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Titelseite

Inhalt

Widmung

Prolog – oder: Warum auch Spitzendetektive manchmal den Halt verlieren …

Liebe im halben Dutzend

Willkommen bei den Schulze-Naumanns!

Eine Warnung, die es in sich hat!

Alte Bekannte. Und neue Probleme.

Ganz schön gefährlich, so eine Landpartie!

Generalprobe schlecht, Aufführung gut. Hoffentlich!

Feiern will geplant sein.

Ein schlimmer Verdacht!

With a little help from my friends – oder: Freunde helfen gern.

Operation »Findet Odette!«

Ponys sind doof. Oder etwa nicht?

Lizenz zum Mäusejagen

In guten wie in schlechten Zeiten!

Jetzt wird’s unterirdisch!

Showkater wider Willen.

Kein Verlass auf die Kollegen. Aber auf die Ponys.

Ein Freund, ein guter Freund …

Ein genialer Trick.

Es geht los! Bloß: Wo??

Die Polizei, dein Freund und Helfer. Stimmt echt!

Happy End! Und zwar kräftig!

The End – oder: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei …

Leseprobe

Alle Bände von »WINSTON«

Über die Autorin

Weitere Infos

Impressum

 

Für Winstons Freund Aron

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Prolog –
oder: Warum auch Spitzendetektive manchmal den Halt verlieren …

»Komm schon her, du mickriger, kleiner Kater! So was wie dich fresse ich jeden Morgen zum Frühstück. Und dann bin ich nicht mal satt!«

Heilige Ölsardine! Vor mir auf dem Dachbalken sitzt ein Monster mit funkelnden giftgelben Augen und faucht mich an! Es ist gigantisch groß – mindestens doppelt so groß wie mein dicker Katzenfreund Spike und noch mal doppelt so breit. Ich bin wirklich ein ausgesprochen mutiger Kater, aber gerade jetzt sträuben sich bei mir alle Haare von der Schwanzspitze bis rauf zu den Ohren. Das Monster fletscht seine Zähne, vier riesige Schneidezähne blitzen auf. Schätze mal, damit kann es ganz schön fest zubeißen. Unsicher weiche ich einen Schritt zurück. Bloß nicht die Balance verlieren! Immerhin schwebt der Balken, auf dem wir uns befinden, mindestens fünf Meter über dem Boden!

»Na, machst du dir vor Angst schon in die Hosen?«, höhnt das Monster. »Kein Wunder. Gegen mich hast du auch überhaupt keine Chance. Hau am besten ab. So schnell du kannst und so weit weg, wie du kannst. Sonst mache ich Hackfleisch aus dir!«

Das klingt nicht gut. Also – nichts gegen Hackfleisch an sich! Wenn unsere Haushälterin Anna mir feinstes Beeftartar mit einem Hauch Petersilie serviert, bin ich damit selbstverständlich sehr einverstanden. Ich selbst möchte aber nicht zu selbigem verarbeitet werden, ich glaube nämlich, Frikadelle steht mir nicht. Andererseits: einfach den Schwanz einkneifen? Ich? Winston Churchill? Der schlauste und mutigste Kater der Welt? Auf gar keinen Fall!

»Ähm, ich glaube, das ist hier ein kleines Missverständnis, mein Herr. Ich suche überhaupt keinen Streit, sondern meine Herzallerliebste. Odette. Auffallend schöne weiße Katze. Haben Sie sie vielleicht irgendwo gesehen?«

Jetzt ist es das Monster, das einen Schritt zurückweicht. Offenbar muss es überlegen und das kann es wohl nicht so gut, wenn es geifernd direkt vor meiner Nase steht.

»Meinst du vielleicht so ’ne fette Langhaarige? Kurzatmig? Schnauft ganz schön bei jedem Schritt?«

Heilige Ölsardine! Spricht der etwa so über meine Odette? Was für eine Frechheit! Allein dafür müsste ich ihn schon zum Duell fordern. Gut, sie hat um die Hüften ein bisschen zugelegt – aber dafür gibt es schließlich einen guten Grund! Ach, was sage ich: den besten Grund überhaupt!

