Corina Bomann

 

Die Samuraiprinzessin

Der Spiegel der Sonne


Roman



Impressum

Originalausgabe 2018

Copyright 2018, Corina Bomann, Potsdam

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – ausdrücklich nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegeben und verbreitet werden. 

 

Bei diesem Buch handelt es sich um die neu bearbeitete Ausgabe des 2013 bei Baumhaus erschienenen Titels »Die Samuraiprinzessin – Der Spiegel der Göttin«.

 

Covergestaltung: Corina Bomann unter Verwendung von Motiven von imtmphoto und Jag_cz, Kapitelvignette: Ialan (www.shutterstock.com)

 

ISBN: 978-3-96353-002-9

 

www.corina-bomann-buecher.de


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Prolog

 

Die Krieger formieren sich zur Schlacht. Weithin sichtbar leuchten ihre Gewänder und Rüstungen im Morgenlicht, die Schwerter und Lanzenspitzen blitzen in der Sonne. Pferdeschnauben und das Flattern der Standarten zerreißen die Stille.

Ich blicke zur Seite. Mein Gebieter, über dem das Zeichen seines Clans weht, wirkt ruhig, als ob dies eine ganz gewöhnliche Schlacht wäre, eine von vielen der vergangenen Monate und Jahre. Er muss Zuversicht ausstrahlen. Zuversicht für seine Generäle und seine Soldaten, aber auch Zuversicht für mich, die seit so langer Zeit in keiner Schlacht von seiner Seite weicht.

Doch sein schönes Gesicht mit den steil zulaufenden Brauen, den dunklen Mandelaugen und den vollen Lippen ist zu bleich und das Funkeln in seinen Pupillen eine Spur zu wässrig. Er sorgt sich um seine Leute, sein Land – um mich, obwohl ich ihm immer sage, dass ich das Geringste bin, um das er sich Gedanken zu machen braucht.

»Tomoe«, haucht er und der Blick trifft mein Gesicht. Seine Worte sind so leise, dass sie beinahe vom Wind davon getragen werden. Verständlich, denn außer mir soll sie niemand hören. »Erinnerst du dich an das Versprechen, das du mir gestern Nacht gegeben hast?«

»Wie könnte ich mich nicht erinnern, mein Gebieter?«, frage ich und spüre nun wieder die Seide seiner Haut, das lange Haar, das ungebändigt meinen Rücken streichelte, die Feuchtigkeit seines Bauches und meines Schoßes, als wir uns vereinigten. Es war ein vollendeter Moment gewesen, den nicht einmal der geschickteste Dichter hätte beschreiben können. Seine Liebe hatte mich vergessen lassen, dass die Schlacht bevorstand und die Feinde versuchen würden, alles, wofür wir gekämpft hatten, zu vernichten.

Doch dann waren seine Worte wie Eiszapfen auf mich herabgefallen. Das Versprechen, das er von mir forderte, hatte mich erstarren lassen. Obwohl es mich zutiefst erschreckte, ja Abscheu in mir erweckte, hatte ich es nicht über mich gebracht, es ihm zu verweigern. Nicht in einer Nacht wie dieser, die unsere letzte gewesen sein könnte. Ich versprach es ihm also und bat gleichzeitig darum, es nicht wieder anzusprechen, solange die Nacht über der Burg lag.

Doch jetzt hat der Tag den Horizont überschritten, nichts bindet ihn mehr an sein Versprechen. Aber ich bin gebunden, bis eine Entscheidung gefallen ist.

»Wirst du tun, was du mir versprochen hast?«, fragt mein Geliebter, und ich sehe, dass die schwarzen Onyxe in seinen Augenhöhlen von Regen umspült werden. Offenbar zweifelt er genauso wie ich daran, dass ich den Mut dazu aufbringen würde.

»Das … werde ich«, antworte ich, worauf er seinen Arm hebt und mich ganz sanft an der Stelle berührt, an der mein Seidenhemd unter der Rüstung hervorschaut. Meine einzige verwundbare Stelle, die unter seiner Berührung brennt, als hätte sie ein Pfeil durchbohrt.

Wir sehen uns an, und ich weiß: Wenn uns diese Schlacht entzweit, wird sie nur unsere Körper vernichten. Unsere Seelen werden gemeinsam in die Welt der Ahnen ziehen und dort endlich die Freiheit genießen können, die wir uns hier mühsam erkämpfen mussten.

Ein kurzer Windstoß lässt mich zur anderen Seite blicken, wo unsere Bogenschützen in Stellung gehen. Dann sehe ich ihn. Er trägt diesmal die Tracht einer unserer Männer und spannt gerade seinen Langbogen, die Waffe, mit der er schon immer am besten umgehen konnte. Seine Züge sind andere als jene, unter denen ich ihn kennengelernt hatte, doch einer wie er hat viele Gesichter.

Ich weiß nicht, ob ich erleichtert oder besorgt sein soll. Ich habe viel von ihm gelernt und er hat mir oft geholfen. Seine Anwesenheit könnte jedoch auch bedeuten, dass ich an diesem Tag alles verliere.

Als er meinen Blick bemerkt, hebt er den Kopf und verneigt sich spöttisch. Seine Lippen scheinen sich zu einem Lächeln zu verziehen. Nein, er wird mir nicht helfen. Er ist, wie er es angedroht hat, nur ein Zuschauer. Und er wird Ernte halten, wenn es so weit ist. Das ist sein Recht, das ist seine Natur.

Ich umklammere meine Naginata fester und erinnere mich an den Tag, an dem ich sie erhalten habe. An das Versprechen, das ich gegeben habe.

Es wird nicht so weit kommen, sage ich mir. Die Götter sind auf unserer Seite. Und ist es nicht so, dass mich das Volk selbst für eine Göttin hält? Zwar weise ich diese Unterstellung nach wie vor von mir, denn meine Knochen, mein Fleisch und mein Blut sind sterblich. Doch wenn es sein muss, bin ich für unser Volk eine Göttin. Eine grimmige Göttin, die keine Gnade mit ihren Feinden hat. Eine Göttin, die selbst dazu in der Lage ist, den Tod zu bezwingen.

All das lasse ich den Bogenschützen, der eigentlich keiner ist, auf meinem Gesicht sehen, bevor ich es wieder dem Schlachtfeld zuwende, dessen Gras noch unberührt wie ein junges Mädchen ist. Am Ende des Tages werden die Halme rot sein, die Luft wird verpestet sein, die Erde entweiht.

Am Ende des Tages werden wir entweder tot sein oder eine Legende.

»Wer ist dieser Mann dort?«; fragt mein Geliebter, denn er hat bemerkt, dass ich ihm meinen Blick zugewandt habe.

»Das Schicksal«, antworte ich, dann höre ich Kampfrufe von der anderen Seite herüberhallen.

 

 

 

Erstes Buch

Das Kloster



 

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1. Kapitel

 

In jenem Winter wurde ich fünfzehn und war damit alt genug, um zu heiraten. Doch zum Gram meiner Eltern gab es weit und breit niemanden, der gewillt gewesen wäre, mich zur Frau zu nehmen. Meine Familie war arm, das kleine Stückchen Land, das wir bewirtschaften durften, reichte nicht aus, um genug Reis für den Winter zu ernten. Es würde keine große Mitgift geben. Das Einzige, was ich mitbrachte, war die Kraft meiner Hände.

