben gebremst und das war ein grauer Mercedes." – "Nie im Leben."

Jeder von uns hatte die Realität komplett anders wahrgenommen: Schön und gut, wir waren Schüler! Aber auch Zeugenaussagen von Erwachsenen gehen oft weit auseinander. Und wie das während meines Studiums fröhlich weiterging mit der "Realität", hat mich doch überrascht:

„Wissen Sie was?", höre ich meinen damaligen Professor noch sagen, "heute Nacht habe ich wieder wach gelegen und da ist mir eine neue Idee gekommen. Die muss ich Ihnen gleich erzählen." Ok, dachte ich, Genies wie er müssen nachts so gut wie immer wachliegen. Keine Zeit zum Nicht-Denken. Irritierend nur, dass er anschließend etwas unbeholfen versuchte, mir meine Idee zu erklären, die ich ihm bereits eine Woche zuvor mitgeteilt hatte: einen neuen Weg, den Wasserhaushalt eines Orangenbäumchens elektrisch zu messen und aus diesen Daten dessen Bewässerung zu steuern.

Leider beging ich den Fehler, ihn auf diese Sachlage hinzuweisen. Zutiefst beleidigt stürzte er aus dem Zimmer und schickte seinen Personalchef vorbei, der mir erklärte, der Institutsleiter betrachte unser Vertrauensverhältnis als nachhaltig gestört, sofern ich weiter darauf beharren sollte, "seine" Idee als die meine auszugeben. Wie sollte ich mit solch einem Menschen umgehen? Denn bei diesem Professor, der offensichtlich ernsthafte Probleme mit der Realität hatte, machte ich meine Diplomarbeit. Er nutzte jede Möglichkeit seine "Genialität" zu präsentieren. In seiner Welt gab es kaum Objektives, nur das Wunschdenken, der Größte zu sein.

Meine Irritation gab mir als Physiker den Anstoß, mich mit dem menschlichen Verhalten zu beschäftigen. Über die Jahre habe ich dafür ein neues Erklärungsmodell entwickelt.

Doch zurück zum Anlass! War nicht alles, was ich sah, hörte und überhaupt mit meinen Sinnen auffasste, die "wahre" Realität? Und musste nicht jeder andere genau dasselbe "wahrnehmen"? So wie es ein paar Video-Kameras ganz selbstverständlich tun und stets die gleiche Aufnahme liefern?

Wie kam die von Mensch zu Mensch so unterschiedliche Interpretation der Realität zustande? Als Physiker schloss ich daraus, dass das Gehirn nach eigenen Grundsätzen und sehr zielführend Wahrnehmung und Verhalten seines Trägers "berechnen" musste. Anders hätte die Menschheit wohl nicht überleben können.

Steven Hawkings sagte in einer Fernsehsendung zum Thema "Sinn des Lebens":

ImageUnser Körper (und damit auch das Gehirn) ist die Hardware, unser Geist die Software.

Im Gehirn musste es offensichtlich eine Software geben, die die objektive Situation zur subjektiven Wahrnehmung interpretierte. Aber nach welchen Kriterien?

Immerhin herrschte diese Software über eine Hardware von etwa 100 Milliarden Neuronen (Nervenzellen) im Gehirn, mit je rund 10.000 Verbindungselementen für die Hauptaufgaben Wahrnehmung, Erinnerung, Verhaltensberechnung und körperliche Ausführung.

Ich fragte mich stets, welchen Vorteil es hätte, seine eigene Software zu kennen, zu wissen, nach welchen Prinzipien diese das Verhalten errechnet, das eigene und das von Anderen?

Besser, ich verstehe etwas

Der kleine Max steht fasziniert an einem Rasenstück, auf dem ein Mäh-Roboter kreuz und quer hin- und herfährt. Er kann nicht verstehen, warum der Roboter den Rand der Grünfläche nicht überfährt.

Warum hält der und kehrt um? Der Vater zeigt seinem Sohn das Kabel, das rund um die zu mähende Fläche verlegt ist. Wenn der Roboter am Rand der Fläche angekommen ist – erklärt er – nimmt er die Signale des Kabels auf und weiß, dass er umkehren muss. So ist er programmiert.

