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Joana Stone

Die gebeutelte Frau


Dieses Buch ist all denen gewidmet, die meinen, immer stark sein zu müssen.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Kapitel 1

Eigentlich sollte Heike Petri glücklich sein. Schließlich war sie im Urlaub. Und die Sonne streichelte jeden Tag ihre Haut. Dieser große Familienurlaub war lange geplant gewesen, aber so hatte sie ihn sich nicht vorgestellt. Das traf aber derzeit auch auf viele andere Dinge in ihrem Leben zu. Wenn sie so darüber nachdachte, hatte das alles mit der Scheidung von ihrem Mann angefangen. Es hatten sich immer mehr Menschen von ihr abgewendet. Immer wieder hörte sie die gleichen Sprüche wie: „Ihr trennt euch? Harald ist doch so ein guter Mann!“ Die hatten ja auch alle gut reden, die kannten nur den Harald in der Öffentlichkeit. Nicht den Ehemann. Und als dann während des Trennungsjahres bei ihm Leberzirrhose diagnostiziert wurde, da wandten sich dann auch die Nachbarn von ihr ab, wie das eben in so einem kleinen Dorf ist. Wie konnte sie nur so bösartig sein? war nur einer der Sätze, die sie immer wieder hörte.

Ihr Anwalt hatte ihr dann geraten, da Haralds Ende abzusehen war, die Scheidung ruhen zu lassen. So hatte sie Anspruch auf seine volle Rente und auch sonst wäre es um einiges besser. Diese Tatsache machte sie in ihrem kleinen Örtchen vollends zur berechnenden Hexe. Und das nagte sehr an ihr. Es war nun also so dass, wie der Pastor es gesagt hatte, der Tod sie geschieden hatte.

Aber diesen Urlaub hatte sie sich wirklich auch ganz anders vorgestellt. Sie war mit ihrer Tochter, deren Mann Torsten, ihrer Enkelin und den Eltern von Torsten hier. Aber sie fühlte sich wie das fünfte Rad am Wagen. Wenn es darum ging, tagsüber die Kleine zu bemuttern oder auf sie aufzupassen, dann war sie gut genug, aber wenn sie mal etwas wollte, ja dann……

Aber wehe, sie wollte am Strand mal ihr Buch lesen, dann kam es gleich zum großen Hallodri. Wie konnte sie nur so egoistisch sein? hatte Silvia, Torstens Mutter, ihr an den Kopf geworfen. Aber wo waren sie denn heute Abend? Es war der dritte Abend und den dritten Abend verbrachte sie, wie die anderen Abende, alleine.

Gut, sie war halt nicht der Typ Tourist, der jeden Abend shoppen musste. Aber man hatte sie ja auch nur beiläufig gefragt, ob sie mit wolle und das in einem Ton, da hatte sie lieber gleich abgelehnt. Das einzig Positive, das ihr zu dem heutigen Tag einfiel, war die Sache mit dem Herrn, den ihre Enkelin, Lara, beim Mittagessen angerempelt hatte. Lara war wie wild zum Buffet gerannt, sie hatte mal wieder Lust auf Pommes Frites. Dabei hatte sie einen Mann leicht angerempelt, der sich gerade etwas Salat geholt hatte. Passiert war eigentlich nichts, aber die Reaktion des Mannes fand sie doch niedlich. Er hatte gesagt: „Du brauchst gar nicht so zu rennen, junge Dame. Da gibt es keine Pommes mehr, ich habe sie alle bereits aufgegessen.“ Daraufhin hatte Lara ziemlich traurig geschaut, aber ihr war dann doch ein ganzer Steinbruch vom Herzen gefallen, als sie den Berg Pommes da noch sah. Sie hatte in ihr Ohr geflüstert: „Oma, der Onkel lügt!“, was ihr dann doch ein Lächeln, eines der wenigen in letzter Zeit, auf die Lippen gezaubert hatte.

Den Mann selber hatte sie natürlich schon ein paar Mal gesehen in der Hotelanlage. Aber sie hielt ihn für einen Schwerenöter, der darauf aus war, schnell mal eine Frau kennenzulernen und sie ins Bett abzuschleppen, wie man so weitläufig sagte. Sie hatte ihn auch schon mehrmals mit diesem ekelhaften Andreas gesehen, der darauf bestand, dass man ihn Andi nannte. Gestern Abend hatte Andreas auf ziemlich dreiste und abscheuliche Art versucht, sie ins Bett zu kriegen. Das Ganze so plump, dass ihr fast speiübel wurde. Wer wusste schon, ob dieser Mann, den Lara da angerempelt war, nicht auch von dieser Sorte war.

Nun saß sie also hier im Amphitheater des Hotels. Die Animateure hatten für heute Abend einen Karaoke Wettbewerb organisiert. Heike hatte sich einfach in die erste Reihe gesetzt, weil sie offen und ehrlich zu faul gewesen war, die Treppen für die höheren Reihen zu erklimmen. Leider hatten die Animateure die Bühne sehr schlecht aufgebaut. Die Leinwand stand an der rückwärtigen Bühnenwand, darauf wurde der Text des jeweiligen Liedes gestrahlt durch einen Beamer. So mussten aber die Sänger dauernd dem Publikum den Rücken kehren, was natürlich sehr unvorteilhaft war. Sie hatten tatsächlich 10 Kandidaten zusammen bekommen. Heike amüsierte sich teilweise köstlich, wie die Leute versuchten, zu singen. Oder sie hatte Ohrenschmerzen. Eine Frau hatte versucht, das Lied „One Moment in Time“ von Whitney Houston zu singen, was kläglich gescheitert war. Es war so schlecht gewesen, dass sie fast losgerannt wäre, um Oropax zu kaufen. Eine weitere Frau hatte so eine Fistelstimme, dass die Töne fast weh taten in den Ohren und 3 weitere Kandidaten konnten kaum den Text.

Es war schon teilweise lustig, wie sich Menschen im Urlaub zum Affen machten. Mittlerweile waren 9 von 10 Kandidaten aufgetreten und wenn man sie jetzt fragen würde, wer der Beste gewesen war, so würde sie glatt auf den Mann tippen, der doch recht gut den alten Partyklassiker „Anita“ von Costa Cordalis gesungen hatte. Passte ja auch irgendwie, schließlich machten sie Urlaub auf Samos. Fehlte also noch einer. Der Chefanimateur Jannis betrat die Bühne und bedankte sich bei dem Kandidaten, der eben versucht hatte, Joe Cocker zu singen, aber Joe Cocker ohne rauchige Stimme, das ging gar nicht, dachte sie.

