Carl Schneider


Der Held von Uganda


Leben und Wirken des Pioniermissionars Alexander Mackay

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-95923-172-5


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Sechzehntes Kapitel - Des Helden Tod



Der Exkönig Muanga wandte sich von seinem Verbannungsort im Viktoria Niansa aus brieflich an Mackay und bat um Hilfe zur Wiedergewinnung seines Thrones. Das bedeutsame Schreiben hat nach dem Eingange folgenden Wortlaut: "... ich, Muanga, bitte Dich, dass Du mir hilfst. Vergiß alles, was geschehen ist. Wir sind jetzt übel daran, aber wenn Ihr, meine Väter, zu mir kommen und mir behilflich sein wollt, mich wieder in mein Königreich einzusetzen, so sollt ihr Freiheit haben, alles zu tun, was ihr wollt. Früher habe ich Gott nicht gekannt. Jetzt aber kenne ich die Religion Jesu Christi. Denkt daran, dass Kalema (der jetzige König) alle meine Geschwister (nach Landessitte) ermordet hat. Auch meine Kinder hat er ermordet. Herr Mackay, hilf mir! Ich habe keine Kraft mehr, aber wenn Du bei mir bist, werde ich wieder stark sein. Mein Herr, denke nicht, dass, wenn Du Muanga wieder nach Uganda führst, er wieder schlecht sein wird. Wenn ich böse werde, darfst du mich vom Throne werfen. Ich bin aber ganz anders geworden und will jetzt nur Deinem Rate folgen. Ich bin Dein Freund Muanga."

Ein Jahr später eroberte Muanga mit Hilfe der Christen seinen Thron zurück, schlug die Araber aufs Haupt, verteilte die hohen Staatsämter an die eingeborenen Christen beider Konfessionen und stellte sich unter britische Oberhoheit, um seiner immer noch sehr lose sitzenden Krone mehr Festigkeit zu verleihen. Welche Wendung durch Gottes Fügung!

Mackay, der in Usambiro unterdessen emsig weiterbaute, das Evangelium Johannis in Luganda übersetzte, druckte und versandte, sah dem Umschwung der Dinge mit den Gefühlen eines Landmannes zu, der nach harter Geduldsarbeit seine Saaten in die Halme schießen sieht. Von seiner aufblühenden Station aus sandte er einen Aufruf an die Söhne Englands. Nachdem er einen kurzen Rückblick auf die wundersamen Ereignisse der letzten sechs Jahre gegeben und hervorgehoben hat, dass die bedeutendste und bis vor kurzer Zeit noch tyrannischste Macht in ganz Ostafrika jetzt in Händen von Männern ruht, die sich glücklich preisen, Christen zu sein, wirft er die Frage auf: "Aber ruht die Macht in den Händen des Christentums? Wird eine Nation an einem Tage geboren? Sie ist geboren; aber erst jetzt geboren, befindet sie sich im hilflosesten, kritischsten Zustande." Dann schildert er, wie die römische Mission mit ihrer Wolfsmilch diesen Säugling nähren und für sich zu erziehen beflissen ist und fragt voll Sorge, ob das christliche England sich nicht ermannen und das neugeborene Kindlein mit reinem Blute nähren und in Zucht und Vermahnung zum Herrn großziehen will. "Soll diese herrliche Gelegenheit versäumt oder für immer verloren sein?"

"Ihr Söhne Englands, hier ist ein Feld für eure Tatkraft. Bringt eure beste Bildung und die größten Talente, hier findet ihr Raum, mit dem Pfunde zu wuchern. Ihr Männer Gottes, die ihr euer Leben der Rettung von Menschenseelen weihen wollt, hier ist das rechte Feld für euch. Nicht um Zahlen für eine Kirche, sondern um verlorene Seelen zu retten und für Jesum zu gewinnen, bitte ich euch ... hierherzukommen, wo das Feld weiß zur Ernte ist. Rom bricht herein mit seinem Seelenfang durch Sakramente, seiner Religion voll Menschensatzung. Wir brauchen Männer, die Christum, den Gekreuzigten und Auferstandenen, predigen. 'Gott ist ein Geist', und jeder, der das glaubt, werfe alle Bedenken über Bord und eile zu uns, um dieses Volk zu lehren, Gott im Geist und in der Wahrheit anzubeten.

Vergiß dein Volk und deines Vaters Haus,
Dann sehnt der König sich nach deiner Schöne,
Und an der Väter Statt umjubeln dich die Kinder,
Und werden Fürsten auf der weiten Erde!"