»Odette ist nicht fett. Sie ist wunderschön!«, fauche ich das Monster an. »Also, hast du sie jetzt gesehen oder nicht? Ich will eine Antwort, und zwar zackig!«

Aber anstatt zu antworten, macht das Monster einen riesigen Satz nach vorn und haut mit seinen Pranken ganz fest auf meine empfindliche Nase. Ein stechender Schmerz fährt mir durch den gesamten Körper, ich verliere das Gleichgewicht und kann mich auf dem Holzbalken nicht länger halten. Noch im Fallen registriere ich, wie das Monster irgendjemandem, der unten stehen muss, ein Zeichen gibt. Dann wird mir schwarz vor Augen …

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Liebe im halben Dutzend

»So, Kira, und wenn du mal hier guckst, dann kannst du es ziemlich genau sehen.« Tierärztin Frau Dr. Wilmes dreht den kleinen Fernseher zu Kira und mir hinüber, während sie gleichzeitig weiter mit einer Art Stab über Odettes Bäuchlein fährt. »Eins, zwei, drei, vier … und hier ist Nummer fünf. Fünf kleine Katzenbabys tummeln sich in Odettes Bauch.« Sie hält kurz inne. »Oh, und hier sehe ich sogar ein sechstes Kätzchen! Herzlichen Glückwunsch, das ist schon eine ziemliche Wurfgröße!«

Ungläubig staunend betrachte ich das graue Gewusel auf dem Fernsehschirm. Das sollen Kätzchen sein? Odettes Babys? Meine Babys? Und wie kommen die in den Fernseher hinein? Vorsichtig tapse ich nach vorn und beschnuppere den Bildschirm. Frau Dr. Wilmes lacht.

»Ja, da staunst du, Winston, oder? Ist schon aufregend, Vater zu werden.«

Vater. Wie das klingt! Fast ein bisschen gruselig. Und so richtig viel darunter vorstellen kann ich mir auch nicht. Meinen eigenen Vater habe ich nie kennengelernt. Ein Foto habe ich von ihm gesehen, an der Pinnwand meines Züchters: Leroy of Riverbanks-Mulberry. Er war ein edler Britisch-Kurzhaar-Champion mit grauem Pelz und majestätischer Haltung. Aber ob er ein guter Vater gewesen wäre – keine Ahnung. Mir fehlt also eindeutig ein Vorbild.

Werner Hagedorn, der Mensch, mit dem ich schon seit Urzeiten zusammenlebe, ist auch kein Vater, weil er schließlich keine Kinder hat. Wobei – so ganz stimmt das nicht. Wir leben nun schon seit einer Weile mit Kira und ihrer Mutter Anna zusammen. Kira ist dreizehn und meine beste Menschenfreundin, ihre Mutter Anna kam als Werners Haushälterin zu uns. Bald aber haben sich Anna und Werner ineinander verliebt und sind jetzt ein Paar, und mit Kira wurde aus ihnen eine Familie. Jedenfalls glaube ich, mittlerweile ist Werner schon so etwas Ähnliches wie ein Vater für Kira. Er hilft ihr bei den Hausaufgaben oder fährt sie zur Schule, wenn das Wetter sehr schlecht ist. Genau wie Anna schimpft Werner mit Kira, wenn sie überall ihre Sachen rumfliegen lässt oder zu spät zur Schule losradelt. Und er schummelt für sie und gibt ihr ein Entschuldigungsschreiben, wenn sie die Hausaufgaben mal nicht gemacht hat. Dann behauptet er, er habe die Aufgaben aus Versehen eingesteckt und mit in sein Büro an die Universität genommen. Werner ist dort nämlich Professor für Physik und die meisten Lehrer sind davon sehr beeindruckt. Also meckern sie dann nicht mit Anna. Ein toller Trick!

