Cover

Über dieses Buch:

Schweißgebadet wacht Cora auf – in ihrem Albtraum ist sie im letzten Moment einem Dämon entkommen, der sie zu seiner Dienerin machen wollte. Warum hat sich das alles so schrecklich real angefühlt? Als sie später auf dem Weg zur Arbeit die Leiche einer jungen Frau findet, kommt ihr ein schrecklicher Verdacht: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Toten und ihrem nächtlichen Peiniger? Natürlich will ihr niemand glauben, auch nicht der attraktive Polizist Tom Ehrenfels. Trotzdem stimmt er zu, Cora zu begleiten, als sie auf eigene Faust Nachforschungen anstellt – und eine Spur findet, die zu einer uralten, im Wald verborgenen Kirche führt …

Über die Autorin:

Corina Bomann, geboren 1974, wuchs in Parchim auf, einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern; heute lebt sie in Berlin. Sie schrieb bereits zahlreiche erfolgreich Jugendbücher und historische Romane; der ganz große Durchbruch gelang ihr mit dem Buch Die Schmetterlingsinsel, das wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stand.

Bei dotbooks veröffentlichte Corina Bomann sechs eBooks, die eine ganz andere Seite ihrer Kreativität zeigen – Mystery- und Horror-Romane, die zu Beginn ihrer Karriere entstanden und die sie für die Neuausgabe überarbeitet hat: Der Fluch der Gräfin, Elixier der Nacht, Das Verlangen des Dämons, Die Geliebte des Teufelsritters, Die Zärtlichkeit des Bösen und Die Verlockungen der Dunkelheit.


Die Website der Autorin: corina-bomann-buecher.de

Die Autorin im Internet: facebook.com/corina.bomann

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe August 2016

Die ursprüngliche Fassung erschien 2000 unter dem Titel Im Bann der Geisterkirche als BASTEI Mitternachts-Roman.

Copyright © der Originalausgabe 2000 Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Copyright © der überarbeiteten und mit einem Nachwort versehenen Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock/Oleg Gekman und Shutterstock/Color Symphony

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95520-837-0

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Corina Bomann

Das Flüstern der Verdammnis

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Als wäre der Teufel hinter ihrer Seele her, rannte Cora Berg durch den abendlichen Wald und näherte sich, nur mit einem Nachthemd bekleidet und einer Schlafdecke um die Schultern, einer Lichtung. Dort angekommen, blieb die junge, dunkelblonde Frau stehen und erstarrte. Vor ihr tauchte aus den dichten Nebelwänden die weiße Kirche auf, von der sie schon so viel gehört hatte. Die Alten warnten oft vor der Geisterkirche und erzählten sich blutige Schauergeschichten über diesen Ort des Bösen.

Ein eisiger Schauer rann über ihren Körper, Cora zog die türkisblaue Schlafdecke enger um die Schultern und ging auf die unheimliche Kirche zu. Es war, als würde sie von einer unsichtbaren Hand gezogen. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie hätte nicht umkehren können. Unweigerlich näherte sie sich dem hoch aufragenden Portal, blieb schließlich davor stehen und streckte die Hand nach der rostigen Türklinke aus. Doch was war das? Bevor sie das kalte Metall berühren konnte, öffnete sich die Tür wie von Geisterhand. Unter dem leisen Knarzen der Türangeln tat sich vor ihr ein großer, von rotem Dämmerlicht erfüllter Raum auf.

Auf den ersten Blick war er wie jede normale Kirche eingerichtet. Es gab Bänke, eine Kanzel und einen Altar. Doch etwas war anders. Die junge Zahnarzthelferin wandte sich mit Grausen ab, als sie bemerkte, dass das Taufbecken nicht mit Weihwasser, sondern mit Blut gefüllt war.

Für einen Moment sah Cora ihr Bild in der roten Flüssigkeit, dann wich sie vor dem goldenen Behältnis zurück. Du musst fliehen!, hämmerte es plötzlich durch ihren Kopf. Lauf einfach weg! Doch sosehr sie sich auch anstrengte, es gelang ihr nicht. Ihre Beine waren wie gelähmt. Als sie an sich hinabschaute, sah sie, dass starre braune Ranken ihre Knöchel umfangen hatten und sie festhielten wie die Arme einer Krake.