Ich hatte mir bis dahin noch keine Gedanken ums Heiraten gemacht.

Doch eines Nachts, als ich auf meiner Reismatte nicht einschlafen konnte, weil der Sturm eine unheilvolle Melodie sang, hörte ich meinen Vater sagen: »Wir müssen einen Mann für Tomoe finden, denn schon bald werden auch Yuki und Sumi erwachsen sein und unser Sohn wird eine Schwiegertochter ins Haus bringen.«

Ich hörte Mutters Seufzen. So seufzte sie immer, wenn sie über etwas reden musste, das ihr nicht gefiel. »Dann solltest du vielleicht mit einer Vermittlerin sprechen, im Nachbardorf gibt es eine.«

»Warum eine Vermittlerin?«, konterte Vater. »Tomoe ist jung und gesund, sie braucht keine alte Vettel, die ihre Vorzüge preist.«

»Aber eine Vermittlerin würde einen guten Mann für sie finden«, beharrte Mutter. »Einen Mann, der mit einer kleinen Mitgift zufrieden wäre. Sie müsste nicht darauf warten, dass jemand seinen Boten zu uns schickt oder ihr ein guter Bursche über den Weg läuft, zumal sie meist nur im Haus ist und wir hier so abgeschieden leben. Außerdem gebietet es der Anstand. Wir mögen vielleicht arm sein, aber niemand soll uns nachsagen, dass wir keine Manieren haben.«

Mein Vater brummte darauf nur etwas, dann beließ er es dabei. Weder hatten wir genug Reis noch Silber, um eine Vermittlerin zu bezahlen. Und wer nahm schon ein Mädchen mit einer geringen Mitgift?

Mich ließen die Worte frösteln, und das, obwohl die Holzscheite im Feuerbecken noch immer glommen und Wärme verbreiteten. Heiraten bedeutete fortgehen. Ich wollte nicht von hier fortgehen. Mochten wir auch arm sein, ich lebte gern in unserer Hütte und ich liebte meine Schwestern und meinen Bruder. Ich liebte es, wenn unser Kirschbaum blühte oder wenn ich im Sommer Beeren im Wald suchen konnte. Ich liebte das Geräusch des Webstuhls, auf dem Mutter Stoffe für unsere Kleider webte.

Wenn ich eine Ehefrau war, würde sich mein Leben vollkommen verändern. Und diese Veränderung wollte ich nicht. Leise wisperte ich auf meinem Lager meinen stillen Wunsch – und die Götter schienen ein Einsehen mit mir zu haben.

Es hieß, dass Ugisu, der Buschsänger, mit seinen ersten Rufen einen Bräutigam herbeilockte, sobald der Jahreskreis neu begann. Doch in diesem Jahr ging Mutsuki, der Monat der Zuneigung, in klirrender Kälte und heftigen Schneefällen unter. Schneestürme zerfetzten die dünnen Reispapierfenster und löschten die Feuerstellen. Selbst die vornehmen Herrschaften in Heian hatten Gerüchten zufolge Mühe, Wärme in ihre Häuser zu bringen.

So saß ich weiterhin mit meinen Geschwistern in der Hütte, half bei der Arbeit und versuchte, der Kälte zu trotzen, indem ich meinen Geist weit über das Land und in der Zeit voranreisen ließ, zur Zeit der Kirschblüte, wo alles hell und warm war und schneeweiße Blütenblätter auf die Erde rieselten.

 

Eines Tages, kurz nachdem uns die Götter neuen Schnee gesandt hatten, schickte mich meine Mutter in den Wald, um Holz für das Feuer zu sammeln, das niederzubrennen drohte.

»Du bist von allen die Älteste und Gescheiteste«, sagte sie, während sie mir den Holzeimer in die Hand drückte, den mein Vater grob zusammengezimmert hatte. »Du wirst das beste Holz finden.«

Den ganzen Morgen lang hatten meine Schwestern und ich schon die Flocken beobachtet, die munter vor der Tür tanzten und hin und wieder auch den Weg durch das löchrige Reisigdach fanden, wo sie vergingen, ehe sie die Feuerstelle in der Mitte des Raumes erreichen konnten.

Ich nahm also den Eimer, schob die Tür auf und steckte meine nackten Füße in die Getas, die fast gänzlich unter dem Schnee begraben waren. Die Eiskristalle stachen wie Nadeln in meine Fußsohlen. An wärmende Gewänder und Mäntel, wie sie die Frauen in Heian trugen, war nicht zu denken. Und so schritt ich hinaus in den Schnee, über dem Kittel nichts weiter als einen groben Umhang, der die Kälte nicht von meiner Haut fernzuhalten vermochte.

Schon bald war alle Wärme meines Körpers verflogen und meine Zähne begannen, wie eine Rassel zu klappern. Meine Hände drohten am Griff des Eimers festzufrieren. Doch ich musste weiter, durch Schneewehen, unter denen unsere Reisfelder nicht einmal zu erahnen waren, zu dem dunklen Band des Waldes, das noch nicht gänzlich von den Schneemassen verschlungen worden war.

Als ich durch den kniehohen Schnee watete, flatterten ein paar Krähen auf. Mit ihren rauen Rufen schienen sie mich zu verspotten, doch ich wollte meinen warmen Atem nicht an sie vergeuden, indem ich sie beschimpfte. Die Zähne fest zusammengebissen stapfte ich weiter und hoffte, dass der Wald, dessen Kiefern und Tannen stämmig wie Pfeiler wirkten, die Kälte ein wenig mildern würde.

Die Bäume empfingen mich mit einem seltsamen Raunen, fast so, als empfänden auch sie Unbehagen angesichts des nicht weichenden Winters. Über mir knackte und raschelte es, doch vergeblich hielt ich nach Vögeln oder Eichhörnchen Ausschau. Die Krähenrufe waren weit entfernt. Schnee brachte die Äste und Zweige zum Ächzen, hin und wieder rutschte ein weißer Klumpen aus den Kronen der Kiefern. Ich würde Acht geben müssen, nichts davon auf den Kopf zu bekommen.

Ich sah mich ein wenig hilflos um. Wo sollte ich hier Holz finden? Wenn der Boden nicht unter Schnee begraben war, bereitete es mir keine Mühe. Und Mutter hatte recht, ich fand stets das beste Holz, bereits bei der ersten Berührung fühlte ich, ob es im Innern trocken war oder nass.

Nasses Holz brachte die Feuerstelle jedenfalls zum Qualmen und war zutiefst unerwünscht. Ichiro hatte einmal ein paar nasse Zweige in das Becken geworfen. Vater wurde selten ungehalten, wenn sein Sohn etwas anstellte – doch da war er ernsthaft böse geworden, und Mutter hatte sich vor ihn werfen müssen, damit er Ichiro keine Ohrfeige gab.

Nachdem ich mich vergeblich nach Holz umgesehen hatte, das fürs Feuer geeignet war, beschloss ich, tiefer in den Wald hineinzugehen. Zwar sagte man, dass dort Geister hausten, doch wenn ich mich im Sommer hierher begab, war es wunderbar kühl. Vielleicht war es dort geschützter und wärmer, sodass ich meine klammen Fäuste öffnen und das Holz abtasten konnte. Möglicherweise lag dort auch weniger Schnee und das Holz war trockener. Ich überlegte nicht lange, zog meinen Mantel enger um die Schultern und lief weiter.