Wie komme ich jetzt da drauf? Ach, genau – Vater sein. Vielleicht ist ein guter Vater genau so: Jemand, der mit dir schimpft, wenn du Mist gebaut hast, aber dich trotzdem nicht hängen lässt und dir hilft, Sachen wieder geradezubiegen. So ein Vater würde ich auch gern für Odettes und meine Katzenbabys sein. Auch wenn die natürlich nicht zur Schule gehen werden. Außer in die Schule des Lebens!

»Was meinen Sie, wann die Kätzchen zur Welt kommen werden?«, erkundigt sich Werner bei Frau Dr. Wilmes. Die wirft daraufhin noch mal einen Blick auf den Fernseher und überlegt kurz.

»Hm, die normale Tragezeit bei Katzen ist 63 Tage. Ich schätze mal, die Kleinen brauchen noch eine gute Woche – also nächstes Wochenende sollten Sie schon mal die Wurfbox bereitstellen.«

»Nächstes Wochenende? Wurfbox?«, fragt Werner und klingt dabei alles andere als begeistert.

»Ja, heute ist Freitag, und in ungefähr acht Tagen rechne ich mit Nachwuchs für Ihre weiße Schönheit. Und so eine Wurfbox sollten Sie schon für die Mutter und ihre Kleinen bauen, Herr Hagedorn. Muss ja nichts Aufwendiges sein.«

»Mist!«, nuschelt Werner.

»Wie bitte?«, fragt Frau Dr. Wilmes streng nach. »Freuen Sie sich etwa nicht?«

»Doch, doch!«, beeilt sich mein Herrchen zu versichern. »Es ist nur so: Ich heirate nächstes Wochenende und bin dann gar nicht in Hamburg. Sondern in der Lüneburger Heide. Meine Verlobte hat einen ganz entzückenden Gutshof auf dem Land gefunden, auf dem wir heiraten werden.«

Frau Dr. Wilmes runzelt die Stirn.

»Verstehe. Da passt so eine Katzengeburt natürlich nicht richtig in die Planungen. Allerdings würde ich auch davon abraten, die Katze ganz allein zu lassen. Sicher, die meisten Katzen bringen ihre Babys ohne Unterstützung zur Welt. Aber falls doch mal etwas schiefgeht, wäre es schon gut, wenn es jemand bemerken und mich zur Hilfe holen würde. Ich will Ihnen keine Angst machen, aber Sie wollen doch sicherlich nicht riskieren, dass Odette oder den Babys etwas zustößt.«

MAUNZ!!! Nein, das wollen wir auf gar keinen Fall! Aufgeregt springe ich vom Tisch und kralle mich an Werners Hose.

»Aua, Winston! Spinnst du? Das tut weh! Böser Kater!«, schimpft Werner.

»Wieso denn?«, verteidigt mich Kira. »Er hat nur Angst um seine Freundin Odette! Das ist doch wohl logisch.«

Frau Dr. Wilmes lacht. »Ja, das schaut tatsächlich ganz danach aus. Aber wie wäre es damit: Sie bringen die werdende Katzenmama über das Wochenende in die Katzenpension. Oder in die Tierklinik. Dann können Sie ganz beruhigt Ihre Hochzeit feiern und wenn Sie wiederkommen, sind die Babys wahrscheinlich schon da.«

Bei meinem Lieblingskratzbaum! Das ist die allerschlechteste Idee, die ich jemals gehört habe! Ich will Odette nicht alleine lassen und ich will dabei sein, wenn mein allerliebstes Herrchen heiratet. Das ist schließlich eine Familienfeier, die KANN ohne mich NICHT stattfinden! Ich fauche wütend und kralle mich erneut an Werners Hose fest.

»Autsch, Mist!«, ruft der und versucht, sein Bein wegzuziehen, was ihm natürlich nicht gelingt, ohne dass ich mich noch fester kralle. »Winston!«, heult er auf. »Nun lass das doch!« Ich denke gar nicht dran!

