KARL EDWARD WAGNER

 

Conan und die

Straße der Könige

 

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

CONAN UND DIE STRASSE DER KÖNIGE 

Prolog 

Erstes Kapitel: Der Tanzboden 

Zweites Kapitel: Die Grube 

Drittes Kapitel: Die Weiße Rose 

Viertes Kapitel: Stahl und Träumer 

Fünftes Kapitel: Nächtliche Besucher 

Sechstes Kapitel: Auf dem Maskenball des Königs 

Siebtes Kapitel: Goldenes Licht, blaues Licht 

Achtes Kapitel: Frühmorgendlicher Ausflug 

Neuntes Kapitel: Kein Weg zurück 

Zehntes Kapitel: Sengende Hitze 

Elftes Kapitel: Die letzte Wache marschiert 

Zwölftes Kapitel: Auf dem Königsweg 

Dreizehntes Kapitel: Eine neue Ordnung und eine Krönung 

Vierzehntes Kapitel: Conan zieht ins Feld 

Fünfzehntes Kapitel: Die Sense 

Sechzehntes Kapitel: Der Schnitter 

Siebzehntes Kapitel: Destandasi 

Achtzehntes Kapitel: Ein tödlicher Gruß aus Kordava 

Neunzehntes Kapitel: Zum Scheitern geborene Träume 

Zwanzigstes Kapitel: Der Königsweg 

 

Das Buch

 

 

 

Viele Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung bildeten Europa, Asien und Afrika noch eine zusammenhängende Landmasse: den hyborischen Kontinent.

Es ist die Welt und die Zeit von Conan, dem Abenteurer aus dem düsteren nördlichen Grenzland Cimmerien, der die Steppen und Dschungel, die Gebirge und Ebenen auf der Jagd nach Beute durchstreift.

Sein Weg führt ihn in märchenhafte und sagenumwobene Länder, in prächtige Städte und an glanzvolle Höfe, an denen Könige oder mächtige Zauberer herrschen.

Immer wieder versucht man ihn, den einfältigen Barbaren, zu übertölpeln und zu versklaven. Doch mit seinen gewaltigen Körperkräften und der unglaublichen Schnelligkeit seiner Waffen sprengt er alle Ketten und lehrt seine Gegner das Fürchten...

 

Mit knapper Not entkommt Conan dem Zugriff des Henkers von Kordava. Er schließt sich den Partisanen der Weißen Rose an und legt dem verbrecherischen Rimanendo das Handwerk. Doch des Königs Nachfolger erweist sich als ebenso feige und heimtückisch. Um der Freiheit willen greift Conan erneut zu seinem Schwert...

CONAN UND DIE STRASSE DER KÖNIGE

 

 

 

 

 

  

  Prolog

 

 

 

Erstarrte Stille, brillantheller Stahl.

Zwei Klingen schimmerten im rauchigen Licht, umgeben von einem gesichtslosen Augenkreis, nicht weniger mitleidlos und glänzend. Ein Hauch von Bewegung, und die Waffen stießen gegeneinander - zerschmetterten die Stille mit dem Klirren ergrimmten Stahles. Heftiger, krächzender Atem entrang sich der Kehle der beiden Kämpfer. Heiseres Stöhnen und unterdrücktes Gemurmel kamen aus dem Kreis der Zuschauer; gesichtslose Augen glitzerten vor Aufregung. Wieder stellte Klinge sich Klinge; der Tod balancierte auf schwingendem Stahl, geduldig, erbarmungslos.

Die beiden Gegner hatten wenig gemeinsam, außer der tödlichen Geschicklichkeit, mit der jeder seinen Degen führte.

Der eine, den zunehmender Zorn antrieb, war offensichtlich der Ältere, und seine Fechtkunst verriet, dass die lange gerade zingaranische Klinge seiner Hand wohlvertraut war. Vereinzelte graue Strähnen durchzogen das glatte schwarze Haar und den kurzgestutzten Bart, die genau wie seine gutgeschnittenen Züge von ein paar geraden Duellnarben durchzogen waren. Die Narben waren schmal und verblasst, denn es war schon viele Jahre her, dass die Klinge eines Gegners sein Gesicht getroffen hatte. Ein weinrotes enges Beinkleid und ein Wams aus Samt bester Qualität unterstrichen seine schlanke, muskulöse Figur und seine selbstbewusste Haltung. Auf seinem rechten Ärmel war ein schwarzer Adler eingestickt, das Wappen von Korsts Streitern, dem Eliteregiment der zingaranischen Armee - und darunter der goldene Doppelstern eines Hauptmanns.

Der andere war ein jüngerer Mann - vermutlich nicht viel älter als die Hälfte der etwa vierzig Jahre des Offiziers. Aber er parierte die Klinge seines Gegners mit der Gewandtheit eines Veteranen, nicht mit der unüberlegten Tollkühnheit der Jugend. Er war ein wenig größer als die sechs Fuß des Hauptmanns, und von bedeutend schwererem Körperbau. Der Jüngere hatte seinen Oberkörper entblößt. Die breiten Schultern und die mächtige Brust waren von tiefem Sonnenbraun, von mehreren Narben unterbrochen. Sie stammten aus Kämpfen und Schlachten, die seinen Schwertarm geschult hatten. Eine schweißverklebte Mähne flatterte im Kampf um sein glattgeschabtes Gesicht. Blaue Augen schwelten grimmig aus den grobgeschnittenen Zügen. Er trug das Lederbeinkleid eines Barbaren aus dem Norden, und in seine prankengleiche Hand hätte ein schweres Breitschwert besser gepasst als das dünne doppelschneidige zingaranische Rapier.