Und tatsächlich wurde dort, wo die Kiefern ein dichtes Dach bildeten, der Schnee weniger. Doch die Kälte blieb.

Ich watete über einen Teppich von abgestorbenen Fichtennadeln, und mit meinen Getas hatte ich Mühe, durch das Unterholz zu klettern. Aber dann fand ich sie, trockene Zweige, die dafür sorgen würden, dass unsere Feuerstelle nicht kalt wurde. Während ich die Zweige brach und einen Ast an einem eisüberzogenen Baum zerschmetterte, ging mir durch den Sinn, wer wohl gutes Feuerholz finden würde, wenn ich verheiratet war und fortan zur Familie meines Gatten gehörte.

Doch dann schob ich den Gedanken beiseite. Mutter hatte recht, wir lebten sehr abgeschieden, und solange wir keine Vermittlerin bezahlen konnten, war ich vor einer Heirat sicher.

Rasch füllte ich den Eimer mit Holzstücken, hauchte dann Atem in meine Hände und lief weiter. Plötzlich vernahm ich ein heiseres Raunen hinter mir.

»Tomoe!«

Ich erstarrte. War mein Vater mir gefolgt? Oder trieb sich hier jemand aus dem Dorf herum? Den Gedanken an Räuber verwarf ich schnell, denn woher sollten sie meinen Namen kennen? Sicher war es nur der Wind und ich hatte mich vertan. Doch dann hörte ich es wieder.

»Tomoe!«

Erschrocken wirbelte ich herum, doch ich sah niemanden. Aber ich wusste nun auch, dass es nicht der Wind war und erst recht keine Einbildung. Jemand war hier, auch wenn ich ihn nicht sah.

Waren es Geister? Oni? Ihnen war zuzutrauen, dass sie meinen Namen kannten. Nur – wie sollte ich ihnen entkommen mit dem schweren Eimer an der Seite? Legten sie es vielleicht darauf an, dass ich ihn fallen ließ und mit leeren Händen heimkehrte? Das konnte ich nicht tun.

Dann drang der Ruf erneut an mein Ohr, so dicht, dass ich glaubte, jemand stünde neben mir.

»Tomoe!«

Mit einem kurzen Schreckenslaut sprang ich zur Seite, worauf der Eimer meinen klammen Händen entglitt. Das wenige Holz, das ich gefunden hatte, fiel in den Schnee.

»Wo bist du?«, rief ich so laut durch den Wald, dass es von allen Seiten widerhallte. Schreckliche Angst überkam mich. Griff die Kälte jetzt auch schon meinen Verstand an? Wurde ich Opfer von Trugbildern? »Zeig dich!«, rief ich erneut und suchte dann den Boden nach einem Ast ab, den ich als Waffe gebrauchen konnte.

Wie alle Frauen in Nihon wusste auch meine Mutter mit einer Naginata umzugehen. Die Schwertlanze hatte mein Vater gefertigt, aus einem harten Stück Holz für den Griff und einer rostigen Klinge, die er neben der halb verwesten Leiche eines Kriegers gefunden hatte.

Einen Moment später bedauerte ich es sehr, dass ich diese Waffe nicht mitgenommen hatte.

Zwischen den Bäumen erschien ein dunkles Wesen. Unter den zerfetzten schwarzen Lumpen, die früher wohl einmal ein Kimono gewesen waren, konnte ich jedoch keine wirkliche Gestalt erkennen, es schien, als würde dieses Gewand in der Luft schweben.

War das ein Gaki? Das Blut gefror mir in den Adern. Gaki, Hungergeister, waren Seelen niederträchtiger Menschen, die keine Ruhe fanden. Sie streiften umher, dazu verdammt, sich von Exkrementen zu ernähren. Und von der Angst der Lebenden.

»Was willst du?«, fragte ich mit zitternder Stimme und suchte meinen Verstand verzweifelt nach einer Geschichte ab, die davon berichtete, wie man den Hungergeistern entkommen konnte. Mir fiel allerdings nur ein Ritual ein, das ich an dieser Stelle unmöglich durchführen konnte.

»Dich, Tomoe!«, antwortete die Erscheinung mit rauer Stimme und streckte eine Hand unter seinem Gewand aus. »Das Schicksal hat dich auserwählt.«

Ich wich zurück. Mein Herz raste wie wild und mein Mund war auf einmal ganz trocken. Die Furcht wütete dermaßen in mir, dass ich plötzlich keine Kälte mehr verspürte. Ich hörte nur das Knacken der Äste unter mir, dann prallte mein Fuß gegen etwas und ich verlor das Gleichgewicht. Hart fiel ich über den Baumstumpf und landete mit dem Hintern in einem Haufen vertrockneter Kiefernnadeln.

Die Gestalt näherte sich, ohne dass ihr Gewand sich bewegte. Und bevor ich wieder auf den Beinen war, stand sie über mir.

»Hab keine Furcht, Tomoe«, sagte sie mit kratziger Stimme. »Ich bin nicht gekommen, um dein Leben zu nehmen. Ich bin gekommen, um dir etwas zu verkünden.«

»Was sollte mir ein Geist zu verkünden haben?«, fragte ich unvorsichtigerweise und schalt mich einen Moment später dafür. Mein gesamter Körper zitterte, und als ich hochzukommen versuchte, wollten mir meine Beine nicht gehorchen.

»Ich würde dir aufhelfen, wenn ich könnte, aber das würde dein Schicksal besiegeln«, sagte die Gestalt spöttisch, nachdem sie meine Bemühungen einen Atemzug lang beobachtet hatte. »Also hör mir zu.«

Jetzt fiel es mir ein. Die Gestalt vor mir war kein Gaki. Es musste einer der Diener von König Enma sein, der über die Toten Gericht hält. Wenn sich jemand aus seinem Gefolge einem Menschen zeigte, hieß es, war sein Leben verwirkt und er musste vor das große Gericht treten.

Meine Stimme gefror und ebenso mein Blut. Wie konnte mein Leben, das erst fünfzehn Jahre zählte, schon vorbei sein?

Erschien mir der Geist, weil ich hier in der Kälte umherwatete? Weil mein Blut kurz davor stand, zu Eis zu erstarren? Und was wollte er mir verkünden?

»Nichts ist so, wie es scheint, Tomoe«, dröhnte die Stimme nun etwas tiefer über mich hinweg. Oder war sie nur in meinem Kopf? Ich wusste es nicht zu unterscheiden. »Unheil wird über die Familie kommen, die dich einst empfing. Dir werden schwere Jahre bevorstehen. Aber das Schicksal hat dich auserwählt, die drei Throninsignien des Tennō zu suchen und zu finden. Allein du kannst dafür sorgen, dass der wahre Kaiser auf den Thron gelangt und das Reich endlich Frieden bekommt.«

Ich starrte die Gestalt ungläubig an. Ich sollte dafür sorgen, dass der wahre Kaiser auf den Thron gelangte? Ich, Tomoe, die Bauerntochter, die bestenfalls wusste, dass der Kaiser in Heian residierte, und die weder von Politik noch von Throninsignien eine Ahnung hatte? Und was meinte er mit der Familie, die mich empfing? Das klang so, als sei ich verschenkt worden!

