I. LUTZ ERLEBT ETWAS WUNDERBARES

Es war schon spät, als Lutz die Treppe hinuntersprang, um zur Schule zu gehen. Die Kirchturmuhr hatte längst drei Viertel acht geschlagen – da war Lutz gerade noch beim Anziehen! –, und nun zeigte sie fünf Minuten vor acht. Lutz machte lange Beine und spähte auf der Straße ängstlich nach einer Elektrischen oder einem Omnibus aus. Aber weit und breit war nichts zu sehen.

›Jetzt komme ich sicher zu spät und muss eine Stunde nachsitzen!‹, dachte er. ›Und heute gibt’s Ferien! …‹ Eine ganze Stunde von den kostbaren Pfingstferien zu verlieren war hart!

Lutz rannte die Straße entlang. Schnell! Schnell! Vielleicht kam er doch noch zurecht! Vielleicht verspätete sich der Lehrer! Oder der Schuldiener vergaß rechtzeitig zu läuten … Am liebsten wäre er durch die Luft geflogen! Sein Herz klopfte, und er kam bald außer Atem. Hefte, Bücher und Bleistifte klapperten nur so in seinem Schulranzen. Es fiel ihm ein, dass er nachts geträumt hatte, er habe zum Geburtstag ein kleines Auto bekommen. Und darin sei er immerzu herumgefahren. Es war so herrlich schön gewesen! Kein Wunder, dass er verschlafen hatte!

Lutz hatte sich aber ein Auto gewünscht!

Und wie er noch rennt und rennt und hilfesuchend um sich schaut, da kommt ein funkelnagelneues Auto die Straße entlanggefahren. Just an der Stelle, an der Lutz für einen Augenblick stehen bleibt, um zu verschnaufen, hält es.

»Guten Morgen!«, sagt der Mann, der am Steuer sitzt. »Steig rasch ein, du hast nur noch eine Minute Zeit!« Und ehe der Junge sich’s versehen hat, sitzt er schon im Auto, und es geht in rasendem Tempo vorwärts. Straße, Menschen, Häuser, alles wimmelt vor seinen Augen. Träumt er? Ist es Wirklichkeit? Sprang nicht das Auto eben kühn über den Verkehrsschutzmann? Keine Zeit, darüber nachzudenken … Nur zur Schule! Schnell zur Schule! … Und wahrhaftig! Schon hält das Auto vor dem Eingang!

Lutz stürzt hinaus, vergisst sich zu bedanken und schlüpft noch vor dem Lehrer ins Klassenzimmer. Aufgeregt sitzt er auf der Schulbank und ist ganz benommen.

War das ein sonderbares Auto! Wie sah es denn aus? Er hatte gar nicht richtig hingeguckt. Und wie es gefahren ist! Wer mag wohl der freundliche Mann gewesen sein? Auch ihn hatte sich Lutz nicht angesehen. War er blond – schwarz – lang – kurz? Wenn der Unterricht doch bloß schon aus wäre! Ein Glück, dass heute, Donnerstag, der letzte Schultag vor den Ferien ist! Denn Lutz passt gar nicht auf, er denkt nur an das Auto.

Endlich läutet die Glocke. Nun raus! Ob das Auto noch da ist? Viele Autos stehen am Standplatz. Lutz geht die Reihe entlang. Er weiß die Farbe nicht mehr, er erinnert sich an den Fahrer nicht. Er weiß nur, dass es eine Marke war, die ihm nicht bekannt ist. Kein Mercedes – Studebaker – Horch – Opel – Ford … Und die Form? War es nicht wie ein Fisch? Da! In einer Hauseinfahrt steht es. Es kann nur dieses sein! Hellgrau gestrichen, schmal und gestreckt. Es sieht wahrhaftig wie ein Fisch aus. Oder wie der Zeppelin. Doch ist seine Oberfläche nicht so glatt wie die des Luftschiffs. Auch nicht poliert, wie bei den anderen Autos. Sie sieht aus wie mit einem Schuppenpanzer überzogen.