Wenn ich also das anschließende Stück Rasen auch gemäht haben möchte, muss ich das Kabel einfach auch um die andere Fläche herum legen, sagt sich der pfiffige Max.

Die eigene Software zu kennen, von der man Tag für Tag gesteuert wird, könnte dies das Leben nicht sehr erleichtern? Könnte man auf deren Wirken vielleicht sogar bewusst Einfluss nehmen?

Um sich mit der Sicht einer menschlichen Software etwas anzufreunden, hier ein paar leicht an sich selbst zu beobachtende Beispiele für deren Wirken.

Unsere Software beinhaltet keine festen Maßstäbe

Die menschliche Software verfügt über keine absoluten Fixpunkte oder Maßstäbe, sondern sieht alles im Vergleich. Sie braucht externe Anhaltspunkte, sogenannte Anker, an denen sie sich orientieren kann. Nicht einmal, was "groß" ist oder "klein", lässt sich leicht beantworten. Ein Hühnerei ist neben einer Melone klein, neben einer Nuss hingegen groß.

Mein Auto ist größer

Paul hat gerade sein Weihnachtsgeschenk ausgepackt: ein Polizeiauto. Er ist hellauf begeistert. Aber nicht lange. Denn sein kleiner Bruder Jonas öffnet sein Päckchen und was kommt heraus? Ein Feuerwehrauto. Das ist größer als sein Polizeiauto. Der kleine Jonas triumphiert, Paul ist stocksauer. Obwohl er – absolut gesehen – doch ein schönes Polizeiauto bekommen hat. Doch das zählt nicht. Das Feuerwehrauto ist größer. Und das zählt.

Die klassische Frage: Was würdest du für dieses schwarze Kästchen bezahlen: zehn, hundert oder tausend Euro? Keine Ahnung. Ja, was kann es denn? Nun, es kann ähnlich wie ein Videorecorder Filme zeigen, nur viel besser und es ist bequemer zu bedienen. Kaum ist das Stichwort Videorecorder gefallen, lässt sich die Preisklasse auf wenige hundert Euro eingrenzen. Es gibt nun einen Anker, an dem sich die Software orientieren kann. Gib ihr einen beliebigen Fixpunkt und sie wird sich darauf beziehen. Eine für das tägliche Leben sehr positive Eigenschaft, die aber auch Probleme bereiten kann.

Wenn wissentlich falsche Orientierungsanker gesetzt werden, ist der Manipulation Tür und Tor geöffnet.

Hinreichend bekannt ist folgender Geschmackstest für Wein (1): Im Weingenuss ungeschulte Probanden sollten verschiedene Weine auf ihren Geschmack hin prüfen und nach empfundener Qualität ordnen

Da gab es Weine von 8 € bis zu 90 € die Flasche. Das Ergebnis: Die „teuren“ Weine wurden als besonders geschmackvoll und hochwertig beurteilt, die "billigen" fielen dagegen völlig ab. So weit, so gut.

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Nur handelte es sich in allen Flaschen um den gleichen Wein. Lediglich die Etiketten waren "teuer" oder "billig" gestaltet worden.

Geruchs- und Geschmackssinn hatten nicht genug auswertbare Signale geliefert, daher stellte die Preisangabe für die hilflose Software den einzigen verwertbaren Beurteilungsanker dar. Das Experiment soll übrigens mit Weinkennern ganz ähnlich verlaufen sein.

Sich an nur einem Anker festzuhalten und nicht das Ganze zu sehen, ist eine weitere auffällige Schwachstelle der menschlichen Psyche. Das mag die folgende Episode illustrieren.

An der falschen Stelle gespart

Theo hat seine Freundin Charlotte zu einem Theaterbesuch eingeladen. Das Parken in der Theatergarage kostet vier Euro für den Abend. Das ist Theo "zu teuer". Er sucht und findet stattdessen einen kostenlosen Parkplatz in der Umgebung und freut sich über die Ersparnis.

Doch Charlotte trägt hohe Schuhe und ein helles Abendkleid. Sie gehen gute zehn Minuten zu Fuß zum Theater. Es beginnt zu regnen. Im Theater ist die Stimmung dann nass und unterkühlt.

