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über

Bloomberg

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Bloomberg by Bloomberg. Revised and Updated.

ISBN 978-1-119-55426-4

Copyright der Originalausgabe:

Copyright © 2019 by Michael Bloomberg. All rights reserved.

This translation published under license with the original

publisher John Wiley & Sons, Inc.

Copyright der deutschen Ausgabe 2020:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Cover image: Gregory Heisler

Cover design: Bloomberg

Übersetzung der Ausgabe 1998: Matthias Meyer und Markus Reim

Übersetzung und Überarbeitung der Neuauflage: Egbert Neumüller

Gestaltung, Satz und Herstellung: Daniela Freitag

Lektorat: Sebastian Politz

Korrektorat: Elke Sabat

eISBN 978-3-86470-657-8

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: buecher@boersenmedien.de

www.plassen.de

www.facebook.com/plassenverlag

INHALT

VORWORT

1.DAS LETZTE ABENDMAHL

Eine Entlassung mit Vorteilen: Tarrytown 1981

2.AUF IN DEN KAPITALISMUS

Schule, Beruf und harte Rückschläge

3.ICH LIEBE MONTAGE

Unternehmer: Beruf und Berufung

4.WIR SCHAFFEN DAS

Einfacher Journalismus statt Raketenwissenschaft

5.„NEIN“ IST KEINE ANTWORT

Ignoranz und Arroganz des Establishments

6.MIT GELD GEHT ALLES

Aus dem Multimedia-Lehrbuch

7.MENSCH GEGEN MASCHINE

Technologie: Politik und Versprechungen

8.DAS EINMALEINS DES MANAGEMENTS

Das Bloomberg-Prinzip

9.EIN BLICK IN DIE ZUKUNFT

Amerika ist ein wunderbares Land

10. PRIVATES

Charakterstärke und Konsequenz

11. REICHTUM, WISSEN UND ARBEIT

Altruismus und soziale Verantwortung

Für alle bei Bloomberg, die dazu beigetragen haben,
das Unternehmen zu dem zu machen,
was es heute ist, und die die gemeinnützigen
Projekte von Bloomberg ermöglicht haben
.

Vorwort

Zwei Jahrzehnte nach dem Erscheinen von „Bloomberg über Bloomberg“ in den Bücherregalen hat sich in dem Unternehmen sehr viel verändert. Wir sind von 3.500 Mitarbeitern in 50 Ländern auf 19.000 Mitarbeiter in mehr als 120 Ländern und von 87.500 auf 325.000 Bloomberg-Terminals gewachsen, wobei Asien unser am schnellsten wachsender Markt ist. Wir haben eine breite Vielfalt von Produkten und Dienstleistungen über das Terminal hinaus eingeführt, darunter solche, die Unternehmen helfen, ihre Betriebsabläufe und Systeme zu managen. Nachrichtenartikel, die früher exklusiv auf dem Terminal veröffentlicht wurden, werden jetzt von Millionen im Internet und auf Social-Media-Plattformen gelesen und viele werden international an andere Zeitungen weiterverkauft. Nebenbei wurden wir zur ersten weltweiten Nachrichtenagentur, die alle Preise für Print- und Rundfunkjournalismus gewonnen hat, auch den Pulitzerpreis.

Was 1981 mit vier Männern und einer Kaffeekanne – und keinem einzigen Kunden – anfing, ist über unsere kühnsten Vorstellungen hinausgewachsen. Und doch hat sich Bloomberg bezüglich der wichtigsten Maßstäbe überhaupt nicht verändert. Die Kultur, die wir gleich zu Anfang schufen, definiert weiterhin, wer wir sind: Wir sind immer noch ein Unternehmen, das mehr arbeitet als unsere Konkurrenten, mehr Risiken eingeht als sie, unseren Kunden besser dient, mehr langfristig investiert und mehr Gewicht auf Transparenz und Teamwork legt. Die Gestaltung unserer physischen Umgebung ist immer noch die gleiche – es gibt keine privaten Büros. Mein Schreibtisch ist so groß wie der aller anderen im Unternehmen. Wir haben nie von der Überzeugung abgelassen, dass unser größtes Kapital unsere Mitarbeiter sind, und dementsprechend investieren wir in sie und belohnen sie.

Wir engagieren uns weiterhin intensiv dafür, unseren Erfolg zum Nutzen anderer zu verwenden. Der überwiegende Teil unserer Gewinne fließt in die Unterstützung wohltätiger Zwecke – nur sind heute sowohl unsere Gewinne als auch unsere Ambitionen größer als früher, und die Spenden werden von Bloomberg Philanthropies gemanagt. Etwas zurückzugeben war schon immer ein wichtiger Teil der Identität unseres Unternehmens, und solange ich dafür verantwortlich bin, wird das immer so sein.

Die Technologie, mit der wir Anfang der 1980er-Jahre Pionierarbeit leisteten, ist schon lange veraltet. Jedoch begingen wir nie den Fehler, den so viele andere begangen haben: das Produkt mit der Vorrichtung zu verwechseln, die es liefert. Zum Beispiel dachten die Chefs von Eastman Kodak, ihr Geschäft seien Kameras und Filme, nicht die Fotografie. Die Revolution der digitalen Fotografie ging an ihnen vorbei, und nach über einem Jahrhundert meldeten sie im Jahr 2012 Konkurs an. Bei Bloomberg stiegen wir aus dem Geschäft, physische Computer zu bauen, aus, sobald die PCs durchstarteten. Wir wussten, dass unser Kernprodukt Daten und Analysen waren, keine Hardware.

Nach vorn blicken oder zurückfallen. Wir blicken immer noch nach vorn.

Als wir das Unternehmen in einem kleinen Raum an der Madison Avenue gründeten, waren wir von der Wall Street Vertriebene, die von der Idee motiviert waren, etwas Neues aufbauen zu können, das in der Finanzwelt eine Veränderung bewirken könnte. Manche Menschen sagten mir, ich sei verrückt, wenn ich denken würde, wir könnten den Status quo an der Wall Street umkrempeln und die Giganten der Finanzinformationen herausfordern. Vielleicht war ich das auch. Aber nach wenigen Jahren hatten wir unseren ersten Kunden. Und von einem anfänglichen Anleiheprodukt breiteten wir uns auf Aktien, Rohstoffe und Nachrichten aus. Wir fügten Zeitschriften, Radio und Fernsehen hinzu – alles baute auf dem Berg an Daten und Informationen auf, der von dem Terminal generiert wurde und von den einflussreichsten Wirtschafts- und Finanzprofis der Welt nachgefragt wurde. Bevor das Internet existierte, hatten wir das leistungsfähigste Intranet der Welt geschaffen. Und bevor der Begriff „soziales Netzwerk“ aufkam, hatten wir eines für die Finanzdienstleistungsbranche geschaffen.