Am Steuer sitzt ein sonderbarer Mann, lang und hager, mit einer flachen Mütze auf dem Kopf und runder Autobrille vor den Augen. Sein Gesicht und seine Kleidung sind von gleicher unbestimmter Färbung. Es ist ein durchsichtiges, ins Grünliche spielendes Grau. So sieht es jedoch nur im Schatten aus. Als die Sonne hinter den Wolken hervorguckt und einen Sonnenstrahl in das dunkle Haustor sendet, da schillert die Gestalt des Mannes plötzlich in allen Regenbogenfarben.

Lutz überlegt, ob er den Herrn ansprechen darf.

›Ich werde mich bedanken‹, denkt er, ›das verlangt die Höflichkeit.‹

Der Autolenker blickt den Knaben durch seine Brillengläser freundlich an, als dieser sich ihm nähert. Aber Lutz bleibt sein Sprüchlein fast in der Kehle stecken. Stotternd bringt er seinen Dank an. Denn dieser Mann sieht gar nicht so aus wie andere Menschen. Was für ein breiter Mund, halbmondförmig ins Gesicht geschnitten! Und die platte Nase! Der Körper so flach, der Rücken gebogen, die Arme mager und kurz!

»Steig ein!«, sagt der Herr. »Mein Name ist Eidechs. Ich soll dich jetzt lehren, das Auto selbst zu lenken!«

Der Junge hat ein wenig Angst, aber er lässt sich’s nicht merken. Soll er sich eine solche Gelegenheit entgehen lassen? Das wär ja gelacht! Und tapfer nimmt er am Führersitz Platz.

Ebenso seltsam wie der äußere Bau ist das Innere des Wagens. Da gibt es Schalter und Hebel, Kurbeln und Taster, Stöpsel, runde und eckige Messingplatten, Zeiger und Ringe, Räder, Schrauben, Griffe und Knöpfe, Trichter und Hörer, Kompass und Uhren. Das ganze Schaltbrett ist mit mechanischen Vorrichtungen dicht bei dicht übersät. Und diese Menge Inschriften und Zahlen! Es wimmelt einem ordentlich vor den Augen. »Schnall deinen Ranzen ab, wir wollen ihn im Vorbeifahren bei dir zu Hause abgeben«, sagt der Fahrer. »Und nun sieh her, mein Freund!«

Er zeigt dem Knaben, wie er die Kupplung aus-, die Gänge einschalten soll, und erklärt zunächst in großen Zügen Sinn und Zweck der ungewöhnlichen Bauart des Autos. Er ist ein guter Lehrmeister, und Lutz begreift alles schneller, als er selbst erwartet hätte.

Leicht und ganz geräuschlos gleitet der Wagen über den Asphalt. Nicht so rasch wie am Morgen und doch in einem Tempo, das all die anderen Autos weit zurücklässt. Dort fährt ein Rolls-Royce. Der Mann hat es eilig, er tutet in einem fort und überholt sämtliche Fahrzeuge der Straße. Ein Druck auf den Hebel, und Lutz flitzt an ihm vorüber, so plötzlich, dass der Chauffeur ihm erstaunt und erschrocken nachstarrt. Lutz dreht das Steuerrad, es geht so leicht wie ein Spielzeug. Er biegt in die rechte Querstraße ein, da hebt sich automatisch der rechte Winker. Jetzt wendet er nach links, und der linke Winker hebt sich von selbst. Und wie glatt geht es um die gefährlichsten Ecken! Dem Jungen kommt es vor, als sei das Auto biegsam und geschmeidig, wie ein lebendiges Wesen. Eben erreichen sie die Straße, in der Lutz wohnt.

»Häng deinen Ranzen an diesen Haken«, sagt Herr Eidechs. »In welchem Hause und wie hoch ist deine Wohnung?« »Nummer 10, im dritten Stock«, antwortet Lutz.

