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Luca und das Mal der Fürsten


Luca und das Mal der Fürsten


2. Auflage

von: Regina Schleheck

3,49 €

Verlag: VSS-Verlag
Format: PDF
Veröffentl.: 13.05.2018
ISBN/EAN: 9783961271092
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 150

Dieses eBook erhalten Sie ohne Kopierschutz.

Beschreibungen

Der junge Luca lebt in einer chaotischen Großfamilie. Der Vater hat schon vor seiner Geburt das Weite gesucht. Neben ihm und seiner Zwillingsschwester sorgt eine quirlige Schar älterer Schwestern und Brüder dafür, dass es zuhause drunter und drüber geht. Und dann ist da noch Alexander, sein Playmobil-Ritter …

Lucas Lieblingsort ist das Stille Örtchen im Keller, das er immer aufsucht, wenn er Ruhe und Stille braucht. Es scheint aber auch ein mystischer Ort zu sein, denn eines Tages gelangt er unfreiwillig von dort in eine gänzlich andere Welt, wo tiefstes Mittelalter herrscht, wo Räuber, Ritter und Minnesänger umherstreifen, und wo für ihn ein großes Abenteuer beginnt, in dem schließlich das Geheimnis um seine eigentliche Herkunft gelüftet wird

Jugend-Fantasy von Regina Schleheck
Was ist eigentlich normal? Jedenfalls nicht die Norm. Ich zum Beispiel bin mit einem Mal geboren. Normal ist das schon mal nicht. Wenn ich sage, ich bin mit einem Mal geboren, meine nicht, dass ich auf einmal geboren bin, das eher grade nicht, sondern ich habe ein Mal, seit meiner Geburt, so eine Art Muttermal halt. Und damit fängt diese Geschichte schon an. Was man damit Beklopptes erleben kann, glaubt mir wahrscheinlich sowieso keiner. Am Anfang hört sich vieles ja noch harmlos an, wenn auch nicht unbedingt normal. Oder was sollte daran normal sein, dass bis zu meiner Geburt keiner mit mir gerechnet hatte? Vielleicht war es ja auch Lucia, mit der keiner gerechnet hatte, jedenfalls hatte niemand gemerkt, dass wir zu zweit waren, Lucia und ich. Da Lucia aber als erste rauskam, war ich eben das Überraschungsei.
Ihr werdet sagen: Was macht das schon aus? Ich will gar nicht auf diesen ganzen Kram mit dem besseren Durchsetzungsvermögen und so raus. Mit einem guten Therapeuten kriegt man das später alles schon noch irgendwie hin gebogen. Aber manchmal macht es eben richtig was aus. Mich hätte es jedenfalls vermutlich das Leben gekostet, wenn’s anders gewesen wäre. Mein anderes Ich zumindest. Aber dazu später.
Ich weiß ja nicht mehr wirklich, wie es überhaupt dazu kam und was da drinnen so gebacken war. Aber ich denke schon, Lucia und ich, wir sind ganz gut miteinander klar gekommen. Das war auch nachher nie anders. Sie war halt grad näher am Ausgang, als es losging.
Eigentlich dachten alle, es wäre gelaufen. Mama hatte die Augen geschlossen und versuchte sich zu verschnaufen, während der Arzt und die Hebamme damit beschäftigt waren, Lucia zu waschen und zu vermessen. Lucia ist das hübscheste Baby gewesen, das man sich vorstellen kann. Das muss man neidlos anerkennen. Auch wenn mich das im Grunde nie wirklich gekratzt hat. Aber ich konnte natürlich auch schlecht darüber hinwegsehen. An mir ist nicht viel dran. Man sieht schon, dass wir Geschwister sind, aber okay, eineiig ginge ja sowieso nicht wegen des Y-Chromosoms. Aber wenn die Menschen sich über den Kinderwagen gebeugt haben, dann hieß es immer: „Ist die süß!“ Und dann die hastige Nachfrage: „Das eine ist doch ein Mädchen, oder?“ Und wenn es bestätigt wurde, dann das erleichterte: „Na, dann passt es ja!“ Ich fand immer, es passte ganz gut, dass keiner so einen Bohei um mich machte. Im Alltag war das allerdings auch bei Lucia nicht wirklich so. Wie auch? Hatte ja keiner wirklich Zeit zu. Mama jedenfalls nicht, und sonst war da ja auch keiner, der ihr was abgenommen hätte. Und unsere Geschwister – na, wie Geschwister halt so sind. Wir lernten sie am nächsten Tag kennen. Aber dazu nachher mehr.
