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Moonlight Romance
– 23 –

Wilde Lupinen

Dahinter scheint die Welt zu Ende ...

Jessica Stone

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-134-5

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In der Nacht träumte Emma von einem kleinen Mädchen mit langen blonden Haaren, großen blauen Augen. Es war ein sehr zartes Kind und wirkte irgendwie verloren. Es wollte ihr etwas sagen, doch nichts von den Worten drang zu Emma herüber, so sehr sie sich auch bemühte. Sie wollte auf das Kind zugehen, um es verstehen zu können. Doch sie hatte sich kaum in Bewegung gesetzt, als sich das kleine Mädchen im Nebel aufzulösen schien. Es war ein so eindringlicher Traum, dass Emma davon erwachte. Sie spürte das Schlagen ihres Herzens und eine unerklärliche Aufgeregtheit, die gepaart war mit einem Gefühl unendlicher Trauer. Was für ein Traum! Das Kind war so sehr präsent gewesen, dass sie es hätte malen können. Man sagte ja, dass das, was man in der ersten Nacht in einem fremden Haus träumte, in Erfüllung ging. Wenn das so war, musste sie sich fragen, wofür dieses beinahe engelsgleiche kleine Mädchen stand. Was hatte das Kind ihr sagen wollen? Warum war es verschwunden, als sie im Traum auf die Kleine zugehen wollte?

Obwohl sie bereits eine mehrstündige Fahrt hinter sich hatte, war Emma Finnley sehr entspannt. Das mochte daran liegen, dass die Landschaft, die sie seit geraumer Zeit durchfuhr, sehr beruhigend auf sie wirkte. Sanfte Farben in Grün und Braun, hier und da das schimmernde Blau von Wasser, zwischendurch, wie willkürlich in die Landschaft gestellt, hier und da ein kleines Cottage, nicht zu vergessen die Schafe, die es hier reichlich zu geben schien.

Und etwas, was sie entzückte und ihr Herz ganz weit werden ließ, waren Lupinen, die hier in verschwenderischer Fülle blühten. Lupinen in vielen Farben, stolz und schön streckten sie sich der Sonne, Wind und Wetter entgegen.

Emma liebte Lupinen, und sie konnte sich noch sehr gut daran erinnern, dass es Lupinen gewesen waren, die sie in der Malschule von Coralie Webster gemalt hatte, als Aquarell, aber auch auf Leinwand mit Farbe. Es hatte ihr unglaublich viel Spaß gemacht, und Coralie hatte ihr auch durchaus ein Talent bescheinigt.

Gordon, damals noch ihr Ehemann, hatte ihr nicht nur alle Freude genommen, ihre Kunstwerke niedergemacht, sondern er hatte ihr schlichtweg verboten, ihre Zeit mit solchem »Kinderkram« zu vertrödeln, sondern ihr angeraten, etwas Sinnvolleres zu tun.

Das in seinen Augen Sinnvolle war gewesen, Werbekampagnen für ihn zu starten, die ihn bekannter gemacht hatten und durch die Geld in seine Kasse gespült worden war. Wohlgemerkt seine Kasse, obschon sie da bereits ein paar Jahre miteinander verheiratet gewesen waren.

Emma hielt am Wegesrand an, stieg aus, um ein richtiges Lupinenfeld zu fotografieren, das unbeschreiblich schön war. Sie fotografierte gern und gut, und das hatte sie sich von ihm nicht nehmen lassen.

Gordon Finnley und sie …, die miteinander verbrachte Zeit … Nein, das konnte nicht sie gewesen sein. Und doch war sie es gewesen und hatte mehr als zehn Jahre neben ihm, wohlgemerkt neben ihm, nicht mit ihm, ausgehalten.

Und sie wäre vermutlich noch immer an seiner Seite, wenn er sie nicht einfach ausgetauscht hätte, natürlich gegen ein jüngeres, ein wesentlich jüngeres Modell.

Das war sehr bitter gewesen, zumal sie plötzlich mit leeren Händen dagestanden hatte.

Während ihrer Ehezeit hatte sie alles unterschrieben, hatte ihm den Rücken freigehalten, war die repräsentative Frau an seiner Seite gewesen.

Dass er ihr irgendwann eine Gütertrennungsvereinbarung untergejubelt hatte, war ihr nie aufgefallen. Auch nicht, dass alle Einkünfte, Gewinne aus Aktiengeschäften, auf seinen Namen liefen.

Selbst das Haus, in dem sie zusammen gelebt hatten, lief auf seinen Namen.

Ins Guinessbuch der Rekorde könnte man sie unter vielen Sparten eintragen: betrogene Ehefrau, infantile Gutgläubigkeit, blindes Vertrauen. Es war müßig, das alles aufzuzählen, was sie mit sich hatte machen lassen.