„Und nun zu unserem letzten Kandidaten. Einen großen Applaus für Mario, der von einer verflossenen Liebe singt. Hier ist seine Midnight Lady!“, rief er und dieser Mario betrat die Bühne. Aber im Gegensatz zu den anderen Kandidaten kam er nicht alleine, er hatte in der einen Hand einen Barhocker. Und natürlich erkannte sie ihn sofort. Das war der Mann, mit dem Lara zusammengestoßen war.

Eines musste man ihm lassen, er wusste sich zu kleiden. Er trug ein leichtes, helles Sommersakko, darunter ein weißes Hemd und eine helle Leinenhose. Die oberen 2 Knöpfe seines Hemdes hatte er lässig offen gelassen. Er stellte den Barhocker genau in den Spott des Scheinwerfers und setzte sich, während das Intro lief. Dabei schaute er ins Publikum. Man konnte fast denken, er wolle gar nicht singen, denn er schaute sich die Leute an.

Sie konnte natürlich hinter ihm genau sehen, dass da noch kein Text war, aber er schien irgendwie fast in einer anderen Welt zu sein. Dann sah sie, wie hinter ihm der Text kam. Es war also die deutsche Version, die im Original von Roland Kaiser gesungen wurde. Ja, damals sagte man noch gesungen, nicht performed. Entweder wusste er, wann er anfangen musste, oder er wollte sich vollends blamieren. Dann sah sie, wie er kurz den Kopf nach hinten drehte und kaum musste er anfangen laut Karaoke-Version, begann er auch schon zu singen, schaute aber wieder ins Publikum. Er schien irgendetwas zu suchen, denn sein Blick geisterte über das Publikum, aber dann……..

Irrte sie sich? Bei der dritten Zeile „Und dein Bild in mir erwacht zum Leben“, schaute er da sie an? Das konnte sie gar nicht glauben. Wollte er so bei ihr landen? Ja, jetzt war sie sich ganz sicher, er fixierte sie mit seinem Blick. Und er schien den Text genau zu kennen, er musste nicht einmal nach hinten schauen. Er sang das Lied, als hätte er es bereits tausende Mal gesungen. Er ließ sie auch nicht aus den Augen.

Als er die zweite Strophe anfing und sang: „Und nun sitz ich hier, seit vielen Stunden“, da hatte sie das Gefühl, seine Augen durchbohrten sie auf eine ganz unheimliche Art. Auf einmal stand er auf und kam von der Bühne runter. Er schien ein verdammt guter Entertainer zu sein.

In der vierten Zeile der zweiten Strophe hieß es: „in Erinnerung an dich versunken“.

In diesem Moment stand er direkt vor ihr und reichte ihr einfach die Hand. Sie wusste nicht, warum, aber irgendwie rutschte ihr das Herz in die Hose. Sie wusste, es war nur Show und nichts Reales, aber was sollte sie machen? Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Sanft ergriff er ihre Hand und sie konnte gar nicht anders, sie musste mit ihm auf die Bühne. So stand sie auf einmal auch im Scheinwerferlicht, während er sang: „Unsere Blicke finden sich, meine Augen fragen dich.“

Und er schaute sie wirklich an. Sie hatte das Gefühl, seine Augen, sein Blick durchbohrten sie und blickten ganz tief in sie hinein. Wie durch einen Nebel bekam sie mit, dass das Publikum wie gebannt auf die Bühne starrte. Sein Blick ließ sie nicht los, die ganze Zeit nicht, als er den Refrain noch zweimal sang. Als dann das Lied zu Ende war, deutete er mit seiner freien rechten Hand zu ihr und verbeugte sich. Das Micro war wohl noch an und er rief: „Ich bitte um einen riesigen Applaus für diese mutige Dame!“

Heike wollte fast im Erdboden versinken, aber der Applaus war frenetisch. Es war ihr egal, ob dieser nun ihr galt oder ihm. Galant wie ein Gentleman geleitete er sie wieder zu ihrem Platz und sagte nochmal „Danke!“, ehe er wieder auf die Bühne ging. Dass er damit den Wettbewerb gewonnen hatte, war keine Überraschung. Er nahm lächelnd den Preis, eine Flasche Wein, entgegen und bedankte sich noch einmal bei den Animateuren und beim Publikum.

Dann war die Show auch zu Ende, der Animateur machte noch kurz Werbung in eigener Sache und dann verlief sich die Meute.

Kapitel 2

Heike war nach der Show noch mal kurz auf der Damentoilette gewesen. Jetzt wollte sie noch was trinken und dann aufs Zimmer. Aber wie immer nach der Show waren alle Tische besetzt. Sie hätte gerne einen alleine gehabt, aber daraus wurde wohl nix. Sie schaute sich um und sah ganz hinten in der Ecke noch einen freien Stuhl. Sie bewegte sich drauf zu und als sie näher kam, erkannte sie sofort, wer da saß. Das helle Sommersakko verriet ihn.

Na, er wird mich schon nicht auffressen, dachte sie etwas missgestimmt und ging zu dem Tisch.

„Darf ich?“, fragte sie, nachdem sie sich innerlich auf alles gewappnet hatte. Mario schaute hoch und ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Natürlich!“, sagte er und stand auf, umrundete den kleinen Tisch und rückte ihr den Stuhl zurecht. Sie war durchaus etwas beeindruckt, so etwas kannte sie schon lange nicht mehr. Wenn sie richtig nachdachte, dann war dieses Verhalten das erste Mal, seit über 30 Jahren. Damals hatte ihr Mann sie so umgarnt.

„Danke.“ Sagte sie leise und leicht verunsichert.

„Für meine Midnight Lady tue ich doch alles.“, lächelte er und setzte sich wieder ihr gegenüber. Sie war froh, dass der Kellner kam. Sie bestellte sich einen Rotwein. „Jedenfalls danke, dass sie das mitgemacht haben.“, sprach er.

Irgendwie war alles in ihr in Aufruhr. Zum einen war es ihr durchaus peinlich, was sie da gemacht hatte. Und dann musste sie immer wieder an ihn denken, wie er mit diesem Kerl, diesem Andreas zusammen war. Vielleicht war es dieser Gedanke, sie wusste es selber nicht genau, der sie dazu verleitete, ihn anzugiften: „Müssen sie nicht bald zu ihrer Frau?“

Er schien überrascht über diese Frage. Zumindest deutete sein Gesichtsausdruck darauf hin, als er fragte: „Welche Frau?“

Diese Gegenfrage kam so überrascht, so neutral, dass ihr die Hutschnur hochging. „Jetzt tun sie mal nicht so. Sie und ihr Freund, sie haben es sich ja anscheinend zur Aufgabe gemacht, hier möglichst viele Frauen aufzureißen oder ins Bett zu bekommen. Sie und dieser…. Andreas. Wer führt denn den Wettstreit an?“

Das Gesicht von Mario war gekennzeichnet von totaler Überraschung und Verblüffung. „Entschuldigung, ich weiß wirklich nicht, was sie meinen?“, hörte sie ihn nur sagen.