Die beiden kämpften in einem dichten Kreis von Soldaten, die sich hier zusammengefunden hatten, um bei diesem Duell zuzuschauen. Die meisten von ihnen trugen das Weinrot und Gold der Königlich Zingaranischen Armee, genau wie das Adlerwappen von Korsts Streitern. Schulter an Schulter mit ihnen standen Männer anderer Regimenter, zusammen mit einigen Kriegern in einfacher, gemischter Kleidung - Angehörige der zingaranischen Söldnerarmee, zu denen auch der jüngere Kämpfer gehörte. Um sie erhoben sich die im Schatten liegenden Wände eines Kasernenschlafraums - Pritschen und Ausrüstungsgegenstände waren dicht an die Wände gerückt worden, um Platz für den Zweikampf zu schaffen.

Mit angespannten Gesichtern beobachteten sie das Duell. Nicht die geringste Einzelheit des Fechtkampfes entging ihnen. Anfangs hatte fast die ganze Kaserne unter ihrem Begeisterungsgebrüll und bei ihrem hastigen Austausch von Wetten widergehallt. Doch das war gewesen, ehe die beiden Gegner mit ihrem unbeschreiblich flinken Spiel von Hieb und Stich, Angriff und Gegenangriff begonnen hatten. Jetzt war die Aufregung zu groß, um ihr Stimme zu verleihen. Die Luft knisterte schier vor Spannung. Die Blicke der Zuschauer hingen an jeder Bewegung der Kämpfenden, und sie warteten mit angehaltenem Atem - genau wie die beiden Gegner, die ihre ganze Geschicklichkeit einsetzten -, dass einer den tödlichen Fehler beginge.

Beide Duellklingen hatten gerade Blut geleckt. Aus einer oberflächlichen Schnittwunde am Unterarm des Älteren sickerte Blut. Die Klinge des anderen war bei einem Hieb, der dem Hauptmann fast das Rapier aus der Hand gerissen hätte, vom Stichblatt abgeglitten. Der Jüngere blutete aus zwei unbedeutenden Wunden an der linken Seite und einer tieferen Verletzung unterhalb der Schulter, die offenbar seinen linken Arm zeitweilig gelähmt hatte - es waren die Zeichen dreier tödlicher Hiebe, die ins Herz eingedrungen wären, hätte seine blitzschnelle Reaktion sich nicht bewährt. Vielleicht rief das fließende Blut das dünne Lächeln des Älteren hervor, als er selbstbewusst auf den Todesstoß hinarbeitete. Der Jüngere lächelte nicht. Seine eisblauen Augen funkelten grimmig, ohne die geringsten Zeichen von Schmerz oder Erschöpfung zu verraten, die ihm doch zweifellos zu schaffen machen musste.

Wieder zuckten die Klingen vor, trafen und trennten sich. Der Hauptmann ließ nicht locker. Noch während die Waffen sich trennten, schlug er erneut zu, so dass die Wucht des Klingenwechsels sein Rapier unterhalb und um das Stichblatt des anderen stieß und es tief in die festen Muskeln seines Oberschenkels drang.

Der Jüngere knurrte kurz vor Schmerz. Er wich zurück. Sein verwundetes Bein knickte unter ihm zusammen. Er taumelte und konnte sich nur mit Mühe aufrecht halten. Sein verzweifelter Gegenschlag war unbeholfen und kraftlos.

Das war der endgültige Moment des langen Duells. Die Augen der Zuschauer brannten vor atemloser Aufregung. Der Offizier genoß einen Herzschlag lang ihre absolute Aufmerksamkeit, ehe er sich daran machte, seinen verwundeten Gegner mit einem blitzschnellen Stich ins Herz - seine Spezialität - zu erledigen.

Der Jüngere verschwendete in seiner Verzweiflung keinen Gedanken an Ritterlichkeit im Kampf. Aus seiner halbsitzenden Haltung auf dem Boden umklammerte er den langen Griff des Rapiers zusätzlich mit den Fingern seiner verwundeten Linken und hieb es mit aller Kraft nach oben. Das Ende der Klinge drang dem Älteren zwischen den gespreizten Beinen in den Leib und glitt hoch. Dabei, seinen Coup de maître auszuführen, stürzte der Hauptmann tödlich getroffen rückwärts.

Einem gedehnten, ungläubigen Keuchen folgte das Durcheinander verwirrter Stimmen.

Ein Mann mit glasig werdenden Augen starrte vom Boden herauf.

Ein junger Söldner funkelte die Zuschauer mit schwelenden Augen an, als seine Wunden ihn zu Boden zwangen.

Der Hauptmann wand sich in letzten Todeszuckungen. Sein Röcheln verlor sich in den aufgeregten Rufen und Verwünschungen derer, die ihre Wette verloren hatten, im Scharren von Füßen im Gedränge und im Klimpern von Münzen. Der Verwundete drückte die Spitze seines blutigen Rapiers auf den Boden und stützte sich auf seinen Griff. Warmes Blut spritzte aus seinem Oberschenkel, aber er schluckte nur, ohne einen Schmerzenslaut von sich zu geben.

Er schwankte auf den Füßen. Die Fingerknöchel hoben sich weiß auf dem Rapiergriff ab, als die Kraft ihn verließ. Zwei seiner Söldnerkameraden - ihre Beutel prall voll Münzen, die sie gerade dank seines Sieges gewonnen hatten - eilten zu ihm, um ihn zu stützen. Die Augen des jungen Kriegers blitzten wild - immer noch brannte die Kampfeslust in seinem Herzen -, doch dann erkannte er seine Kameraden. Er sackte gegen sie, als ein dritter herbeieilte, um mit einem Stoffstreifen, den er hastig um den Oberschenkel schnürte, das Blut zu stillen.

Das Stimmengewirr verstummte plötzlich. Die Soldaten kassierten eilig ihren Wettgewinn und zogen sich schnellstmöglich zurück. Ein Murmeln verbreitete sich.

»General Korst!«

Der junge Söldner hob den Kopf und schaute sich finster um, als die meisten fluchtartig den Raum verließen.