»Du musst nun taxieren, wie weit das Fenster deines Zimmers vom Erdboden entfernt ist. Es dürften wohl zwölf Meter sein. Nun schiebst du diesen Riegel hoch, bis zu dem Strich, der die gewünschte Meterzahl bezeichnet. So. Und jetzt drück auf den Knopf …«

Und während sie am Haus vorüberfahren, schnellt an der Stelle, an der der Haken angebracht ist, ein versteckter Kran in die Höhe, schmal und elastisch, wirft den Ranzen durchs offene Fenster in Lutz’ Zimmer und springt, einer Stahlfeder gleich, wieder zurück, um im Wagengehäuse zu verschwinden. Lutz macht ein dummes Gesicht, so erstaunt ist er darüber. ›Das muss eine ganz neue Erfindung sein!‹, denkt er. Nun geht’s aus der Stadt ins Freie. Lutz drückt auf den Signalknopf, der in der Mitte des Steuerrads angebracht ist, und hört entzückt auf den wundervollen, singenden Klang der Hupe.

»Es ist eine besondere Hupe«, sagt sein Begleiter. »Sie kann ganze Melodien hervorbringen und jede Art Musik machen, die du willst. Sie kann auch brüllen wie ein Löwe, klappern wie ein Storch und sämtliche Tiersprachen wiedergeben, wenn man sie richtig einstellt. Aber das zeige ich dir ein andermal. Jetzt müssen wir stoppen! Es ist höchste Zeit!« Und er zieht die Bremse.

Das Auto hält im selben Augenblick. Es zittert nur ein wenig, aber ohne nennenswerte Erschütterung.

Lutz wusste nicht, warum sie gehalten hatten. Aber da sah er ein winziges Küken, das mitten auf dem Wege friedlich und unbekümmert verstreute Haferkörner pickte.

»Du darfst nie einem Tier etwas zuleide tun«, sagte Herr Eidechs, indem er das Küken verscheuchte. »Und wo du ein Tier in Not siehst, musst du ihm helfen. Denn auch du bedienst dich der Hilfe der Tiere. Und jede Leistung verlangt eine Gegenleistung. Das ist Ehrensache! Du brauchst übrigens vor so kleinen Hindernissen nicht immer haltzumachen, du kannst sie einfach überspringen. Ein leiser Druck auf diesen Hebel, und Sprungfedern schnellen den Wagen in die Höhe. Es steht in deiner Macht, durch leichteren oder stärkeren Druck den Sprung zu regulieren.

Komm, wir können es gleich versuchen. Siehst du das Bauernfuhrwerk da vorne? Es fährt direkt in der Mitte der Straße. Wir wollen mal sehen, ob es uns ausweicht …«

Sie fuhren los, und Lutz begann zu tuten. Aber der Bauer rührte sich nicht. Er trottete mit seinem Pferdchen gemächlich weiter und steckte sich seelenruhig das Pfeifchen an. Wie viele einfältige Bauern hasste er die Autos. Er freute sich, wenn er ihre Besitzer ärgern und ihnen einen Schabernack spielen konnte. So schmunzelte er auch jetzt schadenfroh und sprach vor sich hin:

»Und wenn du die Platze kriegst, ich lass dich nicht durch, du verdammter Autofritze! …«

Und das erlaubte er sich nur, weil kein Verkehrsschutzmann in der Nähe war.

»So, Lutz! Nun drück auf den Hebel, aber recht tief!«

Und im Nu schnellte der Wagen hoch – hupp! – über das Fuhrwerk hinweg. Schon rollte er auf der andern Seite weiter.

Herr Eidechs trat auf ein Pedal.

»Das ist die Blasebalgvorrichtung. Ich habe ihm zur Strafe recht viel Straßenstaub ins Gesicht geblasen.«

Lutz musste laut lachen.

Der Bauer aber sperrte vor Überraschung Mund und Nase auf, schluckte eine Menge Staub, nieste und hustete und wusste nicht, wie ihm geschah. Zugleich ging sein erschrockenes Pferd ihm durch, das Fuhrwerk fiel in den Graben, der Bauer selbst wurde herausgeschleudert, und alle seine Rüben, die er zum Verkauf auf den Markt bringen wollte, lagen verstreut auf der Erde. Zum Glück hatte er sich nichts gebrochen und kam wieder auf die Beine. Als die Staubwolke sich verzogen hatte, sah er das rätselhafte Auto mitten im Sonnenlicht, in allen Perlmutterfarben schillernd, weit vorne um die Ecke flitzen. Er aber hatte nun die Mühe, seinen Wagen aus dem Graben zu ziehen und die Rüben aufzulesen.