Erst mal hatte ich ganz schön zu tun, dass man mich überhaupt erstmal zur Kenntnis nahm. Mama war natürlich die erste, die merkte, dass da noch was im Busch oder vielmehr im Bauch war. Die Wehen gingen munter weiter und sie stöhnte schließlich so laut, dass die Hebamme Lucia dem Arzt überließ und Mama zu Hilfe kam. Vielleicht lag es daran, dass Mama schon so erschöpft war, aber mir wurde auch später gern vorgehalten, ich hätte mir wohl nicht sonderlich Mühe gegeben – Melli nannte es schissig -, jedenfalls zog es sich noch ganz schön in die Länge von dem Moment an, wo die Hebamme schließlich geschnallt hatte, dass es mich auch noch gab. Sie war ein ziemlich resolutes Exemplar von Geburtshelferin. Wie Mama von ihr zwischen den Wehen erfuhr, hatte sie einige Jahre im afrikanischen Busch bei „Ärzte ohne Grenzen“ ausgeholfen. Vielleicht wusste sie deshalb auch nicht so genau, wie ein Ultraschallgerät funktioniert, oder hatte es zumindest für überflüssig gehalten, sich damit zu vergewissern, wie viele Babys anstanden. Dafür fackelte sie aber nicht lange, als Mama schließlich dicht vor einem Kollaps war, sondern kniete sich neben ihr auf das Bett und bohrte den Ellbogen kräftig in Mamas Bauch, um meiner Anstageslichtbeförderung Nachdruck zu verleihen, während der Arzt, der noch ziemlich frisch von der Uni kam, sie beschwor, der Anästhesist müsse her und ein Kaiserschnitt gemacht werden. Böse Zungen mögen vermuten, dass er noch nicht genügend Kaiserschnitte zusammen hatte für die Approbation. Der Hebamme war es auf der anderen Seite wohl ganz schön peinlich, dass sie bei all ihrer Erfahrung nicht geschnallt hatte, dass wir Zwillinge waren. Daher musste sie wohl partout zeigen, dass sie jetzt alles im Griff hatte. Wie dem auch sei, der Arzt konnte sich jedenfalls nicht durchsetzen, sondern der Hebammen-Ellbogen, der mich unerbittlich ans Tageslicht drückte, wo Lucia mittlerweile friedlich schlummerte und sich auch nicht stören ließ, als ich meinen ersten Krächzer tat.
Mama war so kaputt, dass sie mit Mühe die Augen aufkriegte, als die Hebamme erstaunt rief: „Na, das ist aber mal ein Storchenbiss! Das ist ja ein richtiges Mal!“ Mama erzählte später, dass sie im ersten Moment dachte, die Hebamme spräche von einer Mahlzeit, und so fragte sie sich gerade, ob die Frau mich für so einen Appetithappen hielt oder ob sie bereits begonnen hatte den Säugling zu füttern, als diese ihr das frisch gewaschene nackte Kind – mich – rücklings vorhielt, so dass sie meinen Nacken sehen konnte, in dem tatsächlich eine Art krönchenförmiges braunes Mal prangte. „Ein echtes Schöpfungskrönchen!“, versuchte sie Mama meinen Makel schön zu reden.
„Es ist, wie es ist, aber jetzt ist auch mal gut“, muss Mama gestöhnt haben. Ob sie damit sagen wollte, dass sie nun wirklich nicht noch mehr Kinder, dass sie schlicht ihre Ruhe haben wollte oder ob sie damit mein Nackentatoo beklagte – wer weiß.
