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Nikolai Fritz

Der Drachenreiter


Titelbild und Abbildungen: Pixabay.de


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Vorwort

Also wieder so ein Fantasy-Roman mit Drachen, Elfen, Kobolden und Zauberern? Ja und nein. Eine Besonderheit dieses Romans ist sein Heimatbezug. Ich hätte auch hier, wie es J. R. R. Tolkien bei seinen Romanen (Der kleine Hobbit, Der Herr der Ringe, Das Silmarillion) machte, eine Landkarte beifügen können.

Es geht aber auch anders. Man nehme also einfach eine Karte unseres Heimatlandes. Im Süden gibt es da die Hohen Schneeberge und im Norden das Meer. Jetzt sollte der Große See südöstlich des Dunklen Waldes nicht schwer zu finden sein. Gut, wenn man sich in Auto immer nur vom Navi leiten lässt, ist das vielleicht etwas ungewohnt.

Wenn man jetzt den Lauf des Alten Flusses vom Großen See bis zu seiner Mündung im Meer verfolgt, findet man alle Orte, die in der nachfolgenden Geschichte vorkommen. Dann kann man sie in das Navi einprogrammieren und mit den Auto dort hin fahren. Die Landschaft ist heute noch fast so, wie im Roman beschrieben, man muss sich also nur die Straßen und die vielen Häuser wegdenken. Nur im Langen Auental gibt es heute keine Auen mehr und der Alte Fluss fließt jetzt schnurgerade. Statt dessen gibt es dort Atomkraftwerke. Und im Großen Elfenwald und in den Feuerbergen sind nun die Windflügel der Zwerge massenhaft wieder neu aufgestellt worden.

Neben diesem Bezug zur Heimat wird uns vieles, was ich hier über die Elfen zu erzählen habe, irgendwie bekannt vorkommen. Denn vieles, was die frühen Menschen bei den Elfen für Magie hielten, war gar keine Magie. Ich schreibe diesen Roman aus der Sicht der Elfen. Für sie war diese Magie ganz normaler Alltag.

Man würde ja heute einen Computer oder ein Handy auch nicht als magisch bezeichnen. Das Zeitalter der Elfen geht in dieser Geschichte langsam zu Ende. Was ist aber heute mit unserem Zeitalter der Menschen? Nach Nietzsche müsste danach das Zeitalter des Übermenschen folgen, da Gott seiner Ansicht nach tot ist (Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra). Wo ist aber heute Gott zwischen Macht, Habgier und religiösem Wahn? Warum versucht man, alles immer mehr zu kontrollieren? Spüren die Menschen, so wie damals die Elfen, dass ihr Zeitalter zu Ende geht? Sind die Übermenschen schon mitten unter uns? Oder kehren vielleicht sogar die Elfen wieder zurück?

Nach ihrer Vorstellung wiederholt sich jedenfalls die Geschichte in sehr großen Zeiträumen immer wieder. Elfen gibt es immer noch, nur bei uns auf der Erde nicht mehr. Ich möchte jetzt keine Angst schüren. Nach dem Zeitalter der Elfen ging das Leben auf der Erde weiter und es wird auch nach unserem Zeitalter weiter gehen. Nur was wird aus den heutigen „Drachenreitern”?

Ich hoffe, dass ich jetzt Ihr Interesse geweckt und Sie nicht abgeschreckt habe. Ich verspreche, dass Nietzsches Philosophie in diesem Roman nicht weiter vorkommt. Falls Sie meinen, das Thema mit dem Zeitaltern gehöre eher in ein Sachbuch, möchte ich dazu folgendes anmerken: Heute möchte man uns gerne unterhalten, also unten halten, damit der Geist klein bleibt, wie bei den Gladiatorenspielen der alten Römer.

Und man hat sich daran gewöhnt, unterhalten zu werden. Es ist ja so angenehm und bequem. Da liest man kein Sachbuch. Gute und spannende Unterhaltung kann aber viel mehr als uns einfach nur unten halten. Also wünsche ich viel Spaß beim Lesen meiner Geschichte von einem Elfen, der Drachenreiter wird.

 

Ihr Nikolai Fritz.

 

Kapitel 1

Diese Geschichte beginnt am Übergang des Zeitalters der Elfen in das Zeitalter der Menschen, also in das Zeitalter in dem wir heute leben. Das Zeitalter der Elfen begann vor sehr langer Zeit nach der langen Dunkelheit, bei der das Zeitalter der Drachen zu Ende ging. Im Zeitalter der Drachen lebten auf der gesamten Erde, zu Lande, im Wasser und in der Luft riesige Echsen und Drachen, die durch die Luft flogen. Das Klima war sehr warm, und es gab eine üppige Vegetation.

Diese Zeit endete, als jenseits des Meeres ein gewaltiges Feuer vom Himmel fiel. Dabei breitete sich das Feuer über die gesamte Erde aus und verbrannte alles. Es gab heftige Erdbeben und riesige Wellen jagten über das Meer. Es regnete Asche und glühende Steine. Danach wurde es viele Monate oder sogar Jahre lang nicht mehr richtig hell und es wurde sehr kalt. Bei dem Feuer und der anschließenden langen Dunkelheit wurde fast alles Leben auf der Erde zerstört.

Als es wieder hell und warm wurde, kam ein großer Teil der Pflanzen wieder zurück. Sie hatten als Samen das Feuer und die Dunkelheit und Kälte überstanden. Von den Tieren überlebten aber nur die kleinen, die mit wenig Nahrung auskamen und sich in Höhlen oder unter umgestürzten Bäumen, die von Schutt bedeckt wurden, zuerst vor dem Feuer und dann vor der Kälte schützen konnten. Die großen Echsen starben fast vollständig aus. Nur wenige von ihnen überlebten in Höhlen. Es waren vor allem diejenigen, die fliegen konnten, die Drachen.

Da es große Höhlen meist nur im schwer zugänglichen Gebirge gab, konnte die in großen Mengen benötigte Nahrung nur durch die Luft heran geschafft werden. Nahrung gab es erst einmal genug. Es waren die im Feuer verbrannten oder durch die Kälte erfrorenen großen Echsen, die nun als Tiefkühlfleisch die dunkle Zeit überdauerten. Schwierig wurde es aber, als es wieder wärmer wurde. Die toten Echsen tauten nun auf und begannen zu verfaulen. Und die kleinen Tiere, die die lange Dunkelheit überlebt hatten, reichten als Nahrung für die großen Drachen nicht aus.

Die Drachen entwickelten aber eine besondere Strategie für ihr Überleben. Sie holten sich Holz in die Höhlen und schafften glühende Lava von Vulkanen herbei. So machten sie in ihren Höhlen Feuer. An diesen Feuern wärmten sie sich nicht nur, sie räucherten damit auch das Fleisch, so dass es für lange Zeit haltbar wurde. Während der langen Dunkelheit schafften sie alles, was sie an Tiefkühlfleisch finden konnten in die Höhlen und räucherten es.