»Aber wie soll ich das machen?«, fragte ich hilflos. »Und was sind die Throninsignien?« Wahrscheinlich würde der Todesgeist mich berühren, wenn ich mich weigerte, aber ich konnte unmöglich eine Aufgabe annehmen, der ich mich nicht gewachsen fühlte.

»Der Spiegel der Amaterasu, das Juwel des Wassers und das Schwert der Schlange. Du musst sie finden, sonst wird dieses Land niemals Frieden erlangen und im Blut versinken.«

»Aber warum kümmert dich das?«, platzte es aus mir heraus, bevor ich meine freche Zunge bezwingen konnte. »Der Tod sollte sich doch eigentlich freuen, wenn er zu tun bekommt.«

»Glaubst du wirklich, Enma hat Lust, so viele verdorbene Seelen auf einmal zu richten?« Die Gestalt begann nun, sich zurückzuziehen. »Du musst und wirst deine Aufgabe erfüllen, ansonsten bist du verantwortlich für das Leid, das über alle kommt!«

»Aber …«

Plötzlich stieß die Gestalt einen schrillen Schrei aus und raste auf mich zu. Ich konnte nur noch kurz daran denken, dass er jetzt genug von mir hatte und mich töten würde, um einer anderen diese merkwürdige Aufgabe zu stellen.

Dann wurde es schwarz um mich herum.

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2. Kapitel

 

Als ich wieder zu mir kam, war ich mir nicht sicher, ob ich mich noch in der Welt der Lebenden oder schon im Totenreich befand. Äußerlich besehen hatte sich nichts geändert. Doch hätte ich nicht im Schnee erfrieren müssen?

Ich erinnerte mich an die zerfetzte Gestalt zwischen den Bäumen. Enmas Diener. Und dann war da die Dunkelheit gewesen. Eine tiefere Dunkelheit als selbst in der schwärzesten Nacht. Vielleicht hatte mich der Abgesandte hinübergenommen in sein Reich?

Doch dann spürte ich das Herz in meiner Brust. Es pochte so kräftig, dass mein Atem erzitterte und etwas in meinen Ohren rauschte. Mein Puls. Ich lebte noch. Was immer der Tod gewollt hatte, es war nicht mein Leben.

Und dann fiel mir wieder ein, was die Gestalt gesagt hatte. Unheil würde über meine Familie kommen! Und ich sollte die Throninsignien des Tennō suchen! Ich sollte den wahren Herrscher auf den Thron bringen!

Vielleicht hatte ich das alles nur geträumt? Vielleicht war ich ja im Wald vor lauter Kälte eingeschlafen …

Nein, ich war hellwach gewesen, als mir die Gestalt erschienen war!

Erschrocken fuhr ich in die Höhe. War Enmas Diener etwa zu meiner Familie gegangen?

Als ich losrannte, fiel mir der Eimer mit dem Holz wieder ein, doch ich wollte jetzt nicht umkehren und ließ ihn stehen, wo er war. Mutter würde mich gewiss schelten, aber ich musste ihr und Vater erzählen, was passiert war. Das Holz würde mir in der Zwischenzeit nicht weglaufen.

Schon als ich aus dem Wald trat, überkam mich ein ungutes Gefühl. Ich spürte, dass etwas passiert sein musste. Die Krähen waren verschwunden, dafür entdeckte ich Hufspuren im Schnee. Sehr viele Hufspuren, offenbar war hier ein ganzer Reitertrupp entlanggekommen. Waren das Krieger der Minamoto? Oder waren gar Feinde ins Reich eingedrungen?

Wenn mein Vater ins Dorf ging, brachte er Geschichten über die Schlachten mit, die sich die Minamoto, unsere Fürsten, mit ihren Feinden, den Taira, lieferten ‒ oft sogar ganz in der Nähe unseres Hauses.

Dann zogen manchmal die Krieger vorbei, hin und wieder machten sie Rast, um sich ein wenig zu stärken. Die Bauern wurden dabei regelmäßig in die Pflicht genommen, die Soldaten und ihre Anführer zu verköstigen. Wenn sie bei unserer Hütte ankamen, würden sie sicher recht ungehalten sein über das Wenige, das wir ihnen bieten konnten.

Ein seltsames Gefühl in meiner Magengrube ließ mich weiterrennen. Kaum hatte ich die kleine Anhöhe erreicht, hinter der sich unser Haus versteckte, bemerkte ich die Rauchschwaden, die größer waren, als es für unsere Feuerstelle üblich war. Brandgeruch stach in meine Nase. Mein Magen krampfte sich zusammen und meine Beine versagten mir den Dienst.

Alles, was ich tun konnte, war daran zu denken, dass der Totengeist bei ihnen war. Dass er ihnen das von ihm selbst verkündete Unheil gebracht hatte.

Als ich schließlich doch die Kraft fand, weiter durch die Schneewehen zu rennen, schnürte mir die Furcht fast den Hals zu. Der Brandgeruch wurde stärker, dazwischen mischten sich Salz und Metall, was mir Übelkeit bereitete. Blut. Es roch nach Blut.

Hinter der nächsten Schneewehe war der Blick auf unsere Hütte frei. Erschüttert blieb ich stehen. Nicht viel mehr als ein Haufen Schutt war von ihr geblieben, über den sich die Flammen gierig hermachten.

Zwei Körper lagen vor der Hütte im Schnee. Das blaue Gewand gehörte Ichiro, dahinter sah ich den grauen Kittel meiner Mutter. Neben ihr steckte die Naginata im Schnee, die Klinge war dunkelrot. Ihr Mörder musste sie dort gelassen haben.

Wo waren meine Schwestern und mein Vater? Hatten sie sich in Sicherheit bringen können? Waren sie gefangen genommen worden?

Etwas, vielleicht die spöttische Stimme des Todes, flüsterte mir ins Ohr, dass sie unter den brennenden Trümmern begraben worden waren. Ich stieß einen Laut aus, der ein Schrei hätte sein sollen, sich aber eher wie das erstickte Stöhnen eines verwundeten Tiers anhörte.

Entsetzt lief ich los, zuerst zu meinem kleinen Bruder. Während der Schnee meine Füße betäubte und mir sogar eine meiner Getas raubte, dachte ich daran, wie Mutter mir den Säugling Ichiro auf den Schoß gesetzt hatte. Wie seine kleinen Hände in mein Haar gegriffen und sich dort festgehalten hatten. Mochte er mit zunehmendem Alter frecher geworden sein, immer war er mein Kleiner und einer der Gründe, weshalb ich nicht von zu Hause weggehen wollte. Und nun …

Der Schnee unter Ichiros Körper war dunkelrot. Eine tiefe Wunde klaffte zwischen Hals und Körper, offenbar hatte er fliehen wollen, doch er war nicht weit gekommen.

Ich brachte es nicht über mich, ihn länger als einen Atemzug anzuschauen. Tränenblind und am ganzen Leib zitternd stolperte ich weiter.

Auch der Schnee unter meiner Mutter war voller Blut. Es sah aus, als seien ihr über den Schultern rote Flügel gewachsen. Ich kniete mich neben sie, drehte behutsam ihr Gesicht zur Seite. Ein dünnes, rotes Rinnsal war zwischen ihren bleichen Lippen hervorgeflossen und an ihrem Kinn festgefroren.

