LICHTSCHLAG 45

© Natalia Lichtschlag Buchverlag Grevenbroich 2017

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlag: Lichtschlag Medien Düsseldorf

Printed in Germany.

ISBN: 978-3-939562-74-0

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

„Was ist liberal?“ Der zeitgenössische Liberalismus scheint eine Obsession mit dieser Frage zu haben. Immer neue Kriterien werden erarbeitet, um eine Person oder eine Idee als liberal zu bezeichnen. Nicht selten geht es (auch) darum, auszugrenzen.

Verschiedene Benennungen werden erfunden, um eine Orthodoxie von der anderen zu unterscheiden: liberal, libertär, paläoliberal, klassisch-liberal, neoliberal und so weiter. Das Paradoxe ist: Je mehr Bezeichnungen, desto unklarer, was der Liberalismus eigentlich ist. Kein Wunder. Denn wenn die Frage „Was ist liberal?“ als Glaubensfrage gestellt wird, droht sie zu spalten, zu splittern und zu schwächen.

Doch wer ein Buch über liberale Persönlichkeiten schreibt, muss sich die Frage stellen: „Wer ist liberal?“

In „Liberale und andere“ (1994) portraitierte Ralf Dahrendorf viele deutsche Sozialdemokraten. Denn praktisch nur SPD-Politiker waren bereit, sich gegen den Ständestaat, den Militarismus und den Protektionismus Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg zu stellen. Als ich dieses Buch zum ersten Mal las, konnte ich der Intention Dahrendorfs nur wenig Verständnis entgegenbringen.

Pierre Bessard (Liberales Institut, Schweiz), Daniel Klein (George Mason University, USA) und ich entwarfen einst die Idee, eine Übersicht über die Schweizer Liberalismen zu schaffen. Dabei ermahnten mich beide, möglichst die verschiedenen Facetten des Liberalismus zu beleuchten und nicht einer wie auch immer eingebildeten oder konstruierten Orthodoxie zu verfallen. Dann wurde es mir klar: Sie – und Dahrendorf – haben recht. Diese Erkenntnis wurde zum Grundprinzip dieser Portraitserie.

Der Liberalismus ist ein breiter und offener Begriff. Er muss nicht notwendigerweise als eine auf England oder Frankreich zurückgehende philosophische Tradition gedacht werden. Er kann auch eine Geisteshaltung sein. Wie sich diese Geisteshaltung in die Praxis umsetzt, ist dann auch abhängig von ihrem Kontext. Zeit, Umstände, geographischer Raum und praktische Abwägungen sind Elemente dieses Kontextes.

Im Japan zwischen den Weltkriegen ging es um Pazifismus. Er war dort die einzige anti-etatistische Kraft. In Europa geht es (immer noch) um die Abwehr gegenüber verschiedenen Formen staatlicher Bevormundung. Schwarze US-Amerikanerinnen und -Amerikaner mussten für Gleichstellung kämpfen, aber auch gegen eine Sonderbehandlung, die vom Staat forciert wurde (und wird). Frauen setzten sich ein für das Recht, als eigenständige Individuen anerkannt zu werden.

Damit wird exemplarisch gezeigt: Was liberal ist, hängt vom jeweiligen Kontext ab. Vor allem aber hängt es vom Individuum ab, das die Geisteshaltung trägt und aufgrund ihrer handelt. Darin gründet also das Auswahlkriterium, das ich in dieser Sammlung anwende:

Wer sich für individuelle Freiheit und gegen Kollektivismen aller Arten einsetzt, ist eine Liberale – oder ein Liberaler. Der Einsatz für individuelle Freiheit ist das notwendige und die Ablehnung des Kollektivismus das hinreichende Kriterium. Mit anderen Worten, das liberale Etikett wird nicht an die europäische Geistesgeschichte geknüpft, sondern an die Ideen der Freiheit, des Individuums und der Verantwortung. Und an die Praxis ihrer Umsetzung.

Dann kam die zweite Frage: Wie soll ich diese Leute überhaupt portraitieren? Die Antwort darauf lieferte ein paralleles Projekt der Foundation for Economic Education (FEE) in den USA. Lawrence Reed startete im Jahr 2015 die Serie „Real Heroes“. Er ging darin dem Leben und Wirken von Menschen nach, die man getrost als Vorbilder, ja sogar Helden, bezeichnen kann. Während bei ihm das Heroische und Nachahmenswerte im Mittelpunkt steht, habe ich mich für das Alltägliche des Liberalismus entschieden. Liberal sein heißt nicht nur sinnieren, sondern auch handeln – im Alltag.