So ergaben sich gewaltige Vorräte. Auf diese Weise überlebten die Drachen so lange, bis sich die anderen Tiere wieder so vermehrt hatten, dass sich die Drachen schließlich von ihnen ernähren konnten. Es wurde erzählt, dass auch viele der kleinen Tiere nur durch die Wärme der Feuer in den Drachenhöhlen und das Räucherfleisch überleben konnten.

Nach der langen Dunkelheit wurde es auf der Erde nicht mehr so warm wie in der Zeit davor. Da es keine großen Pflanzenfresser mehr gab, breiteten sich riesige Wälder über die gesamte Erde aus. Diese bildeten einen guten Lebensraum für die kleinen Tiere, die sich nun stark vermehrten und auch größer wurden. Der Wald war aber kein Lebensraum für die Drachen. Die jagten aus der Luft, und zwischen großen Bäumen konnten sie weder starten und landen noch ihre Beute verfolgen.

Deshalb rissen die Drachen um ihre Höhlen herum die meisten Bäume heraus und versorgten damit ihre Feuer. So entstand um die Höhlen herum ein Grasland, also ein idealer Lebensraum für Büffel. Und wovon ernährten sich die Drachen? Natürlich von Büffeln. Hasen und andere kleinere Tiere verschmähten sie zwar auch nicht, von ihnen wurden sie aber nicht wirklich satt. Ein geräucherter Büffel reichte dagegen für viele Wochen. Zumindest war das mit den Büffeln in späteren Zeiten so. Vorher, als es noch keine Büffel gab, müssen sich die Drachen von anderen Tieren ernährt haben, aber darüber weiß man so gut wie nichts.

In einem vollkommen kahlen Land ohne Bäume wollten sich Büffel nicht aufhalten. Sie brauchten kleine Waldgebiete, in denen sie vor den Drachen in Deckung gehen konnten. Deshalb rissen die Drachen nicht alle Bäume heraus, sondern ließen überall kleine Waldflächen stehen. Für ihr Feuerholz flogen sie dann gerne etwas weiter. So entstand an vielen Stellen in den Bergen ein offenes Land mit kleinen Waldgebieten, in dem Büffel und Drachen lebten.

In den großen Wäldern gab es nicht nur einen idealen Lebensraum für Tiere wie Rehe, Hirsche, Wildschweine, Bären, Wölfe, Hasen, Füchse und Vögel aller Art, durch den Schutz, den die Bäume boten, konnten sich auch höhere Lebewesen wie Elfen, Kobolde oder Trolle entwickeln. Jedes Lebewesen ist in die Gesamtheit der Natur eingebettet. Dazu gehören auch Welten, die wir mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen können. Neben dem Körper, der hier auf der Erde lebt, hat jedes Lebewesen eine Seele, die mit diesen anderen Welten verknüpft ist. Und diese Seele bestimmt umso mehr das Leben, je höher ein Lebewesen geistig entwickelt ist.

Die Seelen der Elfen waren jedenfalls mit vielen nicht wahrnehmbaren Welten im gesamten Universum auf geistiger Ebene verbunden. Diese Seelen waren nach der langen Dunkelheit irgendwo aus dem Universum schließlich auf die Erde gekommen. Hier auf der Erde hatten sie einen Körperbau angenommen, der im wesentlichen dem der anderen Lebewesen auf der Erde entsprach, für ein Leben in den Wäldern gut geeignet war und der es ihnen erlaubte, sich viele Dinge zu erschaffen, die ihnen das Leben erleichterten.

Wenn Elfen sich etwas neues erdacht hatten, dann arbeiteten sie so lange daran, bis dieses erdachte schließlich Realität wurde. Da sie sich in einen geistigen Zustand versetzten konnten, in dem sie mit den anderen nicht wahrnehmbaren Welten in Verbindung traten, konnten sie auf der Erde Dinge erschaffen, die sie irgendwo in den anderen Welten gesehen hatten. So gelangten sie zu einem so großen Wissen, das alles übertraf, was es jemals später nach dem Zeitalter der Elfen gegeben hat.

In den meisten alten Geschichten sind Elfen unsterbliche Halbgötter, die über große magische Kräfte verfügen. Was würde aber jemand aus dem frühen Mittelalter sagen, wenn er mit unserer Technik in Berührung käme? Wäre unsere Welt für ihn nicht voller Magie und wundersamer Dinge? Magische sprechende Spiegel, in denen man die Dinge sehen kann, die sich irgendwo weit weg ereignen. Sprechende Kochen. Seltsame Kristalle, die durch Zauberkraft hell leuchten. Wagen, die ohne Pferde von magischen Kräften bewegt werden.

Was würde er denken, wenn er aus der Ferne ein Segelflugzeug beobachten würde? Könnte er dann nicht meinen, dass wir Flügel haben, mit denen wir uns in die Luft erheben? Das frühe Zeitalter der Menschen, das vor langer Zeit auf das Zeitalter der Elfen folgte, nennen wir heute „Steinzeit”. Für was hätte ein Steinzeitmensch oder „Neandertaler” Lebewesen angesehen, die eine Technik hatten, die mit unserer heutigen vergleichbar oder dieser sogar überlegen war? Hätte er sie nicht für Götter oder Halbgötter mit großen magischen Fähigkeiten angesehen?

Die Elfen lebten nach der langen Dunkelheit im Schutz der riesigen Wälder ganz im Einklang mit der Natur. Mit ihrem großen Wissen erschufen sie sich viele nützliche Dinge, mit denen sie sich das Leben auf der Erde erleichterten. Sie erhoben aber niemals den Anspruch, die Erde beherrschen zu wollen, so wie wir Menschen das heute machen. Der Wald war der Lebensraum der Elfen. Ohne diesen Wald hätte es sie niemals auf der Erde gegeben. Deshalb nahmen sich die Elfen von dem Wald und auch von allem anderen, das die Erde ihnen bot, immer nur das, was sie zum Leben brauchten.

Also baute man auch keine großen Städte und schlug keine breiten Schneisen durch den Wald, damit dort schnelle Fahrzeuge hindurch rasen konnten. Ein Elfe wäre niemals auf die Idee gekommen, so etwas zu tun. Die Tiere im Wald hatten für ihn den selben Wert wie er selbst. Sie waren wie er Lebewesen mit einer Seele. Wenn er sie tötete, dann nur weil er ihr Fleisch brauchte um selbst leben zu können. Tiere töteten ja auch andere Tiere um sich von ihnen zu ernähren.