So kalt, wie sie sich anfühlte, war ich sicher, dass ihre Seele bereits zu den Ahnen gegangen war. Doch als sie die wenige Wärme meiner Hände spürte, öffneten sich ihre Lider flatternd. Erkennen schlich sich in den Blick ihrer nachtschwarzen Augen.

»Mein Kind ... Du lebst.«

Ihre Stimme zu hören ließ mich vor Schmerz aufschluchzen. Zitternd strich ich über ihr Haar. »Mutter, was ist passiert?«

»Es waren Steuereintreiber«, flüsterte sie, während weiteres Blut über ihre Lippen drang. »Wir konnten nicht zahlen … Ich dachte, dich hätten sie auch getötet.«

»Ich war doch im Wald, ich …« In diesem Augenblick konnte ich ihr unmöglich von dem Todesgeist und seiner Prophezeiung erzählen. Sie sollte nicht mit Sorgen in das Reich der Ahnen übergehen.

Ich versuchte, das Schluchzen in meiner Brust festzuhalten, damit das Letzte, was meine Mutter hörte, nicht mein Klagen war. Sanft strich ich über ihre Schläfe, beugte mich zu ihr und küsste ihre Stirn.

»Meine kleine Tom…« Den Rest meines Namens trug ihr letzter Atemzug davon. Nun gab es keinen Grund mehr, Zurückhaltung zu üben, und ich schrie meine Trauer laut heraus.

Als meine Stimme versagte, erhob ich mich und schleppte mich, taub von Schock und Trauer, zum Haus. Der kleine Funke Hoffnung, den ich noch in mir trug, erlosch, als ich durch eine Ritze im verkohlten Holz spähte. Drei weitere Körper lagen dort. Offenbar hatte mein Vater meine Mutter angewiesen, mit Ichiro zu fliehen, während er mit meinen Schwestern zurückblieb. Wenn die Götter gnädig waren, hatte er nicht mehr erfahren, dass Mutter und Ichiro ebenfalls getötet worden waren.

Weinend ließ ich mich neben den schwelenden Überresten der Hütte in den Schnee sinken. Erst viel später, als die Kälte durch mein Gewand drang und meine Tränen versiegten, richtete ich mich ein wenig auf. Meine Gedanken wirbelten wild durcheinander.

Steuereintreiber … Ein einziges Mal hatte ich diese Männer gesehen. Der Fürst schickte sie, um unsere Steuern zu holen. Es war Zufall, dass ich sie sah, denn normalerweise musste ich mich mit meinen Schwestern und Ichiro verstecken, wenn sie kamen. Meine Mutter war immer ganz bleich vor Schreck, wenn sie mich und meine Geschwister ins Versteck scheuchte.

Ich fragte mich, warum sie das nicht auch diesmal getan hatte. Warum dachte sie, dass ich getötet worden sein könnte? Ich war eigentlich nicht in Gefahr, denn ich befand mich ja im Wald.

Etwas passte da nicht zusammen. Ich versuchte nachzurechnen, in welchem Monat die Steuereintreiber bei uns waren, doch meine Kenntnisse reichten nicht aus. Es musste bereits Winter gewesen sein. Eine weitere Abgabe war gewiss noch nicht fällig. Was hatten die Steuereintreiber denn hier zu suchen?

Vor lauter Nachdenken und Schmerz wurde mir schwindelig. Keuchend krallte ich meine Hände in den Schnee und presste meine Lider zusammen. Auf einmal kam ich mir vor, als befände ich mich auf einem schwankenden Floß, das von den Fluten eines reißenden Bachs mit sich gerissen wurde.

Als der Schwindel endlich nachließ und ich die Augen wieder aufschlug, meinte ich, auf dem Schneefeld vor mir eine schwarze Gestalt zu sehen. Lauerte dort Enmas Gesandter? Beobachtete er mein Leid?

Da meine Augen vor Tränen, Trauer und Scham brannten, konnte ich den Beobachter nicht genau erkennen. Und ehe mein Blick wieder klar war, wandte sich die Gestalt um und verschwand hinter dem Hügel.

 

Die Aufgabe, die mir bevorstand, war beinahe zu viel für ein Mädchen meines Alters, aber ich fügte mich klaglos. Ich trauerte. Wahrscheinlich würde dieses Gefühl nie ganz verschwinden, doch meine Mutter hatte mir erzählt, dass jeder Tote entweder wiedergeboren oder ein Kami, ein Ahnengott, werden würde, je nachdem, wie sich Enma entschied und wie das Andenken des Verstorbenen bewahrt wurde.

Mein Vater, der Mönch gewesen war, bevor er meine Mutter kennenlernte und sich entschied, das Leben eines Bauern zu führen, hatte mich gelehrt, dass jede Seele irgendwann einmal in ein besseres Leben wiedergeboren werden würde. Das bedeutete nichts anderes, als dass meine geliebten Schwestern, mein kleiner Ichiro und meine Eltern eines Tages in einem anderen Körper erwachen würden, vielleicht in der Wiege eines Fürsten, bei dem sie sicher waren vor der Willkür der Steuereintreiber.

Das tröstete mich ein wenig.

Meine erste Pflicht war es nun, ihre Körper zu verbrennen, was ihnen den Weg ins Yomi no kuni, dem Totenreich, erleichtern würde. Auf keinen Fall durften sie den wilden Tieren überlassen werden, sonst waren ihre Seelen in Gefahr. Ich wollte nicht, dass meine Familie zu Onryō, Rachegeistern, wurde, die für ihre Mitmenschen eine Gefahr darstellten. Und sie sollten auch keine Yūrei werden, Seelen, die rastlos durch die Gegend wanderten, ohne die Möglichkeit, wiedergeboren zu werden.

Das Feuer war inzwischen erloschen, sodass ich mich ins Innere der halb zerstörten Hütte wagen konnte. Der Gestank war so überwältigend, dass ich würgen musste, doch da mein Magen leer war, schmeckte ich nichts als Galle.

Am ganzen Leib zitternd tastete ich mich vor und fand schließlich die andere Hälfte meiner Familie. Die Hitze hatte den Körpern meiner Schwestern und meines Vaters keinen Schaden zugefügt, allerdings war ihr Anblick so furchtbar, dass ich mich abwenden musste. Blut, überall Blut! Wie hatten die Männer nur so grausam sein können? In den Geschichten meines Vaters hatte ich auch von Blut gehört, aber die Wirklichkeit war viel schlimmer.

Als Erstes trug ich Sumi nach draußen, meine jüngste Schwester. Sie war im Leben immer zart wie ein kleines Vögelchen gewesen, auch jetzt wirkte sie zerbrechlich auf meinen Armen. Ich legte sie zu Mutter und Ichiro, dann holte ich Yuki.

Meinen Vater zu tragen war mir nicht möglich, denn obwohl er ein recht schlanker Mann war, wog er mehr, als eine Fünfzehnjährige tragen konnte. Doch es gelang mir, ihn nach draußen zerren. Während ich seine Füße packte und ihn über den Boden schleifte, bat ich um Verzeihung für meine Respektlosigkeit und erklärte ihm, dass ich ihn nur so zum Rest seiner Familie bringen konnte.