Von seinen Stabsoffizieren begleitet, betrat der Oberkommandierende der Königlich Zingaranischen Armee, General Korst, höchstpersönlich den Schlafsaal. Seine gedrungene Gestalt, sein blauschwarzes Haar und seine dunkle Haut deuteten auf eine Mischung von shemitischem Blut mit dem seines zingaranischen Vaters hin. Dass der Sohn einer Marketenderin und eines unbekannten zingaranischen Soldaten es zum Generalsrang der klassenbewussten zingaranischen Armee gebracht hatte, war ein Beweis seiner ungewöhnlichen Fähigkeiten.

Die Augen des Generals weiteten sich, ehe sie sich zu schmalen Schlitzen verengten, als er den durchspießten Toten betrachtete. Nachdenklich strich er über seinen gepflegten Bart.

»Ah,    Hauptmann  Rinnova! Dann seid Ihr also schließlich doch auf einen gestoßen, der Euch überlegen war! Sein Stich drang zwar nicht ins Herz, wie Ihr es immer vorgezogen habt, das stimmt, aber nichtsdestoweniger seid Ihr tot.«

Er wandte sich dem Verwundeten zu. Seine ihn stützenden Kameraden versuchten dem unbewegten Blick des Generals auszuweichen. Sie ließen ihren Freund los, der sich schwankend bemühte, aufrecht stehenzubleiben. Ohne mit der Wimper zu zucken, erwiderte er den harten Blick.

»Es war also deine Klinge, die Hauptmann Rinnova aufspießte?«

»Ich tötete ihn, das ist richtig«, knurrte der andere. »In einem fairen Zweikampf. Ihr könnt jeden hier fragen.«

General Korst nickte. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass jemand die Klinge mit Hauptmann Rinnova wechseln konnte und es überlebte - und ein barbarischer Söldner noch dazu. Aber es ist ja klar zu sehen, der Beweis liegt vor uns. Wie heißt du?«

»Conan.«

»Aus dem barbarischen Nordland, nehme ich an?«

»Ich bin Cimmerier.«

»Wie steht es mit seinen Verletzungen?« wandte er sich an Conans Kameraden, die sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen hätten.

»Die Hiebwunden sind nicht sehr tief, sein Arm ist sauber durchstochen. Die Oberschenkelwunde ist die schlimmste, glücklicherweise ist die Schlagader nicht getroffen, aber er hat trotzdem viel Blut verloren.«

»Gut.« General Korst nickte seinen Begleitern zu. »Dann wird er also am Leben bleiben, und wir können ihn hängen. Was immer auch dein Streit war, Conan von Cimmerien, ein Söldner darf keinesfalls einen Offizier der Königlich Zingaranischen Armee niedermetzeln!«

Conan brüllte wie ein Löwe und taumelte auf Korst zu. Doch sofort warfen sich dessen Streiter dazwischen.

Es gelang ihm, zwei davon zu töten, ehe der Rest ihn bewusstlos schlug.

»Es ist schade um einen so guten Mann«, brummte Korst, als sie Conan davonzerrten. »Aber man muss diesen Barbaren Disziplin beibringen.«

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel: Der Tanzboden

 

 

 

 

Die Morgensonne schien hell - zu hell für Augen, die seit unzähligen Tagen kein Licht außer dem der Fackeln im Kerker gesehen hatten, wenn die Wärter nach dem Rechten sahen. Ein grauer Morgen wäre gnädiger gewesen, aber es war kein Morgen für Erbarmen oder Güte. Die Reihe der zum Tode Verurteilten schloss die Lider im blendenden Sonnenschein und stolperten blindlings vorwärts zum Galgen. Als sie den Gefängnishof überquert hatten, konnten sie die baumelnden Schlingen und den erwartungsvollen Pöbel sehen.

Conan riskierte einen blinzelnden Blick zum Galgen. Er hob sich als schwarzer Strich gegen die Sonne ab. Sieben Henkerseile hingen wie rußige Spinnweben von dem schweren Balken herunter. In seine Nase drang die ätzende Süße von Aas. Sie kam von den verwesenden Leichen der in der vergangenen Woche Gehenkten. Die Hingerichteten ließ man gewöhnlich am Galgen hängen, bis die Schlingen für die nächsten Verurteilten gebraucht wurden. Dieser ekelerregende Geruch vermischte sich mit dem vom Schweiß der dichtgedrängten Menge.

Eine Hellebardenspitze stupste Conan in den Rücken.

»Weiter, Raben-Aas!«, knurrte einer der Wächter.

Conan fluchte und schlurfte vorwärts. Trotz der schweren Ketten um Hand- und Fußgelenke hinkte der Cimmerier nicht. Er warf das strähnige, verfilzte Haar aus dem stoppelbärtigen Gesicht zurück. Während des einen Monats in Kordavas Kerker waren seine Wunden allmählich verheilt, doch das war seiner ungebändigten Lebenskraft zu verdanken, nicht der Pflege seiner Wärter. Diese gleiche unverwüstliche Natur hatte seinen Geist ungebrochen, sein Haupt ungebeugt, alle Erniedrigungen seiner Gefangenschaft überstehen lassen.

Wie ein Raubtier im Käfig hatte Conan sich die Wunden geleckt und auf eine Chance gewartet, sich zu befreien. Leise, damit das Feilen seine Wärter nicht weckte, hatte er viele Nachtstunden hindurch die Glieder seiner Ketten aneinander und gegen den rauen Stein der Wand gerieben. War er erst einmal frei davon, blieben noch die eisernen Gitterstäbe seines Kerkers und die Wachen im Korridor. Doch damit würde er sich beschäftigen, wenn es soweit war. Conan kannte keinen anderen Gedanken als freizukommen und sich an denen zu rächen, die ihn hierhergebracht und ihn gequält hatten. Die geringste Chance würde ihm schon genügen - doch sie kam nicht. Selbst jetzt noch, während er und seine Mitgefangenen sich zum Galgen schleppten, flog des Cimmeriers grimmiger Blick über den Platz, auf dem die Neugierigen sich dicht an dicht drängten, während er sich verzweifelt den Kopf zerbrach, wie er doch noch im letzten Moment dem Strick entgehen konnte.