Unsere heutige Technik mag die Technik der Elfen in einigen Spezialgebieten zwar übertreffen und wir können heute schnellere und größere Fahrzeuge oder Flugzeuge bauen, an das Wissen der Elfen kommen wir heute aber noch lange nicht heran. Was wir heute Technik nennen, war für die Elfen immer nur ein Hilfsmittel, um sich das Leben zu erleichtern. Es wurde immer nur das angewendet, was man für sinnvoll und richtig erachtete.

Dinge wie Fernsehen oder Internet wären für Elfen keine technische Herausforderung gewesen. Es interessierte sich nur niemand für solche Dinge. Da man auf geistiger Ebene auch ohne technische Hilfsmittel mit anderen Personen und sogar mit anderen Welten kommunizieren konnte, hätte kein Elfe jemals an so etwas wie Internet überhaupt nur gedacht. Außerdem ließ es die gesellschaftliche Struktur bei den Elfen auch nicht zu, dass man sich an solchen Dingen bereicherte.

Vieles, was wir heute haben, hätten die Elfen überhaupt nicht haben wollen. In den Wäldern waren die Elfen jedenfalls vor den Drachen sicher und konnten sich über große Gebiete ausbreiten. Es gab mehr als ausreichend Tiere für die Jagd und die Früchte des Waldes ergänzten zunächst einmal den Speisezettel. Später legte man Gärten für Obst und Gemüse an und hielt Haustiere wie Schweine, Ziegen, Schafe oder Hühner.

Ackerbau war jedoch den Elfen fremd. Kein Elfe wäre jemals mit einem Pflug hinter einem Pferd oder Ochsen hergelaufen. Und auf einen lärmenden und stinkenden Trecker hätte er sich auch nicht gesetzt. Deshalb gab es bei den Elfen auch keine Trecker.

Nach dieser kurzen allgemeinen Beschreibung der geschichtlichen Zusammenhänge geht es nun um die Kindheit und Jugend des Drachenreiters. Dabei werden Namen und Begriffe aus der Welt der Elfen verwendet. Um sie einfacher verstehen zu können, ohne gewissermaßen eine fremde Sprache lernen zu müssen, gebe ich sie als wörtliche Übersetzung aus der Elfensprache wieder. Einige Begriffe wie Elfenflügel, Elfenrunen oder Elfenbogen stammen aus der damaligen Sprache der Menschen. Neu genannte Namen und Begriffe sind nachfolgend kursiv hervorgehoben.

Betrachten wir nun das Land, in der dem der Elfe Nimhil, der spätere Drachenreiter, geboren wurde und aufwuchs. Im Süden war dieses Land begrenzt von den Hohen Schneebergen, die kaum ein Elfe jemals betrat. Man traute sich auch nur äußerst selten mit Elfenflügeln über sie hinweg zu fliegen. Elfenflügel waren große Segelflugzeuge, mit denen die Elfen alles, was sie benötigten, Güter und Personen, über das Land transportierten.

Im Norden endete das Land des Drachenreiters an der Küste des Meeres. Am Fuße der Hohen Schneeberge lag der Große See. Er war so groß, dass man das andere Ufer kaum erkennen konnte. Bei klarem Wetter sah man von Norden her oft nur die hohen schneebedeckten Berge dahinter. Aus dem Großen See entsprang der Alte Fluss. Er floss zunächst nach Westen, dann über einen Wasserfall und dann nach Norden durch das Lange Auental. Dort mäanderte er in unzähligen Windungen auf die Drachenberge zu. Östlich des Langen Auentals und nordwestlich des Großen Sees gab es einen recht hohen Gebirgszug, der mit dichten Nadelwäldern bewachsen war, den Dunklen Wald.

Vor den Drachenbergen änderte der Alte Fluss seine Richtung wieder nach Westen und floss ein kurzes Stück am Fuß der Drachenberge entlang. Dann bog er wieder nach Norden ab in die Tiefe Klamm. Dieses sehr schmale Flusstal wurde im Osten durch die Drachenberge und im Westen durch die Gebirgszüge des Großen Elfenwaldes begrenzt. Südlich des Großen Elfenwaldes kam von Südwesten her der Kleine Fluss und mündete vor der Tiefen Klamm in den Alten Fluss.

Die Tiefe Klamm erweiterte sich im Norden wieder zu einem breiten Flusstal, nachdem vom Südwesten her der Krumme Fluss dort eingemündet war. Der Krumme Fluss verlief in vielen Windungen durch ein nach Nordosten hin immer enger werdendes Tal, das nach Süden vom Großen Elfenwald und nach Norden von den Feuerbergen begrenzt wurde. Weiter im Norden trat der Alte Fluss schließlich aus dem Bergen, den Feuerbergen westlich und den Drachenbergen östlich, hervor in ein flaches Land, bevor er schließlich durch ein weit verästeltes Delta nach Norden hin ins Meer mündete.

Der Drachenreiter wuchs im Großen Elfenwald auf. Dieses von dichtem Wald bewachsene Gebirge lag, wie bereits beschrieben, zwischen dem Krummen Fluss im Norden, der Tiefen Klamm im Westen und dem Kleinen Fluss im Süden. Kurz vor seiner Mündung in den Alten Fluss floss der Kleine Fluss durch eine Engstelle im Tal mit steilen Felswänden auf beiden Seiten, das Felsentor. Östlich des Felsentores mündete von Norden her aus dem Goldenen Tal im Großen Elfenwald der Goldbach in den Kleinen Fluss.

Und weit oben nach Norden hin im Goldenen Tal lag entlang des Goldbachs das Dorf, in dem Nimhil, der Drachenreiter, geboren wurde. Die meisten Elfen waren dort Goldwäscher oder Goldschmiede. Einige hielten aber auch Vieh - Hühner, Schafe, Ziegen, Schweine - oder gingen auf die Jagd. Man wusch das Gold aus dem Bach und stellte Schmuck daraus her. Die Edelsteine für den Schmuck stammten aus einem Tal, dessen Bach, der Achatbach, weiter westlich ebenfalls aus dem Großen Elfenwald kam und in den Kleinen Fluss mündete.

Nimhils Eltern wohnten in einem Haus am südlichen Rand des Dorfes. Es war ein typisches Elfenhaus: zweigeschossig, vollständig aus Holz gebaut mit großen Kristallfenstern, alle Holzteile mit Schnitzereien verziert und zum Teil bunt angemalt, das Dach mit Schiefer gedeckt und mit Sonnenkristallen auf der Südseite. Mit solchen Kristallen fing man am Tage des Sonnenlicht ein, speicherte es in speziellen Behältern, die man Lichttöpfe nannte, und beleuchtete dann damit abends das ganze Dorf. Dafür waren in den Häusern und draußen überall Lampen angebracht. Das eingefangene Licht gelangte durch Kupferdrähte aus den Lichttöpfen zu den Lampen.