Eigentlich hätte ich die Körper waschen und in ein weißes Gewand kleiden müssen, bevor ich das Feuerholz um sie schichtete, doch besaß ich nichts dergleichen.

Nachdem ich Vater zu den anderen Mitgliedern meiner Familie gelegt hatte, wandte ich mich dem Wald zu. Ob ich Leute aus dem Dorf rufen sollte? Aber bis dorthin würde ich einen halben Tag unterwegs sein. Und was, wenn die Reiter dort auch gewütet hatten? Wenn sie dieselben Zerstörungen angerichtet hatten wie hier? Dann wäre mein Weg umsonst.

Nein, da war es leichter, wenn ich Holz aus dem Wald holte, es über die Toten stapelte und anzündete.

Hier und da züngelten noch ein paar kleine Flammen. So entzündete ich zwei Harzfackeln und steckte sie neben die Toten in den Schnee, wie zwei Wächter, die auf sie Acht geben sollten. Die Fackeln würden sehr lange brennen, vielleicht war noch genug Feuer da, wenn ich mit dem Holz zurückkehrte.

Ich nahm ein langes Gewand von Vater mit, denn der Holzeimer würde kaum ausreichen für all das Holz und das Reisig, das ich benötigte.

Kurz fragte ich mich, ob der Todesgeist dort noch immer lauern würde. Ob er darüber spotten würde, dass das von ihm vorhergesagte Unglück eingetroffen war.

Doch wenn er das tat, so würde ich nicht darauf hören. Ich würde tun, als sei er Luft. Angst, dass er mich berühren könnte, hatte ich nicht, denn wenn er sich schon über die Erfüllung des ersten Teils der Prophezeiung freute, so würde er sicher erpicht sein, auch die zweite Hälfte in Erfüllung gehen zu lassen.

Als ich den Wald betrat, bekam ich es allerdings doch mit der Angst zu tun.

Einmal meinte ich, das Echo von Hufschlägen zwischen den Baumstämmen zu vernehmen und duckte mich schnell hinter einen verschneiten Baumstumpf. Dort verharrte ich eine ganze Weile, bis ich sicher war, dass keine Reiter auftauchten. Dann setzte ich meinen Weg fort, bis ich zu der Stelle gelangte, an der mir der Totengeist erschienen war.

Diesmal fand ich mit sicherer Hand das Holz, das kein Wasser führte. Dafür kamen mir jetzt wieder die Tränen. War es möglich, dass ich das Wasser mit der Hand aus dem Holz zog, und es mir dann aus den Augen lief? Nein, es war einfach nur die Trauer.

Als ich Vaters Yukata so weit gefüllt hatte, dass nicht einmal mehr ein Zweig darauf passte, band ich die Ärmel zusammen und zog das Bündel hinter mir her.

Inzwischen kündigte ein roter Saum am dunkelgrauen Gewand des Himmels an, dass der Abend nahte. Die Sonne, die sich den ganzen Tag über nicht hatte sehen lassen, begab sich zur Ruhe.

 

Als das Feuer in den Nachthimmel loderte, bat ich in Gedanken die Götter, dass sie meine Familie auf den einen oder anderen Weg leiteten, und ich versprach, ihr Andenken auf ewig zu ehren. Ich hatte keine Ahnung, wie eine echte Totenzeremonie aussah, wenn sie von den Schreinpriestern durchgeführt wurde, doch meinem Herzen erschien die Art und Weise richtig.

Schließlich setzte ich mich in den Schnee. Bei diesem Wetter draußen zu schlafen, war gefährlich, leicht konnte man erfrieren. Doch der Schein des Feuers wärmte mich, und das Brennen in meiner Brust, Zorn und Trauer, die miteinander rangen, vertrieb meine Müdigkeit.

Ich musste dem Kaiser in Heian von dieser Ungerechtigkeit berichten! Ich musste die Mörder finden und verlangen, dass sie von ihm zur Rechenschaft gezogen wurden. Wehrlose Menschen zu töten war auch für einen Krieger eine Schande, davon war ich überzeugt. Mein Hass trieb mich gar zu der Vorstellung, dass die Steuereintreiber samt und sonders dem Kaiser ihr Leben anboten und er diese Gabe mit einem achtlosen Winken annahm. Ich stellte mir vor, wie die Klingen ihrer Schwerter tief ins Fleisch drangen und die Mörder ihre Schmerzen so laut herausschrien, dass die Krähen von den Dächern aufstoben.

Doch würde das wirklich geschehen? Und war das eine angemessene Rache?

Darüber dachte ich lange nach, während ich im Schnee lag, frierend, dem Tod wehrlos ausgeliefert. Doch Enmas Diener erschien mir nicht noch einmal, und als ich mit Eis auf Wangen und Augenbrauen erwachte, glitt warmer Atem durch meine Kehle.

 

Am nächsten Morgen, als sich eine rote Sonne hinter den weißen Dunstschleiern erhob, machte ich mich in den Trümmern der Hütte auf die Suche nach Brauchbarem, das ich mitnehmen konnte. Viel fand ich nicht, was mir beim Überleben helfen würde, aber in dem kleinen Schuppen neben der Hütte trieb ich immerhin einen Topf, ein Messer, eine kleine Axt, eine alte Decke und auch etwas Reis auf, den die Steuereintreiber anscheinend übersehen hatten. All das band ich in ein Tuch. Wohin ich gehen sollte, wusste ich nicht.

Im Dorf würde mich niemand haben wollen, aber wenn ich nicht vorher im Schnee erfror, würde ich es vielleicht nach Heian schaffen und dort dem Kaiser von der Willkür seiner Steuereintreiber erzählen. Er musste doch einsehen, dass Bauern, die arm waren, vielleicht nicht viel einbrachten, tote Bauern jedoch noch viel weniger.

Vielleicht gelang es mir, mich irgendwo als Magd zu verdingen. Bis dahin würde ich, wenn es sein musste, Wurzeln suchen oder in den Wäldern jagen.

Die Stimme des Todes war in meinem Ohr, aber diesmal forderte sie mich nicht auf, nach den Throninsignien zu suchen. Sie forderte von mir, dass ich Rache für meine Familie nahm. Und wieder spürte ich den dunklen Strudel in meinem Herzen, doch jetzt drängte ich ihn zurück und versuchte, mich auf mein Vorhaben zu konzentrieren.

Meine Füße hatte ich mit Lappen umwickelt, wodurch die Geta etwas eng wurden, aber die Kälte war besser zu ertragen. Ich würde aufpassen müssen, dass ich nicht in die Schneewehen kam, und wenn doch, musste ich eine Möglichkeit finden, den Stoff nachts zu trocknen. Stiefel aus Reisstroh schützten besser, aber nicht einmal Enmas Diener würde welche herbeizaubern können.

Mit Vaters altem Mantel um den Leib und einem von Yukis Gewändern unter meinem Kittel ergriff ich schließlich die Naginata.

Zuerst wollte ich das Blut im Schnee abwischen, doch dann beließ ich es auf der Klinge. Es sollte mich daran erinnern, was geschehen war, damit ich mein Ziel nicht aus den Augen verlor und den Hass in meinem Herzen am Lodern hielt.