Der FEE bin ich ohnehin sehr verpflichtet: Portraits von Gladstone, Stewart-Murray, Owens und Kellems sind auch in dem von der FEE herausgegebenen Buch „Real Heroes: Inspiring True Stories of Courage, Character, and Conviction“ von Larry Reed (2016) enthalten – aber auf andere Weise dargestellt. Einige Materialien für die Texte über Cleveland, Wilder Lane und Cowperthwaite kommen auch aus dem FEE-Fundus. Dafür bedanke ich mich bei Larry Reed und Richard Lorenc.

Und dann kommt die schwierigste Frage: Wen nehme ich? Oder noch zugespitzter: Wenn diese Liberalen unbekannt sind, warum sollten sie ausgerechnet mir bekannt sein? Ich bin nämlich kein Historiker. Und die Gattung der Biographie gehört definitiv nicht zu meinen Vorlieben. Aber: Je mehr ich recherchierte, desto mehr merkte ich, dass gerade das das Interessante an diesem Projekt war. Ich konnte unabhängig von Vorgaben dem nachgehen, was ich als speziell empfand. Und so ging ich unsystematisch vor. Las hier und da etwas. Und was mir gefiel, nahm ich auf.

Damit ist es gesagt: Wer auch immer hier aufgenommen wurde, ist zufällig da. Es ist weder Ziel noch Anspruch, die „Liberalsten“ oder die „Unbekanntesten“ oder die „Herausragenden“ zu portraitieren. Es sind einfach die, von denen ich der Meinung bin, dass sie a) liberal dachten, b) ein interessantes Leben hatten und c) in ihrem Leben liberale Prinzipien verwirklicht haben.

Ich suchte zwar nach einem sehr differenzierten und globalen Bild, nahm mir aber keine Quoten vor. Es ist also Zufall, dass soviele Frauen hier portraitiert sind. Es ist aber nicht Zufall, dass beispielsweise nur wenig Islamisches und Indisches den Weg in dieses Büchlein gefunden hat. Der Grund dieses Mankos hat mit mir zu tun. Ich kann weder Türkisch noch Arabisch noch Sanskrit lesen…

Auch wenn dieses Buch keine wissenschaftliche Abhandlung über Liberale, die man nicht kennt, ist, bemühte ich mich, nach wissenschaftlichen Kriterien vorzugehen. Ich befasste mich meist mit Texten, die die hier Portraitierten geschrieben haben. In einigen Fällen befragte ich Leute, die diese Persönlichkeiten kannten oder erlebten. Am Schluss jedes Portraits wird auf Literatur verwiesen. Es ist dabei kein kompletter Materialienapparat, sondern weiterführende Literatur für jene Leserinnen und Leser, die ihre Kenntnisse vertiefen möchten.

André F. Lichtschlag und Henning Lindhoff sind die eigentlichen Urheber der Idee dieses Buches. Ihnen gilt mein Dank. Und damit ist genug der Vorrede.

Literatur

Dahrendorf, Ralf. Liberale und andere: Portraits. Stuttgart (1994).

Reed, Lawrence. Real Heroes: Inspiring True Stories of Courage, Character, and Conviction. Wilmington (2016).

Sir John James Cowperthwaite

Soldat an der liberalen Front:
Ein Staatsdiener für die Freiheit

„Wenn Leute eine inklusive Regierungsform wollen, dann müssen sie Komplexität und Langsamkeit in der Entscheidungsfindung als Preis dafür akzeptieren. Wenn sie eine schnelle und agile Regierung wollen, dann müssen sie Autoritarismus in Kauf nehmen.“ Sir John James Cowperthwaite, Finanzsekretär von Hongkong von 1961 bis 1971, wollte ersteres. Und zwar aus Respekt vor den Menschen.

„Lassen Sie mich diese Budgetpräsentation mit einer philosophischen Vorrede beginnen. Kritiker bemängeln das diesjährige Budget – wie alle Budgets unter meiner Verantwortung. Sie sagen, Sozialausgaben und wirtschaftliche Entwicklungsprogramme fehlen darin. Was mich an dieser Kritik stört, ist ihre Vorstellung der Bevölkerung Hongkongs als kleine Kinder, deren Fleiß man belohnen und deren Kooperation man erkaufen muss. Ich weise diese paternalistische und letztlich kolonialistische Denkhaltung scharf zurück. Die Leute von Hongkong sind intelligent genug, das zu tun, was sie wollen und was ihnen dient. Ihre Freiheit ist ihr Handlungsgrund, nicht die Almosen des Staates.“

Cowperthwaite (1915-2006) war ein klassischer Liberaler. Seit seinem 22. Lebensjahr im Staatsdienst und ab dem Jahr 1945 in Hongkong hielt es für seine Aufgabe, den Staat zu beschränken, aber in seinen Kernbereichen stark zu machen. Doch das Soziale, die Wirtschaft und die Kultur etwa hielt er nicht für Teile des Kernbereichs der Staatsaktivität. Demzufolge plädierte er hier für positive Nicht-Intervention.