Nimhils Vater war für den Betrieb der Seilstraße zuständig, mit welcher alles, was im Dorf hergestellt oder benötigt wurde, vom oder zum Start- und Landeplatz der Elfenflügel transportiert wurde. Bei den Elfen gab es keine Straßen für irgendwelche Fahrzeuge. Große Entfernungen wurden durch die Luft mit den Elfenflügeln zurückgelegt, und für kleinere Strecken gab es die Seilstraßen.

Auf dem Meer fuhren Schiffe, große Katamarane mit gewaltigen Segeln. Mit Elfenflügeln überquerte man niemals große Wasserflächen. Die Seilstraßen waren Seilbahnen mit umlaufenden Gondeln, die entweder an Stützen oder im Wald direkt an den Bäumen aufgehängt waren. Mit diesen Gondeln wurde alles befördert, sowohl Güter als auch Personen. In einer solchen Gondel zu fahren, war recht bequem, aber es ging nicht besonders schnell. Darauf kam es den Elfen aber nicht an. Sie hatten es nie eilig.

Wichtig war es jedoch, dass nirgendwo für die Tiere im Wald der Weg versperrt war und keine breiten Schneisen in den Wald geschlagen wurden. Die Gondeln der Seilstraße wurden nicht von Tieren gezogen, sondern mit eingefangenem Sonnenlicht angetrieben. Dazu war das Dach des Betriebshauses, das auch aus Holz war, wie fast alles bei den Elfen, nach Süden geneigt und vollständig mit Sonnenkristallen bedeckt.

Das Betriebshaus stand am südlichen Ende der Seilstraße nicht weit vom Kleinen Fluss am Flugplatz neben den Hallen für die Elfenflügel. Auch auf den Dächern dieser Hallen gab es viele Sonnenkristalle. Diese versorgten die Seilwinde mit eingefangenem Sonnenlicht, mit der die Elfenflügel in die Luft gezogen wurden. Die Startseile verliefen vom Windenhaus in vier verschiedene Richtungen zu Umlenkrollen, sodass immer gegen den Wind gestartet werden konnte.

Diese Seile waren so lang, dass die Elfenflügel fast immer Aufwind oder Thermik fanden, um weiter fliegen zu können. Wenn doch einmal ein Elfenflügel nach einigen Platzrunden wieder landen musste, stellte man den Flugbetrieb einfach ein und ging nach hause. Dann war eben kein Flugwetter. Wenn es stark bewölkt oder nebelig war, regnete, schneite oder stürmte, versuchte man gar nicht erst zu fliegen. Elfen hatten es eben nie eilig.

Die Windenfahrer, Piloten, Flügelhandwerker und Ladehelfer lebten in einem Dorf direkt neben dem Flugplatz. So waren sie schnell zur Stelle, wenn sich das Wetter änderte und man wieder fliegen konnte. Wenn nicht geflogen wurde, waren nur die Flügelhandwerker in den Hallen und sorgten dafür, dass die Elfenflügel immer einsatzbereit und in bestem Zustand waren.

Die Fliegerei war bei den Elfen überwiegend Männersache, obwohl es eigentlich keine klare Einteilung in Männer- und Frauenberufe gab. Es waren nur etwa ein Drittel der Piloten und einige der Flügelhandwerker Frauen. Alle anderen auf dem Flugplatz waren Männer. Die meisten anderen Frauen kümmerten sich um die Gärten oder um das Vieh.

Nimhil war als kleines Kind meistens im Dorf am Goldbach mit seiner Mutter zusammen. Sie hatte, wie es bei Elfen üblich war, für die Zeit, in der Nimhil aufwuchs, keine berufliche Tätigkeit übernommen. Andere Kinder in seinem Alter gab es in dem Dorf nicht. Seinen Vater sah er nur, wenn die Seilstraße nicht in Betrieb war oder wenn der gerade an der Verladestation im Dorf zu tun hatte.

Das änderte sich erst als Nimhil alt genug für die Schule war. Schulen, so wie wir sie heute kennen, gab es bei den Elfen nicht. Für die wichtigsten Fähigkeiten wie lesen, schreiben und rechnen gab es üblicherweise in jedem Dorf einen Lehrer, der die Kinder in seinem Haus unterrichtete.

Wer mehr lernen wollte, musste weit von zu hause weg zu einer zentralen Bibliothek reisen. Dort wurde alles Wissen gesammelt und stand jedem Besucher zur Verfügung. Man durfte die meisten Bücher dort aber nur lesen und nicht mit nach hause nehmen. Nur wer ein Buch für seine Tätigkeit brauchte, durfte es behalten und mitnehmen. Rund um die Bibliotheken gab es daher Gästehäuser, in denen die Besucher untergebracht und verpflegt wurden.

Im Dorf am Goldbach gab es keinen Lehrer. Die Kinder von dort - es war außer Nimhil noch ein älteres Mädchen - mussten mit der Seilstraße in das Dorf am Flugplatz. Der Lehrer dort hatte fünf Schüler, drei Jungen und zwei Mädchen, die alle unterschiedlich alt waren. Im Unterricht fertigte er sie nacheinander ab. Während Nimhil also die ersten Buchstaben der Elfenrunen lernte, brachte er dem ältesten Jungen höhere Mathematik bei. Jeder lernte also das, was für sein Alter angemessen war.

Da es also keine gleichaltrigen Spielkameraden gab, ging Nimhil überall hin, wo ihn etwas interessierte. Die Erwachsenen dort löcherte er dann regelrecht mit seinen Fragen. Am interessantesten war für ihn der Flugplatz. Wenn Flugbetrieb war, schaute er zu, wie die Elfenflügel starteten und landeten. War kein Flugbetrieb, beobachtete er die Flügelhandwerker bei ihrer Arbeit. Er ließ sich von ihnen alles erklären, was mit dem Bau und der Reparatur von Elfenflügeln zusammen hing.

Zu Andriel, einem der Flügelhandwerker, fühlte er sich besonders hingezogen. Einmal fragte er ihn, wie man es macht, wenn man einen neuen, größeren oder besseren Elfenflügel entwerfen und bauen will.

Da erzählte Andriel: „Einen ganz neuen Elfenflügel baut man erst einmal viel kleiner als Modell - nur so fünf oder sechs Schritte Spannweite. Man kann nämlich die Flugeigenschaften von diesem Modell auf einen großen Flügel umrechnen. In dem Modell fliegt keiner mit. Man steuert es vom Boden aus. Wenn also das Modell abstürzt wird niemand verletzt. Es gibt dann nur ein wenig Kleinholz. Danach kann man mit dem Entwerfen weiter machen und ein neues Modell bauen. So halten sich erst einmal der Aufwand und die Gefahr eines Absturzes in Grenzen.”

Nimhil war begeistert: „Ich baue mir jetzt so ein Modell. Das passende Holz und Segeltuch gibt es ja hier genug. Und ihr könnt mir zeigen, wie man alles richtig macht. Ich erfinde aber keinen Elfenflügel neu. Ich baue einen von denen, die hier stehen, in klein nach. Wenn der große fliegt, dann fliegt doch der kleine auch - oder nicht? Ich muss unbedingt so einen Apparat haben, mit dem man vom Boden aus steuert. Wo bekommt man den her?”