Cora versuchte verzweifelt, sich davon zu befreien, doch vergebens. Verdammter Mist, dachte sie wütend, wäre ich doch bloß niemals hergekommen! Doch für solche Gedanken war es jetzt zu spät. Das machte ihr das grässliche Lachen deutlich, das plötzlich vor ihr ertönte.

Als sie erschrocken aufblickte, sah sie einen Mann vor sich stehen. Einen sehr dürren, fast schon ausgezehrt wirkenden Alten mit weißen Haaren, weißem Gewand, spitzen Zähnen und schwefelgelben Augen. Sein Anblick jagte ihr eiskalte Schauer über den Rücken. Ein solch scheußliches Wesen hatte sie noch nie zuvor gesehen.

»Bist du gekommen, um mir zu dienen? Bist du eine von den Zwölfen?«, fragte er mit metallisch klingender Stimme und streckte seine Hand nach ihr aus. Lange Krallen wucherten aus den leichenblassen Fingern, die Haut sah aus wie uraltes Pergament. Es waren Dämonenfinger, die sich ihr da näherten.

Cora spürte, wie ihr Herz zu rasen begann. Heftig und verzweifelt schlug es gegen ihre Brust und erschwerte ihr das Atmen. Ihr war klar, dass sie dem gefährlichen Alten hilflos ausgeliefert war. Mit seinen rasiermesserscharfen Fingernägeln konnte er ihr, wenn er wollte, die Kehle in Sekundenschnelle aufschneiden. Trotzdem fand sie den Mut zu sprechen.

»Ich bin nicht gekommen, um dir zu dienen, sondern um dich zu vernichten«, hörte sie sich sagen. Die Augen des Mannes, des Dämons, oder was auch immer er war, verengten sich zu schmalen, tückischen Schlitzen. Hass loderte in den tierisch wirkenden, schwefelgelben Pupillen auf, dann schoss die Dämonenhand vor. In atemberaubendem Tempo näherten sich die scharfen Krallen Coras schweißüberzogener Haut. Fast hatten sie ihren zarten Hals erreicht, als sie plötzlich fortgerissen wurde. Eine saugende Dunkelheit erfasste sie und zog sie mit sich wie in einen Tunnel der Zeit. Sie kehrte aus der Geisterwelt zurück in die Realität …

Als sie zu sich kam, saß sie im Schneidersitz auf ihrem Bett. Ihr Herzschlag dröhnte laut in den Ohren, das Blut pulste durch Schläfen und Hals, und das weiße Nachthemd klebte schweißnass an ihr. Sie fühlte sich, als hätte sie im Regen gestanden.

Doch allmählich wurde ihr bewusst, dass das, was sie soeben erlebt hatte, nur ein Traum gewesen war. Sie war nicht im Wald, sondern in ihrem Schlafzimmer, saß auf dem Bett und krallte die Hände in die türkisfarbene Decke, mit der sie sich zugedeckt hatte.

Gott sei Dank!, dachte Cora erleichtert, atmete tief durch und schaute sich im vom ersten Sonnenlicht erfüllten Raum um. Eine sanfte Brise wehte durch das offene Fenster und trug den Morgengesang der Lerchen herein. Das und die Tatsache, zu Hause zu sein, beruhigten sie allmählich.

Ich hätte mir gestern Abend doch nicht den »Angriff der Killertomaten« anschauen sollen, sagte sie sich, ließ sich zurück in die Kissen sinken und starrte zur Zimmerdecke. Obwohl der Traum nichts mit der Handlung des Films zu tun gehabt hatte, war sie sich sicher, dass sie nur deshalb so gruselig geträumt hatte. Vorerst waren alle Horrorfilme gestrichen. Sie schloss die Augen wieder, in der Hoffnung, noch ein paar Minuten schlafen zu können.

Doch Fehlanzeige. Bevor sie zurück in Morpheus’ Arme gleiten konnte, erklang ein markerschütterndes Schrillen. Cora erschrak und fuhr erneut hoch. Doch es war kein Dämon, der nach ihr rief, sondern nur der Wecker, der Krawall machte. Murrend nahm sie ihn vom Nachttisch und schaltete ihn aus. Fünf vor sechs, zeigte ihr die rot glimmende Digitalanzeige.