Zumindest weiß ich, dass ich als kleines Kind auf den Fotos immer Baumwollrollis oder Halstücher trug, während Lucia auch schon mal Kleidchen mit Ausschnitt anhatte. Vielleicht wollte Mama sich und mir damit aber auch nur dumme Fragen ersparen. Ich hab es jedenfalls auch immer versucht zu verstecken, weil ich keine Lust hatte, irgendwelche Erklärungen abzugeben. Wenn jemand Sommersprossen hat oder O-Beine, fragt ja auch keiner, wieso das so ist. Aber egal was es ist, das Leute nicht ganz normal aussehen oder sein lässt, sie schmieren es dir aufs Butterbrot. Kinder sind da einfach völlig gemein. Mir haben sie auf dem Spielplatz nachgesagt, ein Vampir müsse sich nachts an mir die Zähne ausgebissen haben, weil er sich statt in die weiche Halsschlagader von hinten in die Halswirbel verbissen hätte. Ich fand die Geschichte eigentlich gar nicht so uncool. Aber es nervte natürlich. Also hab ich meinen Nacken nach Möglichkeit nicht zur Schau gestellt.
Das ist allerdings auch wieder ein Vorteil an großen Geschwistern. Solange sie dabei sind, sorgen sie dafür, dass du in Ruhe gelassen wirst. Allerdings sorgen sie andererseits auch dafür, dass man nie in Ruhe gelassen wird.
Oma Gerti, Mamas Mama, kam am zweiten Tag mit allen zusammen und sie hatte zu allem Überfluss auch noch einen Fotografen mitgebracht. Es ist nicht so, als wenn Oma Gerti es so dicke gehabt hätte oder dass sie so begeistert war. Im Gegenteil. Sie war am ersten Tag schon da gewesen und ihr erster Kommentar war wohl: „Wie hast du dir das denn vorgestellt?“ „Gar nicht“, hatte Mama böse geantwortet, „stell dir vor, sie sind einfach im Doppelpack gekommen und jetzt sind sie da, und wir kommen schon klar!“
Ich denke, heimlich war Oma Gerti schon auch ein bisschen stolz auf ihre Enkel. Jedenfalls hatte sie am nächsten Tag extra einen Fotografen angeheuert und alle mächtig herausgeputzt, um dieses Ereignis würdig für die Ewigkeit festzuhalten. Aber mit der Würde war es nicht weit her. Meine Geschwister sind einfach ein Haufen Chaotenjollys, das war das erste, was Lucia und ich verstanden haben.
Mama platzierte der Fotograf auf ihrem Krankenbett. Sie sollte in der Mitte des Bildes sitzen, Lucia rechts und mich links im Arm. Damit war sie komplett handlungsunfähig, und Oma Gerti und der Fotograf mussten den Verkehr alleine regeln. Klara und Melli halfen ein bisschen, weil sie ja schon groß waren. Eine Stationsschwester, die hereinschneite, weil es im Zimmer so laut war, wurde dazu verdonnert, ein Alusegel so zu halten, dass die Beleuchtung stimmte. Derweil kletterte Robert mit Straßenschuhen auf das Bett, ehe die Schwester reagieren konnte. Melli riss ihn energisch am Bein, dass er umfiel und fast mit dem Kopf gegen die Wand geknallt wäre. Er schrie natürlich Zeter und Mordio, während Melli ihm die Schuhe von den strampelnden Füßen zog. Kaum hatte sie sie ihm ausgezogen, da ließ er sich wieder vom Bett runterrutschen, war beleidigt und wollte nicht mehr mit auf das Bild. Melli und Oma Gerti mussten eine ganze Weile auf ihn einreden, ehe er sich bequemte auf das Bett zurück zu klettern. Eine der beiden Bettnachbarinnen von Mama half schließlich nach, indem sie aus ihrem Nachttisch eine Tafel Schokolade hervorkramte, die sie Robert hinhielt. Melli konnte sie ihr gerade noch entreißen, bevor Robert danach griff. „Erst wenn das Foto fertig ist!“, bestimmte sie. Das zog. Robert kletterte mit Mellis Hilfe maulend wieder auf das Bett und hängte sich von hinten über die Schulter von Mama, die etwas gequält lächelte.
Da er auf ihrer linken Seite war, kam es, dass das erste, was ich im Leben, wenn auch nur sehr unscharf, wahrnahm, ein kleiner Playmobil-Ritter war, den Robert mir direkt über das Gesicht hielt. Ihr werden jetzt sagen: Stopp, das geht gar nicht, Neugeborene können noch gar keine Details sehen, das kommt erst nach ein paar Wochen. Kann ja sein. Vielleicht erinnere ich mich auch nur so genau an diesen Ritter, weil er auf dem Foto nachher gestochen scharf zu erkennen war, und das Foto hängt jetzt noch im Flur. Ich hab es mir bestimmt hunderttausend Mal angeguckt. Vielleicht glaubt ihr mir aber auch einfach. Nachher kommt’s sowieso noch viel dicker, also gewöhnt euch schon mal an den Gedanken, dass es Dinge gibt, die gibt’s gar nicht.