Andriel lachte herzlich. Dann sagte er: „Nun, wenn du ein Modell bauen willst, dann kannst du das gerne machen. Material ist hier genug und ich kann dir dabei helfen. Mit dem Apparat zum Steuern ist es aber etwas schwierig. So etwas bekommen nur Leute, die beim Entwerfen und Bauen von Elfenflügeln tätig sind. Du kannst aber das Modell, wenn du es fertig gebaut hast, erst einmal alleine fliegen lassen. Dazu gehst du auf eine große freie Fläche, am besten die große Wiese dort unten am Kleinen Fluss, nicht weit vom Felsentor. Die Steuerklappen koppelst du mit dem Startseil. Wenn du am Seil ziehst, stehen sie geradeaus und wenn du loslässt, auf Kurvenflug. Dann ziehen wir das Modell mit einem Seil hoch und lassen es wieder nach unten kreisen. Das versuchen wir erst einmal mit einer geringen Höhe. Dabei stellen wir die Klappen so ein, dass das Modell langsam abwärts gleitet und einen sauberen Kreis fliegt. Wenn alles gut funktioniert und es windstill ist, können wir das Modell dann höher in die Luft ziehen. - Und wenn das alles schließlich klappt, dann besorge ich so einen Apparat zum Steuern - abgemacht?”

Nimhil war begeistert. „Abgemacht!” sagte er nur. Wenn jetzt der Unterricht zu Ende war, fuhr er nun nicht wie zuvor mit einer Gondel der Seilstraße nach hause, sondern ging in eine der Hallen am Flugplatz.

Andriel hatte dort einen Platz frei gemacht, an dem Nimhil sein Modell bauen konnte. Nimhil fuhr dann immer erst mit der letzten Gondel nach hause und kam dort an, als man abends das Licht einschaltete. Meistens musste ihn sein Vater aus der Halle holen, bevor er ebenfalls mit der letzten Gondel nach hause fuhr und dann den Betrieb der Seilstraße für die Nacht einstellte.

So dauerte es nicht sehr lange, bis das Modell abflugbereit in der Halle stand. Andriel hatte beim Bauen natürlich ordentlich mitgeholfen. Bei dem Unterricht des Lehrers gab es, entsprechend dem Kalender der Elfen, zu jeder Mondphase, also Neumond, zunehmender Mond, Vollmond und abnehmender Mond, einen freien Tag. Das sind ungefähr alle sieben Tage. Da Sonnenauf- und Untergang und die Mondphasen nicht genau zusammen passen, wurde immer wieder ein Schalttag eingefügt.

Dann waren es nicht sieben, sondern acht Tage. Dieser freie Tag, der Mondtag, galt bei den Elfen allgemein als Ruhetag. Es wurde aber auch an diesem Tag Flugbetrieb mit Personen durchgeführt, wenn es das Wetter zuließ. Güter wurden nur dann befördert, wenn der Elfenflügel sowieso mit Personen startete. Wenn alle Elfenflügel startklar waren, brauchte meistens nur ein Flügelhandwerker auf dem Flugplatz zu sein.

Andriel konnte sich also frei nehmen. Zu der großen Wiese am Kleinen Fluss waren es über zwei Stunden Fußmarsch. Man musste also schon einen ganzen Tag frei haben, wenn man dort Flugversuche machen wollte.

Glücklicherweise hatte eine Frau aus dem Dorf am Flugplatz, die viele Schafe hielt, neben dieser Wiese einen Stall bauen lassen. So brauchte sie ihre Schafe nicht nach hause ins Dorf zu treiben, wenn im Herbst das Wetter schlechter wurde. Nun war aber Sommer und die Schafe blieben draußen. Den Stall benutze nur ein Hirte zum schlafen. Es war dort also den ganzen Sommer lang genug Platz für das Modell.

Die erste Aktion war also das Modell - es wog so um die zehn Kilogramm - zu dieser Wiese zu schaffen. Beim Tragen hätte es Nimhil und Andriel auf dem langen Weg ordentlich die Arme lang gezogen. Also besorgte Andriel von einem seiner Nachbarn einen Esel. Das Modell wurde nun so auf dem Rücken des Esels befestigt, dass es sich seitlich neben dem Tier befand, ein Flügel zeigte am Kopf des Esels vorbei nach vorne, der andere nach hinten und der Rumpf mit dem Leitwerk nach oben. Auf der anderen Seite des Esels wurde, quasi als Gegengewicht, ein Sack mit Material für Reparaturen und Werkzeug aufgehängt.

Nimhil ging vorne und hielt den einen Flügel. Andriel ging hinten und hielt den anderen Flügel. Dem Esel mussten sie dabei immer gut zureden. Der schaute die beiden an, als wären sie nicht ganz richtig im Kopf, machte aber schließlich bei dieser Prozedur mit.

Als sie an dem Stall ankamen, begrüßte sie schon der Hirte: „Ihr seid hier falsch, der Flugplatz ist wo anders! - dass mir bloß die Schafe nicht wild werden, wenn ihr das Ding hier fliegen lasst.”

Nimhil antwortete: „Sei gegrüßt Hirte. Wir starten dort, wo keine Schafe sind. Erst einmal geht es sowieso nicht so hoch hinauf”

Darauf entgegnete der Hirte: „Seid ebenfalls gegrüßt Flieger. Dann wollen wir doch erst einmal sehen, ob dieses komische Ding überhaupt in die Luft kommt - und bindet den Esel fest, sonst will der noch mit fliegen.”

Also luden die Nimhil und Andriel erst einmal das Modell und den Sack ab und banden den Esel fest, wie es der Hirte empfohlen hatte. Dann ging es sofort weit auf die Wiese hinaus. Andriel nahm das Modell in die Hand und Nimhil das Startseil. Das war für den ersten Versuch nur ungefähr 25 Schritte lang. Der Starthaken war so geformt, dass das Seil von selbst abfallen musste, wenn die Zugrichtung steiler als etwa 45 Grad nach unten ging.

Also rannte Nimhil gegen den Wind los und Andriel mit dem Modell hinterher. Der Hirte schaute gespannt zu. Andriel hatte die Flügel bei dem Modell nach außen hin etwas steiler nach oben angestellt als bei dem großen Flugzeug, das als Vorlage diente. Das war genau richtig so, wie sich nun herausstellte. Das Modell flog sofort stabil geradeaus. Nur der Gleitwinkel stimmte noch nicht. Nach dem Aushaken nahm das Modell die Nase leicht nach unten und wurde immer schneller.