Das Wunder von Hongkong

Die Zukunft des Kronlandes in Asien war am Ausgang des Zweiten Weltkriegs alles andere als klar. Die USA wollten die Ansammlung von Felsen, Schmugglern und Fischern den chinesischen Alliierten überlassen. Mit dem Zusammenbruch des Handels hatte Hongkong ohnehin nur wenige Perspektiven. Ebenfalls mangelte es an Infrastruktur.

Was aber einsetzte, war eine Serie glücklicher Zufälle. Nicht ganz ungeplant konnte die britische Marine Hongkong vor der chinesischen erreichen. Während die Kolonialverwaltung langsam darin war, sich selbst wieder aufzubauen, taten sich britische und lokal-chinesische Individuen zusammen. Sie bauten privatwirtschaftlich Infrastruktur auf. Sie kreierten auch ein eigenes Sozial-, Bildungs- und Kulturnetz und basierten es auf den lokalchinesischen Hospital- und Tempelbruderschaften sowie auf den britischen Klubs.

Dass der Wiederaufbau Hongkongs praktisch insgesamt privat und trotz der politischen Wirrungen erfolgte, beeindruckte Cowperthwaite tief. Und er kam dadurch zur Einsicht: „Tiefe Steuern, keine oder nur wenige Regulierungen des Arbeitsmarktes, keine Staatsverschuldung und freier Handel sind die Säulen des Erfolgs Hongkongs.“ An dieser Devise hielt er fest. Sein Leben lang.

Die Zerstörung Chinas

Als dann auch noch die kulturelle Revolution in China ausbrach und die Sozialdemokraten Oberhand in Großbritannien bekamen, kam Cowperthwaite zu einer zweiten Einsicht: Politik hat ein enormes Schadenspotential. Demzufolge sah er es als seine Aufgabe, die Masse dessen, was politisiert werden kann, gering zu halten. Das bedeutete konkret, die Staatsaufgaben auf die Durchsetzung von Recht und Sicherheit zu beschränken. Alles andere, ob makroökonomische Statistiken über Aggregate oder aktive Diplomatie, hielt er bewusst zurück.

Doch die kulturelle Revolution wirkte sich auch in Hongkong aus: In der Verwaltung setzte Cowperthwaite durch, die Grenze für chinesische Flüchtlinge zu öffnen. Um der Vervielfachung der lokalen Bevölkerung Herr zu werden, setzte er auf eins: private Initiative. Und so brachte er auch die Aufhebung fast sämtlicher Raumplanungsvorschriften durch. Damit konnte der private Wohnungsbau florieren, und die typisch verdichtete Bauweise entstand. Dank dieser Liberalisierung ist heute Hongkong lediglich zu 40 Prozent bebaut. Der Rest ist Natur.

Natürlich musste der Finanzsekretär hier und da Konzessionen machen. Er akzeptierte ein Minimum an sozialem Wohnungsbau. Und er ließ auch mit sozialen Auffangprogrammen abfedern. Er sah sogar ein, dass ein minimales Netz staatlicher Schulen zielführend sein kann – aber nur, wenn sie im Wettbewerb mit den Privaten stehen. Trotz aller Alltagspolitik blieb das Credo Cowperthwaites gleich: „Wer Geld vom Staat erhält, soll möglichst wenig erhalten und erst noch nur kurzfristig.“

Der Aufbau der Freiheit

Cowperthwaite wollte nicht als pro Wirtschaft gelten. Er kannte die Geschichte Hongkongs und fürchtete die Macht großer Kartelle. „Es ist nicht Sache einer Regierung, die eine Unternehmung oder die eine Branche zu bevorzugen. Es ist Sache der Regierung, den Wirtschaftsakteuren möglichst viel Freiheit zu sichern.“ Deshalb glaubte er auch nicht an Konjunkturprogramme. „Es ist mir völlig rätselhaft, wie aus Staatsausgaben langfristiges und privates Wirtschaftswachstum entstehen soll. Ich glaube nur an die ökonomische Vernunft derer, die die Risiken selber tragen.“