Dieser Ritter sollte später auf jeden Fall noch eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Und ob ihr’s nun glaubt oder nicht: das ist meine früheste Erinnerung: dieser Ritter, der über meinem Kopf baumelte. Ich könnte sogar schwören, dass er mich anlachte und mich mit der freien Hand grüßte. Die andere hielt Robert ja umklammert.
Kennt ihr diese Geschichte mit den Graugänsen? Von dem Verhaltensforscher, der frisch geschlüpften Graugansküken ein Sofakissen vor die Nase gehalten hat, und sie dachten, es sei ihre Mutter, und folgten dem Kissen überallhin, wo der Forscher es hin trug?
Mit dem Ritter war es für mich genauso. Irgendwie hat es mich halt magisch zu den Rittern gezogen, ob ich nun wollte oder nicht. Deshalb glaube ich schon, dass es so war, dass ich ihn ganz genau gesehen hab damals im Krankenhaus. Dieser Playmobil-Ritter war auf jeden Fall von da an mein bester Freund. Ich hab ihn ständig mit mir rumgetragen. Robert hat ihn mir sozusagen vermacht. Als ich noch nicht greifen konnte, hat er den Ritter immer neben mich aufs Kopfkissen gelegt, da konnte ich ihn angucken und ihm was vorbrabbeln, und später hab ich ihn dann selbst immer mitgenommen.
Manchmal versuche ich mir vorzustellen, was passiert wäre, wenn Robert auf der anderen Seite gestanden hätte und Lucia den Ritter vor die Nase gehalten hätte. Wäre sie dann später nach Arona gekommen und ein Ritter geworden? Normal ist das alles nicht. Und trotzdem hätte es vielleicht ganz anders kommen können. Oder musste das alles genau so kommen?
Klara hatte in der Zwischenzeit auf Omas Geheiß Line eingefangen, die im ganzen Zimmer rum gekrabbelt war. Sie hatte sich gerade unter einem der anderen Betten verkrochen, wo Oma Gerti nicht dran kam, und winkte fröhlich, als Oma nach ihr rief. Für Klara war das nicht so ein Problem, aber weiß waren Lines und Klaras T-Shirts nach dieser Aktion jedenfalls nicht mehr. Man sieht auf dem Foto deutlich, wie Line mit verschmiertem T-Shirt auf Klaras Schoß lacht und sich windet, um nach ihrem Zopf zu haschen, während Klara etwas stinkig guckt. Ihre Fingerknöchel sind ganz weiß, weil sie Line so fest umklammert.
Oma Gerti sitzt neben Melli und hat den Arm um sie gelegt, was Melli gar nicht leiden kann. Sie zeigt Oma hinter deren Kopf mit zwei Fingern Eselsohren.
Als die Familie endlich so saß, dass der Fotograf alle im Fokus hatte, muss eine von Mamas Bettnachbarinnen gesagt haben: „Und wo ist denn nun der Vater dazu?“ „Der Vater“, hat Mama geantwortet, „stellen Sie sich vor, der ist einfach abgehauen. Aber jetzt hat er uns dafür zwei Kinder auf einmal hinterlassen und das ist garantiert nicht der schlechteste Tausch!“ So ist sie. Egal, wie dicke es kommt und selbst wenn sie überhaupt nichts mehr geregelt kriegt, versucht sie den Kopf immer oben zu halten.
Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass der Fotograf nicht nur ein Foto gemacht haben kann. Wenn dieses Bild, das bei uns im Flur hängt, also das gelungenste gewesen sein soll, dann ist anzunehmen, dass alle auf den anderen Bildern noch viel mehr Faxen gemacht oder noch blöder aus der Wäsche geguckt haben müssen. Das sagt doch eigentlich schon alles.

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