„Ach nein? Was ist denn mit dieser jungen, schlanken Frau mit den langen schwarzen Haaren, mit der sie heute am Strand zu Mittag gegessen haben, wo meine Enkelin sie angerempelt hat?“ Dass er das nicht zugab und so tat, als sei nichts gewesen, steigerte ihre Wut nur noch. Und als sie dann noch sehen und hören musste, wie er lauthals loslachte, da drohten bei ihr fast alle Dämme zu brechen. „Was lachen sie denn jetzt so?“, hakte sie nach.

„Ich finde das urkomisch, wie sie sich hier geben! Wirklich!“, beharrte er. „Anscheinend kocht hier die Gerüchteküche mal wieder total über. Das finde ich herrlich!“

Heike hatte mit vielen Arten von Reaktion gerechnet, aber nicht mit so einer. Jetzt war sie es, die total perplex war. „Was… was meinen sie denn?“

Jetzt genoss er es, sie schmoren zu lassen. Er schaute sie an und nahm erst einmal einen Schluck von seinem Bier. Dabei ließ er sie nicht aus den Augen. Erst danach sprach er und das ganz nüchtern und sachlich. „Vielleicht fangen wir mal anders an. Ich will sie ja nicht dauernd Midnight Lady rufen. Ich heiße Mario, Mario Hausmann. Darf ich ihren Namen erfahren?“

Alleine diese coole Art, mit ihren Vorwürfen umzugehen, überraschte sie total. Wie konnte er nach dem, was sie ihm an den Kopf geworfen hatte, so ruhig und gelassen bleiben? Sie brauchte einen Moment, ehe sie sich wieder gefasst hatte und antwortete: „Heike Petri.“

„Hallo Heike, schön, dich kennenzulernen.“, meinte er und reichte ihr sogar die Hand über den Tisch. In diesem Moment kam der Kellner und brachte ihren Wein. Nachdem er gegangen war, fragte Mario: „Und jetzt würden sie, oder würdest du also gerne wissen, in welchem Verhältnis ich zu Andreas und zu der Dame, die übrigens Jolanda heißt, stehe?“

Es war seine Art, die sie irgendwie faszinierte. Er blieb total ruhig, und das, obwohl sie ihm wirklich einiges an den Kopf geschmissen hatte. Sie beruhigte sich und beschloss, das Ganze auf die sanftere Art weiter zu versuchen. „Wenn sie es mir erzählen mögen, ja.“ Trotz ihrer Ruhe hörte man die Neugier heraus.

„Also, zunächst einmal, ich bin im Urlaub, wenn du magst, nenn mich Mario und Du, nicht Sie. Und nun zu Jolanda. Heute Morgen lag ich am Strand und las in meinem Roman, da spürte ich so etwas wie einen leichten Schlag auf meinem linken Unterschenkel. Als ich runterschaute, sah ich 2 kleine Kinderhände, die sich anscheinend daran stützten. Es war ihr Sohn Miroslav, wie ich später erfuhr, benannt nach dem ehemaligen deutschen Nationalspieler. Die Mutter, also Jolanda, kam sofort angerannt und entschuldigte sich vielmals und so kamen wir ins Gespräch. Ich merkte schnell, dass der Junge, wie man bei uns im Norden sagt, Hummeln im Hintern hat und so bot ich ihr an, dass wir zusammen zu Mittag essen, damit sie vielleicht auch mal in Ruhe etwas essen könne. Es war dann auch durchaus lustig, sie legt Wert auf gute, gesunde Ernährung für den Jungen und hatte ihm alles Mögliche auf den Teller getan: Gurken, Tomaten, Obst. Ich musste grinsen und ich bin dann los, habe mir unter anderem Suflaki und Pommes geholt. Natürlich wollte der Junge dann sein Essen nicht mehr und so haben wir zusammen die Mama schön geärgert. Die Hälfte meiner Pommes landete in seinem Magen. Da war ihr dann auch egal, dass ich Raucher bin. Aber ich rauche ja nicht in der Gegenwart von Nichtrauchern und kleinen Kindern. Jedenfalls hat es mir großen Spaß gemacht, mit dem Kleinen ein wenig rumzudameln, wie man so schön sagt. Das also zu meiner angeblichen Freundin oder Frau oder wie auch immer. Noch Fragen?“

Heike war perplex. Anscheinend hatte sie ihn vollkommen falsch eingeschätzt. Sie konnte es natürlich nicht beweisen, aber auch, wie er diesen kurzen Moment mit Lara umgegangen war, zeigte ihr doch, dass er sehr gut mit Kindern umgehen konnte. Alleine diese Tatsache zeigte ihr, dass er die Wahrheit sagte. „In Ordnung… Mario. Und wie stehst du jetzt zu diesem Andreas?“

„Möchtest du die schonungslose Wahrheit hören?“, hakte er nach.

„Ja, würde ich gerne!“

„Ich bin einfach zu nett. Zu nett, um ihm zu sagen, dass er ein großes Arschloch ist!“

Diese harten Worte kamen mehr als überraschend für sie. Das zeigte auch ihr Gesichtsausdruck. „Wieso das?“, wollte sie wissen.

„Schon am ersten Abend, ich sitze nach dem Abendessen gern auf der Terrasse der Lobby, trinke da noch einen Kaffee und rauche eine, kam er einfach dazu, alle Tische waren frei und er setzte sich einfach ungefragt zu mir und fing sofort an, mir die sprichwörtliche Kante ans Bein zu labern. Ob ich alleine hier wäre? Und dann gab er mir ganz schnell ganz heiße Tipps.“

„Was denn für heiße Tipps?“, wollte sie wissen.

Mario winkte mit der Hand ab und sagte: „Ich glaube nicht, dass du die wissen willst.“

„Doch, bitte. Du weißt doch, wir Frauen sind neugierig.“, entgegnete sie und lächelte sogar leicht.

„Also gut.“, resignierte er. „Er meinte, wenn ich hier Frauen kennenlernen will und sie ins Bett kriegen will, muss ich zunächst dafür sorgen, dass der Alkohol in Strömen fließt, das senkt ja bekanntlich die Hemmungen. Und dann muss ich nach dem dritten Glas spätestens das Smartphone zücken und nach ihrer WhatsApp-Nummer fragen, so kann ich dann auch in Deutschland mit ihnen in Kontakt bleiben und vom Zimmer aus nach ihrer Zimmernummer fragen. Tolle Tipps!“. Den letzten Satz sagte Mario voller Verachtung.