Der Gefängnisplatz - den Tanzboden nannte man ihn hier in Kordava - hätte gar nicht überfüllter sein können, denn abgesehen von den Hinrichtungen, die heute stattfanden, war auch noch Markttag, und am Markttag strömte von nah und fern alles zur zingaranischen Hauptstadt, um ländliche Produkte feilzubieten, und dafür Fische und exotische Waren, die mit Schiffen über den Westlichen Ozean gekommen waren, sowie handwerkliche Gegenstände der städtischen Gilden zu erstehen. Gab es eine aufregendere Art und Weise, einen solchen Markttag zu beginnen, als mit dem kostenlosen Schauspiel einer Hinrichtung auf dem Tanzboden?

Eine wogende See dicht gedrängter Leiber und erwartungsvoller Gesichter wandte sich den sieben Verurteilten zu, die durch die Gasse in ihrer Mitte zum Galgen schlurften. Sieben Männer, die sich, außer durch ihre Ketten und schmutzigen Lumpen, nicht von den Hunderten von Menschen unterschieden, die gekommen waren, um sich an ihrem Tod zu ergötzen - sieben, die für sie tanzen würden! Die Menge war ihnen nicht feindlich gesinnt, empfand jedoch auch kein Mitleid mit ihnen. Im Augenblick erfüllte sie nur Erwartung und Ungeduld - das Spektakel sollte endlich beginnen. Das tausendköpfige Ungeheuer Mensch würde keinen Finger rühren, um die Verurteilten vor ihrem Geschick zu bewahren; im Gegenteil, es würde vermutlich wütend aufbegehren, verwehrte man ihm sein voll Spannung erwartetes Vergnügen.

Durch das Gedränge bahnten sich Händler und Marktschreier einen Weg und priesen ihre Waren an.

Weniger offen gingen Taschendiebe ihrem Handwerk nach. Von Rostgittern über tragbaren Feuerbecken stieg der köstliche Duft von gegrilltem Fleisch und Gemüse auf. Conans Magen erinnerte sich knurrend daran, dass er schon seit mehr als einem Tag nichts mehr bekommen hatte.

»Wir vergeuden gutes Essen nicht an Galgenvögel!«, hatte der Wärter ihm höhnisch erklärt, der im Morgengrauen in seine Zelle gekommen war. Allerdings hatte das dem herzlosen Burschen einen Zahn gekostet, als er Conans Ketten an der Wandhalterung löste.

Daraufhin hatten Hellebardenschäfte den Barbaren schnell bewusstlos geschlagen. »Dafür«, hatte der Wärter ihm grimmig versprochen und blutigen Schaum in sein zerschundenes Gesicht gespuckt, »wirst du als letzter drankommen! Du sollst zusehen, wie jede dieser anderen Ratten am Seil baumelt, dann erst ziehen wir dich hoch, damit du uns die neuen Tanzschritte zeigen kannst, die du inzwischen von deinen Kameraden gelernt hast.«

Das war, auf gewisse Weise, schon ein kleiner Sieg für den Cimmerier. Den anderen Gefangenen nahm man die eisernen Handschellen ab und band ihre Hände mit Hanfstricken auf den Rücken. Vor Conans Berserkerhaftigkeit fürchteten die Wärter sich jedoch, deshalb ließ man ihn in Ketten zur Hinrichtung gehen.

Mit dem Gleichmut des Barbaren fand Conan sich ab, mit Würde zu sterben - wenn es sein musste. Er würde festen Schrittes zum Galgen marschieren, falls ihm sonst nur die Wahl blieb, dorthin gezerrt zu werden. Sein leerer Magen knurrte als letzte Demütigung nach so vielen vorhergehenden, dass der Cimmerier Rache schwor zu einer Stunde, da die meisten an seiner Stelle um Vergebung und Erbarmen zu ihren Göttern gefleht hätten.

Der Verwesungsgeruch wurde jetzt stärker. Steif nebeneinander aufgereiht starrten sieben Leichen durch leere Augenhöhlen himmelwärts. Krähen hatten sich an ihren Gesichtern gütlich getan und sie zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Der einwöchige Anschauungsunterricht, der andere davor zurückschrecken sollte, sich in eine gleiche Lage zu bringen, war für sie als Anschauungsobjekt zu Ende. Man hatte die Gehenkten aus ihren Schlingen befreit und sie zu einem letzten Lebewohl durch den Pöbel unter den Galgen gelegt. Jetzt wurden sie, einer nach dem anderen, zu einem kleinen Amboss gezerrt, wo man sie von den Fußketten befreite. Die Toten brauchten sie nicht mehr, während es andere gab, die in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden sollten. Mit königlicher Erlaubnis boten Händler Talismane und Andenken von den Gehenkten feil. Eine Schar Kinder drängte sich lachend um den Galgen, um sich nichts entgehen zu lassen.

»Eine Locke von einem Gehenkten für euch, Mädchen?«, fragte ein Händler grinsend. Er riss einem der Toten eine Strähne aus und streckte sie den Kindern entgegen. »Wenn ihr erst größer seid und sie über eurem Herzen tragt, werden die Burschen euch nachlaufen!«

Kichernd spielten die Kinder Fangen um die Galgenplattform

»Eine Totenhand! Wer bietet am meisten?« Ein Axtstreich, und die Trophäe wurde hochgehalten. »Die Hand eines gehenkten Mörders!«, rief der Marktschreier und hielt die verrottete Faust höher.