Die Klappen standen zunächst noch konstant auf „geradeaus”. Mit hoher Geschwindigkeit aber fast waagerecht landete das Modell nach einem kurzen geraden Gleitflug im hohen Gras. Nimhil machte ein verbissenes Gesicht, als nun die Grashalme mit großer Wucht gegen das Modell krachten. Andriel grinste nur. Der Hirte klatschte.

Das Modell war zwar viel zu schnell, es war aber trotzdem eine glatte Landung. Andriel hatte es nicht anders erwartet. Er hatte absichtlich den Schwerpunkt weiter nach vorne verlegt als er es berechnet hatte. Wäre der Schwerpunkt nämlich zu weit hinten gewesen, was man vorher nie so genau wissen konnte, hätte sich das Modell aufbäumen können. Dann wäre die Strömung abgerissen und das Modell wäre mit der Nase auf den Boden aufgeschlagen. So hatte es nur ein paar Riefen von den Grashalmen abbekommen, die keinen Einfluss auf die Flugeigenschaften hatten.

Nimhil schaute Andriel immer noch ziemlich verbissen an. Der entgegnete: „Das war doch für den ersten Versuch eine richtig gute Landung. Was hast du denn? Jetzt muss erst einmal der Schwerpunkt langsam Schritt für Schritt nach hinten, bis das Modell ordentlich gleitet. Dann erst ist der Kurvenflug an der Reihe. - Also vorne etwas Blei raus und mit dem kurzen Seil noch einmal.”

Es brauchte noch mindestens fünfzehn Versuche, bis das Modell mit einem optimalen Gleitwinkel herunter kam. Mit dem Schwerpunkt musste dabei auch der Starthaken nach hinten verschoben werden, damit das Modell beim ziehen an dem Seil nicht zu steil nach oben ging. Als der Gleitwinkel endlich stimmte, stand die Sonne schon recht tief.

Andriel sagte: „Wir sollten so langsam nach hause gehen, sonst bekommst du die letzte Gondel nicht mehr mit. Das mit dem Kurvenflug machen wir das nächste mal.”

Nimhil entgegnete: „Machen wir doch weiter. Vater wird schon mit der Gondel warten. Jetzt läuft es doch gerade richtig gut.”

Darauf sagte Andriel: „Wenn es am schönsten ist, dann soll man aufhören. Ich werde nämlich so langsam müde. Dann lässt die Konzentration nach. Wir wollen das Modell doch nicht kaputt machen. Lass uns also alles zusammen packen und nach hause gehen.”

Nimhil und Andriel brachten dann das Modell und den Sack mit dem Werkzeug und dem Material für Reparaturen in den Stall. Sie banden den Esel los und verabschiedeten sich von dem Hirten. Der Esel war sichtlich froh, dass er nicht weiter dumm herumstehen musste. Die Fliegerei hat ihn nämlich überhaupt nicht interessiert. Er freute sich regelrecht, dass es jetzt ohne sperriges Gepäck wieder nach hause ging.

Als die beiden und der Esel an der Verladestation der Seilstraße ankamen, wartete Nimhils Vater schon mit der Gondel. Er sagte: „Das ist aber ganz schön spät geworden. Hat denn wenigstens alles geklappt?” Nimhil antwortete voller Begeisterung: „Es war toll. Das Modell fliegt genauso gut wie ein großer Elfenflügel. Nur noch nicht so hoch. Aber das bekommen wir noch hin. Und dass er im Kreis herum fliegt, auch. Der Andriel versteht richtig was davon.”

Nimhils Vater vergaß seinen leichten Ärger, weil er mit der Gondel warten musste. Er freute sich nun, dass es seinem Sohn Spaß gemacht hatte. Nachdem Nimhil in die Gondel eingestiegen war, schob er sie mit mehreren Schritten kräftig an und stieg selbst ein. Die Gondel rollte nun von einer Schiene auf das umlaufende Seil, das sie zum Dorf am Goldbach mitnahm. Auch Andriel machte sich mit dem Esel auf den Heimweg.

Dabei dachte er daran, wie er vor langer Zeit als Kind dasselbe erlebt hatte. Dass bei der Fliegerei alles problemlos funktionierte, war nämlich einzig der Erfahrung zu verdanken, die er aus seiner eigenen Kindheit mitgebracht hatte. Wenn es Nimhil alleine mit einem unerfahrenen Helfer versucht hätte, wäre von dem Modell wahrscheinlich nur ein Haufen Kleinholz übrig geblieben.

Der Weg zu Andriels Haus in dem Dorf am Flugplatz war kurz. Daher war er noch ganz in Gedanken, als er dort ankam. Es hatte ihm Spaß gemacht und er freute sich auf den nächsten Mondtag mit dem Modell auf der großen Wiese.

Als die Gondel im Dorf am Goldbach ankam, brannten dort schon alle Lichter. In dem schmalen Tal mit dicht bewaldeten Hängen wurde es früher dunkel als in der offenen Landschaft am Flugplatz. Nachdem die Gondel vom umlaufenden Seil auf eine Schiene gerollt und stehen geblieben war, stiegen Nimhil und sein Vater aus.

Der Vater ging an einen Schaltkasten und drehte einen Hebel in eine andere Position. Das umlaufende Seil wurde langsamer und bleib schließlich stehen. Die Seilstraße hatte nun für die Nacht Pause. Nimhils Mutter wartete schon an der Verladestation. Auch ihr erzählte Nimhil mit Begeisterung, was er an diesem Tag erlebt hatte.

Es war angenehm warm an diesem Sommerabend, und alle Elfen saßen auf Bänken auf dem beleuchteten Dorfplatz. Sie musizierten und sangen und tranken dabei Honigwein. Als Nimhil dort ankam, erzählte er allen, was er gerade schon seiner Mutter erzählt hatte. Und es freuten sich alle, dass er einen so schönen Tag erlebt hatte. Nimhils Vater ging noch kurz in sein Haus, bevor er sich zu den anderen Elfen auf dem Dorfplatz gesellte.

Er holte dort seine Harfe. Als er sich mit dem Instrument zu den anderen setzte, wurde es plötzlich ganz still. Er begann zu spielen. Kurz darauf setzten zwei Flöten ein, dann eine Geige, dann noch weitere Instrumente. Bald wurde das gesamte Tal von einer gewaltigen, aber wunderschönen Musik erfüllt. Eine solche Musik konnten nur Elfen machen.

Es wurde erzählt, dass die ganze Welt der Elfen aus dem Klang einer solchen Musik erschaffen wurde. Man verglich das Zusammenwirken aller Kräfte im Universum mit dem Klang der Musik. Ohne Musik konnten Elfen nicht existieren. Sie wären jämmerlich zugrunde gegangen. Aus der Musik schöpften sie einen großen Teil ihrer Lebenskraft. So ging dieser Tag in dem Dorf am Goldbach mit wunderschönen Klängen zu Ende.