Dieser Ausruf voll flammender Begeisterung und leidenschaftlicher Liebe für die unsterblichen Seelen in Uganda ist die letzte Botschaft unseres Helden. Sie trägt das Datum: "Usambiro, 2. Januar 1890" und langte am 24. April desselben Jahres in London an. Kurz vorher aber lief ein Telegramm aus Sansibar ein und meldete den Tod Alexander Mackays. Der elektrische Funke hatte mit der Trauerkunde den Postdampfer mit dem Aufruf um zehn Tage überflügelt.

Die Post brachte aber noch eine andere charakteristische Botschaft Mackays. Von der Missionsgesellschaft war ihm in berechtigter Sorge um seine Gesundheit dringend nahegelegt, zu einem längeren Erholungsurlaub heimzukehren. Mackay erwiderte dem Sekretär unter dem 2. Januar: "Aber wie können Sie mir schreiben: 'Komme heim!' Bei diesem schrecklichen Arbeitermangel darf keiner seinen Platz verlassen. Schicken Sie mir zuerst zwanzig Männer, dann komme ich vielleicht und helfe Ihnen die zweiten zwanzig suchen."

Mackays letzte Tage waren angefüllt mit weitausschauenden Plänen zur "Lösung des afrikanischen Problems". Unter diesem Titel veröffentlichte er kurz vor seinem Heimgang noch einen meisterhaften Artikel voll missionarischer Weisheit und staatsmännischem Scharfsinn und schrieb darunter: "Fortsetzung folgt." Es ist aber keine Fortsetzung mehr eingetroffen. Der Tod hatte ihm inzwischen die berufene Feder entwandt.

Einige Tage vor seinem Tode hatte sich Mackay bei der Arbeit an einem Dampfkessel eine Erkältung zugezogen, auf die er aber nicht weiter achtete. Dann half er seinem Mitarbeiter Missionar Deekes, der erst kurze Zeit bei ihm war, gesundheitshalber aber wieder abreisen mußte, eifrig beim Packen. An dem zur Abreise bestimmten Tage lag Mackay aber in so hohem Fieber, dass Deekes die Träger wieder abbestellte und sich vorläufig der Pflege seines Kollegen widmete. Das Malariafieber steigerte sich bedenklich und ließ das Schlimmste befürchten, da keine ärztliche Hilfe zu haben war. Nach vier Tagen, am 8. Februar 1890, abends um 11 Uhr, drückte der erschrockene Missionar dem Helden von Uganda die Augen zu.

Aus Brettern, die der Heimgegangene selbst geschnitten und für ein Boot zugerichtet hatte, wurde ein Sarg gezimmert und die Leiche hineingebettet. Am folgenden Tage, es war ein Tag des Herrn, senkten sie den schmucklosen Sarg am Ufer des Niansa in die afrikanische Erde. Wehklagend um den geliebten Lehrer und Hirten umringten die Wagandachristen die frische Gruft. Missionar Deekes versuchte einen Bibelabschnitt zu lesen, brach aber vor Schwäche und Schmerz zusammen. Dann ermannten sich die Schüler Mackays und sangen: "Laut rühmet Jesu Herrlichkeit!"

Ein weißes Marmorkreuz mit einer arabischen, suahelischen und englischen Inschrift, gestiftet von einer edlen Gräfin, kündet heute den Eingeborenen, dass hier einer ruht, der für sie starb und lieber ein Bote des Kreuzes war als ein König auf dem Thron.

"Eine große Persönlichkeit bemerkt man nicht allein, wenn sie gegenwärtig ist; man wird ihren Wert dann noch mehr inne, wenn die Stelle leer ist, die sie einnahm." In England wurde der Heimgang Alexander Mackays als ein nationaler Verlust allgemein empfunden und tief betrauert. Die Zeitungen des ganzen Landes brachten anerkennende Leitartikel über ihn, ein Beweis, dass die Welt ab und zu doch noch einen Missionar zu schätzen weiß, wenn er auch nicht auf außergewöhnliche Weise sein Leben verloren hat wie Hannington. Privatbriefe voll Trauer liefen bei dem gebeugten Vater aus allen Gegenden ein, und viele kirchliche Körperschaften sandten besondere Beileidsadressen. Der Anzeiger der Church Missionary Society, der Mackay angehörte, schrieb: "Obwohl wir A. Mackay sehr hoch schätzten, waren wir doch nicht auf das Maß von Teilnahme und Bewunderung gefaßt, welches sein Tod hervorrief. Wir gestehen offen, dass wir nicht wußten, welche hohe Achtung er in der öffentlichen Meinung gewonnen hatte."