»Winston findet die Idee mit der Pension doof«, kichert Kira. »Wundert mich nicht. Er will Odette bestimmt bei der Hochzeit dabeihaben. Ist ja schließlich ein Familienfest.«

Kira ist einfach die Beste! Und sie kann eindeutig meine Gedanken lesen. Was kein Wunder ist. Schließlich haben wir zu Beginn unserer Freundschaft einmal aus Versehen die Körper getauscht. Ja – ganz recht! Sie steckte in meinem Körper und lebte eine Zeit lang als Katze und ich musste in ihrem Körper zur Schule gehen. Eine furchtbare Erfahrung! Führte allerdings dazu, dass ich lesen kann. Gott sei Dank konnten wir zurücktauschen – aber diese sehr nützliche Fähigkeit habe ich behalten.

Werner betrachtet mich nachdenklich.

»Vielleicht hast du recht, Kira. Frau Wilmes, denken Sie, wir könnten Odette so einfach mitnehmen? Auf den Gutshof in der Heide? In eine fremde Umgebung? Vielleicht haben die dort ja sogar so eine Wurfbox, von der Sie eben gesprochen haben?«

Sie nickt.

»Natürlich, warum nicht? Eine Tierpension wäre für Odette schließlich auch fremd. Wichtig ist nur, dass sie ein ruhiges Eckchen hat, in das sie sich zurückziehen kann und dass ab und zu mal eine vertraute Person nach ihr schaut. Dann sollte alles glattlaufen.«

Werner seufzt.

»Wie bringe ich das nur Anna bei? Und auch Babuschka? Ich glaube, die beiden Damen haben sehr genaue Vorstellungen von der Hochzeit und eine Katzengeburt gehört bestimmt nicht dazu.«

Da könnte natürlich etwas dran sein. Anna plant schon seit Wochen das Fest ihres Lebens, überall liegen Zeitschriften herum mit glücklich lächelnden Paaren darauf, der Brautkleidkauf war ein echter Staatsakt, und bevor Werner und Anna sich für den Gutshof in der Heide entschieden haben, wurden bestimmt 5000 andere Restaurants und Hotels besichtigt. Na gut, vielleicht auch nur zehn, auf jeden Fall waren es viele. Babuschkas Unterstützung macht die Sache natürlich überhaupt nicht besser, denn Kiras russische Großmutter war wie immer sehr energisch, wenn es darum ging, ihren Senf dazuzugeben. Ich glaube, mein armer Werner hat in letzter Zeit ganz schön viele neue graue Haare dazubekommen. Noch hat er zwar nicht die gleiche Farbe wie mein edler Vater Leroy of Riverbanks-Mulberry, aber es fehlt nicht mehr viel!

»Komm schon, Werner«, beruhigt ihn Kira, »rede mit Anna. Du wirst es ihr schon klarmachen. Sie liebt doch Katzen auch über alles. Und keine Sorge: Meine Großmutter übernehme ich. Wenn ich mit ihr rede, ist sie bestimmt nicht sauer. Du wirst sehen – alles wird gut. Eure Hochzeit UND die Geburt der Kätzchen! Mit oder ohne Wurfbox.«

Meine Kira! Hat die Sache einfach im Griff.

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Willkommen bei den Schulze-Naumanns!

»Chab ich glaich gesagt, dass Mitnehmen von Katze ist keine gut Idee! Besser Tierpension mit Katze!«

Schon die gesamte Autofahrt hat Babuschka jetzt damit zugebracht, darüber zu schimpfen, dass Odette nun tatsächlich mit uns in die Lüneburger Heide fährt. So ganz hat Kiras Überredungskunst sie also nicht beruhigen können. Gut, dass Werner keine Wurfbox gebaut hat, weil die eh nicht in den Kofferraum gepasst hätte und Odette es sich deshalb auf dem Rücksitz bequem gemacht hat, wo sie sich gleich zu Beginn der Fahrt übergeben musste. Das hat die Sache sicherlich nicht besser gemacht – aber hey: Schwangeren wird nun mal schneller schlecht! Odette kann überhaupt nichts dafür! Aber das interessiert Kiras Oma nicht. Dabei müsste sie doch wissen, wie es sich anfühlt, schließlich ist Anna ihre Tochter.