„Oh ja, das sind wirklich tolle Tipps.“, lächelte sie nun und man hörte die Ironie in ihrer Stimme.

„Ja, wirklich. Was mich aber zu einer anderen Frage bringt.“

„Und zu welcher?“ Wieder war diese weibliche Neugier in ihrer Stimme zu hören.

Mario überlegte, ob er sie schonend fragen sollte oder direkt. Er entschied sich für die direkte Art. „Was wäre denn, wenn ich hier mit Jolanda was anfinge oder gar mit einer oder noch mehreren Frauen?“

„Wieso stellst du mir die Frage?“, erwiderte sie mit unschuldiger Stimme und Miene.

„Weil du es warst, die mich vor noch nicht mal 5 Minuten deswegen ziemlich barsch angegangen bist. Jetzt bin ich auf deine Antwort gespannt.“

Er ließ sie nicht aus den Augen und anscheinend rang sie erst einmal mit sich selbst, ehe sie etwas sagte: „Weil….. das macht man nicht! So einfach die Weiber aufreißen!“, kam es schließlich etwas gereizt aus ihrem Mund.

„Ach nein? Wer sagt das denn?“

„Wie, wer sagt das?“

„Ja, wer sagt das? Wer behauptet, dass man das nicht macht?“

„Na, hast du überhaupt keine Erziehung genossen? Wir Frauen sind doch nicht einfach nur da, damit ihr euch abreagieren könnt und euren Hormonhaushalt wieder in Ordnung bringen könnt!“, sagte sie und wurde wieder giftiger und lauter.

„Wer sagt denn, dass ich mich als Mann an einer Frau abreagieren will? Dazu gehören ja wohl immer zwei Personen, oder? Also nochmal: Was wäre denn, wenn ich mit einer oder mehreren Frauen hier im Urlaub was anfangen würde?“

Sie spürte seinen bohrenden Blick. Er wollte eine Antwort. Sie suchte fieberhaft nach einer Antwort und hatte das Gefühl, sein Blick würde sie von Sekunde zu Sekunde tiefer durchbohren. „Weil….. weil sich das nicht gehört, so!“, meinte sie fast wie ein bockiges Kind.

„Ach ja? Das heißt also, alle Menschen die auf der Welt in so genannte Swingerclubs gehen und dort Pärchentausch betreiben oder wo die Frau sich von mehreren Männer ficken lässt, alle diese Leute haben kein Benehmen?“, provozierte er sie weiter. Er zeigte es zwar nicht, aber es machte ihm durchaus Spaß, mit ihr so ins Gericht zu gehen.

Er sah, wie sie immer mehr gedanklich ins Trudeln kam. „Das ist ja dann was ganz Anderes!“, beharrte sie.

„Und warum?“, bohrte er nach.

Wieder spürte sie diesen stechenden Blick und sie spürte selber, wie ihr langsam die Argumente ausgingen. „Ich…. Ich weiß es auch nicht, es ist eben so!“

„Wenn dem so ist, dann müssen ja alle reichen Männer im arabischen Raum, die einen Harem haben, unerzogen und pervers sein. Da gilt es als Ehre und Zeichen von Reichtum, wenn man mehrere Frauen hat.“ Er ließ sie nicht aus den Augen und legte den Finger noch tiefer in die Wunde. „Ich kann für mich sagen, ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und wenn ich der Meinung wäre, ich müsste meinen Schwanz in eine Fotze einer Frau stecken und sie will das auch, dann geht das nur die beteiligten Personen etwas an. Niemanden sonst. Auch dich nicht! Und um noch mal Jolanda zu erwähnen: Habe ich sie in der Öffentlichkeit geküsst? Nein! Habe ich mit ihr Händchen gehalten? Nein. Wenn es in deinen Augen eine Sünde oder gar Todsünde ist, mit einer wesentlich jüngeren und attraktiven Frau zu reden, mit ihr und ihrem Sohn zu Mittag zu essen, dann bin ich wohl schuldig. Aber mit dieser Schuld kann ich sehr, sehr gut leben.“

Nach dieser Litanei ließ er sie nicht aus den Augen und sie saß da, wie versteinert. Anscheinend hatte er ihr nun einiges zu denken gegeben. Sie neigte den Blick zum Boden, so als müsse sie darüber nachdenken. Oder als hätte ihr gerade eben ein Mann mal ordentlich den Kopf sprichwörtlich gewaschen.

Nach einiger Zeit schaute sie wieder auf und versuchte, seinem Blick standzuhalten. „Du nimmst ganz schön heftige Wörter in den Mund in aller Öffentlichkeit.“, meinte sie.

„Was für Wörter meinst du denn?“, fragte er verwundert.

Sie schaute wieder nach unten, ehe sie antwortete: „Na, so Wörter wie ficken oder Fotze.“

Wieder lachte Mario auf. „Ich find das nur noch lustig. Du spielst dich mir gegenüber als absolute Moralapostellin auf und wenn ich dann mal Wörter in den Mund nehme, die man in die Rubrik Dirty Talk packen kann, dann findest du das dreckig. Kann man mit dir also nicht offen reden?“

„Natürlich kann man das mit mir, aber wenn, dann vernünftig und nicht so. Ich bin eine durchaus offene Frau!“

„So wie du dich bisher mir gegenüber präsentiert hast, sehe ich das etwas anders. Aber was solls?“, meinte er und trank sein Bier aus. „Ich verabschiede mich. Ich hab noch ein Rendezvous mit meiner Freundin, Frau Villeroy und Boch.“

„Wer ist das denn?“, wollte sie dann doch neugierig wissen.

„Kennst du die nicht?“

„Nein!“

„Das ist eine ganz perverse Person. Die steht total auf Natursektspiele.“

„Wie? Du meinst… du urinierst auf sie?“

Mario grinste innerlich. Sie dachte, Frau Villeroy und Boch sei ein realer Mensch. „Klar. Machst du doch auch.“, beharrte er.

„Ich? Bestimmt nicht!“

„Ach nein? Dann frage ich mal, wo gehst du denn hin, wenn du mal Wasser lassen musst?“

„Na, wohin wohl?“, giftete sie zurück. „Auf die Toilette! Was denkst du denn?“

Mario lachte lauthals los. Völlig verdattert schaute sie ihn an. „Sagt dir Villeroy und Boch etwas?“, lachte er immer noch.