Colonel Grant, einer der beiden Reisenden, die Uganda zuerst kennen lernten, bricht in das Lob aus: "Der Verlust, welcher die Zivilisation in Zentralafrika getroffen, ist nicht leicht wieder wettzumachen. Denn aus zwanzig unter uns könnte man noch nicht einen Mackay machen." Ein Begleiter Stanleys, der Offizier Jephson, welcher drei Wochen Mackays Gast in Usambiro war, sagt in einem ergreifenden Briefe an den Vater u. a.: "Als eine Handvoll zusammengebrochener, verbitterter Männer kamen wir auf seiner Station an, und dank seiner Güte traten wir die Reise nach der Küste mit frischem Eifer und neuer Liebe zu unserem Werke an. Die einsame Gestalt, die auf dem Kamm des Hügels stand und uns noch Grüße nachwinkte, wird mir immer in Erinnerung bleiben. Der Name ihres Sohnes ist auf der Liste der großen Männer, die ihr Leben in der furchtlosen Ausübung ihrer Pflicht verloren haben. Die Eingeborenen schienen nur ihn zu lieben und nur ihn zu kennen."

All diese Lobpreisungen haben freilich vorzugsweise die kulturelle Seite der Arbeit Alexander Mackays im Auge. Es wäre aber ungerecht, seine Missionstat so einseitig aufzufassen. "Ein Mann, der heute mit den Mohammedanern theologische Streitfragen ausfechten muß und furchtlos Christum als Sohn Gottes und der Welt Heiland bekennt und morgen sich damit zufriedengibt, stundenlang Knaben lesen zu lehren und einfache Bibeltexte zu erklären und am dritten Tage geduldig die Worte des Lebens in eine Sprache übersetzt, die keine Sprachlehre noch Wörterbuch hat, solch ein Mann war kein gewöhnlicher Missionar", ist mehr als ein Industriemissionar, ist ein Apostel Jesu Christi! Sein treuster Freund und Waffengefährte, der Missionar Ashe, sagt von Mackay, dass er zu den Wenigen gehörte, welche furchtlos vorwärtsblicken und auf uns den Eindruck machen, als ob sie das Antlitz des lebendigen Gottes sähen. Nie sei er an einem Menschen oder einer Sache verzweifelt, ein Mann, auf den man bauen konnte. Vierzehn Jahre hat er in Afrika ausgehalten, vierzehn Jahre voll Widerspruch, Gefahr, Fieber, Herzeleid, Enttäuschung und bei alledem sei er fest und unbeweglich geblieben in dem Werk des Herrn. Er habe an seinem Leben und seiner geduldigen Liebe gesehen, dass ein frommer Mensch eine wunderbare Höhe der Christusähnlichkeit erreichen kann. "Mackay war ein demütiger, reiner, hochherziger Mann, mit einem Wort: ein großer Missionar!"

Wir legen diesen Immortellenkranz im Geiste auf jenes einsame Grab mit dem kleinen Marmorkreuz unter den Palmen Ostafrikas und geloben, uns für das Große so zu begeistern und im Kleinen so treu zu sein, wie Alexander Mackay, der Held von Uganda, es war. Wir wissen, dass er zu denen zählt, die ihre Kränze und Kronen vor dem Throne Gottes und des Lammes niederlegen, und sprechen: "Herr, Du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft. Denn Du hast alle Dinge erschaffen, und durch Deinen Willen haben sie das Wesen und sind geschaffen."

Wir dürfen aber von dem einsamen Kreuze nicht scheiden, ohne noch einen flüchtigen Blick auf die Hügel und Hütten Ugandas zu werfen. Mackay hat nicht mehr erlebt den traurigen Bürgerkrieg zwischen katholischen und evangelischen Christen, zwischen seinen geistlichen Kindern und denen des Pater Lourdel, in dem die Römischen als Anstifter unterlagen; nicht mehr erlebt die gewaltige Bewegung zum Evangelium, die in der Missionsgeschichte beispiellos dasteht. Er sah nicht mehr das Gotteshaus in der Hauptstadt mit den viertausend Sitzplätzen und die heilshungrigen Scharen den Missionaren die Häuser stürmen, wenn eine Kiste mit Bibeln angekommen war. Er sah nicht mehr, was unsere Augen sehen: das einst so blutgetränkte Uganda überzogen mit einem Netz von Missionsstationen, mit Kapellen und Schulen und einer Schar eingeborener Evangelisten.