Na, dann wollen wir mal wieder. Auf, auf zur Arbeit. Heute war ja zum Glück schon Freitag.

Sie ging ins Bad, stieg aus dem verschwitzten Nachthemd und stellte sich unter die Dusche. Während das lauwarme Wasser angenehm über ihre Haut perlte, ließ sie die Gedanken schweifen.

Sie versuchte, nicht mehr an den seltsamen Traum zu denken und erst recht nicht an die Arbeit. Sie würde ihre Chefin Dr. Charisius – den Schrecken von Karies, Zahnstein und Parodontose – noch früh genug zu Gesicht bekommen. Sie plante lieber für das Wochenende. Sie könnte doch mal wieder ausgehen … Vielleicht ins Kino, da lief doch dieser Ritterfilm mit dem spanischen Schauspieler. Na, wie hieß er denn gleich?

Während sie noch versuchte, sich an den Namen des heißblütigen Mimen zu erinnern, klingelte plötzlich das Telefon und riss sie jäh aus ihren Gedanken. Zunächst wollte sie das Läuten einfach ignorieren, doch da das Telefon keine Ruhe gab, kam sie unter der Dusche hervor, wickelte sich in ihr hellgrünes Badetuch und ging barfuß in die Küche, wo der Apparat stand.

»Ja, Berg«, meldete sie sich. Doch schon im nächsten Moment bereute sie, abgenommen zu haben.

»Guten Morgen, hier Charisius«, meldete sich eine schrille Frauenstimme.

Cora verdrehte genervt die Augen. Was will sie denn nun schon wieder? Ihr Dienstbeginn war heute doch erst um halb acht.

»Frau Berg, ich hetze Sie ja ungern, doch könnten Sie heute eine halbe Stunde eher anfangen?«, fragte ihre Chefin, als hätte sie Coras Gedanken vernommen.

Sie schwieg einen Augenblick. Ungern? Natürlich hetzt sie mich gern, sonst würde sie ja nicht anrufen. Ärgerlich biss sich Cora auf die Unterlippe und wickelte sich die Telefonschnur um den linken Zeigefinger.

»Ist denn jemand krank geworden?«, fragte sie zurück und bemühte sich, möglichst verschlafen zu klingen. Damit konnte sie vielleicht noch etwas Zeit schinden.

»Nein, ich hoffe nicht«, gab Dr. Charisius zurück. »Doch soeben hat sich Frau Krebs bei mir gemeldet – hat sich einen Schneidezahn abgebrochen. Und Sie wissen ja, als Bankdirektorin kann sie nicht mit einer Zahnlücke rumlaufen.«

Warum nicht?, lästerte eine kleine Stimme in Coras Hinterkopf. Hat doch auch einen Vorteil: Sie kann rauchen und gleichzeitig trinken die Zigarette klemmt sie sich eben in die Zahnlücke. Doch aller Spott nützte nichts, ihr blieb nichts anderes übrig, als der »Bitte« ihrer Chefin nachzukommen.

»Gut, Frau Doktor, ich komme etwas früher«, antwortete sie. »Muss mir nur noch die Haare machen und mich anziehen.«

»Fein.« Nicole Charisius zeigte sich zufrieden. »Ich habe der Frau Direktor gesagt, dass sie um sieben kommen kann. Wenn Sie Viertel vor da sind, reicht das völlig.«

O wie gnädig! Dann hatte sie ja noch ganze zehn Minuten, um sich die Haare zu föhnen, sich anzuziehen und das Pausenbrot zu schmieren.

Mit den Worten »Bis gleich« legte sie auf, ohne eine Antwort abzuwarten.

Kapitel 2

Wie sie es geschafft hatte, innerhalb von zehn Minuten bereit zu sein für die Abfahrt, war Cora selbst ein Rätsel, aber Punkt Viertel nach sechs verließ sie das Haus, das sie seit dem tragischen Unfalltod ihrer Eltern allein bewohnte. Sie schloss die Haustür ab, ging zu ihrem roten Kleinwagen, stieg ein und warf die Tasche auf den Beifahrersitz. Dann startete sie das Gefährt, schaltete das Autoradio ein und fuhr los.