Doch Babuschka meckert und motzt und beschwört sogar den Herrn im Himmel, dass diese unleidige Katzengeburt bitteschön der Traumhochzeit ihrer einzigen Tochter keinen Strich durch die Rechnung machen möge.

Eigentlich ist die Sache mit dem Herrn da oben eher Simones Ding. Werner Hagedorns Schwester ist ja Pastorin und fragt bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit den lieben Gott nach seiner Meinung. Doch die wird samt der anderen Verwandtschaft erst am Nachmittag oder, wenn es richtig gut läuft, am Abend in der Lüneburger Heide erwartet.

Als Werners Auto endlich zum Stehen kommt und Kira die Tür öffnet, springe ich noch vor allen anderen heraus. Babuschkas süßliches Parfüm – kein Wunder, dass Odette sich übergeben musste – und ihr unentwegtes Geschimpfe, nicht eine Sekunde länger hätte ich es hier drinnen ausgehalten.

Erleichtert atme ich durch und atme noch tiefer durch und … verflixter Heringssalat, wonach stinkt es hier denn bloß?

Uuuuh-bäh-eklig!

Und wie es hier aussieht. Ein dampfender Misthaufen zu meiner rechten Seite, daneben ein langes Stallgebäude, aus dem unzählige zottelige Pferdeköpfe neugierig herauslugen. In der Ferne entdecke ich einige eingezäunte Rasenflächen. Und noch mehr, viel, viel mehr PFERDE!

Brrr, was soll das? Ich mag doch keine Pferde. Und erst recht keinen stinkenden Pferdemist. Außerdem ist dies mit Sicherheit nicht der Ort für eine strahlende Traumhochzeit. Und erst recht nicht der Ort, um sechs edle wie garantiert wohlgeratene Katzenbabys zur Welt zu bringen. Was sollen die Kleinen denn denken, wenn sie sich das erste Mal umschauen? Dass sich ihre Eltern kein besseres Zuhause leisten können oder was? Nein, die Nachkommen von Winston Churchill, dem schlausten und mutigsten Kater der Welt, und der überaus lieblichen wie bildschönen Odette haben eine angemessene Umgebung verdient.

Okay, okay, das Gutshaus zu meiner linken Seite sieht wiederum ganz passabel aus. Und die Gebäude, die sich daran anschließen, machen allesamt einen recht gepflegten und anheimelnden Eindruck. Nur dieser Gestank, der hier über allem schwebt, dick und warm und widerlich süßlich – heilige Ölsardine! Das ist echt nicht zum Aushalten.

Kira hat inzwischen Odette von der Rücksitzbank gehoben und schaut sich auf dem Hof um. Beide sehen irgendwie begeistert aus. Nur, das kann nicht sein! Das hier ist überhaupt nicht Kiras Welt! Sie ist ein Stadtkind. Eine echte Großstadtpflanze. Miefiger Mist, Stroh, Heu, riesige Pferdeohren und Glubschaugen, all das ist bestimmt nichts für meine Menschenfreundin Kira.

Und erst recht nicht für meine Odette.

»Schatz«, maunze ich, »ich bin selbst ganz erschrocken, wo wir hier gelandet sind. Das musst du mir glauben.« Ich würde ihr gerne versichern, dass wir auf der Stelle auf den Hinterpfötchen wieder kehrtmachen. Nur befürchte ich, ohne Werners fahrbaren Untersatz ist der Weg zu weit für meine liebste Odette.

Und so strahlend, wie sich Anna und Werner nun umschauen, liegt die Vermutung nahe, dass es ihnen hier tatsächlich gefällt. Sind die denn total verblendet? Riechen die den Gestank etwa nicht? Was haben sich die beiden bloß dabei gedacht, so einen Ort für den hoffentlich schönsten Tag ihres Lebens auszuwählen?