Und damit erteilte er auch definitive Absagen an Industriepolitik, Rettung von Banken in Not, Innovationsförderung und dergleichen. Das sind alles nichtstaatliche Aufgaben. Als Cowperthwaite einmal im lokalen Parlament mit der Frage konfrontierte wurde, ob er eine Rezession gut finde, antwortete er: „Ein viel intelligenterer Mann (Joseph Schumpeter) als ich sagte einst, und ich bin mit ihm einverstanden: Eine Rezession ist für den Kapitalismus wie eine kalte Dusche an einem heißen Sommertag.“

Sir John Cowperthwaite war ein Liberaler, der nicht Bücher herausgab oder auf internationalen Konferenzen von den Vorzügen der Freiheit sprach. Er verstand sich als Staatsdiener. Aber der Staat, dem er seine Treue schwor, war einer, der individuelle Freiheit verteidigte. Und Cowperthwaite stand als Soldat an der Front dieser Verteidigung.

Literatur

Stacey, Bill. Sir John Cowperthwaite: A Portrait in his own words. Hong Kong (2016).

James Madison und George Mason

Die USA waren nie liberal:
Gründerväter im Clinch

Hartnäckig hält sich das Bild: Aufgeklärte Herren kommen zusammen. Von steuerlicher und politischer Unterdrückung angewidert, erklären sie sich für unabhängig. Selbstbestimmtes Leben und Freiheit dienen ihnen als Richtschnur. Alles schön – aber doch zu romantisch. Seit ihrem Entstehen sind die USA dem großen Staatsapparat und der interventionistischen Staatspolitik verpflichtet. Eine Entdeckungsreise mit zwei Gründervätern verdeutlicht dies.

Zwei liberale Kolosse in der Geschichte der USA – so groß, dass sie nur wenige kennen: James Madison (lebte von 1751 bis 1836) war Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung. Er gilt gemeinhin als Vater der Staatsverfassung und war Berater von George Washington, Außenminister unter Thomas Jefferson sowie selbst vierter Präsident der USA.

George Mason (lebte von 1725 bis 1792) war nichtuniformierter Unabhängigkeitskämpe, „Erfinder“ der individuellen Freiheitsrechte, Nicht-Unterzeichner der US-Verfassung und Nicht-US Präsident. Und obschon Mason dem Liberalismus viel treuer blieb, als Madison es je war: Geirrt haben sie sich beide.

Im Verfassungsclinch

Beide Herren hatten gleiche Ziele und gleiche Sorgen. Nach der Unabhängigkeit erkannten sie schnell: Die Erklärung war nicht das Papier wert, auf dem sie stand. Einzelne Unionsstaaten wollten keinen Freihandel; andere enteigneten im großen Stile; noch andere waren Beute in den Händen mafiöser Strukturen. Deshalb drängten beide Farmer aus Virginia auf einen gemeinsamen Föderalstaat mit einer gemeinsamen Verfassung.

Beide wussten aber: Staaten sind immer eine Form der Unterdrückung. Warum lange für Freiheit kämpfen, um sich dann wieder unterjochen zu lassen? Ihre Antwort darauf, warum es einen Staat braucht, ist symptomatisch für viele Liberale: Den demokratischen Rechtsstaat braucht es, um die Freiheiten zu garantieren.

Das Problem: Wie kann ein Staat Freiheiten garantieren, ohne selbst machtgierig zu werden? Masons Antwort: Mit einem Katalog von Grundrechten. Doch Madison setzte sich mit dem Gegenkonzept durch. Er wollte keinen Grundrechtskatalog, sondern die Gewaltenteilung. Mason weigerte sich daraufhin, eine Verfassung ohne Grundrechtezusicherung zu unterschreiben und warb fortan gegen ihre Annahme. Auch hier setzte sich Madison durch.

Madisons Inkonsistenz

Madison zeigte schon früh seinen Hang zu Inkonsistenz. Immer wieder ließ er seine liberalen Überzeugungen zu Gunsten des starken Staates, oder eben der Realpolitik, fallen. Kaum war die Verfassung entworfen, hielt er sie für einen schwachen Kompromiss. Trotzdem warb er für sie und scheute sich nicht, mit Leuten zusammenzuspannen, die den neu gegründeten Staat als Mittel für ihre persönliche Bereicherung sahen.