Ein paar Jahre nachdem ich die erste Auflage dieses Buches geschrieben hatte, gab ich die Leitung des Unternehmens ab und kandidierte für das Amt des Bürgermeisters von New York – auch eine Idee, die viele Menschen für verrückt hielten. Doch es war 20 Jahre her, dass wir das Unternehmen gegründet hatten, und ich war bereit für eine neue Herausforderung. Außerdem dachte ich schon immer, der Nächste kann das besser machen. Wenn ein Unternehmen keinen Führungswechsel aushält, hat die führende Person ihren Job nicht erledigt. Talententwicklung ist eine der wichtigsten Zuständigkeiten eines Vorstandsvorsitzenden.

Das talentierte Team, das das Unternehmen in meiner Abwesenheit leitete – in dem Peter Grauer, Tom Secunda, Dan Doctoroff und Lex Fenwick Schlüsselrollen spielten –, leistete außerordentliche Arbeit. Es gelang ihm sogar, das Unternehmen während der schwersten Rezession seit Jahrzehnten wachsen zu lassen. Während die meisten unserer Kunden Gehälter kürzten, fanden wir neue Märkte, indem wir neue Dienstleistungen anboten. Die Diversifizierung unserer Geschäftstätigkeit brachte uns für eine neue Wachstumsära in Stellung. Nach zwölf Jahren im Amt kehrte ich zurück, fand das Unternehmen stärker denn je vor und übernahm wieder seine Leitung.

Diese Neuauflage bringt die Geschichte von Bloomberg ins 21. Jahrhundert. Sie ist meine Geschichte, aber Tausende von Bloomberg-Mitarbeitern haben beim Schreiben geholfen. Und das ist wirklich die eigentliche Geschichte hinter fast jedem Erfolg. Alles machen erst Teams möglich. Die Führungskräfte bekommen die Anerkennung, aber die besten unter ihnen teilen die Anerkennung gern. Ich habe das während meiner gesamten Laufbahn versucht. Ein ganzes Buch könnte ich mit Danksagungen an all die Menschen füllen, die für unseren Erfolg eine entscheidende Rolle gespielt haben, und dann würden immer noch welche fehlen. Ich hoffe aber, dass jeder, der im Laufe der Jahre zu Bloombergs Erfolg beigetragen hat, stolz auf das ist, was wir gemeinsam tun konnten.

Bei allem, was wir vollbracht haben, glaube ich immer noch, dass die Zukunft besser als die Gegenwart wird und dass das Beste noch kommt.

Michael R. Bloomberg

New York im Juli 2018

1

DAS LETZTE ABENDMAHL

Eine Entlassung mit Vorteilen: Tarrytown 1981

Hier stand ich also, 39 Jahre alt, und im Grunde hieß es für mich: „Hier sind zehn Millionen Dollar; du wirst nicht mehr gebraucht.“

An einem Sommermorgen eröffneten mir John Gutfreund, geschäftsführender Teilhaber der erfolgreichsten Firma an der Wall Street, und Henry Kaufman, der damals einflussreichste Ökonom der Welt, dass meine Zeit bei Salomon Brothers abgelaufen war.

„Es ist Zeit für dich, zu gehen“, sagte John.

Am Samstag, dem 1. August 1981, verlor ich meinen ersten richtigen Ganztagsjob und damit die ständige Hochspannung, die ich so genossen hatte. Und das nach 15 Jahren, in denen ich sechs Tage die Woche zwölf Stunden am Tag gearbeitet hatte.

Gefeuert!

Anderthalb Jahrzehnte lang war ich fester Bestandteil der erfolgreichsten Firma im Wertpapierhandel des Landes, ja sogar der Wall Street, gewesen. Und das bildete ich mir nicht etwa ein. Wenn man der Presse glaubte, war das die allgemeine Meinung. Mit einem Mal wurde ich jedoch nicht mehr gebraucht. Ich war aktiver Teilhaber. Eher Eigentümer als Angestellter. Und trotzdem:

Entlassen!

Ich sollte nicht mehr auf dem Laufenden sein, keine Entscheidungen mehr treffen, nicht mehr an den Gewinnen und Verlusten „meiner“ Firma beteiligt sein, nicht mehr dazugehören. Aus „wir“ waren „ich“ und „sie“ geworden.

„Was hältst du davon, dass wir die Firma verkaufen?“, fragte Henry.

„Wenn ich schon gehen muss, dann lieber jetzt als später“, antwortete ich.

Allerdings waren da noch die zehn Millionen Dollar, die auf mich warteten. Amerika ist ein herrliches Land.

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Der Vorstand von Salomon Brothers hatte sich entschieden, die 71 Jahre alte Gesellschaft mit dem börsennotierten Rohstoffhändler Phibro Corporation (früher Teil von Engelhard Minerals and Chemicals) zu fusionieren. Von der Fusion erfuhren wir an einem heißen Freitagabend im Sommer, als wir uns zu einer kurzfristig angesetzten, mysteriösen Teilhaberversammlung im Tarrytown Conference Center, der ehemaligen Residenz der Society-Gastgeberin Mary Duke Biddle, trafen. Es bestand Anwesenheitspflicht und wir waren zur „höchsten Geheimhaltung“ aufgefordert. Der Gebäudekomplex war von Sicherheitsleuten umstellt, die jeden Neuankömmling überprüften. (Leider übersahen sie dabei einen Fotografen der Zeitschrift Fortune, der einen heißen Tipp erhalten hatte und sich auf einem Baum versteckt hielt. So viel zur Geheimhaltung!) Für 63 von uns war es das letzte Teilhabertreffen bei Salomon. Mir eröffneten Gutfreund und Kaufman bei dieser Gelegenheit, dass meine Zeit bei Salomon Brothers abgelaufen sei.

Vor dem Abendessen trafen wir uns in einem großen Konferenzsaal. Es wimmelte von gut bezahlten Anwälten und Wirtschaftsprüfern, die sich Überstundenzulagen verdienten. Sie tauschten verstohlene Blicke aus und wirkten nervös. Vielleicht hatten sie Angst, dass irgendetwas nicht nach Plan verlaufen könnte. Tische und Stühle waren in Reihen aufgestellt, der Vorstand saß den „Truppen“ gegenüber. Auf dem Platz jedes Teilhabers befand sich eine graue Ledermappe mit seinem Namen. Ich setzte mich auf den mir zugewiesenen Platz. Obwohl man uns angewiesen hatte, noch zu warten, öffnete ich wie jeder andere auch sofort die Mappe, die vor mir lag. Obenauf lagen Finanzprognosen für unser Unternehmen nach einer möglichen Fusion mit Phibro, dieser fast unbekannten Firma, die mit Öl, Metallen und Agrarerzeugnissen handelte. Es folgten Pro-forma-Ertragsrechnungen, Bilanzen, juristische Dokumente und die üblichen nichtssagenden Geschäftsunterlagen. Der zweite Teil der Präsentationsmappe war jedoch weit interessanter: Er handelte davon, wie sich die Fusion auf mich als Teilhaber auswirken würde. Sie bedeutete Millionen Dollar in meiner Tasche!