Sie war mit zwei Koffern gegangen, denn selbst den Schmuck hatte er behalten, weil dieser auf seinen Namen gekauft worden war. Den Schmuck vermisste sie überhaupt nicht. Er war ihr stets zu protzig gewesen und sie hatte ihn nur zu sogenannten gesellschaftlichen Anlässen getragen. Zu ihr passte er viel besser.

Emma hatte ihre Nachfolgerin nur ein einziges Mal gesehen, doch das hatte gereicht, um sich von ihr ein Bild zu machen.

Die junge Frau sah jetzt noch ganz niedlich aus. Es war der Zauber der Jugend mit glatter Haut, strahlendem Blick. Doch niemand hatte ewige Jugend gepachtet, und wenn der Reiz der Frische erst einmal verblasst war, da würde eine doch recht gewöhnliche Frau zum Vorschein kommen, mit groben Zügen und einem leicht vulgären Aussehen.

An dieser Frau war bereits jetzt schon von allem ein wenig zu viel, und das sagte sie ganz wertfrei, weil das auch andere Leute bereits festgestellt hatten.

Ihre Kleidung war zu schrill, das Gesicht zu stark geschminkt, und die Haare schlecht blondiert.

Es ging sie nichts mehr an. Es war vorbei.

Emma betrachtete noch eine Weile die Lupinen, sah, wie Bienen von Blüte zu Blüte schwirrten und wie bunte Schmetterlinge über das Lupinenfeld hinwegtaumelten. Sie musste weiterfahren. Sie hatte zwar schon den größten Teil der Strecke hinter sich, doch eine gute Stunde lag noch vor ihr. Und da konnte sie auch nicht direkt zum Haus fahren, sondern musste sich im Dorf den Schlüssel abholen.

Sie würde in dem Cottage eine Weile bleiben, und diesen Luxus konnte sie sich nur erlauben, weil sie plötzlich eine kleine Erbschaft gemacht hatte. Ohne das Geld hätte es sehr böse für sie ausgesehen, da hätte sie zur Fürsorge gehen müssen, bis sie einen Job gefunden hatte. Nein! Sie musste nach vorne blicken, nicht zurück.

Was geschehen war, war nicht mehr zu ändern. Sie hatte alles freiwillig, wenn auch ein wenig unbedarft und auf seine Fairness hoffend, mit sich machen lassen. Es würde ihn einholen, davon war Emma fest überzeugt.

Und nach guten Zeiten kamen schlechte, und nach denen waren wieder die guten Zeiten dran.

Für sie hatte es doch ganz wunderbar begonnen. Sie war aus allen Wolken gefallen, als sie von der Erbschaft erfuhr. Sie hatte den Onkel nicht einmal gekannt, der ihr rettender Engel geworden war.

Sie hatte noch ein wenig Seelenschmerz, es würde noch eine Weile dauern, bis sie sich von dieser Enttäuschung erholt hatte. Die Stille, die Ruhe würden ihr dabei helfen.

Sie hatte sich in das Cottage direkt verliebt, als sie ohne Ziel und ohne Vorstellung ein wenig im Internet herumgesurft war.

Es hatte eine Alleinlage, es war nicht teuer, und der Name, der hatte vielversprechend geklungen »Hope« – Hoffnung. Das war so etwas wie ein gutes Omen, und wenn sie dann auch noch an den Namen des kleinen Sees dachte, der zum Cottage gehörte – Rescue, Rettung.

Sie war voll darauf abgefahren und war frohen Mutes und sich vor allem sicher, das Richtige getan zu haben, für drei Monate einen Mietvertrag zu unterschreiben.

Hoffnung, Rettung, besser ging es ja wohl nicht.

Emma fuhr weiter, sie wurde von einem etwas ramponiert aussehendem Jeep überholt.

Der Fahrer winkte ihr zu, hupte.

Sie hupte zurück und bedauerte, auf ihn nur einen kurzen Blick erhascht zu haben.

Er mochte in ihrem Alter sein, und was sie gesehen hatte, gefiel ihr.

Nun ja, sie war nicht hergekommen, um Männer kennen zu lernen. Das Thema war erst einmal beendet, wobei sie allerdings nicht ausschloss, irgendwann einen zweiten Versuch zu wagen.

Sie war gern verheiratet gewesen, leider mit dem falschen Mann.

Doch da war sie kein Einzelfall.

Es gab viele gescheiterte Ehen, und es gab viele Ehen, die nur noch aus Gewohnheit Bestand hatten.

Wer mochte er wohl sein?