Hinter dem Ortsschild endete die holprige Dorfstraße, und Cora fuhr über die frisch geteerte Landstraße in Richtung Kreisstadt. Normalerweise brauchte sie bis dorthin eine halbe Stunde. Warum sollte sie das heute nicht auch schaffen? Sie war optimistisch – doch nur so lange, bis sie den Wald vor der Stadt erreichte. Ein seltsames Gefühl überkam sie, als die Bäume rechts und links an ihr vorbeihuschten.

Sekunden später kehrten die Bilder ihres Alptraums zurück. Sie war durch einen Wald gelaufen, einen Wald in der Abenddämmerung. Oder war es doch – wie jetzt – Morgendämmerung gewesen? Jedenfalls waren Traum und Wirklichkeit gerade fast identisch: Nebelfetzen hingen wie Leichentücher zwischen den Bäumen, zogen langsam durch den Wald.

Spontan bekam Cora eine Gänsehaut, als sie an die Kirche dachte, die mitten im Wald gestanden hatte. Und da kam ihr eine alte Sage in den Sinn, die sie irgendwann mal gehört hatte. Man erzählte sich, dass in diesem Waldstück, das Pathenberg hieß, neben verfluchten Ratsherren und Hexen auch der Teufel persönlich umgegangen sei. Er habe vor langer Zeit eine Kirche im Erdboden versinken lassen, weil er nicht wollte, dass Gott an diesem verfluchten Ort Macht ausübte.

Diese Teufelskirche hatte sie im Traum gesehen, da war sie sich plötzlich ganz sicher. Und wenn es sie nun wirklich gegeben hatte? Und mit ihr diesen seltsamen gelbäugigen Mann, der junge Frauen anlockte und tötete?

Plötzlich stockte sie. Da am Wegrand, war das nicht …? Sie bremste ab. Na klar, das war Margit Sanders silbergrauer Polo.

Margit war Coras Kollegin. Sie war zwei Jahre jünger, wohnte im Nachbarort und fuhr dieselbe Straße zur Arbeit. Oft trafen sie sich auf halber Strecke, dort, wo Margit auf die Landstraße einbog.

Es erstaunte Cora, ihren Wagen hier stehen zu sehen – um diese Uhrzeit! Eigentlich soll sie heute doch erst um neun anfangen. Cora hielt hinter dem Polo an. Oder hatte die gute Frau Doktor auch sie heute früher aus den Federn gejagt?

Eigentlich hätte Cora weiterfahren sollen, denn es gab Ärger, wenn sie nicht bis spätestens kurz vor sieben in der Praxis war. Doch die Sorge um die Kollegin brachte sie dazu, auszusteigen und nachzusehen. Hatte sie vielleicht eine Panne? Sie spähte durch das Fenster und langte nach dem Türgriff. Die Türen waren nicht verschlossen. Und der Zündschlüssel steckte. Ganz so, als wäre die Fahrerin nur mal kurz weggegangen.

Vielleicht war sie zu Fuß weitergegangen oder getrampt. Diesen Gedanken verwarf Cora aber wieder. Sie wusste ganz genau, dass Margit so etwas Gefährliches nicht tun würde. Außerdem hatte sie ja ein Handy, um den Abschleppdienst anzufordern. Und wenn sie tatsächlich weggegangen wäre, hätte sie doch zumindest den Zündschlüssel mitgenommen. Was machte sie also hier? Und vor allem, wo war sie jetzt?

Cora warf die Fahrertür wieder zu, ging um den Wagen herum und legte ihre Hand auf die Kühlerhaube. Die war ja kalt! Der Wagen war während der letzten Stunden nicht benutzt worden. Was zum Teufel hatte Margit in der Nacht hier gemacht? Hatte sie auch diesen Traum gehabt? Oder hatte sie dieser unheimliche Mann – ein Gespenst? – tatsächlich in den Wald gelockt, so wie Cora es im Traum gesehen hatte?

Ach Quatsch! Sie verdrängte diese Gedanken und schüttelte über sich selbst den Kopf. Sie glaubte zwar an vieles, aber nicht an Gespenster. Sicher gab es eine logische Erklärung. Vielleicht hatte Margit ein Stelldichein mit ihrem neuen Freund. Entweder machten sie einen kleinen Morgenspaziergang, oder sie versuchten mal was Neues.