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3. Kapitel

 

Das Leben in der Wildnis gestaltete sich schwieriger, als ich angenommen hatte. Meine Fähigkeit, trockenes Holz für ein Feuer zu finden, besaß ich nach wie vor, doch was half das, wenn ich weder Schwarzpulver noch einen Zunderstein besaß? Ich versuchte es mit jener Vorrichtung, die mein Vater manchmal angewendet hatte, um Feuer zu machen. Dabei drehte man einen Stock mittels kurzer Seile um die eigene Achse, sodass durch die Reibung Wärme und schließlich Glut entstand. Damit entzündete ich dann trockenes Gras oder feine Äste, und mit etwas Glück hielt die kleine Flamme lange genug, um sich an größerem Holz zu nähren.

Ich war Not und Kälte gewöhnt, doch unsere Hütte hatte immerhin ein Dach gehabt. Wenn das Feuer zu wenig Wärme brachte, hatte ich mich an die warmen Leiber meiner Schwestern schmiegen können. Jetzt besaß ich nichts mehr, keine Hütte, keine Schale mit warmem Reis, keine Geschwister und keine Eltern.

Besonders in den ersten Nächten dachte ich daran. Oftmals, nachdem ich weinend und hungrig eingeschlafen war, erschien mir meine Mutter im Traum. Sie versuchte, mir etwas zu sagen, doch nie verstand ich ihre Worte.

Tagsüber beschäftigte ich mich damit, etwas Essbares zu finden, womit ich meinen vor Hunger schmerzenden Magen füllen konnte. Mit dem Reis, den ich mir in dem kleinen Topf kochte, ging ich sehr sparsam um, damit ich lange etwas davon hatte.

Anfangs stellte ich mich bei der Jagd auf Hasen ziemlich ungeschickt an, doch dann erkannte ich, dass eine Falle die beste Möglichkeit war, sie zu erwischen. Ein wenig bedauerte ich, dass ich so wenig mit den Jungen aus dem Dorf umhergezogen war. Die hätten mir sicher zeigen können, wie man eine Falle baut. Doch wenn ich zwischen der Arbeit auf dem Feld einmal Zeit hatte, zog es mich – wie es meinem Namen entsprach – eher zum Wasser, in den kleinen Waldsee oder zum Fluss, dessen Lauf ich jetzt folgte.

Gleich am ersten Tag meines Umherirrens gelang es mir, einen kleinen Unterschlupf aus biegsamen Ästen und Kiefernzweigen zu bauen. Natürlich würde ich irgendwann weiterziehen müssen, aber die kleine Hütte bewahrte mich vor dem Erfrieren, und ich konnte besser zum Kaiser gelangen, wenn der Frühling endlich Einzug hielt. Der Schnee wird schon wieder gehen und die Kirschblüte ist nicht weit, sagte ich mir jedes Mal vor dem Einschlafen. Wie enttäuscht war ich, wenn ich am Morgen dann immer noch in den Schnee hinausblickte!

Doch ungefähr eine Woche nach dem Tod meiner Familie hörte ich zum ersten Mal das Rufen von Ugisu. Tränen standen mir in den Augen. Wenn der Buschsänger nur etwas früher gerufen hätte, dann wäre uns das Unglück vielleicht erspart geblieben. Meine Eltern hätten die Steuereintreiber davon überzeugen können, dass sie zahlen konnten und den Reis, den sie noch hatten, zur Aussaat und für eine gute Ernte benutzen können.

Doch das Wenn und Aber wurde vom Frühlingswind davongetragen.

Wenige Tage nach Ugisus Ruf entdeckte ich mitten im Wald eine warme Quelle und ich fragte mich, warum sie mir nicht schon früher aufgefallen war. Bisher hatte ich diese Stelle des Waldes gemieden, aus einem seltsamen Gefühl heraus, das ich mir nicht erklären konnte.

Aber die Aussicht auf einige Augenblicke Hitze auf meiner Haut ließ mich das Unbehagen beiseitedrängen.

Ich entledigte mich meiner Kleider, sorgte dafür, dass sie trocken lagen, und stieg in die heißen Fluten.

Hier, im Wasser wurden meine Gelenke und Muskeln wieder geschmeidig. Ja, ich erlaubte mir sogar einen kurzen Schlaf.

Ein Knurren riss mich plötzlich aus meinem Dösen. Die Ursache erkannte ich im Wasserdunst zunächst nicht, doch als sich meine Augen wieder an das Licht gewöhnt hatten, erblickte ich ganz in meiner Nähe ein graues Fell und goldene Augen. Der Wolf hatte den Kopf gesenkt und die Lefzen gefletscht, nur die Hitze des Wassers, die er offenbar fürchtete, hielt ihn zurück.

Was sollte ich tun? Stieg ich aus dem Wasser, griff er mich an, blieb ich drin, würde ich irgendwann aufweichen und vor Hitze zergehen.

Deshalb also hatte ich diesen Teil des Waldes gemieden! Ich hatte die Gefahr gespürt, ohne mir ihrer bewusst zu sein. Aber das half mir jetzt wenig. Einem Wolf war ich zuvor zwar schon begegnet, doch der hatte sich eilig aus dem Staub gemacht. Dieser hier schien sich überlegen zu fühlen.

»Verschwinde!«, herrschte ich ihn an, griff zur Seite und bekam einen Stein zu fassen. Diesen schleuderte ich ihm entgegen. Fast ungläubig beobachtete ich, wie ihn der Klumpen zwischen den Augen traf, der Wolf ein Heulen ausstieß und dann kehrtmachte.

Jetzt hielt mich allerdings nichts mehr an diesem Ort. So wunderbar die Quelle auch war, man bezahlte die Wärme mit Unsicherheit. Wenn der Wolf seinen Schrecken überwunden hatte, würde er erneut auftauchen, um sein Revier zu verteidigen.

Rasch erhob ich mich. Nachdem ich aus dem Wasser gestiegen war, fror ich noch schlimmer als zuvor. Ich zog mich eilig an und ärgerte mich ein wenig über mich selbst. Hätte ich dem Verlangen nach Wärme nicht nachgegeben, bräuchte ich jetzt nicht so furchtbar mit den Zähnen zu klappern.

Noch am selben Abend brach ich mein Lager ab, denn ich war überzeugt, dass der Wolf meine Fährte aufnehmen und sich für den Steinwurf an mir rächen würde. Ich bedauerte es ein wenig, die heiße Quelle zurücklassen zu müssen. Gleichzeitig tat es mir sehr leid um meine Hütte, die so gut gelungen war, aber vielleicht würde ich in einem anderen Teil des Waldes ebenfalls Holz und Zweige finden, aus denen ich mir eine neue Behausung bauen konnte.

 

Als das Wasser in den Bächen schließlich wieder unbehindert von Eis dahinfloss, beschloss ich, nicht nur Hasen nachzustellen, sondern auch Fische zu fangen. Im vergangenen Sommer, unten im Dorf, hatte ich mich anderen Kindern zugesellt, die gemeinsam zum Weiher in der Nähe gehen wollten.

Tetsu, der Älteste in der Bande, hatte uns gezeigt, wie man Fische mit der Hand fängt. Er, der Enkelsohn eines Fischers, hatte natürlich keine Schwierigkeiten, Karpfen und Aale aus dem Wasser zu ziehen. Doch wir anderen stellten uns ziemlich dumm an. Entweder glitschten uns die Fische gleich im Wasser durch die Finger oder sie entwischten uns, nachdem wir sie zu fassen bekommen hatten. Der Tag hatte damit geendet, dass wir alle – außer Tetsu natürlich – hungriger denn je waren, aber keinen einzigen Fisch mit nach Hause bringen konnten.