Die sinnlosen Vorträge nahmen kein Ende. Der Vorstand war entschlossen, die Vermögenswerte von Salomon zu verkaufen. Die Entscheidung über diese Transaktion war längst gefallen. Das Verfahren war eine Farce. Wie bei einem Gerichtsverfahren, bei dem Augenzeugen bestätigen, dass der Angeklagte geschossen hat, also keine mildernden Umstände geltend gemacht werden können, und der Richter die Geschworenen bittet, sich zur Beratung zurückzuziehen. Die Geschworenen gehen in den Nebenraum und ihr Vorsitzender fragt: „Und, war er es?“

Alle zwölf antworten, ohne zu zögern: „Schuldig.“

„Dann gehen wir wieder rein.“

„Geht nicht, wir dürfen nicht zu schnell über den Angeklagten urteilen. Bleiben wir hier und unterhalten uns noch eine Stunde.“

Also redeten wir in Tarrytown erst noch 60 Minuten lang. Ernst und feierlich. Einige stellten Fragen zu Unterschieden in der Unternehmenskultur, andere zum Gewinnpotenzial, einige wenige zur zukünftigen Unternehmensleitung und zur Doppelbesetzung von Funktionen.

Alles irrelevant! Der Vorstand wollte die Fusion und hätte sie allein durchsetzen können. Ja, wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Aber, wohlgemerkt: Von den anderen Teilhabern kam ausschließlich Zustimmung. Keiner der Anwesenden, mich eingeschlossen, dachte auch nur einen Moment lang daran, dem Verkauf nicht zuzustimmen. Für uns als Eigentümer war er einfach zu lukrativ.

Als es dann ans Abendessen ging, war alles beschlossene Sache. Wir versuchten, uns so ernst und sachlich wie möglich zu benehmen, und unterdrückten den starken Drang, zu grinsen. Jeder der Anwesenden war jetzt reicher, als er es sich je hätte träumen lassen. Vorher war unser Teilhaberanteil nur eine Zahlenkolonne in den Büchern der Firma gewesen, quasi „Falschgeld“. Wir hätten es für wohltätige Zwecke spenden oder ausscheiden und weitere zehn Jahre darauf warten können, an das Geld zu kommen. Abgesehen davon (und von den fünf Prozent Zinsen, die man uns jährlich zahlte) waren wir nur auf dem Papier reich gewesen. Aber das war Vergangenheit. Dieser Tag hatte alles verändert. Plötzlich war alles Wirklichkeit. Das Geld gehörte uns. Und zwar bar auf die Hand!

Wir wurden angewiesen, bis zur öffentlichen Bekanntgabe am folgenden Montag niemanden zu informieren. Niemand, weder innerhalb noch außerhalb der Firma, hatte überhaupt gewusst, dass ein Verkauf in Erwägung gezogen wurde. (Trotzdem hatte mein Freund und Partner Bob Salomon am Vortag vermutet, dass, was auch immer sich da zusammenbraute, es etwas mit Phibro Corp. zu tun hatte. Er zeigte mir das Firmenkürzel auf seinem Aktienkursmonitor, bevor wir zur Versammlung nach Tarrytown fuhren. Er war schlauer als wir alle gewesen!) Die pensionierten beschränkt haftenden Teilhaber hatte der Vorstand nicht informiert. Nicht einmal Billy Salomon, die graue Eminenz der Firma. Das geschah erst zwei Tage später, als überraschend ein Hubschrauber auf dem Gelände seines Sommerwohnsitzes in Southampton landete und die Besucher ihn persönlich informierten – was Anlass zu heftiger Kritik gab.

Obwohl wir zur Verschwiegenheit verpflichtet waren, riefen einige Teilhaber an diesem Freitagabend ihre Frauen an. Ich hielt das für Unsinn. Warum sollte man die eigene Frau in den Verdacht bringen, die undichte Stelle zu sein? Was machte es schon aus, wenn sie es einen Tag später erfuhr? Andere teilten meine Ansicht nicht. Ein Teilhaber rief seine Frau im Country Club an. Sie rannte zurück ins Restaurant und schrie: „Wir sind reich, wir sind reich!“ Glücklicherweise schenkte ihr niemand Beachtung.

Nach der Versammlung aßen wir saftige Steaks und tranken Hochprozentiges. Wir spielten Billard und Poker, rauchten Havannas und lachten aus vollem Hals. Alles war wie bei einem großen, herrlichen Fest einer Studentenverbindung: trinken und ausgelassen feiern bis in die Morgenstunden. Wir mussten auf niemanden Rücksicht nehmen, hatten einen Augenblick nur für uns. Dafür hatten wir gearbeitet und ob wir es verdienten oder nicht: Wir hatten es bekommen!

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Am darauffolgenden Samstag setzte sich jeder Teilhaber mit zwei Mitgliedern des Vorstands an den Tisch. Allerorten sah man verkaterte Gesichter. Ich traf mit Gutfreund und Kaufman zusammen. Die meisten der 63 Teilhaber sollten Angestellte des neuen Unternehmens bleiben – ich allerdings nicht. Außer mir wurden noch sechs andere vor die Tür gesetzt.

„Da ihr mich nicht mehr braucht, fahre ich jetzt nach Hause.“

Es gab keinen Grund, an den Gesprächen mit den neuen Besitzern teilzunehmen. Das betraf mich nicht mehr.

Ob ich auf der Fahrt nach Hause traurig war? Sicher. Aber als echter Macho ließ ich mir wie üblich nichts anmerken. Und dann entschädigten mich schließlich die zehn Millionen Dollar in Wandelanleihen und Bargeld für meine verletzten Gefühle. Wenn ich schon gehen musste, war jetzt der richtige Zeitpunkt. Ich konnte mein Geld sofort aus der Firma herausziehen, ohne zehn Jahre warten zu müssen. Da Phibro eine Fusionsprämie zahlte, hatte sich mein Kapital verdoppelt. Man hatte mir die Entscheidung abgenommen. Ich musste mir nicht einmal mehr den Kopf zerbrechen, ob ich noch länger bei Salomon bleiben sollte. Da mein Stern bei der Firma langsam sank, wäre es so oder so nur eine Frage der Zeit gewesen.

Trotzdem erschütterte es mich, dass es bei zukünftigen Gesprächen über das Unternehmen ab sofort um eine fremde Firma gehen würde, die bis dahin meine Firma gewesen war. Wenn man mir gesagt hätte: „Wir haben jetzt eine andere Tätigkeit für Sie“ – zum Beispiel die Leitung der afghanischen Niederlassung –, wäre ich dazu sofort bereit gewesen. So wie ich 1979 an einem anderen Wendepunkt meiner Karriere sofort zusagte, als Billy Salomon und John Gutfreund mir nahelegten, meine Aufgaben im Verkaufs- und Tradingbereich niederzulegen und stattdessen die Computersysteme-Abteilung zu leiten. Ich war bereit, alles zu tun, was sie von mir wollten. Salomon war ein großartiges Unternehmen und ich wäre gern geblieben. Ich wäre nie freiwillig gegangen; in guten Zeiten hätte es keinen Anlass dazu gegeben und in schlechten Zeiten hätte ich die Firma nicht im Stich lassen können. Unglücklicherweise (oder, wie sich später herausstellte, zu meinem Glück) konnte ich nicht über mein Bleiben entscheiden.