In den letzten fünf Jahren hat die Mission Mackays 35 000 meist erwachsene Heiden in Uganda getauft. Die Gemeinde, welche Mackay 1882 mit fünf Wagandaknaben gründete, vier Jahre später fast hundert Blutzeugen zählte und 1887 einer zerstreuten und hirtenlosen Herde glich, in die der Wolf gefahren ist, diese Gemeinde umfaßt heute mehr als 60.000 Glieder, hat neben den englischen Missionaren dreißig eingeborene, ordinierte Pastoren und 2500 sonstige Lehrer und Gehilfen, die, soweit sie besoldet sind, von der Wagandakirche unterhalten werden. In den zahlreichen Schulen werden jetzt über 32 000 Kinder unterrichtet, und der jährliche Zuwachs beträgt 670 Schüler.

Das hat Mackay alles nicht mehr hören und sehen können, und doch ist es der Baum, den er einst im Glauben gepflanzt und mit aufopfernder Geduld und Hoffnung bis an sein Ende gepflegt hat. Weil er den Brunnen so tief grub, springt heute das Wunderwasser so hoch. "Er war gesetzt, Frucht zu bringen und eine Frucht, die da bleibe" und hat sich den hohen Titel, den ihm dankbar die Nachwelt gibt, zur Ehre seines Meisters wohl verdient.

Verdrängt, verjagt, besiegt und ausgefegt
Und doch ein Held, der ewig Palmen trägt!

Das ist Alexander Mackay - möge sein Andenken neue Gnade auf uns bringen!

Inhalt




Vorbericht

Erstes Kapitel - Daheim bei Vater und Mutter

Zweites Kapitel - In Aberdeen und Edinburg

Drittes Kapitel - Als Ingenieur in Berlin

Viertes Kapitel - Der Kampfplatz

Fünftes Kapitel - Auf dem Marsche

Sechstes Kapitel - Durchs heutige Deutsch-Ostafrika

Siebentes Kapitel - Blutsbrüderschaft mit dem Ukerewekönig Lukonge

Achtes Kapitel - Ankunft in Uganda

Neuntes Kapitel - Ein Meister in allerlei Erz- und Eisenwerken

Zehntes Kapitel - Im Kampf mit heidnischem Aberglauben

Elftes Kapitel - Zwischengefechte mit Arabern und Katholiken

Zwölftes Kapitel - Mtesa, ein Heide durch und durch

Dreizehntes Kapitel - Die Feuertaufe

Vierzehntes Kapitel - Auf einsamem Posten

Fünfzehntes Kapitel - Zurückgeschlagen

Sechzehntes Kapitel - Des Helden Tod



Großer Menschen Werke zu seh'n,
Schlägt einen nieder,
Doch erhebt es auch wieder,
Dass so etwas von Menschen gescheh'n.

Rückert



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Alexander Mackay

Vorbericht



Die Londoner Zeitung "Daily Telegraph" brachte im November 1875 einen Artikel, der eine elektrisierende Wirkung hatte. Es war ein Brief des berühmten Weltreisenden Henry M. Stanley, in dem mit flammender Begeisterung der Reichtum und die Schönheit des Ugandareiches am Nordufer des Viktoria Niansa in Ostafrika geschildert und die englische Christenheit dringend ersucht wurde, in diesem gesegneten Lande eine Mission zu beginnen. Der humane König Mtesa, an dessen Hofe Stanley vor seiner großen Kongofahrt monatelang fürstliche Gastfreundschaft genoß, hatte sich heilsbegierig gezeigt und um Missionare und Lehrer für sich und sein Volk gebeten.

Wenige Tage nach Veröffentlichung dieser seltenen Botschaft stellte ein unbekannter Missionsfreund der Kirchlichen Missionsgesellschaft 100.000 Mark für die Mission in Uganda zur Verfügung und das Komitee erließ bald darauf einen allgemeinen Aufruf, um die weiteren Mittel und Menschen für das neue Werk zu bekommen. Ehe ein Jahr ins Land gegangen war, hatten sich zu den auf eine halbe Million Mark angewachsenen Missionsmitteln auch eine ganze Anzahl fähiger Männer als Missionare angeboten. Einer der ersten war Alexander Mackay. Er wurde nach Gottes Rat und Willen der Pionier Ugandas und nach Stanleys Urteil der größte Missionar seit Livingstone und war, wie ein anderer Bewunderer sagt: "Ein Mann unter tausend."