Johann Georg Hamann: Sokratische Denkwürdigkeiten

 

 

Johann Georg Hamann

Sokratische Denkwürdigkeiten

 

 

 

Johann Georg Hamann: Sokratische Denkwürdigkeiten

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Jacques-Louis David, Der Tod des Sokrates, 1787

 

ISBN 978-3-7437-1242-3

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-1230-0 (Broschiert)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Amsterdam [recte: Königsberg] 1759. – Da die griechischen Zitate in allen neueren Ausgaben der »Denkwürdigkeiten« ohne Spiritus wiedergegeben werden, musste in diesem Fall auf eine Transkription verzichtet werden.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Johann Georg Hamann: Sokratische Denkwürdigkeiten. Aesthetica in nuce. Mit einem Kommentar herausgegeben von Sven-Aage Jorgensen, Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1968 [Universal-Bibliothek, Band 926].

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

Sokratische Denkwürdigkeiten

 

 

für die lange Weile des Publicums

zusammengetragen

von einem Liebhaber der langen Weile.

 

Mit einer doppelten Zuschrift

an Niemand und an Zween.

 

O curas hominum! o quantum est in rebus inane!

Quis leget haec? – – – Min' tu istud ais? – –

Nemo hercule – – Nemo? –

Vel DVO vel NEMO – – –

Pers.

 

An das Publicum, oder Niemand, den Kundbaren.

οδ᾽ ΟΥΤΙΣ, που ᾽στιν; – –

Eurip. Κυκλωψ

 

Du führst einen Namen, und brauchst keinen Beweis Deines Daseyns, Du findest Glauben, und thust keine Zeichen denselben zu verdienen, Du erhältst Ehre, und hast weder Begrif noch Gefühl davon. Wir wissen, daß es keinen Götzen in der Welt giebt. Ein Mensch bist Du auch nicht; doch must Du ein menschlich Bild seyn, das der Aberglaube vergöttert hat. Es fehlt Dir nicht an Augen und Ohren, die aber nicht sehen, nicht hören; und das künstliche Auge, das Du machst, das künstliche Ohr, das Du pflanzest, ist, gleich den Deinigen, blind und taub. Du must alles wissen, und lernst nichts1; Du must alles richten, und verstehst nichts, lernst immerdar, und kannst nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen2; Du dichtest, hast zu schaffen, bist über Feld, oder schläfst vielleicht, wenn Deine Priester laut ruffen, und Du ihnen und ihrem Spötter mit Feuer antworten solltest. Dir werden täglich Opfer gebracht, die andere auf Deine Rechnung verzehren, um aus Deinen starken Mahlzeiten Dein Leben wahrscheinlich zu machen. So eckel Du bist, nimmst Du doch mit allem für lieb, wenn man nur nicht leer vor Dir erscheint. Ich werfe mich wie der Philosoph zu den erhörenden Füssen eines Tyrannen. Meine Gabe besteht in nichts als Küchlein, von denen ein[7]Gott, wie Du, einst barst. Überlaß sie daher einem Paar Deiner Anbeter, die ich durch diese Pillen von dem Dienst Deiner Eitelkeit zu reinigen wünsche.

Weil Du die Züge menschlicher Unwissenheit und Neugierde an Deinem Gesichte trägst; so will ich Dir beichten, wer die Zween sind, denen ich durch Deine Hände diesen frommen Betrug spielen will. Der erste arbeitet am Stein der Weisen, wie ein Menschenfreund, der ihn für ein Mittel ansieht, den Fleiß, die bürgerliche Tugenden und das Wohl des gemeinen Wesens zu befördern. Ich habe für ihn in der mystischen Sprache eines Sophisten geschrieben; weil Weisheit immer das verborgenste Geheimnis der Politick bleiben wird, wenn gleich die Alchymie zu ihren Zweck kommt, alle die Menschen reich zu machen, welche durch des Marqvis von Mirabeau fruchtbare Maximen bald! Frankreich bevölkern müssen. Nach dem heutigen Plan der Welt bleibt die Kunst Gold zu machen also mit Recht das höchste Project und höchste Gut unserer Staatsklugen.

Der andere möchte einen so allgemeinen Weltweisen und guten Münzwaradein abgeben, als Newton war. Kein Theil der Kritick ist sicherer, als die man für Gold und Silber erfunden hat. Daher kann die Verwirrung in dem Münzwesen Deutschlands so groß nicht seyn, als die in die Lehrbücher eingeschlichen, so unter uns gang und gebe sind. Es fehlt uns an richtigen Verhältnis-Tabellen, die uns bestimmen, wie viellöthig an Korn und Schrot ein Einfall seyn müsse, wenn er eine Wahrheit gelten soll u.s.w.3[9]

Weil diese Küchlein nicht gekaut, sondern geschluckt werden müssen, gleich denjenigen, so die Cosmische Familie zu Florenz in ihr Wapen aufnahm; so sind sie nicht für den Geschmack gemacht. Was ihre Wirkungen anbetrift; so lernte bey einem ähnlichen Gefühl derselben Vespasian zuerst das Glück Deines Namens erkennen, und soll auf einem Stuhl, der nicht sein Thron war, ausgeruffen haben: VTI PVTO, DEVS FIO![11]

 

Fußnoten

 

1 Sp. Sal. IX. 13.

 

2 2 Tim. III. 7.

 

3 Ο Ζευ, τι δη κρυσου μεν ος κιβδηλος η,

Τεκμηρί ανϑρωποισιν ωπασας σαφη;

Ανδρως δ᾽ οτω χῥ τον κακον διειδεναι

Ουδεις καρακϑρ εμπεφυκε σωματι;

Euripides Medea.

 

An die Zween

– – σμικρα μεν τσδ᾽, αλλ᾽ ομως

α ᾽χω

Sophocles in Electra.

 

Das Publicum in Griechenland laß die Denkwürdigkeiten des Aristoteles über die Naturgeschichte der Thiere, und Alexander verstand sie. Wo ein gemeiner Leser nichts als Schimmel