Schon wenige Monate nach Inkraftsetzung der Verfassung bemerkte Madison seinen Fehler. Einige Gliedstaaten wollten nichts von individuellen Rechten wissen. So machte er sich daran, den Grundrechtskatalog (die heutigen Amendements) zu formulieren. Er ließ sich dabei von Mason inspirieren, machte aber den Fehler, Freiheitsrechte nicht eindeutig als Abwehrrechte der Individuen gegenüber dem Staat zu formulieren. Damit wurden indirekt Staatsaufgaben kreiert.

Die Inkonsistenzen Madisons setzten sich fort. Im Prinzip war er gegen staatliche Schuldenwirtschaft; als Außenminister und Präsident entdeckte er seine Liebe für rote Zahlen. Im Prinzip war er gegen eine staatliche Zentralbank; er gründete selbst eine Vorläuferinstitution. Im Prinzip war er gegen ein stehendes Heer; die Armee wurde von ihm aufgestockt. Im Prinzip befürwortete Madison den Freihandel; Schutzzölle, Subventionen und Planwirtschaft verfügte er mit seiner Unterschrift.

Masons Widersprüche

Aber auch Mason war nicht frei von Problemen. Es ehrt ihn: Er weigerte sich, irgendeiner Korporation anzugehören. So kämpfte er für die Unabhängigkeit, weigerte sich aber, Uniformen zu tragen. Er war Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung, wollte aber das – wie nur er es erkannte – freiheitsfeindliche Dokument nicht unterzeichnen. Er wollte sogar der Sklaverei ein Ende setzen, doch er weigerte sich, einer abolitionistischen Bewegung beizutreten.

Wegen seiner Prinzipientreue war Mason auch stur. Ihm wurde die Präsidentschaft der USA angeboten. Ihm war es auch bewusst: Seine Kandidatur würde vor allem die Bande um George Washington, die den Staat als Vehikel persönlicher Bereicherung ansah, stoppen. Doch er wollte mit den USA nichts zu tun haben. Washington wurde Präsident, John Adams folgte. Die USA wurden zum Selbstbedienungsladen der Interventionisten. Selbst der Realpolitiker Madison beschrieb diese Zeit als „Herrschaft der Hexen“.

Auch in seiner Konzeption von Grundrechten war Mason widersprüchlich. Statt sie als reine Abwehrrechte zu gestalten, ließ er es offen, ob der Staat nicht doch aktiv werden müsste, um Grundrechte zu garantieren. Was bedeutet es beispielsweise, wenn alle ein Recht auf Gleichheit haben? Muss der Staat von sich aus diese Gleichheit herstellen? Mason dachte, es sei Sache der Demokratie, darüber zu befinden. Er sah aber nicht, dass die Demokratie sich auch gegen das Individuum entscheiden kann.

Im Clinch mit sich selbst

Madison und Mason waren zwei der „liberalsten“ Gründerväter der USA. Aber auch sie waren in vielem weit vom Liberalismus entfernt. Der Clinch, in dem sie lebten, war dauerhaft. Die Zugeständnisse musste Madison machen, um sich gegen partikularistische und interventionistische Interessen zu wehren. Er musste den Liberalismus extrem zurechtbiegen, damit die USA noch ein bisschen liberal blieben. Mason wollte nicht so weit gehen und überließ das Feld den anderen – „punks and crooks“ nannte er sie.

Doch der Clinch war vor allem einer mit sich selbst. Beide Herren hatten Prinzipien. Und ihnen war es bewusst, dass sie im Dauerkonflikt mit ihren eigenen Überzeugungen lebten. Aber das andere gefiel ihnen auch. Mason war gerne der Rebell. Er profitierte zeitlebens davon, weil ihm eine Wählerschaft und Kundschaft deswegen treu ergeben war. Madison war gerne Realpolitiker, weil er gerne im Zentrum der Macht stand. Die USA ohne seine aktive Rolle waren für ihn nicht vorstellbar.

Und diese USA der Herrn Madison und Mason waren nie ganz liberal. Manche mögen nun einwenden: Liberaler als die europäischen Nationen waren die Staaten allemal. Nun, das stimmt. Es ist aber auch nicht so schwer.

Literatur

Cheney, Lynne. James Madison: A life reconsidered. New York (2014).

Hamilton, Alexander, et al. The federalist papers. Oxford (2008).

Madison, James. The Writings of James Madison. New York (1906).

Mason, George. The papers of George Mason: 1725-1792. Raleigh (1970).

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