»Winston, nun entspann dich bitte, ich finde es hier wunderschön. Ganz viel frische Luft und eine herrlich weite und grüne Natur. Ich könnte mir keinen schöneren Ort vorstellen, an dem unsere Kinder das Licht der Welt erblicken werden.«

Der Fall ist klar: Schwangerschaftshormone verblenden Odettes Blick. Sonst würde sie genauso entsetzt sein wie ich. Aber mit unseren Jungen im Bauch scheint sie die Welt um sich herum durch die rosarote Mutti-Brille zu sehen. Anders kann ich mir ihre leuchtenden Augen und das liebliche Grinsen um ihre Mundwinkel herum wahrhaftig nicht erklären.

Nun springt sie auch noch von Kiras Arm. Und Kira lässt sie einfach gewähren. Hallo? Kira! Würdest du Odette wohl auf der Stelle wieder hochheben? Dieser staubige Staub unter ihren schneeweißen und zarten Pfötchen, das geht ja wohl gar nicht. Völlig inakzeptabel.

Doch Kira scheint irgendwie weggetreten zu sein. Sie guckt noch immer total begeistert und lässt dabei Odette völlig aus den Augen.

Jetzt zwitschert sie sogar in einer Stimmlage, die ich noch nie zuvor bei ihr gehört habe: »Ist das schön hier, sososo schön! Und diese vielen Ponys und Pferde, ich bin total überwältigt.« Bei meinem Kratzbaum, das ist gruselig! Was ist nur in meine Kira gefahren?

Während Odette rüber zu einem riesigen runden Strohballen tapert, der am Rand einer Scheune ohne Tor steht, trällert Kira vergnügt weiter: »Werner, was meinst du, darf ich hier wohl auch mal reiten?«

Ich bin hin- und hergerissen, was ich zuerst tun soll. Odette davon abhalten, auf diesen staubigen und bestimmt schrecklich piksenden Strohballen zu klettern, oder Kira von ihren Reitplänen abbringen?

Odette nimmt mir die Entscheidung ab, indem sie mit einer für ihren Bauchumfang äußerst erstaunlichen Eleganz und Leichtigkeit auf den Ballen fliegt. Werner hingegen erklärt, dass er später mal Herrn Schulze-Naumann fragt, ob das mit dem Reiten möglich ist. Bedeutet für mich: Odette hat mal wieder ihren ganz eigenen Kopf und Kira kann ich später noch vor den großen Gefahren bewahren, die unter Garantie auf dem Rücken eines dieser Zottelviecher lauern.

»Odette, ich bitte dich, komm da wieder runter! Wer weiß, was sich im staubigen Stroh so alles verbirgt. Milben, Flöhe, Stechmücken … bestimmt nichts Gutes für dich und unsere Kleinen.«

Doch Odette winkt träge ab. »Winston, jetzt entspann dich mal! Hier oben ist es herrlich. Ein leichter warmer Wind weht und das Stroh ist angenehm weich. Außerdem bin ich ein wenig erschöpft von der Fahrt und kann hier wunderbar ausruhen. Also sei so nett und gönn mir einen Moment der Ruhe und Erholung.«

Maunz! Damit bin ich ganz und gar nicht einverstanden. Doch Odette ist nicht nur ausgesprochen schön, sondern kann auch ausgesprochen dickköpfig sein. Wenn es ihr dort oben gefällt, dann kann ich mir die Schnauze fusselig reden und werde sie dennoch nicht vom Gegenteil überzeugen. So ist sie und so liebe ich sie. Auch wenn es manchmal recht anstrengend ist, weil ich es nun mal besser weiß, sie es aber nicht einsehen will. Trotzdem bin ich unendlich glücklich, dass wir nun endlich ein Paar sind und Eltern werden. Es hat schließlich ganz schön lange gedauert, bis mir Odette endlich ihr Herz geschenkt hat. Zuerst hielt sie mich nämlich für einen ängstlichen Wohnungskater, ein richtiges Weichei. Gott sei Dank konnte ich ihr durch meinen unerschrockenen Einsatz als Superdetektiv beweisen, dass ich in Wirklichkeit ein Weltklassekater bin! Mindestens fünf Verbrecher habe ich schon gemeinsam mit Kira hinter Gitter gebracht, ohne uns wäre die Polizei völlig aufgeschmissen gewesen!

