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Anja Kübler

Tod im Schmugglertunnel

Profilerin Karola Kübel ermittelt in ihrem ersten Mordfall.


Dieses Buch widme ich meinen Eltern und den Menschen, denen ich mich in besonderer Weise verbunden fühle.


BookRix GmbH & Co. KG
81371 München

Prolog..

 

„Tod im Schmugglertunnel“

 

„Erfurt, Hauptstadt von Thüringen, im Institut für Rechtsmedizin.. Der Kopf war fein säuberlich abgetrennt worden, fast wie ein chirurgischer Schnitt, könnte man meinen, auf den ersten Blick. Aber ein Gerichtsmediziner schaut nicht nur einmal hin und für ihn stand fest, dass dies nicht die Tat eines Chirurgen, Arztes oder sonst irgendwie beruflich geschulten Killers sei, dafür sei es doch zu ungenau. Als Tatwaffe käme eine scharfkantige Axt in Frage oder auch ein Säbel, es muss auf jeden Fall sehr schnell und mit großer Wucht passiert sein. Post mortem, das heißt, das Opfer war bereits tot, als sein Schädel vom Körper entfernt wurde. Das beruhigte mich ein wenig, obwohl ich noch nicht wusste, was davor mit ihm geschehen war. Der tote Mann, Mitte 60, Frührentner und alleinstehend, wurde erstochen, mit gut 20 Messerstichen, dies war also die Todesursache. Der Tod trat auch leider nicht schnell ein, denn die Stiche erzählten ihr eigene Geschichte und die konnte der Pathologe äußerst präzise und ebenso äußerst direkt wiedergeben. Als hätten die Wunden mit ihm gesprochen. Der Ermordete war ganz langsam verblutet. Die meisten Stiche fanden sich in der Genitalgegend, wodurch auch eine sexuell motivierte Tat nicht auszuschliessen war. Schreckliche Vorstellung, dachte ich mir, allein stehend, alt, wahrscheinlich nicht gerade reich, als Frührentner. Und dann auch noch so ein perfides und grausames Lebensende. Was muss wohl im Kopf eines solchen Menschen alles passieren, damit er hingeht und einfach einem anderen Menschen das Leben nimmt? Dies sollte nun also mein erster Fall werden, tätig in der Abteilung für ungelöste Mordfälle, am LKA in Erfurt. Aber was hatte nun dieser Fall mit einer alten Tatakte zu tun, dieser war doch ganz aktuell? Die Antwort stand in der Akte, die mein Vorgesetzter mir gab, dort fanden sich mehrere männliche Opfer, aus den Jahren 1992 bis 1996, allesamt ähnlich verübt, mit dem gleichen Opferprofil. Alles Männer, die meisten um die 60 Jahre alt. Bis auf die ersten zwei Opfer, bei denen es anders war. Sie wurden erschossen, beide mit derselben Waffe.
Beim zweiten Opfer fand man ein paar zusätzliche Stichverletzungen, alle post mortem zugefügt. Beiden Männern wurde der Schädel nicht abgetrennt. Jedoch deuteten die Spuren von damals bereits auf ein und denselben Täter, wie auch heute, nach über 4 Jahren scheinbarer Ruhe, eine Zeit jedenfalls, in der der Täter offenbar still zu halten schien. Vielleicht keine Lust mehr am Töten hatte, bis zu jenem Tag, als sein offensichtlich kranker Geist wieder zuschlug, keine Ruhe mehr gab; nach frischer Bluttat verlangte. Denn kann man sich überhaupt vorstellen, dass ein Mensch, der eine solche Handlung erst einmal begangen hat, jemals wieder einfach so damit aufhören kann? Bei diesen Taten kann man regelrecht spüren, dass es in ihm ein inneres Verlangen gegeben haben muss, ein morbides Verlangen nach tot machen, Menschen tot machen. Ich glaube, wer erst einmal diese Grenze zwischen gut und böse, zwischen Menschsein und Monstersein überschritten hat und dieses dunkle Tal betritt, der kann nie wieder zurück, jedenfalls nicht gänzlich. Das erste Opfer war gerade einmal Anfang dreißig, ein junger Mann also, groß, sportlich und gut aussehend. Er war