Warum setzt Theo seine Einsparung nicht in Relation zu den Theaterkarten (60 Euro) und zum Zweck seiner Einladung? Die eingesparten vier Euro ruinierten den ganzen Abend. Und was soll Charlotte mit einem geizigen Mann, der nicht daran denkt, wie sie sich fühlt?

Es gilt also, die Dinge ins Verhältnis zu setzen und das Ganze im Blick zu haben. Um Unzulänglichkeiten der Software auszugleichen, ist ein vorheriges Nachdenken nötig.

Ohne Information gerät die Software in Panik

Stellen Sie sich vor, Sie säßen wie der Eingeborene auf dem Cartoon am Lagerfeuer und brieten sich frohgemut eine eben erbeutete Echse.

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Plötzlich hinter Ihnen ein Knacken im Gebüsch. Ein Knacken, das Sie in dieser Art noch nie gehört haben. Es ist in Ihrem Gedächtnis nicht abgespeichert. Mit diesem Knacken können Sie einfach nichts anfangen. Also was tun? Vielleicht sitzenbleiben und hoffen, dass dieses Knacken schon keine ernsthafte Gefahr darstellen wird? Nicht ausschließen können, dass es ein Säbelzahntiger ist, der sich von hinten anschleicht?

Sie stammen sicherlich nicht von jenen ab, die bei einer noch so vagen Bedrohung sitzen geblieben sind. Daher gibt es nur Eines: Schnellstens auf den nächsten Baum!

Von oben sehen Sie ein kleines Wildschwein davonrennen. Also das war es! Beim nächsten Mal werden Sie dieses Knacken einem Wildschwein zuordnen und Ihren Speer einsetzen, anstatt zu flüchten. Gleichwie: Überleben hat absoluten Vorrang.

ImageOhne verwertbare Informationen legt unsere Software den ungünstigsten Fall für die Verhaltensberechnung zugrunde.

Bei fehlender Kenntnis gleich vom Schlimmsten auszugehen, ist eine in Extremsituationen lebenserhaltende Funktion der Software. Im Normalfall kann diese Eigenschaft aber eine unangepasste, oft panikartige Überreaktion auslösen.

Das Schlimmste

"Sind Sie Herr Maier?", fragt die Polizei an der Haustür. "Ist den Kindern etwas passiert?", lautet sofort die panische Gegenfrage. "Nein, nur eine Umfrage wegen der Einbrüche hier." Entspannung.

Die Software setzt Prioritäten

Man hat schon oft gehört, menschliches Verhalten werde von so vielen Einflussgrößen bestimmt, dass es nie und nimmer möglich sein wird, dieses auch nur näherungsweise zu beschreiben, geschweige denn zu „modellieren“.

Wirklich? Aber was tut denn unsere Software unablässig? Sie modelliert unser Umfeld, verarbeitet in jeder Sekunde eine Unzahl von Daten, die unsere Sinne liefern. So wird das von der Software konstruierte Modell zu unserer Realität. Die Datenflut kann die Software nur bewältigen, indem sie Prioritäten setzt. Nur das Wichtigste wird dazu verwendet, die Situation zu erfassen und das Verhalten zu berechnen. Und so kann das große Ganze schnell verloren gehen!

Das Wichtigste zuerst

Eine Besprechung: Ein bestimmtes Bedürfnis drängt schon eine ganze Weile. Konzentriert auf ein wichtiges Thema merkt man so gut wie nichts davon. Dann ein echt langweiliger Beitrag. Sofort verlagert sich die Priorität und man sucht schnellstens die Toilette auf.

Oft wird der Vorgang der Verhaltensberechnung im Gehirn mit dem komplexen Entstehen des Wetters verglichen. Der Flügelschlag eines Schmetterlings am Amazonas beeinflusst das Wetter auf der ganzen Welt. Beim Wetter tauschen sich auch kleinste Energiemengen zwischen den Luftmolekülen aus. Auch die eines Schmetterlings. Und sie wirken sich aus, wenn auch schwach.