Es gab in diesem Sommer noch viele Mondtage, an denen Andriel und Nimhil das Modell auf der großen Wiese fliegen ließen. Dabei wurde ein sauberer Kurvenflug eingestellt, sodass es recht hoch in die Luft gehen konnte, wenn es einigermaßen Windstill war. Trotzdem mussten die beiden oft weit laufen, um das Modell zu holen, und es dann auch so weit zurück tragen.

Der Wunsch nach dem Apparat zum steuern wurde also bei Nimhil immer stärker. Inzwischen wurde es aber Herbst. Der Esel wurde geholt um das Modell wieder zurück zum Flugplatz zu tragen. Es musste Platz für die Schafe geschaffen werden. Bei den vielen Flügen ohne Steuerung gab es oft ziemlich harte Landungen, sodass viel repariert werden musste.

Diese Reparaturen wurden immer so schnell und einfach wie möglich durchgeführt, damit das Modell möglichst bald wieder in die Luft kam. Entsprechend geflickt sah es dann aus. Im Winter machten sich Nimhil und Andriel also daran, das Modell wieder in einen einwandfreien Zustand zu bringen. Dabei war es wieder in der Halle am Flugplatz untergestellt.

An vielen Abenden kam nun Nimhil in die Halle um sein Modell für das kommende Frühjahr startklar zu machen. Es sollte wieder für einen Sommer mit dem Esel zu dem Stall an der großen Wiese gebracht werden. An einem solchen Abend holte Andriel eine Kiste und reichte sie Nimhil. Darin war ein Kasten mit Hebeln und Knöpfen daran und ein Riemen zum Umhängen. Daneben ein dickes Buch - Die Bedienungsanleitung. Es waren noch eine Menge Kleinteile in der Kiste, deren Funktion Nimhil zunächst unbekannt war.

Andriel sagte: „Dieser Apparat ist schon etwas älter. Man hat jetzt einen neuen und braucht diesen deshalb nicht mehr. Er funktioniert aber noch einwandfrei. Bei dem neuen kann man alles mögliche direkt an dem Apparat einstellen. Das geht hier noch nicht. Die Einstellungen kann man aber alle mechanisch an Modell vornehmen. Der Vorteil bei dem neuen ist, dass man vieles während des Fluges in der Luft einstellen kann. Man braucht also nicht für jede kleine Änderung zu landen. Aber ich denke, für uns ist der alte mehr als ausreichend. - Du solltest also jetzt erst einmal das dicke Buch durchlesen und dich mit dem Apparat und seinem Zubehör vertraut machen. - Viel Spaß dabei.”

Nimhil sprang vor Freude fast an die Decke. „Jetzt werde ich ein richtiger Pilot!” rief er.

Nimhil machte sich dann sofort daran, das Modell für das steuern vom Boden aus umzubauen. Es wurden also der Empfänger, kleine Lichttöpfe, die Antenne und die Rudermaschinen eingebaut. Da der Apparat für Konstrukteure von Elfenflügeln gedacht war, bot er viel mehr Möglichkeiten, als sie Nimhil als Anfänger nutzen konnte.

Er wollte aber möglichst alle Funktionen verwenden und baute neben den Höhen-, Seiten- und Querrudern, die man ja zum Steuern brauchte, auch noch einen vom Boden aus bedienbaren Starthaken, Bremsklappen und ein ausfahrbares Fahrgestell ein. Alles eben so, wie es bei den großen Elfenflügeln auch war.

Andriel versuchte ihn zur Vernunft zu bringen und sagte: „Lass doch diesen ganzen Schnickschnack jetzt weg und lern erst einmal fliegen.” Nimhil war aber bei seiner Begeisterung nicht zu bremsen. Er überlegte, was man vielleicht sonst noch alles vom Boden aus bedienen könnte.

Es kam dann natürlich so, wie es Andriel voraus gesehen hatte. Mit den Bremsklappen konnte Nimhil zunächst gar nichts anfangen und das Fahrgestell brach bei einer seiner ersten Landungen ab. Dann hatte es Nimhil aber auch verstanden. Er versuchte gar nicht erst, das Fahrgestell zu reparieren, und ließ das Modell wieder wie vorher auf einer Kufe landen.

Andriel holte nun einen der Piloten hinzu, der Nimhil das Fliegen beibringen sollte. Er hatte in seiner Kindheit sein Modell immer nur alleine fliegen lassen. Vom Boden aus hatte er nie gesteuert. Der Pilot schaute sich den Kasten mit den Hebeln und Knöpfen an und verstand zunächst gar nichts.

Es dauerte eine ganze Zeit, bis er sich mit dessen Funktion vertraut gemacht hatte. Dann übte er erst einmal ziemlich lange selbst mit dem Modell. Hinterher sagte er: „Wenn ich nicht so viel Erfahrung mit einem großen Elfenflügel gehabt hätte, dann hätte ich das Modell ganz schnell kaputt geschmissen. Ich hätte nie gedacht, dass es so schwer ist, vom Boden aus zu steuern. Man kommt ja am Anfang dauernd mit der Flugrichtung durcheinander und steuert erst einmal falsch herum.”

Nimhil hatte immer, wenn der Pilot steuerte, Angst um sein Modell, an dem er so lange mit viel Liebe gebaut hatte. Manchmal sah das nun einmal nicht so schön aus, wie man es vielleicht von einem erfahrenen Piloten erwartete. Jetzt wurde das Modell nicht mehr auf der Wiese am Kleinen Fluss, sondern auf dem Flugplatz fliegen gelassen, wenn es gerade keine Starts und Landungen gab.

Sobald man dabei aus der Ferne einen Elfenflügel ankommen sah, musste das Modell sofort landen. So konnte man auch die Abende nach der Schule für ein oder zwei Flüge nutzen. Bei einem frei fliegenden Modell hätte man das so nicht machen können.

Nun lernte auch Nimhil das steuern des Modells vom Boden aus. Am Anfang startete und landete dabei der Pilot und während das Modell hoch oben in der Luft war, wurde der Apparat zum Steuern zwischen Nimhil und dem Piloten hin und her gereicht. So lernte Nimhil nach und nach das Modell zu steuern und schließlich alleine zu starten und zu landen.

Solange Nimhil zu diesem Lehrer im Dorf am Flugplatz ging, beschäftigte er sich an den Abenden und an Mondtagen mit diesem und einigen weiteren Modellen, die er noch baute.

Die Fliegerei mit dem Modell war natürlich nicht alles, was Nimhil außer dem Lernen in der Schule noch machte. Wie alle Kinder der Elfen lernte Nimhil auf einem Pferd zu reiten und mit Pfeil und Bogen zu schießen. Dann ging oder ritt er oft mit seinem Vater oder einem Nachbarn in den Wald. Dabei lernte er alle Beeren und Pilze kennen, die im Wald wuchsen.