Ein anderer brüllte: »Leichenfett für Kerzen! Wer sucht verborgene Schätze? Hier ist der Glücksbringer, der euch helfen wird, sie zu finden! Wer zahlt mir Silber, um zu Gold zu kommen?«

»Der Samen eines Toten!«, rief ein dritter und schwenkte eine winzige Flasche. »Die Hinterlassenschaft Vulosis' des berüchtigten Mörders und Frauenschänders! Männer, die Liebeskraft eines Zuchthengsts ist euer! Meine Damen, schenkt euren Gatten die Leidenschaftlichkeit eines jungen Stieres! Der Samen eines Gehenkten! Wer ersteht ihn?«

Durch dieses Geschrei und Gedränge schlurften die Hauptdarsteller dieses Morgens. Die Hellebarden der Wächter bahnten ihnen eine Gasse. Tausend Hälse verrenkten sich, Augen traten schier aus den Höhlen, um besser zu sehen, und betrachteten die sieben Verurteilten in ihren Lumpenkostümen. Eltern hoben ihre Kinder auf die Schultern, damit ihnen nichts entginge. Mit Schultern, Ellbogen und Knien kämpften sich Neuankömmlinge einen Weg durch das Gedränge. Viele Wartende kauten an gegrillten Fleischstücken, Brot und Früchten. Andere drückten ihre auf dem Markt gekaufte Ware fest an sich und umklammerten ihre Marktkörbe. Als die Verurteilten den Galgen erreichten, hüpften die jubelnden Kinder im Ringelreigen um sie herum. Die Marktschreier unterbrachen ihr Gebrüll, um sich nur ja das bevorstehende Schauspiel nicht entgehen zu lassen, das, so oft sie es auch sahen, immer wieder spannend war.

Auf die Galgenplattform zu steigen, war mit den Ketten zwischen den Fußgelenken nicht so einfach, aber die Hellebarden trugen eifrig das Ihre dazu bei, dass es schnell ging. Der Mann vor Conan stolperte und konnte, da seine Hände auf dem Rücken gebunden waren, sein Gleichgewicht nicht zurückgewinnen. Eine Hellebardenspitze stieß schmerzhaft in sein Fleisch, als er sich wieder aufzurichten versuchte. Conan, dessen Hände vorne gekettet waren, streckte die Arme aus, soweit es ging, packte das Wams seines Mitgefangenen und half ihm auf die Beine. Ohne auf die Verwünschungen der Wächter und das Gelächter der Menge zu achten, stellten sie sich unter dem Galgen auf.

»Danke«, murmelte der kleine Mann, dem Conan geholfen hatte. Er schien nicht älter als der Cimmerier zu sein und war ein schlanker Jüngling mit edlen Zügen und fiebrig dunklen Augen.

»Ist wohl kaum einen Dank wert«, brummte Conan.

»Nun, man sollte wohl auch mit Würde zu sterben wissen«, erwiderte der andere und drückte so Conans Gedanken aus. Er deutete mit dem Kopf voll Verachtung auf einige ihrer Mitgefangenen weiter vorn in der Reihe. Einer war ohnmächtig geworden und musste von den Wächtern gestützt werden, ein anderer war auf die Knie gesunken und flehte wimmernd um Gnade.

»Jene, die unseren Kampf weiterführen, sollen sehen, dass wir nicht davor zurückscheuen, unser Leben für die gute Sache zu opfern«, fuhr er fort. Conan fragte sich, an wen diese tapferen Worte gerichtet waren, und schloss, dass der Jüngling zu sich selbst sprach.

Sie standen nebeneinander auf der langen Galgenplattform. Die Gesichter der Menge waren etwa in der Höhe ihrer Füße. Stabile Pfosten trugen den Querbalken des Galgens, der kräftig genug war, das Gewicht von sieben Männern zu halten. In der Plattform befanden sich keine Falltüren, stattdessen war das Henkersseil oben durch einen Eisenhaken gezogen und das untere Ende um eine Winde mit einer Zahnradkurbel geschlungen. Hier gab es keinen schnellen Tod durch einen gebrochenen Hals! Nein, das hier war der Tanzboden, wo die zingaranische Gerichtsbarkeit ihre Verurteilten langsam von der Plattform hob und sie baumeln und um sich schlagen und treten ließ, bis sie erstickt waren.

Einer der Wächter schritt gesetzt von Gefangenem zu Gefangenem und hängte einem jeden von ihnen ein Schild um den Hals. Bei Conan achtete er darauf, sich den geketteten Händen möglichst fernzuhalten.

Finster funkelte der Cimmerier auf die Brust hinunter, um zu entziffern, was auf seinem Schild stand, aber in Zingaranisch war er nicht sehr bewandert, und so bereiteten die kopfstehenden Lettern ihm Schwierigkeiten. »Was steht darauf?«, fragte er seinen Nachbarn.

Der schlanke Jüngling betrachtete die Schrift mit ironischem Interesse: »Conan, Rebell«, las er laut. »Meinen Glückwunsch.«

»Und was steht auf deinem?«, wollte Conan wissen.

»Santiddio, Aufrührer. Unsere Mitgefangenen sind Diebe, Mörder und ein Drucker.«

»Drückeberger?«

»Nein, ein Drucker. Der Bursche dort am Ende war so unvorsichtig, mein politisches Pamphlet zu drucken, über das unser geliebter König Rimanendo sich so schrecklich erboste.«

»Möge euer geliebter König die Pocken von seinen Freudenknaben bekommen!«, knurrte Conan. »Ich tötete einen Offizier im fairen Zweikampf, zu dem er mich forderte. Und Rimanendos Richter verurteilten mich als der Rebellion und des Mordes schuldig!«

»Ah!« Santiddios fiebrig glänzende Augen betrachteten ihn mit plötzlichem Respekt. »Dann bist du dieser Söldner, der den eingebildeten Hauptmann Rinnova aufspießte! Das war Korsts schlimmster Schlächter! Ich würde dir gern die Hand schütteln, wenn es dieser Strick zuließe. Das Volk wird den Verlust von zwei seiner Helden zu betrauern haben.«

»Haltet das Maul, ihr beiden!«, warnte der Wächter, der ihnen die Schlingen um den Hals legte. »Ihr werdet euch schon bald genug wünschen, ihr hättet euch den Atem gespart.«

Die Menge sieht nicht gerade so aus, als würde sie um uns trauern, dachte Conan spöttisch. Gleichmütig blickte er über das Meer aus dichtgedrängten Leibern. Wütende Worte wurden laut und Püffe verteilt, als sich noch einige Neugierige durch den Pöbel in den Vordergrund kämpften. Conan, der auf ihre groben Gesichter und einfache Kleidung blickte, fand, dass viele dieser Spätankömmlinge genauso gut auf die Galgenplattform wie zwischen die Zuschauer passten. Er wunderte sich über ihre morbide Neugier, die sie veranlasste, sich die Hinrichtung von Gleichgestellten nicht entgehen zu lassen.