Trotz dieser beschämenden Niederlage hatte ich nie vergessen, wie Tetsu seine Hände unter der Wasseroberfläche bewegt hatte. Wenn ich mich nur konzentrierte, wenn ich all meinen Willen in meine Bewegungen legte und meinen Händen befahl, den Fisch zu packen, würde ich mich heute vielleicht nicht mit hungrigem Magen auf mein Lager begeben müssen.

Vorsichtig trat ich ins Wasser, dessen Kälte wie ein Ungeheuer in meine Knöchel biss und mir das Gefühl gab, meine Füße verloren zu haben. Nach einer Weile gewöhnte ich mich an den Schmerz, ja, schließlich ließ er ganz nach, als meine Haut taub wurde.

Ich konzentrierte mich dermaßen auf den Fisch, dass ich die Reiter zunächst gar nicht wahrnahm.

»Seht euch das Mädchen da hinten an!«, donnerte eine Stimme über meinen Kopf hinweg. »Will Fische mit der Hand fangen wie ein Bär!«

Die Männer lachten auf. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Da ich lange vornübergebeugt gestanden und auf das Wasser gestarrt hatte, schwirrte mein Blick und ich konnte nicht gleich erkennen, wer die Reiter waren. Ich schnellte herum und rannte aus dem Wasser. Jedoch nicht, um zu fliehen. Am Ufer wartete meine Naginata. Wenn das die Steuereintreiber waren, die meine Familie getötet hatten, würde ich kämpfen. Wenn es sein musste, bis zum Tod.

Als ich aufblickte, sah ich allerdings ein, dass der Tod wahrscheinlich nahe war, denn es handelte sich um zehn Reiter, deren Waffen in der Nachmittagssonne blitzten. Sie trugen weiße Gewänder und Kapuzen über den Köpfen. Waren es Räuber? Steuereintreiber waren das jedenfalls nicht, aber dennoch war ich in Lebensgefahr. Was würde aus meinem Versprechen werden, wenn die Männer mich töteten? Auch wenn es unehrenhaft war, entschied ich mich zur Flucht. Blitzschnell ergriff ich meine Schwertlanze und rannte, so schnell ich konnte, in Richtung Wald, wo mich die Bäume vor den Reitern verbergen würden.

»Hiroshi, fang den kleinen Bären ein!«, rief einer der Reiter, worauf dieser sogleich sein Pferd antrieb. Hastig sah ich mich um.

Mein Verfolger verlor seine Kapuze, während er seinem Rappen heftig die Sporen gab. Ich versuchte, Haken zu schlagen wie ein Hase, doch der Mann lenkte sein Ross sehr geschickt und holte mich schließlich ein.

»Hab keine Angst, Mädchen«, rief er mir zu, während er mich scheinbar mühelos mit einem Arm hochhob.

Ich stieß einen wütenden Schrei aus und versuchte, meinen Verfolger mit der Lanze zu stechen. Der Mann, der sich offenbar nur mit der Kraft seiner Schenkel im Sattel hielt, wehrte die Klinge gekonnt ab und riss sie mir aus der Hand.

»Versuch das nicht noch einmal!«, knurrte er zornig, während er sein Pferd wendete. »Du wirst Gelegenheit bekommen zu kämpfen, doch jetzt solltest du stillhalten, damit du meinem Arm nicht entgleitest.«

Ich hatte keine Lust, weiter festgehalten zu werden und mich wie einen Reissack wegschleppen zu lassen. Also zappelte ich kräftiger, traf einige Male die Beine des Pferdes, worauf der Mann wütend zudrückte, sodass ich für einen Moment keine Luft mehr bekam.

Bei den anderen angekommen, ließ er mich vor dem Anführer fallen und warf die Naginata neben mir auf den Boden.

»Hiroshi«, mahnte ihn der etwas gedrungene Mann in dem schwarzen Kimono. »Siehst du nicht, dass sie fast noch ein Kind ist? Wirf sie nicht ab wie einen Sack Bohnen!«

»Verzeiht, Meister, aber ich konnte sie wegen ihres Gestrampels nicht mehr länger halten.«

Mir entging nicht, dass er mich zornig anfunkelte.

»Wie es aussieht, muss ich dir mehr Beherrschung beibringen, Hiroshi!«

»Verzeiht.« Der jüngere Mönch senkte beschämt den Kopf, was der Ältere mit einem zufriedenen Nicken quittierte.

»Nun, Mädchen, sag mir deinen Namen, damit ich weiß, wie ich dich ansprechen soll.«

Das Wort wollte mir zunächst nicht über die Lippen. Der Mönch betrachtete mich abwartend.

»Mach schon, oder verrätst du ihn mir erst, wenn die Sonne untergegangen ist?«

Ich war schon versucht, ihn nach seinem Namen zu fragen, doch diesmal beherrschte ich meine vorlaute Zunge. Wenn die Mönche aus einem Kloster kamen, hatten sie Zugang zu einem Schrein. Vielleicht konnten sie mich dorthin mitnehmen, damit ich opfern und den Priester bitten konnte, einen Segen für meine Eltern und meine Geschwister niederzuschreiben.

»Tomoe«, brachte ich also kleinlaut hervor.

Der Mönch stieß ein grobes Lachen aus. »Tomoe? Wie der Wasserwirbel im Schild der Minamoto?«

Die anderen Männer brachen nun ebenfalls in Gelächter aus. Ich blickte verwirrt in ihre Gesichter, dann senkte ich beschämt den Kopf. Noch nie zuvor hatte jemand meinen Namen in Verbindung mit dem fürstlichen Wappen gebracht. Dass er Wasserwirbel bedeutete, wusste ich bereits, aber ...

»Du musst wissen, dass auf dem Schild unseres Fürsten ein Wasserstrudel prangt«, erklärte der Anführer. »Es würde ihm sicher gefallen, wenn er hört, dass du diesen Namen trägst.«

Ich spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen. Dieser Satz beschämte mich gleich noch mehr.

»Mein Name ist übrigens Takeshi, ich bin der Vorsteher des Enryakuji-Klosters auf dem Berg Hiei. Weißt du, wer wir sind?«

»Mönche«, antwortete ich, denn wenn er einem Kloster vorstand, konnten seine Gefolgsleute unmöglich Steuereintreiber sein.

»Das stimmt, allerdings sind wir keine gewöhnlichen Mönche. Wir mögen die Sutren beten wie andere, aber vorrangig widmen wir uns der Kampfkunst. Damit verteidigen wir nicht nur unser Kloster und die Menschen in unserem Umkreis, wir dienen auch den Minamoto.«

Kampfmönche! In den Erzählungen meines Vaters waren sie sagenhafte Gestalten, deren Können den Adligen ebenso wie den Samurai und den Schattenkämpfern Angst einjagte und die sich ihren jeweiligen Herrn selbst wählten, ohne selbst je Untergebene zu sein.

»Was führt eigentlich ein Mädchen deines Alters in diese Gegend?«, fragte der Abt nun. »Zudem mit einer Waffe?«