Bei den Neuronen im Gehirn ist dies nicht so. Eingangssignale müssen bei Nervenzellen eine bestimmte Schwelle überschreiten, damit ein Ausgangsimpuls entsteht. Unterhalb dieser Schwelle tut sich gar nichts. Kleinigkeiten werden ignoriert. So wird die Komplexität der zu verarbeitenden Signale vermindert. Um Energie zu sparen reduziert die Software im seelischen Defizit die Komplexität noch weiter. Sie geht sogar dazu über, das Verhalten nur mit Daten erster Priorität zu bestimmen.

Und wenn nichts Wichtiges ansteht? Macht nichts! Die Software stilisiert dann auch Unwichtiges zur ersten Priorität hoch. Beispielsweise die unverschämte Fliege an der Wand oder Nachbars Katze, die schon wieder auf dem Rasen rumläuft. Lächerliche Unpässlichkeiten gewinnen formatfüllende Bedeutung: Hat sich nicht eben mein großer Zeh gemeldet? Sicherlich werde ich an Gicht sterben.

Schmerzen

Joachim hat schwere Sorgen. Er „hat Rücken", kann sich nur mühsam unter Schmerzen bewegen. Bald dreht sich alles nur noch um Orthopäden, Physiotherapeuten und Spritzen zur Linderung. Seine Software beschäftigt sich mit nichts anderem mehr. Der Rücken hat sich die erste Priorität geholt. Nur in weniger schmerzgeplagten Phasen kann er sich überhaupt um Anderes kümmern.

Image Für die Software gilt die Regel: Das Wichtigste zuerst.

Multitasking?

Versuchen Sie doch mal, Dinge wirklich gleichzeitig zu tun. Schnell zeigt sich, dass Sie das nur bedingt können. So ist es nicht empfehlenswert, am Steuer eines fahrenden Autos mit dem Handy zu telefonieren. Denn die Priorität ist stets dort, wo gerade das größte Interesse des Organismus liegt. Es wird nichts wirklich parallel verarbeitet, sondern schön brav das eine und dann das andere. Und das dauernde Umschalten der Aufmerksamkeit frisst die Energie sozusagen körbeweise weg. Das geht nicht lange gut. Die Leistung sinkt.

Je fesselnder das Telefonat, desto mehr gerät das Autofahren in den Hintergrund. In einer kritischen Verkehrssituation fehlt der Software dann die Zeit, ihre Ressourcen schnell genug wieder auf das Fahren zu konzentrieren. Die Wahrscheinlichkeit, in einen Unfall verwickelt zu werden, steigt. Ob es ein Streitgespräch, die süße Freundin oder ein Telefonat mit der Tante ist: Je stärker die Ablenkung, desto geringer die Fahrtüchtigkeit.

Im täglichen Leben ist Multitasking der Energiefresser schlechthin und oft langfristige Ursache für einen Zusammenbruch. Bei weitem effizienter ist es, klare Prioritäten zu setzen und diese Schritt für Schritt abzuarbeiten.

Auch Entscheidungen laufen darauf hinaus, zwei oder mehr Optionen hin- und herspringend zu vergleichen um ein Optimum zu finden. Daher verbrauchen Entscheidungen auch extrem viel seelische Energie.

Im Grunde funktioniert Multitasking nicht. Nichts von allem wird wirklich richtiggemacht.

Was steuert mich?

Dass unsere Software sehr spezielle Eigenschaften hat und unsere Wahrnehmung stark modifiziert, ist offensichtlich. Aber nach welchen Kriterien? Es waren vielfach selbst erlebte Ausnahmesituationen, die mich in meinen Überlegungen weiterbrachten.

Sophie war jung, schön und überaus begehrenswert. Wie verliebt ich in sie war! Skeptische Bemerkungen von Freunden ließ ich nicht gelten, für mich war sie ein Engel. Im Rausch der Gefühle sah ich gleich die ganze Welt in Rosarot.

War ich aber in melancholischer Stimmung oder im Stress, legte sich ein dunkles Tuch über alles. Die schönsten Dinge des Lebens drangen nicht mehr zu mir durch, bauten meine Seele nicht mehr auf. Stattdessen machten sich bedrückende Ängste breit. Meine Software bestimmte also auch über meine Gefühle? In objektiv gleichen Situationen konnte sie mich entweder aufbauen oder niederdrücken.