Mittlerweile wurde es sehr heiß, und Lutz bekam Durst. »Willst du etwas trinken?«, fragte Herr Eidechs, der anscheinend alle seine Gedanken erriet. »Wir wollen unter dem Schatten dieses Baumes Rast machen.«

Es war sehr angenehm, für ein paar Augenblicke den prallen Strahlen der Sonne zu entgehen, aber Lutz bedauerte, dass keine Wasserquelle in der Nähe war. Sollte Herr Eidechs etwa eine vorsorglich gefüllte Flasche im Auto verstaut haben? Aber Herr Eidechs machte gar keine Anstalten, sich nach ihr oder einem verborgenen Proviantkorb zu bücken. Er begann vielmehr wieder am Schaltbrett zu hantieren.

Da war ein weißes, senkrechtes Täfelchen, das von unzähligen kleinen Löchern dicht übersät war. Viele winzige Inschriften waren über ihnen verzeichnet. Dies Täfelchen stellte eine ausführliche Speisekarte dar. Links standen die Getränke, rechts die Gerichte. Wollte man etwas haben, so zog man einen der Stöpsel, die sich oberhalb der Tafel im Schaltbrett befanden, heraus, steckte ihn in die entsprechende Öffnung und bekam das Gewünschte. Dies ging folgendermaßen zu: Lutz zum Beispiel trank für sein Leben gern Limonade. Er steckte also einen Stöpsel in jene Öffnung hinein, über der »Limonade« stand. Um diese herum gruppierten sich aber noch kleinere Öffnungen, über denen »Zitronen-«, »Himbeer-«, »Orangengeschmack« usw. vermerkt war. Die mussten von ganz winzigen Stöpseln bedient werden. Links von der Tafel befand sich ein Messinghahn. Er war mit dem Benzintank verbunden, aus dem durch geheimnisvolle Vorgänge jedes gewünschte Getränk entnommen werden konnte. Nachdem Lutz nun einen größeren und einen kleineren Stöpsel nach eigener Wahl eingesteckt hatte, wollte er den Hahn aufdrehen, aber Herr Eidechs hielt ihn zurück.

»Du hast ja keinen Becher!«, sagte er.

Lutz machte ein enttäuschtes Gesicht. Er war so durstig, dass er es nicht erwarten konnte zu trinken, und nun sollte es am Becher scheitern? Allein, es schien, dass es nichts gab, was das Auto nicht beschaffen konnte. Eine runde, silberne Scheibe dicht daneben trug die Aufschrift »Geschirr«. Sie hatte einen Zeiger, der sich wie bei einer Uhr im Kreise drehte, außerdem feine Nadeln und ebenfalls eine Unmenge winziger Inschriften. Lutz musste den Zeiger auf »Trinkgefäße« rücken und eine der Nadeln auf »Becher«. Sogleich trat aus der vorderen Wagenwand ein Brettchen hervor, auf dem ein silberner Becher stand. Nun drehte Lutz den Hahn auf, und ein wunderbar nach reinen Himbeeren duftendes Getränk floss heraus. Es schmeckte so fabelhaft, dass er fünf Becher hintereinander trank und sich jedes Mal eine andere Sorte verabreichen ließ. »Nun ist’s aber genug, sonst verdirbst du dir den Magen«, sagte Herr Eidechs. »Wir wollen jetzt auch eine Kleinigkeit zum zweiten Frühstück essen.«

Rechts von dem Täfelchen befand sich eine viereckige Messingplatte. Es war die größte von allen. Sie wurde heruntergeklappt und diente als Tischchen. Dahinter gähnte eine dunkle Öffnung. Lutz steckte einen großen Stöpsel unter die Inschrift »Sandwich«, einige kleinere unter »Lachs«, »Schinken«, »Wurst« und »Käse«, und auf das abgeklappte Messingschildchen schob sich aus der Öffnung ein silbernes Tablett mit den appetitlichsten Brötchen, die eng aneinandergereiht in einer goldenen Schüssel lagen. Teller und Besteck, die sich ebenfalls darauf befanden, waren auch aus reinem Silber und die Servietten aus der allerfeinsten Seide. Lutz konnte sich nicht satt essen und vertilgte ein Brötchen nach dem andern. Als die Schüssel leer war, wurde an einem Schalter geknipst, und sofort verschwand sie im Innern des Wagens. Lutz hatte noch schnell den Becher dazugestellt. Sie ließen sich dann diverses Gebäck geben und bekamen ein Porzellankörbchen voll Keks, Biskuits, Zuckerkringeln, Brezeln und allerhand leckerer, knuspriger Backware.