Sie überlegte und antwortete dann: „Das ist eine alte Porzellanmanufaktur.“

„Richtig. Und früher haben die auch Nachttöpfe hergestellt und heute stellen sie unter anderem auch Toiletten her. Na, klingelt es jetzt?“, fragte er und stand schon auf. Ehe sie etwas erwidern konnte, sagte er: „Angenehme Nachtruhe.“

Damit ging er noch zur Bar und holte sich noch ein Wasser, ehe er aufs Zimmer ging. Auf dem Weg dahin, amüsierte er sich immer noch über Heike. Erst die Moraltussi spielen und dann hat sie doch keine vernünftigen Argumente. Was soll es? Ich genieße einfach den Urlaub und mal schauen, was die nächsten Tage so bringen, dachte er sich und genoss den Rest des Abends in seinem Zimmer mit seinem spannenden Roman.

Kapitel 3

Heike lag alleine in ihrem Bett und wälzte sich von einer Seite auf die andere. Sie konnte einfach keinen Schlaf finden. Sie schaute auf die Uhr und es war mittlerweile kurz vor zwei Uhr. Ihr schossen anscheinend einfach zu viele Gedanken durch den Kopf. Da waren nicht nur die schönen Erlebnisse mit ihrer Enkelin. Da war vor allem dieses Gespräch am, jetzt musste man ja schon gestrigen Abend sagen. Denn es war ja schon ein neuer Tag angebrochen. Eigentlich sollte sie über so einen Rüpel, ein anderes Wort fiel ihr nicht ein, gar nicht nachdenken. Welcher wohlerzogene Mann nahm schon Wörter wie Schwanz oder Fotze in aller Öffentlichkeit in den Mund? So etwas Dreistes hatte sie ja noch nie erlebt. Sie hielt sich ja nun wirklich nicht für prüde und hatte diese Worte auch schon benutzt, aber nicht in aller Öffentlichkeit.

Und diese Dreistigkeit von ihm. Ihr an den Kopf zu werfen, dass es sie nichts anginge, was er machen würde. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder mit jedem rummachen würde? Sie vermied es, das Wort ficken auch nur zu denken. Dieser Kerl war ja sowas von abartig. Und dabei hatte sie doch fast so etwas wie Gefühle für ihn entwickelt. Wenn sie nur an diese Momente an der Bühne dachte…

Da holt er ausgerechnet sie auf die Bühne, wo es genügend andere Damen da im Publikum gab, die wesentlich jünger und hübscher waren. Das hatte ihr durchaus imponiert. Aber wahrscheinlich war das alles nur Show! Um diesen blöden Wettbewerb zu gewinnen. Wie man sich doch in Menschen täuschen konnte. Aber wenn dieser Mario so heiß auf eine Flasche Wein war, bitte. Sie konnte ja gönnen. Vor allem, weil sie hier all inclusive hatten und er daher ja auch so viel Wein saufen konnte, wie er wollte. Es gab schon verdammt komische Leute.

Sie beschloss, noch eine Zigarette auf dem Balkon zu rauchen. Vielleicht konnte sie dann in den Schlaf finden. Sie hatte den Balkon zum Pool raus, wo es jetzt menschenleer war. Oder doch nicht? Ganz hinten meinte sie etwas zu sehen. Der Pool war von innen her beleuchtet, die Umgebung nicht. Sie zündete sich eine Zigarette an und schaute etwas genauer hin. Ihre Augen waren noch sehr gut, auch ohne Brille. Sie brauchte zwar eine zum Lesen, aber in die Ferne konnte sie noch sehr gut schauen. Da waren definitiv zwei Menschen, die sich umarmten. Sie konnte zwar nicht mehr sehen aufgrund des diffusen Lichts, aber es waren ein Mann und eine Frau. Das verriet alleine die Kontur. Und dann sah sie, wie sich der Mann auf die Liege legte und unten an seiner Hose nestelte. Und dann setzte sie sich drauf und die Bewegungen waren mehr als eindeutig.

Das gibt es doch gar nicht! Wo bin ich hier gelandet? Haben denn hier alle kein Benehmen?, dachte sie erbost. Sie war drauf und dran, rein zu gehen und die Rezeption anzurufen. Natürlich wusste sie, dass Sex die natürlichste Sache der Welt war, aber bitte doch nicht in aller Öffentlichkeit! Sie kam sich vor wie in Sodom und Gomorrha. Aber trotz ihrer Wut konnte sie die Augen nicht von dem Schauspiel lassen. Sie sah, wie sie sich langsam bewegte und sie musste zugeben, dass es ihr bei dem Anblick durchaus zu ziehen anfing im Unterleib. Auch wenn sie stocksauer war, dass die beiden es da am Pool trieben, so wollte sie doch mehr sehen. Es erregte sie. Das war etwas völlig Neues für sie. Sie kannte Sex nur mit ihrem Mann im Schlafzimmer. Natürlich hatte sie in Filmen schon die eine oder andere Szene gesehen, wo es die Paare am Strand oder sonst wo getrieben hatten, aber real, das war etwas völlig Neues für sie. Sie vergaß ihre Zigarette vollkommen und merkte auch gar nicht, wie ihre freie Hand unter ihr Nachthemd wanderte und anfing, an ihrer Scheide zu spielen. Gebannt schaute sie zu den beiden herüber, sie meinte, ein leises Stöhnen zu hören, oder bildete sie es sich nur ein? Wie im Trance machte sie die Zigarette im Aschenbecher aus, nachdem sie sich fast die Finger verbrannt hatte und nun wanderte auch die zweite Hand unter das Nachthemd. Sanft umspielten ihre Finger ihre Labien und den Kitzler.

Nochmal so verliebt sein, das wäre es, dachte sie. Sie sah, wie sich auf der Liege der Rhythmus steigerte, anscheinend wurden beide immer erregter. Auch sie steigerte das Tempo an ihrer Scheide. Sie spürte, wie der Plastikstuhl unter ihr leicht feucht wurde. Es war schon anregend, da zuzusehen. Ihr Hirn war wie umnebelt. Da sah sie, wie die Person, sie nahm an, es war die Frau, sich aufbäumte.

Als wäre das ein Signal für sie, rubbelte sie nun auch wild an ihrer Perle und schloss heftigst die Lippen, um nicht laut los zu stöhnen. Es kostete sie einiges an Mühe, aber es kam ihr und sie gab keinen Laut von sich.

Langsam entspannte sich ihr Körper und sie schaute gebannt weiter rüber. Beide Körper schienen aufeinander zu liegen. Sie schaute noch einen Moment hinüber, dann ging sie rein und schloss die Tür.