Damals fuhr ich ein kleines englisches Cabrio, einen MG-B, der mir sehr ans Herz gewachsen war. Der schöne Griff um das Leder am Lenkrad. Wann immer die Sonne schien, fuhr ich ohne Dach durch die Welt, am liebsten mit meiner geliebten Sophie neben mir.

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Einmal bin ich allein unterwegs und hänge auf der Landstraße hinter einem anderen Wagen, Ford Taunus 12m. Objektiv gesehen fährt der mit durchaus angemessener Geschwindigkeit. Ich habe Zeit im Überfluss. Allein das Fahren mit meinem schönen Wägelchen könnte die reine Freude sein.

Doch hat der Tag nicht gut angefangen. Ich komme mit Sophie nicht mehr zurecht. Sie ist unzufrieden, ich kann ihr nichts mehr recht machen und weiß nicht einmal warum. Denn sie sagt nichts.

Ich fühle mich hilflos. Ich spüre geradezu körperlich, wie sich Wut in mir breitmacht und auf meine Seele drückt. Irgendetwas muss passieren, sonst platzt mir noch der Kragen.

Plötzlich der überraschende Impuls aus dem Bauch heraus: Wie lange willst du diesem lahmen Trödler denn noch hinterherfahren? Der Taunus stinkt, überhol’ den doch endlich! Die Straße schlängelt sich in leichten, aber unübersichtlichen Windungen dahin. An Überholen gar nicht zu denken.

Doch die innere Stimme gibt nicht nach, tief aus meinem Bauch drängt sie, es dem Trödler da vorne "mal zu zeigen". Mit dem kleinen Flitzer schaffst du das mit links, 95 PS!

Welcher Widerstreit! Mein Verstand will einschreiten, warnt vor dem hohen Risiko. Wenn es schiefgeht, kann es tödlich sein. Und was hast du gewonnen, wenn es gut geht? Ein paar lächerliche Sekunden vielleicht. Du wärst bescheuert, ein solches Risiko einzugehen! Aber irgendetwas dreht den warnenden Verstand immer leiser, bis er schließlich der auftrumpfenden Stimme aus dem Bauch nachgibt.

Auf Teufel komm' raus Vollgas gegeben und ausgeschert.

Aber der Wagen zieht nicht ganz so schnell wie erwartet durch. Eine vorher nicht bemerkte leichte Steigung. Die nächste Kurve viel zu schnell erreicht. Wenn jetzt einer entgegenkommt? Und tatsächlich! Ich im letzten Moment panisch eingeschert, der Trödler muss hart bremsen, mein MG-B bricht aus, schlingert und lässt sich nur mit Mühe wieder auf Kurs bringen. Der Taunusfahrer hupt verärgert – aus gutem Grund!

Ich bin fix und fertig. Ich hatte gerade mein Leben und das anderer zwanghaft und fahrlässig aufs Spiel gesetzt! Warum eigentlich? Mein Bauch hatte mich dazu aufgefordert, es dem Trödler mal zu zeigen. Die paar gewonnenen Sekunden waren sicherlich nicht der Grund. War ich noch bei Trost?

Ich fühlte deutlich: Mein Bauch, meine Software, brachte mich dazu, Macht auszuüben. Und irgendwann wurde mir klar, dass es meine grenzwertige Seelenlage sein musste, die mich zwang, dieses irre Risiko einzugehen. Ich konnte nichts dagegen tun. Gar nichts.

Dieses russische Roulette konnte keinesfalls in meinem Interesse gewesen sein! Aber in wessen Interesse dann? Konnte es denn sein, dass meine Software unter dem Zepter eines noch höheren Interesses stand? Einer Instanz, die mich und mein Verhalten nach eigenen Kriterien manipulierte? In ihrem Interesse, nicht in meinem?

Später erklärte ich es mir so: Mein seelisches Konto war spürbar leer. Meine Software fokussierte sich darauf, meinen seelischen Pegel um jeden Preis wieder anzuheben. Es ging einzig und allein darum, mir durch diese Machtausübung des Überholens seelische Energie zuzuführen und damit meinen drohenden seelischen Zusammenbruch zu verhindern. So wurde beim Überholen des Taunus im Grunde mein Auto nicht durch mich gesteuert sondern durch meine Software.