Als sie nun genügend gefrühstückt hatten, zogen sie die Stöpsel heraus, ordneten sie oberhalb der Speisekarte wieder ein, klappten die Messingplatte zurück und machten sich von Neuem auf den Weg.

»Wo wollen wir denn hin?«, fragte Lutz.

»Heute machen wir nur eine Rundfahrt, damit du erst das Fahren richtig lernst. Auch kennst du dein Auto noch lange nicht. Du hast schon gesehen, dass es viel mehr kann als irgendein anderer Wagen. Ich werde dir jetzt neue Eigenschaften von ihm vorführen. Findest du nicht, zum Beispiel, dass es sehr langweilig ist, immer auf der glatten Chaussee dahinzurollen? Wir wollen mal einen Abstecher in die umliegenden Felder machen …!«

»Aber«, rief Lutz, »das Auto kann doch stecken bleiben oder gar umkippen!«

Herr Eidechs lachte.

»Du sollst mal sehen, wie gut es geht! Über Steine und Geröll, über weichen, lehmigen Boden. Wir müssen es zu diesem Zweck nur ein wenig verändern. Ich werde dir die nötigen Griffe zeigen.«

Sie hielten an, und Herr Eidechs begann mit dem Umbau. Er drückte Hebel nieder, drehte an Kurbeln, zog an verschiedenen Registern. Aus der Bodenmitte des Wagens wuchs ein Heber hervor, der das Auto langsam in die Höhe hob. Als es einen halben Meter über der Erdoberfläche schwebte, wurden die Räder ins Innere des Wagens eingezogen, in dem sie ebenso verschwanden wie der Becher und das Tablett nach dem Frühstück. An ihre Stelle traten Walzen und breite Ketten, und dann sank das Auto langsam zur Erde, und auch der Heber schob sich automatisch in den Wagen zurück. Das Auto sah nun wie ein kleiner Raupenschlepper aus, aber es war viel beweglicher und lange nicht so schwer, wie diese zu sein pflegen, und besaß eine solche Federung, dass man die Unebenheiten der Erdoberfläche gar nicht zu spüren bekam.

Herr Eidechs bog nun von der Straße ab und fuhr über unbebautes Feld. Er suchte mit Absicht die unwegsamsten Stellen auf, sandige Flächen und spitzes Gestein, tiefe Gräben und hügeliges Gelände. Aber es ging gar nicht holperig, sondern glatt wie auf dem schönsten Asphalt. Der Wagen federte leicht und konnte auch in dieser Form jedes beliebige Tempo einschlagen.

Mitten auf dem Feld begegnete ihnen eine große Schafherde. Wie es die Art dieser Tiere ist, hielten sie sich eng zusammengedrängt und weideten alle auf einem Fleck.

»Es ist mir viel zu umständlich, sie zu umfahren«, sagte Herr Eidechs. »Sie werden uns schon Platz machen müssen. Wir wollen mal zuhören, was sie sagen.«

»Viel mehr als ›bäh‹ und ›mäh‹ werden wir von ihnen wohl nicht zu hören bekommen«, meinte Lutz lachend.