Ich beschließe, mich direkt unten vor den Ballen zu hocken und Odette vor möglichen Lüneburger-Heide-Pampa-Gefahren zu bewahren. Doch das passt Odette auch nicht.

»Winston, bitte, jetzt sieh dich hier halt ein bisschen um. Wenn du da unten sitzt und die ganze Zeit zu mir hochstarrst, dann kann ich einfach nicht entspannen.«

Heilige Ölsardine, warum muss Odette eigentlich so unvernünftig sein? Aber was soll’s, ich werde mich bestimmt nicht mit ihr streiten. Schließlich hat Frau Dr. Wilmes gemeint, jede Art von Aufregung sei für trächtige Katzendamen nicht gut.

Nur deshalb räume ich das Feld. Natürlich nur so weit, dass ich den Rundballen mit Odette obendrauf auch stets im Blick habe.

Ich schlendere an dem länglichen Stallgebäude vorbei und werde plötzlich von Kira eingeholt.

»Na, Winston, gehst du auch erst mal auf Entdeckungstour? Ich sollte ja eigentlich beim Autoausräumen helfen. Aber Werner und Mama sind jetzt mit Babuschka im Gutshaus verschwunden, um sich anzumelden und die Zimmerschlüssel in Empfang zu nehmen. Ich habe die Gelegenheit genutzt und mich aus dem Staub gemacht.« Sie grinst mich verschwörerisch an – und ist noch immer ganz und gar aus dem Häuschen. Ich erkenne meine Kira kaum wieder. Ihr Gesicht erinnert mich an ein Honigkuchenpferd und ihre Stimme, nun ja, die klingt nach wie vor in meinen Ohren total fremd. So verrückt und euphorisch.

»Hach Winston«, haucht sie nun überglücklich. »Ich wollte schon immer mal auf einen Ponyhof. Und für Odette ist es auch richtig klasse, wenn sie hier auf dem Land, umgeben von frischer Luft und viel Grün, ihre Babys zur Welt bringen kann.«

Ich starre Kira an. Frische Luft? Wie bitte? Hier stinkt es bestialisch. Widerlich! Und im Grün lauern tausend gefährliche Dinge: Schnaken, Grashüpfer, Würmer, Bienen, Mücken – genau, hier herrscht bestimmt eine katastrophale Mückenplage.

Ich maunze vorwurfsvoll, doch Kira ist mit ihren Gedanken und Blicken längst weitergeeilt.

»Oh, schau mal, Winston, hast du jemals so ein bildschönes Pony gesehen, wie diesen schicken schwarzen Kerl da auf dem Paddock direkt vor uns?!«

Ich will ihr raten, bloß nicht näher an das schwarze Ungeheuer heranzutreten, da hat sie schon ihre Hand über das Gatter gestreckt und tätschelt dem Zottelkerl die weiße Nase.

»Hallo, wer bist du denn? Ich bin Kira und habe mich gerade schockverliebt.« Kira lacht sehr hell und sehr schrill für ihre Verhältnisse, und als das schwarze Zotteltier daraufhin schnaubt, versprüht es unzählige kleine Schnodderspritzer.

BÄH! WIDERLICH! BÄÄÄHHH!

Kira lacht noch immer, und nun beginne ich tatsächlich, ein wenig an ihrem Verstand zu zweifeln – was noch niemals vorgekommen ist, seitdem wir uns kennen.

Kira ist ein taffes Mädchen mit einem messerscharfen Verstand. Noch dazu eine echte Superdetektivin! Dass sie nun beim Anblick eines solchen Zottel-Schnodder-Ungeheuers in wahre Verzückung verfällt, damit hätte ich nie gerechnet.

Und es kommt noch schlimmer. Ein riesiges schneeweißes Pferd mit einem Kopf so groß wie der eines Elefanten (okay, okay, wenn ich ehrlich bin, dann habe ich noch niemals einen Elefanten gesehen – also außerhalb des Fernsehapparates), kommt aus dem Stall ohne Türen getrabt und stellt sich neben das schwarze Pony ans Gatter.