Ohne seelische Energie läuft nichts

Seelische Energie, auch psychische Energie genannt, was soll man darunter verstehen? In der Fachwelt ist seelische Energie ein höchst unscharfer, nicht eindeutig definierter Begriff. Eine einfache Frage: Wie gewinnen wir seelische Energie und wie verlieren wir sie?

Wir vergleichen: Schon beim Aufwachen scheint die Sonne und der Morgenkaffee mit der wohlgelaunten Familie schmeckt Ihnen vorzüglich. Die Verkehrslage ist bestens. Im Büro wartet eine motivierende Aufgabe auf Sie und Ihre Kollegin hat Kuchen mitgebracht. Seelische Energie fließt Ihnen reichlich zu: Ein guter Tag.

Oder: Regenwetter und Kopfschmerzen ziehen Sie runter, die Kinder nerven schon beim Frühstück. Der Verkehr ist chaotisch. Sie sind zu spät, der Chef braucht Sie dringend, eine lästige Besprechung steht an und die Kollegin ist kurz angebunden. Ihnen fließt seelische Energie in Strömen ab: Ein ausgesprochen mieser Tag.

Belohnungen und gute Aussichten tun der Seele gut, Frustrationen und schlechte Perspektiven rauben ihr Energie. So meine ersten Erklärungsversuche.

In diesem Buch gehe ich weiter. Nach meiner Überzeugung liegt es in der Natur des Menschen, einerseits durch "Erfolge" möglichst viel seelische Energie zu erarbeiten. Andererseits sollte er möglichst wenig seelische Energie durch "Fehlinvestitionen" und der daraus folgenden Enttäuschung und Frustration verlieren. Der Idealzustand ist ein ausgeglichenes seelisches Konto ohne Schuldenstand.

Ich fragte mich zuerst, worin der Unterschied zwischen körperlicher und seelischer Energie bestand. Dabei hatte ich stets das Bild vor Augen: Ein muskelbepackter, kräftiger Kerl hing wie ein Häufchen Elend herum, weil ihn seine Freundin verlassen hatte. Die Trennung kostete ihn viel seelische Energie, sein Konto war komplett leer. Körperliche Energie hatte er im Überfluss. Doch er konnte sie augenscheinlich nicht einsetzen, weil ihm der seelische Antrieb fehlte. Somit ist klar:

Seelische Energie wird zur Steuerung des Organismus und Berechnung des Verhaltens gebraucht und körperliche Energie der Muskeln für die Ausführung.

Seelische Energie ist der Brennstoff für unser Empfinden und die Steuerung unseres Verhaltens. Wenn mein seelischer Akku leer ist, kann ich wie beim Handy keine Informationen mehr empfangen oder senden. Auch die Navigation und meine Apps funktionieren nicht mehr.

Fazit: Ohne seelische Energie ist weder Empfindung noch Steuerung möglich. Es gibt keine Motivation, tätig zu werden. Der Zusammenbruch droht.

Unsere Software achtet auf körperliche und seelische Effizienz

Reicht es aus, auf irgendeine Art seelische Energie zu erwirtschaften? Sicher nicht, und unter dem Risiko eines katastrophalen Abflusses – wie beim Überholen mit dem MG-B – gleich gar nicht. Unsere Software achtet im Normalfall streng darauf, seelische Energie mit möglichst geringem Aufwand und Risiko zu erwirtschaften.

Effizienz ist der Erfolg einer Aktion im Verhältnis zum erbrachten Aufwand. Je billiger Hans sein iPhone erstehen kann, desto effizienter ist sein Kauf; oder wenn er zum gleichen Preis eines mit höherer Leistung bekommen kann.

In der Natur herrscht ganz offensichtlich das Effizienzprinzip: Eine Spezies, die ein Maximum an Erfolg mit möglichst wenig Aufwand erzielt, ist erfolgreich. Sie setzt sich auf Dauer durch. Besonders wenn die Ressourcen begrenzt sind.

In einer Konkurrenzsituation vermindert Energieverschwendung die Chancen. Daher kommt der Drang Energie zu sparen.

Zum Beispiel durch Abkürzungen. Auf kürzestem Wege von A nach B zu kommen.

Trampelpfad

Ein neuer Bau ist auf dem Campus errichtet worden. Den Fußgängern ist jedoch eine Grünfläche im Weg. Sehen Sie in der folgenden Abbildung, was passiert.