»Du irrst dich«, erwiderte Herr Eidechs, »jedes Tier hat seine eigene Sprache, die ebenso vielseitig ist wie die menschliche. Nur kann das Menschenohr die Feinheiten der tierischen Ausdrucksweise nicht unterscheiden, und so glaubt man, dass sie sich stets nur auf wenige Töne beschränkt, die in gleicher Reihenfolge wiederkehren. In Wirklichkeit ist es ganz anders. Ich sagte dir schon vorhin, dass die Hupe dieses Autos eine Zauberhupe ist, die nicht nur auf Musik, sondern auch auf sämtliche Menschen- und Tiersprachen eingestellt werden kann. Hier siehst du wieder eine silberne Scheibe, auf der quadratische und runde Tasten aus Elfenbein angebracht sind. Die Scheibe ist sechseckig, und jede ihrer Seiten trägt eine Aufschrift: Menschen, Säugetiere, Vögel, Reptilien, Fische, Insekten. Jede dieser Abteilungen hat wieder ihre Unterabteilungen: bei den Menschen sind’s die Völker der Welt, bei den Tieren die verschiedenen Arten. Wenn du also die Schafsprache verstehen willst, dann musst du die viereckige Taste: ›Säugetiere‹ und eine kleine runde: ›Schafe‹ niederdrücken. Zum Ausschalten der Sprache dient die schwarze Taste in der Mitte der Scheibe.

Die Hupe ist nun ein sehr empfindliches Instrument. Dieselbe Energie, die deine Gedanken auf deine Zunge überträgt und sie zum Sprechen bringt, teilt sich durch die Nerven deiner Hand der Hupe mit, und sie setzt die Arbeit deines Gehirns in Laute um, und zwar in solche, die der Sprache eigen sind, auf die sie eingestellt ist.

Willst du nun deinerseits die Tiere verstehen, so musst du diesen Hörer, der immer neben der Sprachtafel an einem kleinen Haken hängt, ans Ohr halten. Es ist nur eine runde Muschel aus Stahl, aber sie ist so konstruiert, dass sie alle Tierlaute in ihre feinsten Schwingungen zerlegt, sie ähnlich wie beim Radio in elektrische Wellen umsetzt und diese in ganz neu zusammengefügte Laute verwandelt, die in der gewünschten Sprache erklingen. Dieser Hörer zum Beispiel gibt alles in deutscher Sprache wieder. An ihm brauchst du niemals etwas zu ändern, denn er nimmt sämtliche Tier- und Menschensprachen auf und vermittelt sie dir in deiner Heimatsprache. Während die Hupe jedes Mal neu eingestellt werden muss, so wie du es benötigst.

In diesen beiden Instrumenten wirken geheime Naturkräfte, die den Menschen noch unbekannt sind. Sie sind jedoch nicht geheimnisvoller als jene, die dein Gehirn in Tätigkeit setzen, deine Gedanken erzeugen, dich befähigen, sie anderen mitzuteilen, und auch deine Glieder so zu bewegen, wie du es willst. Denn schließlich gibt es kein größeres Rätsel als das organische Leben, kein größeres auch als die geistige Arbeit des Menschen!

Und nun wollen wir hören, was das ›Bäh‹ und ›Mäh‹ der Schafe dieses Mal bedeutet.«

Sie steuerten direkt auf die Herde zu.

Die Schafe rückten noch dichter aneinander, als sie das Auto auf sich zukommen sahen. Nun wurde die Hupe so eingestellt, dass sie wie ein richtiges ausgewachsenes Schaf blökte und in der Sprache dieser Tiere ihnen zurief:

»Macht Platz! Macht Platz! Macht Platz!«

Lutz hielt den Hörer ans Ohr. Zuerst vernahm er nur ein eintöniges Geblöke, das vom lauten Bellen des Schäferhundes übertönt wurde. Aber dann fing er an, einzelne Worte zu unterscheiden.

»Unverschämtheit! … Unerhört ist das! …«, sagte ein großer Hammel. »Habt ihr schon so etwas erlebt?!«

»Wahrhaftig!«, rief ein anderer. »Die Menschen werden immer dreister und übermütiger. Nirgends ist man vor ihnen sicher!«

»Wie soll man auf seine Jungen aufpassen!«, klagte ein dickes Mutterschaf. »Früher blieben sie wenigstens mit ihren Wagen auf den Fahrstraßen, jetzt dringen sie schon in unser Gehege ein. Man wird seines Lebens nicht mehr froh!«

Der Schäferhund bellte: »Was wollt ihr? Was wollt ihr? Wer seid ihr?«