Wieder legte sie sich ins Bett, aber es war zum verrückt werden. Kaum lag sie da, da dachte sie schon wieder an dieses Gespräch mit diesem Mario. Was hatte der nur mit ihr angestellt? Dauernd musste sie an ihn oder das Gespräch denken.

Oder…. Hatte er es vielleicht doch gar nicht böse gemeint und ihr nur mal durch die Blume vor Augen gehalten, dass sie mittlerweile genau so war wie die Menschen bei ihr daheim, die sie verurteilten? Hatte er ihr vielleicht auf seine Art den Kopf gewaschen? Sie grübelte und grübelte. Vielleicht hatte das Verhalten ihrer Freunde und Nachbarn wirklich auf sie abgefärbt. Sie wusste es nicht. Auf jeden Fall würde sie niemandem erzählen, was sie da eben gesehen hatte und wie sie reagiert hatte. Was war denn geschehen?, fragte sie sich. Ja, da hatten zwei Menschen eben in der Öffentlichkeit Sex gehabt. Aber sonst? Wie hatte er gefragt? Wen ging es an? Es tat ihr schon fast weh, dass sie ihm Recht geben musste. Oder, um es anders auszudrücken: Die Erde stand noch, das Hotel war noch da und der Mond war auch nicht auf die Erde gestürzt. Anscheinend hatte sie morgen, wenn ihre Enkelin es zuließ, etwas zu tun, nämlich ihr Weltbild neu zu überdenken.

Sie drehte sich im Bett auf die Seite und versuchte an nichts zu denken. Es fiel ihr nicht leicht, aber irgendwann sah sie die Uhr nicht mehr und schlief ein.

Kapitel 4

Heike wachte total gerädert auf. Sie schaute auf die Uhr, es war kurz nach acht. Also musste sie aufstehen, denn das Familienfrühstück war auf halb neun angesetzt. Eigentlich hatte sie keine Lust, da zu erscheinen, aber sie dachte an Lara und nur für sie würde sie da pünktlich sein. Sie wollte ihre Enkelin nicht enttäuschen. Vielleicht war sie sehr feinfühlig, denn bei ihren anderen Großeltern aß sie nicht so wie bei ihr. Aber sollte sie das wundern? Silvia und Johann waren auch irgendwie das krasse Gegenteil von ihr. Sie waren sehr streng und ließen Lara ja kaum die Luft zum Atmen. Sie waren im Urlaub, da durfte die Kleine doch wohl auch mal was anderes essen als zu Hause oder auch mal etwas nicht essen. Zuhause aß sie ja immer das Gleiche, hier im Hotel war die Auswahl eben anders und größer. Selbst Heike musste ja immer mal hier und da probieren. Sie quälte sich also aus dem Bett und erschrak etwas, als sie sich im Spiegel im Bad sah.

„Vielleicht solltest du Nachts mal schlafen und dir nicht dauernd irgendwelche Gedanken machen.“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild und machte sich fertig. Pünktlich um halb neun war sie unten und die anderen waren natürlich auch schon da und hatten sich teilweise etwas geholt. Lara lächelte sie an, was alles in ihr wieder wegwischte. Alleine dieses Lächeln war es wert gewesen, aufzustehen.

„Da bist du ja endlich.“, meinte Silvia.

„Wieso? Wie immer, halb neun.“, entgegnete sie.

„Fünf Minuten vor der Zeit ist des Meisters Pünktlichkeit.“, intonierte Silvia. Heike hatte keine Lust, sich aufzuregen und beließ es dabei.

„Oma, gehst du mit mir ans Buffet?“, fragte Lara. Endlich mal jemand, der sie nicht dauernd kritisierte. Trotzdem konnte sie sich einen kleinen Seitenhieb auf Silvia nicht verkneifen. Sie schaute sie an und sagte: „Wenn noch was da ist.“

Sie sah sofort, wie Silvia mit den Augen rollte und Lara nahm sie an die Hand und zusammen gingen sie rein, wo das reichhaltige Buffet aufgebaut war. Hier blieb wirklich kein Wunsch unerfüllt. Verschiedene Brotsorten, Croissants, Rühr- und Spiegeleier, gekochte Eier, Omeletts nach Wunsch, Salate , Marmelade, Aufschnitt, Käse, alles in Hülle und Fülle. Heike würde wohl nach der Rückkehr erstmal nicht mehr auf die Waage gehen dürfen. Aber zuerst wollte sie für Lara was holen. Sie wusste genau, was sie wollte und das würde den Zorn ihrer anderen Großeltern wieder wecken, aber das war Heike egal. Lara bestellte sich eine große Portion Rührei und die Köchin lächelte sie dazu liebevoll an. Dazu noch Fladenbrot, wo Silvia ja immer meinte, für Kinder darf es nur Vollkornbrot geben. Zusammen mit einem viel zu süßen Saft ging es dann zum Tisch zurück und natürlich keifte Silvia gleich wieder.

„Kannst du dem Kind nicht mal das geben, was gesund ist? Soll sie so fett werden wie alle anderen Kinder in Deutschland?“

„Mama, bitte. Wir haben Urlaub, nimm dich etwas zurück.“, sprang Torsten in die Bresche und anscheinend wirkte es, denn Silvia blieb jetzt still und mit einem Grinsen an Oma Heike setzte sich Lara und fing an zu essen. Heike ging wieder rein, um sich selber mit etwas Essbarem zu versorgen. Sie ging zu den Schalen mit den Joghurts, noch in Gedanken an eben, da hörte sie auf einmal ein nettes „Guten Morgen.“

Sie schaute auf und erstarrte. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein! Hatte sie denn nie ihre Ruhe? Vor ihr stand dieser Mario und lächelte sie auch noch an. Reichte es nicht, dass sie wegen ihm und dem Gespräch die halbe Nacht nicht hatte schlafen können? Sie überlegte kurz, was sie tun sollte. Sollte sie ihn ignorieren? Oder so tun, als hätte sie es nicht gehört? Aber sie konnte auch nicht gegen ihre, wie sie meinte, gute Erziehung, daher erwiderte sie kurz und steif den Gruß und ging dann weiter. Sie ging erst zum Kaffeeautomaten, um ihm aus dem Weg zu gehen. Immer mal wieder schaute sie über die Schulter und als sie sah, wie er das Restaurant verließ, schlenderte sie entspannt zurück zum Buffet, um sich zu bedienen.

Sie ging zurück zum Tisch und wollte sich gerade wieder hinsetzen, da erstarrte sie.