Sie ertappte sich dabei, dass sie über den Mann im Jeep nachdachte und entschuldigte sich direkt damit, dass das nur der Fall war, weil sein Jeep das einzige Fahrzeug war, das seit geraumer Zeit vorübergekommen war.

Die Landschaft wurde ein wenig karger, und es wurde auch einsamer.

Es gab keine Gehöfte mehr, Schafe sah sie auch nur noch vereinzelt und fragte sich, ob die jemandem gehörten oder ob sie sich verirrt hatten.

Lupinen sah sie hier und da, doch jetzt wurden weite Flächen von beinahe struppig aussehenden Wacholderbüschen dominiert, und hier und da sah man Gesteinsbrocken, ganz so, als habe jemand sie willkürlich über die ansonsten ziemlich ebene Landschaft verstreut.

War sie hier überhaupt noch richtig?

Diese Straße schien ins Nichts zu führen.

Emma ging vom Gas, obwohl sie wegen der schlechten Straßenverhältnisse eh nur so dahinschlich.

Sie hatte Angst um ihr Auto, so eine kleine japanische Reisschüssel, für die sie jetzt der dritte Besitzer war. Und ein paar Jährchen hatte das kleine Auto auch schon auf dem Buckel.

Wenn Gordon sie in diesem Auto sähe, würde er zur Seite blicken und so tun, als kenne er sie nicht. Seine Ex in so etwas zu sehen, wäre ihm peinlich.

Zu ihren Ehezeiten hatte sie einen italienischen Sportwagen besessen. Doch da auch er natürlich auf Gordons Namen lief, musste er in der Garage stehen bleiben. Vermutlich würde seine Neue jetzt damit durch die Gegend fahren. Sollte sie.

Sie war auf jeden Fall glücklich mit ihrer Reisschüssel, die sie überall hinbringen würde und die vor allem nicht teuer gewesen war. Wenn man so wollte, auch ein Geschenk von Onkel Reginald. Wirklich schade, dass sie ihn nicht kennen gelernt, nicht einmal etwas von ihm gewusst hatte. Und nicht einmal sein Grab konnte sie besuchen und ein paar Blumen draufstellen, weil er es vorgezogen hatte, sich im Meer verstreuen zu lassen.

Auf der rechten Seite wurden Bäume sichtbar, die ziemlich sturmgebeutelt aussahen. Nach diesem Wäldchen, eigentlich war es schon übertrieben, es so zu nennen, machte die Straße einen scharfen Knick, und dann konnte sie bereits die ersten Häuser von Raffton sehen.

Es stellte sich sehr schnell heraus, dass es kein Dörfchen war mit Marktplatz, malerischer Kirche und vielleicht noch einem Springbrunnen.

Nein, Raffton war eher eine rechts und links mit Häusern bestandene Durchgangsstraße.

Streckenweise waren die Häuser recht hübsch, doch sie rissen es nicht heraus. Raffton war ein langweiliger Ort ohne jeden Charme.

Es gab ein Restaurant, vielleicht war es auch nur ein Pub, mit dem sinnigen Namen »The Oak«.

Nur war weit und breit keine Eiche zu sehen, sah man mal ab von dem hübschen kleinen Metallschild über dem Eingang. Mit sehr viel Wohlwollen konnte man den darauf gemalten Baum als eine Eiche ansehen.

Immerhin gab es eine Möglichkeit, mal essen zu gehen oder etwas zu trinken, wenn sie Einsamkeitsgefühle bekommen sollte.

Direkt hinter dem Pub oder Restaurant, das musste sie schnell herausfinden, befand sich der Laden von Myra Cassidy, bei der sie den Schlüssel abholen konnte.

Emma war aufgeregt, als sie auf den Parkplatz fuhr, der sich direkt neben dem Laden befand.

*

Emma stellte sehr schnell fest, dass es in dem Laden, der erstaunlich groß war, so ziemlich alles zu kaufen gab. Es war praktisch ein Minikaufhaus.

Die Schaufenster waren hübsch dekoriert, und auch drinnen machte alles einen sehr ordentlichen Eindruck.

Sie befand sich bereits mitten im Laden, als eine Stimme, die von irgendwoher kam, rief: »Einen Augenblick, ich komme sofort.«

Dieses »sofort« dauerte eine Weile, doch das war Emma nicht unangenehm. So hatte sie Muße, sich umzusehen und sich außerdem von der Überraschung zu erholen, dass die Stimme so jung geklungen hatte.

Sie hatte sich Myra Cassidy als eine ältere Dame vorgestellt, denn, so war die Überlegung gewesen, ein junger Mensch zog vermutlich nicht freiwillig in eine abgelegene Gegend, um dort einen Kramladen zu betreiben.