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Das linke Bild zeigt die ursprüngliche Wegeplanung. Die Fußgänger sollen in erbaulichem Bogen um die Rasenfläche herumgehen.

Wenige Tage nach der Eröffnung kürzen effizient handelnde Individuen den Weg ab und eröffnen einen Trampelpfad durchs Grün. Kein Mensch macht sich fortan noch die Mühe, den gepflasterten Gehweg um die Fläche herum zu benutzen (mittleres Bild).

Der Verwaltung bleibt nichts anderes übrig, als die Wegeführung quer durch die Grünfläche zu legen. Effizient ist eben der kürzeste Weg, um schnell von A nach B zu kommen. Wir lassen uns doch nicht durch planerische Vorgaben im Kreis herumführen!

ImageUnsere Software ist auf höchstmögliche Effizienz ausgelegt.

Das Prinzip der Effizienz ist so durchgängig, dass es nicht nur für den Menschen als Ganzen gilt, sondern sogar für dessen Bausteine wie Knochengerüst, Organe oder das Gehirn.

Betrachtet man etwa, wie ein Muskel vom Organismus "verwaltet" wird, stellt man fest, wie seine Tätigkeit ebenfalls auf Effizienz ausgerichtet ist. Wird der Muskel stark aber tragbar in Anspruch genommen, verstärkt ihn der Organismus. Er vergrößert sich, was sich bei Leistungssportlern deutlich zeigt. Liegt er auch nur eine Zeit lang brach, etwa nach einem Knochenbruch, entwickelt er sich schnell zurück.

Nicht viel besser ergeht es der Hardware des Gehirns: Neuronale Netze sind Zusammenschaltungen vieler Nervenzellen, die über Nervenleitungen und Schaltelemente (Synapsen) netzartig verbunden sind.

Ein neuronales Netz kann beispielsweise Muster oder Bilder speichern, die es dann wiedererkennt. Diese Speicherung wird positiv oder negativ markiert, je nachdem, ob ein aufbauendes oder belastendes Gefühl im Moment der Speicherung vorherrscht. Je stärker das Gefühl, desto tiefer wird das Erlebnis gespeichert. Ohne Beteiligung von Gefühlen wird nichts in den Speicher geschrieben. Die Software sorgt auf diese Weise dafür, dass nur den Organismus seelisch berührende Vorgänge in die "Datenbank" ihrer neuronalen Netze "geschrieben" werden.

Bilderkennung:

Auf der Straße schweift Ihr Blick umher und plötzlich geraten Sie in Erregung, da Sie eine sympathische Kollegin erblickt haben. Ein neuronales Netz in Ihrem Gehirn hat das Bild Ihrer Kollegin erkannt, ist in Resonanz getreten und lässt Sie dies als freudige Erregung spüren. Freudig deswegen, weil das Netz mit dem Bild Ihrer Kollegin gute Erfahrungen verbindet. Sie steuern sofort auf sie zu.

Ein eher unsympathischer Kollege wird gleichermaßen erkannt, löst aber abwehrende Gefühle aus mit dem Drang, ihm auszuweichen.

Ein neuronales Netz ist "tolerant". Übereinstimmung löst die größte Resonanz aus. Sind die Bilder nur ähnlich, lassen sie das neuronale Netz schwächer ansprechen.

Auf der Straße sehen Sie eine Frau nur von hinten. Figur, Frisur, Haltung und die Art der Bewegung erinnert Sie an Ihre Kollegin. Ihre neuronalen Netze sprechen nur gedämpft an, lösen aber Interesse aus. Sie gehen näher heran. Die Dame dreht sich um. Sie ist es nicht. Und trotzdem hinterlässt die Erinnerung an die Kollegin ein gutes Gefühl.

Neuronale Netze erkennen und speichern nicht nur Bilder. Im Gehirn verrichten eine Vielzahl neuronaler Netze bestimmte Aufgaben wie Sehen, Gesichtserkennung, Hören, Sprechen, soziale Empfindungen, Errechnen des Verhaltens, Steuerung von Bewegungen, eben im täglichen Leben notwendige Funktionen des Organismus.