Hochrufe aus der Menge unterbrachen Conans Gedankengang. Den Kopf unter der schwarzen Kapuze verborgen, stieg des Königs Henker die Stufen zur Galgenplattform hoch. Mit einer hochtrabenden Verbeugung bedankte er sich für den Jubel der Menge. Dann stolzierte er über die Plattform und beaufsichtigte die Vorbereitungen seiner Gehilfen wie ein Theaterdirektor, der kurz vor Beginn der Vorstellung noch Kulissen und Schauspieler begutachtet. Das gezierte Lächeln unter der schwarzen Larve sollte den Darstellern wohl Selbstvertrauen verleihen. Conan hatte dieses gleiche Lächeln gesehen, als der königliche Henker einen Mann am Rad gebrochen hatte.

Das rostige Rasseln des Zahnrads ließ Conan den Blick wenden, während er gleichzeitig spürte, wie das Hanfseil plötzlich in seine Kehle schnitt. Unter der Aufsicht des Henkers führten die Wächter die letzten Vorbereitungen durch - sie drehten die sieben Winden so, dass jeder der Hinzurichtenden gerade noch auf den Zehen unter dem straffgespannten Strick stand.

Unter seinem äußeren Gleichmut beschäftigte sich Conan mit der Aussichtslosigkeit seiner Lage. Bis zu diesem Moment hatte er nicht wirklich an den Ernst der Situation geglaubt. Er hatte sich tatsächlich der falschen Hoffnung einer Fluchtmöglichkeit hingegeben. Sein empörter Gerechtigkeitssinn hatte ihm eingegeben, dass er ganz einfach nicht gehenkt werden konnte. So oft hatte Conan seit seiner Kindheit im wilden Nordland dem Tod gegenübergestanden, und immer war er ihm entkommen. Das hatte irgendwie eine Verachtung dem Sensenmann gegenüber in ihm erweckt. Als die Schlinge sich um seinen Hals schnürte, musste er gegen eine plötzliche Verzweiflung ankämpfen. Cimmerische Krieger waren ohne einen Wehlaut an den Marterpfählen der Pikten gestorben, und so stand er nun auch aufrecht und starrte funkelnden Blickes und voll Verachtung in die Menge.

»Im Namen seiner Königlichen Majestät König Rimanendos«, proklamierte der Henker über das erwartungsvolle Murmeln der Neugierigen, »möge das Urteil nun vollstreckt werden!«

Abrupt setzte Schweigen ein. Conan spürte, wie die Menge den Atem anhielt - genau wie er. Eine traumgleiche Stille griff nach den Männern auf der Galgenplattform.

Das Knirschen des Zahnrads brach sie, als der Henker die erste Winde drehte. Fein säuberlich rollte er den Strick ganz langsam auf. Mühelos, fast wie durch Zauber, wurde der erste Verurteilte von der Plattform gehoben - und hing in seiner Schlinge vom Galgenbalken. Der Hals dehnte sich schier unmöglich, der Kopf war verdreht, Augen und Zunge quollen aus dem verzerrten Gesicht, der Körper zuckte, die Fußketten klirrten: Der erste Tanz begann.

Zuerst war ein Murmeln wie ein ausgedehntes Seufzen zu hören, das raueren Lauten Platz machte - wie die Brandung, die über den Sand wogt, ehe sie sich gegen die Klippen wirft. Es war der Mob, der den Atem ausstieß, nachdem er die Luft angehalten hatte, und nun vor Begeisterung zu schreien begann.

Der zweite in der Reihe brach in diesem Augenblick zusammen. Er flehte schrillend um Gnade. Der Lärm der Menge übertönte sein Wimmern, und dann rasselte erneut die Winde - als die Schlinge ihn dem Himmel entgegentrug, der ihn verleugnete.

Conan riss seinen faszinierten Blick von den baumelnden, zuckenden Gehenkten und blickte wieder in die Menge. Hinter ihm kroch der Henker wie eine schwarze Riesenspinne über sein Netz, bewegte sich zur nächsten Winde. Wieder war das Schleifen der Zahnräder zu hören, und ein dritter tanzte mit des Seilers Braut.

Noch drei, dann...

Aber die Hölle wartete nicht - sie war zum Tanzboden gekommen!

Auf dem Platz wurden Flüche, Schmerzensschreie und das panikerfüllte Wiehern von Pferden laut. Erst drangen nur aus einer, dann aus einer zweiten engen Straße, die sich zum Platz öffneten, lodernde Flammen, ja ein ganzes Feuermeer hinein in die Menge der Neugierigen.

Conan, der sich mit dem unausweichlichen Nähern des Henkers beschäftigt hatte, brauchte eine Weile, um sich klarzuwerden, was geschah. Zwei Karren, hoch mit Heu gefüllt, rollten flammenspuckend aus zwei Nebenstraßen mitten in die Menschenmassen, in die die panikerfüllten Zugtiere sich retten wollten. Schwarzer Rauch quoll aus den wabernden gelben Lohen, die die beiden Karren nun völlig einhüllten. Ein Blick verriet Conan, dass jemand Öl aufs Feuer gegossen haben musste, ehe er es anzündete. Und schon brausten die beiden Feuerwagen wie rachsüchtige Kometen auf den Galgen zu.