Hinterher verbrachte ich keine Zeit damit, darüber zu grübeln, was aus der alten Firma geworden war. Ich besuchte sie auch nicht. Ich blicke nie zurück. Vorbei ist vorbei. Das Leben geht weiter.

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Obwohl rein rechnerisch Phibro Salomon gekauft hatte, führte Salomon bald die vereinigten Unternehmen. Die Machtverhältnisse verschoben sich im Rekordtempo. Kurz nach der Transaktion hatte Phibro das Sagen und aus Phibro wurde Phibro-Salomon. Als das Wertpapiergeschäft boomte, brach der Rohstoffhandel ein. Das Unternehmen hieß bald Salomon Inc., seine Tochtergesellschaften Phibro Energy und Philipp Brothers. Der Name „Philipp“ war wieder so unbedeutend wie fünf Jahre zuvor. Die übernehmende Firma wusste nicht, wie ihr geschah. Die übernommene Firma hatte von Anfang an die Oberhand – ein krasses Ungleichgewicht.

Die Fusion brachte den Teilhabern von Salomon Freiheit und Vermögen. Sie zogen damit allerdings auch den Schlussstrich unter eine Firma, die Jahrzehnte bestanden hatte. Indem Salomon damit auch die Kontrolle über seine wichtigsten Mitarbeiter verlor, büßte das Unternehmen seine größte Stärke ein. Bis dahin waren die Teilhaber langfristig an die Firma gebunden gewesen. Dafür sorgten schon die „goldenen Handschellen“ – das auf zehn Jahre eingefrorene Kapital. Nach der Fusion waren alle nur noch Angestellte. In den 1990er-Jahren war sowohl bei Salomon als auch bei Phibro niemand mehr zu finden, der zum Zeitpunkt der Fusion dabei gewesen war. Die einstigen Teilhaber wurden zwar reich, aber die beiden alten Unternehmen blieben dabei auf der Strecke.

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Eine Woche nach der Ankündigung der Fusion besuchte ich Billy Salomon. Eigentlich wollte ich nur „Also dann, danke für alles und bis irgendwann mal“ sagen. Er war keineswegs glücklich. Er war ehrlich gesagt verbittert und wütend darüber, dass „seine“ Firma verkauft worden war und man ihn nicht gefragt hatte.

„Ihr habt mich reingelegt“, sagte er.

„Billy, das waren doch deine Regeln. Du hast selbst vor ein paar Jahren festgelegt, dass alle Komplementäre, die nicht dem Vorstand angehören, und alle Kommanditisten [zu denen er mittlerweile selbst zählte] nichts zu sagen haben. Es war deine Idee, dass der Vorstand die absolute Herrschaft hatte. Du hast jedes einzelne Vorstandsmitglied persönlich ausgewählt. Der Vorstand ist dein Vermächtnis, egal ob das nun ein Vorteil oder ein Nachteil ist. Und er hat die Fusion beschlossen, nicht wir anderen.“

Ich fand nicht, dass Billy wirklich Grund zum Klagen hatte. Vielleicht über die Art und Weise, aber nicht in der Sache. John und der Vorstand hatten die Aufgabe, zu entscheiden, was für die Firma – das heißt für ihre Eigentümer – am besten war. Billy hatte die Entscheidungsträger selbst ausgewählt und sie hielten sich nur an die Regeln, die er aufgestellt hatte. Billy hatte eben einfach die Auswirkungen nicht vorhergesehen und sie gefielen ihm nicht.

Ich verabschiedete mich zwar von Billy Salomon, aber John Gutfreund verabschiedete sich, soweit ich mich erinnern kann, nicht von mir. Das nächste Mal traf ich ihn sieben Jahre später auf der Überraschungsparty zum 50. Geburtstag unseres ehemaligen Teilhabers Jack Kugler. „Hallo junger Mann, wie geht’s denn so?“, fragte er mich.

„Gut, und ich bin immer noch jünger als Sie“, sagte ich.

„Sie wollten schon immer besonders geistreich sein.“

Das war es dann. Vielen Dank, John. Er hatte mich eingestellt, als ich mein BWL-Studium gerade hinter mir hatte und einen Job brauchte, und er hatte mich entlassen, als mein Stern bereits wieder sank – beide Male zum exakt richtigen Zeitpunkt.

Obwohl ich meine Laufbahn bei Salomon nicht aus freien Stücken beendete, verdanke ich William Salomon und John Gutfreund sehr viel. Sie waren meine wahren Lehrmeister. Von ihnen lernte ich Moral und Wohltätigkeit; sie brachten mir bei, hart zu arbeiten und mich um andere zu kümmern. Sie ermutigten mich, alles für den Erfolg zu tun, und waren immer auf meiner Seite – selbst bei meinen Misserfolgen. Sie gaben mir die Gelegenheit, mich zu beweisen. Ganz zu schweigen davon, dass sie es mir ermöglichten, ein fast unanständig großes Vermögen zu verdienen, mit dem ich später meine eigene Firma gründete. Da Salomon Brothers im Laufe der Zeit so viele Menschen beschäftigte, muss es unzählige geben, die ihnen ähnlich verbunden sind.

Auch wenn die beiden ihre jeweilige Karriere auf unterschiedliche Weise beendeten, haben Billy (der freiwillig ausschied) und John (der gehen musste, als ein kleiner Angestellter die Buchhaltung manipulierte) doch beide ihren Teil geleistet. Dank ihres Einsatzes ist die Wall Street jetzt ein angenehmerer Ort als früher und ich bin durch sie ein klügerer, besserer (und reicherer) Mensch geworden. Billy starb 2014 und John folgte ihm etwas mehr als ein Jahr später. Bei ihren Beerdigungen zu sprechen fiel mir nicht leicht.

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In der Woche nach dem letzten gemeinsamen Abendessen der Salomon-Teilhaber in Tarrytown ging ich zu einem Pelzhändler in der Third Avenue und bestellte eine Zobeljacke für meine Frau Sue. Wir waren damals seit fünf Jahren verheiratet und mein Name war an der Wall Street ein Begriff. Wenn sie nun, nach jenem Tarrytown-Abendessen, jemand auf der Straße ansprach und „Was macht Ihr Mann denn beruflich?“ fragte, dann könnte sie womöglich versucht sein, zu antworten: „Nun, früher war er als Teilhaber von Salomon einmal sehr einflussreich.“ Der Zobel sollte eine Überraschung sein und sie auf andere Gedanken bringen.