Doch die Unruhe blieb. Und wenn Margit nun Hilfe brauchte? Wenn sie gar nicht freiwillig hier war und gerade Todesängste ausstand? Obwohl Margit nicht gerade zu ihren liebsten Kolleginnen zählte, beschloss Cora, in den Wald zu gehen und nachzuschauen – auch auf die Gefahr hin, sie mit ihrem Liebhaber zu überraschen. Das war immer noch besser, als sich später den Vorwurf machen zu müssen, sie mit einem Mörder allein gelassen zu haben.

Der Waldweg glich einer finsteren Gasse, einem Tunnel, so dass kaum Licht auf dem Waldboden ankam. Das lag auch an den Nebelbänken, die alles verschluckten.

Angesichts der hier herrschenden Dunkelheit bekam es Cora mit der Angst zu tun. Jedes Geräusch ließ sie zusammenzucken – sei es das Knacken eines Astes unter ihren Füßen oder ein Vogel, der aus seinem Versteck aufflatterte. Eigentlich war Cora nicht schreckhaft, doch diese Situation ähnelte den Bildern der vergangenen Nacht auf beängstigende Weise. Nur dass sie nicht im Nachthemd durch den Wald irrte. Und dass es kein Traum war, aus dem sie das Klingeln des Weckers retten konnte.

Ihr Puls jagte in die Höhe, das Herz klopfte so stark gegen ihre Brust, dass sie meinte, es würde gleich die Rippen durchbrechen. Als sie sich nach einem erneuten Knacken unter den Füßen umschaute, bemerkte sie, dass sie die Straße von hier aus gar nicht mehr sehen konnte. Mein Gott, was ist, wenn hier jemand auf mich lauert? Sie zog ihre Jacke enger um den Leib – eine Handlung, die sie mehr aus Angst als wegen der Kälte vollführte. Wenn hier jemand auf Margit gelauert hatte, wäre sie sein zweites Opfer. Vielleicht hatte ihr auch ihr Lover etwas angetan. Entsetzliche Gedanken.

Mit rasendem Herzen ging Cora weiter. Plötzlich war es nicht mehr der eigene Wille, der sie leitete, nein, etwas schien sie zu ziehen. Immer weiter und weiter ging sie, wie in Trance, bis sie schließlich eine Lichtung erreichte.

Sie traute ihren Augen nicht. Was sie da sah, war wieder eine Szene aus ihrem Traum. Der dichte Nebel, der die Lichtung einhüllte … Und da! War das nicht der Umriss einer Kirche? Der Kirche aus ihrem Traum? Ja, zwei weiße Türme reckten sich hoch in den Morgenhimmel. Türme, auf denen kein Kreuz zu sehen war …

Wie gebannt blieb sie stehen und beobachtete das Schauspiel. Im Gegensatz zu ihrem Traum entstand die Kirche jedoch nicht aus dem Nebel, sondern löste sich gerade darin auf. Die vor wenigen Sekunden noch deutlich sichtbaren Umrisse verschwammen mehr und mehr und waren binnen weniger Augenblicke schließlich ganz verschwunden.

Kann es so etwas geben? Cora starrte erschrocken noch eine Weile auf die Stelle, an der sie die Kirche gesehen hatte. Und ihr Entsetzen wurde noch größer, als sich der Nebel plötzlich lichtete und wie ein sich öffnender Vorhang die Sicht auf die Lichtung freigab. Und auf das, was auf dem Waldboden lag. Cora konnte ganz deutlich erkennen, dass es ein menschlicher Körper war.

Sogleich löste sie sich aus ihrer Erstarrung und rannte zu der Person, die bäuchlings auf dem Boden lag. Es war eine Frau. Sie hatte halblanges, blondes Haar, trug verwaschene blaue Jeans und eine schwarze Lederjacke.

O mein Gott, das ist Margit! Mit rasendem Herzen hockte sie sich neben den reglosen Körper und drehte ihn vorsichtig herum. Der Anblick des totenbleichen Gesichts bestätigte ihre Vermutung. Es war Margit Sander, die da vor ihr lag. Und angesichts der grässlichen Wunde an der Kehle der jungen zierlichen Frau gab es keinen Zweifel: Sie war tot.