Sein Blick nahm zwar das flammende Chaos wahr, aber der Cimmerier vermochte sich seinen plötzlichen Ausbruch nicht zu erklären, genauso wenig wie der entsetzenerfüllte Mob, als urplötzlich wieder etwas geschah, und zwar direkt an der Galgenplattform.

Aus einem Augenwinkel sah Conan verschwommen das Blitzen von Stahl, als ein Dolch die Hand eines der Männer verließ, die sich erst kurz zuvor um die Plattform gedrängt hatten. Der Henker, der sich soeben über die Winde seines vierten Opfers gebeugt hatte, richtete sich auf, um die Ursache des plötzlichen Aufruhrs zu ergründen. Die schwere Klinge des Wurfmessers drang geradewegs in seine Brust. Ein roter Schwall von Blut färbte sein schwarzes Samtgewand.

Durch die Wucht des Aufpralls zurückgeworfen, behielt der Henker seinen Griff um die Windenkurbel bei. Todesröcheln und das Rasseln des Zahnrads vermischten sich, als das Gewicht der zusammensackenden Leiche die Winde ein Stück weiterdrehte und den Verurteilten um Fingerbreite von der Plattform abhob. So übte der königliche Henker noch im Tod sein Amt aus.

Conans Galgennachbar erholte sich als erster von seinem lähmenden Staunen. »Mordermi! Mordermi!«, brüllte er erfreut. »Mordermi, du verdammter Hundesohn, ich könnte dich küssen!«

»Was ist eigentlich los, Santiddio?«, fragte Conan, als ein Aufruhr vor der Plattform ausbrach.

»Es ist Mordermi! Das sind Mordermis Männer!«, schrie der Gefragte und bemühte sich, den Kopf aus der Schlinge zu bekommen. »Sandokazi konnte ihn doch noch überreden!«

Conan wusste, dass Mordermi einer der verwegensten Banditen unter Kordavas nicht gerade geringer Zahl von Halunken war, aber den Rest von Santiddios Begeisterungsgebrüll verstand er nicht. Es genügte ihm auch zu wissen, dass ein verzweifelter Versuch unternommen wurde, die Verurteilten zu befreien - wenn auch etwas verzögert. Der Grund dafür konnte ihm schließlich egal sein.

Die würgende Schlinge schnitt in seinen Hals. Der Henker hatte sich noch einmal vergewissert, dass das Seil auch so straff gespannt war, dass die Gefangenen auf den Zehenspitzen stehen mussten, um Luft zu holen. Das sollte verhindern, dass einer der Hinzurichtenden aus der Schlinge schlüpfen konnte und einen verzweifelten Sprung in die Menge wagte. Wenn ihn nicht ein anderer befreite, dessen wurde der Cimmerier sich bewusst, konnte er nur hilflos unter dem Galgen stehenbleiben und zusehen, wie das Chaos um ihn tobte.

Conans Handgelenke waren zwar über dem Bauch gefesselt, aber eine Kette verband sie auch mit den Fußketten, und so konnte er die Hände nicht einmal bis zur Brust heben. Mit aller Kraft seiner mächtigen Muskeln versuchte er eines der teilweise durchgefeilten Kettenglieder zu sprengen, doch seine Bemühungen wurden schnell von der Schlinge vereitelt, die ihn fast bis zur Bewusstlosigkeit würgte, als er sich hartnäckig gegen die schweren Ketten stemmte.

Conan entspannte seine Muskeln, um nach Luft zu schnappen und zu schauen, was sich ringsum tat. Einen Moment verschwamm alles vor seinem Blick, als die Blutzirkulation pochend wieder einsetzte. Santiddio neben ihm hüpfte auf Zehenspitzen und brüllte wie besessen - offenbar erforderte eine Rettung nicht die gleichmütige Würde wie eine Hinrichtung.

Auf dem Platz wogte und tobte die Menge in ihrer Panik, sich vor den furchterfüllten Pferden mit ihren hoch auflodernden Karren zu retten. In ihrer Angst und ihren Schmerzen hatten die Zugtiere nur ein Ziel - verzweifelt vor den prasselnden Flammen zu fliehen, die sie verfolgten. Da achteten sie nicht auf die Menschen vor sich, die versuchten ihren stampfenden Hufen auszuweichen. Hilflos in der Menge gefangen, drängten die Leute sich blindlings wie ein enthaupteter Python zu den Straßen um den Platz und zertrampelten dabei viele Dutzende, die in dem Ansturm gestolpert und gefallen waren. In der Menge eingezwängt, vermochte auch die Verstärkung aus dem Gefängnis nicht zum Galgen vorzudringen.

An der Plattform kämpften Mordermis Briganten gegen die hier postierten Wächter, doch der Ausgang der Schlacht war ungewiss. Die Angreifer hatten den Vorteil der Überraschung und allgemeinen Verwirrung. In diesem Chaos war es unmöglich, sie genau zu zählen. Dass eine organisierte Truppe es wagen würde, ja überhaupt eine Veranlassung dazu sah, einige der gemeinen Verbrecher vor der Hinrichtung zu bewahren, war etwas, womit die Gefängnisverwaltung nie gerechnet hätte. Jetzt, während die Wächter sich verzweifelt gegen die Banditen zur Wehr setzten, bestand keine Aussicht, dass eine Verstärkung sich noch rechtzeitig ihren Weg durch die tobenden Massen kämpfen konnte.

Mit den Rücken zur Galgenplattform parierten die überlebenden Wächter die Degen und Dolche der Angreifer mit ihren Hellebarden. Vom Galgen baumelten drei Gehenkte leblos herab, während ein vierter einen Fingerbreit über der Plattform verzweifelt um sich schlug. Die Leiche des Henkers stierte auf die drei Männer, um die er sich nicht mehr hatte kümmern können und deren Köpfe noch in den Schlingen steckten. Sonst befand sich niemand mehr auf der Plattform, da die Wächter bei Beginn des Angriffs durch die Banditen sofort hinuntergesprungen waren, um sie abzuwehren.