Es war mir nie peinlich, zuzugeben, dass ich entlassen worden war und jetzt ein kleines Unternehmen gegründet hatte. Außerdem bin ich nicht so leicht zu erschüttern wie manch anderer. (Vielleicht rede ich mir auch selbst ein, es sei mir egal, was andere Leute denken – eine Art psychologischer Abwehrmechanismus.) Trotzdem war ich besorgt, dass Sue mein neuer, weniger repräsentativer Status peinlich sein könnte und dass sie vielleicht glauben würde, ich könnte nicht mehr für die Familie sorgen. Die Zobeljacke war als Zeichen gedacht und sollte so viel heißen wie: „Alles ist gut. Wir nagen nicht am Hungertuch. Wir sind immer noch im Rennen.“

Ich bat den Pelzhändler, das Geschäft an meinem letzten Arbeitstag, dem 30. September 1981, nicht vor 19:30 Uhr zu schließen, und absolvierte wie üblich meine zwölf Stunden. Auf dem Heimweg holte ich die Jacke ab. Sue war hingerissen. Wir tranken eine Flasche Champagner, gaben unserer Tochter Emma einen Kuss und gingen essen. Am nächsten Morgen startete ich das Unternehmen Bloomberg. Die Arbeit daran ist noch immer in vollem Gang.

2

AUF IN DEN KAPITALISMUS

Schule, Beruf und harte Rückschläge

Bis in das Konferenzzentrum in Tarrytown war es für mich eine lange Reise gewesen. Meine Eltern gehörten der Mittelschicht an und arbeiteten hart. Mein Vater war Buchhalter in einer Molkerei. Meine Mutter vertrat liberale Ansichten und war ein Freigeist. Ich war also nicht gerade von Geburt an dazu ausersehen, mich an der Wall Street oder sonst irgendwo bis an die Spitze vorzuarbeiten. Doch lernte ich als Kind von meinen Eltern, hart zu arbeiten, für Neues aufgeschlossen und ehrgeizig zu sein sowie hartnäckig alle Ziele zu verfolgen, die ich mir setzte. Sowohl in der Schule als auch während meiner Lehrjahre im Geschäftsleben bei Salomon und bei der Gründung meines eigenen Unternehmens sollten sich diese Eigenschaften noch als außerordentlich wertvoll erweisen.

Medford in Massachusetts ist eine Arbeitersiedlung in der Nähe von Boston. Die öffentliche Sekundarschule (ich gehörte zum Abschlussjahrgang 1960) hatte in jeder Jahrgangsstufe 250 Schüler, von denen nur sehr wenige später die Universität besuchten. In der Schule ging es vor allem um die Vorbereitung auf den Beruf. Bis zu meinem Abschlussjahr war mir immer nur langweilig, doch dann richtete die Schule zwei neue Leistungskurse ein – einen in Geschichte und einen in Literatur. Zum ersten Mal fand ich den Lernstoff interessant. Ich fühlte mich herausgefordert.

Der Geschichtslehrer machte historische Vorgänge lebendig, besonders die kontroversen politischen Ereignisse in der Geschichte Amerikas, über die seiner Meinung nach in einer staatlichen Bildungseinrichtung noch nie jemand geredet hatte. Ein solches Ereignis war der Arbeiterkampf der 1920er-Jahre, den er am Beispiel des Gerichtsverfahrens gegen die Anarchisten Sacco und Vanzetti vorstellte. Unser Lehrer erzählte, seine eigene Mutter sei jeden Tag ins Gerichtsgebäude gegangen, um alles mit anzuhören, und viele hätten Sacco und Vanzetti damals als Helden angesehen, viele aber auch als den Antichrist. Indem er seine eigene Familie mit ins Spiel brachte, ließ der Lehrer Geschichte greifbar und relevant werden; der Lehrstoff war mehr als etwas, das man lesen und auswendig lernen musste. Im Literaturkurs war es ähnlich: Der Lehrer half uns, die größten Werke der Weltliteratur zu analysieren, statt uns Rechtschreibung und Grammatik beizubringen (beides beherrsche ich bis heute nicht richtig). Der Unterschied bestand darin, dass wir über den Sinn einer Erzählung diskutierten, statt die Handlung auswendig zu lernen. Es war nicht mehr langweilig, sondern spannend. Beide Kurse erweiterten meinen Horizont: Der ungeschönte Blick auf Geschichte und Kultur eröffnete mir eine neue Welt. Es war nur schade, dass ich bis dahin so viel Zeit verschwendet hatte. Es war für mich eine frühe Lektion, dass unsere Gesellschaft es irgendwie schaffen muss, unseren Kindern die Freude am Lernen zu vermitteln.

Ich erinnere mich, dass ich in meiner Jugend zu Hause „Johnny Tremain“ las, einen Roman über einen Jungen, der 1776 in Boston für die aufständischen Yankees als Kurier und Spion arbeitete. Ich habe das Buch wohl hundertmal gelesen. Oft fuhr ich mit der U-Bahn ins Stadtzentrum, um die Schauplätze des Unabhängigkeitskriegs zu besichtigen, die in dem Buch vorkamen. Ich stellte mir vor, ich wäre der patriotische Held, der es diesem Georg III. so richtig zeigte – dieser Rolle des Einzelkämpfers eifere ich noch heute nach. Ich entwickelte ein Geschichtsbewusstsein. Immer wieder ärgere ich mich darüber, wie wenig die Menschen anscheinend aus der Vergangenheit, dem Vermächtnis der Geschichte, lernen; darüber, dass wir immer wieder die gleichen Schlachten schlagen; dass wir immer wieder vergessen, wie falsche, kurzsichtige Politik Wirtschaftskrisen, Kriege, Unterdrückung und Spaltung bewirken kann. Wir Bürger lassen mit Regelmäßigkeit zu, dass gewählte Politiker mit althergebrachten, billigen, widersinnigen Antworten auf komplexe Probleme Stimmenfang betreiben. Wir als Wähler lernen nie daraus, wie es anderen ergangen ist, die ihre gewählten Vertreter nicht zur Rechenschaft gezogen haben. Wenn George Santayana recht hatte und wir dazu verdammt sind, alles zu wiederholen, dann gnade uns Gott.

Als ich bei den Pfadfindern war, konnte ich Gemeinschaftssinn mit meinem persönlichen Ehrgeiz verbinden, etwas zu leisten. Ich war sehr gerne Pfadfinder. Über jedes einzelne Leistungsabzeichen, das ich mir verdiente, freute ich mich, und war stolz auf jeden Rang, den ich mir erarbeitete. Ich war einer der jüngsten Eagle Scouts in der Geschichte des Verbands. Das Ferienlager der Pfadfinder war für mich die schönste Zeit des Jahres. Ich finanzierte meinen Aufenthalt, indem ich von Haus zu Haus ging und Weihnachtskränze verkaufte, die unsere Gruppe gebastelt hatte. Dabei sammelte ich meine ersten Verkaufserfahrungen.