Das kann doch jetzt nicht wahr sein!, dachte sie. Wer saß da am Nebentisch und aß genüsslich sein Rührei mit Schinken? Dieser Mario. Verfolgte der sie etwa? Sie wollte schon zu ihm rübergehen und mit ihm reden, aber Lara kam ihr zuvor.

„Kuck mal, Oma, da ist der Pommesonkel!“, sagte sie so laut, dass er es auch hörte. Alle Gesichter vom Tisch drehten sich zu Mario, da Lara mit dem Finger zu ihm zeigte.

Er schaute in die verdutzten Gesichter der 6 Leute und lächelte.

„Wieso ist das denn ein Pommesonkel?“, wollte Laras Mutter wissen.

„Ich hatte gestern einen kleinen Zusammenstoß mit ihrer Tochter und da meinte ich zu ihr, sie brauche gar nicht so zu rennen, ich hätte alle Pommes aufgegessen, es wären keine mehr da, am Strand.“, antwortete Mario und er erntete von allen ein Lächeln. Heike konnte nicht anders, sie machte gute Miene zum bösen Spiel.

„Aber da waren noch Pommes, der Onkel hat gelogen!“, behauptete Lara.

„Nein, Liebes, der Onkel hat nicht gelogen.“, behauptete Melanie. „Der hat sich nur einen Scherz erlaubt.“

Damit schien sich Lara zufrieden zu geben und Heike setzte sich und versuchte, in Ruhe zu frühstücken. Dieser Kerl klebt ja wie eine Klette an mir, dachte sie. Aber immer wieder wanderte ihr Blick rüber zu ihm. So als wolle sie kontrollieren, was er tat. Aber Mario schien ganz auf sein Frühstück konzentriert. Nach einer Weile stand er auf und holte sich noch einen Nachschlag. Und zum Schluss, so als wolle er sie provozieren, rauchte er noch genüsslich eine Zigarette. Jedenfalls haben wir ein und dasselbe Laster, dachte sie. Aber kann der Kerl nicht endlich aufstehen und woanders seine Zigarette danach rauchen?

Es war regelrecht zum aus der Haut fahren. Erst als Mario aufstand und ihnen im Vorbeigehen allen einen schönen Tag wünschte, entspannte sie sich.

Ist irgendwas?“, fragte Melanie sie.

„Wieso? Was soll sein?“, kam die Gegenfrage und Heike versuchte, ganz entspannt zu sein.

„Du hast die ganze Zeit da gesessen, als hättest du einen Schrubberstiel verschluckt. Ist irgendwas nicht in Ordnung?“

Heike setzte eine neutrale Miene auf. Sie wollte ihren Ärger nicht zeigen und auch keine langen Diskussionen darüber, was da gestern geschehen war. Daher antwortete sie mit einem aufgesetzten Lächeln ihrer Tochter: „Nein! Nein!, Alles bestens. Ich hab heute Nacht nur irgendwie schlecht geschlafen. Ich hol mir noch etwas von dem Fruchtsalat.“ Sagte sie und stand auf. Eigentlich hatte sie keinen Hunger mehr, aber sie hoffte, so weiteren Diskussionen aus dem Weg gehen zu können.

Es war für sie eine Wohltat, den Fruchtsalat essen zu können, ohne dass dieser Mario am Nebentisch saß. Auch der Kaffee schmeckte irgendwie wesentlich besser.

„Oma, gehst du gleich mit mir ins Meer?“, wollte ihre Enkelin wissen und riss sie aus den Gedanken.

Heike schaute Lara an und meinte wohlwollend: „Ja, Liebes. Aber erst müssen Mama oder Papa dich eincremen, sonst bekommst du einen Sonnenbrand.“

„Ich will aber nicht.“, keifte sie fast.

„Dann geht es auch nicht an den Strand. Wir wollen ja nicht, dass du einen Sonnenbrand bekommst. Der tut sehr weh.“

„Na gut.“, gab sie klein bei und aß den Rest auf. Da sie nun aber wusste, dass sie noch eingeschmiert werden sollte auf dem Zimmer, drängelte sie natürlich ihre Eltern, sehr zum Missfallen von Silvia und Johann, aber letztendlich gab sie dann auf.

Auch wenn Lara es kaum erwarten konnte, sie gingen nach dem Frühstück alle auf ihre Zimmer, um sich fertig zu machen. Sie hatten verabredet, sich dann an der Bar zu treffen, um gemeinsam zum Strand zu gehen. Natürlich ging es Lara absolut nicht schnell genug. Aber als sie dann den Strand sah, gab es fast kein Halten mehr für sie. Und kaum waren sie da, erstarrte Heike erneut. Wen sah sie als erstes am Strand? Da saß wieder dieser Mario auf seiner Liege und daneben diese sehr attraktive, junge Frau mit den schwarzen Haaren. Wie hatte er sie genannt? Ach ja, Jolanda. Der kleine Junge war bei ihm und sie schienen ein wenig zu gämmeln. Die Mutter schien sich zu freuen, dass sie mal ein wenig ausruhen konnte. Was sie so auf die Schnelle sehen konnte, hatte der Junge wirklich viel Energie. Heike versuchte, ihre Familie so zu dirigieren, dass sie zwar einige Entfernung zwischen sich und ihn legten, aber es nagte auch diese typische, weibliche Neugier in ihr. So tat sie ihr Bestes, dass sie einen Platz fanden, von wo aus sie Mario und die beiden anderen gut sehen und beobachten konnte. Ihr war in diesem Moment gar nicht bewusste, wie kindisch das war. Lange Zeit konnte sie eh nicht in Ruhe schauen, denn Lara pochte darauf, dass Heike ihr Versprechen einlöste und sie ins Meer gingen. Nachdem Torsten ihr die Schwimmflügel angelegt hatte, nahm Heike ihre Schwimmente, wo sie sich gefahrlos reinsetzen konnte und so gingen sie ins Wasser.

Nachdem sie Lara in ihre Schwimmente gesetzt hatte, zog sie sie ein wenig hinaus und so spielten sie im Wasser, was Lara richtig gefiel. Sie schenkte Heike immer wieder dieses bezaubernde Lächeln, was nur Kinder einem geben können. Auch wenn Heike immer mal wieder leicht an der Ente wackelte, als wolle sie Lara ins Meer schmeißen, gefiel ihr das. Sie wusste mit ihren drei Jahren genau, dass sie bei Oma so sicher war wie in Abrahams Schoß. Nach einer Weile war es dann genug und Heike zog Lara rückwärtsgehend zum Ufer. Da hörte sie auf einmal eine laute Stimme hinter sich sagen: „Du böser Kerl wagst es, mich nass zu spritzen? Du fieser kleiner Kerl! Na warte, das kann ich so nicht durchgehen lassen!“

Sie drehte sich um und sah, wem diese Stimme, die ihr gleich so bekannt vorgekommen war, gehörte. Das konnte doch jetzt nicht mehr wahr sein! Wieder dieser Mario. Sie sah, wie er den kleinen Jungen, sie suchte immer noch nach dem Namen, irgendwas mit Fußballspieler, aus dem Wasser hob und seinen Mund an seinen Bauchnabel drückte und dann los pustete, dass es sich anhörte, als würde er pupsen. Der Junge lachte sofort.