erschossen worden und es fanden sich keine weiteren Gewaltspuren an seinem leblosen Körper. Offenbar steigerte sich der Mörder also in der Ausführung seiner Taten, von Opfer zu Opfer wurden sie grausamer.. Aufgefunden hatte man ihn im Jahre 1992, in einem Tunnel, um genau zu sein ein ehemaliger Schmugglertunnel, aus der Nachkriegszeit des zweiten Weltkrieges. Gelegen an der späteren und jetzt ehemaligen Ost-West-Grenze zwischen Ellrich und Walkenried. Ein Tunnel, der die beiden Orte durch eine Bahnschiene miteinander verbindet. Die sogenannte Südharzstrecke. Zu DDR-Zeiten durfte man Ellrich nur mit einem gültigen Passierschein betreten, da dieses Städtchen in der Sperrzone lag, direkt am Grenzzaun. Damals gab es mehrere Fluchtversuche aus der DDR über den Tunnel, in Richtung Walkenried. Seit der Wende ist es nun kein Problem mehr wieder die ganze Fahrt von Osten nach Westen aufzunehmen. Aber auch in der erwähnten Nachkriegszeit spielten sich dort dramatische bisweilen sogar grausige Geschehnisse ab. Viele Menschen hatten kaum etwas zu Essen und kein Einkommen. So waren sie darauf angewiesen selten gewordene Waren zu schmuggeln, um sich damit ein wenig Geld zu verdienen. In dieser dunklen Zeit blieb damit die Kriminalität unter den Menschen nicht aus. Es kam mehrfach zu Diebstählen, Raubüberfällen und schließlich sogar zu Mord. Vieles davon spielte sich auf der Ostseite ab, also in Ellrich, eine Kleinstadt, mit heute etwa 5000 Einwohnern. Diese Stadt musste schon viele schreckliche Zeiten durchleben. Sogar ein Konzentrationslager im zweiten Weltkrieg, genannt „Ellrich-Juliushütte“ hat es dort gegeben. Heute berichten Gedenksteine und Tafeln von den Opfern, deren noch lebende Angehörige bis jetzt regelmäßig Blumen und Kränze niederlegen. Ich kenne Ellrich persönlich, auch deshalb ist dieser Fall eine ganz besondere Herausforderung für mich. Ich bin dort aufgewachsen, ein hübsches Städtchen, im wunderschönen Südharz gelegen. Umgeben von saftig grünen Wiesen und eingebettet von wunderbar dichten Wäldern. In diesen Wäldern habe ich mich oft herum getrieben, als Kind und später als junges Mädchen. Ich liebe es wandern zu gehen und meine große Naturverbundenheit hat sicher nicht zuletzt mit den unzähligen Wochenendausflügen ins Grüne samt der ganzen Familie zu tun. Damals entwickelte sich dieses große Interesse an den Lebewesen, zu den Pflanzen und den Tieren. Vielleicht hat gerade diese Sympathie für das Leben und das Lebendige dazu geführt, dass ich schließlich, wenn auch auf einigen Umwegen, Kriminalpsychologin geworden bin. Heute kann ich mir keinen anderen Beruf mehr vorstellen und dabei stehe ich doch gerade erst am Beginn meiner Arbeit. Mit meinem allerersten Fall. Und diesen soll ich auch nicht alleine lösen, denn als Kriminalpsychologe arbeitet man fast immer in einem größeren Team, mindestens aber zu zweit. Und so sollte es schließlich auch kommen. Erst einmal schickte man mich nach Nordhausen, an die dortige Kriminalpolizeiabteilung, da Ellrich zum Landkreis von Nordhausen zählt. An meine Seite stellte man mir oder eher umgekehrt stellte man mich an seine Seite, einen alternden und sehr erfahrenen Kriminalkommissar, kurz vor dem Ruhestand.

 

..Vermutlich sein letzter Fall dachte ich, als ich ihn sah. Gebrechliche, grau gesichtige Erscheinung, die alles andere als gesund aussah. Da würde ich wohl richtig viel Eigenverantwortung übernehmen dürfen, so erhoffte ich es mir jedenfalls. Doch es sollte anders kommen, wie so oft im Leben. Aber auch dieses "anders kommen“ würde sich früher oder später ganz sicher noch als nützlich erweisen.."