In der Wildnis von New Hampshire kampierten wir dann sechs Wochen lang in Zweimannzelten unter freiem Himmel. Jeden Morgen wurden wir durch ein Trompetensignal geweckt. Wir duschten mit eiskaltem Wasser. Zu essen gab es meist Würstchen und Hamburger. In dem großen Speisesaal kam jeder einmal an die Reihe, Kartoffeln zu schälen, die Tische zu decken und das Geschirr zu spülen. Ich erinnere mich, dass ich von der Verpflegung begeistert war, besonders von einem Getränk, das nach Trauben schmeckte und „Käfersaft“ genannt wurde. Jeden Tag gab es Dutzende Spiele und Aktivitäten wie Gewehr- und Bogenschießen, Rudern, Kanufahren, Schwimmen, Zeichnen, Malen und Töpfern. Wanderungen und Bootsfahrten waren der Höhepunkt der Woche, und lästige Elternbesuche gab es den ganzen Sommer über nur an ein, zwei Tagen. Damals lernte ich, selbstständig zu sein und gleichzeitig mit anderen zusammenzuleben und zusammenzuarbeiten.

Im Winter ging ich am Samstagmorgen regelmäßig ins naturwissenschaftliche Museum in Boston und hörte mir Vorträge an, die mir die Natur und die Physik in einer Art und Weise näherbrachten, zu der meine Schule nicht in der Lage war. Jede Woche verbrachte ich zwei Stunden dort und war fasziniert. Der Dozent brachte Schlangen, Stachelschweine und Eulen mit, die wir anfassen durften; er demonstrierte die Grundgesetze der Physik anhand von anschaulichen Versuchen und stellte uns Fragen zu jedem einzelnen Ausstellungsstück des Museums. Da alle Kinder – mich eingeschlossen – vor den anderen gut dastehen wollten, strengten wir uns an, auf alles die richtige Antwort parat zu haben. Durch diesen Wettstreit lernten wir, genau zu beobachten, auf Details zu achten und genau zuzuhören. Einmal war das Alter eines Baumes gefragt, dessen Querschnitt in einer oberen Etage des Museums ausgestellt war und einen Durchmesser von 1,50 Meter hatte. An manchen Jahresringen markierten Lämpchen bedeutende historische Ereignisse; so wurden mehrere Jahrhunderte dargestellt, von der Gegenwart am Rand der Baumscheibe bis hin zur Entstehung des Baumes im Mittelpunkt. Die Frage bezog sich auf den Redwood-Baum. Wir waren alle ziemlich frustriert, als der Dozent sich weigerte, die Antwort zu akzeptieren, von der wir alle wussten, dass sie „richtig“ war. Schließlich kam jemand darauf, dass es sich gar nicht um den Querschnitt eines Redwood-Baums, sondern um den eines Mammutbaums handelte, einer verwandten, aber nicht identischen Art. Zuhören, fragen, prüfen, nachdenken: Diese Dozenten machten mir schon Jahre vor meinem Studium den Wert intellektueller Aufrichtigkeit und wissenschaftlichen Arbeitens deutlich.

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Als ich die Sekundarschule besuchte, arbeitete ich nach dem Unterricht, an den Wochenenden und in den Sommerferien für ein kleines Elektronikunternehmen in Cambridge, Massachusetts. Die Technikexpertin der Firma empfahl mir die Johns Hopkins University in Baltimore. Ich interessierte mich für Naturwissenschaften, und sie hatte Beziehungen zur dortigen Fakultät für angewandte Physik. Ich dachte mir „Warum nicht?“, denn irgendeine Universität musste ich ja schließlich besuchen. Ich schickte eine Bewerbung ein und wurde prompt angenommen. Nach allem, was danach passierte, glaube ich nicht, dass man es an der Johns Hopkins University je bereut hat, mir eine Chance gegeben zu haben. Und ich habe es auch nie bereut, mich dort eingeschrieben zu haben.

Ich war ein eher mittelmäßiger Student, was weniger an mangelnder Begabung als an ungenügender Motivation lag – jedenfalls hoffe ich das. In den Fächern Technik und Ingenieurwesen kassierte ich am häufigsten ein C, also eine durchschnittliche Note. In meinem letzten Studienjahr belegte ich jedoch doppelt so viele Kurse wie üblich, schaffte fast überall ein A und war Kursbester. Ich las im Wesentlichen nur die Bücher, passte im Kurs auf, verstand, worum es ging, und spulte hinterher alles wieder ab. Ich dachte nie daran, mich selbst umzusehen und die Quellen zu erforschen. Ich hatte weder die Absicht noch die geistige Veranlagung, tatsächlich Ingenieur, Physiker oder Mathematiker zu werden. Was mir lag – und worin ich gut war –, war der Umgang mit Menschen. Ich wurde Vorsitzender der Studentenverbindung, Vorsitzender des Kongresses der Studentenverbindungen, Jahrgangssprecher – mein Name war jedem an der Universität ein Begriff. Als ich mich an der Universität um begehrte Ämter bewarb, lernte ich, wie man einen Wahlkampf führt. Indem ich Bälle und Verbindungsfeste plante, entwickelte ich organisatorische Fähigkeiten. Ich lernte, verschiedene Menschen unter einen Hut zu bringen und zur Zusammenarbeit anzuhalten, als ich an der Universität diverse schulbezogene Freizeitaktivitäten organisierte. Diese Fähigkeiten kamen mir später zugute, nicht nur als ich als Bürgermeister kandidierte, sondern auch bei Salomon Brothers an der Wall Street und in meinem eigenen Unternehmen.

Als ich anfing, mir Gedanken über das Leben nach dem Studium zu machen, war mir klar, dass für mich eine verwaltungstechnische Arbeit am nächsten lag. Ich hätte mich wohl sofort nach einer Stelle umgesehen, wenn nicht die meisten Studenten der Johns Hopkins ein weiterführendes Studium begonnen hätten, um einen höheren Abschluss zu bekommen. Unter diesem Gruppendruck bewarb ich mich bei einer Wirtschaftshochschule. Als ich die Zulassungsbestätigung erhielt, war ich gerade mit Freunden zusammen in der Poststelle der Universität. Ich bemerkte einen großen braunen Umschlag von der Harvard Business School in meinem Postfach.

„Sehr gut. Die haben mich genommen. Gehen wir einen Kaffee trinken“, sagte ich.

„Willst du den Brief denn nicht aufmachen?“, fragte jemand.

„Wozu?“, war meine Reaktion. „In so einem dicken Umschlag verschickt man doch keine Absage. Die bekommt man in einem dünnen Umschlag.“

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Meine zwei Jahre in Harvard waren gut investiert. Ich erwarb Grundkenntnisse in Buchhaltung, Marketing, Produktion, Unternehmensführung sowie Controlling, Finanzwesen und Verhaltenslehre. In Harvard wurde vieles anhand von Fallbeispielen vermittelt, was meinen analytischen Verstand schärfte und meine kommunikativen Fähigkeiten entwickelte. Es gibt keine lehrreichere Erfahrung als die, von hundert Mitstudenten ausgebuht zu werden, weil man schlecht vorbereitet ist oder seine Meinung nicht begründen kann.