„Waaaaas! Du lachst, du unerzogener Bengel!“, rief Mario und tat nun so, als wolle er den Jungen wegwerfen wie Müll, aber er behielt ihn in der Hand. Die Mutter stand daneben und lächelte, anscheinend glücklich darüber, dass sie sich nur auf das Zuschauen beschränken konnte. Dann setzte Mario den Jungen im seichten Wasser ab, so dass er stehen konnte und Mario machte ganz große Augen und zog dabei eine wirklich böse Fratze. Dann tauchte seine Hand ins Wasser und er spritzte den Jungen nass, was dieser aber nicht auf sich sitzen ließ. Es entfachte eine wilde Wasserschlacht, und auf einmal rief die Mutter, Jolanda, „Iiiiiiiiiihhh!“ und fing nun ebenfalls an. Sie spritzte ebenfalls Mario nass.

Lara sah das und deutete auf den Kampf. „Schau mal, Oma, die machen eine Wasserschlacht.“

„Ja.“, meinte sie nur kurz angebunden. Mario war der erste, der aufhörte, dann die beiden anderen. Auf einmal schien Lara irgendwie der Hafer zu stechen. In ihrer Schwimmente holte sie aus und spritzte nun auf Mario.

Dieser bemerkte das und drehte sich um und sah die beiden. Hatte er eben noch eine Fratze gezogen, wenn auch gespielt, so sah er nun freudig lächelnd sie beide an und meinte: „War das die Rache wegen der Pommeslüge gestern?“, fragte er und kam ganz langsam und behutsam näher, als wolle er Lara keine Angst machen.

Sie setzte nun eine sehr herrische Miene auf und sagte: „Ja! Meine Mama und Oma sagen immer, man darf nicht lügen!“

Mario konnte sich ein kurzes Lachen nicht verkneifen, sein Zeigefinger seiner rechten Hand strich kurz sanft über Laras Wange. „Du hast Recht. Ich wollte dich nur ein wenig dazu anhalten, langsamer zu gehen. Du willst doch nicht im Urlaub zum Arzt gehen müssen, oder?“

„Nein, Ärzte sind doof!“, kam es aus diesem Kindermund.

„Ja, weißt du, manchmal muss man auch zu Leuten, die doof sind. Aber ich denke, die wollen dir nur helfen, die Ärzte.“

„Ja, aber die kommen immer mit so Nadeln und dann muss ich immer so bittere Säfte trinken. Bäh!“. Das letzte Wort spie sie richtig aus.

„Ja, weißt du, das ist leider so. Und mein Opa, leider lebt er nicht mehr, hat immer gesagt, nur bittere Medizin hilft. Auch wenn du meinst, Ärzte sind doof, sie meinen es nur gut. So wie deine Oma. Verstehst du?“

Lara schien nachzudenken, ehe sie kleinlaut sagte: „Okay.“

„Siehst du. So, der Onkel ist von der Wasserschlacht völlig kaputt und muss sich jetzt mal ausruhen. Dir noch einen schönen Tag.“ Mit diesen Worten verließ Mario das Wasser und Heike konnte nicht anders, als sich einzugestehen, dass er zumindest mit Kindern sehr gut konnte.

Nachdem Heike und Lara auch wieder am Platz waren und sich abgetrocknet hatten, wollte sie eigentlich ein wenig lesen, aber immer wieder wollte Lara was von ihr. Manchmal war es schon nervig, denn schließlich waren ihre Eltern und die anderen Großeltern auch noch da, aber anscheinend kümmerte es sie nicht, dass nur Heike sich um die Kleine kümmerte. Aber das gab ihr auch die Möglichkeit, immer wieder rüber zu schauen. Und so beobachtete sie diesen Mario immer wieder. Aber was sie zu sehen bekam, war eigentlich alles andere als interessant. Mal lagen sie alle drei auf den Liegen, dann redeten sie mal. Aber kein Händchenhalten, keine Küsse. Als es dann zum Mittag ging, aßen die drei zwar zusammen, aber auch hier nichts, was auf Liebe oder so hindeutete. Oder darauf, dass Mario diese Jolanda ins Bett bekommen wollte. Sie schienen sich gut zu verstehen, mal passte er auf den Jungen auf, mal sie. Die Mutter schien es wirklich zu genießen, auch mal die besagten 5 Minuten durchschnaufen zu können. Erst als Jolanda und ihr Kind wieder weg waren, machte er sich eine Zigarette an. Anscheinend hatte er doch Manieren. Auch dann nachmittags am Strand, Jolanda hatte sich, nachdem der Kleine seinen Mittagsschlaf hielt, oben ohne in die Sonne gelegt, hatte Mario anscheinend kein Interesse, dauernd auf die Brüste zu schauen. Er war total in sein Buch vertieft, stand nur auf, wenn er sich etwas zu trinken holen wollte.

Musste sie vielleicht wirklich mal ihre Meinung über ihn überdenken? Sie beschloss, das Detektivspielen für heute zu beenden. Lara schlief auch und sie vertiefte sich nun ebenfalls in ihren Liebesroman.

Aber irgendwie verließ Heike die Lust auf Strand und Lesen. Auch wenn es noch vor drei Uhr war, sie verabschiedete sich mit der Ausrede, sie wolle sich etwas hinlegen, sie hätte Kopfschmerzen. In Wirklichkeit wollte sie alleine sein und sie wusste, die anderen würden nicht vor fünf Uhr ins Hotel zurückkommen. Sie setzte sich an die Poolbar und versank mit ihrem Kaffee in Gedanken. Sie wusste nicht, wie lange sie da gesessen hatte, als sie wieder im Hier und Jetzt war, aber da sah sie gerade Mario an der Bar langgehen. Hatte der irgendwelche magischen Kräfte, dass er sie ins Hier und Jetzt zurückholen konnte? Sie hatte sich mittlerweile eingestanden, dass er sich zumindest heute, wie sie beobachtet hatte, wie ein Gentleman benommen hatte. In diesem Moment fasste sie einen Entschluss. Und ihr war es egal, ob sie ihn bereuen würde oder was andere darüber denken würden.