Einer der Briganten durchbrach den schwankenden Halbkreis der Wächter und stürmte die Stufen zur Plattform zu den hilflosen Gefangenen herauf. Santiddio stieß einen Jubelschrei aus - und fluchte gleich darauf verzweifelt, als eine Hellebarde aus dem Scharmützel zu seinen Füßen schoss und ein Bein des Befreiers unterhalb des Knies durchtrennt wurde. Schreiend purzelte der Verkrüppelte die Stufen hinunter, mitten unter die Kämpfenden.

»Santiddio!«, brüllte Conan. »Streck mir die Hände entgegen!«

Trotz seiner Aufregung verstand der andere sofort. Er wandte dem Cimmerier den Rücken zu und versuchte mit den gefesselten Handgelenken näher an Conan heranzukommen. Indem sie ihre Schlingen bis fast über das Erträgliche hinaus ausdehnten, gelang es ihnen, die Hände zusammenzubringen. Conan biss die Zähne zusammen, als die Schmerzen durch die würgende Schlinge noch schlimmer wurden, und zerrte an den Knoten des Strickes um die Handgelenke, der tief in Santiddios Fleisch schnitt. Der Cimmerier brach sich die Nägel, aber er arbeitete fluchend weiter, während seine Schläfenadern zu bersten drohten.

Ein wütender Schrei drang trotz all seiner verzweifelten Konzentration in Conans Bewusstsein. »Tötet die Gefangenen! Tötet die Gefangenen!«

Dieser Befehl war gegeben worden, um den Fluchtversuch zu vereiteln - oder auch, um die Banditen zum Rückzug zu veranlassen. Ein blutbesudelter Wächter stemmte sich auf die Galgenplattform hinauf. Sofort griff einer der Briganten nach seinen Beinen und schwang sich hinterdrein. Der Wächter ließ seine Hellebarde fallen. Die beiden Männer fielen übereinander her und rollten, mit den Messern eine gegnerische Blöße suchend, über die Plattform.

Conan zerrte immer noch hartnäckig, jetzt mit blutigen Nägeln, an den festen Knoten, bis es ihm endlich gelang, ein Ende des straffgespannten Strickes zu lockern. Mit einem heftigen Rock zerrte er daran und löste die Bande.

Santiddio japste und riss die Hände hastig aus dem Strick. Dann griff er nach dem Hanfseil und zog sich daran ein Stück hoch, um so die Schlinge besser lockern zu können. Nach heftiger Anstrengung gelang es ihm endlich, aus ihr herauszuschlüpfen.

»Hilf mir!«, brüllte Conan. In der kurzen Zeit, die inzwischen vergangen war, hatte der Wächter sich seines Gegners entledigt und stolperte jetzt mit stoßbereiter Hellebarde auf sie zu. Santiddio wäre nun ohne weiteres in der Lage gewesen, von der Plattform zu hüpfen, um in der Menge unterzutauchen. Conan hätte es ihm nicht einmal verdenken können - aber genauso wenig hätte er es ihm verziehen.

Stattdessen sprang Santiddio an Conans Seite und wandte dem schnell näherkommenden Wächter den Rücken zu. »Du musst die Schlinge ein bisschen lockern!«, rief er.

Conan stellte sich auf die Zehenspitzen. Santiddio konnte ihm die Schlinge übers Kinn ziehen.

Der Wächter sauste an dem dritten noch lebenden Gefangenen vorbei, in der Absicht, den befreiten Santiddio aufzuspießen. Da streckte der andere Verurteilte ein Bein aus. Der Wächter stolperte darüber, wirbelte herum - und stieß seine Hellebarde durch die Brust des Hilflosen.

Das verschaffte den anderen eine zwar nur kurze Verschnaufpause, aber sie genügte Santiddio, die Schlinge über Conans Nase zu bekommen. Ohne auf die Haut zu achten, die er dabei mitriss, zerrte der Cimmerier den Kopf ganz aus der Schlinge.

Wie ein Rasender warf Santiddio sich auf den Wächter - Conan dachte bei diesem Anblick an eine Katze, die einen Bluthund anspringt -, packte den Hellebardenschaft, gerade als der andere die Spitze aus der Brust des Erstochenen riss und sich zu ihm umdrehte. Ohne sich weiter um den festgehaltenen Schaft zu kümmern, ließ der Wächter die Hellebarde los und warf sich mit seinem Gewicht auf den kleineren, schmächtigeren Santiddio, so dass dieser mit dem Rücken auf der Plattform landete. Der Wächter setzte sich auf Santiddios Brust, presste den Hellebardenschaft, den der andere immer noch hielt, quer über dessen Hals und drückte trotz der verzweifelten Gegenwehr Santiddios mit aller Kraft darauf.

Obwohl Conan nun von der Schlinge befreit war, war er alles andere als ein freier Mann. Durch Ketten behindert, wusste er, dass er keine Chance hatte, durch den Kreis der Wächter zu kommen. Im gleichen Augenblick, als Santiddio zu Boden ging, löste ein zweiter Wächter sich aus dem Kampf vor den Stufen und eilte auf die Plattform, um seinem Kameraden zu helfen.

Conan warf seine ganze Kraft gegen die behindernden Ketten. Er spreizte Arme und Beine so weit wie möglich.

Die Muskeln quollen in mächtigen Knoten an Schultern, Armen und Oberkörper und sprengten fast das zerfetzte Lederbeinkleid. Die Eisenschellen schnitten in Hand- und Fußgelenke. Helles Blut sickerte aus der aufgeschürften Haut und vermischte sich mit glitzernden Schweißperlen. Kaum dass er die Schritte des herbeihastenden Wächters über dem heftigen Klopfen seines Herzens hörte.

Muskeln, gegen Eisen - das eine oder andere musste unter dieser ungeheuerlichen Anspannung nachgeben. Es war das Eisen!