Das Ausbildungsniveau war hoch, aber meines Erachtens nicht überdurchschnittlich. In meinem Jahrgang waren ein paar sehr gescheite Studenten, einige Kommilitonen hielt ich für „geistig nicht gerade besonders gesegnet“ und ein paar für Blender, die nur überzeugend daherreden konnten. Wenn ich heute zurückblicke, stelle ich fest, dass diejenigen, die ich für intelligent hielt, im Allgemeinen auch Erfolg im Leben hatten, während diejenigen, die ich für weniger gescheit hielt, weniger erfolgreich waren. Die Klugschwätzer blieben auf der Strecke. Es zeigte sich, dass praktisches Durchsetzungsvermögen und gesunder Menschenverstand zuverlässigere Vorhersagen über den beruflichen Erfolg eines Hochschulabsolventen zulassen als seine akademischen Leistungen. So gesehen kann ich damit leben, dass ich in der Business School durchschnittliche Noten erzielte.

Peinlicherweise kann ich mich erinnern, dass ich mehr von den Namen meiner Kommilitonen beeindruckt war als von ihren Leistungen. Ich stamme aus der Arbeiterstadt Medford und hatte noch nie zuvor Menschen kennengelernt, die so dicht am Rampenlicht standen. Viele waren Söhne von berühmten Wirtschaftsbossen, von denen ich in der Zeitung gelesen hatte. Glaubte ich, sie würden es an die Spitze schaffen, nur weil ihre Väter es geschafft hatten? (In aller Regel schafften sie es nicht.) Hoffte ich insgeheim darauf, ihre Eltern kennenzulernen, um meine Karriere zu beschleunigen? (Von den Firmen ihrer Väter sind heute nur noch wenige übrig.) Wollte ich vom Glanz meiner Umgebung profitieren? (In unseren Büros geben sich heute berühmte Persönlichkeiten die Klinke in die Hand.) Auch wenn mir in der Tat einige Bekannte aus Harvard geholfen haben, so sind darunter nur wenige, die mich einst so beeindruckten.

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Selbst während der Prüfungsvorbereitungen für den Abschluss in Betriebswirtschaft 1966 machte ich mir nicht viele Gedanken darüber, was ich vom Leben und vom Beruf erwarten sollte. Wie die meisten jungen Männer meiner Generation war ich darauf gefasst, direkt nach dem Studienabschluss nach Vietnam geschickt zu werden. Ich kannte eigentlich niemanden, der den Krieg befürwortete. Die Vorstellung, beim Marschieren durch den Dschungel erschossen zu werden, behagte mir auch nicht sonderlich; dennoch dachten wir damals nicht im Entferntesten daran, uns gegen unser Land aufzulehnen. Praktisch niemand ging nach Kanada, um sich vor dem Einberufungsbescheid zu drücken – das war im Jahr 1966, und die Antikriegsstimmung war noch nicht in Schwung gekommen. Unsere Eltern, die Schule, die Pfadfinder, der Sport, die Politik, die Nachrichten – alles im Leben brachte uns Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein, aufopfernde Hingabe und Patriotismus bei. Einige wenige gingen später auf die Straße, rebellierten und forderten zu zivilem Ungehorsam auf. Aber in aller Regel war es so: Uncle Sam rief, und wir folgten ihm.

Eine Heereseinheit hatte bereits zugesagt, mich nach dem Harvard-Studium zum Leutnant zu machen. Drei Monate vor Ende des Studiums unterzog ich mich der üblichen Tauglichkeitsprüfung. Es war reine Routine, ich war kerngesund. Zu meiner großen Überraschung sagte der Arzt: „Sie haben Plattfüße. Sie bleiben hier.“

Nun war ich einerseits ganz froh, nicht nach Vietnam geschickt zu werden, um dort möglicherweise umzukommen. Andererseits wurde ich nicht als vollkommen untauglich eingestuft. Vielleicht würde die Regierung unter Umständen doch noch entscheiden, für den Krieg auch diejenigen unter uns einzuziehen, die an dieser gefürchteten orthopädischen Missbildung litten. Und wer konnte schon sagen, zu welcher Einheit ich dann eingezogen oder was aus meiner Karriere werden würde? Ich tat also alles Mögliche, um die höchste Tauglichkeitsstufe zu erlangen und so sofort zum Militär zu kommen. Ich schrieb Hilfegesuche an die für mich zuständigen Senatoren und Kongressabgeordneten. Ich wollte das Richtige tun – meinem Land dienen –, aber auch ein gewisses Maß an Kontrolle über mein Leben behalten. Die Hilfe, die mir diese Vertreter der Legislative anboten, gab mir einen ersten Vorgeschmack auf politische Versprechungen, die anscheinend nie gehalten werden. Abgesehen von einigen Formbriefen („Wir werden uns bemühen, Ihnen zu helfen …“), die Mitarbeiter verfasst hatten, schien kein einziger von ihnen je in meiner Angelegenheit tätig zu werden. Aber auch von meiner Einberufungsbehörde hörte ich nie wieder etwas, obwohl Mitte der 1960er-Jahre jeder unter 25 mit einem Einberufungsbescheid rechnen musste. Am Ende erklärten wir den Sieg und verloren den Krieg.

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Was sollte ich mit meinem Leben anfangen? Zwölf Wochen vor Abschluss meines Studiums hatte ich keine Vorstellung davon, wie ich meine teure Ausbildung in einen Beruf ummünzen sollte, von dem ich leben konnte. Darüber hatte ich mir nie Gedanken gemacht. Ich hatte mich auch nirgendwo zu einem Vorstellungsgespräch angemeldet. Mein guter Freund Steve Fenster, der in Harvard im selben Jahrgang wie ich gewesen war und später (fünf Jahre, bevor er an Krebs starb) Mitglied des Verwaltungsrats meiner Firma wurde, riet mir, zwei Firmen, Salomon Brothers & Hutzler (wie die Firma damals hieß) und Goldman, Sachs & Co. anzurufen. Ich sollte behaupten, ich wollte unbedingt Aktien an institutionelle Kunden verkaufen oder Händler werden.

„Wer sind die denn?“, fragte ich. „Und was würde ich da machen?“ Ich beschäftigte mich zwar eifrig mit Details der keynesianischen Wirtschaftstheorie und allen möglichen theoretischen Aspekten des Finanzwesens, aber mit der Arbeit und den Namen an der Wall Street war ich nicht gerade vertraut. Ich hatte mir immer vorgestellt, ich würde in der Verwaltung einer Baufirma oder eines Fabrikunternehmens unterkommen oder sogar wie Ron Burks, mein bester Freund aus Studienzeiten, in der Immobilienbranche. (Die Wall Street entwickelte sich erst in den 1980er-Jahren zu einem Magneten für frischgebackene Betriebswirte.)

„Mach dir keine Gedanken“, sagte Fenster. „Tu’s einfach.“

Steve hatte im Pentagon gearbeitet, wo er unter Robert McNamara zum Senkrechtstarter wurde, und dann einen Sommer bei Morgan Stanley. Sowohl was das Militär anging als auch in Sachen Börse verließ ich mich voll auf ihn. Er war der Meinung, ich würde mit beiden Aufgaben gleichermaßen zurechtkommen und zufrieden sein. Da ich selbst nichts Besseres wusste, griff ich zum Hörer.