»Oh hallo«, begrüßt Kira auch das weiße Gespenst freudig und tätschelt ihm das riesengroße Maul. »Wer bist du denn?«

»Wally!«, erklingt eine Stimme.

Im ersten Moment denke ich wirklich, das Pferd könnte sprechen. Verrückt, ich weiß. Aber wenn man plötzlich aus seinem vornehmen Hamburger Zuhause in die stinkende Pampa verfrachtet wird, dann kann man schon mal sonderbare Gedanken haben.

Doch es ist ein Junge, der wie aus dem Nichts neben uns aufgetaucht ist und Kira freundlich anlächelt. Nun hebt er leicht die Hand und erklärt: »Ich bin übrigens Lucas Schulze-Naumann. Der schwarze Kerl dort ist Bulli.«

Kira kichert sonderbar und hebt ebenfalls die Hand. »Oh, Bulli, was für ein lustiger Name für ein Pony. Ach so, ich bin Kira. Meine Mutter heiratet an diesem Wochenende hier auf dem Hof.«

Lucas nickt. »Das habe ich mir schon gedacht. Also, dass du zu der Hochzeitsgesellschaft gehörst. Magst du Pferde?«

Bevor Kira etwas erwidern kann, schüttelt er den Kopf. »Was für eine blöde Frage. Natürlich magst du Pferde. Sonst würdest du wohl kaum hier bei Bulli und Wally am Paddock stehen.«

Kira lacht – schon wieder sehr hell und etwas zu schrill. Meine Güte, was ist bloß mit meiner Kira los?

»Ich bin ganz verrückt nach Pferden«, erklärt sie nun, und jetzt bin ich ernsthaft um ihr Wohlergehen besorgt. Davon weiß ich nichts. Das ist mir tatsächlich neu.

»Bei uns in Hamburg kommen Ponys und Pferde allerdings eher selten vor. Zumindest in der Gegend, in der ich wohne. Aber ich habe schon eine Ewigkeit davon geträumt, mal zu reiten.«

Lucas freut sich augenscheinlich über Kiras Geständnis, denn er schlägt ihr tatsächlich vor: »Wenn du magst, dann kann ich dir nachher eine kleine Reitstunde geben. Wir haben ein paar wirklich brave Schulponys und -pferde.«

Kiras Augen leuchten auf wie Wunderkerzen. »Echt? Würdest du das tun? Wow, das … das wäre wirklich spitzenmäßig.«

Lucas nickt, und Kira fragt: »Ist Bulli etwa auch ein Schulpony, und kann ich vielleicht sogar auf ihm reiten?«

Doch diesmal verneint Lucas.

»Das geht leider nicht. Er lässt sich eigentlich nur von unserer Nachbarstochter Lina reiten. Und ein Schulpony ist er nie gewesen. Bulli ist ein echter Champion. Er hat sogar schon an den deutschen Meisterschaften teilgenommen.«

»Oh.« Kira bekommt große Augen, und ich bin heilfroh, dass sie nicht auf diesem nachtschwarzen Pony reiten darf. Das kommt mir nämlich nicht ganz geheuer vor.

Nicht ganz geheuer hört sich übrigens auch das sonderbare Geräusch an, das in diesem Moment in meinem linken Ohr erklingt. Ein Scharren oder eher ein Rascheln? Nein, ein Tippeln. Wie von vielen, vielen kleinen Füßen. Sehr seltsam!

Es kommt aus einer großen Halle, an der in schwarzen Buchstaben geschrieben steht: REITHALLE.

Kira ist inzwischen mit diesem Lucas in ein völlig überflüssiges Gespräch über Pferde vertieft, sodass ich beschließe, dem Geräusch nachzugehen.

Als ich losschleiche, höre ich Lucas zu Kira sagen: »Ist das eigentlich dein Kater und läuft der immer wie ein Hund ohne Leine mit dir mit?«

Hund ohne Leine? Hallo? Geht’s noch? Ich bin ein sehr edler Kater und verbitte es mir, mit einem banalen Hund verglichen zu werden.