Er lernte, welche man davon essen konnte und welche ungenießbar oder giftig waren. Im Wald war er auch dabei, wenn sein Vater oder ein Nachbar auf die Jagd gingen. Alle diese Dinge gehörten zum Leben eines Elfen einfach dazu. Nimhil war auch beim Gold waschen im Goldbach dabei und schaute zu, wie die Goldschmiede Schmuck herstellten. So lernte er alles kennen, was zum Leben eines Elfen allgemein dazu gehörte und was es speziell in diesem Dorf am Goldbach gab.

Zum Lernen musste er nun das Dorf am Goldbach und seine Eltern verlassen und erst einmal zu einer zentralen Bibliothek reisen. Da er seine Ausbildung zum Piloten auf einem einem speziell dafür eingerichteten Flugplatz in Dunklen Wald machen musste, wählte er die große Bibliothek am Großen See zum lernen aus. Also verabschiedete er sich früh an einem Morgen von seinen Eltern und bestieg mit einer Tasche, in der sich einige persönliche Dinge befanden, eine Gondel der Seilstraße. Nun ging es aber nicht wie sonst immer nur in das Dorf am Flugplatz sondern irgendwo hin ins ungewisse. Nimhil war also sehr aufgeregt.

KristallmachernSuchenderKristallschmelzens

Die Kristallmacher, zu denen Nimhil nun aufbrach, siedelten im südlichen Teil des Langen Auentales. Es war also nicht weit dort hin. Der Elfenflügel flog nach Südosten zunächst über ein Hügelland und dann über eine große Ebene mit dichtem Wald. Dann gab es immer mehr offene Flächen mit Wiesen, kleinen Flussläufen, Seen und Teichen. Das alles gehörte schon zu den Auen des Alten Flusses. Bald war dann auch der der Alte Fluss zu sehen, dessen Lauf der Elfenflügel nun nach Süden folgte. Es gab unzählige Windungen und Verzweigungen in diesem Flusslauf.

Nimhil quartierte sich in dem Gästehaus an diesem Flugplatz ein um in den nächsten Tagen von dort aus die Kristallmacher zu besuchen. Er lernte nun, das es vier Arten von Produkten aus Kristall gab: Kristallgefäße, Fensterkristalle, Augenkristalle und magische Kristalle. Alle diese Produkte aus Kristall wurden aus dem Sand hergestellt, den man aus dem Flussbett des des Alten Flusses holte.

Für die Fensterkristalle war nun auch das Können der Eisenschmelzer und Schmiede notwendig, denn nur mit äußerst präzise hergestellten eisernen Walzen konnte man große ebene Platten aus Kristall herstellen, durch die man hindurch schauen konnte, ohne dabei ein verzerrtes Bild zu sehen. Das geschmolzene Kristall wurde immer wieder zwischen diesen Walzen hin und her geschoben, bis es die gewünschte Dicke hatte.

Für Augenkristalle herzustellen, benötigte man Maschinen, mit denen man ein Stück Kristall, das man aus dem Feuer holte, so anschleifen konnte, dass es wie die Linse eines Auges funktionierte. Hier war die Kunst der Schmiede und Maschinenmacher gefragt. Neben der exakten Form der Kristalle war es bei Augenkristallen wichtig, dass das Licht so durch sie hindurch drang, dass es keine mehrfarbigen Ränder in den Bildern gab, die das Auge aus Kristall erzeugte.

Über magische Kristalle war allgemein nur bekannt, dass man durch bestimmte Zusätze im geschmolzenen Kristall, dieses für eingefangenes Sonnenlicht teilweise leitfähig machen konnte. Durch eine spezielle Abfolge der Schichten im Kristall wurde es damit möglich, Sonnenlicht einzufangen und dann den Fluss dieses eingefangenen Lichts im Kristall zu beeinflussen.

denkende Kristalle

Es gab verschiedene Arten von denkenden Kristallen: solche, die starke Antriebe mit eingefangenem Sonnenlicht direkt steuern konnten, und solche die sehr komplizierte Vorgänge von selbst ablaufen lassen konnten. Die Funktion eines Sonnenkristalls konnte man auch umkehren um verschiedene Bilder auf einem Kristall sichtbar werden zu lassen. Man kann sich also lebhaft vorstellen, dass die frühen Menschen, die, wie wir später noch erfahren werden, mit solchen Dingen in Kontakt kamen, so etwas als Zauberei oder Magie ansahen.

Aber auch für Lampen, Lichttöpfe oder den Antrieb einer Seilstraße, waren verschiedene Handwerker und Werkstätten notwendig um diese herzustellen. Auch einige der benötigten Rohstoffe mussten aus verschieden Teilen des Landes herbeigeschafft werden. Während es Sand und Feuerholz im Langen Auental mehr als genug gab, kam alles Metall aus den Bergwerken, Schmelzöfen und Schmieden in den grünen Bergen westlich des Langen Auentales. Diese Berge wurden deshalb so genannt, weil sich die grünen Auwälder bis hoch in ihre Hänge erstreckten. Die Keramik, die verwendet wurde um die Kupferdrähte für das eingefangene Licht getrennt zu führen, stammte aus dem Großen Elfenwald.

Die große Bibliothek lag auf der nördlichen Seite des Sees. Die Hallen mit den Büchern waren halbkreisförmig um einen großen Platz gebaut, der sich direkt am Ufer des Sees befand. Auf diesem Platz traf man sich, um miteinander zu reden. Dabei konnte man über den See blicken und bei klarem Wetter die Hohen Schneeberge dahinter sehen. Abends war der Platz beleuchtet. Dann wurde dort Musik gemacht, oder es wurden Theaterstücke aufgeführt oder ähnliches.

Nimhil war nun abwechselnd in der Bibliothek und auf dem Flugplatz zur Ausbildung im Dunklen Wald. Dieser Flugplatz lag außerhalb der Strecken, über die ständig Waren und Personen mit Elfenflügeln transportiert wurden. So war dort eine ungestörte Pilotenausbildung möglich. Es gab aber außer dem kleinen Dorf, in dem die Helfer und Handwerker vom Flugplatz und die Fluglehrer wohnten, nur die Unterkünfte für die Flugschüler. Da man in dem Dorf gerne unter sich blieb, gab es für die Flugschüler keine Möglichkeiten abends etwas zu unternehmen. Daher freute sich Nimhil immer, wenn er wieder zurück zu der Bibliothek konnte.

Da er zunächst keine größeren Strecken mit Zwischenlandungen bediente, war er immer nach zwei Tagen wieder zu hause. Wenn einmal bei schlechterem Wetter geflogen wurde, übernahm diesen Flug ein erfahrener Pilot. Als Nimhil schließlich nach einigen Jahren genügend Erfahrungen gesammelt hatte, übernahm er auch längere Strecken und flog auch bei schlechterem Wetter, falls sich das nicht vermeiden ließ.