Zu meinem Glück wurde der Wertpapierhandel und -verkauf damals als eine Art Beruf zweiter Klasse angesehen, denn ich gehörte bestimmt nicht zu denen, die schon während ihrer Lehrjahre mit den Rockefellers auf Du und Du standen oder einen Wirtschaftsmagnaten zum Vater hatten. Nur wenige Absolventen der neuenglischen Eliteuniversitäten waren an diesen Berufen interessiert. Im Gegensatz zum Investmentbanking oder dem Researchbereich brachten diese Tätigkeiten wenig Prestige und waren jedenfalls nicht die Art von Arbeit, zu der sich privilegierte Kids herabließen. In beiden Fällen musste man sich die Hände schmutzig machen, indem man persönlich den Telefonhörer in die Hand nahm und mit Kunden redete. Es zählte nicht, dass Verkaufen in fast allen Berufen eine große Rolle spielt – ob man nun seine Firma, seine Ideen oder sich selbst verkauft. Es war uninteressant, dass sich die Größen des Investmentbankings ebenso auf ihre Kontakte verlassen wie auf ihren kritischen Verstand. Niemand wollte wahrhaben, dass die wichtigsten Eigenschaften, die einen Geschäftsmann ausmachen, Disziplin und die Fähigkeit sind, sich klare Ziele zu stecken, sich auf diese zu konzentrieren und sich im Wettbewerb erfolgreich zu behaupten. Damals fiel es keinem Marktanalysten oder Banker, der etwas auf sich hielt, ein, selbst den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und Kunden zu gewinnen. Kundenwerbung war verpönt. Händler und Verkäufer waren Bettler. Die feinen Herren zog es woanders hin.

Ich war jedoch in einem Umfeld aufgewachsen, in dem alle diese Klassenunterschiede belanglos waren. Ich kannte nichts anderes und hätte es auch nicht verstanden, wenn jemand versucht hätte, mir diese sozialen Feinheiten zu erklären. Ich wuchs mit den traditionellen Werten der amerikanischen Gesellschaft auf; mein Vorbild waren meine Eltern: Streng dich an, bilde dich fort und erledige selbst, was zu tun ist, egal, ob es um geistige oder körperliche Arbeit geht. Ich hatte mein Studiendarlehen zurückzuzahlen, und mir war jeder Job willkommen. Und, wie ich später bei Salomon Brothers und in meinem eigenen Unternehmen lernen sollte, es sind diejenigen Menschen, die vom Leben nicht verwöhnt wurden, die zupacken können, die ehrgeizig und voller Tatendrang sind und für die Klassenunterschiede nicht existieren, die am allerweitesten kommen und das meiste erreichen.

Als Absolvent der Harvard Business School, der bereit war, sich an der Wall Street ins Getümmel zu stürzen, bekam ich ein Vorstellungsgespräch bei beiden Firmen, die mir Steve vorgeschlagen hatte. Ich war einer von wenigen Betriebswirten, die an einer Stelle in der Verkaufs- und Handelsabteilung bei Goldman Sachs interessiert und daher nach New York eingeladen worden waren. So wurde ich Gustav Levy, geschäftsführendem Teilhaber dieser Firma und lebende Wall-Street-Legende, vorgestellt: „Mike, das ist Mister Levy.“

Vor mir stand ein Mann, der eher durchschnittlich wirkte, gleichzeitig freundlich und reserviert. Sein Freundes- und Bekanntenkreis, dem ich bisher nicht angehört hatte, schloss Finanzgrößen und Spitzenpolitiker aus aller Welt ein. Wir gaben uns die Hand und tauschten die üblichen Höflichkeitsfloskeln aus. Da ich damals nicht darüber im Bilde war, wie viel Einfluss er tatsächlich hatte, war ich nicht so beeindruckt, wie ich es eigentlich hätte sein sollen. Gus, wie man ihn nannte, war nicht irgendjemand. Er hatte sein Geld mit Arbitragegeschäften an der Wall Street gemacht und war für seine Wohltätigkeit bekannt geworden. Jahrzehnte nach seinem Tod wird er immer noch als innovativer Bankier und verlässlicher Ratgeber verehrt, und außerdem als jemand, der wusste, wann er welches Risiko einzugehen hatte. Ich wünschte, ich wäre so schlau gewesen, ihm ein paar Fragen zu stellen und noch zu seinen Lebzeiten in einem späteren Stadium meiner Karriere etwas Zeit mit ihm zu verbringen. Das tat ich aber nicht.

Danach machte ich mich auf den Weg zu meinem Einstellungsgespräch bei Salomon Brothers & Hutzler. Ich war der einzige Harvard-Absolvent, der sich angemeldet hatte, um diese kleine Firma, die mit Anleihen handelte, kennenzulernen. Salomon war nicht gerade der Typ Unternehmen, den Betriebswirte bevorzugten. Während mich der Personalchef Stuart Allen herumführte, kam ich mit einem Mann namens Billy ins Gespräch. Den Nachnamen hatte ich nicht ganz mitbekommen. Wir unterhielten uns über das Studium, New York, das Wetter, alles Mögliche. Er machte einen freundlichen Eindruck, wie ein entfernter Verwandter auf einem Familientreffen.

„Was ist Ihr Eindruck von Billy?“, fragte mich mein Begleiter, nachdem uns der andere wieder allein gelassen hatte.

„Wer war das denn eigentlich?“, fragte ich.

„Nun, das war William R. Salomon.“

Das hatte ich nicht gewusst. Für mich war er nur ein netter Kerl, mit dem man gut reden konnte. Nachdem ich „Mr. Levy“, den Seniorpartner der einen Firma, kennengelernt hatte, und „Billy“, den Hauptteilhaber der anderen, schon mit Vornamen anredete, stand für mich fest, wo mein Platz war.

Das eigentliche Einstellungsgespräch bei Salomon führte ich nicht mit Billy, sondern mit drei anderen Leuten: dem Verkaufsleiter Harry Nelson, dem Leiter des Aktienhandels Sandy Lewis (sein Vater war Cy Lewis, der damalige Geschäftsführer von Bear Stearns) und der Nummer zwei der Salomon-Teilhaber, John Gutfreund. Das Gespräch fand in einem Konferenzsaal ohne Fenster statt, an den sich der firmeneigene Friseursalon für die Teilhaber anschloss – eine Vergünstigung für die Teilhaber, die damals nichts Ungewöhnliches war. Ähnlich beeindruckt war ich von der Kunst an den Wänden (die, wie sich später herausstellte, geliehen war). Das berühmte und imposante Ölgemälde vom Boxkampf Dempsey gegen Firpo, das im Aufenthaltsraum hing, sehe ich noch immer vor mir. Echte Bilder kannte ich damals nur aus Museen. Das machte Eindruck auf mich – und in den Büros von Bloomberg stellen wir seit Langem Kunstwerke aus.